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Erstes Kapitel. Im Seebade

Die Bucht, an welcher das wegen seines Seebades berühmte Städtchen Fallum liegt, wird zur Rechten von der weit vortretenden, aus schroffen Felsen zusammengesetzten Küste, zur Linken aber von einer Landzunge eingefaßt, die in Form eines scharf gebogenen Hornes in die See hinausragt und bis an ihre äußerste Spitze einen dichten Eichen- und Buchenwald trägt, durch den nur wenige schmale Pfade führen, welche es den Badegästen ermöglichen, sich aus dem Geräusche des während der Saison vielbesuchten Ortes in die tiefste Einsamkeit und Stille der Natur zurückzuziehen.

Die Landzunge hält die hohen Wogen und der Wald die Winde von der Bucht ab, ein Umstand, welcher sehr zur Frequenz des Bades beizutragen geeignet ist und es selbst zaghaften Gemüthern gestattet, sich badend oder im Boote sitzend den sonst gefürchteten Wellen anzuvertrauen.

Es war an einem schönen Julinachmittage, als drei Damen auf einem der erwähnten Waldwege dahin spazierten. Sie bildeten eine interessante, ja sogar auffällige Gruppe. Abgesehen von ihren gelben Sommerhüten war die Eine ganz in Blau, die Andere ganz in Grün und die Dritte ganz in Purpurroth gekleidet. Die Blaue, sehr lang und hager Gebaute, trug ein dreifarbiges Cyperkätzchen, die Grüne, klein und schmächtig Gestaltete, ein Meerschweinchen und die Purpurrothe, mit einer kurzen, sehr dicken taillenlosen Figur Ausgestattete ein Eichhörnchen auf dem Arme, welches letztere außerdem mittelst eines Halsbandes und einer goldenen Kette an den Busen seiner Trägerin befestigt war. Ihre Anzüge waren aus Stoffen gefertigt, deren Preis darauf schließen ließ, daß diese drei Damen den gut situirten Ständen angehörten.

Kein Mensch hätte geahnt, daß diese von der Natur so verschieden begabten Spaziergängerinnen Schwestern seien, und dennoch waren sie es, wie sich aus ihrem Gespräche deutlich erkennen ließ.

»Ja, meine gute Schwester Zilla,« seufzte die Blaue, »unser Bruder Emil ist gegen fremde Damen und sogar gegen seine abscheulichen Hunde rücksichtsvoller als gegen uns. Diese Männer sind und bleiben Barbaren, die man auch mit der größesten Geduld und Nachgiebigkeit nicht anders machen kann!«

»Sie wollen niemals einsehen, meine liebe Freya, daß wir unendlich zarter besaitet sind als sie,« fiel die Grüne ein. »Und darum ist es keinem Mädchen zu verdenken, wenn es sich nicht entschließen kann, eine lebenslange Verbindung mit diesem Geschlechte der Vandalen einzugehen.«

»Ja,« flötete die Purpurne mit fetter Stimme, »wir haben das gute Theil erwählt, und das soll nicht von uns genommen werden, trotzdem es besonders mir leicht sein würde, eine standesgemäße und glänzende Mariage abzuschließen.«

»Besonders Dir?« frug die Trägerin des Kätzchens schnippisch. »Hörst Du, Wanka, dieses »Besonders« klingt ganz wie eine Injurie gegen uns Beide. Schwester Zilla meint, weil sie die Jüngste von uns ist, stehen ihr mehr Partien zu Gebote als uns. Aber Damen können ja überhaupt niemals alt werden. Meine vierunddreißig Jahre sind –«

»Entschuldige, Freya,« fiel die Dicke ein, »neununddreißig bist Du im November gewesen!«

»Neununddreißig? Ah, Du scheinst Dich mehr um das Alter Anderer als um das Deinige zu bekümmern!«

»O nein, aber ich kann mir das Deinige so leicht merken, weil wir gerade zehn Jahre auseinander sind – Du neununddreißig und ich neunundzwanzig.«

»Ah, schau doch an! Schwester Wanka, wie alt ist Zilla?«

»Fünfunddreißig.«

»Und Du achtunddreißig,« rächte sich Zilla.

»Nein, sechsunddreißig!«

»Achtunddreißig, nicht wahr, Freya?«.

»Allerdings. Aber streiten wir uns nicht um solche Nebensachen. Die Hauptsache bei einer ehelichen Verbindung bleibt nächst den geistigen Vorzügen doch jedenfalls die körperliche Erscheinung, und in dieser Beziehung müßt Ihr Beide gestehen, daß ich Euch überrage und sehr im Stande bin, jedem Manne zu imponiren.«

»Es gibt genug Herren, welche sich für eine zarte ätherische Gestalt mehr interessiren als für große Länge,« vertheidigte sich Wanka.

»Ebenso wie ich in der Lage bin die Erfahrung zu machen, daß ein glückliches Embonpoint von der Mehrzahl der Herren immer reizend gefunden wird,« fügte Zilla bei. »Das hat mir sogar Lieutenant von Wolff gesagt, den ich, wie Ihr wißt, zu meinen neuesten und besten Eroberungen zählen darf.«

»Du?« rief die Lange. »Er hat mir erst vorgestern gestanden, daß ihm von mir geträumt habe.«

»Und ich,« fiel die Kleine ein, »habe erst vorhin mit ihm eine Partie Sechsundsechzig gespielt, die er verloren hat, weil ihn, wie er sich entschuldigte, meine süße entzückende Nähe verwirrt. Er ist sehr liebenswürdig, dieser Herr Lieutenant von Wolff!«

»Ja, sehr, sehr!« summte die Lange mit einer gewissen Ironie bei. »Nur meine ich, daß – aber seht doch einmal dieses allerliebste kleine Genrebildchen!«

»Genrebildchen? Wo denn?«

»Gleich hier am Wasser. Aber mein Gott, das ist ja unser Magdalenchen!«

»Wahrhaftig, unser Mädchen!« stimmten die Andern bei und eilten rasch vorwärts.

Der Weg, welchem sie folgten, endete an einem schmalen, auf drei Seiten von dichten Büschen umgebenen Einschnitte des Wassers. Dort lag ein Boot angebunden, dessen Segelstange niedergelegt worden war. Am Hintertheile saß ein Knabe, in einen grauleinenen Seemannsanzug gekleidet und einen Südwester, unter welchem eine Fülle blonder Locken hervorquoll, auf dem Kopfe. Er mochte ungefähr vierzehn Jahre zählen und hatte seine ganze Aufmerksamkeit einem etwa zehnjährigen Mädchen zugewendet, welches auf der vorderen Bank Platz genommen hatte und mit Angeln beschäftigt war. Dieses Mädchen war ein allerliebstes reizendes Geschöpfchen, und die außerordentliche Beweglichkeit, mit welchem es seiner gegenwärtigen Beschäftigung oblag, diente jedenfalls nicht dazu, einen großen Fang zu machen.

»Also wie heißt Du?« frug die Kleine. »Ich habe Deinen Namen bereits wieder vergessen.«

»Kurt.«

»Und wie noch?«

»Schubert.«

»Also Kurt Schubert! Höre, Du gefällst mir. Du hast so ein lichtes Haar und doch so pechrabenschwarze Augen. Und Kraft und Gewalt hast Du fast so viel wie mein Papa.«

»Wer ist denn Dein Papa?«

»Mein Papa? Das ist der tapfere General Helbig, der jüngst ganz Süderland erobert hat. Da kannst Du Dir nun wohl denken, daß er sehr stark sein und eine außerordentliche Force besitzen muß!«

»Ja aber kann er denn auch ein Boot regieren?«

»Natürlich! Ich habe es zwar noch nicht gesehen, aber er kann Alles.«

»Und auch segeln?«

»Auch! Aber am Besten können das meine Tanten.«

»Deine Tanten? Müssen bei Euch auch die Tanten segeln lernen?«

»Allerdings, denn der Papa sagt sehr oft, wenn sie spazieren gehen: »Gott sei Lob und Dank, da segeln sie hin!« Sie müssen also das Segeln verstehen. Hast Du sie schon einmal gesehen?«

»Das weiß ich nicht, denn ich kenne sie ja nicht.«

»O, die sind sehr leicht zu erkennen: Die Eine ist lang und trägt eine Katze; die Andere ist klein und dünn und trägt ein Meerschweinchen, und die Dritte ist dick und hat ein Eichkätzchen.«

»Ah, das also sind Deine Tanten! Die habe ich gesehen; sie sind ja im ganzen Orte bekannt. Heißen Sie auch Helbig, wie Dein Papa?«

»Freilich, denn sie sind ja seine Schwestern. Außerdem heißen sie noch Freya, Wanka und Zilla; aber der Kunz sagt statt dessen Schreia, Zanka and Brülla.«

»Wer ist dieser Kunz?«

»Das ist unser Leibdiener, den ich sehr lieb habe und Papa auch; aber die Tanten zanken sich immer mit ihm, und dann wird er wüthend, geht auf sie los und – reißt wieder aus.«

»Ah, dann hat er wohl keinen rechten Muth?«

»Muth? Ganz gewiß so viel wie Papa selbst, aber er darf sich ja doch nicht an den Schwestern seines Herrn vergreifen; allein nur darum reißt er aus. Hast Du auch einen Papa, drei Tanten und einen Leibdiener?«

»Eine Mutter habe ich und einen Stiefvater, dann vier Schwestern, und der Diener bin ich selber.«

»Du? Warum?«

»Weil ich Alles machen muß. Und dennoch bekomme ich sehr viel Schläge und dazu weniger zu essen als die Andern.«

»Schläge? Du?« frug das Mädchen halb verwundert und halb verächtlich.

»Ja. Ich muß die Netze legen und die Herrschaften rudern, und wenn ich zu wenig gefangen oder zu wenig verdient habe, so erhalte ich Schläge.«

»Du Armer! Wie viel denn?«

»Sie thun weh, aber ich zähle sie nicht,« antwortete er stolz. »Wenn ich nach Hause komme, ist der Vater stets betrunken. Ich könnte mich wehren, oder ich könnte auch fortgehen, aber dann würde die Mutter weinen, und das soll sie doch nicht. Eigentlich verdiene ich die Schläge, denn ich gebe dem Vater nicht Alles, was ich verdiene, sondern ich nehme etwas für die Mutter weg, sonst müßte sie hungern.«

»Mein Gott, liebe Wanka, hörst Du es? Ist das nicht ein Rabenvater?«

Dieser Ruf erscholl hinter den nächsten Sträuchern, wo die drei Schwestern den letzten Theil des kindlichen Gespräches belauscht hatten.

»Ja, ein wahrer Rabenvater, meine gute Freya,« antwortete die Gefragte.

»Nein,« fiel die Purpurrothe ein, »nicht blos ein Rabenvater, sondern sogar ein Stiefrabenvater! Aber, meine süße Magda, wie kommst denn Du hierher an diesen Ort?«

»Kurt hat mich hergefahren, Tantchen.«

»Ueber die ganze Bucht?«

»Ja. Wir wollten angeln.«

»Aber, Kind, wenn es nun ein Unglück gegeben hätte! Du kannst naß werden; Du kannst Dich erkälten; Du kannst umkippen; Du kannst ertrinken!«

»O nein, Tantchen; von alledem thue ich nichts, denn Kurt fährt mich ja. Er hat mir sogar versprochen, daß ich ganz sicher sein kann.«

»Kurt heißt er also?«

»Ja. Kurt – den andern Namen habe ich wieder vergessen.«

»Kurt Schubert,« verbesserte der Knabe, welcher mit abgenommenem Südwester aufrecht und in unterthäniger Haltung im Boote stand.

Die drei Schwestern blickten mit sichtlichem Wohlgefallen auf seine für sein Alter außerordentlich kräftige Gestalt und in sein offenes wettergebräuntes Gesicht.

»Verstehst Du es denn wirklich, ein Boot ganz sicher zu führen?« frug die Blaue.

»Sie brauchen keine Angst zu haben, mein gnädiges Fräulein. Wollen Sie es einmal versuchen? Ich habe Platz genug.«

»Ja, ich möchte wohl, denn ich gondele sehr gern; aber die Schwestern fürchten sich, und mein Kätzchen kann das Wasser vielleicht nicht vertragen. Wenn es mir seekrank würde!«

»Ein Kätzchen wird niemals seekrank, mein Fräulein,« lächelte der Knabe, und zu gleicher Zeit nahm Zilla das Wort:

»Wir uns fürchten? Weißt Du, Freya, daß dies eine ganz außerordentliche Verleumdung ist! Ich habe ja dem Herrn Lieutenant von Wolff versprochen, daß er mich einmal gondeln darf.«

»Ich auch!« erklärte Wanka.

»Und ich auch!« bekräftigte Freya. »Wollen wir einsteigen?«

»Hm, mein Meerschweinchen – hm, mein Eichkätzchen!« erklang es in zweifelndem Tone.

»Diese Thierchen werden nicht krank werden,« versicherte Kurt.

»Gewiß?«

»Ganz gewiß!«

»So wollen wir es wagen. Kommt!«

Das Einsteigen war allerdings für die umständlichen Damen mit einiger Schwierigkeit verknüpft, kam aber mit Hilfe Kurts recht gut zu Stande. Der Knabe zeigte überhaupt eine beinahe männlich zu nennende Sicherheit, welche den Damen Vertrauen einflößte.

»Wohin?« frug er, als das Boot in Bewegung war. »Nach der Stadt oder ein wenig hinaus?«

»Hinaus, aber ja nur ein wenig,« entschied Freya.

»So können wir das Segel aufnehmen.«

Er richtete die Stange und an ihr die Leinwand empor; eine linde Prise legte sich ein und das Boot strich, ein wenig zur Seite geneigt, stet und ruhig über die Bucht dahin. Die drei Schwestern verriethen anfänglich die bei Damen gewöhnliche Aengstlichkeit vor dem Wasser, doch verlor sich unter der guten Führung und dem sichern Gange des Fahrzeuges nach und nach die Besorgniß, und es kam zwischen ihnen und dem Knaben eine Unterhaltung zu Stande, welche ganz geeignet war, ihnen ein lebhaftes Interesse für den kleinen Schiffer einzuflößen, welcher so keck und doch besorglich am Steuer stand, so offen und ehrlich in die Welt hineinblickte und so verständig und höflich zu antworten wußte.

Die Schönheit des Wetters hatte auch zahlreiche andere Boote herausgelockt, so daß ein reges Leben auf den schimmernden glitzernden Wellen herrschte. Eines dieser Fahrzeuge zog durch sein sonderbares Gebahren die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Es war von zwei Herren besetzt, welche sich die Aufgabe gestellt zu haben schienen, die andern Fahrenden so viel wie möglich zu belästigen.

»Wem gehört dieses Boot?« frag Wanka.

»Es gehört einem der Badegäste,« antwortete Kurt.

»Wem?«

»Ich kenne seinen Namen nicht, aber es muß ein sehr vornehmer Mann sein, da er stets solchen Unfug machen darf, ohne daß es ihm die Polizei verbietet. So oft er auf das Wasser kommt, treibt er es so wie gerade jetzt. Er rudert quer durch den Kurs der Andern, um sie zu erschrecken; er spritzt sie voll Wasser, wenn es Damen sind; er wirft faules Obst nach ihnen, und es ist sogar vorgekommen, daß er kleinere Boote umgestoßen hat. Ich hasse ihn!«

Sein jugendliches Gesicht nahm bei diesen letzten Worten einen so ausgeprägt feindseligen Ausdruck an, wie man demselben gar nicht zugetraut hätte.

»Hat er Dir denn etwas Besonderes gethan?«

»Ja.«

»Was?«

»Ich kam mit der Mutter vom Strande, und er begegnete uns. Wir hatten einen großen schweren Wasserkübel mit Fischen zu tragen und sollten ihm damit ausweichen, obgleich dort Platz für hundert Menschen ist. Wir kamen mit unserer Last nicht schnell genug zur Seite, und da schlug er die Mutter dreimal mit seinem Stocke.«

»Schändlich! Nicht wahr, liebe Wanka?«

»Brutal!« antwortete diese. »Nicht wahr, meine gute Zilla?«

»Das ist noch mehr! Das ist geradezu barbarisch und vandalisch! Was habt Ihr denn gethan nachher, mein lieber Junge? Ihr habt ihn doch wohl angezeigt, nicht?«

»Nein; dazu ist er ja zu vornehm. Wir hätten keine Hilfe bekommen. Ich wollte ihn fassen, aber die Mutter hielt mich zurück. Wenn er mir aber etwas Aehnliches wieder thut, so hält mich nichts ab ihn zu züchtigen!«

Er sah wirklich recht drohend und heldenhaft aus, wie er so dastand, das Ruder in der Rechten und die Segelleine in der Linken, und es hatte ganz das Aussehen, als ob trotz seines jugendlichen Alters in so ernsten Dingen nicht wohl mit ihm zu spaßen sei.

Sie lavirten herüber und hinüber und kamen auf diese Weise in das Innere der Bucht. Da schlug das besprochene Boot einen Bogen und kam auf sie zu. Freya hielt die Hand über die Augen, um dieselben gegen das sich auf der Oberfläche des Wassers brechende Sonnenlicht zu schützen, und rief:

»Jetzt weiß ich, wer es ist!«

»Nun?« frug Wanka.

»Hugo von Süderland.«

»Ists möglich! Der »tolle Prinz?« Und er kommt auf uns zu! Kleiner, weiche ihm aus!«

»Warum?«

»Er kann uns nicht leiden. Er wird uns einen Schabernak spielen.«

»Das mag er versuchen! Ausweichen aber kann ich ihm nicht.«

»Warum?« fragen die Damen ängstlich.

»Ich habe den Wind konträr und bin allein beim Rudern, während sie zu Zweien sind.«

»Mein Gott, was wird das werden!« jammerte Zilla. »Ich vergehe vor Angst!«

»Er wird doch Ihnen nichts thun!« schüttelte der Knabe mit dem Kopfe.

»Und doch! Paß auf, Junge! Sie rudern ja gerade gegen uns. Sie haben etwas Schlimmes vor.«

Wirklich kam der Prinz in einer Weise herbei, welche diesen Verdacht begründete. Als er die Damen erkannte, hörte man ein häßliches Lachen und den Ruf:

»Hallo, wer ist denn das? Die drei Papageyen, hahahaha!«

Dann raunte er seinem Gefährten einige Worte zu, und darauf hielten sie auf Kurts Fahrlinie in der Art zu, daß man sah, sie wollten mit seinem Boote zusammenstoßen. Die Damen stießen einen lauten dreifachen Hilferuf aus.

»Halten Sie sich an Ihren Sitzen fest!« rief Kurt. »Ausweichen kann ich nicht, wenn sie es auf uns absehen; aber das kann ich machen, daß der Stoß nur ein leichter wird.«

Seine dunklen Augen blitzten den beiden Widersachern zornig entgegen.

»Fallt rechts ab!« gebot er ihnen.

»Fall Du ab nach links, dummer Junge!« lachte der Prinz. In drei Augenblicken mußte sein Boot gerade auf die Mitte von Kurts Fahrzeug treffen. Da riß dieser mit all seiner Kraft das Steuer herum und ließ die Leine los, so daß das Segel klappte und den Wind fahren ließ. Sein Boot gehorchte; es stoppte, hob sich vorn in die Höhe und drehte den Bug. Dadurch wurde der Stoß ein schiefer und statt in einem rechten, fuhr der Kahn des Prinzen in einem sehr spitzen Winkel an das Vordertheil des Bootes. Dennoch aber war die Erschütterung eine ganz bedeutende für die nicht seeerfahrenen Frauen. Am meisten wurde Magda von ihr betroffen, weil sie vorn auf dem Schnabelsitze Platz genommen hatte. Sie suchte vergeblich sich zu halten, verlor das Gleichgewicht und stürzte über Bord in das Wasser.

»Hollah, das Küchlein schwimmt. Fischt es heraus!« rief der Prinz lachend und ruderte weiter.

Die drei Schwestern saßen vollständig starr und wie gelähmt von dem Schrecke. Auf den andern Fahrzeugen hatte man den ganzen Vorgang mit angesehen und kam in größter Eile herbei, um zu helfen. Glücklicher Weise aber war dies schon nicht mehr nöthig. Kurt war dem Mädchen sofort nachgesprungen, faßte sie mit der Rechten und hob sie, während er mit der Linken den Rand des Bootes erfaßte, in dasselbe hinein. In einer Minute waren sie von sämmtlichen vorhandenen Fahrzeugen umgeben, und ringsum waren Beweise des Bedauerns und der tiefsten Entrüstung zu vernehmen.

Kurt allein hatte seine Ruhe bewahrt.

»Sie ist nicht todt,« rief er. »Sie ist nur naß geworden. Nachbar Klassen, Ihr habt Platz; nehmt doch einmal die Damen in Euer Boot und bringt sie nach Hause!«

»Warum, Junge?«

»Werdet es gleich sehen!«

»Na, dann herüber!«

Mehrere Hände griffen zu, und trotz der großen Aengstlichkeit der Damen wurden sie in das andere Boot gebracht. Kaum war dies geschehen, so nahm Kurt den Wind wieder in das Segel und griff zum Steuer.

»Hollah, wirst doch nicht, Junge?«

»Ja, ja, werde doch, Nachbar Klassen!«

»Braver Kerl! So steh nur fest!«

Das Boot des Prinzen hatte nach dem Ausgange der Bucht zu gehalten. Kurt that dasselbe. Er beobachtete das Segel, prüfte den durch die Landzunge gedämpften Wogenschlag und hielt dann sein Auge scharf auf den Gegner gerichtet. Der muthige Knabe hatte jetzt den Wind auf seiner Seite; er kannte sein Boot und wußte, daß ihm die Bestrafung seines Feindes gelingen werde. Daß dieser ein Prinz und er selbst ein armer Fischerjunge sei, danach fragte er nicht, er mußte die Mutter und auch Magda rächen; nur dieser Gedanke leitete ihn.

Der Prinz war zu Wasser zu wenig erfahren, um gleich von vornherein die Absicht des Knaben zu merken, nach und nach aber erkannte er die ihm drohende Gefahr. Doch that er nicht das Geringste ihr zu entgehen. Es schien ihm ein Ding der absolutesten Unmöglichkeit zu sein, daß dieser Knabe es wagen könne, einen solchen Coup gegen ihn auszuführen. Sie hielten sich jetzt parallel mit einander nach der felsigen Küste zu, welche die Bucht zur rechten Seite einfaßte. Hier gab es mehrere Untiefen und Bänke, welche der Prinz gar nicht, Kurt aber sehr genau kannte.

»Halloh, hab Acht!« rief der Letztere und richtete den Bug seines Fahrzeuges herum.

»Hallo, Bube, halte an!« klang es ihm entgegen.

»Kann nicht. Fahre sonst auf die Klippen.«

»Alle Wetter, so laß das Segel fallen!«

»Ist unmöglich. Komme ja dann nicht von den Riffen ab!«

Der schlaue Knabe hatte sich wirklich in eine Situation gebracht, die es ihm unmöglich machte, zu stoppen oder einen andern Kurs zu legen. Sein Boot war größer und segelte, das des Prinzen war leichter und hatte zwei Ruderer, die keine Knaben waren, es war unbedingt dasjenige, welches auszuweichen hatte. Der Prinz versuchte dies endlich, aber es war bereits zu spät dazu. Das Schifferboot kam unter voller Segelkraft wie ein Sperber herbeigestoßen.

»Hoi, fallt ab nach Back!« rief Kurt.

Dies geschah mit voller Berechnung. Er hatte bereits gesehen, daß die Beiden nach Steuerbord abfallen wollten, und die Befolgung seines Rufs mußte ihm also das feindliche Boot in seiner ganzen Breite vor den Schnabel bringen.

»Hoi, zu wenig, viel zu wenig. Haltet Euch an, Jungens!«

Noch diesen letzten Ruf stieß er aus, dann ließ er das Segel los, um nicht durch volle Benutzung des Windes sein Boot zu zerschmettern oder dasselbe zum Kentern zu bringen. Der jetzige Zusammenstoß war ein ganz anderer, als der vorherige. Er geschah mit unwiderstehlicher Kraft auf die Mitte des prinzlichen Fahrzeuges. Die Planken desselben krachten; es wurde vollständig umgestürzt, mit dem Kiele nach oben; das Vordertheil des Fischerbootes ritt einige Augenblicke auf demselben, dann glitt es wieder herab.

Der Prinz hatte mit seinem Begleiter einen Schrei ausgestoßen und war mit ihm weit in das Wasser hinausgeschleudert worden. Beide waren jedoch leidliche Schwimmer; sie hielten sich oben, bemerkten die Klippe in der Nähe und schwammen auf dieselbe zu, da ihnen das umgestürzte Boot nichts helfen konnte.

Auch Kurt hatte geschrien und war in das Wasser geworfen worden, aber nur zum Scheine. Ein Seemann oder auch nur ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerken können, daß sein Schrei nur ein Ruf des Jubels sei und daß der Sprung in die Fluthen ein ganz und gar freiwilliger war. Er besaß trotz seiner Jugend Scharfsinn genug, sich Alles zu überlegen. Im Falle, daß ihn der Prinz zur Anzeige brachte, mußte er sich vollständig vertheidigen können. Darum ruderte er so lange wie möglich im Wasser umher und kletterte erst dann wieder in das Boot, als die Beiden auf der Klippe standen, bis an die Hüften von den Wogen umspült.

»Halt, Junge, hole uns weg!« gebot der Prinz in strengem Tone.

»Geht nicht, Mann! Mein Fahrzeug geht zu tief. Ich komme nicht hinan. Wäret Ihr ausgewichen, so säßet Ihr nicht in der Patsche.«

»Du kannst doch nahe anlegen.«

»Bei diesem Wellenschlage? Das versteht Ihr nicht!«

»Donnerwetter, Bube! Weißt Du, wen Du vor Dir hast?«

»Wißt Ihr denn etwa, wen Ihr vor Euch habt?«

»Ich bin der Prinz von Süderland!«

»Und ich ein braves Seemannskind. Wer von uns ist mehr werth hier auf der See, Ihr oder ich?«

»Das werde ich Dir zeigen lassen, Taugenichts! Jetzt holst Du schnell wenigstens mein Boot herbei!«

»Damit Ihr einsteigen könnt?«

»Ja.«

»Geht wieder nicht. Die Planken sind durch. Uebrigens könnte ich allein es gar nicht wenden, und Ihr seht ja, daß es bereits sinkt. Da, da, jetzt ists hinunter!«

Wirklich entstand unter dem Fahrzeuge ein Trichterstrudel, der es zur Tiefe zog. Kurt hatte seinen Südwester jetzt aufgefischt und griff zum Steuer.

»Halt, warte!« gebot der Prinz. »Wir werden zu Dir hinüberkommen.«

»Auch das geht nicht,« lachte der Knabe. »Mein Boot ist vorn leck geworden, es trinkt Wasser, und ich darf es gar nicht wagen, noch zwei Mannen aufzunehmen. Aber Denen da hinten am Strande werde ich es sagen, daß sie Euch holen sollen, wenn sich je Einer findet, der sein Boot einem Manne bietet, welcher so vornehm sein will und doch arme Frauen mit dem Stocke schlägt, Fahrzeuge umstürzt, Frauen bespritzt und Kinder in das Wasser wirft. Solche Streiche darf hier kein Bube wagen, sonst bekommt er von seinem Schulmeister Prügel und wird noch obendrein von der Polizei öffentlich ausgepeitscht. Wohl bekomme das Bad, und nun adieu!«

Er segelte davon und bemerkte mit Freuden, daß sämmtliche Fahrzeuge den Strand aufgesucht hatten, um ihm seinen Coup nicht zu verderben. Als er dort ankam, forderte er die Anwesenden auf, den Prinzen abzuholen.

»Fällt uns nicht ein, Junge!« antwortete ein alter Seebär, der ihm die Rechte bieder entgegenstreckte. »Bist ein tüchtiger Kerl und wir werden dafür sorgen, daß Dir nichts geschieht, wenn Dich Der da draußen erfassen sollte. Aber ihn holen, nein! Die Fluth beginnt bereits; sie wird schnell steigen, und er mag ein wenig Wasser kosten, ehe man ihn ins Schlepptau nimmt. Gar zu zart wird das nicht geschehen. Wir haben keine Verpflichtung, ihm das Bad zu verwehren, das Wachboot ist weit draußen außer Sicht und die Rettungsmannen sind alle auf Fang hinaus, denn Alarm kann es nicht geben, weil frei Wetter ist. Sie mögen zappeln!« –

In einer der schönsten Straßen des Badestädtchens stand, rings von wohlgepflegten Bäumen und duftenden Blumenanlagen umgeben, eine reizende Villa, für welche während der Saison gewiß eine sehr hohe Miethe erzielt wurde. Sie wurde gegenwärtig von dem norländischen General Emil von Helbig und seiner Familie bewohnt.

Helbig war ein sehr verdienter Offizier, bei seinem Könige sehr in wohlerworbener Gunst und daher auch von beträchtlichem Einflusse bei Hofe. Dennoch erschien er dort nicht allzugern. Sein kerniges, zuweilen sogar etwas mürrisches oder auch wohl rauhes Wesen gab ihm ein gewisses Gefühl des Unbehagens in jenen Kreisen, in denen die Umgangsformen am höchsten zugespitzt erscheinen. Er fühlte sich am wohlsten bei sich selbst und hatte auch dafür gesorgt, daß seine nächste Umgebung aus lauter Leuten bestand, die ihm ähnlich waren. Seine Dienerschaft zählte nur lang gediente Soldaten, und besonders war sein Leibdiener Kunz ein wahrer Eisenfresser, der ohne seinen Herrn, wie auch dieser ohne ihn, gar nicht leben konnte. Sie hatten sich in früheren Zeiten auf dem Schlachtfelde kennen gelernt und waren einander bis auf den heutigen Tag in Kriegs- und Friedensjahren treu geblieben. Kunz kannte jede Eigenthümlichkeit seines Herrn, hatte gelernt sich ihr anzuschmiegen und war in Folge dessen ein wahres Spiegelbild des Generals geworden, bei dem er sich aus diesem Grunde mehr erlauben konnte, als einem Andern gestattet gewesen wäre.

Der General saß in seiner Stube, welche von einem dichten Tabaksrauche erfüllt war. Auf der Diele, dem Sopha und den leeren Stühlen lagen elf Hunde von ebenso verschiedener Raçe und Größe, die sich in diesem Qualme sehr wohl zu befinden schienen. Vor ihm lag ein Band von General Klausewitz, in dem er eifrig studirte. Da ging die Thüre auf, und mit kräftigem Schritte trat ein Mann ein, den man beinahe mit ihm verwechseln konnte. Beide trugen denselben grauen, militärisch zugeschnittenen Anzug, nur war der des Generals aus einem feineren Stoffe gefertigt. Beide hatten dasselbe Alter, dieselbe Größe, dasselbe kurz verschnittene Haar, denselben martialischen Schnurrbart; aber der Angekommene hatte blos noch das rechte Auge; das linke war ihm in Folge eines Pistolenschusses verloren gegangen. Er klappte die Absätze laut zusammen, richtete sich stramm empor, legte die kleinen Finger an die Nähte seiner Hosen und wartete.

»Kunz!«

»Herr General.«

»Was willst Du?«

»Excellenz haben befohlen jetzt anzufragen, ob wir spazieren gehen wollen, verstanden?«

»Ach so! Ich bin gerade über einem höchst interessanten Buche. Kennst Du es?«

»Was ist es, Excellenz?«

»Der Klausewitz.«

»Ist sehr ausgezeichnet, habe ihn aber nicht gelesen.«

»Woher weißt Du dann, daß er so sehr ausgezeichnet ist, wie Du sagst?«

»Weil Excellenz ihn sonst nicht lesen würden; verstanden?«

»Schön! Wo ist Magda?«

»Auf Rekognition.«

»Wie meinst Du das?«

»Sie wollte einmal sehen, wie es da drüben im Walde aussieht; verstanden?«

»Ich habe Dir doch geboten, sie niemals an solche Orte allein gehen zu lassen, Kunz!«

»Halten zu Gnaden, Herr General, wir müssen das kleine Fräulein so erziehen, daß sie nicht lernt Furcht zu haben! Im Walde hier gibt es keine Tiger und Klapperschlangen; verstanden?«

»Hm! Wo sind meine Schwestern?«

»Auf Vorposten.«

»Wie so?«

»Werden wohl das Hauptquartier verlassen haben, um Junggesellen zu attakiren.«

»Pst, Kunz, das geht Dich nichts an!«

»Halten zu Gnaden, Herr General, das geht mich wohl etwas an! Die Schreia spricht, sie heirathet nie; die Zanka spricht, sie mag keinen Mann, und die Brülla spricht, sie werde als alte Jungfer sterben; dennoch aber fouragiren sie stets nach Schnurrbartspitzen, und wenn sie nichts erwischen, so kommen sie nach Hause, ziehen Sturmmarschgesichter und schreien, brüllen und lärmen mit Jedermann, vor allen Dingen aber mit mir. Ich bekomme den Aerger aus erster Hand, und darum geht es mich gar wohl etwas an, wenn sie auf die Suche gehen. Verstanden?«

Helbig lachte. Er selbst hatte nicht wenig unter den Eigentümlichkeiten seiner Schwestern zu leiden, und darum war es ihm zuweilen recht lieb, daß er in Kunz einen muthigen Verbündeten besaß.

»Wo ist Hektor?« frag er weiter. »Es sind nur elf Hunde hier.«

»Excellenz, das ist wieder so ein Streich von der roth-grün-blauen Dreieinigkeit! Ich merkte, daß der Hektor fehlt, und suchte. Als ich an den Damengemächern vorüberging, hörte ich von drinnen ein fürchterliches Husten, Pusten, Winseln und Niesen. Ich rief den Hund, und der Lärm wurde größer; er war es, aber die Thüren hatte man verschlossen. Nun zwang ich die Kammerjungfer zu öffnen, und was sah ich?«

»Nun?«

»Der Hund stak im Reisekorbe. Die Bibi, die Lili und die Mimi hatten mit ihm spielen wollen, und er kann doch nur das Eichkätzchen leiden, die andern beiden Kreaturen aber nicht. Da hat er die Bibi und die Lili ein wenig gezwickt oder gekniffen, und dafür haben ihm die gnädigen Damen eine Düte Schnupftabak auf die Nase gebunden und ihn in den Korb gesperrt.«

»Alle Wetter, solche Pensionatsstreiche werde ich mir verbitten!«

»Ich auch, Excellenz! Soll ich den Damen auch Schnupftabak aufbinden? Sie müssen auch sehen, wie es einem Viehzeuge dabei zu Muthe ist.«

»Wo ist der Hund?«

»Als ich ihn aus dem Korbe und von dem Schnupftabake befreit hatte, sprang er davon. Er wird sich draußen in der Luft erholen wollen; verstanden?«

»Er kommt von selbst wieder. In einer Stunde gehen wir spazieren. Halte Dich bereit! Kehrt; marsch!«

Kunz machte Kehrt und stampfte hinaus. Draußen blieb er kurze Zeit stehen und schien nachzudenken. Dann eilte er die Treppe hinab nach dem Garten. Dort war der Gärtner bei den Beeten beschäftigt.

»Heinrich, hast Du Zeit?«

»Wozu?«

»Sollst mir schnell etwas holen.«

»Was?«

»Ich brauche Frösche und Kröten.«

»Frösche und Kröten?« frug der Gärtner ganz erstaunt.

»Wozu denn?«

»Hm! Du kannst doch schweigen?«

»Unter Umständen.«

»Ich brauche das Viehzeug für unsere Mamsells.«

»Ah, schön, prächtig! Da laufe ich natürlich gleich.«

»Dauert es lange?«

»In einer Viertelstunde einen ganzen Sack voll. Diese Sorte von Fleisch ist hier schnell zu haben. Soll ich auch einige Krabben und Meerspinnen mitbringen?«

»So viel Du erwischen kannst.«

»Gut. Ich eile!«

Höchst befriedigt kehrte Kunz in das Haus zurück und sorgte dafür, daß keine Störung eintreten konnte. Der Gärtner brachte eine ganze Menge der bestellten Thiere. Beide schlichen sich nach dem Zimmer, in welchem Hektor gefangen gewesen war, schütteten den Sack in den Reisekorb aus und entfernten sich dann unbemerkt. Wenn es galt, den Schwestern einen Schabernak zu spielen, so schloß sich sicher keiner von den Leuten aus.

Der General hatte unterdessen bei seinem Klausewitz gesessen. Da ertönten draußen eilige Schritte. Die Thür wurde aufgerissen, und die lange Freya trat in höchster Eile und mit einem Gesichte ein, welches Zeugniß von einer sehr großen Aufregung gab.

»Emil – Bruder!«

»Was ists?«

»Ah, laß mich erst verschnaufen! Ich bin so sehr gerannt und gesprungen, daß ich mit allen Gliedern Athem hole.«

»Alle Wetter, was ist denn los?«

»Was los ist? Wer denn anders als der Teufel, oder was ganz dasselbe ist, der tolle Prinz!«

»Ach der! Wieder einmal?«

»Wieder! Mein Gott, was für ein Mensch ist das! Wäre ich ein Herr, ein Offizier, ein Kavalier, ich forderte ihn und so wahr ich –«

Sie erhob bei diesen Worten die geballte Faust und schlug damit als Zeichen der Betheuerung vor sich auf das Sopha nieder, auf welchem sie Platz genommen hatte, traf aber unglücklicher Weise ihre Katze, welche, einer solchen Behandlung ungewohnt, mit einem lauten schrillen Kreischen auffuhr, über das Zimmer schoß und zum geöffneten Fenster hinausflog. Freya sprang auf und an das Fenster.

»Weg! Bruder – Emil – General! Herrgott, siehst Du denn nicht, daß die Bibi nun auch todt ist? Todt, zerschmettert, zerschlagen, zerschmissen, zermalmt, zerquetscht und zerschunden, Alles nur wegen diesem schrecklichen Prinzen!«

»Auch todt, sagst Du? Wer ist denn noch todt?«

»Mein Gott, das weißt Du noch nicht? Er stürzte sie in das Wasser, und da –«

Wieder wurde die Thüre aufgerissen, und die kleine Wanka erschien.

»Da bist Du ja schon, Freya! Ja, Deine Beine sind länger als die meinigen. O, ich vergehe; ich verschwinde; ich zerfalle; ich löse mich auf! Mach Platz!«

Sie sank auf das Sopha und schloß die Augen. Dem General wurde es jetzt wirklich angst.

»So sprecht doch nur! Wer ist denn todt?«

»Todt nicht,« rief Wanka, die also doch noch nicht vollständig aufgelöst war, denn sie hatte noch die Kraft, die Augen wieder zu öffnen. »Sondern in das Wasser –«

»O ja, todt, vollständig todt, meine süße Bibi!« rief Freya. »Bei einem solchen Sturze kann sie doch unmöglich lebendig unten ankommen!«

»Zum Donnerwetter,« schalt der General, »wer in das Wasser gestürzt worden ist, das will ich wissen! Heraus damit!«

In diesem Augenblicke stöhnte es draußen, als ob eine Lokomotive angefahren komme, und die Thür wurde zum dritten Male aufgemacht. Die dicke Zilla trat ein. Sie hatte keinen Athem mehr, und ihr Gesicht besaß eine vollständig zinnoberrothe Farbe.

»Ah – oh – uh – uuuh! Oh, oooh!«

Während dieser verzweifelten Interjektionen rannen ihr dicke Tropfen von der Stirn und den Wangen herab. Sie wollte sie entfernen, machte sich aber in ihrer Aufregung einer sehr merkwürdigen Verwechslung schuldig; sie drückte nämlich das Taschentuch an ihren nach Luft ringenden Busen und wischte sich mit Mimi, dem Eichhörnchen, den Schweiß vom Gesichte. Das kleine Thierchen wehrte sich nach Kräften gegen diese Realinjurie, und dies gab seiner Herrin den verlorenen Odem wieder.

»Emil – Du weißt es bereits?«

»Ich? Kein Wort! Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Da – da kommt sie selbst!«

Wirklich trat jetzt Magda ein. Sie eilte auf den Vater zu und umarmte ihn.

»Nicht wahr, Papa, Du bist mir nicht bös?«

»Worüber sollte ich Dir bös sein?«

»Nun, weil mich der tolle Prinz in das Wasser geworfen hat.«

»Dich? Ists möglich! Aber nur aus Versehen!«

»Nein, sondern mit Absicht. Aber Du darfst nicht zanken, denn ich bin noch vor den Tanten nach Hause gelaufen und habe mich gleich umgekleidet. Es hat mir gar nichts geschadet.«

»Welch ein Glück! Erzählt einmal!«

Diesem Gebote wurde von vier Stimmen zu gleicher Zeit Folge geleistet, und die Schwestern entwickelten eine Sprachfertigkeit, welche den General in Verzweiflung bringen konnte. Aber er wußte recht gut, daß er den rauschenden Strom ihrer Rede nicht unterbrechen dürfe, und so wartete er in Geduld, bis der Bericht beendet war.

»Wo ist der Prinz hin?« frug er dann.

»Wir wissen es nicht. Er ruderte weiter.«

»Dem Lande zu?«.

»Nein.«

»Also noch nicht zu Hause. Und wie hieß dieser brave und muthige Knabe?«

»Kurt Schubert. Er hat einen Stiefvater,« antwortete Freya.

»Oder vielmehr einen Stiefrabenvater, der ihn täglich schlägt und mißhandelt,« setzte Zilla hinzu. »Wenn er sich nicht so geschickt betragen hätte, wären wir Alle ertrunken.«

»Das ist wahr,« bestätigte Wanka. »Wir müssen ihm eine Dankbarkeit erweisen.«

»Das werde ich sofort besorgen,« entschied der General.

»Ihr könnt gehen!«

Sie entfernten sich nach ihren Gemächern. Dort angekommen fiel ihnen zunächst der Reisekorb in die Augen.

»Ah, den Hund haben wir ganz vergessen!« erinnerte sich Freya. »Wollen wir öffnen?«

»Ja. Er ist genug bestraft worden, und Bruder Emil könnte ihn vermissen.«

Sie hoben den Deckel empor, und in demselben Augenblicke erschallte von ihren Lippen ein dreifacher Schrei des Entsetzens. Ihr Auge war auf den Inhalt gefallen. Sie wollten fliehen, aber das blaue Kleid Freyas blieb an dem Korbe hangen; dieser wurde umgerissen und entleerte seine Versammlung. Frösche, Kröten und Molche aus dem nahen Teiche nebst Meerspinnen, Krabben, großen, langbeinigen Käfern und allerhand ungethümlichen Geschöpfen, wie sie von der Fluth täglich zweimal an das Land gespült werden und welche die Kinder fangen, um sie an die Fremden zu verkaufen, zappelten und krappelten, wibbelten und kribbelten, krochen und zerrten, hüpften und sprangen, schnellten und schlüpften in dem Zimmer herum, so daß es nicht einen Fußbreit des Bodens gab, wo man sicher hätte auftreten können. Die Blaue warf sich auf das Sopha; die Grüne sprang auf den nächsten Stuhl, und die Purpurrothe retirirte sich hinauf auf den Tisch, auf welchen sie sogar die Beine zu retten suchte.

Während dieser nicht ganz ästhetischen Sitzung ging draußen der General mit Magda vorüber. Beide wollten zunächst den Schifferknaben aufsuchen. Ihnen folgte, wie bei allen Ausgängen Helbigs, Kunz, der Diener. Die beiden ersteren nahmen keine Notiz von dem Lärm in den Damengemächern, da sie ihn für eine Fortsetzung des bei dem Generale stattgefundenen Gespräches hielten; der letztere aber öffnete leise und unbemerkt die Thür ein wenig und warf einen schnellen Blick auf die possierliche Situation. Mit einer Miene der innigsten Befriedigung zog er den Eingang leise wieder zu, drehte den Schlüssel um und steckte ihn zu sich. Dann eilte er seinen Herrschaften nach.

Der General begab sich zunächst nach dem Strande. Als er dort ankam, war das Wachtboot soeben um die Landzunge gebogen, hatte den Prinzen mit seinem Begleiter erblickt und beeilte sich ihn an Bord zu nehmen. Es brachte Beide, die natürlich vollständig durchnäßt waren, an das Land. Der Prinz bot jetzt nicht den Anblick eines Helden, welcher eine rühmenswerthe That vollbracht hat, und mit sichtbarer Genugthuung oder auch Schadenfreude ruhten die Augen aller Umstehenden auf ihm. Der Erste, welcher ihm entgegentrat, war der General.

»Hoheit!«

»Excellenz.«

»Sie machten sich das Vergnügen, das Boot meiner Schwestern zu attakiren?«

»Pah! Es wurde von einem Knaben falsch gesteuert.«

»Dieser Knabe versteht besser zu steuern, als mancher Mann. Wollen Sie etwa behaupten, daß der Zusammenstoß nicht von Ihnen beabsichtigt wurde?«

»Ich pflege nie zu lügen.«

»Sie gestehen es also?«

»Ja.«

»Sie sind ein Elender!«

»Wohl! Das ist eine Meinung, für welche Sie sich mit mir schlagen werden.«

»Fällt mir nicht ein! Ein ehrenhafter Offizier befleckt seinen Degen nicht durch die Berührung mit einem Menschen, der keine Spur von Bildung oder Ehre besitzt und bereits als Schurke gekennzeichnet wurde.«

»Mensch!« donnerte der Prinz.

»Pah! Können Sie die Ruthenhiebe verleugnen, die Ihnen einst der Kapitän von Sternburg versetzte, weil Sie eine ehrbare Dame überfielen, und deren unvertilgbare Spuren noch heut in Ihrem Gesichte zu sehen sind? Ein Edelmann, ein Ehrenmann kann sich mit Ihnen, ohne sich selbst zu entehren, niemals schlagen. Und dennoch werde ich von Ihnen Genugthuung fordern, aber nicht mit der Waffe, sondern vor den Schranken des Gerichts. Was Sie thaten, ist keine Unvorsichtigkeit, kein Vergehen, sondern ein Verbrechen, ein Ueberfall friedlicher Menschen, welche leicht das Opfer Ihrer Rohheit werden konnten. Man wird auch einem Prinzen zeigen können, unter welchen strengen Paragraphen des Kriminalgesetzbuches dieses Verbrechen zu stellen ist!«

Der Prinz hatte ihn unterbrechen wollen, war aber nicht dazu gekommen. Jetzt aber antwortete er mit drohender Miene:

»Mensch, Sie sprechen entweder aus Altersschwäche oder aus Verrücktheit in dieser Weise mit mir! Ich werde Sie schon zu zwingen wissen, sich mit mir zu schlagen, und was Ihre Paragraphen betrifft, so habe gerade ich das Recht, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Halten Sie Ihre Frauen und deren Bootsführer fest; ich könnte auf den Gedanken kommen, sie einsperren zu lassen!«

Er ging, und nur finstere Blicke folgten ihm. Da trat einer der Schiffer, den Südwester verlegen zwischen den Händen drehend, zu Helbig. Es war Nachbar Klassen.

»Nicht wahr, Sie sind der Herr General, und dieses kleine, schöne Fahrzeug da ist Ihr Fräulein Töchterchen?«

»Ja. Was wünschen Sie?«

»Ich bitte für diesen wackern Jungen, den Kurt!«

»Ah, Kurt Schubert?«

»Ja. Er hat dem gnädigen Fräulein aus dem Wasser geholfen, und da könnten Sie ihm ja dann auch einen Gefallen thun!«

»Welchen?«

»Hm! Er hat schon lange einen Pik auf den Prinzen, weil dieser seine Mutter beleidigt hat, und heute ist dann Abrechnung gewesen. Der Prinz wollte nämlich Ihre Fräuleins überfahren, und das ist ihm nicht gelungen, weil Kurt sein Handwerk ganz vortrefflich versteht; dann aber hat der Junge auf den Prinzen Jagd gemacht und ihm sein Fahrzeug in den Grund gebohrt, so daß der Prinz da draußen im Wasser stehen und warten mußte, bis er herausgefischt wurde. Nun wird er den Jungen zur Anzeige bringen, Sie haben es ja selbst gehört, und da mag es gut sein, wenn der Kurt einen so hohen Herrn fände, der sich seiner ein wenig annähme. Er verdients, das kann Jeder versichern.«

»Wirklich? Wo wohnen seine Eltern?«

»Dort in der vorletzten Hütte. Die Frau ist ein Muster, aber der Mann ein Spieler und Trinker, der niemals eine Hand regt im Geschäfte. Der Junge muß Alles verdienen und die ganze Familie ernähren. Prügel genug bekommt er dafür, desto weniger aber zu essen. Die Mutter hat es in schlechten Händen. Sie stammt weit von hier und muß ein schönes Mädchen gewesen sein. Sie war mit einem Steuermann verlobt, der Schubert hieß und in fremden Meeren Schiffbruch gelitten haben muß, denn er kam nicht wieder. Der Junge ist sein Sohn. Die Mutter wollte nicht heirathen, sie wurde aber gezwungen, und kam darauf mit ihrem Manne hierher. Besser als den Kurt gibt es Keinen, darauf können Sie sich verlassen, und er verdient es, daß er gegen den Prinzen in Schutz genommen wird. Auch wir Alle werden das Unserige thun, wenn er angezeigt werden sollte.«

Der General reichte dem Manne die Hand entgegen.

»Der Knabe hat meiner Tochter hier das Leben gerettet, und es versteht sich ganz von selbst, daß ich ihm dafür dankbar bin. Auch Ihnen danke ich. Sie handeln, wie ein braver Nachbar handeln muß. Also dieser Kurt hat sofort an dem Prinzen Vergeltung geübt?«

»Ja, und zwar so schlau und regelrecht, daß es keiner von uns befahrenen Schiffern besser fertig gebracht hätte.«

»Das freut mich von ihm!«

»Aber sagen darf man es nicht. Vor Gericht ist natürlich der Prinz selbst an dem Zusammenstoße schuld. Der Junge hat so geschickt manövrirt, daß dies jedem Sachverständigen leicht wird zu beweisen.«

»Also der Knabe besitzt nicht nur Muth und Geistesgegenwart, sondern auch Ueberlegung und Klugheit?«

»So viel, als er nur brauchen kann! Er hat das Rettungsboot nicht nur erst einmal geführt und liegt in jeder freien Stunde über den Büchern, die er sich zusammenborgt. Er ist ein Prachtkerl! Unter uns sind viele weitgereiste Seemänner, welche die Schifffahrt aus dem Fundamente verstehen und fremde Sprachen oder anderes dazu. Bei ihnen lernt er, aber heimlich, um keine Strafe zu bekommen, denn sein Stiefvater leidet das nicht.«

»Schön; werde mich darnach richten! Ist der Mann hier, der meine Schwestern an das Land gebracht hat?«

»Der bin ich selbst.«

»Es ist vergessen worden Sie zu bezahlen. Hier haben Sie!«

Nachbar Klassen bedankte sich für das reiche Geschenk, welches ihm wurde, und dann ging der General mit Magda auf die Wohnung Kurts zu.

Bei derselben angekommen konnte er keines Menschen ansichtig werden; aber aus dem Innern drang ein unterdrücktes Weinen. Er trat ein und wäre beinahe zurückgefahren bei dem Anblicke, welcher sich ihm bot.

An der Wand stand oder vielmehr hing Kurt. Seine beiden Hände waren mit einem Riemen zusammengebunden und mittelst einer Schlinge an einen starken Nagel in der Weise befestigt, daß der Knabe den Fußboden kaum mehr mit den Fußspitzen erreichen konnte. Darauf war ihm der Oberkörper entblößt und auf eine so unbarmherzige Art behandelt worden, daß man das rohe blutige Fleisch erblickte und die Diele roth gefärbt worden war. In dieser torturähnlichen Stellung hing er noch jetzt, ohne einen Laut von sich zu geben. Seine Augen waren roth geschwollen, und vor seinen zusammengepreßten Lippen stand großblasiger Schaum. Daneben lagen die Stöcke, mit denen die Züchtigung vorgenommen worden war.

In der hintersten Ecke saß seine Mutter mit verbundenem Kopfe. Sie hatte mehrere Hiebe über denselben erhalten und schien nicht ungefährlich verwundet worden zu sein. In ihrer Nähe lagen vier kleinere Kinder am Boden, welche leise weinten, und auf einer alten Pritsche saß der Mann, welcher diese Grausamkeiten verübt hatte. Seine knochige Gestalt und seine rohen Züge machten einen höchst ungünstigen Eindruck, und man sah es ihm auf den ersten Blick an, daß er sich im Zustande der Betrunkenheit befand. Er achtete gar nicht auf die Eintretenden.

Als Magda den Knaben erblickte, welcher ihr so schnell lieb geworden war, stieß sie einen Ruf des Schmerzes aus und eilte auf ihn zu.

»Ach Gott, Papa, das ist er! Hilf ihm, Papa, schnell, schnell!«

Der General trat näher und streckte die Hand nach dem Knaben aus. Da aber erhob sich der Betrunkene und faßte ihn am Arme.

»Halt! Was wollt Ihr hier?«

»Zunächst diesen Knaben befreien, Mensch.«

»Dies Haus ist mein, und der Knabe auch. Packt Euch fort!«

»Nur langsam! Wir werden gehen, aber nicht ohne vorher unsere Pflicht zu thun.«

»Hinaus mit Euch. Ihr habt hier nichts zu befehlen; ich leide es nicht!«

Er faßte den General beim Arme; dieser aber stieß ihn von sich ab.

»Kerl, wage es noch einmal mich anzurühren, so sollst Du sehen, was passirt! Ist dies Euer Vater?«

Eins der Kleinen nickte.

»Und dies Eure Mutter?«

»Ja.«

»Kunz, nimm den Knaben herab!«

»Versucht es einmal!« drohte der Schiffer, indem er zum Stocke griff.

»Kunz!«

Der Diener erhielt einen Wink, welchen er sofort verstand. Er eilte hinaus und kam bald mit Polizei und einigen Schiffern zurück, mit deren Hilfe der Mann gebunden wurde. Dann konnte man Kurt ungestört aus seiner Lage befreien. Er war in der Weise geschlagen worden, daß er kaum noch die nöthige Besinnung besaß die Umstehenden zu erkennen. Er hatte sich, um den Schmerz zu beherrschen und nicht zu schreien, in die Lippen und die Zunge gebissen. Auch die Mutter war von den Streichen, welche ihren Kopf getroffen hatten, beinahe betäubt und konnte nur in kurzen abgerissenen Worten Auskunft ertheilen. Der Knabe war ohne Geld nach Hause gekommen, und als sein Vater dazu gehört hatte, wie Kurt mit dem Prinzen, von dem er doch eher hätte etwas verdienen sollen, umgesprungen war, hatte er seine Wuth nicht zügeln können und war über Mutter und Sohn in dieser unmenschlichen Weise hergefallen. Die Polizei führte ihn ab.

Die Wunden der Beiden wurden von den theilnehmenden Nachbarn mit Essig behandelt und dann verbunden. Kurt konnte sich wieder ankleiden.

»Armer Junge!« meinte der General. »Willst Du fort aus diesem Hause?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich bleib bei meiner Mutter.«

»Ah, brav! Aber wenn sie nun auch fortgeht?«

»Und auch die Geschwister?«

»Ja.«

»Und der Vater nicht?«

»Nein.«

»So gehe ich mit, gnädiger Herr. Aber wohin sollen wir?«

»Zu mir. Ich werde für Euch sorgen. Jetzt muß ich nach Hause. Könntest Du mich begleiten, oder sind die Schmerzen zu groß dazu?«

Der Knabe lächelte, schien sich aber dennoch zugleich zu schämen.

»Ich habe oft so ausgesehen und doch sogleich wieder arbeiten müssen.«

»So komm!«

Er legte der Mutter, welche noch immer wie gelähmt an ihrem Platze saß, seine Börse in den Schooß und verließ das Haus. Magda ergriff die Hand des Knaben.

»Armer Kurt! Du bist so gut und so muthig, hast mich aus dem Wasser gezogen und mußt Dich dafür so sehr schlagen lassen! Thut es noch recht sehr weh?«

Sein jugendliches Gesicht erhellte sich.

»Nun gar nicht mehr.«

»Ist es auch wahr?«

»Ja.«

Das kleine Mädchen ahnte nicht, welchen Eindruck ein einziges Wort, ein einziger Blick oder Händedruck hervorbringen kann. Sie ließ den Knaben nicht los, bis sie die Wohnung des Generals erreichten.

Dort bot sich ihnen ein sonderbarer Anblick dar. Auf dem Korridore stand sämmtliches Dienstpersonal und korrespondirte durch die verschlossene Thür mit drei weiblichen Stimmen, welche man im Innern bitten, rufen, befehlen, jammern und wehklagen hörte.

»Was gibt es?« frug der General.

Alle wollten zu gleicher Zeit antworten; aber die schrille Stimme der Zofe errang zuletzt den Sieg.

»Was es gibt, Excellenz? Ein Unglück, ein großes, fürchterliches, ungeheures Unglück.«

»Welches?«

»Ja, das wissen wir nicht.«

»Macht auf!«

»Wir können nicht. Der Schlüssel ist fort.«

»So wartet!«

Er trat zur Thür und klopfte.

»Wer ist drin?«

»Wir!« antworteten kreischend die drei schwesterlichen Stimmen.

»Ihr habt Euch eingeschlossen?«

»Nein!« klang es unisono.

»Was ist geschehen?«

»Mach auf und bring Hilfe! Das Zimmer wimmelt von –«

»Ungeheuern –,« rief eine zweite Stimme.

»Schlangen –,« die dritte.

»Molchen und Drachen –,« die erste wieder.

Und dann kreischte es in fürchterlichen Dissonanzen:

»Lindwürmer, Madenwürmer, Bandwürmer, Chamäleons; o, komm, ich falle vom Tische, ich vom Stuhle, ich vom Sopha, Hilfe, Hilfe, Hilfe!«

Da gab Kunz dem Gärtner, welcher natürlich auch mit anwesend war, einen Wink und dieser blickte nieder.

»Ah,« meinte er, »da habt Ihr vergebens gesucht, und hier liegt der Schlüssel am Boden!«

»Her damit!« gebot der General.

Er öffnete, und nun bot sich ein Anblick, der nicht nur den Herrn, sondern auch die Dienerschaft zum lauten Lachen zwang.

»Wer hat das gethan?« frug der Herr.

»Ich nicht;« antworteten Alle.

»So! Wo sind die Thiere hergekommen?«

»Hier aus dem Korbe,« berichtete Freya.

»Ah!« machte der General und streifte dabei seinen Leibdiener mit einem raschen Blicke. »Da hat sich der Hektor in diese Thiere verwandelt. Wunderbar! Macht, daß Ihr sie aus dem Hause bringt!«

Er ging.

»Fort doch damit, greift zu!« gebot Freya, und ihre Schwestern stimmten bei.

Der Gärtner schüttelte höchst bedenklich den Kopf.

»Der Hektor in diese Thiere verwandelt? Hm, gefährlich! Mein Dienst ist nicht hier, sondern im Garten!«

Er ging. Auch Kunz zog ein eigentümliches Gesicht.

»Der Hektor? Hm, ist stets ein obstinates Viehzeug gewesen, das den Teufel im Leibe hatte. Aber ich habe nicht die Damen, sondern den Herrn General zu bedienen.«

Auch er verließ das Zimmer. Weder Magda noch eine der Dienerinnen getrauten sich, eines dieser häßlichen Thiere zu erfassen. Da erschien endlich Kurt unter der Thür. Er hatte sich bisher aus Bescheidenheit zurückgehalten. Die Schwestern sahen ihn und jubelten.

»Da kommt ein Retter! Kurt, lieber Kurt, schaffe dieses Gewürme fort!«

»Wohin?«

»Wohin Du willst, nur fort!«

Er sah den offenen, umgestürzten Korb, richtete ihn wieder empor und sperrte alle die schrecklichen Geschöpfe, welche er mit der größten Schnelligkeit fing, in denselben ein.

»So, meine gnädigen Fräuleins, nun können Sie ihn fortbringen lassen.«

Die Damen verließen ihre Festungen, auf denen sie bisher so arg belagert worden waren.

»Wir danken Dir, Junge!« rief Zilla. »Du darfst gar nicht wieder fort von uns.«

»Nein, Du bleibst hier bei uns!« stimmte Wanka bei.

»Natürlich!« bestätigte auch Freya. »Er bleibt hier, denn er muß ja vor allen Dingen meine arme Mimi suchen, welche sich wegen dieses Prinzen aus dem Fenster stürzen mußte. Und dann gleich muß er versuchen herauszubekommen, wer uns diesen Streich gespielt hat, denn wir müssen Rache nehmen!«

»Rache!« rief auch Wanka.

»Rache!« rief auch Zilla. »Dreifache Rache; und der Herr Lieutenant von Wolff wird uns nach Kräften unterstützen!«


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