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Mit Tagesanbruch standen die Pferde bereit und siebzig wohlbewaffnete Krieger bei ihnen, nämlich die bereits erwähnten sechszig und außer denselben noch zehn ausgewählte Männer, welche uns nach der Pampa de Salinas begleiten sollten.
Die Pferde, welche wir gegen die unserigen erhalten hatten, waren ausgezeichnet, ebenso die Reservepferde, die mit den Vorräten bepackt waren, welche der Desierto für uns bestimmt hatte. Ich war nicht gewillt gewesen, meinen braven Braunen zu vertauschen, und hatte ihn also behalten. Da wir nun während des Rittes die Pferde wechseln konnten, war vorauszusehen, daß unsere Reise eine möglichst schnelle sein werde.
Nun galt es, Abschied zu nehmen. Sämtliche Bewohner des Dorfes, von denen die meisten gar nicht schlafen gegangen waren, befanden sich auf den Beinen, um uns lebewohl zu sagen. Der alte Desierto konnte die Seinen ohne Sorge verlassen, denn er hatte meinen Rat befolgt, Späher auszusenden, um gegen die Chiriguanos Sicherheit zu haben, und von andern Toba-Ansiedelungen Krieger herbeizurufen.
Von Unica wurde mir der Abschied nicht leicht, doch konnte ich ja hoffen, sie wieder zu sehen. Auch sie bat mich, recht schnell zu reiten, damit wir möglichst bald in Tucuman wieder zusammentreffen könnten. Leise flüsterte sie mir zu:
»Sie sind der vorsichtigste und zuverlässigste. Ihnen vertraue ich Sennor Horno an. Machen Sie ihn frei; aber sagen Sie ihm nicht, daß ich ihn mit Sehnsucht erwarte!«
Als ich ihr die Hand gegeben hatte und mich nun von ihr wendete, erblickte ich den Bläser der Signalpfeife. Er winkte mir und ging davon, indem er sich einigemale umsah, ob ich ihm folge. Er wartete an einer der nahen Hütten und schob mich hinein. Leider verstand er weder meine, noch ich seine Sprache. Dennoch hörte und begriff ich auf das deutlichste, weshalb er mir gewinkt hatte. Er griff nämlich sein Rieseninstrument, welches in der Ecke lehnte, spitzte den Mund, formte ihn zu einem weiten, runden Schlauch, legte ihn an das Loch der Pfeife und begann zu blasen, daß sein Gesicht blau, mir es aber rot und violett vor den Augen wurde. Er wollte, ehe wir auf Nimmerwiedersehen voneinander gingen, mir noch einmal den Genuß bereiten, den er für den höchsten des Erdenlebens hielt. Ich hörte ihm zu, bis ich glaubte, Einhalt thun zu müssen, da er sonst unbedingt zerplatzen werde, und gab ihm einige Stücke kleiner Münzen, über welche er so erfreut war, daß er die Pfeife sofort wieder an den Mund setzte. Ich aber machte mich mit der Gänsehaut, welche er mir angeblasen hatte, auf das schleimigste von dannen.
Die zurückbleibenden Krieger und Amazonen waren angetreten; an ihrer Spitze stand der Trommler. Ich sagte Unica einige Abschiedsworte für die Leute, und sie verdolmetschte ihnen dieselben. Als ich dann zu Pferde stieg, hörte ich, daß sie den Truppen zurief:
»Lebt wohl – lebt wohl – lebt wohl!«
Das sollten uns die streitbaren Helden zu- und nachrufen. Sie thaten es auch; aber anstatt der Worte ›lebt wohl‹ vernahm ich ein unentwirrbares Gemisch der schrecklichsten Konsonanten, zwischen denen nur das e und o, also die Vokale der beiden Worte, deutlich hervortraten. Die den Platz füllende Menge fiel ein; wir Reiter setzten uns in Bewegung, und noch als wir den Felsen mit seiner geheimnisvollen Wohnung hinter uns hatten, hörten wir in unserm Rücken ein nach und nach immer leiser werdendes und zuletzt verschwindendes Geschrei.
Wir kamen an dem Lager vorüber, an welchem gestern der Kampf stattgefunden hatte. Dies gab mir Veranlassung, den Alten zu fragen:
»Haben Sie einen bestimmten Entschluß betreffs der gefangenen Mbocovis gefaßt?«
»Nein,« antwortete er. »Was ich thue, das werde ich erst wissen, wenn ich von der Laguna de Bambu zurückkehre.
Mein Entschluß hängt von dem Erfolge unsers jetzigen Rittes ab. Befindet sich Horn wohl und gelingt es mir ihn zu befreien, soll keinem Mbocovi etwas geschehen; in diesem Falle gebe ich ihnen die Freiheit nachdem ich sie gezwungen habe, auf ein Bündnis mit den Tobas einzugehen.«
»Und wenn Horn tot ist oder wir ihn überhaupt nicht finden?«
»So werden im ersteren Falle die Schuldigen mit dem Tode bestraft und im letzteren suche ich so lange, bis ich ihn entdecke oder auf meine vorige Überzeugung zurückkomme, daß er für uns verloren ist. Aber auch Sie müssen doch in Beziehung der Mbocovis gewisse Wünsche haben. Ihre Gefährten sind von ihnen überfallen und fortgeschleppt worden. Wollen Sie das ungestraft hingehen lassen?«
»Es wird sich von selbst bestrafen. Der Sendador ist der Haupt-, ja allein der Schuldige. Mit ihm rechnen wir ab. Wollte ich die Mbocovis dafür verantwortlich machen, so hätte ich das gestern thun müssen. Heute wäre es zu spät.«
Von dem erwähnten Lagerplatze an ging unser Ritt genau nach Norden. Wir kamen durch freie Camps und lichte Wälder, mit denen offene Prairien wechselten, zuweilen auch durch dichtes Buschwerk, welches nur schwer zu passieren war, oder über weite, sandige Strecken, auf denen kein Grashalm wuchs, obgleich es da mit Wasser gefüllte Lagunen gab; dieses Wasser war stark salzhaltig. Ich sah, daß der Alte, wie er vorhergesagt hatte, den Weg fast schnurgerade ›durch dick und dünn‹ nahm. Er hatte es sehr eilig und gönnte den Pferden nur am Mittag, als die Sonne am höchsten stand, eine Stunde Ruhe.
Als die Nacht hereinbrach, lagerten wir uns am Rande eines Waldes und aßen von den mitgenommenen Vorräten. Beim Grauen des Tages wurde wieder aufgebrochen. Der zweite Tag verlief wie der erste, nur daß wir mehr durch Wüste als durch Wald und Savanne kamen. Am frühen Vormittage des dritten Tages änderte der Desierto die bisherige Richtung, indem er westlich auswich. Er deutete nach Osten, wo ein dunkler Strich am Horizonte lag, und sagte:
»Dort gibt es undurchdringlichen Wald, durch welchen man sich nur mit Messer und Beil hauen kann. Tiefe Sümpfe liegen im Innern desselben, bedeckt mit Wolken von Stechfliegen, welche die Pferde toll machen. Wir müssen einen Bogen reiten.«
»Und wann erreichen wir die Laguna de Bambu?«
»Am Nachmittag. Ich hatte gerechnet am Abend, aber wir sind sehr schnell geritten.«
»So gilt es nun, vorsichtig zu sein, damit wir nicht vorzeitig bemerkt werden.«
»Das ist jetzt noch nicht nötig. Die einzige Arbeit der zurückgebliebenen vierzig Mbocovis besteht darin, Fleisch für die Weiber und Kinder zu erjagen. Ihr Jagdgebiet aber liegt nach Norden, nicht uns entgegen, wo es nur Wüste und unpassierbaren Sumpfwald giebt. Verlassen Sie sich auf mich. Ich werde Ihnen schon sagen, wann es Zeit ist, auf der Hut zu sein.«
Pena war zwar auch schon an der Laguna de Bambu gewesen, unsern jetzigen Weg aber noch nicht geritten. Er behauptete, weiter ostwärts vorübergekommen zu sein.
»Dann hätten wir, wenn wir Ihren Weg geritten wären, zwei Tage verloren,« meinte der Alte. »Der ›Undurchdringliche‹ zieht sich weit über eine Tagesreise von West nach Ost. In einigen Stunden werden Sie aber die Gegend, durch welche Sie kamen, wieder erkennen.«
Gerade um die Mittagszeit bog er wieder nach Norden ein, und dann sahen wir ostwärts Gebüsch zu unserer rechten Hand. Wir kamen durch eine Sandwüste, welche zu passieren wir eine volle Stunde brauchten. Mitten in derselben lag eine schmale, aber lang gestreckte und vielfach gewundene Lagune, in deren Nähe keine Spur animalischen und vegetabilischen Lebens zu bemerken war. Ihre Ufer erglänzten weiß von dem Salze, welches sich da abgelagert hatte.
»Ah! Ist das nicht die Laguna de Serpiente?« fragte Pena.
»Ja,« antwortete der Desierto. »Man hat sie wegen ihrer schlangenartigen Windungen so genannt.«
»Nun kenne ich mich aus. Wir kommen über eine kurze Savanne, dann durch einen großen Wald, hinter welchem ein Camp beginnt, an dessen Rande die Laguna de Bambu liegt. Das Dorf der Mbocovis befindet sich zwischen dem Walde und der Laguna, mehr in der Nähe des ersteren.«
»Das ist richtig. Können Sie sich noch der Gestalt erinnern, welche das Dorf besitzt?«
»Sehr genau, denn sie ist bei den Indianern außerordentlich selten anzutreffen. Die Niederlassung bildet nämlich ein genaues Rechteck.«
»Das ist gut für uns,« bemerkte ich, »da diese Gestalt uns den Angriff ungemein erleichtert. Hätte das Dorf eine langgestreckte oder überhaupt unregelmäßige Figur, so müßten wir uns zerstreuen und mancher der Bewohner könnte uns entkommen.«
»Der Ort ist von den Jesuitenpatres angelegt worden,« sagte Pena zu dem Alten; »denn es giebt sogar heute noch eine Kirche da.«
»Eine Kirche?« fragte der Desierto. »Von der weiß ich nichts.«
»Nun, wenn ich von Kirche spreche, so dürfen Sie freilich nicht an ein mächtiges Gebäude mit hohem Turme denken. Sie ist auch nur eine Hütte, aber die größte und geräumigste des Ortes.«
»Ist ein Kreuz an oder auf diesem Bauwerke zu erblicken?«
»Nein.«
»So ist es auch keine Kirche. Zwar sind viele Mbocovis Christen, aber nur dem Namen und dem Scheine nach. Eine Kirche brauchen sie sicherlich nicht. Gab es einen Priester dort?«
»Nein.«
»So dient das Gebäude gewiß einem ganz anderen Zwecke. Waren Sie drin?«
»Nein. Man erlaubte es mir nicht. Als ich den Wunsch dazu aussprach, erhielt ich die Antwort, die Casa de nuestro Sennor dürfe kein Fremder betreten.«
»Die Casa de nuestro Sennor, also das Haus unsers Herrn.
Das klingt freilich ganz so, als ob es den Zweck eines Gotteshauses habe.«
»Ganz dasselbe dachte auch ich. Es muß aber ein Geheimnis dabei sein.«
»Welches sich vielleicht unschwer erklären läßt,« fiel ich ein.
»Wieso?« fragte der Alte.
»Dadurch, daß mit den beiden Worten nuestro Sennor nicht Gott oder Christus, sondern der Sendador gemeint ist.«
»Ah! Wie kommen Sie zu dieser auffälligen Vermutung?«
»Sie ist nicht auffällig, sondern sehr gerechtfertigt. Sennor bedeutet nicht nur Herr, sondern auch Oberhaupt, Gebieter, Befehlshaber, überhaupt eine Person, welche die andern in irgend einer Beziehung überragt.«
»Das ist ganz richtig, aber noch kein Grund, hierbei an den Sendador zu denken.«
»O doch! Es ist fast Gewißheit, daß er seinen Hauptaufenthalt hier hat. Befindet er sich oft und viel hier, so übt er als Weißer und gerade als der Mann, der er ist, gewiß einen größeren Einfluß auf die Roten aus, als selbst der Häuptling derselben. Er hat ihnen durch seine Raubzüge Nutzen gebracht und, wenn auch nur in seiner Weise, Gutes erwiesen. Wir haben ja gehört, daß die Mbocovis überzeugt sind, daß der Sendador sie nie betrogen habe. Ist es da ein Wunder, wenn sie, sich der spanischen Worte bedienend, ihn nuestro Sennor, unser Herr, unser Befehlshaber nennen? Er hat ja auch wirklich bewiesen, daß er ihr Befehlshaber ist.«
»Hm! Ihre Logik hat etwas für sich.«
»Nicht wahr? Es ist doch leicht erklärlich, daß der Sendador den Roten nicht erlaubt, einen Fremden, zumal einen Weißen, sein Haus betreten zu lassen. Vielleicht, ja sehr wahrscheinlich ist in demselben gar manches zu sehen, was auf die verborgene und verbrecherische Wirksamkeit des Sendador ein Licht wirft und überhaupt seine Geheimnisse verrät. Aber ergehen wir uns nicht in Vermutungen, die doch nur unnütz sind. Ich denke, wir werden bald Gelegenheit haben, dieses mysteriöse Haus zu betreten und seinen Zweck und Inhalt kennen zu lernen. Warum wollen wir uns über eine Sache, welche bald klar vor uns liegen wird, unnötigerweise den Kopf zerbrechen?«
Wir hatten mittlerweile den Sand hinter uns gelegt, befanden uns auf der schmalen Savanne und sahen den Wald vor uns liegen. Es war unmöglich, uns demselben unbemerkt zu nähern. Befand sich ein Mbocovi dort, so mußte er uns sehen, darum war es am besten, schnell zu reiten. Wir ließen also unsern Pferden die Zügel schießen und jagten im Galoppe dem Saume der Bäume zu. Dort angekommen, ließ ich halten, sprang aus dem Sattel und suchte nach rechts und links den Boden ab. Es war keine Spur eines erst dagewesenen Menschen zu entdecken, und wir durften also annehmen, daß wir nicht bemerkt worden seien.
»Wie breit ist der Wald?« fragte ich den Desierto.
»Wenn wir im Schritte reiten, brauchen wir wohl eine Stunde,« antwortete er.
»Es ist also nun Zeit, vorsichtig zu sein. Sie reiten voran. Ihre Tobas folgen Ihnen, indem sie einzeln hinter einander reiten. Der vorderste von ihnen läßt zwischen sich und Ihnen einen so großen Abstand, daß er Sie nur noch zu erblicken und ein ihm gegebenes Zeichen zu sehen vermag. Rechts von Ihnen reitet Pena, links ich. Wir drei bilden eine gerade Linie und halten auch uns in möglichst größter Gesichtsweite voneinander entfernt. So rücken wir im Schritte vor und suchen das Schnauben der Pferde und jedes laute Geräusch zu vermeiden. Erhebt einer von uns dreien den Arm, so ist das ein Zeichen, daß er etwas Auffälliges bemerkt, und der Zug hat sofort zu stehen und sich unbeweglich zu verhalten, bis das Vorkommnis aufgeklärt ist. Jetzt vorwärts!«
Wir nahmen in der beschriebenen Weise Stellung und ritten weiter. Wir drei, die wir voran waren, hatten die Gegend, soweit unsere Augen reichten, zu durchforschen. Glücklicherweise war der Wald nicht so dicht, daß dies große Schwierigkeit geboten hätte. Der Boden war weich und feucht; also blieben die Huftritte der Pferde fast unhörbar. So kamen wir vorwärts, weiter und weiter. Ich sah, wie sorgfältig der alte Desierto bald nach vorn, bald nach rechts oder links ausschaute; aber es war nichts Verdächtiges zu sehen.
Eine Viertelstunde verging; aus ihr wurde eine halbe. Schon dachte ich daran, anhalten zu lassen, denn vollständig durch den Wald reiten durften wir nicht. Ich wollte vielmehr die andern warten lassen und zu Fuße vorschleichen, um zu rekognoscieren. Da fiel mein Blick auf einen starken Baum, an dessen Stamm ein dünner, glatter, abgebrochener und gerader Ast, der keine Schale mehr hatte, zu lehnen schien. Die regelrechte Lage dieses Astes fiel mir auf. Ich sah schärfer hin und hob sofort den rechten Arm hoch empor. Mein Auge reichte nur bis zu dem Desierto; die andern konnte ich nicht sehen, aber ich bemerkte, daß er sein Pferd anhielt und nach rechts, zu Pena, und rückwärts winkte. Unser Zug hielt also. Kein Laut war zu hören.
Ich stieg ab, band den Zügel um den nächsten Baum und schlich mich dann, hinter jedem Stamme Deckung nehmend, nach dem erwähnten Stamme. Je näher ich kam, desto deutlicher sah ich, daß der betreffende Gegenstand nicht ein Zweig oder Ast, sondern ein geschnitzter Bogen war, wie die dortigen Indianer sie zum Versenden ihrer Pfeile brauchen.
Dann erblickte ich hinter dem dicken Stamme die Kniee eines Menschen, welcher also mit an den Leib gezogenen Beinen dort lag. Jedenfalls ruhte er aus oder schlief sogar, keinesfalls aber konnte er mich gesehen haben, denn sonst hätte er schleunigst nach seinem Bogen gegriffen.
Ich näherte mich also dem Stamme nun direkt, ohne weiter Deckung zu suchen, erreichte ihn mit unhörbarem Schritte, blickte herum und sah einen Indianer, welcher in der angedeuteten Körperstellung dalag und wirklich schlief. Ich bückte mich, kroch auf den Händen zu ihm hin und war ihm nun so nahe, daß er meinen Atem gefühlt hätte, wenn er wach gewesen wäre. Es war ein wohl über sechzig Jahre alter, schwächlicher Mensch, dem sein Köcher als Kopfkissen diente. Im Lendenschurze, welcher seine einzige Kleidung bildete, steckte ein Messer. Ich zog es leise heraus und schob es unter meinen Gürtel.
Es that mir leid, diesem Alten wehe thun zu müssen, aber ich durfte nicht daran denken, ihn auf gewöhnliche Weise zu wecken. Er hätte schreien und dadurch etwa anwesende andere Indianer aufmerksam machen können. Ich legte ihm also die linke Hand an die Kehle, die rechte unter die Achselhöhle, hob ihn empor und trug ihn zu dem Desierto hin. Der Mann zappelte erst ein wenig und hing dann wie leblos in meinen Händen. Er war dürr und so leicht wie ein Kind. Als ich ihn auf den Boden legte und die Hände von ihm nahm, holte er einige Male tief Atem, öffnete dann die Augen und sah mit erschrockenem Blicke zu mir auf, ohne zu wagen, einen Laut von sich zu geben.
»Ein Indianer!« rief der Desierto halblaut, indem er vom Pferde stieg und Pena einen Wink gab, worauf derselbe herbeikam. »Wo steckte er denn, und was that er?«
»Er lag hinter einem Baume und schlief, bis ich ihn in so unsanfter Weise weckte,« antwortete ich.
»Sehr gut, daß wir ihn gefunden haben, denn nun werden wir alle gewünschte Auskunft über das Dorf erhalten. Ich werde ihn in seiner Sprache fragen und Ihnen dann die Übersetzung geben.«
Dessen bedurfte es aber nicht, denn der Rote war nun so weit zu sich gekommen, daß er die Situation begriff. Er richtete sich auf dem einen Ellbogen auf, streckte mir den andern Arm bittend entgegen und sagte in spanischer Sprache:
»Gnade, Sennor! Ich bin kein Feind. Ich wollte nur Vögel schießen und schlief darüber ein, weil ich müde war.«
»Sprich leiser!« gebot ich ihm. »Zu welchem Volke gehörst du?«
»Ich bin ein Mbocovi aus dem Dorfe, welches nicht weit von hier an der Laguna liegt.«
»Meinst du die Laguna de Bambu?«
»Ja. Wollen Sie hin? Ich will Sie hinführen. Aber stechen Sie mich nicht und schießen Sie mich nicht! Man hat mich schon einmal mit einem Giftpfeile hierher geschossen und dann bin ich lange Zeit sehr krank gewesen. Seit dieser Verwundung kriecht mir zuweilen ein Jaguar in den Kopf und brüllt in demselben tagelang. Also schießen Sie mich nicht!«
Er zitterte vor Angst. Es war klar, daß der Alte infolge des Giftpfeiles, welcher ihn in die Schulter getroffen und dort eine tief ausgeschwärte Narbe zurückgelassen hatte, geistesschwach geworden war. Vielleicht wurde er sogar tobsüchtig, wenn der Gedanke über ihn kam, daß sich ein Jaguar in seinem Kopfe befinde. Daß man diese Person ohne Aufsicht in den Wald gelassen hatte, war ein Zeichen, daß die Mbocovis sich ganz sicher fühlten; sie waren überzeugt, daß ihre ausgezogenen Gefährten als Sieger und mit reicher Beute zurückkehren würden. Das Nahen eines Feindes aber hielten sie wohl für ganz ausgeschlossen.
»Ich thue dir nichts,« versicherte ich ihm. »Du brauchst dich nicht zu ängstigen.«
»Aber Sie haben mich beinahe erdrosselt. Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Fremder hier im Lande und will zu euch.«
»Als was? Als Freund oder Feind?«
»Das wird ganz darauf ankommen, ob du mich als Freund oder als Feind behandelst.«
»Ich bin krank und behandle einen jeden, der mir nichts thut, als Freund. Und ich bin ein vornehmer Freund, denn ich war der Hechicero unseres Stammes. Aber seit mich der Giftpfeil getroffen hat, glaubt niemand mehr an mich.«
»Sind noch Leute deines Stammes hier im Walde?«
»Nein, kein einziger.«
»Weiß man, daß du hier bist?«
»Niemand bekümmert sich um mich und niemand giebt mir freiwillig zu essen. Ich muß lange bitten, ehe ich etwas erhalte. Darum wandere ich oft wochenlang im Walde herum und schieße mit dem Bogen Vögel, die ich dann mit diesem Messer zerschneide, um sie roh zu – – –«
Er hielt inne, denn er hatte nach seinem Messer gegriffen und es vermißt. Ich zog es aus dem Gürtel, gab es ihm und sagte:
»Hier ist es. Ich nahm es dir vorhin ab, will es dir aber wieder geben, damit du erkennst, daß ich es gut mit dir meine.«
»Ja, Sie meinen es gut mit mir, sonst hätten Sie mir mein Messer nicht wiedergegeben, ohne welches ich nicht leben kann. Sie sind mein Freund.«
»Ich will es sein und für dich sorgen, daß du nicht mehr zu hungern brauchst, sondern Früchte, Mehl und gebratenes warmes Fleisch bekommst. Sind alle Krieger deines Stammes beisammen?«
Nein, Sennor. Sie sind fort.«
»Wohin?«
»Das weiß ich nicht. Man sagt es mir nicht. Aber ich habe gehört, daß sie mit dem Yerno fort sind, nuestro Sennor zu suchen und dann mit großer Beute zurückzukehren.«
»Kennst du diesen nuestro Sennor?«
»Natürlich!«
»Weißt du, ob er noch einen andern Namen hat?«
»Freilich weiß ich es. Ich bin oft mit ihm, ehe mich der Giftpfeil traf, in den Städten und auf den Estanzias der Weißen gewesen und habe dort die Sprache derselben gelernt. Wenn er einen Raubzug unternehmen wollte, mußte ich den Stamm dazu begeistern. Er versprach mir dafür viel Geld und Gut, hat mir auch viel dafür gegeben; aber nun, da mich der Giftpfeil getroffen hat, hat er mir alles wieder genommen, und ich bekomme nichts mehr.«
»Nun, wie heißt der Mann?«
»Als er ein Kind war, hat sein Priester ihn Geronimo Sabuco getauft. Gewöhnlich aber wird er el Sendador genannt.«
»Weißt du, wo er wohnt?«
»Er ist überall, bald hier und bald dort, am meisten und liebsten aber hier bei uns, wo er ein großes Haus hat.«
»Wird dieses Haus die Casa de nuestro Sennor genannt?«
»Ja, denn es gehört ihm, und er ist unser Sennor.«
»Ist dieses Haus leer?«
»O nein. Es befinden sich Waren darin, welche er von seinen Reisen mitbringt, um sie an uns zu verkaufen oder zu vertauschen, und Sachen, welche sein Anteil von der Beute waren, die wir machten, wenn wir mit ihm gegen die Weißen zogen oder einen von ihnen zum Gefangenen machten und Geld und Sachen erhielten, um ihn freizulassen.«
»So giebt es also bei euch zuweilen weiße Gefangene?«
»Sehr oft. Der Sendador oder sein Schwiegersohn bringen sie. Oder unsere Krieger ziehen mit beiden fort, um Weiße zu fangen.«
»Sind auch jetzt welche da?« »Ja.« »Wie viele?«
»Ich kann nicht mehr zählen, seit mich der Giftpfeil traf; ich werde irre.«
»Ist einer dabei, der Pardunna heißt?« »Zwei sogar, Vater und Sohn aus der Stadt Goya.« »Heißt ein anderer vielleicht Horno?«
»Ja, Adolfo Horno. Der berühmte Desierto soll entweder ausgeraubt werden oder für ihn bezahlen, aber Sennor Adolfo wird trotzdem nicht freigegeben.«
»Sind auch noch andere da?«
»Mehrere; sie sind erst gekommen. Bruder Jaguar ist dabei.«
»Wo befinden sie sich?«
»Auf der Isleta del Circulo.«
»Dort werden sie bewacht?«
»Ja.«
»Von vielen Wächtern?«
»Nein, denn sie haben keine Waffen. Drei Krieger von uns sind genug, denn die Weißen haben große Angst vor unsern Giftpfeilen.«
»Diese drei Wächter sind stets auf dem Inselchen?« »Bei Tag und bei Nacht. Sie werden täglich abgelöst.« »Wie kommt ihr denn aus dem Dorfe auf das Inselchen?« »Mit dem Boote, welches am Ufer versteckt liegt.« »Würdest du mir die Stelle zeigen?« »Ja, weil Sie mir mein Messer wiedergegeben haben.« »Wie viele Krieger sind da?«
»Ich habe sie nicht gezählt, denn ich kann nicht mehr zählen, seit mich der Giftpfeil traf; aber ich habe gehört, daß zwanzig hier blieben, und zwanzig brachten die Gefangenen.«
»Also zusammen vierzig?«
»Wenn Sie es sagen, muß es richtig sein; ich kann nicht mehr rechnen, denn ich werde irre.«
»Wo befinden sich gegenwärtig diese Krieger?«
An der Nähe des Dorfes, auf dem Camp.«
»Was thun sie dort?«
»Sie üben sich im Pfeilschießen, denn heute ist der Tag, an welchem geschossen wird.«
»Wann hört die Übung auf?«
»Wenn es dunkel geworden ist. Dann wird gegessen und geschlafen.«
»Wo schlafen die Krieger?«
»In den Hütten, weil es jetzt im Freien so viele Stechfliegen giebt.«
»Wann wird die Wache drüben auf dem Inselchen abgelöst?«
»Täglich um die Mittagszeit.«
»Was thun die Wächter des Nachts?«
»Sie sitzen am Feuer und wachen. Zuweilen geht einer von ihnen um die Insel, um sich zu überzeugen, daß die Gefangenen kein Bambusfloß bauen.«
»Also man wird nicht nach dir suchen, wenn du heute, wenn es dunkel geworden ist, nicht in das Dorf kommst?«
»Nach mir zu suchen, fällt niemand ein. Man wäre froh, wenn ich tot wäre.«
»Das ist schlecht von ihnen! Möchtest du nicht lieber bei Leuten wohnen, welche dich lieb haben und dir alles geben, was du nötig hast?«
»Das möchte ich wohl; aber es giebt keine solchen.«
»Es giebt welche. Ich werde dir nachher davon sagen. Vorher möchte ich gern wissen, ob es hier im Walde, und zwar nicht zu weit von dieser Stelle, einen Ort giebt, wo sich hundert Männer und hundert Pferde verstecken können.«
»Einen solchen giebt es nicht. Die Bäume stehen überall zu weit auseinander. Vor wem möchtest du dich denn verstecken?«
»Vor deinen Kriegern. Sie könnten mich für einen Feind halten und auf mich schießen.«
Er sah mich verständnislos an, schüttelte den Kopf und antwortete.
»Fürchte dich nicht; sie bleiben im Dorfe, denn heute ist Übungstag, und niemand kommt in den Wald, denn die Hongos, die es in demselben giebt, sind erst gestern und vorgestern gesammelt worden. Ich sage dir, daß niemand kommt. Und wenn sie alle kämen, so würde ich dich verteidigen und mich lieber töten als dich beleidigen lassen, denn du hast mir mein Messer wiedergegeben.«
Er sagte das im Tone herzlichster Aufrichtigkeit. Wie mußte man dem armen Manne mitgespielt und ihn vernachlässigt haben, wenn ihn eine so kleine Freundlichkeit zu solcher Dankbarkeit begeisterte! Ich antwortete ihm, nachdem ich mich durch wenige deutsche Worte mit dem alten Desierto verständigt hatte:
»Nun, eigentlich brauche ich mich nicht zu fürchten. Ich kann dich viel eher in Schutz nehmen als du mich, denn wir drei sind nicht allein; wir haben Krieger bei uns. Soll ich sie dir zeigen? Soll ich sie herbeirufen?«
»Nein, denn sie werden mich vielleicht mit einem Giftpfeile schießen!«
Er schauderte vor Angst zusammen,
»Das werden sie nicht thun,« versicherte ich ihm. »Sie werden dir vielmehr zu essen geben, Sachen, welche du seit langer Zeit nicht mehr genossen hast.«
»So laß sie kommen; laß sie kommen, denn ich habe großen Hunger!«
Er hatte unsere Leute noch nicht gesehen, nicht einmal den Vordermann derselben, der in einer solchen Entfernung hielt, daß er gesehen werden konnte. Der alte Desierto gab demselben einen Wink, und nun kamen die Tobas herbeigeritten, um einen Kreis um uns zu bilden. Der Mbocovi betrachtete die bewaffneten Männer mit halb furchtsamen und halb begierigen Blicken. Einer von ihnen mußte Eßwaren auspacken und ihm vorlegen. Er zog sein Messer und begann zu essen wie ein Mensch, der seit Tagen nichts genossen hat. Ich wendete mich indessen an den Desierto:
»Ich werde jetzt mit Pena rekognoscieren gehen. Sprechen Sie nicht ohne Not mit diesem Manne. Am besten ist es, Sie beschäftigen ihn, bis ich zurückkehre, nur mit Essen. Seine Aussagen werden uns von großem Nutzen sein, und ich möchte ihm den Eindruck erhalten, den ich auf ihn gemacht habe. Lassen Sie ihre Leute absitzen, sich aber bereit zur Gegenwehr halten; man kann nicht wissen, was passiert. Hören Sie einen Schuß fallen, so befinde ich mich in Not, und Sie eilen mir schnell zu Hilfe. Es versteht sich ganz von selbst, daß Sie in dem Irren den Gedanken, sich zu entfernen, nicht aufkommen lassen. Hegt er ihn dennoch, so reden Sie ihm in Güte zu. Gewalt aber dürfen Sie nur im Notfalle anwenden.«
Nach dieser Instruktion entfernte ich mich mit Pena. Wir schritten in der Richtung fort, welche wir bei unserem Kommen eingehalten hatten, und zwar in Eile, um so schnell wie möglich zurückkehren zu können.
Ich war überzeugt, daß der Mbocovi uns die reine Wahrheit gesagt hatte, und hielt es also nicht für nötig, allzu vorsichtig zu sein, wodurch wir Zeit verloren hätten. Wir gingen darum raschen Schrittes und so unbesorgt durch den Wald, als ob das Dorf der Mbocovis sich hundert Meilen entfernt von uns befunden hätte. Nach einer Viertelstunde traten die Bäume weiter auseinander und wir erreichten den Saum des Waldes. Vor uns lag das Dorf und hinter demselben die Laguna, deren Ufer mit hohem Bambus, von welchem sie den Namen hatte, dicht bestanden war. Zu Pferde konnte man es in zehn Minuten erreichen. Auch ein guter Fußgänger brauchte nicht viel mehr als dieselbe Zeit.
Das Dorf lag zwischen uns und der Laguna. Es bildete, wie bereits gesagt, ein Rechteck, dessen eine lange Seite uns zugekehrt war. Wir hätten die Hütten nach sechshundert Schritten erreicht. In der Mitte des offenen Platzes, den die Gebäude umschlossen, stand ein Gebüsch, welches jedenfalls eine Quelle beschattete. Auf dem Platze tummelten sich Kinder herum; vor den Thüren saßen Frauen, mit allerlei Arbeiten beschäftigt; ein Mann war nicht zu sehen. Aber draußen, links vom Dorfe, ging es lebhaft zu. Da sprangen die Männer der zurückgelassenen Besatzung lebhaft hin und her, mit kriegerischen Übungen beschäftigt. Einige warfen Lanzen; andere übten sich im Ringen; die meisten aber waren mit Pfeilen und Bogen beschäftigt.
Rechts vom Dorfe weideten die Herden auf dem offenen Camp, gehütet von einigen Männern und vielen Hunden. Darüber strahlte ein blauer, wolkenloser Himmel, über welchen die Flammenblitze der sich neigenden Sonne fluteten.
»Hm!« brummte Pena. »Mit einem sofortigen Überfalle ist es nichts.«
»Nein. Die Männer haben vergiftete Pfeile bei sich und würden uns gut bedienen. Wir sind ihnen um nur zwanzig, nein, dreißig Mann überlegen; der Angreifer befindet sich da im Nachteile.«
»Aber diese verteufelten Pfeile haben wir nicht bloß jetzt zu befürchten, sondern in jedem Augenblick.«
»Wenn wir offen angreifen, ja.«
»An welche andere Art von Angriff denken Sie denn?«
»Wir müssen List anwenden.«
»List und wieder List! Der Teufel mag sich da genug Pläne ersinnen! Und noch dazu bei jeder anderen Gelegenheit auch einen andern Plan!«
»Eben die Veränderung der Verhältnisse bringt ganz von selbst eine Veränderung des Verhaltens mit sich. Man braucht bloß zuzugreifen.«
»Hat sich sein Zugreifen! Ich kann nachdenken wie ich will, so ersehe ich nur das Eine, daß wir uns auf alle Fälle den Giftpfeilen aussetzen werden müssen.«
»So strengen Sie sich lieber gar nicht an, und überlassen das Plänemachen mir!«
»Nun, Ihnen wird das auch nicht nur so zugeflogen kommen. Oder hätten Sie schon eine Idee?«
»Allerdings. Vor allem müssen wir unsere Gefährten von der Insel holen.«
»Warum das? Können wir nicht warten, bis wir im Besitze des Dorfes sind? Sollen etwa auch sie, die sich nicht im besten Zustande befinden werden, sich den Gefahren des Kampfes aussetzen?«
»Nein; aber es giebt mehrere Gründe, welche mich veranlassen, vor allen Dingen zunächst an sie zu denken. Wir sind doch gekommen, sie zu befreien. Das ist der einzige, wenigstens der Hauptzweck unseres Hierseins. Folglich müssen wir uns bestreben, ihn möglichst schnell zu erreichen. Und dann bringen wir sie durch unsern Angriff auf das Dorf in die größte Gefahr, wenn sie sich noch auf der Insel befinden. Die drei Wärter können leicht auf den Gedanken kommen, die Gefangenen umzubringen, damit diese nicht gegen sie aussagen können.«
»Das ist richtig. Weiter!«
»Ferner kennen die Gefangenen die hiesigen Verhältnisse jedenfalls besser als wir; auf die Aussagen des Irren dürfen wir uns nicht unbedingt verlassen, und so ist es gewiß von großem Vorteile für uns, erst die Gefährten zu befreien und später an den Angriff gegen das Dorf zu denken. Wollen Sie noch mehr Gründe?«
»Ich traue Ihnen zu, daß Sie noch einige vorbringen könnten, aber ich habe genug und muß Ihnen recht geben. Wie aber wollen Sie die Gefangenen von der Insel bringen?«
»Ich habe die Wahl zwischen zwei Wegen. Entweder machen wir erst die Wächter unschädlich, worauf die Bewachten leicht fortgeführt werden können; oder wir holen sie heimlich, ohne daß die Wächter etwas davon merken.«
»Beides ist schwierig. Wenn die Giftwaffen nicht wären!«
»Die sind ungefährlich, wenn wir so rasch und unerwartet über die Roten kommen, daß sie sich derselben gar nicht bedienen können.«
»Aber gerade dieses Über-sie-kommen ist ja das schwerste. Sie haben ein Feuer und sehen also unser Boot kommen. Auch machen sie oft die Runde. Man vermutet sie am Feuer und stößt dann plötzlich auf sie, um eine vergiftete Pfeilspitze in den Leib zu bekommen.«
»Nun, ich will Ihnen keineswegs zureden. Ihr Geist könnte mir später erscheinen und mir vorwerfen, daß ich Sie in einen so giftigen Tod getrieben habe. Ich getraue mir, den Coup ganz allein auszuführen. Nehmen wir uns in acht, so ist es gar nicht möglich, daß einer von uns verwundet wird, eben weil unsere Kugeln weiter fliegen als ihre Pfeile. Wir könnten die Kerle umzingeln und einzeln niederschießen, wie man Krähen von den Bäumen schießt. Aber das will ich nicht. Es soll so wenig wie möglich Blut, vielleicht nicht ein einziger Tropfen, vergossen werden. Morgen früh muß die Geschichte zu Ende sein, damit wir schon am Mittag wieder aufbrechen können.«
»Ich glaube nicht, daß sich die Sache so sehr schnell erzwingen läßt.«
»Und ich bin überzeugt davon. Streiten wir uns jetzt nicht, sondern kehren wir zurück. Wir wissen nun, woran wir sind und daß der Irre uns nicht belogen hat.«
Ich öffnete das Fernrohr und schaute durch dasselbe nach der Lagune. Der dieselbe umgebende Bambusgürtel war so dicht und so hoch, daß ich selbst mit Hilfe des Rohres nichts von der Insel, ja nicht einmal eine glänzende Stelle des Wassers bemerken konnte. Ich mußte mich also heute abend in der Dunkelheit zurechtzufinden suchen, nachdem ich mich vorher bei dem Irren genau erkundigt hatte.
Für jetzt war nichts zu thun, und so traten wir den Rückweg an. Einen so leichten und gefahrlosen Rekognoscierungsgang hatte ich noch nie gehabt. Es war wohl nur ein Zufall gewesen, daß sich auf dieser Seite des Dorfes kein Mensch befunden hatte.
Als wir den alten Desierto mit seinen Tobas erreichten, saß der irre Mbocovi noch immer essend bei ihnen, und ich erfuhr, daß er ohne Aufhören gekaut, aber kein Wort gesprochen hatte. Er nickte mir freundlich, ja fast liebevoll zu, sagte aber nichts, sondern aß weiter.
»Der gute Mann muß wirklich entsetzlichen Hunger gehabt haben,« meinte der Desierto in deutscher Sprache zu mir. »Er ist von seinen Stammesgenossen vernachlässigt worden, und ich habe Lust, für ihn zu sorgen. Seine Aussagen haben uns Vorteil gebracht, und schon darum möchte ich ihm dankbar sein. Mag unser Angriff auf die Mbocovis ausfallen, wie er wolle, ich nehme mich dieses Mannes an. Er mag mit uns ziehen und fortan zu uns gehören.«
»Daran thun Sie sehr recht, und ich habe das auch nicht anders von Ihnen erwartet. Das, was wir von ihm erfahren haben, ist für uns noch wertvoller, als Sie jetzt denken.«
»So? Haben Sie auf Ihrem jetzigen Gange Gutes erfahren?«
Ich teilte ihm mit, was ich beobachtet hatte, und dann wurde Beratung gehalten. Ich blieb bei meinem Plane, vor dem eigentlichen Angriffe unsere Gefährten zu befreien, aber Pena war dagegen, und der Desierto stimmte ihm bei. So standen die Ansichten zweier gegen meine vereinzelte, und ich mußte mich fügen. Ich that dies, aber nur scheinbar, denn ich war fest entschlossen, nun heimlich auf meine eigene Faust zu handeln.
Der Grund, daß die beiden gegen mich waren, bestand darin, daß es uns so leicht geworden war, die Mbocovis, als sie das Dorf der Tobas überfallen wollten, einmal durch List und das andere Mal durch Umzingelung in unsere Hände zu bekommen. Daraufhin meinte der Desierto:
»Genau so können wir es auch jetzt machen, und ich bin überzeugt, daß es uns gelingen wird. Allem Anscheine nach können wir hier bleiben, ohne daß man uns bemerken wird. Wir warten bis nach Mitternacht und schließen dann das Dorf ein. Halten wir uns außerhalb des Bereiches der Giftpfeile, so kann uns nichts geschehen, während unsere Kugeln von allen Seiten bis in das Dorf fliegen werden. Die Feinde sind, wenn sie nicht nacheinander erschossen werden wollen, gezwungen, sich uns zu ergeben.«
»Es kann auch anders kommen,« entgegnete ich. »Unsere Freunde befinden sich in der Gewalt der Mbocovis. Wie nun, wenn diese letzteren uns drohen, die ersteren zu töten, falls wir Ernst machen?«
»Aber auf der Isleta del Circulo befinden sich nur drei von ihnen. Vor denen brauchen die Gefangenen nicht bange zu sein.«
»Diese drei sind bewaffnet, die Gefangenen aber nicht!«
»Sie vergessen zu bedenken, daß die drei uns gegenüber ebenso Gefangene sind; sie können die Insel nicht verlassen und befinden sich also in unserer Gewalt. Wir drohen ihnen, sie mit dem Tode zu bestrafen, falls sie unsern Freunden nur ein Haar krümmen. Da werden sie sich hüten, uns Veranlassung zur Rache zu geben.«
»Was Sie da vorbringen, klingt freilich ganz plausibel; aber es können Verhältnisse oder Zufälle eintreten, an welche wir jetzt gar nicht denken. Können wir etwa die ganze Laguna umzingeln?«
»Nein.«
»Dann liegt eben die Möglichkeit vor, daß, wenn wir Ernst machen, die drei auf der Insel befindlichen Roten die gefangenen Weißen töten und dann die Insel auf einem schnell gezimmerten Floß verlassen.«
»Nun, in diesem Falle genügt ein einziger von uns, die Leute im Auge zu behalten und sie beim Landen mit seinen Kugeln zu empfangen.«
»Was nützt uns das? Kann der Umstand, daß wir sie dann leicht töten können, uns darüber beruhigen, daß sie vorher unsere Gefährten ermordet haben? Warum wollen wir den Erfolg ganz allein von unseren Waffen abhängig machen, wobei unbedingt Blut fließen muß, wenn wir es in der Hand haben, durch List und ohne Blutvergießen unsern Zweck zu erreichen? Man muß menschlich sein. Kann ich in schonender Weise ganz an dasselbe Ziel gelangen wie durch Gewaltthätigkeit, so werde ich mich doch unbedingt für die erstere entscheiden.«
»Und den Schaden davon tragen!« fiel Pena ein. »Ich habe wiederholt gegen Ihre berühmte Humanität geeifert, doch stets umsonst. Und Sie müssen mir zugeben, daß Sie stets, gelinde ausgedrückt, Unannehmlichkeiten davon gehabt haben. Warum sollen immer nur wir menschlich verfahren, während die Roten gegebenen Falles nicht die Schonung hegen würden? Nein! Sie sind überstimmt, und wenigstens dieses Mal will ich auch einen Willen haben. Es kann gar nichts schaden, wenn wir einige Mbocovis wegputzen. Je strenger wir verfahren, desto mehr werden sie sich in Zukunft hüten. Durch Ihre Milde richten Sie nur Schaden an, denn die Roten bleiben dann bei der Meinung, daß sie ungestraft fortfahren können, zu thun, was ihnen beliebt.«
»Das ist ganz richtig!« stimmte der Alte bei. »Wir müssen ihnen eine Lehre geben, die sie nicht so leicht und so bald vergessen werden. Schonung aber verschlimmert nur die Sache.«
»So bin ich also überstimmt und muß mich Ihnen fügen,« sagte ich in gleichgültigem Tone. »Vor allen Dingen ist es da nötig, dafür zu sorgen, daß wir nicht bemerkt werden. Wir müssen daher, wenigstens so lange es Tag ist, einen Posten an den Waldesrand setzen, um sofort benachrichtigt werden zu können, falls jemand sich uns nähern will.«
»Ja, das müssen wir thun,« antwortete der Desierto. »Ich werde zwei von meinen Leuten dazu auswählen.«
»Warum das? Der Posten ist wichtig, und ich denke, es ist am geratensten, daß ich ihn selbst beziehe. Ich nehme den Mbocovi mit. Wir haben das Dorf vor uns liegen, und er kann mir behilflich sein, mich über dasselbe zu orientieren.«
Dagegen war nichts einzuwenden, und so entfernte ich mich mit dem Irren, welcher mir gern folgte und gar nicht daran dachte, sich mir vielleicht durch die Flucht zu entziehen. Als wir den Waldessaum erreichten, setzten wir uns nebeneinander nieder, und ich ließ mir von ihm diejenigen Erklärungen geben, welche ich für nötig hielt. Vor allen Dingen wollte ich erfahren, wo sich das Boot befand; ich hatte ihn nur zu diesem Zwecke mitgenommen. Er zeigte mir den Ort von weitem und beschrieb mir die betreffende Stelle so genau, daß ich überzeugt war, sie selbst in der Dunkelheit nicht verfehlen zu können. Dann legte er sich, vom Essen ermüdet, nieder und begann zu schlafen.
Später kam der Desierto einmal herbei, um sich das Dorf zu betrachten. Das war, als die Sonne sich bereits hinter den Horizont gesenkt hatte und die Schatten des Abends sich über die Gegend legten.
Die Krieger waren in das Dorf zurückgekehrt und in ihren Hütten verschwunden. Der Wilde pflegt früh aufzustehen, und begiebt sich infolgedessen sehr zeitig zur Ruhe. Rechts draußen bei den Herden waren mehrere Feuer angebrannt worden. Die Hirten waren wohl die einzigen, von denen man sich sagen konnte, daß sie wach bleiben würden. Sie hielten aber in solcher Entfernung vom Dorfe, daß von ihnen nichts zu befürchten war.
»Ich glaube, die Roten gehen schon schlafen,« sagte der Desierto. »Wenn sie erwachen, wird es nicht so friedlich wie jetzt um sie aussehen. Ich denke, es ist überflüssig, daß Sie noch länger hier bleiben, denn es kommt nun gewiß kein Mbocovi in den Wald.«
»Das meine ich auch. Lassen Sie uns also gehen. Wir müssen vor Tagesanbruch wach sein, und so will ich mich niederlegen.«
Der Irre wurde geweckt und folgte uns nach dem Lagerplatze, als ob er stets zu uns gehört habe. Die Tobas hatten sich schon zur Ruhe ausgestreckt. Nur zwei von ihnen sollten wachen und zugleich mit auf den Irren achtgeben. Ich wickelte mich in meine Decke und legte mich ein wenig abseits von den andern, was keinem von ihnen auffiel.
Es war schon düster unter den Wipfeln der Bäume, und bald trat die völlige Dunkelheit ein. Alle schliefen, nur ich nicht. Ein Feuer war nicht angebrannt worden; infolge dessen konnte ich nicht beobachtet werden. Die tiefe Stille des Waldes wurde nur zuweilen durch das Schnauben oder Stampfen eines unserer Pferde unterbrochen, welche in der Nähe angebunden waren.
Nach Verlauf von zwei Stunden weckten die beiden Wächter zwei andere, um sich von ihnen ablösen zu lassen. Ich wickelte mich aus der Decke, nahm den Stutzen und schlich mich fort. Es machte keine Schwierigkeit, die beabsichtigte Richtung zu treffen; nur mußte ich im Gehen die Hände vorhalten, um nicht mit dem Gesichte an die Bäume zu rennen. Ich erreichte den Waldesrand an der Stelle, an welcher ich mit dem früheren Zauberer gesessen hatte.
Über dem Dorfe und in demselben herrschte völlige Finsternis. Draußen bei den Herden brannten die Feuer. Wenn der Mond erschien, mußte mein Werk vollendet sein.
Ich wollte an die Laguna und mußte also das Dorf umgehen. Das that ich in einem solchen Bogen, daß ich nicht auf einen etwaigen Wächter treffen konnte; aber gerade dies erschwerte mir das Orientieren. Glücklicherweise hatte ich daran gedacht und mir die am weitesten auswärts liegende Hütte als Marke genommen.
Zwischen dem Dorfe und der Laguna angekommen, schlich ich mich zu dem ersteren zurück und fand die Hütte. Nun wußte ich die Richtung und ging in schnurgerader Linie dem Bambussaume zu, welcher die Laguna umgab. Wenn ich nicht nach rechts oder links abwich, mußte ich einen schmalen Pfad erreichen, welcher durch das Gebüsch nach dem Wasser führte. Ich fand ihn nicht, war also doch abgewichen. Darum mußte ich mich niederlegen und nach beiden Seiten mit den Händen nach dem Wege suchen, was gar keine Schwierigkeiten hatte, da ein hartgetretener Weg leicht von der weicheren Erde zu unterscheiden ist.
Ich fand ihn bald und tastete mich langsam weiter. Nach fünf Minuten ungefähr sah ich das Wasser vor mir blinken. Gerade mir gegenüber glänzte ein heller Schein. Das war das Feuer, welches auf der Insel brannte. Nun hatte ich ungefähr zwanzig Schritte weit nach rechts durch das Gebüsch zu gehen, um zwei dicht am Wasser stehende Bambusgruppen zu erreichen, unter deren Zweigen, im Schilf versteckt, der Kahn zu finden sein sollte.
Auf diesem Wege wurde der Boden Schritt um Schritt weicher und schließlich so sumpfig, daß ich bis an die Kniee einsank; doch machte mich das nicht bange. Größer war die Gefahr, welche mir seitens der Krokodile drohte. Befand sich so ein Tier am Ufer, so konnte es leicht um mich geschehen sein. Ich verließ mich dabei auf den Geruchssinn, dem die moschusartige Ausdünstung gewiß auffallen mußte.
Endlich hatte ich die beiden Gruppen und stocherte mit dem Gewehrlaufe im Schilf herum, bis ich die Spitze des Bootes fühlte. Es war mit einem Baststricke an das Ufer befestigt. Das Einsteigen ging nur unter Anwendung der größten Vorsicht von statten. Dann untersuchte ich das Boot. Es war groß genug, um sieben oder acht Mann zu fassen, und aus Baumrinde gebaut, also sehr leicht zu regieren. Zwei lange Riemen lagen auf dem Boden. Wegen des Schilfes mußten sie diese Länge haben, damit man sich in das freie Wasser staken konnte. Ich band das Fahrzeug los, setzte mich nieder und stieß mich durch das Schilf, bis ich mich im klaren Wasser befand.
Das Feuer diente mir als Wegweiser; die Insel selbst konnte ich noch nicht erkennen. Ich wußte, daß sie klein und fast kreisrund sei, daher ihr Name, und mußte mich nach der dem Feuer entgegengesetzten Seite halten.
Jetzt konnte ich die Ruder kräftig in Bewegung setzen, hütete mich aber, mit denselben zu plätschern oder laut in das Wasser zu schlagen. Da ich rückwärts saß, so sah ich bald, daß ich einige Begleiter bekam. Mehrere Krokodile fuhren hinter mir her; ihre Köpfe tauchten auch einigemale mir zur Seite auf, doch wagten die Tiere es glücklicherweise nicht, das Boot anzugreifen.
je näher ich der Insel kam, desto vorsichtiger mußte ich sein. Es war ja möglich, daß die drei Wächter sich auf der Runde um die Insel befanden und mich kommen sahen. Als ich mich nun der dunkeln Seite des Eilandes gegenüber befand, wendete ich und ruderte, indem ich die Riemen von mir abstieß. Auf diese Weise saß ich nun mit dem Gesichte der Insel zugekehrt und durfte hoffen, die Nähe einer Gefahr leichter bemerken zu können.
Nun ging es leise dem Ufer zu. Einige Ellen von demselben entfernt, hielt ich an, um zu lauschen und auch die Augen scharf auf dasselbe zu richten. Es war nichts zu hören und zu sehen; darum landete ich. Das Wasser war hier so tief, daß ich mit dem eingesenkten Ruder den Boden nicht erreichte. Der Bambus, welcher auch auf der Insel stand, war nicht dicht; er ließ kahle Stellen zwischen sich, und so war das Landen leicht. Ich legte an, band das Boot fest und stieg aus, hütete mich aber, mich dabei voll aufzurichten. Ich blieb vielmehr noch eine Minute lang in gebückter Stellung halten, um abermals zu lauschen. Erst als ich nichts Verdächtiges zu entdecken vermochte, ging ich vorwärts, aber nicht aufrecht, sondern tief gebückt.
Als ich ungefähr acht oder neun kleine Schritte gethan hatte, raschelte es hinter mir. Ich fuhr schnell herum und sah einen großen, dunklen Körper, welcher sich auf mich warf. Der Anprall war so kräftig, daß ich niederstürzte. Zwei Hände krallten sich mir um den Hals. Ich war auf den Rücken zu liegen gekommen und fühlte ein Knie, welches sich gegen meine Brust stemmte.
Der Kerl, welcher mich da überrumpelt hatte, besaß eine ungewöhnliche Körperkraft. Er drückte mir die Gurgel so zusammen, daß ich keinen Laut ausstoßen konnte; in einigen Sekunden mußte es um meine Besinnung, vielleicht gar um mein Leben geschehen sein. Ich schlug also mit Aufwendung aller Kraft meine Fäuste von unten herauf gegen seine Unterarme; seine Finger glitten für einen Augenblick von meinem Halse; das genügte, ihn nun meinerseits bei der Kehle zu packen. Jetzt hatte ich Luft zum Atmen. Er umschlang mich mit den Armen und drückte mich an sich, daß ich glaubte, er werde mir die Rippen zerbrechen; darum nahm ich alle Kraft zu einem letzten Drucke zusammen; ich fühlte förmlich, daß sein Hals unter meinen Händen nachgab; seine um mich geschlungenen Arme lockerten sich; er ließ los, streckte das noch auf mir liegende Knie und rollte schwer zur Seite.
jetzt ließ ich seinen Hals los, um mich durch den Tastsinn zu informieren, mit wem ich es zu thun gehabt hatte. Es konnte ein Roter sein. Aber der Mann hatte eine kerngesunde Lunge. Kaum war sein Hals frei, so holte er tief und schnaubend Atem und griff wieder nach mir. Bis jetzt war kein Wort gefallen. Es lag im beiderseitigen Interesse, den Kampf so still wie möglich zu Ende zu führen. Nun aber hatte ihn das Bewußtsein, fast überwunden worden zu sein, so ergrimmt, daß er das Schweigen brach und, mich bei der Brust packend, mir heiser zuraunte:
»Hund, roter! Das gelingt dir nicht wieder. Dich habe ich, und dein Boot bekomme ich auch!«
Er wollte mich niederdrücken. Zu meiner frohen Überraschung hatte er deutsch gesprochen, und ich wußte nun, wen ich vor mir hatte. Nur die Plötzlichkeit des Überfalles konnte mich darüber im Unklaren gelassen haben. Überdies hatte ich bis jetzt weder Luft noch Zeit gefunden, mich hören zu lassen. Nun aber hielt ich seine Arme fest, daß er mir nicht wieder nach dem Halse greifen konnte, und antwortete mit gedämpfter Stimme:
»Sind Sie des Teufels, Steuermann? Sie überfallen und würgen den, der Sie retten will!«
Er ließ mich los, schwieg eine Weile und sagte dann, indem ich seine Brust keuchen hörte:
»Himmel! Ist's möglich! Sie sind es, Sie? Ich habe Sie für einen Roten gehalten!«
»Unsinn! Es war ja ganz unmöglich, zu denken, daß ich ein Indianer sei! Wäre ein Roter so heimlich gekommen und hier an dieser Stelle gelandet? Hätte er nicht vielmehr drüben beim Feuer angelegt?«
»Hm! Das ist richtig!«
»Sie haben mich doch aussteigen sehen?«
»Ja. Ich stand ganz zufällig am Ufer und sah Sie kommen. Da steckte ich mich hinter den Bambus, ließ Sie an mir vorüber und fiel dann über Sie her.«
»Nun, es ist mir und Ihnen noch gut ergangen. Aber, vor allen Dingen, wo befinden sich die drei Wächter?«
»Am Feuer.«
»So sind wir also hier sicher?«
»Ja.«
»Nun, so stehen Sie doch auf!«
Wir saßen nämlich miteinander auf der Erde. Infolge der Überraschung hatte weder er noch ich an das Aufstehen gedacht.
»Ja, stehen wir auf,« meinte er, indem er sich mit mir erhob. »Mir ist's ganz dumm im Kopfe, teils noch von Ihren Fingern, teils vor Erstaunen, Sie hier zu treffen. Mensch, Mann, Herr, wie kommen Sie nach hier, nach dieser Insel! So hat der Bruder also doch recht gehabt, daß Sie kommen würden, unbedingt kommen würden, selbst wenn die Mbocovis noch so klug gewesen wären und jede Spur hinter sich vertilgt hätten. Wir andern verneinten das, denn wir wußten ja nicht, ob Sie überhaupt noch lebten. Wir wurden von Tag zu Tag stiller und kleinlauter. Nur der Bruder blieb fest und wollte jede Wette eingehen, daß Sie uns holen würden.«
»Das freut mich von ihm. Wo liegen sie?«
»Gar nicht weit von hier. Kommen Sie, kommen Sie schnell! Wie entzückt werden sie alle sein, wenn ich Sie bringe! Sie sind bewaffnet; nun ist uns geholfen.«
»Ja, die drei Roten sind nun nicht mehr zu fürchten.«
»Sie wissen, daß es drei sind?«
»Ich weiß mehr, weiß alles. Führen Sie mich nur schnell, denn wir dürfen keine Zeit versäumen.«
Die Freude, welche mein Erscheinen hervorbrachte, ist unmöglich zu beschreiben. Ich hatte nur immerfort zu warnen, nicht laut zu werden und die Aufmerksamkeit der Wächter zu erregen. Man umringte mich; man umarmte und küßte mich sogar. Freudenthränen flossen, und die Hände wurden mir so gedrückt, daß ich bitten mußte, daran zu denken, daß auch ich ein fühlendes Wesen sei.
Man bestürmte mich mit Fragen; man wollte alles wissen, alles erfahren, und mir in der Geschwindigkeit alles erzählen. Ich aber bat sie, sich für einstweilen zu beruhigen und damit zufrieden zu sein, daß die Stunde der Erlösung geschlagen habe. Das Boot reichte aus, die Hälfte von ihnen aufzunehmen; darum mußte bestimmt werden, wer zur ersten und wer zur zweiten Abteilung gehören solle.
»Nun Sie da sind,« sagte Monteso, »habe ich um unsere Rettung keine Sorge mehr. Ich erkläre mich also freiwillig bereit, mit meinen Yerbateros zu warten, bis das Boot zurückkehrt. Die andern mögen voran fahren. Nur bitte ich Sie, mir irgend eine Waffe hier zu lassen, falls die drei Roten es indessen bemerken sollten, daß einige von uns fehlen. Es könnte in diesem Falle zum Kampfe kommen.«
»Gut!« stimmte ich bei. »Bleiben Sie hier. Ich gebe Ihnen mein Messer und die beiden Revolver; das wird genügen. Beim Landen drüben am Ufer müssen wir uns sehr in acht nehmen. Das Terrain ist sumpfig, und es können Krokodile in der Nähe sein. Ich bin von welchen bis zur Insel verfolgt worden.«
»Diese unglückselige Laguna wimmelt von ihnen,« sagte der Bruder. »Gäbe es keine Krokodile hier, so wären wir längst frei. Diese Tiere aber und die vergifteten Pfeile der Roten haben uns natürlich in Schach gehalten. Was das Landen betrifft, so fahren wir nicht nach der Stelle, an welcher Sie das Boot gefunden haben. Ich weiß eine andere, welche frei von Gebüsch und vollständig trocken ist. Ich werde Sie auf die Richtung aufmerksam machen. Man kann sie am Tage von hier aus sehen.«
jetzt wurde aufgebrochen. Ich hätte auf der Insel zurückbleiben können, wollte aber mit bei der Landung sein. Als das Boot voll war, ergriff der Steuermann, als der kräftigste, das Ruder, und das Fahrzeug flog trotz seiner Last mit einer Schnelligkeit über das Wasser, welche mehrfach größer war wie diejenige, mit welcher ich vorhin gerudert hatte.
Der Bruder gab die Richtung an, und bald erreichten wir das Ufer. Wie atmeten die Leute auf, als sie es betraten und nun ihrer Freiheit gewiß sein konnten! Ich bat sie, sich möglichst ruhig zu verhalten und auf die Yerbateros zu warten, und kehrte nach der Insel zurück, wo ich an derselben Stelle anlegte.
Die Yerbateros standen dort, zum Einsteigen bereit. Die Hälfte von ihnen befand sich schon im Boote, als mein Blick auf das Feuer fiel und ich bemerkte, daß einer der Roten aufstand und sich von demselben entfernte.
»Er macht die Runde,« erklärte mir Monteso, den ich auf den Mann aufmerksam machte. »Wollen eilen, damit wir fort sind, wenn er kommt!«
»Hm! Ich denke, wir bleiben doch lieber noch da.«
»Sind Sie des Teufels! Er hält uns mit seinen Pfeilen in Schach. Wir müssen ihm gehorchen.«
»Pah! Auch ich habe allen Respekt vor diesem Gifte; aber vielleicht sind Sie doch ein wenig zu sehr in Angst gewesen. Ich habe Lust, den Mann mitzunehmen.«
»Das werden Sie bleiben lassen!«
»Wollen sehen. Ich kann ihn sehr gut als Parlamentär brauchen. Warten Sie hier. Legen Sie sich auf die Erde, damit er Sie nicht stehen sieht.«
»Sie wollen fort? Wohin?«
Er ergriff meinen Arm, um mich festzuhalten.
»Ihm entgegen. Sie müssen wissen, daß es unbedingt notwendig ist, den Mann unschädlich zu machen. Jedenfalls ist zwischen der Insel und dem Dorfe irgend ein Zeichen verabredet worden. Bemerkt er Ihre Flucht, so giebt er dieses Signal, und wir werden sofort verfolgt. Ein lauter Ruf dringt von hier aus bis in das Dorf, und die Bewohner desselben erwachen und eilen an das Ufer, ehe wir dasselbe erreicht haben. Warten Sie hier! Sie dürfen auf keinen Fall eher fort, als bis ich wieder da bin.«
Ich riß mich los und schlich mich fort. Das Inselchen schien einen Durchmesser von nicht viel über zweihundert Schritte zu haben. Nur das Ufer war mit Bambus bestanden; im Innern wuchsen Gras und zahlreiche wilde Kürbisse, wie ich später hörte. Der Rote war nicht mehr zu sehen. Er kam vom Feuer her nicht direkt auf die Stelle zu, an welcher die Weißen gelagert hatten, sondern er ging rund im Kreise. Da er sich infolgedessen nicht mehr zwischen mir und dem Feuer befand, so konnte ich ihn nicht sehen.
Ich legte mich also auf die Erde nieder und kroch ihm auf Händen und Füßen entgegen, mich immer so hart an das Dickicht haltend, daß er gegen das Feuer an mir vorüber mußte.
Nach kurzer Zeit schon hörte ich ihn kommen. Er gab sich keine Mühe, seine Schritte zu dämpfen. Ich hatte den Lagerplatz passiert, und er schritt auf denselben zu, jedenfalls in der sichern Überzeugung, die Gefangenen dort schlafend zu treffen.
jetzt ging er an mir vorüber, höchstens sechs Schritte entfernt. Ich bekam ihn nur einen kurzen Augenblick zwischen mich und das Feuer, aber das genügte mir, seine Bewaffnung zu sehen. Er hatte keinen Bogen zum schießen, hielt aber in jeder Hand einen Pfeil, zum sofortigen Stich bereit.
Ich durfte ihn nicht bis an den verlassenen Lagerplatz kommen lassen; darum richtete ich mich schnell auf, vier, fünf leise Schritte hinter ihm her – ein Hieb mit dem Gewehrkolben, und er stürzte nieder. Ich trat zuerst zurück, um ihn zu beobachten. Er lag ausgestreckt und regte sich nicht. Nun wagte ich es, mich ihm zu nähern. Die Pfeile waren seinen Händen entsunken; er selbst war entweder tot oder ohnmächtig. Ich hob ihn auf und trug ihn nach dem Ufer.
»Hier ist der Mann, Sennor Monteso,« sagte ich dem Yerbatero. »Reißen Sie sein Gewand in Streifen, um ihn zu binden, und sorgen Sie dafür, daß er, wenn er erwacht, nicht rufen kann! Ich muß zu den beiden andern.«
»Bleiben Sie! Sie gehen dem sichern Tod entgegen! Es sind nun zwei!«
»Mögen sie es sein! Ich muß auch sie still machen. Wenn er nicht zurückkehrt, suchen sie nach ihm, finden weder ihn noch die Gefangenen und machen Alarm. Wenn das Dorf davon erwacht, kann uns der Überfall desselben nicht gelingen.«
»Überfall? So sind Sie nicht allein hier?«
»Nein. Haben Sie das gedacht?«
»Ja, weil Sie keinen Menschen sonst erwähnten. Ich glaubte, Sie seien in Ihrer Weise unserer Fährte ganz allein gefolgt und wollen uns nun heimlich von hier fortschaffen.«
»O nein. Sie werden die Laguna de Bambu sehr öffentlich verlassen. Also warten Sie noch ein Weilchen!«
Ich entfernte mich, obgleich er mir noch zureden und mich warnen wollte. Eine kurze Strecke ging ich aufrecht; dann legte ich mich lang nieder und kroch in einem Bogen auf das Feuer zu. Es brannte nahe am Ufer. Zwischen ihm und dem Wasser standen einige Bambusse, hinter welche zu kommen ich trachten mußte. Ich erreichte diese Absicht zwar glücklich, aber sehr langsam.
Nun lag ich zehn Schritte von dem Feuer entfernt, hinter mir das Wasser. Der eine Rote kehrte mir den Rücken zu, der andere das Gesicht. Bogen und Köcher lagen ihnen zu Händen; sie waren damit beschäftigt, aus hohlen Bambusgliedern kleine Gefäße zu schneiden.
Das machte meine Aufgabe schwieriger, als ich sie mir gedacht hatte. Ich konnte die zehn Schritte nicht thun, ohne von dem einen Mbocovi gesehen zu werden. Fand er auch keine Zeit, den Bogen zu spannen, so konnte er doch mit einem Pfeile nach mir stechen. Töten wollte ich sie nicht. Die zwei Schüsse hätten übrigens das Dorf aus dem Schlafe geweckt. Was war da zu thun? Wenn ich die kurze Entfernung recht schnell durchsprang, so vergaßen sie vielleicht vor Schrecken, nach den Pfeilen zu greifen. Ich nahm also den Lauf des Stutzens in die rechte Hand und war schon bereit, mich aufzurichten, als mir ein Zufall zu Hilfe kam, welcher in anderem Falle für uns gefährlich, anstatt vorteilhaft gewesen wäre.
Es erschallte nämlich vom Boote her ein zwar unterdrückter, aber doch immerhin am Feuer wahrnehmbarer Angstruf. Die beiden Mbocovis griffen augenblicklich zu den Waffen und sprangen auf. Nur vier, fünf Sekunden lang standen sie lauschend, die Gesichter nach der Gegend gekehrt, aus welcher der Ruf gekommen war, die Rücken also mir jetzt zugewendet. Da sprang ich vor; ein Kolbenschlag, und der eine stürzte zu Boden; der andere hörte den Hieb und drehte sich herum; das Entsetzen machte ihn starr; mit weit aufgerissenen Augen mich anstaunend, empfing er den Hieb, der auch ihn niederstreckte.
jetzt war das erste, die Giftpfeile in Sicherheit zu bringen; erst dann dachte ich an das nächste und rief die Yerbateros herbei, doch nicht so laut, daß man es auch im Dorfe hätte hören können. Monteso kam mit seinen Leuten herbei, einen ausgenommen, welcher bei dem ersten Mbocovi zurückgeblieben war.
»Ist's möglich?« fragte er, als er die Roten liegen sah. »Sennor, was soll ich da denken!«
»Daß Sie alle recht verzagt gewesen sind. Fast zwanzig Weiße stecken da gefangen und fürchten sich vor drei roten Männern! Ist so etwas schon einmal da gewesen? Wer schrie denn bei Ihnen?«
»Der Indianer, als er erwachte.«
»Hatten Sie ihm nichts in den Mund gesteckt?«
»Eben wollten wir es thun. Hat es vielleicht geschadet?«
»Nein, sondern genützt. Sorgen Sie aber dafür, daß nicht auch diese beiden schreien, wenn sie je erwachen, falls sie nicht tot sind. Wir müssen sie mitnehmen. Leider faßt das Boot nun nicht alle; ich werde also noch einmal kommen müssen. Binden Sie die Männer und tragen Sie sie nach dem Boote!«
Das geschah in kürzester Zeit; dann wurden die drei Roten in das Fahrzeug gelegt, und ich und Monteso stiegen ein. Die Yerbateros mußten noch warten. Drüben am Ufer waren die übrigen indessen in großer Sorge gewesen, da ich so lange fortgeblieben war. Als wir ihnen die Mbocovis brachten, begriffen sie, daß ich nicht eher hatte zurückkehren können. Ich holte noch die Yerbateros herüber, und dann brachen wir nach dem Walde auf. Die Roten mußten natürlich getragen werden.
In tiefster Stille ging es um das Dorf herum und dann dem Walde zu, an dessen Rande ich anhalten ließ. Obgleich die Insel nicht weit von demselben lag, hatte ich doch über drei Stunden gebraucht, um meinen heimlichen Vorsatz auszuführen.
Bis jetzt war keine Zeit zu Erklärungen gewesen. Nun aber befanden wir uns in verhältnismäßiger Sicherheit, so daß wir weder nötig hatten, außerordentlich vorsichtig zu sein, noch uns zu beeilen. Ja, von Eile konnte gar keine Rede sein, da es nicht in meiner Absicht lag, die Befreiten und die drei Gefangenen durch den finstern Wald nach dem Lager zu führen.
Sie hatten sich niedergesetzt und warteten mit größter Spannung auf das, was ich nun erzählen werde.
»Es sind drei Personen mehr als früher,« sagte ich. »Ich vermute also, daß sich Sennor Pardunna und sein Sohn aus Goya mit hier befinden?«
»Ja, wir sind da,« antwortete der Vater, »und bitten Sie, uns zu sagen, wie und womit wir Ihnen danken können. Aber wie können Sie unsere Namen wissen und daß wir uns hier befunden haben?«
»Davon später. Es ist ein dritter fremder Sennor da. Heißt er vielleicht Adolfo Horno?«
»Ja, das ist mein Name,« antwortete der Genannte.
»So habe ich Ihnen eine wichtige Botschaft zu überbringen.«
»Welche, Sennor?«
»Sie sollen möglichst schnell kommen; das soll ich Ihnen sagen. Daß sie Sie aber sehr lieb hat und mit Sehnsucht auf Sie wartet, das soll ich Ihnen nicht sagen.«
»Wer – – sie?«
»Unica.«
»Uni – – – !«
Das Wort brach ihm auf der Zunge entzwei. Er sprang auf, ergriff meinen Arm und fragte fast atemlos:
»Unica? Sie kommen von ihr? Sie kennen sie?«
»Ich kenne sie so gut, daß sie mit mir nach Deutschland reisen will.«
»Sennor – ah, welch eine Überraschung! Wir haben viel von Ihnen gesprochen, denn Ihre Gefährten erwarteten ihre Rettung nur von Ihnen allein. Wir glaubten Sie zwischen hier und dem Nuestro Sennor-Jesu Cristo, und anstatt dessen sind Sie bei Unica gewesen!«
»Und beim Desierto. Er ist mit seinen Tobas hier, um Sie zu befreien.«
»Er ist hier? Wo? wo? Führen Sie mich zu ihm! Schnell, schnell!«
»Nur Geduld, mein Lieber! Das Führen durch den Wald hat seine Schwierigkeiten, wenn es Nacht und rabenfinster ist. Wir beabsichtigen, das Dorf zu umzingeln. Mitternacht ist schon vorüber, und so will ich lieber die Tobas holen, als Sie zu ihnen führen. Ich gehe. Erschrecken Sie also nicht, wenn plötzlich Männer hier unter den Bäumen erscheinen! Und sorgen Sie dafür, daß die drei Gefangenen nicht trotz ihrer Knebel laut werden!«
Ich suchte und fand den Weg nach dem Lagerplatze, in gerader Linie von Baum zu Baum mich forttastend. Es ist das weit schwieriger, als man vielleicht meinen mag. Ich war doch ein wenig nach der Seite abgekommen und wäre vorübergegangen, wenn nicht das Schnauben eines Pferdes mich auf die Irrung aufmerksam gemacht hätte.
Ich tastete mich von Schläfer zu Schläfer, bis ich den Baum erreichte, unter welchem ich gelegen hatte. Nun that ich, als ob ich erwache. Einer der beiden Wächter verstand leidlich spanisch. Ich sagte ihm, daß es wohl Zeit zum Aufbruche sei und er deshalb den Desierto wecken möge. Nach kurzer Zeit waren alle munter. Wir durften nicht warten, bis das Tageslicht den Wald durchdrang, denn dann wäre es zu spät gewesen; also waren wir gezwungen, den der Pferde wegen so schwierigen Weg nach dem freien Camp zurückzulegen. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn die Bäume nicht so weit auseinander gestanden hätten. Da wir Reservepferde mithatten, so gab es Leute, welche zwei Pferde am Zügel führen mußten. Ich ging mit dem Desierto voran; die uns folgenden blieben durch leise Zurufe, welche von einem zum andern gingen, in Fühlung und Verbindung.
So ging es langsam, sehr langsam weiter, bis wir uns dem Rande des Waldes näherten. Der schmale Mond hatte vorher tief hinter demselben gestanden, war aber indessen so hoch gestiegen, daß er sein Licht auf den Camp und selbst auch ein wenig zwischen die ersten Bäume senden konnte. Da blieb der alte Desierto stehen, deutete vorwärts und sagte leise:
»Halten Sie! Da draußen sitzen Leute!«
»Wie? wo?« fragte ich. »Ah, wirklich! Wer mag das sein?«
»Es sind keine Roten. Der Kleidung nach sind es Weiße. Wir müssen sie belauschen.«
»Ganz gewiß! Befehlen Sie Ihren Leuten leise, zu halten. Sie, Pena und ich wollen uns dann anschleichen.«
Er gab seinen Befehl, welcher von Mund zu Mund ging; dann krochen wir drei vorwärts bis hinter die vordersten Bäume, in deren Nähe die Befreiten saßen. Sie waren so weit vom Dorfe entfernt, daß sie nicht leise, sondern halblaut sprachen, und so konnten wir ihre Worte ganz leidlich verstehen. Soeben meinte der Bruder:
»Er wird wohl gewußt haben, warum er uns nicht direkt folgte, sondern erst zu dem Desierto ging. Wir haben dadurch freilich länger schmachten müssen, aber er ist gewiß überzeugt gewesen, unsere Rettung dann sicherer bewerkstelligen zu können.«
»Ich habe nicht mehr daran geglaubt, sondern gab auch ihn verloren,« bemerkte der Yerbatero. »Dieser Deutsche aber ist wie die Katze, welche stets auf die Beine zu stehen kommt. Wir sind von ihm gerettet, aber auch ganz entsetzlich blamiert worden. Kaum betritt er die Insel, so schlägt er die Roten nieder, und wir, die wir so zahlreich und so lange da waren, haben uns gefürchtet, eine Hand gegen sie zu heben.«
»Ja, er wagte sein Leben, während wir um das unsere höchst besorgt waren. Ich wette, daß sich am Abende des heutigen Tages unsere Lage vollständig verkehrt hat, daß die Mbocovis unsere Gefangenen sind, anstatt wir die ihrigen.«
»Das ist sicher!« stimmte Horn bei. »Wenn der Desierto mit hier ist, so hat er gewiß genug Tobakrieger bei sich, um die wenigen Mbocovis zu bezwingen.«
»Ich bin neugierig, ihn kennen zu lernen.«
»Das glaube ich. Er ist nicht nur ein höchst interessanter, sondern sogar ein für die hiesigen Verhältnisse außerordentlicher Mann, und ich – – –«
Er kam nicht weiter, denn der Desierto hatte ihn an der Stimme erkannt. Er sprang hinter seinem Baume hervor, hinaus und rief:
»Horn, Sennor Adolf! Sie sind es? Mein Himmel, wie kommen Sie hierher? Wer hat Sie denn – – –«
Seine weiteren Worte konnte man nicht deutlich hören, denn rechts von ihm war auch Pena aus seinem Verstecke getreten und rief ebenso erstaunt:
»Der Bruder und der Yerbatero! Welch eine Überraschung! Wir wollen Sie befreien, und Sie sind schon frei! Da ist es nichts mit dem Ruhme, den wir dadurch verdienen wollten.«
»Nicht so laut, Sennores!« mußte ich warnen. »Dämpfen Sie Ihre Stimmen, denn wenn Sie so schreien, so hört man es im Dorfe.«
jetzt gab es nun freilich ein Durcheinander von Fragen und Antworten. Und nun erst die Betroffenheit Penas und des Desierto, als beide erfuhren, daß ich, während sie schliefen, abwesend gewesen war und meinen Vorsatz ausgeführt hatte. Da der Streich so gut gelungen war, durften sie mich nicht tadeln. Sie mußten sogar gestehen, daß die drei gefangenen Wächter uns von großem Nutzen sein würden.
Nun wurde erzählt, in aller Eile. Über das, was unsere Freunde erlebt hatten, ist nicht viel zu sagen. Sie waren gebunden hierher geschafft und auf der Insel interniert worden. Sie hatten gesehen, daß ihre Waffen nach der Casa de nuestro Sennor geschafft worden waren, wodurch es sich bestätigte, daß dieses Haus nicht nur als Wohnung des Sendador, sondern auch als Aufbewahrungsort für die geraubten Gegenstände diente. Speise und Trank hatten sie nicht erhalten. Die wilden Kürbisse und junge Bambusschößlinge waren ihre einzige Nahrung gewesen, wozu sie das verpestete Wasser der Laguna hatten trinken müssen.
Im übrigen hatten sie nicht zu klagen gehabt, besonders da man ihnen die Kleidung nicht genommen hatte. Dennoch erschraken wir später, als es heller geworden war, über ihr Aussehen. Sie alle ohne Ausnahme glichen Leuten, welche lange Zeit krank gewesen sind. Über den Sendador gab es nur Eine Stimme. Er sollte bestraft und demnach verfolgt werden, selbst wenn er sich in den entferntesten Winkel der Anden verkriechen sollte.
Indessen verging die Zeit, das Licht des Mondes wurde bleicher und bleicher, und wir mußten daran denken, an das Werk zu gehen. Wir mußten auch den Hirten einige Aufmerksamkeit schenken. Es waren ihrer sechs, wie ich durch das Fernrohr gezählt hatte. Also genügten sechs von unsern Reitern, sie festzuhalten.
Übrigens waren unsere Streitkräfte zahlreicher geworden, denn die Befreiten hegten ganz natürlich das Verlangen, sich an der Ausführung unseres Planes zu beteiligen. Wir gaben ihnen, soweit möglich, von unsern Waffen ab, und da wir Pferde für sie mitgebracht hatten, so besaßen sie nun alles, was sie brauchten, um sich uns anzuschließen. Gerade der Umstand, daß wir uns im Besitze von Pferden befanden, war von größtem Vorteile für uns. Die Mbocovis hatten keine, und infolgedessen waren wir ihnen weit überlegen. Wir besaßen eine größere Beweglichkeit, und es war vorauszusehen, daß uns kein einziger von ihnen entkommen werde.
Wir stiegen in den Sattel, um das Dorf zu umstellen. Zwei von den Tobas blieben zurück, um die Reservepferde und die drei gefangenen Roten zu bewachen; auch der Irre wurde ihnen anvertraut. Sechs Tobas erhielten den Auftrag, die Herden und die bei denselben befindlichen Hirten zu umkreisen, damit keiner der letzteren ausbrechen und uns entfliehen könne.
Als wir den Kreis um das Dorf gebildet hatten, war die Entfernung zwischen unsern Gliedern eine solche, daß die Zwischenräume mit den Kugeln leicht und erfolgreich bestrichen werden konnten. Unsere Geschosse reichten bis in die Mitte des Dorfes, während die Pfeile der Mbocovis uns unmöglich treffen konnten.
Es war mittlerweile hell genug geworden. Um möglichst bald zu Ende zu kommen, wollte ich die Bewohner des Dorfes durch einen Schuß wecken, hatte das aber nicht nötig, denn eben als ich losdrücken wollte, erschallte von den Herden her ein lauter, schriller und langgezogener Schrei. Die Hirten hatten uns gesehen und gaben das Alarmzeichen.
Kaum war dies geschehen, so wurde es im Dorfe lebendig. Die Roten kamen aus ihren Hütten; sie bemerkten, daß sie umstellt waren. Die Weiber und Kinder heulten; die Männer holten ihre Waffen herbei.
Wir hörten eine laute, gebieterische Stimme, wohl diejenige des Mbocovi, welcher das Amt des Kommandanten bekleidete. Das Geheul verstummte; es trat tiefe Ruhe ein, und wir sahen einzelne Gestalten zwischen den Hütten erscheinen; sie hatten den Auftrag, zu untersuchen, wer und wie stark wir seien. Bald verschwanden sie wieder, um Bericht zu erstatten. Man schien zu beraten; dann bemerkten wir, daß die Mbocovis sich zerstreuten. Sie hatten den Befehl erhalten, von allen Seiten aus dem Dorfe hervorzubrechen und uns anzugreifen. Das geschah aber nicht etwa in offener und stürmischer Weise, sondern sehr langsam und vorsichtig; sie lagen auf der Erde und kamen uns entgegen gekrochen.
»Lassen wir sie nicht zu weit heran, sonst erreichen uns ihre Pfeile!« warnte der alte Desierto, welcher neben mir hielt.
Ich brauchte ihm nicht zu antworten, denn unsere Tobas waren ganz derselben Ansicht gewesen und begannen zu feuern. Ihre Schüsse krachten rundum, und zwar nicht vergeblich. Was auf der andern Seite unsers Kreises geschah, konnten wir nicht sehen; aber diesseits flogen uns die Pfeile entgegen, ohne uns jedoch zu erreichen; dann sprangen die Mbocovis auf und flohen in das Dorf zurück, wobei sie mehrere Verwundete mit sich nahmen.
»Jetzt wissen sie, woran sie sind,« meinte der Alte. »Was nun? Das Dorf zu stürmen, kann uns nicht einfallen. Schicken wir ihnen einen der gefangenen Wächter als Parlamentär?«
»Warten wir noch ein wenig. Vielleicht senden sie selbst uns einen Boten.«
Meine Vermutung bestätigte sich, denn bald erschien ein Roter, welcher eine Bambusstange in der Hand hielt, woran ein Stück weißen Zeuges flatterte. Hinter ihm kamen andere Rote. Er blieb auf halbem Wege stehen, um zu erfahren, ob wir ihn als Unterhändler betrachten und also schonen würden. Wir winkten ihm, und darauf kam er mit seinen Begleitern vollends herbei. Er trug keinerlei Waffe bei sich und schien kein feiger Mensch zu sein, denn er trat hochaufgerichtet auf uns zu und musterte uns mit Blicken, in denen nichts von Furcht zu lesen war. Unweit von uns hielt der Steuermann. Er rief uns in deutscher Sprache zu.-
»Seien Sie nicht allzu höflich mit diesem Kerl! Er gehört zu denen, welche uns hierher transportiert haben, und schien gar nicht damit einverstanden zu sein, daß wir geschont werden sollten. Übrigens spricht er ein leidliches Spanisch.«
Der Rote blickte den Sprechenden an und erschrak. Er erkannte ihn und war betroffen darüber, den Mann, den er als Gefangenen auf der Insel wähnte, hier bei uns zu sehen. Sein nun folgendes Verhalten bewies, daß er glaubte, nur dieser eine sei entkommen; die andern sah er nicht, da sie zu weit von uns hielten. Er hatte seinen Schrecken schnell überwunden und fragte in unhöflichem Tone den Desierto:
»Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, uns zu überfallen? Wir leben mit allen weißen und roten Männern in Frieden.«
»Das ist nicht wahr,« antwortete der Alte. »Ihr seid Feinde des viejo Desierto.«
»Den kenne ich nicht. Er wohnt weit von hier bei den Tobas, deren Freunde wir sind.«
»Und doch ziehen eure Krieger gegen sie, um sie zu überfallen. Du sagst, ihr lebtet mit den Weißen in Frieden. Und doch nehmt ihr sie gefangen und schleppt sie hierher?«
»Weil sie uns angegriffen haben. Dieser eine von ihnen, welcher dort auf dem Pferde sitzt, muß heute nacht entwichen sein, und die andern werden wir auch frei geben, sobald sie ihr Lösegeld bezahlt haben.«
»Entstelle die Thatsachen nicht. Die Weißen haben nicht euch, sondern ihr habt sie angegriffen.«
»So war der Sendador schuld daran, und das geht uns nichts an. Macht es mit ihm ab; uns aber laßt in Ruhe!«
»Wir werden thun, was uns beliebt, aber nicht, was euch gefällt. Wo befinden sich die Krieger dieses Dorfes?«
»Auf der Jagd.«
»Und wann kehren sie zurück?«
»Schon heute. Nehmt euch also in acht! Wenn sie kommen, so seid ihr verloren, denn ihr habt uns überfallen und mehrere von uns verwundet!«
»Wir fürchten uns nicht vor ihnen und lassen uns von dir nicht einschüchtern. Eure Krieger sind nicht auf der Jagd und werden heute nicht zurückkehren. Vielleicht bekommt ihr sie nie wieder zu sehen. Sie sind von mir besiegt worden.«
»Wer sind Sie denn?«
»Ich bin der viejo Desierto, den sie überfallen wollten. Ich erhielt Kunde von ihrem Vorhaben und bin ihnen mit meinen Leuten entgegengezogen. Wir umringten sie so, wie wir jetzt euch umzingelt haben, und weil wir Schießgewehre besaßen, so mußten sie sich uns ergeben, um nicht alle niedergeschossen zu werden.«
Das Gesicht des Roten wurde erdfarbig. Er betrachtete uns mit ungewissem Blicke, schluckte und schluckte und stieß dann hervor:
»Sie sind wirklich der Desierto?«
»Ich bin es, und die Indianer, welche sich bei mir befinden, gehören zum Stamme der Tobas.«
»Das glaube ich nicht. Wenn der Desierto käme, um uns zu überfallen, so wären nicht so wenige Krieger bei ihm.«
»Ich wußte, daß ich nicht mehr derselben gebrauchte. Ich habe von dem Yerno und auch von eurem Häuptling Venenoso erfahren, daß ihr nur vierzig Männer zählt.«
»Der Yerno ist bei euch und auch Venenoso?«
»Beide. Es ist uns keiner von euch entgangen; sie alle liegen gebunden in unserm Dorfe; sie können euch nicht Hilfe bringen, und wenn ihr euch nicht ergebt, so seid ihr dem Tode geweiht.«
Man sah dem Indianer an, welchen Eindruck das, was er hörte, auf ihn machte. Er schwieg eine ganze Weile, um sich zu sammeln und nachzudenken; dann sagte er in drohendem Tone:
»Selbst wenn alle Ihre Worte die Wahrheit enthalten, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Wir ergeben uns nicht.«
»So lebt in einer Stunde keiner von euch mehr! Ihr habt vorhin erfahren, daß eure Pfeile für uns unschädlich sind. Unsern Kugeln aber könnt ihr nicht entgehen.«
»Das mögen Sie versuchen. Sobald Sie auf uns schießen, geben wir den Wächtern ein Zeichen, und diese werden dann die Gefangenen sofort töten. Wollen Sie den Tod der Weißen nicht, so müssen Sie Frieden mit uns schließen und auch unsere Krieger alle herausgeben, die Sie ergriffen haben.«
»Hören Sie, welchen Trumpf er ausspielt?« fragte ich den Desierto. »Er giebt das Spiel noch nicht verloren, glaubt vielmehr, es zu gewinnen. Wie gut also, daß ich unsere Gefährten während der Nacht von der Insel geholt habe! Hätte ich das nicht gethan, so würden sie jetzt als Geiseln gebraucht, und wir müßten klein beigeben.«
»Hm!« brummte der Alte. »Das wäre freilich eine verteufelte Geschichte geworden. Glücklicherweise können wir nun diesen Mbocovis die Augen darüber öffnen, daß ihre Berechnung eine falsche ist. Thun Sie das!«
Dieser Aufforderung kam ich nach, indem ich dem Parlamentär antwortete:
»Ihr habt noch weiße Gefangene auf der Insel? Das habe ich nicht für möglich gehalten. Kommt einmal mit bis zum nahen Waldesrande! Ich muß euch etwas zeigen.«
Wir hatten gar nicht weit dorthin. Die Roten folgten und waren nicht wenig erschrocken, als sie da den Irren und die drei gefesselten Wächter erblickten.
»Seht euch nur genau unter uns um!« forderte ich sie auf. »Von den Leuten, welche sich gestern abend auf der Insel befanden, ist nicht etwa nur einer entkommen, sondern sie sind alle frei. Wir haben sie mitsamt ihren Wächtern herübergeholt. Wie wollt ihr es anfangen, sie zu erschießen?«
Sie suchten, so weit ihre Blicke zu reichen vermochten, unsere Aufstellung ab und überzeugten sich, daß ich ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Ihre soeben noch gezeigte Zuversicht verwandelte sich in Kleinmut, zumal der Alte die Aufforderung an sie richtete.
»Jetzt wißt ihr, woran ihr seid. Kehrt also in das Dorf zurück, um euch zu beraten. Ich verlange, daß ihr euch ergebt, und dann soll euch kein Leid geschehen, vielmehr bin ich bereit, eure gefangenen Krieger freizugeben. Ist aber eine halbe Stunde verflossen, ohne daß ihr euch bereit erklärt habt, so schießen wir alles, was da lebt, nieder und stecken das Dorf in Brand.«
»Sennor, so grausam werden Sie doch nicht sein!« rief der Mbocovi aus.
»Das ist nicht Grausamkeit, sondern gerechte Strafe. Ihr seid Diebe, Räuber und Mörder. Ihr habt als Verbündete des Sendador eine Reihe von Missethaten begangen und müßt dafür genau so büßen, wie er. Er muß sterben, und wenn wir euch nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit schenken, so ist das eine Gnade, deren ihr euch nicht wert gemacht habt. Jetzt geht! Wir haben nicht Lust zu überflüssigen Reden. Ihr habt gesehen, wie wir schießen. Euer Schicksal liegt in euern eigenen Händen; in einer halben Stunde muß es entschieden sein.«
Sie schlichen höchst niedergedrückt von dannen. Wir waren der guten Zuversicht, daß ihre Entscheidung die von uns gewünschte sein werde.
Wir sahen, daß die Roten sich auf dem mitten im Dorfe liegenden Platze versammelten. Es ging dabei sehr ruhig zu. Nach nicht viel über eine Viertelstunde kehrte der Parlamentär zurück und teilte uns mit, daß die Mbocovis beschlossen hätten, sich uns zu ergeben, falls wir neben Freiheit und Leben ihnen auch alles Eigentum lassen wollten.
Darauf konnte natürlich nicht eingegangen werden, da sie in diesem Falle nicht die geringste Strafe getroffen hätte. Er mußte wieder in das Dorf, um zu sagen, daß wir Wort halten und nach zehn Minuten die Feindseligkeiten beginnen würden.
Diese Zeit verging ohne Resultat. Darum forderte der Desierto mich auf, eine Kugel in das Dorf zu schicken, zunächst ohne jemand zu töten.
»Das hilft nichts,« antwortete ich. »Ein blinder Schuß würde nur schaden, indem er die Ansicht erwecken muß, daß nicht alle unsere Kugeln treffen. Ich werde einen verwunden.«
Ich stieg auf das Pferd und ritt dem Dorfe entgegen, ohne mich aber in den Bereich der Pfeile zu begeben. Man sah mich kommen; der dichte Haufe lichtete sich, und die in der Mitte desselben befindlich gewesenen Krieger wurden sichtbar. Das hatte ich gewollt, da es mir nicht einfallen konnte, auf ein Weib oder gar ein Kind zu schießen. Der Anführer trat zwischen den andern hervor; er erhob die Hand und machte mit derselben eine Bewegung, mit welcher er andeuten wollte, daß wir zu warten hätten, da sie noch nicht einig seien. Mein Pferd stand still, und ich legte den Stutzen an. Der Rote erhob den Arm abermals, weil er glaubte, von mir nicht verstanden worden zu sein. Ich drückte ab, und er ließ den Arm sinken, indem er einen Schrei ausstieß.
Für einige Augenblicke gab es einen Wirrwarr. Alle liefen und schrieen durcheinander. Dann wurde es plötzlich still; eine laute, befehlende Stimme erschallte, und dann kam der Parlamentär auf mich zugerannt.
»Sennor, Sie haben unsern Unterhäuptling in den Arm geschossen!« rief er mir von weitem zu.
»Das war meine Absicht,« antwortete ich ihm. »Einstweilen wollte ich ihn nur verwunden; aber die Zeit ist abgelaufen, und wenn ihr euch nicht augenblicklich ergebt, so werden wir töten, anstatt daß wir nur verwunden.«
»Wir ergeben uns, Sennor, wir ergeben uns! Sagen Sie, was wir thun sollen!«
»Eure Krieger werden einstweilen gebunden; sie haben sich bei uns einzustellen, aber einzeln, einer nach dem andern. Wer von ihnen etwa eine Waffe bei sich hat, der wird ohne Gnade erschossen. Die Waffen werden von einigen Frauen gesammelt und uns gebracht. Je williger ihr diesen Befehlen gehorcht, desto besser für euch, denn desto leichter können wir euch Vertrauen schenken.«
Mit diesem Bescheide ging er wieder nach dem Dorfe, und gleich darauf kamen die Männer zu uns heraus, unbewaffnet und einer nach dem andern, wie ich es angegeben hatte. Dann brachten Frauen die vorhandenen Kriegswerkzeuge, welche unter die Tobas verteilt wurden. Die gefesselten Männer erhielten einige Wächter, und nun waren wir Besitzer des Dorfes, denn auch die Hirten hatten dem Beispiele der andern folgen und sich ergeben müssen.
jetzt zeigte sich, welche Macht der Desierto über seine Leute besaß. Keinem von ihnen fiel es ein, zu plündern oder sonst eine Ausschreitung zu begehen. Das Dorf wurde enger eingeschlossen, und dann besichtigten einige von uns die Häuser, um nach etwa noch vorhandenen Waffen zu suchen. Es wurden keine gefunden.
Es verstand sich ganz von selbst, daß Beute gemacht werden sollte. Die Mbocovis mußten bestraft und die Tobas für den Kriegszug entschädigt werden. Nur fragte es sich, was alles unter den Begriff Beute zu fallen habe. Einige verlangten, daß die Häuser alle auszuräumen und den Bewohnern nur die leeren Hütten zu lassen seien. Es gelang mir, diese Leute zu größerer Milde zu bewegen. Es wurde beschlossen, die Herden und den Inhalt der Casa de nuestro Sennor mitzunehmen. Alles andere sollte den Mbocovis verbleiben.
Als wir in das Haus des Sendador drangen, sahen wir dasselbe bis unter das Dach mit Handelswaren und geraubten Gegenständen gefüllt. Auch die Waffen meiner Gefährten wurden gefunden, und die letzteren waren nicht wenig erfreut darüber. Das Gebäude wurde ausgeräumt und der Fußboden desselben tief aufgewühlt; man fand aber keine verborgenen Schätze und auch nichts, wodurch die Schuld des Sendador noch klarer als bisher erwiesen worden wäre.
Ich hatte im stillen gehofft, die mehrerwähnten Zeichnungen hier zu finden, doch blieb dieser Wunsch unerfüllt. Der Sendador war zu klug gewesen, so wichtige Papiere bei den Mbocovis zu lassen.
Über die nun getroffenen Arrangements kann ich weggehen. Der Desierto mußte mir vor dem Scheiden versprechen, so mild wie möglich mit den besiegten Feinden zu verfahren; dann verabschiedeten wir Weißen uns von den Tobas, um den weiten und beschwerlichen Ritt nach der Pampa de Salinas anzutreten. Es war nicht viel nach Mittag, als wir aufbrachen, von den zehn Roten begleitet, welche der Desierto zu diesem Zwecke für uns ausgesucht hatte. – – –