Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel. Nach der Juweleninsel

Der in neuerer Zeit so berühmt gewordene Wald von Koleah bestand damals aus einem einzigen großen Dickicht von Ebenholz-, Teak- und Drachenbäumen, untermischt mit riesigen Farren und hohen Schirm-, Kohl-, Areka- und Sagopalmen. Diese baumartigen Gewächse wurden umschlungen, überstrickt und verbunden von einem beinahe unzerstörbaren Netzwerke von Schling- und Lianengewächsen, welche desto üppiger wucherten und blühten, je mehr sie den Stämmen, an denen sie schmarotzend emporkletterten, den Nahrungs- und Lebenssaft raubten.

Nur einige schmale Pfade führten durch diesen Wald auf die Mitte desselben zu, wo die Ruinen eines jener indischen Tempel liegen, mit deren Großartigkeit sich nur die Ueberreste jener cyklopischen Tempelbauten auf Java zu messen vermögen.

Es war am frühen Morgen nach dem Ueberfalle von Augh, als sechs Reiter und eine Reiterin dem schmalen Schlangenpfade folgten, welcher von Augh her in den Wald von Koleah führt.

Voran ritt Alphons Maletti, der einstige Lieutenant in englischen Diensten und nachherige kurzzeitige Kriegsminister des Maharajah Madpur Sing. Ihm folgte auf einem für sie eingefangenen Pferde Rabbadah, die Begum von Augh, und dann kamen fünf Reiter, von denen zwei je eine Leiche vor sich auf dem Pferde hielten.

»Kennst Du diesen Weg auch ganz genau?« frug die Begum.

»Nein,« antwortete der Offizier.

»Und Du willst unser Führer sein!«

»Ja,« lächelte er.

»Warst Du bereits einmal hier?«

»Noch nie.«

Sie wurde ängstlich, das war ihr anzusehen.

»Und Du willst uns hier eine sichere Zufluchtsstätte verschaffen?«

»Wie es sicherer keine zweite gibt. Ich habe einen mächtigen Freund in diesem Walde und in dieser Ruine.«

»Ob er aber auch der meinige ist!«

»Er wurde der meinige nur deshalb, weil er der Deinige ist.«

»Wo ist er zu finden?«

»Das weiß ich nicht; ich werde es aber bald sehen.«

Das Gespräch stockte wieder, bis sie an eine Stelle kamen, von welcher ein zweiter Pfad auf den ersten mündete und dieser nun eine beinahe doppelte Breite gewann. Eben als sie diese Stelle erreichten, traten wohl an die zwanzig wild aussehende Männer aus dem Dickicht hervor. Rabbadah stieß einen Ruf des Schreckes aus.

»Phansegars!« brüllte entsetzt der ihr folgende Reiter.

Er glitt sofort vom Pferde und verschwand in dem wuchernden Gewirre der Schlingpflanzen; die andern Vier folgten schleunigst seinem Beispiele und ließen die Pferde im Stich, um sich nur verbergen zu können. Sie konnten wegen der engen Passage ihre Pferde nicht umwenden, sonst wären sie sicher, anstatt zu laufen, davongeritten.

»Halt!« rief der Vorderste der Männer. »Wer seid Ihr?«

»Freunde,« antwortete Maletti ruhig.

»Beweise es!«

»Hier!«

Er zog den Zahn hervor und zeigte denselben hin.

»Du bist ein Freund. Wer ist dieses Weib?«

»Das kann ich nur Dem sagen, welcher mir dieses Zeichen gab, und zu dem ich jetzt will.«

»Wie heißt er?«

»Er hat mir seinen Namen nicht genannt.«

»Das macht Dich verdächtig. Steigt ab und folgt uns! Ah, zwei Leichen! Was sollen die Kadaver hier?«

»Wir wollen sie hier begraben.«

»Es gibt dazu andere Orte. Uebrigens bist Du ein Ingli oder ein Frankhi, denn bei uns werden die Leichen nicht begraben, sondern verbrannt. Du wirst mir immer verdächtiger. Vorwärts mit Euch!«

Sie wurden von den Phansegars in die Mitte genommen und verfolgten nun den Weg zu Fuße weiter, bis sie an einen von hohem Baumwuchse freien Platz kamen, auf welchem die selbst in ihren Trümmern noch gigantischen Steinkolosse des einstigen Tempels zu erblicken waren.

Man hatte ihnen die Pferde nachgebracht; sie wurden angebunden.

»Kommt weiter!« befahl der Führer.

Er führte sie zwischen riesigen Felsenstücken und Mauerüberresten hindurch nach einem engen Gange, welcher sich unter der Erde fortsetzte. Sie mußten im Dunkeln tappen, bis er halten blieb.

»Wartet hier! Ich weiß nicht ob ich schnell wiederkommen kann!«

Höchstens drei seiner Schritte waren zu hören, dann blieb es still.

»Wenn er uns hier verlassen hat, um nie zurückzukehren!« flüsterte Rabbadah.

»Sorge Dich nicht! Wir sind in guten Händen.«

»Weißt Du dies gewiß?«

»So gewiß, als ich mein Leben tausendmal hergeben würde, ehe ich Dir ein Haar nur krümmen ließe.«

»Aber es sind Phansegars!«

»Ich weiß es.«

»Woher bekamst Du ihr Zeichen?«

»Das darf ich Dir nicht sagen, weil ich geschworen habe zu schweigen. Horch!«

Die Mauer, an welcher sie lehnten, konnte nicht sehr stark sein, denn man vernahm jetzt die Schritte vieler Personen und das Summen ihrer unterdrückten Stimmen. Zugleich ward ein Geruch bemerkbar, welcher demjenigen des Harzes oder des Peches glich. Da erhob sich plötzlich eine laute deutliche Stimme:

»Steig nieder, von den heil'gen Höhen,
Wo in Verborgenheit Du thronst;
Laß uns, o Siwa, laß uns sehen,
Daß Du noch immer bei uns wohnst!
Soll Deines Lichtes Sonne weichen,
Jetzt von Tscholamandelas So wird in Indien die Küste Koromandel genannt. Höhn,
In Dschahlawan So nennt der Indier die Küste Malabar. Dein Stern erbleichen
Und im Verschwinden untergehn?«

Maletti erkannte sofort diese Stimme; es war diejenige des Phansegars, welcher ihm das Zeichen gegeben hatte.

»Das ist der Freund, der Dich und mich beschützen wird,« tröstete er Rabbadah.

Die Stimme fuhr unterdessen fort:

»Spreng Deines Grabes Felsenhülle,
O Kalidah, steig aus der Gruft
Und komm in alter Macht und Fülle
Zum Thuda, der Dich sehnend ruft!
Soll der Brahmane schlafen gehen,
Die Sakundala in der Hand,
Soll er den Zauber nicht verstehen,
Der ihn an Deine Schöpfung band?
Des Himalaya mächt'ger Rücken
Steigt aus dem Wolkenkreis hervor,
Und der Giganten Häupter blicken
Zum Ew'gen demuthsvoll empor.
Ihn preist des Meers gewaltge Woge,
Die an Kuratschis Strand sich bricht,
Und in des Kieles lautem Soge So wird das Geräusch genannt, welches das Kielwasser am Schiffe hervorbringt.
Von ihm erzählt beim Sternenlicht.
Ihn preiset des Suacrong Der indische Tiger. Stimme,
Die donnernd aus der Dschungel schallt,
Wenn er im wilden Siegesgrimme
Die Pranken um die Beute krallt.
Ihn preist des Feuerberges Tosen,
Das jedes Herz mit Graun erfüllt,
Wenn aus dem Schlund, dem bodenlosen,
Das Flammenmeer der Tiefe quillt!«

»Ist dies auch ein Phansegar, ein Mörder?« frug die Begum. »Er spricht wie ein Dichter.«

»Es ist ein Phansegar; er kann wohl weder lesen noch schreiben, und dennoch könnte ein Dichter des Morgen- oder Abendlandes ihn wohl in Beziehung auf die Sprache kaum übertreffen. Horch!«

Es klang weiter:

»Und Herr ist er, vom Eiseslande,
Wo trag zum Meer die Lena zieht,
Bis weithin, wo am Felsenstrande
Der Wilde dem Yahu Yahu ist der Teufel der Neuseeländer. entflieht.
Und Herr bleibt er. Im Sternenheere
Erblickst Du seiner Größe Spur;
Sein Fuß ruht in dem Weltenmeere,
Und sein Gesetz ist die Natur.
Naht auch mit unheilvollen Stürmen
Vom Westen her die Wettersnacht,
Mag immer sich die Wolke thürmen.
Der Hindukoh bricht ihre Macht:
Die matt geword'nen Stürme kräuseln
Mit kühlem Hauch als Abendwind
Des Persermeeres Fluth und säuseln
Durch Pendschabs Fluren sanft und lind.
Wo die Almeah Tänzerin. kaum die Lieder
Der nächtlichen Bhowannie sang,
Tönt in die stillen Ghauts Thäler. hernieder
Der Kriegstrompete heller Klang.
Die duftenden Thanakafelder
Zerstampft der Rosse Eisenhuf;
Der Phansegar flieht in die Wälder
Vor seiner Feinde Siegesruf.
Des Ganges Welle muß sie tragen
Bis hin zu Siwas heil'gem Ort, Benares.
Und ihre Feuerboote jagen
Die Gott geweihten Thiere fort.
Dann wird mit festlichem Gepränge
Von einem andern Gott gelehrt,
Und von der leicht bethörten Menge
Der Mann aus Falesthin Palästina (Christus gemeint). verehrt. –«

Sie konnten nicht weiter hören, denn der Phansegar, welcher sie hier gelassen hatte, kehrte zurück, jedoch aus einer anderen Richtung, als er vorhin eingeschlagen hatte.

»Folgt mir weiter!«

Sie schritten langsam hinter ihm her, bis sie zu einer steinernen Treppe kamen, welche zu einem ähnlichen Gange emporführte. Dieser nahm einen krummen Verlauf und war an seiner Mündung von Rauch erfüllt. Sie traten jetzt in eine bogenartige Erweiterung, von welcher aus, als sich erst das Auge an den Rauch gewöhnt hatte, sie; über eine steinerne Brüstung hinweg in eine sehr bedeutende Tiefe zu blicken vermochten.

»Setzt Euch hier. Und wenn Ihr bei dem was Ihr seht einen Laut ausstoßt, so werdet Ihr hinabgestürzt!« drohte der Führer.

An der Rückwand der Loge zog sich eine lange Steinbank hin, auf welcher etwa zwölf bis fünfzehn Thugs Platz genommen hatten, die jedenfalls sehr bereit waren, dieser Drohung augenblicklich Folge zu leisten.

»Dürfen wir leise mit einander sprechen?« .

»Ja.«

»Dürfen wir auch an die Brüstung treten, um zu sehen, was da unten vorgenommen wird?«

»Das sollt Ihr sogar, damit Ihr erkennt, wie es Euch geht, wenn Ihr nicht unsere Freunde seid, sondern zu den Inglis gehört!«

Maletti trat vor und die Begum folgte seinem Beispiele.

Beide erblickten vor sich einen hohen, weiten, von riesenhaften Steinmauern begrenzten domartigen Raum, an dessen hinterer Decke sich ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort befand. Unten im Schiffe dieses kirchenähnlichen Raumes knieten vor einem steinernen Altare wohl an die zweihundert Männer, von denen jeder eine Fackel trug. Daher der Harzgeruch und Rauch. Diese Männer waren an ihren Waffen sehr leicht als Thugs und meist als Phansegars zu erkennen, denn in ihrer Armirung herrschte das krumme fürchterliche Messer vor.

Zwischen ihnen und dem Altare kauerten vielleicht zwanzig gefesselte Personen, welche alle die englische Uniform trugen. Maletti blickte genauer hin und hätte beinahe vor Ueberraschung den so streng verbotenen Schrei ausgestoßen.

»Siehst Du die Gefangenen?« frug er leise die Begum.

»Ja. Es sind lnglis.«

»Kennst Du sie?«

»Nein.«

»Blicke die Beiden rechts in der vorderen Reihe an, aber – sei vorsichtig und bleibe still!«

Sie machte die Geberde des Erkennens.

»Lord Haftley!«

»Und Rittmeister Mericourt!«

Da trat der Phansegar herbei, welcher sie geführt hatte.

»Ich sehe es Euch an, Ihr habt Gefangene erkannt!«

»Ja.«

»So seid Ihr verloren, denn Ihr gehört zu ihnen.«

»Es sind unsere Feinde!«

»Wohl Euch, wenn es so ist!«

»Wie könnte ich als Euer Feind zu Eurem Zeichen kommen?«

»Du könntest es gestohlen oder geraubt haben.«

»Wäre ich dann zu Euch gekommen?«

Der Mann nickte.

»Aber warum flohen Deine Begleiter, als sie uns erblickten?«

»Sie wußten nicht, was ich hier wollte. Oder willst Du, daß ich Euer Geheimniß einem Jeden mittheile?«

»Du hast Recht.«

Er zog sich sichtlich zufriedengestellt wieder zurück.

Drunten auf dem Altare stand der Phansegar, von welchem Maletti das Zeichen erhalten hatte. Seine Rede war nun beendet. Die Beiden hatten sie jedenfalls deshalb so genau vernommen, weil sie gerade jenseits der hinter ihm gelegenen Wand gesessen hatten.

Er gab ein Zeichen mit der Hand, und alle Thugs erhoben sich.

»Die Lehrlinge vor!« gebot er.

Drei Männer traten bis an den Altar heran.

»Ihr sollt heut Euren ersten richtigen Streich vollführen. Habt Ihr Euch fleißig an Puppen geübt?«

»Ja!« erscholl es aus drei Kehlen.

»So zeigt, was Ihr gelernt habt!«

Einer der Gefangenen wurde ergriffen und vor den Altar geführt. Der erste Neuling trat zu dem von drei Thugs festgehaltenen Mann heran und that, als wolle er ihm in das Gesicht blicken. Im Nu aber blitzte das verborgen gehaltene Messer, und der Kopf des Opfers rollte zu Boden.

Im Augenblicke des tödtlichen Streiches faßte Alphons die Begum am Arme, und das war sehr wohl berechnet, denn sie hätte bei dem Anblicke dieses Mordes sicher einen Schrei nicht unterdrücken können.

»Ich muß mich setzen,« flüsterte sie.

»Und ich halte hier aus,« antwortete Maletti. »Es ist wohl das erste Mal, daß es einem Europäer vergönnt ist, einem solchen Opfer der Thugs zuzuschauen, und ich bin es der Civilisation schuldig, daß ich mir die Fähigkeit erwerbe, ein vollgiltiger Zeuge dieser höllischen Schauspiele zu sein.«

Und er hielt aus!

Es dauerte wohl an zwei Stunden, ehe er zum Sitz zurücktrat, und während dieser Zeit hatte mancher gräßliche Schmerzensschrei und manches entsetzliche Todesröcheln den Weg zu der hohen Loge gefunden. Es gehörte dies nur zu hören die muthige Seele der Begum dazu.

Da endlich erhob sich ihr Führer wieder.

»Jetzt hat der Meister Zeit. Kommt!«

Er führte sie einen Gang entlang, welcher immer bergab zu gehen schien und sie endlich wieder in das Freie führte. Auf einem sich ähnlich wie vorhin zwischen Felsenstücken durchwindenden Pfade gelangten sie von der andern Seite des Tempels wieder zu den Pferden.

»Warum hast Du uns nicht hier gelassen? Warum mußten wir Dir in den Tempel folgen?« frag Alphons.

»Weil ich dachte, der Meister würde noch nicht begonnen haben, und weil ich Euch zugleich prüfen wollte. Doch da kommt er!«

Der Meister kam in Begleitung von wohl zwanzig seiner Untergebenen. Er erkannte den Lieutenant genau.

»Du hier? Ich hörte, daß ein Mann und ein Weib mich zu sprechen begehrten, aber daß Du es seist, dachte ich nicht, da das Zeichen nicht auf der Stufe gefunden wurde.«

»Deine Leute nahmen uns gefangen, noch ehe wir den Tempel erreichten.«

»Kommst Du in einer Absicht?«

»Ja. Ich möchte Dir eine Bitte vorlegen.«

»Eine Bitte? Dem Phansegar? Sprich!«

»Siehe Dir einmal diese Todten an!«

Er nahm dem Leichnam das Tuch vom Gesichte. Der Phansegar trat hinzu, fuhr aber sofort zurück.

»Madpur Singh, der Maharajah! Wer hat ihn getödtet? Du kommst, um Rache zu verlangen, und ich schwöre Dir, daß Du sie erhalten sollst!«

»Siehe Dir diese Leiche an!«

»Wer ist diese schöne Frau?«

»Das Weib, das Glück des Maharajah. Man hat sie an seiner Seite ermordet.«

»Das soll zehnfach gerochen werden! Und wer ist das Weib hier an Deiner Seite?«

Die Prinzessin lüftete den Shawl, welcher ihr Gesicht verhüllte, ein wenig.

»Ich bin Rabbadah, die Begum von Augh.«

»Die Begum! Männer, schnell, kniet nieder und küßt den Saum ihres Gewandes! So! Und nun sage, wer hat den Maharajah und sein Weib erschlagen?«

»Wir kennen den Mörder nicht,« antwortete Rabbadah.

»Es geschah gestern Abend während der Eroberung von Augh.«

»Der – Eroberung – von – Augh?«

Er sprach jedes nachfolgende Wort mit größerer Verwunderung als das vorhergehende.

»Ja.«

»Träume ich denn? Ist Augh erobert worden?«

»Ja.«

»Und wenn?«

»Gestern oder vielmehr heut kurz nach Mitternacht.«

»Unmöglich! Am Nachmittage war die Schlacht bei Hobrah, und die Inglis können unmöglich am Abende in Augh gewesen sein, zumal ich ihre Anführer gefangen nahm, um sie für den Verrath an dem Maharajah zu züchtigen!«

»Die Inglis waren es nicht; es war der Sultan von Symoore.«

»Dieser hat Augh überfallen?« frug der Meister erstaunt.

»Ja.«

»So ist er der Mörder des Maharajah, gleichviel, wer den Streich geführt hat! Ich habe am Abende die Inglis gefangen und während der Nacht hierher transportirt. Ich glaubte dem Maharajah durch den Schreck zu nützen, welcher in ihrem Lager ausgebrochen ist, sobald sie ihre Anführer vermißt haben. Und nun steht es so! Augh gehört dem Sultan von Symoore!«

»Und wohl auch dem Rajah von Kamooh, welcher gestern Abend bereits im Anzüge war.«

»Auch dieser! So ist auch er der Mörder unseres Maharajah. Sie sollen es büßen! Welche Bitte hast Du nun?« frug er den Offizier, und dann setzte er, sich an die Begum wendend, hinzu: »Was Du befiehlst, Sahiba, das wird geschehen!«

»Ich bitte Dich zunächst um Aufbewahrung dieser beiden Todten.«

»Willst Du sie nicht verbrennen?«

»Kann ich sie jetzt verbrennen in der Art und Weise, wie es dem Maharajah von Augh geziemt!«

»Du kannst es, jetzt noch besser als früher oder später.«

»Wie? An welchem Orte und zu welcher Zeit?«

»Das überlasse mir, Sahiba! Und was befiehlst Du noch?«

»Weißt Du nicht einen Ort, an welchem ich und dieser treue Beamte meines Bruders einige Zeit uns verbergen könnten? Man trachtet ihm und mir nach dem Leben.«

»Kommt!« antwortete er ohne sich zu besinnen.

Er führte Beide um den Tempel herum und mitten in den Wald hinein. Nach ungefähr zehn Minuten standen sie vor einer zweiten, aber ungleich besser erhaltenen Ruine.

»Du warst bisher nur im Vorhause, Sahiba,« erklärte er. »Hier ist der eigentliche Tempel. Meine Leute kennen Einzelnes von ihm, ganz aber ist er nur mir und meinem Sohne in Augh bekannt. Dieser war gestern nicht bei mir. Wenn er nicht mehr lebt, dann wehe seinen Mördern!«

Sie stiegen zu einem wohl hundert Ellen breiten Portikus hinan und traten ein in das kolossale Denkmal der Baukunst einer Zeit, welche um Jahrtausende hinter der Gegenwart hegt. In diesen mächtigen Räumen mußten sie sich wie Ameisen vorkommen, welche sich in den Kölner Dom verirren.

Der Meister hatte keine Zeit, sich mit Erklärungen aufzuhalten. Er ging im schnellen Schritte voran, die Beiden folgten ihm bis zum Hauptaltar. Hier stampfte er mit dem Fuße, und es öffnete sich gleich einer Thüre eine Steinplatte, hinter welcher eine Treppe sichtbar wurde.

»Dort oben wird Eure Wohnung sein. Merkt Euch also diese Mechanik. Hier stampfe ich zum Oeffnen und hier zum Schließen, und hinter der Thür auf der ersten Stufe zum Oeffnen und auf der zweiten zum Schließen. Nun folgt mir hinauf!«

Als sie die Treppe betreten hatten, stampfte er auf die zweite Stufe, und sofort schloß sich die Thür hinter ihnen. Sie stiegen eine ganze Flucht von Treppen empor und traten dann in einen hell erleuchteten Gang, in welchen der Reihe nach zwölf Thüren mündeten, deren Oeffnungen durch Matten gleich Portièren verschlossen waren.

»Das sind jedenfalls die Wohnungen der Priester gewesen,« erklärte er. »Befiehl, Sahiba, wie viele Räume Du haben willst. Die andern gehören Deinem Musteschar.«

»Laß erst sehen!« bat sie.

Sie traten ein und hatten nun zwölf Zimmer zu bewundern, von denen jedes einzelne nach chinesischer, malayischer, indischer oder europäischer Weise so eingerichtet war, daß sich kein Fürst zu bedenken brauchte, darin zu wohnen.

Die Begum schlug die Hände zusammen.

»Welche Pracht! Wer hat diese Räume ausgestattet?«

»Ich,« antwortete der Meister mit Selbstgefühl.

»Aber für wen?«

Er lächelte.

»Es kommt mich zuweilen auch der Wunsch an, wie ein Sahib zu wohnen. Ich bin der Maharajah der Thugs von Augh! Es kommen nicht selten sehr vornehme Sihdis und Sahibas zu mir, theils in Geschäften, theils um sich, wie Ihr, ein wenig zu verbergen. Da muß ich Wohnungen haben, welche für solche Leute geeignet sind.«

»Dann mußt Du auch wohl für Bedienung sorgen?«

Er lächelte wieder sehr selbstbewußt und zeigte auf ein kleines Metallbecken, welches mit seinem Hammer neben dem Eingange hing.

»Sahib, gib einmal ein Zeichen!«

Maletti ließ den Hammer einmal auf das Metall fallen, und im nächsten Augenblicke trat ein sehr reinlich gekleideter Knabe ein, der sich mit gekreuzten Armen bis fast zum Erdboden verbeugte.

»Gib zwei Zeichen, Sahib!«

Maletti that es, und augenblicklich erschien ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches ganz in derselben Weise grüßte.

»Gib drei Zeichen!«

Jetzt erschien ein Weib in den mittleren Jahren, deren rundes Gesicht ein recht Vertrauen erweckendes genannt werden mußte.

»Gib vier Zeichen, Sahib!«

Dieses Mal trat ein Mann von eben demselben Alter ein und grüßte. Sein Gesicht hatte einen recht freundlich-pfiffigen Ausdruck. Man sah es ihm an, daß er auch schwierige Aufträge gern und mit Gewissenhaftigkeit auszuführen bereit sei.

»Das ist die Bedienung,« erklärte der Meister, auf dessen Wink sich die Vier wieder entfernten. »Ihr kennt die Zeichen und werdet Euch ihrer nach Belieben bedienen. In jedem Zimmer ist Schreibzeug. Braucht Ihr etwas Besonderes, so ist es gut, dies immer aufzuschreiben und den Zettel am Abende zu übergeben.«

»Wann bist Du gewöhnlich zu sprechen?«

»Das kannst Du jeden Tag von der Bedienung erfahren, Sahiba. Mein Tag verläuft nicht ganz so regelmäßig wie der Tag eines Brahmanen, und jetzt, während das Land dem Feinde gehört, wird das noch ein wenig schlimmer werden. Welche Zimmer nimmst Du?«

»Wir werden uns theilen: ich sechs und der Sahib sechs.«

»Ich brauche nur ein einziges,« warf Maletti ein.

»Ich auch nicht mehr,« antwortete sie lächelnd; »aber da zwölf da sind, so wollen wir thun, als ob wir auch Sihdis seien.«

»Und mein Pferd?« frug Alphons.

»Deine sieben Pferde stehen unten im Stalle und werden gute Pflege finden, Sahib.«

»Hast Du nach den Namen der Inglis gefragt, welche ich vorhin im Tempel gesehen habe?«

»Ja.«

»War ein Lieutenant Harry dabei?«

»Nein.«

»Das beruhigt mich. Er war ein braver Kamerad und hätte mich gedauert. Wird heut einer von Deinen Leuten nach Augh gehen?«

»Sehr viele.«

»So laß nach Allem forschen, was zu erfahren uns lieb sein könnte!«

»Und,« fügte die Begum hinzu, »laß im Frauengarten des Palastes nachsehen, ob das Kiosk noch steht. Was Du für uns thust, werde ich Dir reichlich lohnen.«

Er wehrte mit der Hand ab.

»Sprich nicht von Lohn! Eine That, die um des Lohnes willen geschieht, ist nur eine Arbeit, aber keine gute That. Ich werde Deinen Befehlen gehorchen und auch nach dem Kiosk sehen; denn« – fügte er mit Bedeutung hinzu – »was er verbirgt, darf nicht in die Hände des Feindes fallen.«

Sie blickte ihn überrascht an.

»Was er verbirgt –? Was meinst Du?« j

Ein leises aber stolzes Lächeln ging über sein Gesicht.

»Der Phansegar weiß mehr als Andere. Er erkundet das Verborgene und enthüllt die Geheimnisse seiner Feinde und seiner Freunde. Die Ersteren müssen fallen, das Eigenthum der Letzteren aber behütet er mit seiner Hand, und sein Auge wacht über ihrem Leben. Und wenn der Kiosk zerstört wäre, Du würdest dennoch wieder bekommen, was Dir gehört.«

Er verließ den Raum und begab sich auf dem bereits bekannten Wege nach der vorderen Ruine zurück. Dort lag Madpur Sings Leiche im Schatten einer Mauer. Bei ihr hielten etliche Thugs die Wache. Er redete den einen von ihnen an:

»Lubah, Du warst in Symoore?«

»Ja.«

»Kennst Du den Sultan?«

»Ich war unter seinen Reitern und kenne ihn genau.«

Er wandte sich an den andern:

»Du warst in Kamooh?«

»Viele Jahre.«

»Und kennst den Rajah, der jetzt in Augh eingefallen ist?«

»Ich kenne ihn.«

»So hört, was ich Euch sage: Hier liegt der Fürst unseres Landes. Er war weise, gütig und gerecht; er wurde von seinen Feinden verrathen und starb unter ihren Streichen. Seine Seele soll aufsteigen zu dem Gotte des Lebens und des Todes, und dort sollen ihm dienen die Geister seiner Feinde von Ewigkeit zu Ewigkeit. Morgen, wenn die Sonne aufsteigt aus dem Schooße der Nacht, soll das heilige Feuer zusammenschlagen über seinem Leibe, und mit ihm wird es verzehren die Körper der Verräther, der Inglis, welche wir heute richteten, des Sultans von Symoore und des Rajah von Kamooh. Wißt Ihr nun, was ich Euch befehlen werde?«

»Wir wissen es,« antworteten die Beiden mit einem Gleichmuthe, als ob es sich um eine leichte gewöhnliche Handlung, und nicht um eine lebensgefährliche verwegene That handele.

»Ihr sollt den Sultan und den Rajah zu mir bringen, todt oder lebendig.«

»Wir werden es!«

»Der Phansegar scheut weder Qual noch Tod; aber ihr seid meine beste Söhne, die ich nicht gern verlieren mag. Nehmt Euch also so viele Brüder mit, als Ihr bedürft, um Eure Aufgabe zu lösen, ohne daß es Euer Leben kostet.«

Die Augen dessen, den er Lubah genannt harte, blitzten muthig auf.

»Ich brauche keinen Bruder!«

»So gehe! Ich weiß, Du wirst den Sultan bringen.«

»Gib mir ein Pferd.«

»Nimm das beste, welches Du findest.«

»Ich kann nur das Schlechteste gebrauchen, denn ich werde es verlieren.«

Lubah wandte sich ab und suchte das Innere des einstigen Tempels auf. In einem niedrigen aber weiten Räume stand eine beträchtliche Anzahl von Pferden, von denen einige bereits gesattelt waren. Er wählte sich ein ungesatteltes, führte es in das Freie, setzte sich auf und ritt davon.

Die Art und Weise, wie er auf das Pferd gesprungen war und jetzt ohne Zaum und Zügel das Thier nur durch den Schenkeldruck regierte, ließ in ihm einen ausgezeichneten Reiter vermuthen. Der alte Fuchs unter ihm schien mit einem Male wieder jung geworden zu sein, und der Reiter zeigte eine solche freie leichte Haltung, als ob es ein so schwieriges Terrain, wie der schmale, viel gewundene Waldpfad bot, gar nicht gebe.

In kurzer Zeit lag der Wald hinter ihm, und nun auf dem freien Felde kam er noch bedeutend schneller vorwärts als zuvor. Wenn er so fortritt, mußte er Augh sehr bald erreichen. Doch er hielt nicht in gerader Linie auf diese Stadt zu, sondern er schlug einen Bogen ein, der ihn um dieselbe herum bringen mußte. Jedenfalls beabsichtigte er vorher zu rekognosziren, ehe er einen entscheidenden Schritt unternahm.

Es war gegen Abend desselben Tages. Der Sultan von Symoore hatte sein Hauptquartier in der immer noch rauchenden Stadt aufgeschlagen und für sich und seine nächste Umgebung fürs Erste den vom Feuer beinahe zerstörten Palast des getödteten Maharajah eingenommen. Er saß auf dem unversehrt gebliebenen Throne, auf welchem Madpur Singh die Engländer empfangen hatte, und um ihn her standen oder lagerten die Großen seines Reiches, dessen Verwaltung er in die Hände seines Veziers gelegt hatte, und die Obersten seines Kriegsheeres.

Zahlreiche Boten kamen und gingen, ihm Nachricht zu bringen oder seine Befehle zu vollziehen, und für diejenigen, welche sich der Pferde bedienen sollten, stand eine Anzahl dieser Thiere im Hofe des Palastes bereit.

Durch das Thor trat ein Mann, der sich langsam dem Throne näherte. Es war Lubah, der Phansegar. Schon machte er eine Wendung, um zu dem Sultan zu gelangen, als eine kleine Truppe von Reitern in den Hof einbog und vor den Stufen der Säulenhalle hielt, in welcher der Thron stand. Ihre Uniform kennzeichnete sie sofort als Engländer. Ihr Anführer, ein Colonel, Oberst. stieg ab und näherte sich dem Sultan in jener selbstbewußten Haltung, welche der britische Offizier selbst den höchsten indischen Fürsten gegenüber einzuhalten pflegt.

Der Sultan runzelte die Brauen.

»Wer bist Du?« frug er in halb zornigem Tone.

»Mein Name ist Brighton, Colonel Brighton vom Heere Ihrer Majestät von England und Indien.«

»Was willst Du hier?«

»Ich bringe Dir zwei wichtige Botschaften.«

»Sage sie.«

»Der Oberstkommandirende unserer Armee, General Lord Haftley, ist nebst mehreren der wichtigsten Offiziere seit dem Kampfe bei Hobrah spurlos verschwunden, und unsere Nachforschungen haben ergeben, daß er einer Bande Thugs in die Hände gefallen sein muß – –«

Er wollte weiter sprechen, doch der Sultan, dessen Stirn sich plötzlich glättete, unterbrach ihn:

»Und die zweite Botschaft?«

»Ich war im Lager des Maharajah von Kamooh, wo große Aufregung herrschte. Der Rajah ritt mit seinem Sirdar General. aus dem Lager, um einen kurzen Ritt um dasselbe zu unternehmen. Nach einiger Zeit fand man den Sirdar todt am Boden liegen, der Rajah aber ist nicht wieder zurückgekehrt.«

Die Züge des Sultans nahmen beinahe den Ausdruck der Freude an. Es wurde ihm schwer die Gefühle zu verbergen, welche er bei der Nachricht empfand, daß diese zwei gefährlichen Rivalen verschwunden seien.

»Allah ist groß!« rief er: »Er sendet Tod und Leben nach seinem Wohlgefallen. Was hast Du mir noch zu sagen?«

»Ich komme im Auftrage des Nächstkommandirenden. Du mußt uns helfen, die Thugs zu ergreifen und sie zu bestrafen!«

Der Sultan lächelte überlegen.

»Ich muß?« frug er, das letzte der beiden Wörter scharf betonend. »Du bist ein Christ und kennst unsern heiligen Kuran nicht. Der Prophet sagt: »Des Menschen Wille ist seine Seele, und wer seinen Willen dahingibt, der hat seine Seele verloren.« Der Sultan von Symoore hat noch niemals gemußt, er hat stets nur das gethan, was ihm beliebte. Aber Ihr seid meine Freunde, und ich werde Euch daher freiwillig helfen die Thugs zu ergreifen. Doch sage mir vorher wo sie sich befinden.«

»Das wissen wir nicht, und das sollst Du uns eben auskundschaften.«

»So hält mich Dein General für seinen Spion und Polizisten? Ihr seid sehr fremd in diesem Lande, und daher will ich thun, als ob ich diese Beleidigung gar nicht gehört hätte. Aber sage sie nicht noch einmal, sonst lasse ich Dich von meinen Dienern niederschlagen!«

Der Oberst legte die Hand an den Degengriff.

»Ich bin als Abgesandter meiner Königin unverletzlich und stehe unter dem Schutze des Völkerrechtes.«

»Du irrst. Du bist nur Abgesandter Deines Generales und stehest nur so lange unter dem Schutze Eures Völkerrechtes, als Du mich nicht beleidigst. Merke Dir das! Der Maharajah von Kamooh ist verschwunden. Weißt Du, wohin?«

»Nein.«

»Ich ahne es.«

»Sage es!«

»Das werde ich nicht thun, sonst beleidige ich Euch und entferne mich auch aus dem Schutze Eures Völkerrechtes.«

Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, aus welchem deutlich zu hören war, daß der Sultan die Vermuthung hege, die Engländer hätten den Maharajah verschwinden lassen. Der Oberst legte die Hand zum zweiten Male an den Degen.

»Die Beleidigung ist bereits geschehen, denn Du hast deutlich genug gesprochen!«

»Du irrst wieder, denn ich habe nichts gesagt, aber man hat mir erzählt von mehreren Fürsten, die bei Euch und in Eurer Nähe verschwunden sind. Daher scheint es mir nicht gut zu sein, in Eure Nähe zu kommen.«

»Damit sind wir gern einverstanden, und ich ziehe daraus die Ueberzeugung, daß Du dem Befehle, welchen ich Dir zu überbringen habe, Folge leisten wirst.«

»Befehl? Wer könnte es wagen, dem Sultan von Symoore einen Befehl zu ertheilen?«

»Ich!«

»Du?« Der Sultan überflog die Gestalt des Engländers mit einem Blicke, in welchem ebensoviel Verachtung wie Mitleid zu erkennen war.

»Ja, ich! Und zwar im Auftrage meines Generales.«

»So hat die Sonne Dein Gehirn und auch das seinige verbrannt. Ihr seid Beide wahnsinnig geworden!«

»Du bist ein Anhänger der Lehre Muhammeds, und ich weiß, daß diese Lehre den Wahnsinnigen nicht verachtet, sondern ihn selig preist. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich Dir meine Antwort in der That und nicht in Worten geben!«

»Ich fürchte weder Deine Worte noch Deine Thaten. Welches ist der Befehl, den ich so glücklich bin von Dir empfangen zu sollen?«

»Du sollst Augh räumen, weil wir unser Hauptquartier hier aufschlagen werden.«

»Gott ist groß, und die Welt ist weit. Sie hat Platz für uns und Euch. Schlagt Euer Hauptquartier auf wo Ihr wollt; in Augh aber bin ich und werde es nicht eher verlassen, als bis es mir beliebt.«

»Ist dies Deine feste Entscheidung?«

»Sie ist es.«

»Du willst also dem Befehle des Generals den Gehorsam versagen?«

»Ich habe ihm keinen zu leisten.«

»Denke an Deine Unterschrift!«

»Denkt Ihr an die Eurige. Ich bleibe.«

»Du sündigest gegen die Bedingungen, welche Du eingegangen bist.«

»Ihr selbst habt diese Bedingungen nicht erfüllt, denn nicht Ihr habt Augh erobert, sondern ich habe es gethan.«

»Weißt Du, welche Folgen Deine Weigerung für Dich und die Deinigen haben wird?«

»Ich werde sie ruhig abwarten.«

»Und Du willst uns nicht helfen, die Thugs aufzusuchen?«

»Sage mir, wo sie sind, dann werde ich Euch beistehen, sie zu fangen und zu bestrafen.«

»So bin ich fertig und kann gehen.«

»Du kannst gehen. Allah lenke Dich und Deine Schritte, damit Du nicht strauchelst!«

Der Offizier stieg zu Pferde und verließ mit seinen Begleitern in möglichst stolzer Haltung den Hof.

Lubah hatte Wort für Wort der Unterhaltung gehört. Der Vezier des Maharajah von Kamooh war getödtet und der Rajah selbst verschwunden. Der andere Phansegar hatte also bereits seinen Streich glücklich ausgeführt. Jetzt gab es kein Zögern mehr. Lubah schritt die Stufen zur Halle empor und warf sich dann auf den Boden nieder.

»Wer bist Du?« frug streng der Sultan.

»Herr, laß Deine Augen auf mich leuchten, so wirst Du den gehorsamsten und treuesten Deiner Diener erkennen!«

Er erhob den Kopf ein wenig, so daß ihm der Sultan in das Gesicht zu blicken vermochte. Der Herrscher erkannte, ihn jetzt.

»Lubah, der beste meiner Suwars!« Reiter. rief er. »Ich hielt Dich für todt. Warum hast Du mich verlassen?«

»Ich habe Dich nicht verlassen, Herr. Ich wurde von Deinen Feinden gefangen genommen und in das Land der Usufzeys Führerin, Königin. geführt. Dort hielt man mich fest; bis ich den Seyud Afghanenhäuptling. tödtete und entkam.«

»Ich glaube Dir. Aber warum kehrtest Du nicht zu mir zurück?«

»Um nach Symoore zu kommen, mußte ich durch Augh. Hier wurde ich krank, denn ich hatte während der Gefangenschaft sehr viel gelitten, und konnte also nicht weiter. Aber mein Herz ist Dir treu geblieben, meine Augen sind auch hier für Dich offen gewesen, und da Du nach Augh gekommen bist, nahe ich mich Dir, o Herr, um Dir zu beweisen, daß ich Dir stets treu ergeben war.«

»Du willst mir Deine Treue beweisen? Deine Augen sind für mich offen gewesen? Wenn ich Dich recht verstehe, so willst Du mir etwas mittheilen, was Du gesehen oder erfahren hast?«

»Herr, Du bist groß, Du erräthst die Gedanken meiner Seele.«

»So sprich!«

»Ich darf nur dann sprechen, wenn allein Deine Ohren mich hören.«

»Stehe auf und tritt näher zu mir heran!«

Lubah gehorchte und begann mit so gedämpfter Stimme, daß nur der Sultan seine Worte verstehen konnte:

»Herr, Du bist mächtig und reich, aber der Maharajah von Augh war noch reicher als Du – –«

Augenblicklich nahm das Gesicht des Sultans den Ausdruck der höchsten Spannung an.

»Rede weiter!« gebot er mit einer Stimme, die so freundlich klang, als ob er mit dem vertrautesten seiner Freunde rede.

Lubah fuhr fort:

»Wie reich der Maharajah war, weiß nur ich genau.«

»Warst Du sein Schatzmeister?« trug der Sultan mit wohlberechnetem Spotte.

»Nein. Er hatte keinen Schatzmeister, denn er brauchte keinen solchen.«

»Warum?«

»Seine Schätze bedurften nicht der Bewachung, denn kein Mensch außer ihm und der Begum wußte, wo sie sich befanden.«

»Allah ist groß, und Du sprichst die Wahrheit. Ich habe überall gesucht und nichts gefunden. Aber rede weiter!«

Seine Augen blitzten und seine Lippen bebten bei dem Gedanken an den unermeßlichen Reichthum, den man Madpur Singh zugeschrieben harre, und der doch nicht aufzufinden gewesen war. Er begriff, daß sich die Mittheilungen Lubahs auf das Versteck dieser Schätze bezogen, und bebte vor Begierde, Aufklärung zu erhalten.

»Muß ich Alles sagen?« frag der Phansegar, welcher sich Mühe gab, den habsüchtigen Sultan auf die Folter zu spannen.

»Alles. Ich gebiete es Dir.«

»Ich war krank und mußte, um meine Glieder zu stärken, viel im Flusse baden. Ich that dies am Liebsten am Abende, weil am heißen Tage das Licht meinem Auge und die Wärme meinem Kopfe Schmerzen bereitete. Einst lag ich spät um Mitternacht am Ufer, um vom Schwimmen auszuruhen. Da kam ein großes Boot den Fluß herab und legte ganz in meiner Nähe an. Zuerst stieg ein Naib Lieutenant. mit mehreren Dschuwans Diener. aus und dann ein Sahib mit einem verschleierten Weibe. Der Sahib war Madpur Singh, der Maharajah von Augh, und das Weib war Rabbadah, die Begum – – –«

»Allah il Allah,« unterbrach ihn der Sultan; »Du hast die Begum gesehen, das schönste Weib der Erde, welches kostbarer noch ist als alle Schätze des Rajah?«

»Ich habe sie gesehen, erst verschleiert und dann auch ohne Hülle, wie der Selige im Paradiese die Houris der sieben Himmel erblickt.«

»Und sie war wirklich so schön, wie man sich erzählt?« frug der Sultan begierig.

»Noch tausendmal schöner! Als ich ihr Angesicht erblickte, war es mir trotz der Nacht, als ob ich in die helle strahlende Sonne schaute.«

»Und diese Sonne ist verschwunden!«

»Ich weiß, wohin.«

»Ha, ist es wahr, daß Du dieses weißt?«

»Ich rede die Wahrheit, o Herr.«

»Wo ist sie? Wenn Du es mir sagen kannst, will ich Dich belohnen, daß Du reich wirst für Dein ganzes Leben. Aber in meine Hände, in mein Harem muß sie kommen; verstehst. Du?«

»Ich verstehe es, und Du sollst sie haben auch ohne daß Du mir Reichthümer gibst.«

»Ich gebe sie Dir, das schwöre ich Dir bei Allah und dem Barte des Propheten.«

»Ich brauche sie nicht, denn –« und die folgenden Worte stieß er mit wichtiger selbstbewußter Miene, aber nur ganz leise flüsternd hervor – »denn wenn ich nur will, so sind die ganzen Schätze des Maharajah Madpur Singh sofort mein Eigenthum.«

»Wie? Dein Eigenthum?« frug der Sultan mit nicht beherrschter Hastigkeit.

»Ja.«

»So kennst Du den Ort, an welchem sie der Maharajah verborgen hat?«

»Ich kenne ihn; ich kenne ihn so genau wie die Stelle, an welcher ich jetzt stehe.«

»Wo ist er? Diese Schätze gehören nicht Dir, sondern mir. Ich habe Augh erobert, und Alles, was sich in diesem Lande befindet, ist mein rechtmäßiges Eigenthum.«

»Bedenke, Herr, daß Du nicht allein nach Augh gekommen bist! Die Leute von Kamooh sind da und auch die Inglis. Wer nun ist der Besitzer des Landes Augh?«

»Ich, denn die Hauptstadt befindet sich in meinen Händen.«

»Die Hauptstadt, aber nicht der Schatz, denn dieser befindet sich außerhalb der Stadt.«

»Wie? Außerhalb der Stadt? Das wäre ja ein großes Wagniß, eine große Unvorsichtigkeit von dem Maharajah gewesen. Hast Du die Wahrheit gesprochen?«

»Die volle Wahrheit, Herr. Soll ich Dir meine Geschichte noch weiter erzählen?«

»Thue es!«

»Als der Rajah ausgestiegen war, begab er sich mit der Begum nach einem Orte, den ich Dir vielleicht noch zeigen werde, und die Andern folgten ihm. Sie hatten Hacken und Spaten bei sich; sie gruben und bauten ein Versteck und verbargen dort viele Kisten und andere Dinge, welche sich in dem Boote befunden hatten.

Es war der Schatz des Königs von Augh. Sie verwischten sorgfältig alle Spuren und warfen alles übrig gebliebene Land in den Fluß. Während dieser Arbeit begab sich der Rajah allein in das Boot; ich lag ganz in der Nähe und konnte ihn deutlich beobachten. Ich bemerkte einen Feuerfunken, welcher nur für einen Augenblick blitzschnell in seinen Händen aufleuchtete; dann kehrte er wieder zu den Leuten zurück. Ich ahnte, was er gethan hatte. Der Naib und die Dschuwans wußten wo der Schatz lag, und sollten deshalb sterben, um nichts verrathen zu können. Er wollte sie mit dem Boote in die Luft sprengen. Sage mir, Herr, ob es meine Pflicht gewesen wäre, sie zu warnen!«

»Nein. Du hättest Dich verrathen und wärest selbst in große Gefahr gekommen.«

»So dachte ich auch, und darum blieb ich ruhig ah meinem Orte liegen.

»Steigt ein, und fahrt zurück!« gebot der Maharajah. Sie gehorchten, und er blieb mit der Begum am Ufer stehen. Kaum hatte sich das Boot eine Strecke weit entfernt, so blitzte es an seinem Borde auf, ein heftiger Knall ertönte, eine Feuersäule stieg empor und ich hörte die Trümmer des Bootes und der zerrissenen Leichen in das Wasser schlagen. Die That war geglückt, und der Maharajah glaubte, daß das Geheimniß ihm und der Begum von jetzt an allein gehöre.«

»Hast Du es treu bewahrt?«

»Du bist der Erste, zu dem ich davon rede.«

»Was willst Du dafür haben, daß Du mir das Versteck der Schätze zeigest?«

»Herr, ich bin Dein Diener und will nur von Deiner Gnade leben. Gib mir was Du willst. Ich fordere nichts, wenn nur Dein Auge freundlich auf mir ruht.«

»Lubah, Du bist der treueste und der beste unter Allen, die mir dienen: Du sollst groß sein in den Ländern Augh und Symoore. Aber sage mir, wo ist die Begum? Sie ist meinen Kriegern entkommen. Ein kühner Mann hat sie entführt.«

»Du sollst sie sehen und in Deinen Harem bringen. Sie ist versteckt bei einem Gurkha, Hirte. der zu meinen Freunden gehört und bei dem ich sie bereits heimlich beobachtet habe. Befiehl, o Herr, wann ich Dir den Ort des Schatzes zeigen soll!«

»Morgen, denn heut ist es zu spät dazu.«

»Und die Inglis –«

»Was meinest Du?«

»Waren sie nicht soeben hier, um die Hauptstadt von Dir zu fordern? Sie stellen dieses Verlangen nur deshalb, weil sie wissen, daß der Maharajah unermeßliche Reichthümer besessen hat, von denen sie denken, daß sie sich in Augh befinden. Ihre Gesandten sind zornig von Dir gegangen, und ich glaube, morgen werden ihre Krieger hier sein, um Dir Augh zu nehmen.«

»Sie mögen kommen und es versuchen!«

»Aber bei diesem Versuche kann Dir, selbst wenn Du siegest, der Schatz verloren gehen. Im Frieden bleibt er sicher unentdeckt, aber wenn diese Gegend zum Schlachtfelde wird, so kann ich dann für mein kostbares Geheimniß nicht mehr Bürgschaft leisten.«

Der Sultan mußte diesen Grund anerkennen; er neigte zustimmend seinen Kopf. »Du hast Recht, ich muß den Ort noch heute sehen. Befindet er sich weit von hier?«

»Von diesem Palaste aus erreichst Du ihn auf einem schnellen Pferde in einer Viertelstunde. Der Abend bricht bereits herein, Du mußt Dich schnell entschließen.«

»Was räthst Du mir? Soll ich den Schatz sofort holen oder liegen lassen?«

»Denkst Du, daß er hier im Lager sicher ist?«

»Nein.«

»So laß ihn noch liegen. Es genügt, den Ort zu kennen, um im Falle eines Kampfes Deine Maßregeln so zu treffen, daß der Feind von ihm abgehalten wird.«

»Ich stimme Dir bei. Nimm Dir dort ein Pferd, wir brechen sofort auf.«

Lubah wandte sich ab und begab sich zu den Pferden. Keine Miene seines Gesichtes verrieth seine große Freude über das Glück, welches ihn bei seinem gefährlichen Vorhaben bisher begleitet hatte. Wie treulos, verbrecherisch und furchtbar dieses Vorhaben war, das ließ ihn gleichgiltig. Er war ein Phansegar, ein Todesfanatiker, dessen Glaube ihm gebietet, durch möglichst viele Mordthaten sich die Seligkeit des Himmels zu erringen, und nach seiner Meinung war das Attentat auf den Sultan nichts weiter als ein großer Fortschritt auf dem schrecklichen Wege zu dieser Seligkeit.

Nach einiger Zeit und nachdem er für die Zeit seiner Abwesenheit die nöthigen Befehle ertheilt hatte, bestieg der Sultan ein kostbar aufgezäumtes Roß, welches ihm vorgeführt wurde, winkte Lubah an seine Seite und verließ mit ihm den Hof. Ein kleiner Trupp Suwars Reiter. folgte als Bedeckung, hielt sich aber eine ziemliche Strecke hinter dem Gebieter zurück.

Der Weg führte zunächst durch einige Straßen der Stadt und dann durch verschiedene Haufen von Reiterei und Fußvolk über das freie Feld hinweg. Alle Leute, an denen der Ritt vorüberging, warfen sich demüthig zur Erde. Unterdessen senkte sich der Abend mit der jenen Gegenden eigenthümlichen Schnelligkeit zur Erde nieder, so daß die Suwars die Entfernung zwischen sich und dem Sultan verminderten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren und jedem seiner Befehle oder Winke sofort gehorsam sein zu können.

Lubah hatte einen spitzen Winkel auf den Fluß zu eingeschlagen, und als eine Viertelstunde vergangen war, hielt er sein Roß an. Einige hundert Schritte vor ihnen rauschten die majestätischen Fluthen vorüber; man konnte ihr phosphorescirendes Geflimmer deutlich erkennen und die Kühle empfinden, welche von der Feuchtigkeit hier verbreitet wurde.

»Wir sind beinahe am Ziele, Herr,« bemerkte der Phansegar.

»Warum hältst Du an?«

»Ist es Dein Wille, daß die Suwars hinter uns das Geheimniß errathen, Herr?«

»Nein. Du bist sehr vorsichtig, Lubah, und ich muß Deinen Gedanken beistimmen.«

Er wandte sich um, gebot seinem Gefolge zu halten und seine Rückkehr hier zu erwarten, und setzte dann, von jetzt an ein langsameres Tempo einhaltend, seinen Weg weiter fort.

Lubah that, als suche er nach den Kennzeichen des Versteckes, bis er eine gehörige Entfernung zwischen sich und die Suwars gelegt hatte. Nun aber war seine Zeit gekommen.

»Es scheint beinahe, als hättest Du den Ort vergessen,« bemerkte der Sultan.

»Ich kenne ihn so genau, daß ich ihn selbst im tiefsten Dunkel zu finden vermag.«

»So finde ihn!« gebot der Herrscher. »Es ist Nacht, und die lnglis sind vielleicht in der Nähe. Ich darf mich nicht weiter von Augh entfernen, wenn ich nicht in ihre Hände fallen will.«

»Allah il Allah! Wir sind am Ziele!«

»Ah! Wo ist der Ort?«

Lubah streckte seinen Arm nach seitwärts aus.

»Siehst Du die Felsen, Herr, welche dort so weiß vom Ufer herüber schimmern?«

»Ich sehe sie nicht.«

»Deine Augen blicken zu weit nach rechts. Erlaube, daß ich Dir es genau zeige!«

Er drängte sein Pferd ganz an dasjenige des Sultans heran, legte die Linke auf den Hintersattel des letzteren und streckte die Rechte aus, so daß seine Hand beinahe das Gesicht des Herrschers berührte, welcher sich alle Mühe gab, die gar nicht vorhandenen Felsen zu erkennen.

»Dort sind sie.«

»Ich sehe sie immer noch nicht.«

»Noch ein wenig mehr nach rechts.«

»Bin ich denn mit Blindheit geschlagen! Ist das Versteck in der Nähe dieser Steine?«

»Ja.«

»Was halten wir dann hier? Vorwärts, laß uns doch hinüberreiten, Lubah!«

»Ich komme hinüber, Du aber nicht!«

Er erklärte den Doppelsinn dieser im drohenden Tone ausgesprochenen Worte sofort durch die That: Der Sultan kam nicht hinüber, nämlich zu den Felsen, und der Phansegar kam hinüber, nämlich von seinem Pferde auf dasjenige des Fürsten. Er hatte sich während seiner Worte im Sattel erhoben und hinüber geschwungen so daß er hinter den Sultan zu sitzen kam, dem er die beiden Hände um den Hals schlug, daß es dem also Ueberfallenen ganz unmöglich war, einen Laut auszustoßen. Er stieß ein kurzes Röcheln aus, fuhr mit den Händen und Füßen konvulsivisch durch die Luft und sank dann schlaff zusammen. Die Besinnung war ihm mit dem Athem verloren gegangen.

»Gut gemacht!« murmelte Lubah: »Er ist nicht todt, und ich mache mein Meisterstück, indem ich ihn lebendig nach der Ruine bringe. Sein Allah kann ihn nicht erretten.«

Er nahm alle Waffen des Bewußtlosen an sich, riß ihm den Turban vom Kopfe, rollte denselben auf und band ihn damit so auf das Pferd, daß er weder Arme noch Beine zu rühren vermochte und eine Flucht also unmöglich war. Dann steckte er ihm einen Knebel in den Mund, bestieg sein Pferd wieder, nahm dasjenige des Sultans beim Zügel und ritt im schnellsten Galopp von dannen.

Die Eskorte des Sultans wartete lange und natürlich vergeblich. Es verging eine halbe Stunde, noch mehr, sogar eine ganze Stunde, ohne daß der Herrscher zurückkehrte. Die Leute wurden je länger desto mehr besorgt und unruhig. Endlich beschloß der Anführer, dem letzten Befehle des Sultans zum Trotze, mit seinen Leuten in der von dem Herrscher eingeschlagenen Richtung langsam vorzureiten. Dabei nahmen die Suwars unter einander Distanz, so daß sie eine gerade Linie bildeten, die in ihrem Vorrücken sich auf der einen Flanke an das Ufer des Flusses stützte.

So verfolgten sie die Richtung mit scharf umherspähenden Augen, aber es bot sich ihnen nicht der kleinste Gegenstand dar, welcher ihnen einen Anhalt hätte geben können.

Da plötzlich erschollen Huftritte gerade vor ihnen. Das waren nicht zwei, sondern mehr, viel mehr Reiter. Die Suwars zogen sich schnell zusammen. Es konnte eine Streifpatrouille der Engländer sein, denen nicht zu trauen war, obgleich man den Feldzug in gegenseitigem freundlichen Einvernehmen begonnen hatte. Weiße Mäntel glänzten durch die Nacht und über ihnen war eine Reihe weißer Turbans zu erkennen.

»Es sind keine Ferenghis, Fremde es sind Freunde,« meinte der Anführer der Suwars. »Kommt, wir werden den Sultan bei ihnen finden!«

Sie ritten den Ankommenden entgegen. Diese stutzten erst und blieben halten, schienen aber ihre Besorgniß aufzugeben, als sie erkannten, daß sie nur eine geringe Anzahl Reiter sich gegenüber hatten. Einer löste sich aus ihrer Reihe und ritt vor.

»Halt! Wer seid Ihr?«

»Suwars des Sultans von Symoore, den Allah mit Ruhm und Ehre segnet.«

»Was thut Ihr hier?«

»Sage zuvor, wer Ihr seid?«

»Suwars des Maharajah von Kamooh, den Allah nach Augh führte.«

»Augh gehört bereits unserem Sultan.«

»Wir wissen es. Also, was thut Ihr hier?«

»Wir warten auf unsern Gebieter.«

»Auf den Sultan?«

»Ja.«

»Ah! Er hat einen nächtlichen Ritt unternommen?«

»Ja. Habt Ihr nicht zwei Reiter gesehen?«

»Zwei Reiter? Ja. Wie waren sie gekleidet?«

Der Suwar beschrieb die Kleidung des Sultans und des Phansegars deutlich.

»Merkwürdig!« meinte der Andere. »Ritt der Sultan einen Schimmel?«

»Ja.«

»Und der Begleiter desselben ein etwas kleineres dunkles Thier.«

»Ja.«

»Hm! Wir sind zwei Reitern begegnet, von denen der eine gefesselt war. Er war, wie es mir schien, mit seinem eigenen Turban angebunden und ritt einen Schimmel, den der andere Reiter am Zügel führte. Wir begegneten diesem und hielten ihn an, aber er riß seine Pferde plötzlich herum und sprang mit ihnen in den Strom.«

»Allah akbar, es ist der Sultan gewesen, und der Andere war sicher ein Thug.«

Diese Worte wurden mit dem größesten Schrecken ausgerufen.

»Ein Thug? Woraus schließest Du das?«

»Nur ein Thug wagt es, einen Sultan mitten aus den Seinen heraus lebendig zu entführen. Ein gewöhnlicher Feind hätte den Sultan getödtet und wäre dann entflohen.«

»Das ist richtig. Ha, welch eine Nachricht: der Sultan von Symoore in den Händen der Thugs, und der Rajah von Kamooh verschwunden!«

»Wie? Euer Maharajah ist auch verschwunden?« frug der Suwar verwundert.

»Ja. Jedenfalls ist er ebenso wie Euer Sultan in die Hände der Thugs gefallen. Kannst Du mir sagen, ob der Maharajah von Augh entkommen oder gefangen worden ist?«

»Er wurde getödtet; aber seine Leiche ist entführt worden.«

»Getödtet? Ha, dieser Ritt hat guten Lohn getragen, wie mir scheinen will!«

Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie zogen ihre Säbel, und im Nu sahen sich die Suwars von Symoore umzingelt. Der Sprecher zog auch den Degen und fuhr fort:

»Laßt Euch sagen, daß wir nicht zum Rajah von Kamooh gehören. Wir sind Engländer, ich spreche Eure Sprache so gut wie Ihr und konnte Euch leicht täuschen. Ihr seid meine Gefangenen. Gebt Eure Waffen ab, sonst hauen wir Euch zusammen!«

Der Suwar sah, daß Gegenwehr vollständig fruchtlos sein würde, da er mit den Seinen einer zehnfachen Uebermacht gegenüberstand. Er versuchte zu unterhandeln:

»Ihr gehört zu den Inglis? Was greift Ihr uns an? Wir sind ja Freunde!«

»Wir waren Freunde bis heut. Da Ihr aber Augh nicht räumt, so ist der Vertrag zwischen uns und Euch außer Kraft getreten. Wir sind aus Freunden Gegner geworden.«

»Augh gehörte doch Dem, der es zuerst eroberte.«

»Ich kenne die Bedingungen des Vertrages nicht; ich habe nicht darüber zu entscheiden, sondern ich muß Euch einfach gefangen nehmen und bei uns abliefern. Also die Waffen her, sonst zwingt Ihr mich, den Befehl zu geben, Euch niederzuschlagen.«

»Wohl! Wir sind in Deiner Hand. Allah mag entscheiden zwischen uns und Euch.«

Er gab sich gefangen. Seine Leute folgten seinem Beispiele. Der kühne nächtliche Ritt der Engländer hatte einen reichen Erfolg gebracht. Sie hatten nicht nur Gefangene, sondern auch Nachrichten gefunden, welche, wenn sie sich bestätigten, von ganz außerordentlicher Wichtigkeit waren. Bewährte sich das Verschwinden des Sultans und des Maharajah, so war vorauszusehen, daß die Engländer für ihre Intentionen freie Hand behalten würden.

Unterdessen war man auch in der Stadt um den Sultan besorgt geworden. Es wurden Boten und Patrouillen nach ihm ausgeschickt. Die ersten kamen zurück, ohne eine Spur von ihm und seiner Begleitung gefunden zu haben, und die später ausgesandten kehrten gar nicht wieder. Dieser letztere Umstand hatte einen ganz besonderen Grund.

Derjenige Offizier nämlich, welcher die Suwars gefangen genommen hatte, war bemüht gewesen, schleunigst in das Hauptquartier zurückzukehren. Die von ihm überbrachte Kunde hatte den Oberstkommandirenden vermocht, die Verwirrung, welche das Verschwinden des Sultans hervorrufen mußte, zu benutzen und sich Aughs zu bemächtigen.

Die englischen Streitkräfte setzten sich trotz der Dunkelheit gegen die Hauptstadt des Landes in Bewegung. Die Vorhut bestand aus lauter Sepoys, Eingeborene Soldaten im Dienste der Engländer. welche der Feind sehr leicht mit seinen eigenen Leuten verwechseln konnte, und diese Sepoys hatten an ihrer Spitze wieder zahlreiche inländische Spione, welche das Terrain ausgezeichnet kannten, vereinzelt vorschwärmten und das geringste Verdächtige sofort nach hinten meldeten.

Auf diese Weise war es gelungen, diejenigen Patrouillen, welche sich zu weit von der Stadt fortgewagt hatten, ohne allen Lärm aufzuheben. Im weiteren Verlaufe des Vorrückens wurden sogar größere Truppenkörper heimlich umzingelt und unschädlich gemacht, und als der Morgen zu grauen begann, standen die Engländer so nahe und so zahlreich vor der Stadt, daß sie den Angriff augenblicklich unternehmen konnten.

Die nur um ihren Sultan besorgten Krieger von Symoore, welche diesen letzteren Umstand nicht im entferntesten vermutheten, erstaunten nicht wenig, als plötzlich mehrere englische Batterien auf Augh ein Feuer eröffneten, unter dessen Schutze sich die Kolonnen zum Angriffe formirten. Eine schreckliche Verwirrung brach herein. Jeder wollte befehlen, und Keiner wußte, wem er zu gehorchen habe. Der Brand hatte die Stadt bereits verzehrt; die Straßen waren durch Schutt und Ruinen schwer passirbar gemacht, und die Geschosse des bisherigen Freundes, der so plötzlich zum Gegner geworden war, trugen nicht dazu bei, das Chaos zu entwirren. Da stürmten die Engländer mit einer Wucht heran, welcher nichts zu widerstehen vermochte. Sie warfen Alles, was sich etwa halten wollte, über den Haufen; die Eingeborenen flohen und ließen Alles zurück, was geeignet gewesen wäre, ihre Flucht zu hemmen, und noch war der Morgen nicht weit vorgeschritten, so waren die verhaßten Inglis Herren von Augh und ihre Reiterei verfolgte die Geschlagenen mit solchem Nachdrucke, daß es ihnen unmöglich war, sich wieder zu sammeln.

Der englische Obergeneral hielt mit seinem Stabe vor der Stadt, da die letztere nochmals in Brand gerathen und nun so in Trümmern lag, daß es unmöglich war, innerhalb ihrer Mauern Aufenthalt zu nehmen. Von seinem Standorte aus konnte man den Fluß übersehen, und so bemerkte auch einer der Adjutanten ein höchst sonderbares Fahrzeug, welches ungewöhnlich langsam den Strom herabgetrieben kam.

Von dem Baue seines Bootes war nichts zu sehen. Man erkannte über dem Wasser ein eigentümliches Gerüst, an welchem eine Anzahl menschlicher Gestalten hingen, und zwar über einem aus Reisholz und starken Aesten gebildeten Scheiterhaufen, auf dem allem Anscheine nach ein Leichnam lag. Dieses sonderbare Fahrzeug drehte sich im Vorwärtsschwimmen immer um seine eigene Achse, und bei jeder dieser Umdrehungen war ein Mann zu bemerken, welcher mit einer brennenden Fackel am Rande des Scheiterhaufens stand, jedenfalls bereit, denselben in Brand zu stecken.

Diese Erscheinung mußte die Aufmerksamkeit des Generales allerdings im höchsten Grade erregen. Er winkte einen der eingeborenen Kundschafter herbei und frug ihn:

»Was ist das für ein Schiff?«

»Ich weiß es nicht, Sahib.«

»Ich denke, Du bist hier zu Lande bekannt!«

»Ich bin es; aber verzeihe, Sahib, ein solches Schiff habe ich noch niemals gesehen.«

»Hast Du keine Vermuthung?«

»Ich habe sie.«

»So sprich sie aus!«

»Dieses Fahrzeug ist kein Kahn, sondern ein Dschola, Floß. auf welcher die Leiche eines vornehmen Mannes verbrannt werden soll.«

»Das denke ich mir auch. Aber die Leichen dort am Galgen, was sollen sie?«

»Sie sollen jedenfalls mitverbrannt werden, wie ich mir denke, Sahib.«

»Natürlich; aber wer sind sie, und wie kommt man auf die eigentümliche Idee, diese Leichen mittelst eines Flosses gerade hier auf diesem Strome zu verbrennen?«

»Ich weiß es nicht. Befiehlst Du, Herr, daß ich mich erkundige?«

»Wie?«

»Ich schwimme hinüber und frage den Mann, welcher die Fackel hält.«

»Begibst Du Dich dabei nicht in Gefahr?«

»Nein. Beim Todtenopfer herrscht Friede; ich habe nicht das Mindeste zu befürchten.«

»So eile, damit ich erfahre, ob nicht irgend ein Verrath hinter dieser Sache steckt!«

Der Kundschafter sprang von dannen, warf am Ufer seine Kleidung ab, tauchte in die Fluthen und hielt auf das Floß zu. Er hatte es bald erreicht und schwang sich an dem Rande desselben empor. In diesem Augenblicke warf der Mann, welcher ihn erwartet zu haben schien, die Fackel in das Reisig, welches sofort Feuer fing.

»Von wem bist Du gesendet?« frug er den Kundschafter mit finsterer Stirn.

»Von dem General der Inglis.«

»So stehest Du in seinem Dienste?«

»Ja.«

»Als was?«

»Als Kundschafter.«

»Das heißt als Spion.« Er machte eine Bewegung mit der Hand, welche die größeste Verachtung ausdrückte. »Du verräthst also Dein Land, Dein Volk, Dein Weib und Kind, Deinen Gott! Wisse, Verruchter, die Götter werden Dich strafen durch die Hand des Phansegars!«

Der Andere lachte überlegen.

»Ich fürchte weder den Thug noch den Phansegar. Aber sage mir, was diese Dschola zu bedeuten hat! Wer ist der Verstorbene, den Du dem Gotte des Todes opfern willst?«

»Sage mir vorher, warum Du weder den Thug noch den Phansegar fürchtest!«

»Ich stehe unter einem Schutze, der mächtiger ist als die Gewalt aller Phansegars.«

»Welchen Schutz meinest Du?«

»Den der Inglis.«

»Thor! Blicke hier empor zu diesem Holze! Der Mann mit den lichten Haaren und dem Schnitte in der Kehle war Lord Haftley, der mächtige Sirdar-i-Sirdar Chef der Generale, Generalissimus. der Engländer; der neben ihm hängt hieß Mericourt und war sein Subadar, Kapitän, Hauptmann, Rittmeister. und die Andern rechts von ihm waren alle Offiziere der Inglis. Die Phansegars aber haben diese Mächtigen mitten aus dem Lager des Feindes herausgeholt und gerichtet. Siehst Du nicht, daß ein Jeder den bekannten Schnitt des Phansegar am Halse trägt?«

»Mensch, so bist Du selbst ein Phansegar!«

»Ja. Und ich wage mich ganz allein hier unter die Inglis. Bin ich nicht mächtiger als sie, deren höchste Männer ich verbrenne?«

»Man wird Dich fangen und tödten!«

»Sorge Dich um Dich und nicht um mich! Siehst Du den Todten auf dem Holze? Das ist der edle Madpur Singh, Maharajah von Augh, den die Verräther getödtet haben. Ich übergebe seine Seele dem Gotte des Himmels. Und siehst Du die beiden Männer neben dem fremden Sirdar links? Das ist der Sultan von Symoore und der Rajah von Kamooh. Wir haben Beide aus der Mitte der Ihrigen herausgelockt. Sie leben noch, aber sie sind gefesselt, daß sie steif sind wie die Leichen. Der gütige und gerechte Madpur Singh ward durch Verrath überfallen und getödtet; die Phansegars werden ihn rächen. Sie fangen die obersten seiner Feinde und verbrennen sie bei getödtetem und bei lebendigem Leibe über seiner Leiche. Und damit alle Welt erkenne, wie kühn und mächtig der Phansegar ist, bringt er den Scheiterhaufen hierher, mitten unter Euch hinein. Siehe dieses Messer! Ich würde Dich tödten, denn Du bist ein Verräther; aber der General hat Dich gesandt, und ich will, daß Du ihm erzählst, was ich Dir gesagt habe. Ich gebe Dir die Erlaubniß zurückzukehren, aber ich verspreche Dir bei unseren heiligen geheimen Gesetzen, daß Du binnen dreien Tagen dieses Messer gekostet haben wirst, magst Du Dich nun in den Himmel oder in die Hölle verkriechen.«

Bei dieser Drohung sprang er in die Furth und tauchte unter. Erst eine große Strecke weiter fort kam er wieder empor und strebte mit kräftigen Streichen dem gegenseitigen Ufer zu. Der Kundschafter war ganz erstarrt von dem, was er vernommen hatte, er raffte sich zusammen und ließ sich in die Fluthen nieder, um zum Generale zurückzukehren und der Gluth zu entgehen, welche die Flamme jetzt verbreitete.

»Nun?« frug der General, als er bei demselben angekommen war.

»Schnell, Sahib, laß auf diesen Menschen schießen, damit er nicht entkommt!«

»Warum?«

»Er ist ein Phansegar.«

»Alle Teufel! Aber – er ist schon hinüber und aus der Schußweite unserer Gewehre.«

»So laß ihm schleunigst nachsetzen!«

»Geht nicht. Dies müßte durch Reiter geschehen, und ehe Einer hinüberkommt, ist er längst in Sicherheit. Was hatte es mit dem Floße für eine Bewandtniß?«

»Eine fürchterliche. Ich zittere, Sahib!«

»Du sollst nicht zittern, sondern reden. Zittere, wenn Du gesprochen hast; dann hast Du Zeit genug dazu! Also, wer sollte auf dem Floße verbrannt werden? Ah, da prasselt das Gerüste zusammen, und die Gehängten stürzen in die Gluth!«

»Weißt Du, wer sie sind?«

»Ich will es von Dir erfahren. Rede endlich!«

»Du weißt, daß der General Haftley, der Rittmeister Mericourt und mehrere Offiziers von den Thugs ergriffen und gefangen genommen worden sind – – –«

»Natürlich. Weiter!«

»Sie hingen dort an dem Galgen.« .

Der General fuhr erschrocken zusammen.

»Kerl, Du lügst.«

»Sahib, ich lüge nicht. Ich habe die Herren oft gesehen und sie wieder erkannt.«

»Ah, also gemordet!«

»Ja, gemordet von den Phansegars zu Ehren des Maharajah Madpur Singh.«

»Wie so?«

»Die Leiche auf dem Scheiterhaufen war die Leiche des todten Königs von Augh.«

»Fürchterlich! Und Du hast diesen Menschen nicht auf der Stelle getödtet?«

»Ich war ohne Waffen, denn ich mußte sie am Ufer lassen; er aber hatte das entsetzliche Messer des Phansegars, gegen welches es weder Wehr noch Hilfe gibt.«

»Was sagte er?«

»Zwei von denen, welche an dem Balken hingen, waren noch lebendig. Es war der Sultan von Symoore und der Maharajah von Kamooh. Die Phansegars haben sie gefangen und der Seele Madpur Singhs geopfert. Sie sind lebendig verbrannt.«

Der General drehte die Spitzen seines Bartes. Ihm als Engländer mußte der Tod dieser beiden Männer sehr willkommen sein. Dennoch aber meinte er:

»Außerordentlich! Aber das soll schnell anders werden. Jetzt bin ich Herr von Augh, und ich werde diese Mörder meine Faust so fühlen lassen, daß sie verschwinden.«

»Sahib, vielleicht wirst Du ihre Faust eher fühlen, als sie die Deinige.«

»Schweige!« herrschte ihn der Brite an, sich wieder nach dem Flusse wendend.

Das Floß, jetzt nicht mehr von der Hand des Phansegars in der Mitte des Stromes gehalten, hatte sich dem Ufer genähert und an dasselbe angelegt. Der General trabte der Stelle zu, und die Andern folgten ihm. Das Opfer war vollständig beendet. Die aus Stämmen gebildete Unterlage war durch das Wasser beschützt worden und also nicht verbrannt, das übrige Holzwerk aber hatten die Flammen in Asche verwandelt, unter welcher verschiedene halb verkohlte Knochenreste zu erblicken waren. Der General wandte sich schaudernd ab.

»Lieutenant Barrow, ich übergebe Ihnen dieses Floß. Sorgen Sie dafür, daß diese menschlichen Ueberreste mit Ehren begraben werden. Das Uebrige werde ich noch anordnen.«

Er ritt hinweg. Seine Pflicht als Oberbefehlshaber gab ihm so viel zu thun, daß er sich mit dieser Angelegenheit für jetzt nicht eingehender befassen konnte. Der Lieutenant ließ durch einige Sepoys die Knochen sammeln und verließ dann auch das Floß, welches während des ganzen übrigen Tages unbeachtet am Ufer liegen blieb.

Am Abende aber änderte sich dies.

Augh lag verwüstet. Nur einzelne der geflüchteten Bewohner waren zurückgekehrt und irrten wie Schatten heimlich zwischen den Trümmern umher. Die Engländer hatten die Gegend verlassen und waren unter Zurücklassung einer nur geringen Anzahl von Kriegern dem flüchtigen Heere von Symoore gefolgt. Die Sterne leuchteten hernieder auf die noch immer rauchende Verwüstung, und in weiter Ferne war der Flammenschein eines brennenden Dorfes zu bemerken. Da tauchte plötzlich am Strome eine Gestalt vom Boden empor und nach einiger Zeit eine zweite, welche sich der ersten näherte.

»Alles sicher?«

»Wie es scheint.«

»Keine Wache auf dem Flusse?«

»Wir wollen sehen.«

Sie krochen neben einander langsam auf das Floß zu und fanden dasselbe verlassen.

»Hinauf?« frug der Eine.

»Nein,« antwortete der Andere. »Wir müssen erst sehen, ob die Umgebung sicher ist.«

Sie verschwanden wieder, kehrten aber bald von verschiedenen Seiten wieder zurück.

»Hast Du etwas Verdächtiges bemerkt?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Nun laß uns sehen, ob die Bänder des Flosses noch halten!«

Sie bestiegen das Letztere und untersuchten sehr sorgfältig die gedrehten starken Ruthen, durch welche die doppelt übereinander liegenden Stämme verbunden waren.

»Alles noch fest?«

»Ja.«

»Ich denke es auch. Jetzt wollen wir das Zeichen geben.«

Er ahmte den Ton nach, welchen der zur Ruhe gehende Krokodilreiher auszustoßen pflegt, und nach kurzer Zeit waren wohl an die fünfzig Gestalten beisammen. Eine derselben stand in der Mitte des Kreises, welchen sie bildeten, und begann halblaut:

»Nun sollt Ihr erfahren, weshalb ich Euch hier herführte. Ihr wißt, welch ein guter Herrscher unser Maharajah war –«

»Wir wissen es,« antwortete Einer für Alle.

»Er war gerecht und gut; er war auch klug und hat nie einen Thug getödtet.«

»Niemals.«

»Darum haben wir ihn gerächt und werden auch noch viele seiner Feinde tödten. Sein Körper wurde aus ihren Händen gerettet, aber nicht sein Eigenthum und seine Schätze. Wollt Ihr mir einmal sagen, wem sie von jetzt an gehören?«

»Der Begum.«

»Du hast recht gesprochen, und Ihr sollt mir helfen sie ihr zu bringen. Wer nicht bereit dazu ist, der mag sich melden und uns dann verlassen.«

Es meldete sich Keiner und der Sprecher fuhr fort:

»Ich wollte die Begum und ihren Fremdling lange bei uns in der Ruine von Koleah behalten, aber die Inglis werden ihre Hand auf das Land legen und uns verfolgen. Das wird uns Kämpfe bringen, welche die Sicherheit der Begum gefährden, und daher soll sie dieses Land verlassen, bis es ihr möglich ist, zurückzukehren und den Thron ihrer Väter einzunehmen. Sie hat die Ruine bereits verlassen und wird sich auf ein Schiff begeben, welches ich für sie bestellte. Als ich den Scheiterhaufen errichtete, wußte ich, daß das Floß nicht verbrennen würde. Ich ließ erkunden, wo es liegt, und nun soll es die Schätze aufnehmen und der Begum zuführen. Ihr sollt als Schutz und Wache dienen. Seid Ihr bereit dazu?«

»Wir sind bereit. Befiehl nur, was wir thun sollen.«

»Ihr werdet es sogleich hören, denn da sehe ich Lubah zurückkehren.«

Es war wirklich der Phansegar, welcher jetzt herbeitrat. Der Anführer frug ihn:

»Was hast Du zu berichten?«

»Meister, es ist kein Mensch im Garten, und das Kiosk steht noch wie vorher.«

»So gehe voraus, damit wir nicht überrascht werden. Ihr Andern folgt mir!«

Sie bildeten eine lange Reihe, welche sich am Ufer des Flusses hin bewegte bis an die Mauer, welche den Garten des Maharajah begrenzte. Die Zerstörung hatte auch hier gewüthet, denn die Mauer war an mehreren Stellen eingerissen worden. Die Thugs gelangten durch eine dieser Breschen sehr leicht in den Garten und wurden von ihrem Anführer nach dem Kiosk geführt.

Hier stellte er einige Wachen aus und betrat dann mit Lubah das Gartenhaus. Nach wenigen Augenblicken ließ sich ein leises schleifendes Geräusch vernehmen, und die Außenstehenden bemerkten zu ihrem Erstaunen, daß sich das Häuschen auf seinem Fundamente drehte. Einige Zeit darauf erschien Lubah am Eingange.

»Herbei jetzt! Ein Jeder erhält ein Paket und trägt dasselbe nach dem Flosse.«

Nun begann ein eifriges und geräuschloses Hin- und Herwandern zwischen dem Kiosk und dem Flosse, bis sich später das Häuschen wieder drehte und der König der Phansegars mit Lubah heraustrat.

»Fertig. Jetzt kommt zurück!«

Auf dem Flosse wurden nun alle Gegenstände in gute Lage und Ordnung gebracht, und dann entfernten sich die Thugs, während der Anführer mit Lubah zurückblieb. Keiner von Beiden sprach ein Wort. So verging wohl eine halbe Stunde, bis sich wieder leise Schritte vernehmen ließen. Die Leute kehrten zurück. Ein Jeder von ihnen trug auf der Schulter einen starken aber leichten Bambusstab, an dessen beiden Enden hohle Tongefäße befestigt waren.

Von dieser einfachen aber sehr praktischen Beschaffenheit sind die Vorrichtungen, mit deren Hilfe die Anwohner des Indus, Ganges und anderer ostindischer Flüsse ohne große Anstrengung weite Strecken zu Wasser zurücklegen. Der Schwimmer legt sich mit seinem Vorderkörper auf den Querstab und wird von den Thongefäßen so bequem über Wasser gehalten, daß es ihm leicht wird, auch größere Entfernungen ohne bedeutende Ermüdung zurückzulegen.

Einer von ihnen brachte auch zwei lange Ruder mit, mit deren Hilfe das Floß gelenkt werden konnte. Es stieß vom Lande und suchte, begleitet von den Thugs, welche Jeder mit Säbel und Messer bewaffnet waren, die Mitte des Stromes auf. Diese fünfzig Schwimmer, welche gewohnt waren mit dem Tode zu spielen, bildeten für das Floß eine Bedeckung, die sich unter keinem Umstände gescheut hätte, es mit einem weit zahlreicheren Feinde aufzunehmen. Der Schatz der Begum war ihnen und dem Elemente anvertraut, in welchem sie beinahe ebenso zu Hause waren wie auf dem Lande. Die Hauptmacht der Engländer war landeinwärts gerückt, das Heer von Kamooh stand führer- und in Folge dessen thatenlos weit von der Residenz entfernt, und die Begleitung des Flosses hatte also nur die kleinen detachirten Trupps der Feinde zu fürchten, welche zur Erkundigung der Gegend ausgeschickt waren. Furcht aber kannten doch die Männer nicht, deren bluttriefender Glaube es ihnen als das höchste Ziel vorsteckte, als Mörder ergriffen zu werden, um eines qualvollen Todes zu sterben. –

Es war am vorhergehenden Morgen, als Alphons Maletri vom Schlafe erwachte. Es hatte ihm geträumt, daß er sich in einer ihn blutig umwogenden Schlacht befinde, unter deren Kanonendonner die Erde erbebte. Noch im Erwachen glaubte er, den dumpfen rollenden Ton der Geschütze zu vernehmen, und sogar als er die Augen bereits geöffnet hatte, hörte er noch das tiefe Grollen einer entfernten Kanonade.

Er erhob sich von seinem Lager und trat zum Fenster. Am westlichen Himmel zuckten die ersten Streifen des Tages, während im Osten die Morgenröthe den Horizont bereits zu färben begann. Er lauschte. Ja, wahrhaftig, das war Kanonendonner. Er kannte denselben zu genau, als daß ein Irrthum möglich gewesen wäre.

Der Schall kam aus der Gegend von Augh. Was gab es dort noch zu kämpfen? Der Maharajah war ja besiegt und todt: drei mächtige Feinde standen mit ihren Heeren im Lande, und es war also gar nicht denkbar, daß die Bevölkerung von Augh nach dem Falle ihres Herrschers es gewagt hätte, diesem dreifachen Gegner noch immer Widerstand zu leisten. Aber Maletti kannte die Politik der Briten, und daher vermuthete er sofort das Richtige: die Engländer hatten sich gegen ihre Verbündeten gewandt, um alleinige Herren des eroberten Landes zu bleiben. Er knirschte mit den Zähnen und murmelte:

»Nur einige Monate später! Hätte ich nur drei Monate lang mein Amt verwalten können, so wären diese Krämer so empfangen worden, daß sie das Wiederkommen für immer vergessen hätten. Nun aber ist an keine Rettung mehr zu denken.«

Er hörte draußen halblaute Schritte und öffnete die Thür. Er erkannte das Oberhaupt der Thugs.

»Komm herein!«

»Ich wollte lauschen, ob Dich der Kanonendonner vielleicht aufgeweckt hätte.«

»Er hat es. Man schießt in der Gegend von Augh. Weißt Du etwas Näheres?«

»Es geschieht hier im Lande nichts, wovon ich nicht von meinen Leuten benachrichtigt würde.«

»Wem gilt diese Kanonade?«

»Die Inglis haben wieder einmal ihre Treue gebrochen und greifen das Heer von Symoore an.«

»Sie werden siegen, wenn der Maharajah von Kamooh nicht augenblicklich dem Sultan zu Hilfe eilt.«

»Das wird er nicht thun. Glaube mir, das Gold der Inglis ist noch mächtiger als ihre Waffen. Sie haben doch sogar die Thugs erkaufen wollen, aber der Tod eines einzigen Engländers ist uns kostbarer als ganze Tonnen des schimmernden Metalles.«

Da ließen sich leise Schritte vernehmen, und Rabbadah erschien unter der Thür.

»Ich höre schießen. Was geht vor? Wer liefert diese Schlacht?«

»Die Inglis greifen die Leute von Symoore an,« antwortete der Phansegar.

»Was sagst Du? Sind die Engländer nicht Verbündete des Sultans von Symoore?«

»Sie waren es, aber sie kennen keine Treue und keinen Glauben, sobald es ihr Vortheil erheischt. Sie wollen Augh allein besitzen und haben es sich von dem Sultan erobern lassen, um es ihm sogleich wieder abzunehmen.«

»Wird es Ihnen gelingen?«

»Ja.«

»Aber der Sultan von Symoore ist berühmt als ein großer und tapferer Feldherr.«

»Er ist nicht bei seinem Heere und wird in weniger als zwei Stunden todt sein.«

Die beiden Andern blickten bei dieser Prophezeiung überrascht auf.

»Er wird sterben?« frug die Begum. »Wer sagt es Dir?«

»Ich selbst. Er stirbt gleichzeitig mit dem Maharajah von Kamooh.«

»Mit dem Maharajah? Unmöglich! Und wie wolltest Du das voraus wissen?«

»Weil ich es bin, der ihnen den Tod gibt. Sie sterben von der Hand des Phansegars.«

»Unbegreiflicher Mensch! So willst Du sie also überfallen und tödten lassen?«

»Nein. Sie befinden sich bereits in meinen Händen. Du weißt nicht, wie kühn und mächtig der Phansegar ist. Ein einziger meiner Leute hat den Sultan von Symoore mitten aus Augh herausgeholt, und ein einziger meiner Männer hat genügt, den Maharajah von Kamooh gefangen zu nehmen und seinen Sirdar zu tödten.«

»So hast Du den Sultan und den Maharajah hier in der Ruine bei Dir?«

»Jetzt nicht mehr. Sie sind bereits auf dem Wege zum Tode.«

»Wo sterben sie?«

»Du bist meine Herrscherin, und ich befolge Deine Befehle, noch ehe Du sie mir gegeben hast. Was soll mit der Leiche Deines Bruders Madpur Singh geschehen?«

»Ich werde Dich bitten sie heute verbrennen zu lassen.«

»So laß Dir sagen, daß ich ein Floß gebaut habe, auf welchem ein Scheiterhaufen errichtet ist. Auf demselben liegt der Todte und über ihm hängen seine Feinde, der Sultan, der Rajah, und die Engländer, welche wir tödteten. Das Floß wird von dem besten meiner Leute nach Augh geleitet und dort in Brand gesteckt, und die Inglis sollen erfahren, daß der Maharajah von Augh nicht ungerächt ermordet worden ist.«

»Das wolltest Du thun?«

»Ich habe es bereits gethan; das Floß ist schon längst abgegangen und wird nun bald in Augh ankommen.«

»Wird das Alles auch wirklich glücken?«

»Es glückt, dafür bürgt mir der Mann, welcher das Floß führt. Er wird sogar die Inglis auf dasselbe aufmerksam zu machen wissen, ehe er es verbrennt.«

»Ich danke Dir für diese Rache und für die Treue, die Du mir bewahrst. Ich möchte niemals Deine Feindin sein, denn Du gebietest über Leben und Tod, ohne einem Volke oder der öffentlichen Stimme Rechenschaft geben zu müssen.«

»Ich bin mächtiger als ein Fürst, aber meine Macht will ich Dir leihen, bis Du den Engländern entronnen bist und Dich in Sicherheit befindest.«

»So meinest Du, daß ich Augh verlassen und mich vor den Inglis flüchten soll?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ihnen Augh gehören wird. Auch Symoore und Kamooh werden sie erobern.«

»Weißt Du dies gewiß?«

»Ich weiß es. Sie haben Gold genug, um Länder zu erkaufen, und auch Menschen genug, um das Leben derselben ihren Eroberungen zu opfern. Was sie heute nicht erhalten, das werden sie sich morgen nehmen. Augh ist für Dich für immer verloren.«

»Und ich?«

»Sie werden darnach trachten, Dich in ihre Hände zu bekommen.«

»Das wird ihnen, so lange ich lebe, nimmermehr gelingen!« betheuerte Maletti.

Der Thug lächelte leise, ja beinahe ein wenig geringschätzend.

»Du würdest für Deine Herrin sterben, ohne ihr nützen zu können,« antwortete er. »Was wolltest Du thun, um sie vor Gefangenschaft und Schande zu bewahren?«

»Ich thue Alles, was sie mir gebietet.«

»Das kann jeder Diener und jeder Sklave thun; jetzt aber ist ihr ein Mann von Nöthen, der selbstständig zu handeln weiß und nicht blos tapfer, sondern auch klug genug ist, ihre Feinde von ihr fern zu halten. Wie wolltest Du dies beginnen?«

»Ich fliehe mit ihr.«

»Wohin?«

»Fort aus diesem Lande, nach irgend einer Besitzung der Holländer.«

»Das ist gut, denn die Hollandi sind Feinde der Ingli. Aber Du hast einen sehr weiten Weg zu machen, der Dich durch sämmtliche Provinzen führt, in denen sich die Ingli festgesetzt haben. Du würdest mit der Begum bald in ihre Hände fallen.«

»So rathe uns!«

»Ihr werdet noch heute fliehen. Der Wald von Koleah, in dem wir uns befinden, liegt so nahe an Augh, daß die Engländer bald hier sein werden. Es werden Viele von ihnen fallen, denn der Phansegar wird in ihren Reihen wüthen, ehe er ihnen die Ruinen der Tempel übergibt: aber wenn der Kampf beginnt, müßt Ihr bereits fort von hier sein. Darf ich meinen Vorschlag aussprechen?«

»Sprich!« gebot die Begum.

»Meine Verbindungen gehen durch das ganze Land. Es kostet mich nur einen Wink, so steht ein Gangesschiff für Euch bereit, welches Euch sicher nach Kalkutta bringen wird. Die Schiffer sind treue Leute, auf die Ihr Euch verlassen könnt, und werden Euch in Kalkutta zu einem Manne bringen, welcher bereit ist, mir mit seinem Leben dafür zu bürgen, daß Ihr sicher aus dem Lande und auf ein Schiff kommt, welches Euch zu den Hollandi bringen wird. Soll ich diesen Wink geben?«

Die Begum blickte Maletti fragend an, und da sie seine zustimmende Miene bemerkte, antwortete sie:

»Thue es. Aber sage mir vorher, wenn das Schiff bereit sein wird?«

»Heute in der Nacht.«

»Das ist zu früh.«

»Das ist eher zu spät als zu früh, denn Du bist auf dem Schiffe sicherer als hier.«

»Aber ich muß zuvor nach Augh.«

»Was willst Du dort?«

»Es befindet sich dort etwas, was ich lieber verderben als zurücklassen werde.«

Er nickte lächelnd.

»Ich weiß, was Du meinst.«

»Was vermuthest Du?«

»Habe ich Dir nicht bereits gesagt, daß der Phansegar Alles weiß? Was Du mitnehmen willst, liegt unter Deinem Kiosk verborgen, nach dem ich sehen lassen sollte.«

»Wahrhaftig, Du weißt Alles! Ist der Kiosk zerstört?«

»Nein.«

»So wirst Du zugeben, daß ich heut noch nicht zu Schiffe gehen kann. Soll ich dem Feinde die Schätze lassen, die so groß sind, daß er sich Königreiche kaufen könnte?«

»Du wirst sie mitnehmen und trotzdem heute Nacht noch aufbrechen.«

»Wie soll dies zugehen?«

»Laß mich nur sorgen! Das Floß, welches jetzt in Augh angekommen sein wird, ist so gearbeitet, daß es nicht mit verbrennen kann; das habe ich mit Absicht gethan, denn auf ihm sollen die Schätze nach dem Schiffe gebracht werden, auf welchem Du mich mit ihnen erwarten wirst.«

Sie blickte vor sich hin und schüttelte dann nachdenklich mit dem Kopfe.

»Du wirst sie nicht finden, und ich muß also bei Dir sein, wenn Du sie holst.«

Er lächelte wieder.

»Soll ich Dir noch einmal sagen, daß der Phansegar Alles weiß? Ich vermag Deinen Kiosk ebenso zu drehen wie Du. Ich bin öfters in dem Gewölbe gewesen, wo das Gold wie Feuer glänzt und die Diamanten wie Sterne flimmern.«

»Wie? Du hättest es gewagt, unser Geheimniß zu belauschen und in den Kiosk einzudringen? Hätte dies Madpur Singh gewußt, so wärest Du verloren gewesen!«

»Er hätte mir nichts gethan,« antwortete der Phansegar stolz. »Nun aber sage, wie wollt ihr Beide allein den Schatz heben um ihn vor den Inglis zu verbergen?«

»Wir hätten treue Leute gesucht, die uns dabei geholfen hätten.«

»Das wäre gefährlich gewesen, denn das Gold ist mächtiger als die Treue. Doch habt ihr diese Leute nicht bereits gefunden? Vertraue mir Deine Reichthümer an, und ich verspreche Dir bei meinem Messer, daß Dir nicht das Geringste verloren gehen soll!«

»Ich weiß es; aber ich glaubte, daß Du den Ort nicht finden würdest. Bestimme Du, was wir thun sollen, und wir werden in allen Stücken Deinen Rath befolgen.«

»So macht Euch zur Abreise bereit. Ihr müßt die Kühle des Morgens und des Abends benutzen, um während der Hitze des Nachmittags rasten zu können. Meine Reiter werden Euch begleiten und Euch vor aller Fährlichkeit und Noth zu behüten wissen.«

»Wohin werden wir gehen?«

»Der Ganges macht hier einen Bogen nach der Gegend Ralaak. Ihr werdet diesen Bogen abschneiden und an der Grenze des Landes auf mich und das Floß warten, auf welchem ich Euch den Schatz des Maharajah Madpur Singh zuführen werde.«

»Es sei, wie du sagest. Aber wie nun, wenn die Inglis Augh nicht festhalten können?«

»Sie werden es nicht wieder verlieren. Sollte dies aber dennoch geschehen, so wirst Du unsere Königin sein, die wir zurückrufen und der wir gehorchen werden.«

»Du weißt dann nicht, wo wir sind. Wie sollen wir Dich davon benachrichtigen?«

»Laßt es dem Manne in Kalkutta wissen, der Euch das Seeschiff besorgt. Von ihm werde ich es bald erfahren, und dann kann ich Euch von Allem und zu jeder Zeit Nachricht geben.«

Während dieses Gespräches war der Donner der Kanonen verstummt, und es ließ sich annehmen, daß der Kampf sich von der Hauptstadt fort und in das Land hineingezogen hatte. Der Handstreich der Engländer war gelungen; sie hatten sich durch die Wegnahme der Hauptstadt zu Herren des ganzen Landes von Augh gemacht.

Als dann später am Abende die Thugs den Schatz aus dem Kiosk holten und zu ihrer Sicherheit Wachen ausstellten, glaubten sie vollständig unbeobachtet zu sein:

Dem war aber nicht so.

Zwischen den rauchenden Trümmern des Palastes hindurch schlichen zwei Männer. Der Eine derselben war der Kundschafter, welcher heut von dem Generale nach dem Floße geschickt worden war. Wäre es heller gewesen, so daß man die Züge des Andern hätte erkennen können, so wäre eine Aehnlichkeit aufgefallen, der zu Folge man die Beiden sicher für Brüder gehalten hätte.

Sie kamen an die Grenze zwischen dem Garten und dem Palaste und blieben hier stehen.

»Nichts,« meinte der Eine.

»Nichts,« wiederholte der Andere.

»Und doch muß er vorhanden sein!«

»Er ist vorhanden,« meinte der Kundschafter mit sehr bestimmtem Tone.

»Woher willst Du dies so genau wissen?«

»Weißt Du nicht, daß ich Tamu, den Minister, überall hinbegleiten mußte, als ich noch in seinen Diensten war? Damals regierte der Vater von Madpur Singh noch, der nicht das Geringste that, ohne Tamu vorher um Rath gefragt zu haben. Einst mußte ich sehr spät des Abends den Minister nach dem Palaste des Maharajah begleiten. Ich blieb im Hofe halten, um die Rückkehr meines Herrn dort zu erwarten; er aber kam nicht; die Zeit wurde mir lang, und so trat ich zwischen die Säulen des Palastes, um mich dort auf eine der Matten niederzulassen. Kaum hatte ich dies gethan, so vernahm ich Schritte, und es kamen zwei Männer.«

»Der Minister und der Maharajah?«

»Ja.«

»Und sie sahen Dich nicht?«

»Nein. Sie gingen hart an mir vorüber, blieben aber bereits nach einigen Schritten halten. Ich bemerkte, daß der Rajah Tamu beim Arme ergriff und hörte die leise Frage:

»Du hast immer einen Diener bei Dir. Ist dies auch heut Abend der Fall?«

»Ja, Sahib.«

»Wo ist er?«

»Draußen im Hof.«

»Weißt Du das gewiß?«

»Ganz sicher.«

»Er wird uns doch nicht bemerken?«

»Nein, Sahib.«

»Ich habe meine Diener so beschäftigt, daß sie uns nicht beobachten können.«

»Der meinige wird nicht wagen den Palast zu betreten; das weiß ich genau.«

»So komm!«

Sie gingen weiter. Hier mußte etwas Wichtiges und Geheimnißvolles vorliegen, und ich beschloß ihnen auf alle Gefahr hin zu folgen. Sie stiegen die Treppe zu dem Gewölbe hinab, in welchem wir vorhin vergebens gesucht haben, und der Rajah brannte dort eine bereit liegende Fackel an. Dann drückte er an eine der großen Steinplatten, die die Mauer bilden; sie wich zur Seite und ließ ein kleineres Gewölbe sehen, in dem ich so viele goldene und silberne Gefäße, Münzen und Edelsteine erblickte, daß mir von all dem Glanze die Augen geblendet wurden.«

»Es war die Schatzkammer?«

»Ja. Ganz derselbe Raum, den ich vorhin öffnete und den wir leer gefunden haben.«

»Wo ist der Schatz hin?«

»Weiß ich es? Hätte ich ihn hier gesucht, wenn ich ihn anderswo vermuthete?«

»Verschwunden kann er nicht sein, wenn er nicht von dem Sultan gefunden wurde.«

»Der Sultan hat ihn nicht gefunden. Seit ich den Schatz erblickte, hat die Sehnsucht, ihn zu besitzen in mir gebrannt wie eine Flamme, die zu den Wolken steigt. Nicht durch Gewalt, sondern nur durch List konnte ich zu ihm gelangen. Ich setzte mich daher in dem Vertrauen des Ministers fest; ich trieb ihn zum Verrathe; ich schürte und schürte, bis das Feuer des Krieges ausbrach; ich sorgte, daß der Sultan von Symoore den Maharajah von Augh so schnell überfiel, daß dieser nicht Zeit fand, seine Kostbarkeiten zu entfernen; dann trieb ich die Engländer herbei, um zu verhüten, daß der Sultan in das Gewölbe gelange, und nun mir dies Alles so gut gelungen ist, finde ich den Schatz verschwunden!«

»Wo ist er hin?«

»Das weiß Allah und der Teufel, ich aber nicht! Madpur Singh muß ihn während seiner Regierung an einen Ort gebracht haben, wo er ihn für sicherer gehalten hat.«

»Nun ist er todt!«

»Und sein Geheimniß starb mit ihm.«

»Nein. Es lebt noch.«

»Wer sollte es kennen?«

»Die Begum. Sie war seine Vertraute in allen Stücken, und es ist daher als unumstößlich anzunehmen, daß sie genau weiß, wo der Schatz verborgen ist.«

»Aber wo ist sie?«

»Der Maharajah wurde ermordet; sie aber ist entkommen. Ein Krieger hat sie auf das Pferd genommen und ist mit ihr durch den Fluß geritten. Niemand aber kann sagen, wer er gewesen ist und wohin er sie gebracht hat.«

»Denkst Du, Lidrah, daß der Schatz außerhalb Aughs verborgen worden ist?«

»Nein,« antwortete der Kundschafter, welcher also Lidrah hieß. »Er ist ganz sicher in dem Palaste oder in der Nähe desselben versteckt worden; davon bin ich überzeugt.«

»Vielleicht im Garten.«

»Wahrscheinlich.«

»Aber an welchem Orte?«

»Das wäre vielleicht zu erfahren.«

»Wie so?«

»Die Begum wird bei Nacht kommen, um ihn zu holen. Wenn wir uns also täglich hier auf den Posten stellen, ist es recht gut möglich, das Geheimniß zu entdecken.«

»Aber wenn wir es entdecken, wird es bereits zu spät sein, der Schatz wird ja dann gehoben, und wir können dies nicht verhindern, sondern haben das Nachsehen.«

»Verhindern könnten wir es schon. Die Engländer sind da, und die Begum müßte also heimlich kommen. So bald wir Lärm machten, wäre sie verloren.«

»Und der Schatz mit ihr.«

»Wir müßten sie ruhig gewahren lassen und ihr dann folgen. Aber, horch!«

»Schritte!«

»Ja. Komm schnell hinter dieses Zimmetgesträuch!«

Sie verbargen sich und erkannten einen Mann, aus dessen leisen, vorsichtigen und spähenden Bewegungen zu ersehen war, daß er nachsuchen wolle, ob irgend Jemand hier vorhanden sei. Er schlich sich vor dem Gesträuch vorüber, ohne die hinter demselben Versteckten zu bemerken.

»Ein Späher,« flüsterte Lidrah. »Komm und folge mir! Ich muß sehen, was er will.«

Sie schlichen, jede Deckung geschickt benutzend, dem Manne nach und gelangten so in die Nähe des Kiosk. Hier ergriff der Kundschafter seinen Bruder schnell am Arme.

»Halt, Kaldi! Dort steht ein Posten und hier auch. Siehst Du die Männer beim Kiosk?«

»Ich sehe sie.«

»Weißt Du, was sie sind?«

»Wie sollte ich!«

»Es sind Thugs, ja, es sind sogar Phansegars. Nimm Dich in Acht, Bruder, denn wenn sie uns bemerken, so sind wir ohne alle Gnade und Barmherzigkeit Beide verloren!«

»Woran erkennst Du sie als Phansegars?«

»Ich sah eines ihrer krummen Messer blitzen, und, ja, blicke einmal dort hinüber!«

»Wohin?«

»Nach den beiden Männern, welche jetzt die Stufen des Kiosk betreten.«

»Ich sehe sie.«

»Der Zweite von ihnen ist der Phansegar, welchen ich heute auf dem Flosse traf.«

»Unmöglich! Wie sollte sich dieser Mörder wieder mitten in die Stadt herein wagen!«

»In so zahlreicher Gesellschaft? Sei vorsichtig; er hat mir mit dem Tode gedroht.«

»Lidrah, komm und laß uns schnell Leute holen, sie zu fangen.«

»Bist du toll?«

»Nein, aber man muß den Tiger und die Schlange ausrotten so viel man kann.«

»Kaldi, Du bist sehr voreilig!«

»Willst Du Dich in Stücke hacken lassen, wenn sie Dich hier finden?«

»Nein. Aber Du, willst Du den Schatz verloren geben, den wir suchen?«

»Den Schatz? Wieso?«

»Schau, der Kiosk dreht sich!«

»Wahrhaftig! Das ist sonderbar. Was müssen diese Mörder hier vorhaben?«

»Das werden wir ganz sicher noch sehen, ich aber glaube es bereits zu wissen.«

»Was?«

»Sie holen den Schatz.«

»Unmöglich! Wie sollten sie wissen, wo ihn der Maharajah verborgen hat?«

»Das wissen sie, wie ich vermuthe, jedenfalls aus zwei Quellen, statt aus einer.«

»Wie so?« frug der Bruder des Kundschafters begierig.

»Die Thugs haben überall ihre Spione; sie sehen und hören, wo Andere blind und taub bleiben; sie erfahren und wissen Alles, und nichts bleibt ihnen verborgen, weil sie mit dem Auge des Todes sehen, der allwissend, allmächtig und allgegenwärtig ist. Sie sind ganz gewiß heimlich dabei gewesen, als Madpur Singh seinen Schatz verbarg.«

»Dann hätten sie ihn wohl jedenfalls gestohlen?«

»Nein; sie brauchen ihn nicht, denn sie sind auch ohne ihn reich genug. Und weißt Du nicht, daß der Maharajah niemals einen Thug verfolgte? Er war klug gegen sie, nun sind sie seine Freunde gewesen und würden ihn niemals bestohlen haben.«

»Und die zweite Quelle?«

»Ist die Begum. Sie wurde mit einer ganz beispiellosen Kühnheit gerettet, und der sie rettete, ist also wohl ein Phansegar gewesen. Ihr Königreich ist verloren, und da hat sie wenigstens ihre Schätze retten wollen. Um dies zu können, hat sie sich den Thugs anvertraut, und diese kommen jetzt, das große Erbe des Rajah zu holen.«

»Wenn dies wäre, so – –«

Er stockte, denn soeben trat der Phansegar Lubah aus dem Kiosk und gebot:

»Herbei jetzt! Ein Jeder erhält ein Paket und trägt dasselbe nach dem Flosse!«

Die beiden Lauscher beobachteten mit zitternder Spannung das geschäftige aber lautlose Treiben, welches nun begann, bis sich das Gartenhäuschen wieder drehte und Lubah mit dem Obersten der Phansegars wieder aus dem Kiosk trat.

»Fertig; jetzt kommt zurück!« gebot die halblaute Stimme des Anführers.

Die geheimnißvollen Männer verschwanden einer nach dem andern durch die Mauerlücke.

»Wahrhaftig, das ist der Schatz gewesen,« meinte der Bruder des Kundschafters.

»Er war es. Siehst Du nun, daß ich Recht hatte?«

Es hatte sich Beider eine unbeschreibliche Erregung bemächtigt, welche sie nicht zu beherrschen vermochten. Es galt ja, sich einen Reichthum nicht entschlüpfen zu lassen, welcher beinahe beispiellos zu nennen war und der sich jetzt in Händen befand, die nicht gewohnt waren, etwas herauszugeben, was sie einmal angefaßt hatten.

»Was thun wir?« frug Kaldi.

»Wir können jetzt nichts Anderes thun, als ihnen folgen, um zu sehen, wohin sie gehen.«

»So komm schnell!«

Sie traten durch die Mauerbresche und schlichen sich, nach der Gegend zu, in welcher soeben das Geräusch der letzten Schritte der Phansegars verstummte.

»Langsam!« gebot Lidrah dem Bruder. »Wir haben es mit lauter Teufeln zu thun und müssen im höchsten Grade vorsichtig sein. Lege Dich zur Erde. Wir müssen auf dem Leibe vorwärts kriechen, wenn sie uns nicht bemerken sollen.«

Sie thaten dies und gelangten dadurch so nahe an das Floß heran, daß sie die beiden auf demselben befindlichen Gestalten deutlich erkennen konnten.

»Wo mögen die Andern sein?« frug Kaldi.

»Ich errathe es,« antwortete Lidrah, welcher jedenfalls scharfsinniger als sein Brüder war.

»Nun?«

»Sie holen Ruder für das Floß und Schwimmtöpfe für sich selbst.«

»Wohl nicht. Wozu Schwimmtöpfe, da sie auf dem Flosse sein können?«

»Die Fracht ist zu schwer, als daß dasselbe noch viele Menschen tragen könnte.«

»Dann genügen ja diese Beiden!«

»Meinest Du? Dürfen zwei Männer es wagen, während der Feind im Lande ist, einen solchen Reichthum ohne alle weitere Begleitung und Bedeckung fortzuschaffen?«

»Wohin?«

»Wer kann das sagen? Die Begum steht unter dem mächtigen Schutze der Thugs, und diese werden ihr ganz gewiß ein Schiff versorgen, auf welchem sie mit sammt ihren Schätzen zu fliehen vermag. Vielleicht steht dieses Schiff schon bereit sie aufzunehmen.«

»So ist der Schatz für uns verloren!«

»Noch nicht; ich gebe niemals auf.«

»So ist es nöthig, daß wir schnell handeln. Du hast Dein Messer, und ich habe das meinige. Wir schleichen uns vorwärts, tödten die zwei Thugs und entfliehen mit dem Flosse.«

»Und werden bereits nach einer Viertelstunde von den Phansegars eingeholt und ermordet. Bist Du bei Sinnen? Und selbst dann, wenn sie uns nicht verfolgten, würden wir mit dem Flosse nicht weit kommen. Wir müssen jedenfalls anders handeln.«

»Aber wie?«

»Wir folgen dem Flosse. Weiter läßt sich jetzt nichts sagen.«

»Gibt es hier ein Boot?«

»Ich habe keines gesehen. Es würde uns auch gar nichts nützen. Aber ich bemerkte während des Plünderns in einem Hause hier in der Nähe mehrere Fischertöpfe. Wenn wir sie holen, kommen wir leichter und freier vorwärts, als in dem Boote.«

»So komm!«

Sie entfernten sich langsam von dem Strande und nahmen dann einen eiligeren Lauf, bis sie an ein kleines Häuschen gelangten, in welchem der Kundschafter verschwand. Bereits nach kurzer Zeit kam er mit Schwimmtöpfen zurück, welche zugleich eingerichtet waren, Fische aufzunehmen. Er war so vorsichtig, sie seinem Bruder zu übergeben, und meinte:

»Mit diesen großen Töpfen würden wir sehr leicht bemerkt; ich will also vorangehen und die Thugs beobachten. Du wartest an der Mauer des Palastgartens, und wenn die geeignete Zeit gekommen ist, werde ich Dich holen.«

Er kehrte nach dem Flusse zurück; Kaldi aber begab sich langsamen und vorsichtigen Schrittes um den königlichen Palast herum nach der Gartenmauer, wo er seine Schwimmapparate ablegte und sich selbst hinter einen Strauch setzte, um zu warten.

Nach einiger Zeit vernahm er ein leichtes Rauschen der Fluthen, von denen sein Standort nur wenige Schritte entfernt war. Das Floß erschien. Es wurde von zwei Männern geführt, welche ihre Ruder handhabten, während mehrere andere, zwischen ihren Schwimmtöpfen liegend, durch kräftiges Schieben seinen langsamen Gang beschleunigten. Rechts und links von dem Flosse waren andere Schwimmer zu sehen, welche jedenfalls die Bestimmung hatten, die Schätze der Begum zu behüten.

Das Floß verschwand nach einigen Augenblicken aus dem Gesichtskreise Kaldi's, und dann hörte er langsame Schritte längs der Mauer nahen. Es war sein Bruder.

»Kaldi?« klang es halblaut.

»Hier.«

Der Rufer trat herbei.

»Hast Du sie gesehen?«

»Ja.«

»Und gezählt?«

»Nein.«

»Du vergissest stets die Hauptsache. Man muß doch wissen, mit wie vielen Gegnern man zu kämpfen hat. Es schwimmen Achtundvierzig, und Zwei sind auf dem Flosse.«

»Das sind Fünfzig. Es ist also sicher, daß wir ihnen nichts anhaben können.«

»Durch Gewalt nicht, vielleicht aber durch List.«

»Inwiefern?«

»Das kann ich jetzt noch nicht sagen, sondern es muß sich aus den Umständen ergeben. Wir folgen ihnen, und das Uebrige wird sich finden aus dem, was wir sehen.«

»So komm!«

»Wir haben noch Zeit. Wir schwimmen Beide sehr gut, und das Floß kommt nicht so schnell vorwärts wie ein einzelner Mensch. Auch müssen wir uns sehr hüten, ihnen so nahe zu kommen, daß sie uns vielleicht gar bemerken können. Bleibe also sitzen!« Er nahm neben dem Bruder Platz.

»Wie viel gibst Du mir, wenn wir die Schätze bekommen?!« frug dieser.

»So viel, daß Du für alle Zeiten genug hast.«

»Ich bin zufrieden und werde also Alles thun, was Du von mir verlangst. Ich würde sogar das Floß mit überfallen, wenn Du es für nothwendig hältst.«

»Das würde nur unser Verderben sein. Was wollen wir Zwei gegen fünfzig Phansegars beginnen?«

»Sie werden das Floß doch wohl nur heute Nacht begleiten und dann zurückkehren.«

»Sie werden das Floß begleiten, bis es das Schiff erreicht, welches die Begum fortbringen soll. In Allem, was wir beobachtet haben, liegt ein fester und gewisser Plan; das mußt Du ja auch erkannt haben. Das Floß wurde nicht nur gefertigt um den Scheiterhaufen aufzunehmen, sondern es wurde zugleich so gebaut, daß es nicht mit verbrennen konnte, und so geleitet, daß es in der Nähe des Königlichen Gartens anlegen mußte. Nun konnte es zur Fortführung der Schätze benutzt werden, und wer dies so schlau ersonnen hat, der wird wohl auch seine Maßregeln darnach getroffen haben, daß es noch vor dem Morgen ein Fahrzeug erreicht, auf dem die Begum mit ihren Reichthümern besser aufgehoben ist, als auf einem offenen Flosse.«

»Dann können wir zurückbleiben, denn alle unsere Mühe wird umsonst sein.«

»Geduld ist ein sehr heilsames Kraut, und Ausdauer überwindet Vieles. Ich werde Ihnen folgen, und wenn ich auch bis an das Ende der Erde gehen müßte!«

Nach diesem entschiedenen Ausspruche trat eine Stille ein. Jeder der zwei Männer dachte an das Ziel, welches sie sich gesteckt hatten, und an die Mittel, zu demselben zu gelangen. Endlich erhob sich der Kundschafter und griff zu einem der Apparate.

»Jetzt ist es Zeit. Wir werden sterben oder unendlich reich werden. Vorwärts!«

Sie gingen in das Wasser, nachdem sie sich ihre leichte Kleidung turbanähnlich um den Kopf geschlungen oder sie in die hohlen Gefässe verborgen hatten.

Von den Töpfen getragen, brauchten sie sich nicht sehr anzustrengen. Ihre Schnelligkeit übertraf noch diejenige eines gut geruderten Bootes, und bereits als sie kaum eine Stunde sich im Wasser befanden, verminderte Lidrah diese Raschheit und hob von Zeit zu Zeit den Kopf empor und hielt lauschend an, um zu sehen oder zu hören, ob er dem Flosse vielleicht zu nahe gekommen sei.

Zuweilen klang es wie ein leises Plätschern oder Rauschen von vorn her durch die stille Nacht herüber. Dann hielten die beiden Schwimmer an, um einige Zeit vergehen zu lassen.

So verging die Nacht, und die Zeit, in welcher sich der Morgen zu röthen beginnt, brach heran. Der Nebel lag auf dem Wasser; es war unmöglich, vorwärts zu blicken, aber die durch die Feuchtigkeit der Dünste verdichtete Luft trug dem Ohre jeden Laut mit doppelter Deutlichkeit zu.

Plötzlich hielt Lidrah inne.

»Hörtest Du etwas?« frug er den dicht neben ihm schwimmenden Bruder.

»Ja.«

»Was?«

»Den Ruf, welchen die Schiffer ausstoßen, wenn etwas an Bord gehoben wird.«

»Richtig. Wir haben ein Schiff vor uns. Vielleicht ist es dasjenige, welches die Phansegars suchen. Rudere hinüber nach jener Landzunge und warte, bis ich wiederkehre. Ich werde einmal sehen, wen wir vor uns haben.«

Kaldi folgte diesem Gebote. Es ragte in das Wasser ein schmaler Landstreifen herein, dem er zusteuerte, um sich dort im hohen Grase niederzuwerfen. Er hatte nicht allzulange gewartet, als sein Bruder bereits wieder zurückkehrte.

»Trafst Du etwas?« frug er ihn.

»Ja. Wir haben sie erreicht und sind ganz nahe bei ihnen. Hier hüben auf unserer Seite liegt ein langes schmales Gangesschiff mit einem Maste und drei Segeln.«

»Und das Floß?«

»Hat bei ihm angelegt und gibt Alles an Bord, was sich auf ihm befindet.«

»Verloren also!«

»Was?«

»Der Schatz.«

»Noch nicht. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auch an Bord zu gehen.«

»Ah so! Aber wenn? Jetzt?«

»Nein. Der Phansegar kennt mich ja sehr genau und hat mir sogar mit dem Tode gedroht. Uebrigens würde es sehr auffallen, wenn wir jetzt zwischen Nacht und Morgen und an einem von Menschen unbewohnten Orte ein Schiff anfragen wollten, ob es uns mitnehmen will.«

»Es fragt sich, ob es uns überhaupt aufnehmen wird.«

»Es gibt ein sicheres Mittel.«

»Welches?«

»Einem Pilger wird niemals von einem Schiffe die Aufnahme verweigert.«

»So wollen wir uns für Pilger ausgeben?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Das Schiff will jedenfalls bis hinunter nach Kalkutta, denn die Begum ist nur dann sicher, wenn sie Indien ganz verläßt, daher müssen wir es so einzurichten suchen, daß wir bis dorthin mitfahren können, ohne aussteigen zu müssen. Wir gehen also nicht nach einem heiligen Orte, sondern wir kommen von einem solchen.«

»Von welchem?«

»Von Ahabar, droben in den Bergen des Himalaya, wo wir den Stier besuchten.«

»Und wo sind wir her?«

»Wir sind Laskaren Indische Matrosen. und haben keine andere Heimath als die hohe See.«

»Ah! Warum?«

»Dann wird es uns gelingen, mit der Begum und ihren Schätzen in See zu gehen, wenn wir unsern Zweck nicht bereits vorher auf dem Ganges erreichen konnten.«

»Du bist schlau. Wie gut ist es, daß wir bereits einmal zur See gewesen sind!«

»Wir müssen Alles thun, um jeden Verdacht zu vermeiden, und uns ganz besonders das Vertrauen der Begum und Derer zu erwerben, die bei ihr sind.«

»Aber wann gehen wir zu Schiffe?«

»Heute noch nicht. Ich kenne den Lauf des Flusses sehr genau. Er macht hier viele und bedeutende Krümmungen, und wenn wir von hier aus den Landweg einschlagen, so sind wir dem Schiffe morgen früh eine Strecke zuvorgekommen.«

»Aber dieser Phansegar, welcher Dich kennt und Dir gedroht hat?«

»Was ist mit ihm?«

»Er wird Dich sofort erkennen, so bald wir das Fahrzeug betreten werden.«

»Er wird sich nicht auf demselben befinden.«

»Wie willst Du das so genau wissen?«

»Er hat mir gedroht, daß ich binnen dreien Tagen sein Messer gekostet haben werde, er muß sich also während dieser Zeit in der Gegend von Augh befinden und kann unmöglich mit dem Schiffe der Prinzessin weiterfahren wollen.«

»Das ist richtig. Aber wirst Du das Fahrzeug auch richtig wieder erkennen?«

»Der Nebel ist dicht; ich habe es mir aber trotzdem so genau betrachtet, daß ich mich nicht irren würde, selbst wenn ich den Namen nicht gelesen hätte.«

»Wie lautet er?«

»Die Badaya.« Indischer Ausdruck für Bajadere.

»Und was thun wir jetzt?«

»Wir treten unsern Weg an, ohne uns weiter um das Schiff, das Floß und die Phansegars zu bekümmern. Hier erwartet uns nur Unheil, wenn wir gesehen werden, und je weiter wir fort sind, desto näher sind wir am Ziele.«

»Doch unsere Schwimmtöpfe?«

»Dürfen wir weder liegen noch fortschwimmen lassen, da sie uns dann leicht verrathen könnten. Wir nehmen sie eine Strecke mit in das Land hinein und werfen sie dann von uns. Lege jetzt nun Deine Kleider an!«

Kaldi gehorchte, und dann begannen sie ihre Wanderung.

Sie kamen durch zahlreiche Dörfer, welche je entfernter von Augh, desto weiter vom Kriegsschauplatze lagen und ein ruhiges Leben zeigten. Die beiden Pilger erhielten überall einen Trunk Wasser und eine Handvoll Reis, und ein reicher Brahmane gab ihnen sogar neue Sandalen an die Füße, als er entdeckte, daß Lidrah musikalisch war und zur Raflah Indische Laute mit drei Saiten. zu singen verstehe.

Als sich dieser erste Tag zum Abende neigte, machten sie Halt auf einer Anhöhe, wo sie unter dem Schutze dicht belaubter Bäume sich ein Nachtlager herrichteten. Die Dunkelheit brach herein, und schon wollten sie die Ruhe suchen, als plötzlich gerade vor ihnen ein Feuer aufleuchtete, welches die Nähe von Menschen bekundete.

»Schau!« meinte Kaldi. »Was muß dies für ein Feuer sein?«

»Ein Wachtfeuer nicht, denn hier gibt es keine Krieger und auch keine Jäger.«

»Es sieht beinahe wie ein Schiffsfeuer aus.«

»Warum?«

»Weil es vom Nebel umgeben ist.«

»Wirklich!«

»Es muß ein Flüßchen in der Nähe sein.«

»Oder gar der Ganges.«

»Den hätten wir bemerkt.«

»Es war bereits ziemlich düster, als wir hier anlangten, und der Hügel kann so vor dem Wasser liegen, daß man den Fluß gar nicht sehen kann.«

»Wir wollten ihn aber doch erst morgen erreichen.«

»Ich glaube, daß wir uns zu weit nach Mittag hielten. Uebrigens, wo ein Feuer ist, da sind auch Leute, und da ist es mir lieber als hier in der Einsamkeit. Wir wollen uns erheben und sehen, wer dort zu finden ist. Komm!«

Sie standen wieder auf und schritten auf das Feuer zu.

Je mehr sie sich demselben näherten, desto größer und heller wurde es, und endlich erkannten sie in seinem flackernden Scheine die breite glänzende Fläche des Ganges, an dessen diesseitigem Ufer ein Fahrzeug vor Anker lag.

Jetzt blieb Lidrah überrascht halten.

»Kaldi, wir sind wirklich zu weit nach Mittag gegangen, viel zu weit.«

»Woraus erkennst Du das?«

»Weil wir sonst dieses Schiff nicht hier an dieser Stelle treffen könnten.«

»Welches ist es?«

»Die Badaya.«

»Wirklich?«

»Wirklich! Ich erkenne den Bau sehr genau, und siehst Du an der Seite seines Schnabels die weibliche Figur, welche tanzend den Schleier schwingt? Das Licht des Feuers fällt hell darauf. Es ist kein anderes Fahrzeug als die Badaya.«

»Desto besser. So brauchen wir nicht länger zu suchen.«

»Komm näher. Das Schiffsvolk hat sich an das Land gemacht und bereitet sich das Nachtmahl. Wollen einmal erst sehen, was es für Leute sind.«

Sie schlichen sich heimlich hinzu und betrachteten die vor ihnen liegende Gruppe.

»Es sind Schiffer und verschiedene Passagiere,« meinte der Kundschafter. »Vielleicht befinden sich unter den letzteren einige Thugs und Phansegars, welche die Begum begleiten und beschützen sollen. Der aber, den ich zu fürchten habe, der ist nicht dabei. Komm ein Stück wieder zurück, und dann lassen wir uns sehen.«

Sie schritten leise retour und traten dann laut auf das Feuer zu.

Die um dasselbe Versammelten vernahmen ihr Nahen und blickten sich um. Als sie zwei Männer erkannten, die eine ernste ehrwürdige Pilgermiene machten, grüßten sie:

»Ihr kommt ganz gewiß weit her. Wie schwitzet Ihr?«

Dieser Gruß ist der unter den Indiern allgemein übliche, da in diesem heißen Lande die Transpiration ein Zeichen der Gesundheit ist, während das Ausbleiben des Schweißes auf eine nahende und jedenfalls gefährliche Krankheit deutet.

»Wir danken Euch, Ihr Brüder,« antwortete der Kundschafter. »Wir schwitzen gut, und dafür ist Gott zu danken, da wir eine weite Reise hinter uns haben.«

»Wo kommt Ihr her?«

»Von den heiligen Bergen da oben, wo die Sonne kein Eis verzehren kann.«

»Was habt Ihr dort gethan?«

»Wir waren an der berühmten Quelle von Ahabar, aus welcher der heilige Stier der Berge trinkt. Wer von ihrem Wasser kostet, dem sind alle Sünden vergeben und er hat sogar auch noch Vergebung übrig für Alle, die ihr Lager und ihren Reis mit ihm theilen. Wie schwitzet Ihr?«

»Wir schwitzen sehr, denn wir haben dieses große Schiff zu regieren.«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Hinunter nach Kalkutta. Und Ihr, meine frommen Brüder?«

»Auch nach Kalkutta.«

»So weit?«

»Das ist nicht weit. Das Reich der Laskaren ist größer und weiter als von Kalkutta nach Ahabar und von da wieder zurück nach der Stadt des Stromes.«

»Wie, Ihr seid Laskaren?« frug der Mann, der jedenfalls der Führer der Badaya war.

»Ja.«

»So seid uns willkommen! Setzt Euch nieder und esset und trinket mit uns. Dann sollt Ihr uns von Eurer frommen Reise erzählen.«

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sie setzten sich und erhielten ihren Reis. Dann bereitete sich ein Jeder nach indischer Sitte sein Essen abgesondert von jedem Andern und verzehrte es, nachdem er sich so plazirt hatte, daß er von niemand beobachtet werden konnte.

Einer der Schiffer, welcher mit seinem Male zuerst fertig geworden war, griff an den Stamm eines Pfefferstrauches, an welchem seine Raflah hing. Er stimmte die Saiten und sang ein Lied, welches er mit einförmigen Griffen begleitete.

»Nun erzählt uns von Dem, was Ihr gesehen habt,« meinte der Schiffer.

»Laß diesen Mann erst noch sein Lied singen,« bat Lidrah. »Ich liebe die Raflah und das Lied und habe seit langer Zeit keines gehört.«

»So spielest Du die Saiten wohl auch selbst?«

»Ja, Sahib.«

»Und singest dazu?«

»Ja.«

»So sollst Du uns ein Lied singen. Nimm die Raflah, und wenn mir Dein Lied gefällt, dann nehme ich Euch umsonst bis nach Kalkutta mit.«

»Deine Seele ist voller Güte und Dein Herz voller Barmherzigkeit, Sahib,« antwortete Lidrah, im höchsten Grade erfreut über das glückliche Gelingen seiner Absichten. »Ich werde mir Mühe geben, Dir und den Deinen zu gefallen.«

Er nahm die Raflah, gab den Saiten eine andere Stimmung und begann:

»Es treibt die Fanna heimathslos
Auf der bewegten Fluth,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.«

Alle Anwesenden horchten auf. Das waren ganz andere Klänge, als sie zu hören gewohnt waren. Lidrah bemerkte es und fuhr fort:

»Er breitete die Netze aus
Im klaren Mondesschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
Und träumte sich allein.«

Jetzt erschien über dem Borde des Fahrzeuges ein Männerkopf, der seine dunklen Augen auf den Sänger richtete, welcher weiter sang:

»Da rauscht' es aus den Fluthen auf,
So geisterbleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
Und ward nicht mehr gesehn.«

Da war neben dem Männerkopfe ein wunderbar schönes Frauenantlitz zu erblicken. Kein Schleier deckte es, kein vorgehaltenes Tuch verbarg es vor dem Auge des Kundschafters, welcher jetzt das Lied beendete:

»Nun treibt die Fanna heimathslos
Auf der bewegten Fluth,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.«

Die Männer schlugen zum Zeichen ihres Beifalles mit den Händen auf ihre Knie. Lidrah achtete gar nicht darauf. Sein Auge war auf den schönen Mann gerichtet, welcher jetzt an einer von Palmenfasern gedrehten Strickleiter vom Schiffe an das Ufer stieg und zum Feuer trat. Es war Maletti.

»Wer bist Du?« frug er den Kundschafter.

»Ein Laskar, Namens Lidrah, Sahib.«

»Ein Laskar? Wie kommst Du hierher?«

»Ich und mein Bruder Kaldi hier kehren von einer Pilgerschaft zurück.«

»Du singst und spielst, wie ich es von einem Indier noch nie gehört habe.«

»Ich habe es von einem Manne gelernt, der aus dem Lande der Franken kam.«

»Dachte es. Kannst Du noch mehrere solcher Lieder?«

»Ja, Sahib.«

»Die Sahiba dort oben will gern noch eines hören.«

»Wenn sie es befiehlt, so werde ich ihr sehr gern gehorsam sein, Sahib.«

Er nahm das Instrument wieder zur Hand und begann mit einigen einleitenden Griffen in die Saiten. Er sah die prächtigen Augen Rabbadah's auf sich gerichtet; er fühlte sich wie getroffen von einem Strahle, den er so heiß noch niemals gefühlt hatte, und begann sein Lied mit einer Stimme, die allerdings nicht unschön genannt werden konnte:

»Die Lotosblume blühet
      So einsam auf dem See;
In stiller Sehnsucht siehet
      Verlangend sie zur Höh.

Des Ufers Schatten ruhten,
      Ach lange schon so kalt,
Rings auf den tiefen Fluthen,
      Die sie so kühl umwallt.

Nun möchte sie gar balde
       Den Strahl der Sonne sehn,
Vor dem zum dunklen Walde
       Die finstern Schatten gehn.

Und sinnend durch die Fluthen
      Fahr ich mit meinem Kahn;
Es hats mit ihren Gluthen
      Die Lieb' mir angethan.

Ich bin mit meinem Leide
      So einsam und allein,
Und möcht an ihrer Seite
      Doch gerne glücklich sein.

Und doch in ihren Blicken,
      Die nimmer mich verstehn,
Will es mir niemals glücken,
      Der Liebe Strahl zu sehn.«

Das Lied war zu Ende und erhielt ganz denselben Beifall wie das vorige.

»Ich bin zufrieden mit Dir,« meinte der Führer des Schiffes.

»Ihr sollt Beide mit uns nach Kalkutta gehen. Ihr seid Laskaren und kennt also die Schifffahrt?«

»Ja, Sahib.«

»Erlaubt Euch Eure fromme Pilgerschaft, auf einem Schiffe zu arbeiten?«

»Ja, wenn wir die Zahl der Gebete einhalten, welche wir gelobt haben.«

»Ihr sollt sie einhalten und dennoch einen guten Lohn erhalten, wenn Ihr mir bis Kalkutta zuweilen mithelfen wollt, die Segel zu richten oder etwas Anderes zu thun.«

»Wir wollen Dir gerne helfen, Sahib. Laß uns nur Deine Befehle wissen.«

Maletti stieg auf das Deck der Badaya zurück. Er war die einzige Person, die sich jetzt mit Rabbadah dort befand. Sie hatte sich am Steven niedergesetzt und erwartete ihn.

»War dieser Mann ein Eingeborener?«

»Ja.«

»Aber er sang so fremd und schön, wie ich mir nach der Beschreibung meines Bruders die Lieder der Franken vorgestellt habe.«

»Er hat die seinigen allerdings auch von einem Franken gelehrt bekommen.«

»Wunderbar, daß Ihr Franken alles besser wißt und besser könnt als wir!«

»Das hat zwei sehr wichtige Gründe, Sahiba.«

»Hast Du schon wieder vergessen, daß Du mich nicht mit diesem Titel nennen sollst!«

»Verzeihe mir! Ich bin ein armer Krieger, Du aber bist eine reiche Fürstin.«

»Die Fürsten stammen aus der Kriegerkaste, und mein Reichthum ist mir nicht so werth wie der Deinige. Der Geist und die Seele stehen höher als Gold und Silber. Aber sage mir, welche Gründe Du meintest!«

»Bei uns gibt es keine Kasten; ein Jeder kann werden, was er will, und die Gaben ausbilden und gebrauchen, welche er von Gott geschenkt erhalten hat.«

»So könnte bei Euch ein Paria ein Priester, ein Brahmane werden?«

»Ja, denn Gott schuf Beide zu seinem Bilde. Nicht die Geburt gibt dem Menschen seinen Werth, sondern der Mensch ist gerade so hoch oder so niedrig wie seine Gedanken, welche er denkt, seine Gefühle, welche er empfindet, und seine Thaten, welche er thut.«

»Das klingt so schön und richtig, aber ich kann es nicht verstehen. Vielleicht kommt die Zeit, in welcher ich weiß, was Du sagen willst. Und der zweite Grund?«

»Bei uns hat das Weib dieselben Rechte, wie der Mann sie hat.«

»Erkläre mir dies!«

»Das Mädchen wird so frei geboren wie der Knabe; es wird ihm Alles gelehrt, was es lernen will; es kann sich seinen Gatten wählen und ist nicht die Sklavin desselben. Es nimmt Theil an seinen Freuden und seinen Leiden und hat über die Kinder ganz dieselbe Gewalt wie der Mann. Gott ist die Allmacht und die Liebe, der Mensch aber ist sein Ebenbild; da nun aber der Mensch aus Mann und Frau besteht, so soll der Mann ein Ebenbild der göttlichen Allmacht und das Weib ein Ebenbild der göttlichen Liebe sein. Und wo Allmacht und Liebe auf Erden so innig zusammenwirken, da wird der Mensch seinem Gotte immer ähnlicher, da steigt die Weisheit und Gerechtigkeit vom Himmel hernieder, und die Völker nähern sich immer mehr der Erhabenheit und Herrlichkeit Dessen, der ihnen das Leben und das Dasein gab.«

»Auch dies verstehe ich nicht,« meinte sie; »aber ich wünsche, daß ich es begreifen könnte.« Dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Das Weib soll ein Ebenbild der göttlichen Liebe sein – – –«

Der Blick ihres wunderbaren Auges war gegen die Sterne: gerichtet; ihr Angesicht war ganz dasjenige eines Engels, welcher aus jenen Höhen hernieder gestiegen ist. Alphons konnte seinen Blick nicht von ihr wenden und wagte es, hingerissen von dem Zauber, den sie auf ihn ausübte, seine Hand auf die ihrige zu legen.

»Kennst Du die Liebe?« frug er mit leiser zitternder Stimme.

»Ich weiß es nicht.«

»So hast Du nie geliebt!«

»Vielleicht doch. Oder ist das keine Liebe, die man zur Mutter und zum Bruder hat?«

»Ja. Aber es gibt noch eine andere Liebe, die unendlich reicher, entzückender und beseligender ist und diese arme Erde zum Himmel, zur Wohnung der Seligen macht.«

»Welche meinest Du?«

»Die Liebe im Herzen des Mannes und des Weibes. Hast Du sie gekannt?«

»Nein. Ich kannte keinen Mann, ich wollte keinen Mann, ich liebte keinen Mann.«

»Und kennst und willst und liebst auch jetzt noch keinen Mann?«

»Darf nach Eurer Sitte ein Weib dies sagen?«

»Ja.«

»Wem darf sie es sagen?«

»Dem, den sie liebt.«

»Dann weiß er ja, daß sie ihn liebt!«

»Warum sollte er es nicht wissen dürfen?«

»Wenn er sie nun nicht wieder liebt?«

»O, die Liebe ist allmächtig, und kein Herz kann ihr widerstehen. Wer aus dem tiefsten Grunde seines Herzens hebt, der wird ganz sicher wieder Liebe finden.«

»Wenn dies doch wahr wäre!« flüsterte sie.

Er zog ihre Hand an sein Herz und neigte sich näher zu ihr hernieder.

»Weißt Du noch, was Du mir vorhin gebotest?«

»Was?«

»Ich soll Dich nicht mehr Sahiba nennen.«

»Ja. Nenne mich Rabbadah, wie mich die Mutter und der Bruder nannte.«

»Das darf ich nicht.«

»Warum?«

»Die Sitten und Gebräuche meiner Heimath gebieten, daß nur der Mann sein Weib bei diesem Namen nennen darf.«

Sie schwieg; aber sie ließ ihre Hand in der seinigen, und dies gab ihm den Muth, den Gefühlen Raum zu geben, welche die tiefste Tiefe seines Herzens durchflutheten.

»Nicht wahr, nun muß ich Dich dennoch Sahiba nennen?«

»Nenne mich, wie Du willst!« antwortete sie nach einigem Zögern.

»Und wenn ich nun dennoch jetzt Rabbadah zu Dir sagen wollte – – –?«

»Du darfst es.«

»Ich darf! Ist dies wahr, ist dies möglich, ist dies kein Traum, keine Täuschung?«

»Nein.«

Er hörte das Zittern ihrer flüsternden Stimme; er fühlte das Beben ihres kleinen Händchens; er konnte nicht anders, er mußte den Arm um sie legen und sie an sich ziehen.

»Rabbadah,« frug er mit stockender Stimme, »weißt Du, was Du jetzt gesagt hast?«

»Ich weiß es.«

»Genau?«

»Genau! Ich habe weder Vater noch Mutter, ich habe weder Bruder noch Schwester, ich habe keinen Freund und keinen Menschen als Dich allein. Du hast mich aus den Krallen des Panthers errettet, Du hast mir das Leben erhalten, als es bereits verloren war; es ist Dein, es gehört Dir, ich weiß nun, welche Liebe Du vorhin meintest, denn ich habe sie kennen gelernt und in meinem Herzen getragen seit dem Augenblicke, an welchem mir der Bruder von Dir erzählte. Nenne mich Rabbadah!«

»Rabbadah!« jubelte er.

Aber es war« kein lauter, sondern ein leiser, tief innerlicher Jubel, der aus seiner Stimme klang. Er schlang die Arme um das herrliche Wesen und zog es fest und innig an seine vor unendlicher Seligkeit hochklopfende Brust.

»Meine Seele, mein Engel, meine Göttin, so willst Du mein Weib sein, willst bei mir sein und mit mir, jetzt und immerdar?«

»Jetzt und immerdar!« hauchte sie, den Kuß erwidernd, den er auf ihre Lippen drückte.

»So schwöre ich Dir, daß jeder Augenblick meines Lebens, jeder Athem meiner Brust und jeder Pulsschlag meines Herzens nur Dir, Dir allein gehören soll, Rabbadah!«

Sie saßen eng umschlungen neben einander; die Sterne funkelten wie Diamanten, das Kreuz des Südens leuchtete glänzend auf sie hernieder, doch die Sterne, welche in den Herzen dieser beiden Glücklichen aufgegangen waren, strahlten heller, viel heller noch als alle die Brillanten des tropischen Firmamentes.

Drunten am Feuer hatte unterdessen die Unterhaltung ihr Ende erreicht, und man traf Anstalten, sich zur Ruhe zu begeben. Lidrah trat zum Schiffsführer.

»Sahib, erfülle mir und meinem Bruder eine Bitte.«

»Welche?«

»Wir sind Laskaren und haben das Gelübde gethan, niemals auf der Erde zu schlafen, wenn es möglich ist, auf einem Schiffe Ruhe zu finden.«

»Ihr scheint begeisterte Matrosen zu sein! Ihr wollt auf der Badaya schlafen?«

»Ja. Unser Gelübde gebietet es uns.«

»Dann muß ich Euch Eure Bitte gewähren. Aber stört den Sihdi und die Sahiba nicht, welche sich in die Kajüten des Hinterdecks zurückgezogen haben werden!«

Die beiden Männer stiegen, Lidrah voran, an der Strickleiter empor. Sie erreichten das Verdeck, ohne von den beiden Liebenden bemerkt zu werden.

»Kaldi!« flüsterte der Kundschafter.

»Was?«

»Siehst Du dieses herrliche Weib?«

»Sie ist schöner noch als die Sonne, schöner als die Morgen- und Abendröthe!«

»Es ist die Begum.«

»Ist dies wahr?«

»Ja. Komm leise. Sie haben geglaubt, allein auf dem Schiffe zurückzubleiben, und darum ihre Kajüten noch nicht aufgesucht. Wir legen uns unter das Segel, wo sie uns nicht bemerken können.«

Sie schlichen sich an der Schanzverkleidung hin und krochen unter die dicke Matte, welche der Badaya als zweites Segel diente und von wo aus sie Maletti und Rabbadah ganz genau beobachten konnten, ohne von ihnen gesehen zu werden.

»Weißt Du, Kaldi, wie viel dieses Weib werth ist?« frug Lidrah.

»Wie viel?«

»Mehr, tausendmal mehr als alle ihre Schätze, als all ihr Gold und ihre Diamanten.«

»Hm! Ich ziehe mir vielleicht doch ihre Diamanten vor.«

»Ich folgte ihr um ihrer Schätze willen, nun aber steht es fest, daß auch sie mein werden muß. Hast Du mich verstanden, Kaldi? Mein muß sie werden!«

»Du bist von Sinnen!«

»Ja, denn alle meine Sinne sind bei ihr.«

»Du und eine Prinzessin! Du und die Schwester des Maharajah von Augh!«

»Ja, ich und sie! Sie muß mein Weib werden, wenn ich nicht vorher sterbe.«

»Und dieser Mann, der bei ihr sitzt?«

»Ich kenne ihn nicht, ich frage nicht nach ihm, obgleich er sie umschlungen hält. Vielleicht ist es der Phansegar, der mit ihr aus dem Garten des Rajah geflohen ist.«

»Sie lieben sich!«

»Es wird nicht lange währen, so ist er todt und sie liebt mich!«

»Du willst das Weib haben und wirst Dich dadurch um ihre Schätze bringen!«

»Nein, denn ich werde nicht unklug, sondern nur mit der allergrößesten Vorsicht und Schlauheit handeln; darauf kannst Du Dich verlassen. Wir werden alle Abende, wenn das Schiff an das Ufer anlegt, auf dem Decke bleiben und jede Gelegenheit erspähen, nach dem Schatze der Begum forschen zu können. Mein wird er und sie dazu, das schwöre ich bei allen Göttern und Geistern des Himmels und der Erde!« – – –

Mehrere Wochen später langte die Badaya in Kalkutta an. Es war am Abende, als sie vor Anker ging. Der Kapitän gab Befehl, daß keiner der Leute das Schiff verlassen dürfe, er selbst aber bestieg das kleine Boot und ruderte sich mit eigener Hand vorwärts, bis er an eine breite Treppe gelangte, welche vom Wasser aus zum hohen Ufer führte. Hier befestigte er das Boot an einem eisernen Ring und stieg die Treppe empor.

Er gelangte auf der letzten Stufe an ein hohes breites Thor, welches verschlossen war. Er schien öfters hier gewesen zu sein, denn schon bei dem ersten Griffe fand er den Knopf, welcher eine Klingel in Bewegung setzte. Schnelle Schritte ertönten hinter dem Thore, und eine Stimme gebot:

»Es ist zu spät zum Oeffnen. Geht wieder fort, und kommt morgen wieder!«

»Ali, öffne!« antwortete der Kapitän einfach.

Dieser Ruf mußte doch eine gewisse Wirkung ausüben, denn die Stimme frug:

»Wer ist draußen?«

»Ein Freund der Freunde.«

»Das ist etwas anderes. Wartet. Ich werde sofort öffnen!« Ein Schlüssel wurde angesteckt, ein Riegel zurückgeschoben und ein Flügel des Thores aufgezogen.

»Wer da!«

»Namen werden nicht genannt. Kennst Du mich nicht, Ali?«

Der Diener blickte dem Kapitän in das Gesicht und beugte sich dann zur Erde nieder.

»Sahib, Euer Eingang sei gesegnet jetzt und in Ewigkeit. Tretet näher!«

Er verschloß das Thor wieder und schritt dann voran, über den Hof hinweg.

»Ist Dein Herr zu Hause?«

»Ja. Er sitzt über seinen Büchern.«

»Und zu sprechen?«

»Für Euch immer, wie Ihr wißt.«

»So melde mich ihm!«

Sie betraten ein großes palastähnliches Gebäude, schritten durch mehrere breite, lange und sparsam erleuchtete Korridore und hielten endlich vor einer Thür an.

»Tretet ein, Sahib! Euch brauche ich nicht anzumelden,« meinte der Diener.

Der Kapitän trat ein.

Er stand in einem hohen Räume, dessen vier Wände ganz von Büchergestellen eingenommen wurden, welche von grünen Vorhängen verdeckt waren. An einem alterthümlichen Schreibtische saß ein hoch und kräftig gebauter Mann, den man an seiner eigenthümlichen Kleidung gleich als einen jener Parsi erkannte, welche in ganz Indien wegen ihrer Reichthümer und strengen Rechtlichkeit bekannt sind. Der Mann warf einen Blick nach der Thür, erkannte den Eintretenden und erhob sich sofort.

»Kapitän! Du hier! Es muß eine wichtige Botschaft sein, die Dich zu so später Stunde zu mir führt.«

»Das ist sie, Samdhadscha.«

»So setze Dich und sprich! Wo kommst Du her?«

»Aus Augh,« antwortete der Gefragte, indem er ungenirt Platz nahm.

»Aus Augh? Die Engländer haben dort gesiegt, wie man hörte?«

»Durch Verrath!«

»Ich glaube es. Der Maharajah soll todt sein.«

»So ist es.«

»Der Sultan von Symoore und der Rajah von Kamooh desgleichen?«

»Desgleichen.«

»Es liegt ein Fluch auf diesem Lande, welches in die Hände der Franken gelegt wurde, um seinen letzten Lebenstropfen zu verbluten. Welche Ladung hast Du?«

»Eine geheimnißvolle.«

»Ah!«

»Daher komme ich so spät zu Dir. Ich habe Dir eine Botschaft zu überbringen.«

»Welche?«

»Keinen Brief, kein Wort, sondern nur dieses einfache Zeichen hier.«

Er zog aus seiner Tasche ein kleines Lederetui und öffnete es. Es enthielt ein winziges, in Silber gearbeitetes Messer, welches ganz genau dieselbe Form wie ein Phansegarmesser hatte. Der Parsi griff mit sichtbarer Ueberraschung nach demselben.

»Das geheime Zeichen! Gib her, gib schnell her; kein Mensch darf es sehen!«

»Weißt Du, was es bedeutet?«

»Es bedeutet, daß ich Alles thun werde, was Du jetzt von mir verlangst.«

»Es ist nicht viel.«

»Sag es!«

»Mich nach meinem Schiffe zu begleiten.«

»Was gibt es dort?«

»Das wirst Du sehen und erfahren.«

»So komme!«

Samdhadscha setzte seine hohe Mütze auf, theilte seinen langen Bart auf die beiden Seiten der breiten Brust und schritt mit dem Kapitän dann denselben Weg zurück, den dieser gekommen war. Ali schloß das Thor hinter ihnen.

»Keine Ruderer?« frug der Parsi verwundert, als sie bei dem Boote anlangten.

»Ich rudere selbst. Es darf niemand erfahren, wen ich an Bord habe, und darum soll auch keiner meiner Leute das Schiff verlassen bis Alles in Ordnung ist.«

»Du sprichst in Räthseln!«

»Die Dir bald klar sein werden.«

Sie langten bei der Badaya an und stiegen an Bord. Dann führte der Kapitän den Parsi nach dem Hinterdecke und öffnete die Thür einer Kajüte.

»Tritt hier hinein!«

Samdhadscha trat ein und zog die Thür hinter sich zu. Der Raum war klein und enthielt nur einen einzelnen Menschen, der sich jetzt erhob. Es war Maletti.

»Friede und Heil sei mit Dir!« grüßte der Parsi. »Bist Du es, der mich rufen ließ?«

»Ich bin es. Setze Dich!«

Er bot dem Gaste Platz neben sich auf dem Divan und eine persische Hukah, Tabakspfeife. zu welcher er ihm das Feuer reichte.

»Erlaube, daß ich Dich bediene. Wir brauchen keinen Tschibuktschi Diener, welcher den Tabak anzündet. hier.«

Der Parsi brannte an und lehnte sich dann gemächlich in das Polster, die Rede erwartend, die ihm erklären sollte, weshalb er an Bord gerufen sei.

»Du hast das Zeichen erhalten?« frug Maletti.

»Ja.«

»Es wurde mir gesagt, daß Du es beachten würdest.«

»Es gilt mir als die beste Empfehlung, vielleicht sogar als ein Befehl. Wer hat es dem Kapitän übergeben, Du oder ein Anderer?«

»Ich.«

»So sprich, was Du von mir verlangest.«

»Ein Schiff.«

»Wohin?«

»Nach Batavia!«

»Es geht bereits morgen eines dorthin ab. Du sollst den besten Platz erhalten.«

»Ich muß es allein haben.«

»Allein, das geht nicht.«

»Warum?«

»Weil es Dich zu viel kosten würde.«

»Ich bezahle es.«

»Ich müßte die Passagiere fortjagen, die sich bereits an Bord befinden.«

»So gib mir ein anderes Schiff:«

»Du sprichst, als besäßest Du Millionen!«

»Ich besitze sie.«

»Ah? Du kennst meinen Namen?«

»Ja. Ich habe ihn vom Kapitän erfahren.«

»So ist es wohl billig, daß ich auch den Deinigen erfahre?«

»Gewiß. – Ich heiße Alphons Maletti – –«

»Weiter!«

»War Volontär-Lieutenant in englischen Diensten – –«

»Also kein Engländer?«

»Nein. Und ging mit General Lord Haftley nach Augh –«

»Um dem Maharajah durch Verrath sein Tand zu stehlen!« meinte der Parsi mit zornig blitzenden Augen, indem sich seine Stirne in finstere Falten legte.

»Ich konnte kein Verräther sein, weil ich ein Freund des Maharajah war.«

»Du?«

»Ich lernte ihn hier kennen, als er sich inkognito hier befand.«

»Ah, so bist Du jener Lieutenant, von dem er mir erzählte! Sei mir gegrüßt, denn es ist ganz unmöglich, daß Du sein Gegner geworden sein kannst!«

»Er sprach zu Dir von mir? Er hat bei Dir verkehrt? Ich weiß nichts davon.«

»Es gab wichtige Gründe, unsere Zusammenkünfte geheim zu halten. Er ist todt!«

»Ich war dabei,« antwortete Maletti düster. »Ich rettete seine Leiche.«

»Das thatest Du? Und doch zogst Du mit diesem Haftley gegen ihn!«

»Haftley wollte mich bestrafen, weil ich das Inkognito des Maharajah nicht verrathen hatte. Ich ging zu dem Könige von Augh über.«

»Das war gut, das war brav, das war edel von Dir!«

»Der Sultan von Symoore eroberte die Stadt Augh; die Engländer vergalten ihm den Undank und vertrieben die Leute von Symoore und Kamooh aus Augh. Das Land gehört den Engländern. Die Thugs verbrannten die Leiche von Madpur Singh und mit ihr den Sultan von Symoore, den Rajah von Kamooh, den General Haftley, den Rittmeister Mericourt und mehrere britische Offiziere.«

»Das hätten sie gethan? Eine solche Rache hätten sie genommen?«

»Ich erzähle es, und also ist es wahr.«

»Ich glaube es Dir, und darum will ich den Thugs so Vieles vergeben, was sie auf ihrem Gewissen haben. Aber der Maharajah hatte eine Schwester, die ihm noch lieber als sein Leben war. Was ist aus der Begum geworden? Wurde sie auch getödtet?«

Maletti erhob sich und öffnete die Thüre zu einer Nebenkajüte.

»Hier ist sie.«

Rabbadah stand unter der Thür. Kein Diamant, kein Ring, keine Spange glänzte in ihrem Haare oder an ihrem Gewande; sie trug nur den einzigen Schmuck ihrer Schönheit, aber dieser war so groß, so bezaubernd und überwältigend, daß der Parsi, welcher sich ebenso erhoben hatte, sich ganz verwirrt niederbeugte, um den Saum ihres Kleides zu küssen.

»Fürstin,« rief er, »gebiete über mich und mein Leben; es gehört nur Dir!«

»Dein Name ist Samhadscha, der Aelteste der Parsi in Kalkutta?«

»Ich bin es.«

»Madpur Singh liebte dich. Du warst sein Freund. Willst Du auch der meinige sein?«

»Ich will Dein Freund, Dein Diener und Dein Sklave sein.«

»Eine Flüchtige braucht Freunde, Sklaven kann sie sich kaufen. Dieser Mann wird mein Gemahl sein. Willst Du uns im Geheimen nach Batavia bringen?«

»Ich werde es thun. Noch mit dem frühesten Morgen soll ein Schiff abgehen, und es soll Euch keine Rupie kosten. Sage es mir, ob Du Geld bedarfst. Ich gebe es Dir.«

»Ich brauche es nicht, denn ich habe den ganzen Schatz von Augh bei mir. Doch setze Dich, und laß uns erzählen von dem, was wir so Trauriges erfahren haben!«

»Verzeihe, Fürstin, daß ich dazu keine Zeit jetzt habe. Du bist in Kalkutta keinen Augenblick in Sicherheit, und daher muß ich schleunigst eines meiner Fahrzeuge fertig machen und bei der Hafenbehörde jedes Hinderniß beseitigen, welches das in See stechen desselben verzögern könnte, Du sollst mein bestes Schiff und meinen besten Kapitän haben; nur glaube ich, daß es mir bei solcher Eile an guten Matrosen fehlen wird. Selbst wenn ich alle Leute zusammensuche, fehlen noch ihrer Zwei.«

»Wir haben zwei an Bord bei uns,« fiel die Prinzessin ein.

»Welche mitfahren würden?«

»Ja.«

»Was für Leute?«

»Laskaren.«

»Das sind gewöhnlich wackere und brauchbare Matrosen, aber auch sehr zank- und händelsüchtige Menschen.«

»Diese Beiden sind außerordentlich friedfertige und sanfte Männer.«

»Abgerechnet,« fiel hier Maletti ein, »daß mir ihre Augen nicht gefallen.«

»An den Augen kann man sich irren,« antwortete der Parsi, »und bei einem Matrosen ist der Blick Nebensache. Wann kamen sie auf die Badaya?«

»An der Grenze von Augh.«

»Wo kamen sie her?«

»Von einer Pilgerfahrt.«

»Haben sie an Bord gearbeitet?«

»Mehr als die Andern alle.«

»So sind es nicht blos fromme, sondern auch fleißige Männer, die man gebrauchen kann. Haltet sie bereit, wenn ich Euch abhole! Jetzt aber, Fürstin, muß ich mich entfernen. Erzählen können wir, wenn wir uns an Bord des Dreimasters befinden.« – –

Es war ungefähr eine Woche später. Der Schnellsegler Bahadur Der Held hatte die Andamanen und Nikobaren douplirt und hielt sich im Westen von Sumatra gerade nach Süden, um dann mit dem Passat gerade Ost auf Java zu gehen. An Bord stand Alles wohl, das mußte man dem fröhlichen Gesichte des Kapitäns ansehen, welcher mit Maletti auf dem Hinterdecke hin und her spazierte. Er war ein Franzose, gerade wie der Lieutenant, und daher war es nicht verwunderlich, daß Beide während der Fahrt sehr viel und gern mit einander verkehrten.

»Ein Roman, ein völliger wirklicher Roman ist es, den Sie durchlebt haben,« meinte soeben der Kapitän. »Ich wollte, daß ich der Held desselben wäre!«

»Noch ist der Schluß desselben nicht im Druck erschienen!«

»Pah! Der Schluß läßt sich aus der ganzen Anlage des Opus leicht vermuthen.«

»Und dennoch muß ich gestehen, daß ich seit einiger Zeit von finsteren Gedanken geplagt werde, die ich trotz aller Mühe nicht von mir weisen kann.«

»Finstere Gedanken?« lachte der Kapitän. »Sie sehen am hellen lichten Tage Eulen fliegen. Unsere Fahrt ist eine außerordentlich gute und schnelle, und wird voraussichtlich bis Batavia nur eine ganz kurze Unterbrechung erleiden.«.

»Welche?«

»Ich habe stets das seltene Glück gehabt, mit meinen Leuten zufrieden sein zu können, bekam aber vor meiner letzten Fahrt doch einen Kerl an Bord, der mir ein Weniges zu schaffen machte. Damit er die Andern nicht anstecken sollte, kam ich auf den Gedanken ihn auszusetzen – – –«

»War das nicht ein wenig grausam?«

»Gar nicht. Ich gab ihm Proviant die Menge und setzte ihn auf eine kleine Insel, die ihm mehr Früchte und Wasser liefert, als zehn Männer brauchen.«

»Also eine kleine Robinsonade?«

»Klein und kurz, denn er sollte dort bleiben nur bis ich wieder vorüberkommen würde.«

»Das werden Sie jetzt?«

»Ja. Das Eiland liegt zwar ein wenig außer der Route, aber gerade deshalb paßte es mir zu dem angegebenen Zwecke. Ich wußte, daß es nur allein mir bekannt sei und also kein anderes Schiff die Einsamkeit meines Büßers verkürzen werde.«

»Sie wird ihn gebessert haben.«

»Ich hoffe es; er war nur leichtsinnig, nicht aber boshaft.«

»Wann werden wir dort anlegen?«

Der Kapitän prüfte das Segelwerk.

»Ich halte bereits etwas außer der Route nach Süd, und bei dieser Luft ist vorauszusehen, daß wir das improvisirte Gefängniß noch heute Nacht erreichen werden. Wo nicht, so werde ich bis zum Morgen vor demselben kreuzen.«

Während dieses Gespräches saß der Schiffszimmermann mit den beiden Laskaren vorn im Quartier. Es war ein alter holländischer Seebär, hatte sich aber so viel und lange in diesen Gewässern herumgetrieben, daß es ihm nicht schwer wurde sich mit einem Malayen, einem Singhalesen oder einem Indier verständlich zu machen.

»Also Du sagst, daß wir nicht den rechten Kurs einhalten?« frug Lidrah.

»Ich? Hm! Meinst Du? Hm, ja, so etwas habe ich gesagt.«

»Welche Seite sollten wir denn eigentlich halten?«

»Welche Seite? Hm! Ich glaube, der eigentliche Kurs liegt mehr nach Lee.«

»Aber warum lassen wir ihn denn fallen?«

»Wen? Hm! Den richtigen Kurs? Hm, das wird wohl wegen Hilbers sein.«

»Hilbers? Wer ist das?«

»Wer das ist? Hm! Das ist nicht, sondern das war. Nämlich das war der Segelmacher hier an Bord.«

»Wegen was ist es denn wegen ihm?«

»Wegen was? Wegen ihm? Hm, weil er da gerade vor unserem Bug wohnt.«

»Das verstehe ich nicht!«

»Glaube es. Hm! Erst wohnte er allerdings nicht dort, sondern in seiner guten Koje auf dem Bahadur; dann aber macht er das Ding zu stark.«

»Welches Ding?«

»Welches? Hm! Ich denke, es wird entweder seine Segelnadel oder sein Maul gewesen sein. Das eine war nämlich so spitz und scharf wie das andere.«

»So erzähle doch weiter!«

»Erzählen? Hm! Kann man denn erzählen, wenn man nicht gefragt wird?«

»Allerdings!«

»Glaube es nicht, denn aus Wind und Segel wird eine Fahrt, und aus Rede und Antwort wird eine Geschichte; Oder meint Ihr, daß ich nicht Recht habe?«

»Also was war es denn mit diesem Segelmacher?«

»Was? Hm! Ihr wißt doch, daß die Subordination allerorts die Hauptsache ist!«

»Das wissen wir.«

»Schön! Hm! Und gerade von dieser Hauptsache wollte der Hilbers nichts wissen.«

»Wie so?«

»Wie so? Hm! Weil er lieber machte, was er wollte, statt zu thun, was ihm der Kapitän befahl. Und kam dann der Verweis, so gebrauchte er die Zunge in einer Art und Weise, die sich kein braver Kapitän gefallen lassen kann.«

»Und dann?«

»Dann? Hm, dann kam natürlich die Zeit, in welcher es dem Kapitän zu toll wurde; das könnt Ihr Euch als Seeleute und Laskaren doch wohl denken!«

»Da bekam er wohl die Katze?«

»Katze? Hm! Hatte sie schon sehr oft bekommen, es half aber nichts.«

»Oder halbe Ration?«

»Half nichts.«

»Ins Tau gehängt?«

»Half nichts.«

»Spießruthen?«

»Half nichts.«

»Gekielholt?«

»Gekielholt? Hm! Das wäre doch vielleicht etwas zu stark gewesen!«

»Nun, was that der Kapitän denn?«

»Der Kapitän? Hm! Der nahm ihn und setzte ihn gemüthlich auf die Insel.«

»Auf welche Insel?«

»Habe nicht nach dem Namen gefragt; soll auch gar nicht auf der Karte stehen.«

»Also ausgesetzt ist er worden? Und auf der Insel ist er wohl noch?«

»Noch? Hm! Freilich ist er noch dort, und daher eben fallen wir vom gewöhnlichen Kurse ab, denn der Kerl wird wieder an Bord genommen.«

»Wann kommen wir an diese Insel?«

»Wann? Hm! Vielleicht noch heute, wie der Steuermann gestern sagte.«

»Ist diese Insel groß?«

»Diese Insel? Ich denke, sie wird vielleicht ein wenig größer sein als meine Hand hier; so groß aber wie China und beide Indien scheint sie nicht zu sein.«

Lidrah blickte sehr nachdenklich vor sich hin; fast schien es, als ob er im Begriffe stehe, einen Gedanken zu verarbeiten, der ihm selbst noch nicht ganz klar sei.

»Waren Bäume auf der Insel?«

»Bäume? Hm! Ja, es wird wohl sein, daß ich welche darauf gesehen habe.«

»Was für welche?«

»Was? Hm! Ihr thut ja gar, als ob es ebenso viele Arten von Bäumen gäbe, als es Arten von Schiffen gibt. Baum ist Baum, das könnt Ihr Euch nur merken.«

»Und gab es Wasser da?«

»Wasser? Natürlich! Genug und satt, besonders um die Insel herum.«

»Sahst Du Berge dort?«

»Berge? Hole Euch der Teufel! Was gehen einem Seemanne die Berge an!«

»Oder Thiere?«

»Thiere? Hm! Ich glaube, der Hilbers wird das einzige Viehzeug auf der Insel sein, wenn es nicht unterdessen einem Walfisch eingefallen ist, dort an Land zu segeln, um Eure vielen Arten von Bäumen zu studiren.«

»Ist ein Hafen da?«

»Hafen? Hm! Ja, gerade so groß, daß Du Dich lang hineinlegen kannst.«

»Gibt es Gras und andere Pflanzen dort?«

»Gras und Pflanzen? Hm! Hört einmal, Ihr Männer, haltet Ihr mich etwa für eine Kuh oder für einen Ziegenbock, daß Ihr mir zumuthet, mich um Gras und Grummet zu bekümmern? Hole Euch der Teufel! Zuletzt fragt Ihr mich auch noch ob es Hühnernester dort gibt, weil Ihr meint, ich solle Euch einige Dutzend Eier legen. Bleibt mir vom Leibe, Ihr neugierigen Bengels, Ihr!«

Er warf seine Priese Kautabak aus dem linken in den rechten Backen und schob sich höchst verdrießlich über das verunglückte Examen von dannen.

Die beiden Laskaren blieben zurück.

»Warum frugst Du ihn in dieser Weise aus, Lidrah?« meinte Kaldi.

»Weil ich denke, daß nun endlich die Zeit gekommen ist.«

»Ah!«

»Ja.«

»In wie fern?«

»Weil wir auf Java oder gar in Batavia nichts mehr zu thun vermögen.«

»Das ist sehr richtig.«

»Auch in der Nähe von Java, auf dem befahrenen Seewege ist es bereits zu spät.«

»Allerdings.«

»Also müssen wir unsern Plan unbedingt vorher ausführen.«

»Unsern Plan? Hast Du denn endlich einen Plan?«

»Ich habe ihn. Ich dachte ihn mir während der Erzählung des Zimmermanns aus.«

»So laßt ihn hören.«

»Der Schatz wird unser; die Begum wird mein, und die Andern müssen sterben.«

»Wie willst Du dies anfangen? Das ist ja doch die Hauptsache!«

»Es soll einer auf einer wüsten Insel aufgenommen werden. Auf dieser Insel werden wir den Schatz verstecken und warten, bis uns ein Schiff aufnimmt.«

»Wie kommen wir mit dem Schatze auf die Insel?«

»Der Kapitän muß entweder vor ihr halten oder vor ihr kreuzen oder mit eingerefften Segeln an ihr vorübertreiben, indem er ein Boot absendet, den Matrosen zu holen. Das gibt uns Zeit und Gelegenheit, Alles auf dem Schiffe zu tödten.«

»Ich stimme bei. Aber warum den Schatz auf der Insel verbergen?«

»Was denn sonst?«

»Wir segeln mit dem Schiffe weiter.«

»Und werden ergriffen und gehängt, wenn uns nicht vorher die See verschlungen hat! Wir Zwei können das Fahrzeug doch unmöglich bedienen, und selbst wenn wir dies könnten, würden uns die Spuren bei der ersten Begegnung oder im ersten Hafen verrathen. Wir schaffen den Schatz mit der Begum an das Land und bohren dann das Schiff an, daß es mit Mann und Maus auf offener See versinkt.«

»Aber auch dann wird uns der Schatz verrathen.«

»Thor! Sobald ein Schiff erscheint, geben wir uns für Schiffbrüchige aus und nehmen von dem Schatze nur so viel mit, als wir an unserm Leibe verbergen können. Das Uebrige holen wir später nach, indem wir uns eine Praue miethen.«

»Und die Begum?«

»Bleibt auf der Insel dann zurück.«

»Sie wird sich dagegen wehren und uns verrathen.«

»Wer todt ist, wehrt sich nicht mehr. Jetzt aber treffen wir bis zum Abende nicht mehr zusammen, damit nicht unsere Unterredungen Verdacht erregen.«

Am Nachmittage starb der Wind langsam ab, und selbst als er sich gegen Abend ein wenig erholte, war er so schwach, daß kaum ein Vorwärtskommen zu bemerken war. Dennoch bemerkte man noch vor Hereinbrechen der Dunkelheit ein kleines Eiland, welches sich in nicht zu großer Ferne aus den Fluthen des Meeres erhob.

»Werden Sie ein Boot aussetzen, um den Mann abholen zu lassen?« frug Maletti den Kapitän, an dessen Seite er die Insel durch das Glas betrachtete.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»In diesen Breiten bricht die Dunkelheit so schnell herein, daß das Boot vorher die Insel nicht erreichte und sich also leicht von uns verlieren könnte. Die Schiffslaterne leuchtet nicht bis dort hinüber. Und selbst wenn es das Eiland erreichte, muß es den Mahn vielleicht erst suchen, und dann können wir nicht wissen, welche Abtrifft wir haben und welche unvorhergesehene Ereignisse eintreten können.«

»Was werden Sie also thun?«

»Ich lasse das Steuer so halten, daß wir bei dieser flauen Luft auf die Insel zu und in einiger Entfernung während der Nacht an ihr vorübertreiben, am Morgen ist der Mann dann leicht gefunden und schnell eingeholt. Bemerken Sie, wie schnell es bereits dunkelt? Das Abendbrod steht bereit. Lassen Sie uns zur Kajüte gehen.«

Nach dem Abendessen wurden die Glasen Schiffszeit. abgerufen, und die erste Nachtwache trat an. Bei ihr befand sich der Laskare Lidrah, welcher sich mit seinem scharfen Dolche bewaffnet hatte.

Der Steuermann hatte den Befehl auf Deck; der Kapitän war schlafen gegangen und ebenso alle übrigen Mannen. Nur der Lieutenant lehnte neben der verschleierten Begum noch einige Zeit an der Reiling, bald aber begaben sich Beide auch zur Ruhe.

Lidrah wartete noch eine Weile und trat dann zum Steuermann.

»Sehr langsame Fahrt, Herr!«

»Sehr!« antwortete der Mann kurz.

»Werden wir heute Nacht bis an die Insel kommen?«

»Meine es!«

»Wo mag sie jetzt wohl liegen?«

»Dort!«

Es war das letzte Wort, welches er aussprach, denn indem er den Arm in der Richtung nach dem Eilande ausstreckte, fuhr ihm der Dolch mit solcher Sicherheit in das Herz, daß er nur noch einen leise pfeifenden Seufzer ausstieß. Der Laskare fing den Körper auf und ließ ihn geräuschlos niedergleiten. Dann suchte er sich unbefangen sein zweites Opfer aus. Es war dies ein Matrose, welcher behaglich am Besaanmast lehnte.

Nur fünf Minuten später ließ er sich durch die vordere Luke zu den Schlafkojen hinab, wo eine Oellampe ihren trüben, täuschenden Schein verbreitete. Nur Kaldi hatte sich wach erhalten; die Andern schliefen alle den festen Schlaf, der solchen kräftigen Naturen eigen zu sein pflegt. Ein Wink genügte, und der Bruder erhob sich vorsichtig aus seiner Hängematte, um ihm in seinem blutigen Werke beizustehen.

Fast zu derselben Zeit war es dem Kapitäne trotz des Schlummers, in welchem er lag, als habe er ein ordnungswidriges Geräusch vernommen. Er wachte sofort vollends auf und lauschte. Es nahten Schritte seiner von innen verriegelten Thür, und dann klopfte es respektvoll an dieselbe an.

»Wer draußen?«

»Matrose Lidrah!«

»Was gibt es?«

»Der Steuermann schickt mich. Es ist so etwas wie ein Feuerschein am Horizonte zu sehen, Sahib.«

»Pah! Der ausgesetzte Mann hat unser Schiff gegen Abend bemerkt und ein Feuer angebrannt, um uns auf die Insel aufmerksam zu machen.«

»Das ist es nicht, Sahib, denn der Schein ist Nord bei West zu sehen.«

»Dann brennt ein Fahrzeug. Ich komme gleich; laßt aber noch nicht wecken!«

Die Schritte draußen entfernten sich, und der unglückliche Kapitän konnte nicht hören, daß sie leise wieder zurückkehrten. Er warf schnell die nothwendigsten Kleidungsstücke über, öffnete die Thür und trat hinaus. In demselben Augenblicke erhielt er einen Dolchstoß in die Brust. Der Stich war nicht sofort tödtlich.

»Hilfe! Mörder! Alle Mannen zum Kapitän!« rief er mit dröhnender Stimme.

Auch er sprach nicht weiter. Indem er zufassen wollte, erhielt er einen zweiten Stich, der so sicher gezielt war, daß er seinem Leben ein Ende machte.

Der Hilferuf des Kapitäns war so laut gewesen, daß ihn Maletti ganz nothwendiger Weise hören mußte, selbst wenn er auch bereits geschlafen hätte. Das war aber nicht der Fall; vielmehr saß er an seinem Tische und arbeitete an einem Tagebuche, welches er sich seit seiner Abreise von Kalkutta angelegt hatte. Weil seine Thür sehr dicht schloß, hatte der Laskare den Schein des Lichtes nicht bemerken können, und dieses stand zufälliger Weise so, daß auch kein Strahl davon durch das kleine runde Fensterchen hinaus auf die See fallen konnte. Als Maletti den Hilferuf vernahm, warf er die Feder von sich, riß den Degen und den stets geladenen Revolver von der Wand, stieß die Thür auf und sprang empor zum Verdecke. In demselben Augenblicke kamen die beiden Laskaren aus der Kapitänskajüte.

»Was ist los beim Kapitän?« frug er sie.

Lidrah kam langsam schleichend auf ihn zu und antwortete mit unterwürfiger Stimme:

»Der Kapitän muß geträumt haben, Sahib, denn –«

»Halt!« unterbrach ihn Maletti. »Bleib stehen, sonst schieße ich.«

Er hatte den Beiden schon längst nicht getraut und ahnte jetzt augenblicklich, daß der Kerl sich ihm nur nähern wolle, um sich dann plötzlich auf ihn zu werfen. Lidrah sah den Lauf des Revolvers blitzen und blieb unwillkürlich halten.

»Steuermann!« rief Maletti.

Keine Antwort ertönte, aber unweit von sich sah er den bewegungslosen Körper eines Menschen liegen.

»Alle Mann an Deck!« donnerte er jetzt.

Auch das war vergebens. Nur eine einzige Bewegung gab es: Lidrah erhob den Arm; sein Dolch sauste herbei und fuhr Maletri in den linken Arm; da aber erscholl der erste Schuß, und der Mörder stürzte, von der Kugel durch den Kopf getroffen, zu Boden. Im nächsten Momente stand der Lieutenant vor Kaldi; sein Degen blitzte und der Hieb traf den Laskaren so tief in die Schulter, daß auch dieser augenblicklich niedersank.

Da öffnete sich eine andere Thür, und Rabbadah erschien.

»Man schießt! Was gibt es hier?« frug sie mit ängstlicher Stimme.

»Erschrick nicht, Rabbadah; es muß ein Unglück geschehen sein!«

»Welches?«

»Ich habe hier die beiden Laskaren getödtet, weil sie mich ermorden wollten.«

»Ist es möglich! Rufe sofort die Leute herbei!«

»Ich habe bereits gerufen, aber es kommt Niemand. Kehre in Deine Kajüte zurück. Entweder sind Alle ermordet, oder es ist eine Meuterei an Bord und man wartet nur, bis ich mir eine Blöße gebe.«

»In die Kajüte? Dich verlassen? Niemals. Ich bleibe bei Dir!«

»So warte einen Augenblick!«

Er trat in seinen Raum zurück und holte die Lampe, mit welcher er zunächst vorsichtig in die Kajüte des Kapitäns leuchtete. Dieser lag todt am Boden.

»Mein Gott, so habe ich mich also nicht geirrt; er ist erstochen worden!«

Da faßte ihn die Begum bei dem Arme.

»Welch eine Gefahr für Dich! Komm schnell herein zu mir, bis es Tag ist!«

»Nein; dies darf ich nicht, denn vielleicht ist noch Jemand zu retten.«

Er machte, während Rabbadah entschlossen nicht von seiner Seite wich, muthig die Runde auf dem Decke und fand Alle todt, die sich auf demselben befunden hatten. Auch die Kojen der Matrosen waren nur mit Leichen gefüllt, und schon glaubte er, daß er und Rabbadah die einzigen lebenden Wesen an Bord seien, als vom Hinterdecke her ein lautes Röcheln erscholl. Es kam von Kaldi, welcher aus der Bewußtlosigkeit zur Besinnung zurückkehrte. Maletti eilte zu ihm hin.

»Unglückseliger, was habt Ihr gethan!«

Der Laskare hatte einen fürchterlichen Hieb erhalten; die ganze Schulter klaffte auseinander, und so kurze Zeit er erst hier lag, sein Blutverlust war jedenfalls ein so bedeutender, daß eine Hilfe nicht mehr möglich war. Er stierte mit gläsernen Augen dem Lieutenant in das Gesicht. Dann lallte er:

»Den Schatz will ich – und Lidrah will die Begum.«

»Also das ist es! Und deshalb habt Ihr Alles umgebracht.«

»Auf die Insel mit dem Schatz!« fibrirte der Verwundete.

»Ha, sie holen ihn im Kiosk, die Phansegars! Ruhig, Lidrah, daß sie uns nicht sehen! Wir schwimmen dem Flosse nach! Wir gehen dann als Pilger auf die Badaya!« Er richtete sich in halb sitzende Stellung auf und rief: »Du hast Tamu gedient, den Maharajah und den Sultan verrathen; die Begum sei Dein. Der Schatz aber wird getheilt, denn – denn – denn – – –«

Er sank todt zusammen.

Rabbadah stand nicht mehr dabei. Der Anblick so vieler Ermordeten hatte das muthige Weib so ergriffen, daß sie jetzt mit verhüllten Augen in ihrer Kajüte kniete. Maletti trat zu ihr herein und zog ihren Kopf zu sich empor.

»Rabbadah!«

»Mein Geliebter! O, wenn sie auch Dich getödtet hätten!«

»Gott hat mich beschützt! Aber es ist schrecklich, fürchterlich, entsetzlich!«

»Allein unter Leichen, hier auf der einsamen weiten See!«

»Fürchte Dich nicht, mein – – –«

Er wurde während der Rede zu Boden geschleudert, und zugleich vernahm man ein knirschendes, bohrendes und sägendes Geräusch, als wenn tausend Hände beschäftigt seien, den Rumpf des Schiffes zu zerstören. Die Begum stieß einen Ruf des Entsetzens aus, und Maletti erhob sich, um auf das Deck zu eilen.

Hier bot sich ihm ein trostloser Anblick dar. Gerade vor dem Buge des Schiffes erhob sich eine dunkle drohende Felsenmasse, und zu beiden Seiten zogen sich Steinbänke dahin, welche einen engen Kanal bildeten, durch welchen das Schiff auf die Insel gerannt war. An ein Wenden desselben, an eine Rettung war gar nicht zu denken, und es mußte nur ein Glück genannt werden, daß die Lüfte nur leise gingen, sonst wäre das Fahrzeug bei dem Anstoße sofort zerschellt worden.

Es war übrigens gar kein Wunder, daß der Bahadur auf die Insel gelaufen war, denn die Nacht war während der letzten Scenen fast vergangen und Maletti hatte nicht daran denken können, auf den Lauf des Schiffes zu achten.

Er eilte hinab in den Raum und fand einen Leck, durch welchen das Wasser in Strömen drang; er vermochte es unmöglich zu verstopfen. Nach einer schnellen ungefähren Berechnung blieb ihm kaum eine Stunde Frist, sich nebst Rabbadah zu retten und Einiges von der Ladung des Schiffes zu bergen.

Er brachte mit Mühe hinten am Stern ein Boot in das Wasser. Zunächst mußte die Geliebte und ihr Eigenthum gerettet werden. Während Rabbadah behilflich war Alles herbei zu schaffen, ließ er so viel wie möglich von dem Schatze in das Boot hernieder und stieg mit der Geliebten nach, um diese an Land zu rudern. Dieses stieg schroff und steil aus den Fluthen empor, doch gelang es ihm mit Hilfe des beginnenden Tageslichtes eine Stelle zu entdecken, an welcher er bequem zu landen vermochte. Dann kehrte er zu dem Schiffe zurück, um die Bergung des Schatzes zu beenden und demselben noch einige Lebensmittel und anderes Nöthige hinzuzufügen.

Als er zum vierten Male landete, war der Morgen so weit vorgeschritten, daß man die einzelnen Gegenstände zu unterscheiden vermochte. Rabbadah stand am Ufer und deutete nach einem nahen Gebüsche hin.

»Siehe einmal, was ist das?«

»An jenem Baume?«

»Ja.«

Er trat zögernden Fußes auf den Ort zu. An dem Aste des Baumes hing ein Menschenkopf an einem aufgedrehten Tauende, und der halbverweste Körper lag am Boden. Daneben war ein Messer, ein Südwester und nebst verschiedenen Kleinigkeiten ein Heuerbuch zu bemerken. Maletti öffnete es und las den darin verzeichneten Namen. Er stand vor der Leiche des auf die Insel ausgesetzten Matrosen, der seiner Einsamkeit dadurch ein Ende gemacht hatte, daß er sich an dem Baume erhing. Dort das Schiff mit den Leichen, hier die Ueberreste des Selbstmörders – es schauderte den tapfern Offizier, wenn er an das unvergleichliche Wesen dachte, welches neben ihm diesen Schrecknissen ausgesetzt war. – –


 << zurück weiter >>