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Unser Zug nahm eine mir sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Walde der Lebenseiche. Das war sehr hoffnungerweckend für mich, denn wenn diese Richtung beibehalten wurde, so war es sehr wahrscheinlich, daß wir den von mir zu Hilfe gerufenen Mimbrenjo-Indianern, mit denen ich doch an der Eiche zusammentreffen wollte, begegnen mußten. Bei fernerem Nachdenken aber sah ich ein, daß es für mich geraten sei, die Begegnung nicht zu wünschen, da sie mir große Gefahr brachte. Ich mußte mir nämlich sagen, daß die Yumas, im Falle sie angegriffen werden sollten, mich lieber töten als zusehen würden, daß die Mimbrenjos mich befreiten.
Mochte die Begegnung nun Glück oder Unglück für mich bedeuten, sie wurde, wie ich bald sah, unmöglich, weil die Yumas sich am Walde rechts wendeten, während der jüngere Mimbrenjoknabe und seine Schwester, meine Boten, nach links geritten waren. Sie hatten ihn nach Westen umritten, während wir nach seinem östlichen Ende trachteten, und da er von ganz bedeutender Ausdehnung war, so konnte ich annehmen, daß die beiden Wege soweit auseinander gingen, daß ein Zusammentreffen schwerlich anzunehmen war.
Der Abend kam heran, und noch hatten wir das Ende des Waldes nicht erreicht. Wir mußten am Rande desselben Lager machen. Die durch die geraubten Herden gebotene Langsamkeit hätte mich in jedem anderen Falle geärgert; jetzt aber war sie mir angenehm, da durch sie die mir gestellte Gnadenfrist fast um das Doppelte verlängert wurde.
Ich wartete natürlich auf das Zeichen meines Mimbrenjoknaben. Es ertönte erst, als wir gegessen hatten und ich schon wieder in die Decke gewickelt war. Fliehen konnte ich heute also nicht, doch war es mir eine große Beruhigung, zu wissen, daß der Helfer in der Nähe sei und meinen Anordnungen Folge leiste. Wie ich hörte, hatte er sich sehr nahe herangewagt; das konnte er, weil wir uns am Walde befanden, der ihm sichere Deckung bot.
Am Morgen ging es weiter. Dem Häuptling schien das langsame Reiten mit den Herden langweilig geworden zu sein; er beschloß, voranzureiten und am abendlichen Lagerplatze auf die Nachkommenden zu warten. Er nahm die Hälfte seiner Krieger und natürlich auch mich nebst meinen Wächtern mit. Das war ein ganz bedeutender Strich durch meine Rechnung. Der Mimbrenjo konnte nur langsam hinter den Herden drein, nicht aber hinter uns her; er traf also erst nach den Nachzüglern am Lagerplatze ein, und es war vorauszusehen, daß ich dann schon wieder mit der schrecklichen Decke umwickelt sein würde. Hilflos wie ein Kind, konnte ich dann an keine Flucht denken.
Wie gedacht, so geschehen! Am Vormittage war der Wald zu Ende; wir ritten bis Mittag über bald grasiges, bald ödes Land und machten dann für einige Stunden Halt, um zu essen. Die Hände wurden mir freigegeben. Ich hätte also mein Messer ziehen und die Fesseln meiner Füße durchschneiden können, um aufzuspringen und davonzulaufen. Aber wie weit wäre ich gekommen! Oder mich auf eines der Pferde werfen? Auch nicht. Sie weideten frei und hatten sich zerstreut. Das nächste war so weit entfernt, daß ich es zwar erreichen konnte, ehe ich ergriffen wurde, aber dann waren die vielen wohlbewaffneten Roten alle hinter mir, der ich nur das Messer hatte, her, und dazu durfte ich ganz und gar nicht annehmen, daß ich gerade das schnellste Pferd erwischen würde. Nein, ich mußte den Versuch, der mir nur verderblich werden konnte, unterlassen.
Den Nachmittag über ritten wir über ebensolches Land und hielten dann auf einer weiten, grasigen Fläche an. Da man genug Proviant mitgenommen hatte, so konnte gegessen werden; dann wickelte man mich ein. Es war wie gestern abend, nur daß der Mimbrenjo sich wegen der Ebenheit der Gegend nicht soweit heranwagen konnte.
Erst als es dunkel geworden war, kamen die Herden an.
Kurze Zeit später hörte ich den dreimaligen Ruf des Grasfrosches, und zwar aus einer Entfernung von höchstens dreihundert Schritten. So nahe konnte der Knabe nur in der Nacht bleiben; am Morgen, ehe es Tag wurde, mußte er zurück, um nicht gesehen zu werden. Der arme Teufel opferte den Schlaf, ohne daß ich Vorteil davon hatte.
Ebenso ging es den folgenden und auch den vierten Tag. Kam ein mir günstiger Augenblick, so war der Mimbrenjo nicht bei der Hand, und sagte mir dann sein Zeichen, daß er in der Nähe sei, so war die Gelegenheit für mich vorüber. Der fünfte Tag aber sollte glücklicher für mich sein.
Der Weg führte schon vom Morgen an über felsige Höhen, durch enge Thäler und finstere Schluchten. Da konnte man sich nicht trennen, weil die doppelte Zahl von Treibern erforderlich war. Ich hatte die bestimmte Ahnung, daß heute die Entscheidung kommen werde. Beim Mittagslager war ich noch nie eingewickelt worden, und die Beschaffenheit der Gegend erlaubte es meinem Helfer, sich so nahe zu halten, wie ich nur wünschen konnte.
Kurz bevor die Sonne am höchsten stand, kamen wir durch eine rauhe, viel gewundene Schlucht, welche sich ganz plötzlich auf einen grünen, wiesigen Plan öffnete; auch Gesträuch stand da. Das Vieh war nicht zu halten; es stürmte aus der Schlucht auf den verlockenden Plan und hatte sich in wenigen Minuten so zerstreut, daß die Reiter ihre liebe Not hatten, es wieder zusammenzubringen.
Der Häuptling hatte meinen Hütern sogleich den Befehl gegeben, mich loszubinden, natürlich nur vom Pferde, und auf die Erde zu legen. Sie setzten sich neben mir nieder. Da wir dann den Mittelpunkt des Lagers bildeten, so kam dasselbe so nahe dem Ausgange der Schlucht zu liegen, daß ich denselben mit vielleicht vierhundert Schritten erreichen konnte.
Aus den Befehlen, welche der Häuptling erteilte, entnahm ich, daß er heute nicht weiter wollte. Die geraubten Herden waren durch die Märsche während der letzten vier Tage so angegriffen worden, daß man ihnen wenigstens bis morgen früh Ruhe gönnen mußte, wenn sie den weitern Teil des Weges aushalten sollten. Dem längeren Aufenthalte angemessen, wurden, was während der vorigen Tage nicht geschehen war, die Zelte aufgeschlagen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde und man die sonstigen Vorbereitungen traf, kam der Häuptling herbei und setzte sich vor mir nieder. Eben als er Platz genommen hatte, ertönte der erste Schrei des Grasfrosches, ohne daß einer der Indianer darauf achtete.
Der große Mund legte die Füße übereinander, kreuzte die Arme über der Brust und heftete seinen stechenden Blick auf mein Angesicht. Ich sah ihm an, daß er jetzt reden werde, während er mich bisher dessen nicht gewürdigt hatte. Die fünf Wächter blickten zu Boden; sie sahen weder ihn noch mich an; das war die ehrfurchtsvolle Erwartung des Augenblicks, an welcher sich ihr Häuptling wenigstens in Worten mit Old Shatterhand messen werde. Da ein trotziges Schweigen meinen Zustand nur verschlimmern konnte, da ferner ein übel angebrachter Stolz hier nur Dummheit gewesen wäre, und da es endlich meinem Charakter widerstrebte, mich von diesem Manne, wenn auch nur in Worten, werfen zu lassen, so nahm ich mir vor, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er begann mit der nicht sehr geistreichen Frage.
»Du bist ein Bleichgesicht?«
»Ja,« antwortete ich. »Oder sind deine Augen so schwach, daß du mich für einen Indianer hältst?«
Er fuhr, ohne auf meine Frage zu achten. fort:
»Und nennst dich Old Shatterhand?«
»Nicht ich nenne mich so, sondern berühmte weiße und rote Krieger und Häuptlinge haben mir diesen Namen gegeben.«
»Sie thaten unrecht daran. Der Name ist eine Lüge. Deine Hand ist gebunden; sie vermag keinen Käfer, keinen Wurm zu zerschmettern und noch viel weniger einen Menschen. Sich her, wie ich mich vor dir fürchte!«
Er spuckte mich, als er diese Worte gesagt hatte, an. Ich antwortete in gleichmütigem Tone:
»Wenn mein Name wirklich eine Lüge ist, so enthält der deinige destomehr Wahrheit. Du wirst der ›große Mund‹ genannt und besitzest auch wirklich ein so großes Maul, daß es seinesgleichen sucht; aber an deiner Stelle würde ich nicht stolz darauf sein. Es ist keine Kunst und keine Heldenthat, einen Gefangenen, welcher vollständig gefesselt ist, anzuspeien, weil er sich nicht rächen kann. Zeige mir doch lieber den wahren Mut: Nimm mir die Fesseln ab, und kämpfe mit mir! Dann wird es sich zeigen, wer den andern zerschmettert, du mich oder ich dich!«
»Schweig!« donnerte er mich an. »Du gleichst dem Frosche, welcher da hinten schreit. Man verachtet sein Quaken.«
Es war nämlich soeben der zweite Ruf des Grasfrosches erklungen. Die Worte des Häuptlings gaben mir die Gelegenheit, offen nach dem Ausgange der Schlucht blicken zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, das Mißtrauen meiner Wächter zu erwecken. Der Schrei klang so nahe, daß ich annahm, mein kleiner Mimbrenjo müsse gleich hinter dem ersten vorspringenden Felsen der Schlucht stecken. Ich hob also noch mehr den Kopf, um ihm sehen zu lassen, daß ich hinschaute, und da sah ich wirklich eine kleine, braune Knabenhand, welche für einen Augenblick hinter der Kante des Gesteines hervorgestreckt wurde, und dann schnell wieder verschwand. Wer nicht wußte, daß jemand dort steckte, konnte die Hand gar nicht gesehen haben.
Nun stand es bei mir fest, jetzt zu entfliehen. In Zeit von einer Viertel-, höchstens einer halben Stunde mußte ich frei, oder eine Leiche sein. In diesem Bewußtsein gab ich die Antwort, die sonst sehr lächerlich gewesen wäre:
»Ich verachte dieses Quaken nicht, sondern freue mich darüber. Kennst du die Stimme der Tiere?«
»Ich kenne sie alle.«
»Ich meine es anders, nämlich so, ob du die Sprache der Tiere verstehst?«
»Kein Mensch versteht sie!«
»Ich verstehe sie doch. Soll ich dir sagen, was der Schrei des Frosches dir mitteilen will?«
»Sage es nur immer!« antwortete er, indem er verächtlich lachte.
»Der Frosch teilt dir mit, daß du heute einen Verlust haben und infolgedessen auf dem Wege, den du hierher gekommen bist, wieder zurückreiten wirst.«
»Der große Geist hat dir die Sinne verwirrt!«
»Nein, sondern er hat mir die Sinne geöffnet und geschärft. Ich höre Schüsse fallen; ich höre den Hufschlag eurer Pferde und das Wutgeheul eurer Krieger. Ihr werdet mit zwei Menschen kämpfen, einem großen und einem kleinen, und sie nicht besiegen können. Schande wird über euch ergehen, und diejenigen, welche ihr verhöhntet, werden euch verlachen!«
Er öffnete schon den Mund zu einer wütenden Antwort, besann sich aber, nahm die Arme von der Brust, ließ sie fallen und musterte mein Gesicht mit einem sehr ernsten, bedenklichen Blicke. Dann sagte er: »Verstehe ich dich recht? Old Shatterhand spricht nie wie ein Unsinniger. Seine Reden haben Sinn, selbst wenn man sie nicht versteht. Was meinst du mit deinen Worten! Von welcher Schande redest du?«
»Denke nach, so wirst du es finden. Und wenn du es nicht findest, so warte, dann wird es bald kommen!«
Er dachte so angestrengt nach, daß er dabei die Augen verdrehte; dann rief er aus:
»Ich hab's gefunden; ich weiß es! Eine Schande hier, und dann reiten wir zurück? Du glaubst, entkommen zu können, und meinst, daß wir dich verfolgen werden bis an das Thal jenseits der Hazienda, wo der junge Hund der Mimbrenjos noch immer auf dich wartet. Du denkst ferner, daß wir mit dir und mit ihm dort kämpfen werden, ohne euch besiegen zu können. Jetzt erst glaube ich im Ernste, daß der große Geist dir den Verstand verwirrt hat. Du ersehnst die Freiheit und träumst mit offenen Augen von ihr; ja, du redest von ihr, ohne dir dessen, was du sagst, eigentlich bewußt zu werden. Dein Verstand hat gelitten und –«
Er hielt plötzlich mitten in seiner Rede inne; es war ihm ein Gedanke gekommen, nämlich der, welchen er bereits vorhin ausgesprochen hatte: Old Shatterhand könne nicht sinnlos reden. Er kam zu mir heran und untersuchte meine Fesseln mit seinen eigenen Augen und Händen. Als er sie in Ordnung fand, setzte er sich an seinen Platz zurück und meinte, indem er ein sehr überlegenes Lächeln zeigte:
»Jetzt weiß ich, was es ist: Old Shatterhand will mich zornig machen, um dann über mich wie über ein Kind lachen zu können; aber es wird ihm nicht gelingen. Er will uns unsicher machen, damit wir in dieser Unsicherheit einen Fehler begehen. Ja, er thut nichts ohne Überlegung, aber bei uns wird er sich verrechnet haben!«
»Uff, uff!« riefen die Wächter zum Zeichen, daß sie ihm beistimmten. Er fuhr, zu mir gewendet, fort:
»Old Shatterhand hat meinen Sohn, den ›kleinen Mund‹, getötet und wird dafür sterben müssen. Aber er ist ein tapferer Mann, und ich habe gehört, daß er stets ein Freund der roten Männer war; darum will ich ihm eine Gnade gewähren und ihm erlauben, diejenige Todesart, welche er sterben will, selbst zu wählen. Will er erschossen sein?«
Ich wußte, daß seine Worte, wie sich auch bald zeigte, Ironie enthielten, und antwortete: »Nein.«
Er fragte nach der Reihe, ob ich erstochen, erschlagen, verbrannt, vergiftet oder erstickt werden wolle, und ich antwortete jedesmal mit einem entschiedenen Nein.
»Er antwortet nur mit Nein; er mag mir aber doch selbst sagen, für welche Todesart er sich entschieden hat!«
»Ich möchte neunmal zehn oder zehnmal zehn Jahre alt werden und dann ruhig einschlafen, um jenseits des Lebens wieder zu erwachen,« sagte ich.
»Das ist der Tod der Feiglinge; Old Shatterhand aber ist eines andern Todes wert. Ein solcher Mann muß jede Art des Todes kennen lernen, eine nach der andern, ohne mit der Wimper zu zucken, und diesen Vorzug, diesen Ruhm soll er bei uns finden. Zunächst werden wir ihm die Hände und Füße zerbrechen, wie er die Hände meines weißen Freundes Melton zerbrochen hat.«
Er sah mich forschend an, um zu beobachten, was diese Ankündigung für einen Eindruck auf mich machen werde.
»Das ist gut!« antwortete ich, indem ich lächelnd nickte.
»Dann werden wir ihm die Muskeln der Arme und Beine durchstechen und ihm die Nägel von den Fingern und Zehen reißen!«
»Darauf freue ich mich!«
»Nachher skalpieren wir ihn bei lebendigem Leibe!«
»Sehr richtig, denn wenn ich tot wäre, würde ich es nicht fühlen.«
»Dazwischen lassen wir die Wunden stets wieder heilen, damit er stark für neue Martern werde.«
»Das ist mir lieb, weil ich sonst die neuen vielleicht nicht gut vertragen würde.«
»Spotte nicht! Die Lust zum Spotte wird dir bald vergehen, denn ich sage dir, daß wir dir die Hände abschneiden werden!«
»Alle beide?«
»Ja. Dann schneiden wir dir die Augenlider weg, sodaß du nicht schlafen kannst.«
»Weiter!«
»Wir stellen deine Füße in das Feuer, um das Fleisch von den Knochen zu braten. Wir hängen dich an den Beinen auf; wir werfen dich mit Messern; wir –«
»Halt ein!« unterbrach ich ihn, indem ich, um ihn zu ärgern, laut auflachte. »Ihr werdet von alledem nichts, gar nichts machen. Und wenn ihr tausend Krieger zähltet, so wäret ihr doch zu wenig, Old Shatterhand ein Leid zu thun. Dazu gehören ganz andere Leute. Du hast mich vorhin mit dem Frosche verglichen, den wir hörten; ich könnte euch mit noch ganz andern, viel widerwärtigeren Tieren vergleichen, will es aber nicht thun; doch das muß ich euch sagen, daß ihr euch vielmehr vor mir zu fürchten habt, als ich mich vor euch.«
In diesem Augenblicke gab der Mimbrenjoknabe sein drittes Zeichen. Der Häuptling antwortete wütend, da er mir ansah, daß ich nicht im Hohne, sondern in vollstem Ernste, mit voller Überzeugung gesprochen hatte:
»Hörst du ihn da drüben wieder quaken? So quakst auch du. Du sollst bald sehen, wer sich zu fürchten hat. Ich werde von jetzt an strenger sein, um dir die Lust zu benehmen, deine Rettung für möglich zu halten. So wahr du die Stimme dieses Frosches hörtest, so wahr bist du verloren!«
»Du irrst, denn so wahr ich sie höre, so wahr ist's, daß ihr mir nichts zu thun vermöget!«
»Wohlan, ich will es dir beweisen. Von jetzt an sollst du stets, wenn du nicht zu Pferde bist, eingebunden werden. Dann siehe zu, wie du zu entkommen vermagst. Bindet seine Hände los und gebt ihm sein Fleisch; dann will ich ihn in die Decke rollen. Von jetzt an werde ich das stets selbst thun, damit diesem Hunde jeder Schein von Hoffnung vergehen möge!«
Er war fast außer sich darüber, daß ich so ruhig blieb und trotz meiner Gefangenschaft seine Übermacht leugnete. Ich trieb eigentlich, indem ich von meinem Entkommen gesprochen hatte, ein gewagtes Spiel, hatte aber dabei die feste Zuversicht, daß ich die Partie nicht verlieren, sondern gewinnen würde.
Einer der Wächter holte mein Fleisch; die andern nahmen mir die Riemen von den Händen. Der Augenblick des Handelns, der Entscheidung war nahe. Trotzdem war ich innerlich und äußerlich vollständig ruhig. Und das muß so sein. Wer in einem solchen Momente wankt und zittert, der kommt wohl schwerlich glücklich über ihn hinweg.
Man hatte mir meine Portion Magerfleisch in lange, dünne Streifen geschnitten, welche ich mit den Zähnen leicht in Bissen trennen konnte, ohne ein Messer zu brauchen. Das that ich denn auch so langsam und behaglich, als ob ich mit weiter nichts als mit meinem Appetite beschäftigt sei; ich hatte mich dabei in sitzende Stellung aufgerichtet und hielt die Beine und Füße so, daß ich alle Schlingungen der Riemen mit einem einzigen Male erreichen und zerschneiden konnte. Zwei Schnitte hätten wohl schon zuviel Zeit erfordert, obwohl es sich dabei nur um Sekunden handelte. Das Leben hing von halben Momenten ab.
Der Häuptling beobachtete mich mit finsterer Miene.
Meine absichtlich zur Schau getragene Behaglichkeit empörte ihn, und er nahm sich gewiß vor, mich nachher durch äußerst festes Zusammenschnüren meiner Glieder dafür zu bestrafen.
»Mach' schneller!« gebot er mir. »Ich habe keine Zeit, auf dich solange zu warten!«
Um die nötige Zeit zum Vornüberbeugen des Oberkörpers und Hervorholen des Messers zu gewinnen, ließ ich, scheinbar erschrocken über diese ebenso plötzliche wie scharfe Anrede, das Fleisch aus den Händen fallen und bückte mich nieder, um es aufzuheben, wozu ich mich der linken Hand bediente. Während ich mit vollster Sicherheit annehmen konnte, daß dabei die Augen aller auf das Fleisch und meine Linke gerichtet waren, fuhr ich mit der Rechten unter die Weste, indem ich antwortete:
»Schneller? Gut, so soll es sofort geschehen. Paß auf!«
Bei diesen beiden letzten Worten hatte ich auch schon die scharfe Messerklinge zwischen den Füßen an den Riemen; ein Schnitt – ich sprang empor, setzte dem Häuptling meinen rechten Fuß auf die Achsel, sprang über ihn hinweg und rannte fort, der Schlucht entgegen. Ich muß sagen, daß ich, als meine Füße nach dem Sprunge über des Häuptlings Kopf hinweg den Boden berührten, beinahe zusammenstauchte; aber ich mußte weiter, und so ging es auch, denn was man muß, das kann man auch. Indem ich in weiten Sätzen über das Gras flog, herrschte hinter mir zunächst die tiefste Stille, die Stille der Überraschung, des Schreckens; man war eben starr und stumm, als das für unmöglich Gehaltene so plötzlich zur Wahrheit wurde; dann aber – ich war vielleicht hundert Schritte weit gekommen – löste sich der Bann, und es erschallte ein Geheul, als ob tausend Teufel hinter mir ihre Stimme erhöben. Ich sah mich natürlich nicht um und rannte weiter; alle meine Kräfte mußte ich gleich jetzt anstrengen, um das Pferd zu erreichen. In meinem Zustande hätte ich einen Dauerlauf nicht zwei Minuten lang ausgehalten.
Da sah ich meinen Mimbrenjo hinter dem Felsen hervortreten. Er hatte sein Gewehr in der Rechten und hielt mir mit der Linken meinen Stutzen entgegen. Er blieb nicht etwa wartend stehen, sondern kam auf mich zugerannt. Noch ehe wir zusammentrafen, rief ich ihm entgegen:
»Sind die Pferde gleich hier, hinter der Ecke?«
»Nein, hinter der ersten Krümmung.«
»Wieviel Schritte?«
»Hundertmal fünf.«
O weh! Noch fünfhundert Schritte konnte ich mit meinen eingeschlafenen Füßen nicht thun, ohne erreicht zu werden; also mußte Blut mich retten, Indianerblut! Das war eine jener Lagen, in denen ich so gern geschont hätte und doch nicht schonen durfte. Ich riß im Laufen dem Knaben den Stutzen aus der Hand, betastete das Schloß, fand es in Ordnung und fühlte mich infolgedessen so sicher, daß ich stehen blieb und mich nach den Verfolgern umwandte. Ich nahm als sicher an, daß sie sich nicht die Zeit gegönnt hatten, ihre Schießwaffen mitzunehmen, und fand dies bestätigt. Sie kamen schreiend und mit den Armen in der Luft fechtend in einem wirren Haufen hinter mir hergerannt, voran meine Wächter mit dem Häuptlinge.
»Zurück, ich schieße!« rief ich ihnen entgegen.
Ich stand auf meinen geschwächten Füßen nicht so recht fest, glaubte aber, dennoch sicher schießen zu können, und legte an. Die Yumas beachteten meinen Ruf nicht und kamen heran bis auf hundert Schritte; zwei Schüsse von mir; neunzig Schritte wieder zwei; achtzig, siebzig, sechzig Schritte je zwei Schüsse; das waren zehn Kugeln, von denen jede in das Hüftgelenk eines Verfolgers fuhr; die Getroffenen stürzten augenblicklich nieder. Die andern sahen das und wurden stutzig.
»Zurück!« rief ich abermals. »Ich schieße euch alle nieder!«
Noch zwei Kugeln, welche fest saßen! Der wackere Mimbrenjo war bei mir stehen geblieben und schoß auch; ich machte nur unschädlich; seine Kugel aber galt den Tod. Die Verfolger blieben halten; sie wagten sich nicht weiter. Viele rannten zurück, um ihre Flinten zu holen. Einer aber rannte blind vor Grimm weiter, auf mich los – der Häuptling. Er schrie vor Wut wie ein wildes Tier und schwang sein Messer, die einzige Waffe, welche er augenblicklich besaß, in der Linken, denn die Rechte hatte ich, wie man sich entsinnen wird, ihm verwundet. Es war ein Unsinn von ihm, mir in dieser Weise nachzustürrnen, eine Unvorsichtigkeit, welche nur durch die ungeheure Erregung, in welcher er sich befand, zwar nicht entschuldigt, aber doch wenigstens erklärt werden kann. Es war klar, daß sein Leben mir gehörte; ich wollte es nicht haben. Ich hatte ihn schon um den Gebrauch der rechten Hand gebracht, er sollte die linke behalten; darum entschloß ich mich für einen Hieb auf den Kopf. Das Messer hoch zum Stoße erhoben, kam er heran; in dem Augenblicke, an welchem seine Klinge nach mir fuhr, sprang ich zur Seite und schwang den schnell umgekehrten Stutzen; sein Stoß ging in die Luft; mein Kolbenhieb aber warf ihn nieder, und zwar in der Weise, daß er liegen blieb.
Seine Leute, welche das sahen, schrieen in allen Tonarten und Tonlagen auf, denn sie nahmen an, daß ich den Häuptling nur niedergeschlagen hätte, um ihm dann das Leben zu nehmen. Diejenigen von ihnen, welche nach ihren Gewehren gelaufen waren, kehrten schon zurück. Andere, welche weiter sahen, rannten nach den Pferden. Unseres Bleibens war also nicht länger. Wir eilten der Schlucht zu und liefen, als wir in derselben angekommen waren, weiter, um die Pferde zu erreichen. Der Knabe war natürlich schneller als ich und mir voran. Als ich dreihundert von den fünfhundert Schritten zurückgelegt hatte, verschwand er schon hinter der Schluchtkrümmung, um gleich darauf wieder zu erscheinen, auf seinem Pferde sitzend und das meinige am Zügel führend. Er sprengte mir entgegen und hielt; ich schwang mich auf, eben als die ersten mit Gewehren bewaffneten Yumas erschienen. Sie schossen, in der Eile aber fehl. Wir rissen unsere Pferde herum und jagten fort, in die Schlucht hinein, den Weg zurück, den wir am Vormittage gekommen waren.
Ich war also frei, – denn daß die Yumas mich wieder bekamen, das war von jetzt an wohl so gut wie ausgeschlossen -konnte aber zunächst nicht an mich, sondern mußte an anderes denken. Der Haziendero war ruiniert und mußte wenigstens seine Herden wieder bekommen. Das konnte nur dann geschehen, wenn die Mimbrenjos, welche ich erwartete, Zeit fanden, sie den Yumas wieder abzunehmen. Leider wußte ich nicht, und auch der Knabe konnte nicht genau sagen, wo die letzteren gegenwärtig ihre Wigwams oder Weidegründe hatten. Da wir nach vier Tagen gerastet hatten und der Rasttag wohl in die Mitte der Zeit fiel, so war anzunehmen, daß die Yumas noch vier weitere Tage brauchten, um heimzukommen. Das war für uns und die Mimbrenjos zu kurz, sie zu erreichen. Aber gab es denn kein Mittel, die Yumas unterwegs aufzuhalten? O doch, und zwar ein sehr probates, welches sehr nahe lag und noch dazu ganz in meine Hand gegeben war. Dieses Mittel war nichts anderes, oder vielmehr bestand aus niemand anderem als aus – mir selbst. Ich mußte sie verlocken, mir soweit wie möglich zu folgen.
Es lag nahe, daß sie alles mögliche anstrengten, meiner wieder habhaft zu werden, erstens schon aus dem Grunde, weil sie den Tod des »kleinen Mundes« an mir zu rächen hatten. Der zweite Grund lag in der sie beschämenden Art und Weise, in welcher ich ihnen entkommen war. Sie hatten mich so fest gehabt, hatten meiner gespottet, hatten mir, obgleich ich von fast hundert Kriegern umgeben gewesen war, noch fünf Wächter gegeben; ich hatte ihnen, ihrem Häuptlinge sogar offen gesagt, daß ich fliehen würde, und hatte dies auch ausgeführt, nicht etwa in der Nacht, im Schutze der Dunkelheit, sondern am hellen Tage. Dabei waren zwölf Krieger von mir für das ganze Leben gelähmt, und zwei weitere von dem Mimbrenjoknaben gar erschossen worden. Welch eine Schande, nicht bloß für die Betreffenden, sondern für den ganzen Stamm! Eine Schande, welche nur durch meine Wiederergreifung und meinen Tod einigermaßen gesühnt werden konnte!
Aus allen diesen Gründen nahm ich an, daß man mich sehr eifrig verfolgen würde und zwar in nicht geringer Anzahl. Hatten Hundert mich nicht zu halten vermocht, wieviel Personen waren da wohl nötig, mich wieder zu fassen? Mehr jedenfalls! Und diese gab es nicht; es waren im Gegenteile vierzehn weniger geworden. Die zwölf Verletzten mußten gepflegt werden; sie waren schwerlich im stande, den Zug fortzusetzen, denn eine Kugel in der Hüfte ist ein lebensgefährliches Ding. Woher wollte man da Leute nehmen, die Herden weiter zu transportieren?
Wenn ich mir das alles überlegte, so kam ich zu dem Resultate, das der »große Mund«, sobald er aus seiner Betäubung erwacht war, folgende Bestimmungen getroffen habe: Die Herden müssen einstweilen an Ort und Stelle bleiben, wo sie genug Gras zur Nahrung haben. Auch die Verwundeten bleiben da liegen und bei ihnen soviele Krieger, als zur Bewachung der Tiere und Pflege der Menschen unumgänglich nötig sind. Die andern aber müssen alle fort, um Old Shatterhand zu ergreifen und die Ehre des Stammes wieder herzustellen. So war es also wahrscheinlich, daß ich vierzig oder fünfzig Verfolger hinter mir hatte, deren Eifer um so größer war, als sie nun nicht nur das frühere, sondern auch das heute Geschehene zu rächen hatten.
Ich hätte ihnen leicht und sofort entkommen können, wenn ich nach rechts oder links ausgebrochen wäre; aber das wäre ein Fehler gewesen. Sobald sie meine Spuren verloren gesehen hätten, wären sie zu den Herden zurückgekehrt, um den Heimzug fortzusetzen, und diese wären für den Haziendero verloren gewesen. Da ich sie ihm aber retten wollte, mußte ich die Verfolger an meine Fährte heften.
Um dies zu erreichen, mußte ich auf dem Wege nach der Hazienda bleiben, weil sie jedenfalls annahmen, daß ich diesen einschlagen würde. Auch durfte ich nicht zu sehr eilen, denn je näher sie mir blieben, destomehr blieb ihr Eifer wach und destoweniger kamen sie auf den Gedanken, umzukehren oder wenigstens eine Anzahl von ihnen zurückzuschicken. Fand ich dann, was gar nicht unwahrscheinlich war, die Mimbrenjos bei der Lebenseiche auf mich wartend, so konnte ich mit ihrer Hilfe das ganze Corps gefangen nehmen und abermals umkehren, um die geraubten Tiere zu holen und sie ihrem Eigentümer, dem armen Don Timoteo Pruchillo zuzuführen. Daß dieser ohne seine Herden ein armer Teufel war, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Seine Häuser waren eingeäschert, seine Wälder und Gärten verbrannt; er besaß nur noch die Wiesen, welche ihm ohne Weidevieh keinen Pfennig einbrachten. Ich hatte ja gehört, daß er jetzt lange nicht mehr so wohlhabend sei, wie er früher gewesen war.
Alle diese Gedanken teilte ich meinem jungen Begleiter mit, indem wir flott unsers Weges dahintrabten. Er widersprach mir nicht, denn er hatte keine Ursache dazu und hätte sich dies auch gar nicht getraut, wenn er doch der Meinung gewesen wäre, mir unrecht geben zu müssen. Er nahm meine Darlegung wie ein Alter mit vollem Verständnisse auf und fragte in seiner ernsten Weise:
»So denkt Old Shatterhand also, daß wir fünfzig Yumas hinter uns her haben werden?«
»Wenigstens vierzig bis fünfzig,« nickte ich.
»So viele werden uns aber nicht gleich folgen können. Der Häuptling lag in Ohnmacht, und die Krieger mußten warten, bis er erwachte, um seine Befehle zu vernehmen.«
»Das ist richtig; aber einige wenige sind uns jedenfalls sofort gefolgt, um unsere Spuren festzuhalten, bis die andern kommen. Ich werde mit ihnen sprechen.«
»Sprechen?« fragte er erstaunt. »Habe ich richtig gehört? Old Shatterhand will wirklich mit diesen Spürhunden, welche ihn mit ihren Zähnen zerreißen wollen, reden? In welch eine Gefahr wirst du dich da begeben!«
»In gar keine. Die Gefahr, in welche du dich begabst, als du mich nach der Zerstörung der Hazienda aufsuchtest, war viel größer.«
»Es konnte keine Gefahr für mich geben, da ich einen Fehler zu sühnen hatte. Ich wäre in den Tod gegangen, wenn es hätte sein müssen.«
»Das glaube ich dir, nun ich dich näher kennen gelernt habe. Ich habe meine Freiheit nur durch dich wiedererlangt und werde es dir danken.«
»Old Shatterhand ist ein berühmter Krieger; er hätte sich auch ohne mich befreit!«
»Vielleicht, doch nicht so schnell und auf diese Weise, welche mir keine Verwundung und keinen noch so kleinen Verlust gebracht hat. Ist dir die Zeit, während welcher du in den letzten Tagen auf mich wartetest, nicht lang geworden?«
»Keine Zeit, selbst die längste nicht, ist lang, wenn man Geduld hat, und ein Jüngling, welcher ein Krieger werden will, muß sich außer in der Tapferkeit vor allen Dingen auch in der Geduld üben.«
»Aber du konntest nicht schlafen, denn des Tages mußtest du uns folgen, und des Nachts konntest du an jedem Augenblick meine Flucht erwarten!«
»Ein Krieger muß darnach trachten, den Schlaf beherrschen zu können. Übrigens konnte ich genug schlafen, denn ich legte mich zur Ruhe, wenn ihr aufgebrochen waret, und folgte euch erst nach einigen Stunden. Die Herden zogen so langsam, daß ich sie sehr schnell einzuholen vermochte.«
»Woran dachtest du, daß es lag, als du so vergeblich auf mich warten mußtest?«
»Ich dachte gar nicht, denn ich wußte, Old Shatterhand wird kommen, wenn seine Zeit erschienen ist.«
»Mit deinen Antworten beweisest du, daß du einst nicht nur ein tapferer Krieger, sondern auch ein um- und vorsichtiger Berater in der Versammlung der Häuptlinge und Ältesten sein wirst. Du wünschest, einen Namen zu haben. Sobald ich mit den deinen zum erstenmale am Feuer sitze, werde ich ihnen sagen, daß du bewiesen hast, wert zu sein, einen Namen zu tragen.«
»Uff, uff!« rief er aus, indem seine Augen glänzten und er sich entzückt im Sattel aufrichtete.
»Ja, ich werde ihnen vorschlagen, dir einen zu geben.«
»Wolltest du das? Mein Dank würde so groß sein, wie die Erde ist, und so lange währen, bis ich nicht mehr lebe!«
»Ja, ich habe mir vorgenommen, diesen Antrag zu stellen.«
»Dann werden sie mich fragen, welchen Namen mir der große Manitou zeigte, und welche Medizin ich gefunden habe. Und ich kann ihnen doch keine Antwort geben!«
Wenn ein junger Indianer so herangewachsen und in allem, was er kennen und können muß, so weit herangebildet ist, daß er nun ein Krieger werden will, so hat er zunächst nach einem Namen zu suchen. Er geht also in die Einsamkeit, um zu fasten und über das, was einem Krieger und berühmten Manne zusteht, nachzudenken. Die Einsamkeit, das strenge Fasten, das Grübeln nach berühmten Thaten regen ihn auf; seine Nerven kommen in einen Zustand fieberhafter Thätigkeit oder überirdischen Empfindens, infolgedessen er in Träume oder Hallucinationen fällt. Der erste Gegenstand nun, von dem er träumt oder den ihm eine solche Hallucination zeigt, wird seine »Medizin«, sein Heiligtum fürs ganze Leben. Er bewaffnet sich und zieht fort, um nicht eher zurückzukommen, als bis er den Gegenstand geraubt, erobert, gefunden oder überhaupt erlangt hat. Das Ding, mag es nun groß oder klein sein oder die seltsamste Form und Gestalt haben, wird in Felle genäht und sorgsam verwahrt. Er nimmt es auf seine Kriegszüge mit und hängt es an die Lanze, welche vor seinem Zelte in der Erde steckt. Diese Medizin ist ihm das Kostbarste, das Heiligste, was er hat; um ihren Besitz kämpft er mit wahrer Verzweiflung und mit Aufbietung aller seiner Kräfte. Darum ist es ein großer Ruhm, die Medizin eines Feindes oder gar mehrerer oder vieler Feinde erobert zu haben. Ebenso groß ist aber auch die Schande, seine Medizin verloren zu haben, ob im Kampfe oder aus irgend einer andern Ursache, das bleibt sich gleich. »Der Mann, der keine Medizin hat«, das ist die tödlichste Beleidigung, welche einem Indianer gesagt werden kann. So ein Verachteter ruht gewiß nicht eher, als bis er die Medizin eines Feindes erobert hat; sie wird dann die seinige, und seine verloren gegangene Ehre ist wieder hergestellt.
Meist nimmt ein junger Mann, sobald er den Gegenstand, von welchem er träumte, also seine Medizin, gefunden hat, den Namen derselben an, weshalb man oft auf die sonderbarsten Namen derselben stößt, z.B. die »tote Spinne«, das »zerrissene Blatt«, der »lange Faden«. Die Betreffenden haben eben, als sie nach Medizin suchten, zuerst von einer toten Spinne, einem zerrissenen Blatte, einem langen Faden geträumt und tragen nun diese Gegenstände als ihre Medizinen mit sich herum. Es kommt aber auch vor, daß, wenn ein junger Mann sich durch eine besondere That auszeichnet, er einen Ehrennamen erhält, welcher an dieselbe erinnert, und ein solcher Name wird viel höher geachtet, als der gewöhnliche Medizinname. Darum antwortete ich auf die letzten Worte meines jungen Begleiters:
»Du brauchst nicht zu antworten, denn die Antwort werde ich ihnen geben, wenn sie so fragen.«
»Du?« fragte er, indem seine Wangen sich höher röteten.
»Ja, ich, denn ich habe einen Namen für dich.«
Er senkte den Kopf, um sein Entzücken zu beherrschen. Er hätte mich sicher gar zu gern nach diesem Namen gefragt, doch wäre das gegen alle Regeln der Höflichkeit und Bescheidenheit gewesen. Darum fuhr ich, um seine Wißbegierde zu stillen, fort:
»Kannst du dir nicht denken, welchen Namen ich meine?«
»Nein.«
»So sage mir, welches die erste That ist, durch welche du dich ausgezeichnet hast!«
»Meine erste That,« antwortete er seufzend, »war die, daß ich Old Shatterhand in die Hände der Feinde trieb.«
»Das hast du ja wett gemacht und ist also gesühnt; es war kein Thun, sondern ein Unterlassen, ein Nichtbeachten der von mir vorgezeichneten Vorsichtsmaßregeln. Dein erstes Thun, deine erste, wirkliche That war meine Befreiung. Was meinst du wohl, daß deine Krieger zu dieser That sagen werden?«
»Wer Old Shatterhand befreit, der ist der glücklichste und berühmteste der Krieger und wird niemals einer Medizin bedürfen.«
»Nun wohl, du hast zu meiner Befreiung mitgewirkt und dabei zwei Yumas erschossen; ich werde also am Feuer der Beratung den Ältesten deines Stammes vorschlagen, dich Yuma-Shetar zu nennen, und ich bin überzeugt, daß sie auf diesen Vorschlag eingehen werden.«
»Gewiß werden sie das, ganz gewiß!« rief er aus oder vielmehr schrie er laut auf. »Es ist ja ein Ruhm für den ganzen Stamm der Mimbrenjo, von Old Shatterhand einen solchen Vorschlag gemacht zu erhalten. O Manitou, Manitou! Ich wußte es gar wohl, daß ich bei Old Shatterhand viel eher einen Namen, und auch einen viel bessern, finden würde, als an jedem andern Orte! Unsere Krieger werden mich beneiden; die Frauen werden von mir erzählen, und wenn ich vorübergehe, werden die Töchter heimlich durch die Ritzen der Zelte mir nachblicken. Vor allen Dingen aber wird mein Vater, der ›starke Büffel‹, mich an sein Herz drücken und mein kleiner Bruder vor Wonne und Liebe meine Lippen küssen. O, hätte er, der auch noch keinen Namen hat, ebenso wie ich bei dir bleiben können! Ich glaube, er hätte sich einen eben solchen wie ich erworben!«
»Sehr wahrscheinlich. Dieses Versäumnis kann übrigens nachgeholt werden, denn ich bin überzeugt, deinen Bruder bald wiederzusehen. Wenn er dir nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ähnlich ist, so wird er nach seiner Ankunft nicht geruht und gerastet haben, bis er von deinem Vater die Erlaubnis, den Zug gegen die Yumas mitmachen zu dürfen, erhalten hat.«
»Das glaube ich auch. Mein Vater, der große Häuptling der Mimbrenjos, ist sehr streng; er achtet der gewöhnlichen Wünsche seiner Kinder wenig, aber eine solche Bitte, die ihn erfreuen muß, zu erfüllen, wird er gewiß nicht zögern. Wie herrlich, wenn die Namengebung meines kleinen Bruders zu derselben Zeit mit der meinigen von dem ganzen Stamme gefeiert würde!«
Während dieser Unterredung hatten wir nicht nur den Weg durch die gewundene Schlucht, sondern auch durch mehrere Vorthäler zurückgelegt. Bei jeder Biegung des Weges hatten wir hinter uns geblickt, ob die Verfolger zu sehen seien, aber nichts von ihnen wahrgenommen. Dennoch war ich überzeugt, daß sie sich nicht weit von uns befanden, und nahm mir vor, nun bald, wenn die Gegend sich dazu eignete, die Probe zu machen.
Wir kamen an eine Art kleiner Prairie, die vielleicht einen viertelstündigen Ritt breit war. Als wir sie durchkreuzt hatten, befanden wir uns in einem Busche, der ein gutes Versteck bot. Hier hielt ich mein Pferd an und stieg ab.
»Will Old Shatterhand hier schon Rast machen?« fragte der Knabe.
»Nein, sondern nur für kurze Zeit anhalten, um mit den Yumas zu reden.«
Wahrscheinlich kam ihm meine Absicht höchst sonderbar vor; er sagte aber nichts. Ich schnallte das Paket mit dem neuen Anzuge los, um denselben mit dem alten zu vertauschen. Letzterer war von Anfang an nicht viel wert gewesen und hatte während meiner Gefangenschaft so sehr gelitten, daß ich nun erst recht wie ein Stromer und ganz und gar bettelhaft aussah. Wie ganz anders war es, als ich in dem neuen steckte! Es war nicht die geringste Spur von Eitelkeit bei mir vorhanden, aber diese südlichen Indianer sind ebenso mehr für Äußerlichkeiten eingenommen als ihre nördlichen Brüder, wie der Mexikaner sich auffallender und glänzender kleidet als der unpoetische und nüchterne Yankee. Ein Sioux- oder Crow-Indianer versagt einem weißen Jäger seine Achtung nicht, auch wenn derselbe in Lumpen erscheint; ein Pimo oder Yaqui aber kann sich weit schwerer darein finden, eine schlecht gekleidete Person für einen tüchtigen Mann zu halten. Und doch kommt oft sehr viel darauf an, welchen Eindruck man gleich im ersten Augenblicke macht. Wäre ich nicht in meinem alten Anzuge auf der Hazienda erschienen, so hätte mir Timoteo Pruchillo wahrscheinlich eher geglaubt, und ich wäre nicht gezwungen gewesen, seinen famosen Majordomo zu beohrfeigen und in den Bach zu werfen. Man sieht, daß selbst in jenen abgelegenen Gegenden Kleider Leute machen.
Als ich mich umgekleidet hatte, sah ich ungefähr wie ein reicher mexikanischer Großgrundbesitzer, wie ein Caballero aus, der gerade auf dem Wege ist, die Dame seines Herzens zu besuchen.
»Uff!« rief sogar der Mimbrenjo verwundert aus, als ich hinter dem Strauche, welcher die spanische Wand gebildet hatte, hervortrat. »Fast hätte ich dich nicht sogleich wiedererkannt;« er errötete vor Verlegenheit. »Aber so haben wir Knaben uns Old Shatterhand vorgestellt, wenn uns von ihm und von Winnetou erzählt wurde.«
Als dieses aufrichtige und unbewachte Bekenntnis heraus war, ergriff ihn doppelte Verlegenheit; ich riß ihn aus derselben, indem ich ihm meinen Bärentöter gab und dabei sagte:
»Mein junger roter Bruder mag hier zurückbleiben und das Gewehr halten, welches ich nicht brauche. Sobald die Yumas erscheinen, werde ich ihnen entgegenreiten, um mit ihnen zu sprechen. Sollten ihrer so viele sein, daß sie es wagen, mich anzugreifen, so werden wir, um sie zurückzuhalten, dieses Buschwerk gegen sie verteidigen.«
Indem ich so hinter den vordern Sträuchern stand, beobachtete ich den Weg, den wir soeben zurückgelegt hatten. Was ich vermutet hatte, das geschah: Schon nach kurzer Zeit sah ich da drüben drei Reiter erscheinen, welche in kurzem Zotteltrabe über die Prairie herüberkamen. Ich ritt ihnen entgegen und nahm die Haltung eines Mannes an, welcher ganz unbesorgt seines Weges reitet. Dabei hielt ich den Körper nach vorn gebeugt und that, als ob ich so ermüdet sei, daß ich auf die vor mir liegende Fläche gar nicht achtete.
Als sie mich erblickten, stutzten sie; da sie aber keinen andern erscheinen sahen, so ritten sie weiter; einen einzelnen Reiter brauchten sie nicht zu scheuen. Ich stellte mich so, als ob ich sie noch nicht sähe, hielt aber den Stutzen quer über den Sattel gelegt, um ihn mit einem Griffe in Anschlag zu haben. Dabei war ich überzeugt, daß sie mich nicht, wenigstens nicht sofort erkennen würden, denn sie hatten mich in dem jetzigen, mich sehr verändernden Anzuge noch nicht gesehen und außerdem hielt ich die Zipfel der bunten mexikanischen Gargantille wie ein gegen die Sonne schützendes Halstuch so über Kinn und Bart geschlagen, daß, da der breitrandige Sombrero bis auf die Augen niederging, von meinem Gesichte eigentlich nur die Nase deutlich zu sehen war.
Jetzt waren sie mir so nahe gekommen, daß ich unbedingt nicht nur sie sehen, sondern auch die Schritte ihrer Pferde hören mußte. Ich richtete mich also auf, that, als ob ich sie jetzt erst erblickte, und hielt mein Pferd an, welches sie auch nicht kannten. Sie parierten die ihrigen vielleicht zehn oder zwölf Schritte vor mir; es waren drei von meinen letzten fünf Wächtern. Der eine redete mich in dem gebräuchlichen Mischmasch an:
»Wo kommst du her?«
»Von der Hazienda del Arroyo,« antwortete ich mit verstellter Stimme, was mir nicht schwer wurde, da das Tuch auch meinen Mund halb verdeckte.
»Und wo willst du hin?«
»Zum ›großen Munde‹, dem Häuptling der tapfern Yumas.«
»Wie hast du die Hazienda gefunden?«
»Sie ist zerstört, vollständig vernichtet.«
»Von wem?«
»Von den Yumas.«
»Und da reitest du zu ihnen? Was willst du bei ihnen?«
»Mit ihnen über die Herden, welche sie fortgetrieben haben, verhandeln.«
»In welchem Auftrage?«
»Ich bin der Bote des Haziendero, welcher bereit ist, die Tiere zurückzukaufen, und soll mir von dem Häuptlinge den Preis bestimmen lassen.«
»Dein Weg ist umsonst, denn er verkauft die Tiere nicht.«
»Woher wißt ihr das?«
»Wir gehören zu seinen Kriegern.«
»So müßt ihr freilich wissen, was er thun will und was nicht; aber ich möchte dennoch mit ihm sprechen, da ich nach meinem Auftrage zu handeln habe.«
»Du scheinst nicht zu wissen, wie gefährlich das ist. Die Krieger der Yumas haben das Kriegsbeil gegen die Weißen ergriffen.«
»Ich weiß es, habe aber keine Sorge, da ich als Unterhändler unverletzlich bin. Wo haben die Krieger der Yuma, welche auf der Hazienda waren, ihr Lager aufgeschlagen?«
»Das brauchst du nicht zu wissen, denn es ist nicht nötig, daß du so weit reitest. Wenn du hier wartest oder langsam auf dieser Spur weiter reitest, wirst du in kurzer Zeit den Häuptling mit fünfzig seiner Krieger erscheinen sehen.«
»Ich danke euch. Lebt wohl!«
Ich that so, als ob ich weiter reiten wolle, obgleich ich wußte, daß sie noch mehrere Fragen an mich richten würden. Gerade auf diese Fragen kam es mir an, denn aus ihnen konnte ich vielleicht das schließen, was ich wissen wollte.
»Halt, warte noch!« erklang es in befehlendem Tone. »Hast du denn mit dem Haziendero gesprochen?«
»Natürlich! Wie könnte ich sonst sein Bevollmächtigter sein!«
»Und er war mit dem Bleichgesichte, welches Melton heißt, auf dem Wege nach Ures?«
»Einen Weißen Namens Melton habe ich nicht gesehen.«
»Vielleicht einen, welcher Weller hieß, und den Sohn desselben?«
»Auch nicht.«
»So hast du wohl auch nicht einen Trupp unserer Krieger gesehen, bei welchem diese Bleichgesichter zwei Tage lang gefangen gewesen sind?«
»Nein. Ich habe nur den Haziendero gesehen und mit ihm gesprochen.«
»Wo?«
»In den Ruinen seines Hauses. Ich kam nach der Hazienda, um ihm Geld zu geben, welches ich ihm schuldete. Er will mit demselben das Vieh zurückkaufen und bat mich, den Yumas nachzureiten, um mit ihnen zu verhandeln.«
»Wer hat das Geld, du oder er?«
»Er natürlich.«
Sie hatten mich noch immer nicht erkannt und sahen einander betroffen an. Der bisherige Sprecher meinte nachdenklich, ohne dabei auf meine Gegenwart Rücksicht zu nehmen:
»Da muß etwas geschehen sein! Der Haziendero ist noch da, und die andern Bleichgesichter befinden sich nicht bei ihm! Auch unsere Krieger waren nicht zu sehen, obwohl sie nach hier unterwegs sein müssen! Er will das Vieh zurückkaufen; er hat Geld! Da kann alles anders werden! Und wo befinden sich die vielen fremden Bleichgesichter, welche mit ihren Frauen und Kindern von unsern Brüdern erwartet werden und in die Berge gebracht werden sollen?«
Die andern schüttelten stumm die Köpfe; er wendete sich wieder an mich:
»Bist du nicht vor kurzer Zeit zwei Reitern begegnet?«
»Ja. Es war ein Weißer mit einem jungen Indianer.«
»Wie war der Weiße gekleidet?«
»Wie ein Lump und Habenichts.«
»Was für Waffen hatte er?«
»Ich sah zwei Gewehre.«
»Das stimmt. Der Hund von Mimbrenjo hat sie ihm nachgebracht!«
Das sagte er wie zu sich selbst oder zu seinen beiden Kameraden; dann fragte er mich weiter:
»Ritten sie sehr schnell?«
»Nein,« antwortete ich, indem ich den Zügel schärfer anzog, um mein Pferd um einige Schritte zurückzunehmen. »Sie waren abgestiegen.«
»Wo?«
»Dort hinter mir im Gebüsch.«
»Uff! So müssen wir schnell zurück, denn das lange Gewehr des Bleichgesichtes reicht bis hierher; es ist ein Bärentöter. Und die kurze Flinte desselben schießt ohne Aufhören immerfort. Komm mit uns! Wir reiten eine Strecke zurück, wo du den Häuptling sehen wirst und mit ihm sprechen kannst.«
»Das hat Zeit. Wartet noch ein wenig! Ich möchte etwas von euch haben.«
»Was?«
»Eure Gewehre und eure Pferde.«
»Warum und wozu?« fragte er, indem er mich, erstaunt über diese Forderung, anblickte.
»Darum!« antwortete ich, indem ich mit der Linken das Tuch aus dem Gesicht strich und mit der Rechten den Stutzen auf sie richtete. »Ihr habt selbst gesagt, wie oft ich mit diesem Gewehre zu schießen vermag. Wer von euch von der Stelle weicht, erhält augenblicklich eine Kugel. Und dort im Gebüsch steht der Mimbrenjo mit meinem Bärentöter, dessen Kugel bis hieher und auch noch weiter geht.«
Sie blieben halten, nicht etwa infolge meines Befehls, sondern vor Schreck, und starrten mir mit weit geöffneten Augen in das jetzt unverhüllte Gesicht.
»Uff!« stieß der Sprecher hervor. »Das ist Old Shatterhand!«
»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« wiederholten die beiden andern.
»Ja, Old Shatterhand ist's,« nickte ich, das Gewehr mit der Mündung noch immer auf sie richtend, »Wendet nicht um, sonst schieße ich! Ihr wollt mich fangen und seid nun selbst gefangen. Ich will euch aber frei lassen und euch die Erlaubnis geben, zu eurem Häuptling zurückzugehen. Laßt eure Gewehre fallen!«
Sie hatten ihre Flinten, wie Indianer bei jeder fremden Begegnung zu thun pflegen, in den Händen, doch nicht schußbereit. Sie wagten nicht, sie gegen mich zu erheben, gehorchten aber doch nicht sogleich.
»Schnell, sonst schieße ich! Ich warte nicht!« donnerte ich sie an. »Eins – zwei – –«
Ich hatte noch nicht »drei« gesagt, so ließen sie die Gewehre aus ihren Händen und von den Pferden herab auf die Erde fallen.
»Steigt ab, und tretet auf die Seite!«
Sie gehorchten aus Angst vor der Mündung meines Stutzens.
»Jetzt lauft zurück! Wer von euch sich umsieht, solange ich ihn zu sehen vermag, bekommt die Kugel!«
Sie rannten augenblicklich in vollstem Laufe davon. Es war eigentlich zum Lachen, wie sie so davonschossen. Als sie mich noch fest hatten, spotteten und höhnten sie über mich; jetzt aber liefen sie wie die Hasen.
Ich brauchte gar nicht zu warten, bis sie verschwunden waren, denn ich war überzeugt, daß sie nicht wagen würden, sich umzudrehen. Ich stieg ab, um ihre Gewehre aufzunehmen und mich ihrer Pferde, welche beim Verschwinden ihrer Herren unruhig geworden waren, zu versichern. Da sah ich auch schon meinen Mimbrenjo im vollen Galoppe aus dem Busche geritten kommen, um mir zu helfen.
»Uff, uff!« rief er mir schon von weitem zu. »Old Shatterhand ist ein großer Zauberer; ihm gelingen alle, selbst die schwersten Medizinen!«
»Das war nicht schwer,« antwortete ich.
»Ohne Kampf drei Feinde zu entwaffnen und ihnen noch dazu die Pferde abzunehmen? Das soll nicht schwer sein! Wer hätte das vorhin gedacht! Als du sagtest, daß du mit ihnen reden wollest, war ich voller Sorge um dich!«
»Ich hatte einen Verbündeten.«
»Ja, du hattest einen, denn ich stand mit deinem Bärentöter, den ich aber nicht halten konnte, sondern auf die Gabel eines Busches legen mußte, bereit, sofort zu schießen, falls sie Miene machen sollten, sich gegen dich zu wehren.«
»Das war sehr brav, wenn auch unnötig. Ich meine einen andern Verbündeten, nämlich die Überraschung. Durch diese wurde die Angst verdoppelt, welche sie vor meinen Gewehren haben. Doch wir müssen fort, denn ihre Kameraden können jeden Augenblick erscheinen.«
Wir befestigten die drei Gewehre an den Sattelknöpfen der erbeuteten Pferde; der Mimbrenjo nahm ein Pferd, ich zwei am Zügel, dann ritten wir davon, erst langsam durch den Busch und, als wir ihn hinter uns, vor uns aber freies Land hatten, im Galopp. Diese Schnelligkeit hielten wir aber nur solange ein, bis wir weit genug entfernt waren, um nicht gefährdet zu werden. Als wir die Büsche nur noch als dünnen Streifen hinter uns liegen sahen, blieben wir halten, und zwar in wohl erwogener Absicht. Es kam uns ja darauf an, die Verfolger hinter uns her zu locken, und so mußten wir uns zuweilen von ihnen sehen lassen, um ihre Energie neu zu beleben.
Indem wir jetzt ruhig nebeneinander auf den Pferden saßen, bemerkte ich, daß der Mimbrenjo verstohlene, verlangende Blicke auf mich richtete, und erriet, daß er gern wissen wollte, was ich mit den drei Yumas gesprochen hatte. Ich erzählte es ihm. Als Knabe konnte er eine solche Vertraulichkeit nicht verlangen, umsomehr aber war er stolz darauf, daß ich ihm diese Mitteilungen machte. Als ich zu Ende war, blickte er sinnend vor sich nieder und sagte dann:
»Bei Old Shatterhand lernt man von Stunde zu Stunde immer mehr. Hat man die Vorteile erfahren, welche ein Krieger sich zu nutze machen muß, so hört man bald darauf wieder, wie man es anzufangen hat, von jemand das zu erfahren, was er einem nicht sagen soll. Wir wissen nun fast alles!«
»O, noch lange nicht! Die Hauptsache ist mir verborgen geblieben.«
»Will Old Shatterhand mir mitteilen, welche Sache das ist?«
»Gern. Zunächst wissen wir, daß wir fünfzig Verfolger hinter uns haben, und zwar unter Anführung des Häuptlings selbst. Was wird daraus zu schließen sein?«
»Daß die Herden und die verwundeten Krieger bis zur Rückkehr dieser fünfzig nicht weiter ziehen, sondern da liegen bleiben, wo wir sie verlassen haben.«
»Richtig! Ferner wissen wir, daß Melton und die beiden Weller frei sind, daß auch der Haziendero nicht mehr gefangen ist und daß sogar die weißen, fremden Einwanderer freigelassen worden sind.«
»Ist das nicht genug?«
»Nein.«
»Aber es kam dir doch eigentlich wohl nur darauf an, sie zu retten! Nun sind sie frei.«
»Sie sind frei, aber wo? Sie sollen von den Brüdern der Yumas, also von andern Yumas, in die Berge geführt werden. Das kommt mir verdächtig vor. Welche Berge sind gemeint? Was sollen sie dort? Sie kamen doch aus ihrer Heimat in dieses Land, um auf der Hazienda del Arroyo zu arbeiten. Wozu schafft man sie da, noch dazu durch feindliche Indianer, in unbekannte Berge?«
»Das vermag ich nicht zu sagen,« meinte der Knabe in drolliger Aufrichtigkeit.
»Tröste dich darüber, denn ich weiß es auch nicht, werde aber nicht ruhen, bis ich es erfahren habe. Ferner: Der Haziendero hat mit Melton nach Ures gewollt. Was treiben sie dort? Ich würde unter andern Umständen diese Reise für eine ganz unverdächtige Sache halten; aber Melton hat die Indianer herbeigelockt und von ihnen die Hazienda überfallen, ausrauben und einäschern lassen. Nun reitet er mit dem zu Grunde gerichteten Besitzer nach Ures, während die fremden Arbeiter desselben, welche bei dem Überfalle auch alle ihre geringe Habe verloren haben, von Indianern in die Berge geführt werden. Der Haziendero gehört dahin, wo sie sind; warum trennt man sie?«
»Glaubst du, das erfahren zu können?«
»Ja. Ich werde, sobald wir die Herden gerettet haben, unbedingt nach Ures reiten. Und nun endlich, wo sind die Yumas, welche da, wo ich getötet werden sollte, zur Bewachung der gefangenen Weißen zurückgelassen worden sind? Sind die Gefangenen wirklich frei, so können die Wächter ihrem vorangezogenen Häuptlinge nachfolgen. Sie können schnell reiten, während wir wegen der Herden nur langsam vorwärts kamen; sie könnten also hier sein.«
»Vielleicht begegnen wir ihnen heute noch!«
»Das ist möglich, und darum müssen wir uns vorsehen, damit wir ihnen nicht in die Hände laufen. Doch, schau hinter uns! Siehst du unsere Verfolger?«
»Ja; sie kommen. Sie bleiben vor den Büschen halten. Meinst du, daß sie uns sehen?«
»Ja. Sie müssen uns ebensogut bemerken, wie wir sie sehen. Paß auf! Sie kommen uns im Galoppe nach. Wir können nun wieder weiter, denn nun sie uns sehen, fällt es ihnen nicht ein, umzukehren. Höchstens mußten sie die drei zurückschicken, denen wir die Pferde genommen haben und die infolgedessen nicht mit ihnen fortkommen können.«
Wir jagten weiter, über die bereits halb durchquerte Ebene hin, dann durch mehrere Thäler, über einige niedrige Berge und kamen nun wieder auf ebenes Land. Dort lag ein Wald, an welchem wir auf dem Herwege gelagert hatten und den wir bis zum Abende erreichen konnten. Wir zwei legten jetzt natürlich ganz andere Strecken zurück, als vorher mit den wie die Schnecken ziehenden Weidetieren, deren Spuren noch sehr deutlich zu sehen waren. Die Fährte war so breit und deutlich ausgesprochen, daß man sie recht gut eine Straße nennen konnte.
Die Zeit verging; die Sonne sank im Westen immer weiter nieder. Fast hatte sie den Horizont erreicht, und wir konnten uns nicht mehr allzuweit von dem Walde befinden. Da deutete der Knabe mit ausgestrecktem Arme gerade vorwärts und rief aus:
»Sieh, dort kommen die Yumas, die bei den gefangenen Bleichgesichtern zurückblieben, und von denen wir uns nicht sehen lassen dürfen!«
Er hatte recht, wenigstens in Beziehung auf das Erscheinen von Reitern. Es war ein dichter Haufen. Man konnte der großen Entfernung wegen nicht sehen, aus wie vielen Einzelnen er bestand. Es war allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir die ihrem Häuptlinge nun nachfolgenden Yumas vor uns hatten; darum bogen wir, um ihnen aus dem Wege zu gehen, in einem rechten Winkel nach rechts hinüber und ließen unsere Pferde laufen, was sie laufen konnten. Es war anzunehmen, daß die Nahenden uns noch nicht gesehen hatten.
Dem war aber nicht so, denn indem wir der neuen Richtung folgten, wendete ich mich einigemal um und sah, daß ein einzelner Reiter, welcher allerdings zunächst nur als winziger Punkt erschien, sich von dem Trupp getrennt hatte und auf uns zukam. Ich hatte die Wirkung der tiefstehenden Sonne nicht mit in Berechnung gezogen. Ihr grelles Licht traf den Trupp hinten, auf der uns abgewendeten, uns aber vorn, auf der ihm zugewendeten Seite; darum hatte man uns gar wohl bemerken müssen. Doch beruhigte mich der Umstand, daß der Reiterhaufe sich in seiner Richtung nicht beirren ließ und nur einen Mann abgeschickt hatte, der uns aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich erreichen konnte.
Der Trupp ritt jetzt langsamer, wohl um die Rückkehr des einen zu erleichtern, von West nach Ost. Wir ritten von Süd nach Nord, und zwar im Galoppe. Unsere Bahnen bildeten also einen rechten Winkel oder die zwei Winkelseiten eines regelmäßigen Vierecks, auf dessen Diagonale sich der einzelne Reiter hielt. Er hatte also den weitesten Weg zu machen, und doch war es erstaunlich, wie rasch er vorwärts kam. Ich hatte es für unmöglich gehalten, daß er uns bei unserem Galoppe erreichen könne, doch seine Gestalt wurde uns so schnell deutlich und immer deutlicher, daß ich meinen Irrtum einsehen mußte. War er uns erst als kleiner Punkt erschienen, so wuchs er schnell zur Größe eines Kürbis; dann begann er, sich zu gliedern. Sein Pferd hatte die Größe eines kleinen Hündchens, eines Schäferhundes, eines Windspiels, einer Dogge; es wurde größer und größer, kam näher und näher, obgleich wir unsere Schnelligkeit nicht verminderten. Mein Begleiter rief mehreremal ein verwundertes »Uff«, und ich war ebenso erstaunt über die unglaubliche Behendigkeit dieses Rosses.
In andern Ländern und Zonen hatte ich edle Renner nicht nur gesehen, sondern selbst geritten; hier in Nordamerika aber waren nur zwei Pferde bekannt, welche einen solchen Lauf, der fast ein Fliegen genannt werden konnte, entwickelt hatten, nämlich die beiden Rappen, auf denen Winnetou und ich so oft über die Prairien gejagt waren.
Winnetou! Ich hielt unwillkürlich mein Pferd an und beschattete meine Augen, um schärfer sehen zu können, mit der Hand. Das Pferd war ein Rappe; seine Beine arbeiteten, daß sie nicht zu sehen waren. Um den Leib des Reiters schimmerte es hell und rot; ein dunkler Schleier wehte hinter ihm her, und dann sah ich an dem Laufe seines Gewehres helle Funken blitzen. Das Herz jubelte mir. Der rote Schimmer kam von der Santillodecke, welche Winnetou stets als Schärpe trug; der dunkle Schleier war sein langes, schwarzes Haar, welches er nie kürzen ließ und nie mit einem Hute bedeckte, und die Funken flogen von den blanken Nägeln, mit denen seine berühmte und gefürchtete Silberbüchse beschlagen war.
Ich war mexikanisch gekleidet und saß, mit seinem edlen Pferde verglichen, auf einer Mähre; er erkannte mich also noch nicht. Aber er kannte die Stimmen meiner Gewehre, wie ich den scharfen, sonoren Knall seiner Silberbüchse so genau kannte, daß wir uns im wilden Urwalde oft nur mit Hilfe unserer Gewehre zusammengefunden hatten. Er war noch soweit entfernt, daß die Einzelheiten seiner hohen, schlanken Gestalt noch lange nicht zu erkennen waren; da nahm ich den Bärentöter vor und schoß. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Der Reiter riß sein Pferd mitten im Ventre à terre zurück, so daß es sich hoch aufbäumte und fast überschlug; dann trieb er es weiter, stellte sich in den Bügeln hoch und schrie mit jubelnder Stimme.
»Scharlieh, Scharlieh!«
Er pflegte in dieser Weise meinen Vornamen Karl englisch auszusprechen.
»Winnetou, Winnetou, n'scho, n'scho – Winnetou, Winnetou, wie gut, wie gut!« antwortete ich, indem ich mein Pferd ihm entgegentrieb.
Er kam gleich einem Halbgotte dahergesaust. Stolz und aufrecht, wie angewachsen, saß er auf dem fliegenden Rappen, den beschlagenen Kolben der Silberbüchse auf das Knie gestemmt. Sein edles Gesicht mit den gebräunten, fast römischen Zügen strahlte vor Freude; seine Augen glänzten. Ich war aus dem Sattel. Er gab sich gar nicht die Mühe, sein Pferd im Laufe anzuhalten; er ließ die Büchse zur Erde gleiten, und schnellte sich, während es an mir vorüberschoß, herab und mir in die ausgebreiteten Arme, um mich an sich zu drücken und wieder und wieder zu küssen.
Ja, wir waren Freunde, Freunde in des Wortes vollkommenster und bester Bedeutung, und waren doch einst Todfeinde gewesen! Sein Leben gehörte mir und das meinige ihm; damit ist alles gesagt. Wir hatten uns solange nicht gesehen; nun stand er vor mir in der mir bekannten und ihn so außerordentlich kleidenden halbindianischen Tracht. Als die Umarmungen vorüber waren, kamen wir aus dem Drücken und Schütteln der Hände nicht heraus. Unterdessen hatte sein Pferd einen kurzen Bogen geschlagen und kehrte zu ihm wie ein treuer Hund zurück. Es hörte meine Stimme, wieherte freudig auf und rieb den kleinen, feinen Kopf an meiner Schulter, um mir dann gar die Wange mit den Lefzen zu berühren.
»Sieh, es kennt dich noch und küßt dich auch!« lächelte Winnetou. »Old Shatterhand ist ein Freund der Menschen und der Tiere, und wird darum von ihnen nicht vergessen.«
Sein Blick fiel dabei auf mein Pferd, und ein lustiges Zucken ging über sein sonst so ernstes Gesicht.
»Armer Scharlieh!« meinte er. »Wo magst du doch gewesen sein, daß es nichts anderes für dich gab! Von heute an aber wirst du deiner würdig reiten.«
»Wie?« fragte ich schnell. »Hast du den Hatatitla mit?«
Hatatitla, der Blitz, hieß nämlich der Rappe, den ich geritten hatte, während Winnetou den seinigen Iitschi, den Wind, nannte.
»Ich pflegte ihn für dich,« antwortete er. »Er ist noch jung und feurig wie vorher, und ich nahm ihn mit, weil ich dich erwartete.«
»Das ist herrlich! Auf diesen Pferden sind wir allen Feinden überlegen. Wie aber kommst du nach der Sonora, da wir uns doch oben am Flusse treffen wollten?«
»Ich mußte zu einigen Stämmen der Pimos, um Streitigkeiten derselben zu schlichten, und dachte dabei an meinen tapfern roten Bruder Nalgu Mokaschi, den Häuptling der Mimbrenjos, den ich solange nicht gesehen hatte. Ich ritt, ihn aufzusuchen, und als ich an seinem Feuer saß, kehrte sein jüngerer Sohn mit der Squaw, doch ohne den älteren, zurück und meldete, was geschehen war und daß du die Hilfe der Mimbrenjos gegen ihre Feinde, die Yumas, fordertest. Wir riefen sogleich ein Hundert und ein halbes Hundert Krieger zusammen, nahmen Fleisch auf viele Tage mit und brachen auf, drei Stunden nachdem wir deine Botschaft erhalten hatten. Ist Old Shatterhand zufrieden?«
»Außerordentlich! Ich danke meinem Bruder Winnetou! Aber ist auch der Häuptling, mein Freund, mitgekommen?«
»Wie könnte er zurückbleiben, wenn Old Shatterhand ruft, der mit ihm die Pfeife der Freundschaft getrunken und eben jetzt seine drei Kinder vom Tode errettet hat! Auch der kleine Sohn ist mitgekommen, welcher nicht im Wigwam bleiben wollte, weil sein älterer Bruder bei dir ist. Wir haben uns viel zu sagen, doch steige in den Sattel, damit du vorher den ›starken Büffeh und seine Krieger begrüßest!«
Ich hätte ihm am liebsten jetzt das Notwendigste gesagt, und ihn nach dem Hauptsächlichsten gefragt; das wäre aber gegen seine Gewohnheiten gewesen. Wir stiegen also auf. Die Mimbrenjos waren indessen schon an der Stelle, an welcher ich nördlich umgebogen hatte, vorübergekommen. Winnetou gab einen Schuß aus seiner Silberbüchse ab, und der scharfe Knall drang bis zu ihnen. Sie sahen uns friedlich beisammen und hielten an. Wir ritten auf sie zu, hinter uns mein kleiner Mimbrenjo, welcher es nicht gewagt hatte, ein Wort zu sagen, aber mit bewunderndem, ja, ich möchte beinahe sagen, mit hingebendem Blicke an der Gestalt des berühmtesten der Apatschenhäuptlinge hing.
Von weitem waren die Mimbrenjos nicht zu schätzen gewesen; jetzt, da wir uns ihnen näherten, sah ich freilich, daß es anderthalbhundert Reiter waren, alle gut mit Schießgewehren bewaffnet. Vor ihnen hielt Nalgu Mokaschi, der starke Büffel, mein treuer, wenn auch rauher Freund von früher her. Sie hatten sich die Gesichter mit gelben und dunkelroten Streifen, ihren Kriegsfarben, bemalt, ein Beweis, wie ernst sie es mit der mir zu leistenden Hilfe zu nehmen beabsichtigten.
Der Häuptling, eine hohe, starkknochige Gestalt, hielt vor seinen Leuten auf einem sehr kräftigen Falben. Er blickte uns erwartungsvoll entgegen, da er mich von weitem nicht erkannte, weil er mich in einem mexikanischen Anzuge noch nicht gesehen hatte. Als wir aber nahe genug gekommen waren, sah ich trotz der Farben, welche sein Gesicht bedeckten, daß seine Züge den Ausdruck freudiger Überraschung annahmen.
»Uff, Uff!« rief er aus. »Da ist ja Old Shatterhand, der Freund unserer Herzen, den wir soviele Monde nicht gesehen haben! Wir sind gekommen, ihm gegen die Hunde der Yuma beizustehen!«
Der Indianer ist gewohnt, seine Gefühlsregungen zu beherrschen; die Freude der Mimbrenjos war aber so groß, daß sie in laute Jubelrufe ausbrachen. Der »starke Büffel« warf sich aus dem Sattel, um mich zu begrüßen. Er erwartete von mir ein Gleiches. Nach indianischer Sitte hätten wir hier absteigen müssen, um an Ort und Stelle die Pfeife der Begrüßung und des Friedens zu rauchen; ich aber blieb auf meinem Pferde sitzen, reichte ihm nur die Hand und antwortete:
»Meine Seele ist froh, den ›starken Büffel‹ zu sehen und die Angesichter seiner tapfern Kriegern schauen zu dürfen; ich möchte ihnen gern vieles sagen und sie nach vielem fragen, aber wir müssen diese Stelle augenblicklich verlassen, da die Yumas sofort erscheinen werden. Meine Brüder mögen also umkehren, um zurückzureiten.«
»Sind diese Hunde hinter dir? Wir werden sie hier erwarten, um ihnen allen das Leben zu nehmen!«
»Wenn wir hier halten blieben, würden sie sich, sobald sie uns erblickten, aus dem Staube machen. Darum mag der Häuptling der Mimbrenjos thun, was ich gesagt habe. Reiten wir schnell nach dem Walde, an welchem er vor kurzem vorübergekommen ist, so können wir sie dort erwarten, ohne daß sie uns sehen. Sie werden zwar die Spuren meiner roten Brüder bemerken, sie aber nicht deutlich lesen können, da wir dieselben auswischen werden.«
Ehe er auf meine Worte eine Erwiderung geben konnte, erhielt ich von einer andern und zwar mir sehr lieben Seite eine Antwort. Es ertönte nämlich hinter den Reitern ein lautes freudiges Wiehern. Dort hielt ein Indianer das Pferd, welches Winnetou für mich mitgebracht hatte, am Leitzügel. Es hatte meine Stimme gehört, mich an derselben erkannt und strebte nun, sich loszureißen und zu mir zu kommen.
»Hatatitla!« rief ich. »Laßt das Pferd los!«
Man folgte dieser Aufforderung. Das kluge, treue Tier kam herbeigesprungen, beschnoberte mich, und als ich ihm den schlanken Hals und die lange, glänzende Mähne streichelte, umsprang es mich einigemale wiehernd und schnaubend, und blieb dann bei mir stehen.
»Uff, Uff!« riefen die Indianer, von dieser Treue ebenso gerührt wie ich. Ja, das war mein »Blitz«, der mich aus so mancher Gefahr getragen, und mir durch seine Klugheit und unvergleichliche Schnelligkeit nicht nur einmal das Leben gerettet hatte. Sein Aussehen war noch so frisch und seine großen, verständigen Augen glänzten noch so munter wie früher. Er trug auch ganz dasselbe indianische Sattelzeug, welches ich früher im Gebrauche gehabt hatte. Ich schwang mich hinüber, und noch saß ich nicht fest, hatte noch keinen Fuß im Bügel, da ging das Tier mit allen vieren in die Luft. Es rannte wie ein freudig aufgeregter Hund hin und her, schlug ganze und halbe Kreise und stieg bald vorn und bald hinten in die Höhe. Ich ließ ihm eine kurze Zeit den Willen; sobald ich es aber zwischen die Schenkel nahm, gehorchte es augenblicklich und blieb vor Winnetou und dem »starken Büffel«, welcher sein Pferd wieder bestiegen hatte, halten.
»Mein Bruder Old Shatterhand sieht, daß er selbst von seinem Pferde nicht vergessen worden ist,« sagte Winnetou. »Wie oft mögen nun erst die Menschen, mit denen er verkehrte, an ihn gedacht haben! Ich werde ihm erzählen, was während seiner Abwesenheit im wilden Westen geschehen ist. Damit aber müssen wir warten, bis wir im ruhigen Kreise des Lagerfeuers sitzen. Jetzt dürfen wir uns nicht verweilen, da uns die Yumas nicht sehen sollen. Welche Entfernung liegt zwischen Old Shatterhand und ihnen?«
»Wahrscheinlich eine so geringe, daß sie jeden Augenblick hinten am Horizonte erscheinen können.«
Jeder andere hätte nun zunächst nach der Anzahl der Feinde gefragt; das fiel dem stolzen Winnetou aber nicht ein. Er schlang seinen Lasso los, band seine Santillodecke daran, um sie hinter sich herzuschleifen, und gab seinen Kriegern einen Wink, mit ihren Decken dasselbe zu thun. Durch das Nachschleifen der Decken oder auch anderer Gegenstände werden nämlich die Spuren ausgewischt, allerdings nicht so, daß sie gänzlich verschwinden. Wer hinterher folgt, bemerkt gar wohl, daß sich vor ihm Leute befinden, welche diese Vorsichtsmaßregel in Anwendung gebracht haben, aber er ist nicht mehr im stande, ihre Anzahl zu bestimmen. So auch hier bei uns. Die Yumas mußten unsere Fährte sehen, konnten aber unmöglich sagen, wieviel Personen wir waren.
Es ging im leichten Galoppe weiter. Ich ritt zwischen Winnetou und dem »starken Büffel«. Letzterer hatte seinen Sohn mit keinem Blicke begrüßt, obgleich er aus den obwaltenden Umständen schließen mußte, daß das, was der Knabe erlebt hatte, nichts Gewöhnliches sein konnte. So ist der Indianer. Der Häuptling liebte sein Kind jedenfalls nicht weniger, als ein Weißer das seinige; aber es wäre ein Zeichen der Schwachheit, der Unmännlichkeit gewesen, wenn er durch ein Wort, durch eine Frage verraten hätte, daß er sich um den Sohn in Sorge befunden habe.
Bald tauchte der mehrfach erwähnte Wald seitwärts vor uns auf. Wir hielten uns so, daß wir ihn zu unserer rechten Hand bekamen. Es galt, uns den Blicken der Yumas zu entziehen und sie in einem Hinterhalte zu erwarten. Dieser wurde uns geboten durch einen Vorsprung des Gehölzes, eine aus dem letzteren heraustretende scharfe Ecke, welche wir umritten, um hinter derselben anzuhalten.
Auch hier zeigte sich wieder die Gewalt, welche Winnetou, ohne daß er es beabsichtigte, auf alle, mit denen er in Berührung kam, auszuüben pflegte. Der »starke Büffel« und viele seiner Leute ragten in Beziehung auf die äußere Gestalt weit über Winnetou hinaus; es waren weitbekannte, gefürchtete Krieger unter ihnen, und doch blickten alle, als wir anhielten, auf Winnetou, um zu warten, welche Bestimmungen er treffen werde. Er wurde, ohne daß ein Wort darüber gesprochen worden war, als Anführer der Roten betrachtet, obwohl er gar nicht zu den Mimbrenjos gehörte, und dem Häuptlinge derselben fiel es nicht im mindesten ein, neidisch darüber zu sein. Diesen Eindruck machte Winnetou überall, wohin ich mit ihm kam, selbst bei feindlichen Stämmen und sogar bei den Weißen, welche doch sonst nicht bereit sind, sich einem Roten unterzuordnen.
Und er pflegte wiederum nichts vorzunehmen, wenigstens nichts Wichtiges, ohne sich darüber vorher mit mir ins Einverständnis zu setzen. Freilich, wer das bemerken wollte, mußte sehr scharf aufpassen. Gewöhnlich fiel da keine Frage zwischen uns; ein Blick hinüber und herüber genügte zum Verständnisse, wo nicht, so sagte eine Handbewegung, ein Achselzucken, ein Nicken oder Kopfschütteln das übrige. Wir hatten uns eben so ineinander eingelebt, daß der eine die Gedanken des andern schon im voraus anzugeben wußte.
Wenn wir allein miteinander waren, vergingen Stunden und halbe Tage, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Selbst eine ganz plötzlich über uns hereinbrechende Gefahr hatte uns oft nicht zum Reden gebracht; unsere ganze Verabredung hatte in einem kurzen Winke bestanden. Befanden sich aber andere bei uns, so pflegten wir uns weniger schweigsam zu verhalten, da wir sprechen mußten, um von ihnen verstanden zu werden. Ja, wenn wir etwas vornahmen, was für uns höchst selbstverständlich, für sie aber unbegreiflich oder gar widersinnig war, so ließ sich Winnetou nicht ungern zu ausführlichen Erklärungen herbei, welche er aber nie in einer langen Rede, sondern in der Weise gab, daß er mit mir Frage und Antwort wechselte. Ein solches, wenn auch noch so kurzes Gespräch enthielt dann für die Zuhörer gewöhnlich eine Belehrung, welche sie mit achtungsvollem Schweigen von dem berühmten Apatschenhäuptlinge hinnahmen.
Als er jetzt die Augen aller, selbst des Häuptlings, fragend auf sich gerichtet sah, wendete er sich an mich:
»Old Shatterhand hält diese Stelle für geeignet?«
Ich nickte und stieg vom Pferde.
»Werden zwei Wachen genügen?«
»Ein einziger Mann, solange es noch nicht dunkel ist.«
»So mögen die Krieger der Mimbrenjos ihre Pferde absatteln und weiden lassen. Old Shatterhand und Winnetou aber werden die ihrigen nicht abzäumen.«
Er stieg ab und warf seinem Pferde den Zügel über, ganz so, wie ich mit dem meinigen gethan hatte. Ich sah, daß seine Bestimmung allgemeines Erstaunen hervorrief. Die Mimbrenjos hatten geglaubt, wir würden hier hinter der Waldecke auf den Pferden halten bleiben, um die Yumas zu erwarten und dann plötzlich gegen sie hervorzubrechen. Selbst ihr Häuptling war dieser Ansicht gewesen, denn er fragte Winnetou:
»Warum will mein Bruder die Pferde ganz frei geben? Wir müssen doch, wenn die Yumas kommen, schnell aufsitzen!«
Um den Mund Winnetous zuckte der mir so wohlbekannte Zug von Überlegenheit, als er im freundlichsten Tone antwortete:
»Meint mein Bruder, daß die Yumas kommen werden?«
»Ja, denn Old Shatterhand hat es gesagt.«
»Kommen werden sie wohl, aber nicht bis hierher. Sie werden, sobald sie unsere Spuren sehen, umkehren, doch nur zum Scheine. Sobald sie im Osten verschwunden sind, werden sie in einem Bogen wenden, um den Wald zu umreiten und uns von Westen her in den Rücken zu kommen. Wir haben sie also jetzt noch lange nicht zu erwarten und können den Pferden die Freiheit gönnen.«
»Ist auch Old Shatterhand dieser Meinung?« fragte mich der »starke Büffel«.
»Ja,« antwortete ich. »Mein Bruder Winnetou hat meine Gedanken erraten.«
»Aber wenn sie dennoch herankommen bis hierher!«
»So wären sie verloren; darum werden sie sich hüten, es zu thun.«
Als er mich ungläubig anblickte, fuhr ich fort:
»Meinst du, daß die Yumas die Stelle, an welcher ich euch traf, nicht sehen werden?«
»Sie sind nicht blind und werden sie also sehen; aber sie werden nicht wissen, wer wir sind und wie groß unsere Anzahl ist.«
»Du irrst. Sie sehen aus meiner Spur, daß ich freiwillig zu euch gestoßen bin und ihr also Freunde von mir sein müßt. Sie wissen, daß dein Sohn bei mir ist, und können also wohl erraten, wer ihr seid.«
»Aber unsere Zahl!«
»Sie können dieselbe zwar nicht genau berechnen, aber, falls sie ihre Gedanken zusammennehmen, doch wohl ahnen. Als ich auf euch traf, haben deine Krieger auf ihren Pferden nebeneinander gehalten und eine ziemliche Fläche mit Hufspuren bedeckt.«
»Die haben wir ausgelöscht!«
»Aber die Spur des Auslöschens ist vorhanden, und je größern Raum dieselbe einnimmt, desto mehr Personen müssen wir sein. Würden die Yumas sich das nicht sagen, so wären sie wert, die Tracht der alten Weiber zu tragen, und ich bin überzeugt, daß du das noch leichter als sie begreifen wirst.«
Er fühlte sich ein wenig beschämt und antwortete darum schnell.
»Ich habe es längst gewußt und sprach nur, damit meine Krieger es hören möchten. Warum aber sagt Winnetou, daß dein Pferd und das seinige gesattelt bleiben sollen?«
»Er hatte es mir nicht mitgeteilt, und doch weiß ich es, denn die Gedanken des Apatschen pflegen die meinigen zu sein. Er hat gesagt, daß die Yumas versuchen werden, uns zu täuschen, indem sie scheinbar umkehren und uns dann heimlich umreiten. Er will sie dabei beobachten, um sich zu überzeugen, daß seine Vermutung richtig ist, und ich soll ihn dabei begleiten. Darum sollen unsere Pferde, welche die schnellsten sind, gesattelt bleiben.«
»Uff! Meine beiden Brüder haben recht; es mag geschehen, wie sie gesagt haben.«
Winnetou hatte sich während dieser Unterredung nieder- und ich mich zu ihm gesetzt; der »starke Büffel« nahm jetzt bei uns Platz. Seine Leute gaben ihre Pferde frei und lagerten sich in einem Kreise um uns, hatten dabei jedoch acht, daß die Tiere sich nicht etwa über die Waldspitze hinaus entfernten, weil sie da von den sich nähernden Yumas gesehen worden wären. Ein Krieger begab sich nach der erwähnten Spitze, um dort, unter dem Gebüsch verborgen, nach den erwarteten Feinden auszuschauen.
Wären Winnetou und ich nicht bei den Mimbrenjos gewesen, so hätten dieselben sich wohl alle auf die Lauer gelegt. Sie wollten sich zwar nichts merken lassen, doch sah ich es ihnen an, daß sie innerlich nicht so ruhig waren, wie es den Anschein hatte. Winnetou hingegen schien gar nicht mehr an die Yumas zu denken; sie konnten in der nächsten Minute erscheinen, und er wollte sie beobachten, dennoch zog er seine Friedenspfeife hervor, was auf die Zeremonie des Begrüßens deutete, welche stets eine umständliche ist und viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich wunderte mich darum nicht darüber, daß die Mimbrenjos ihn erstaunt anblickten. Er aber nahm, ohne dies zu beachten, den schön gestickten Tabaksbeutel vom Gürtel, stopfte das mit Kolibrifedern geschmückte Kalumet und sagte, zu mir gewendet:
»Weil wir so schnell verschwinden mußten, konnten wir meinen weißen Bruder nicht sofort begrüßen; nun aber haben wir Zeit, und er mag mit uns die Pfeife rauchen, welche der Freunschaft und dem Frieden gewidmet ist.«
Als er beschäftigt war, den Tabak anzubrennen, kam der Wachtposten eiligst herbeigerannt und meldete in einem so dringenden Tone, als ob wir uns in äußerster Gefahr befänden:
»Die Yumas kommen; ich sehe sie! Sie kommen so schnell, daß sie sogleich hier sein werden!«
Die uns umgebenden Krieger sprangen auf; ihr Häuptling machte auch schon Miene, aufzustehen; da strafte Winnetou den Meldenden in ernstem Tone:
»Was fällt dem Mimbrenjo ein, Winnetou zu stören, welcher im Begriffe steht, die Pfeife des Friedens anzubrennen! Was ist wichtiger, der heilige Rauch des Kalumets, oder das Erscheinen einiger Yumahunde, welche sogleich vor Angst wieder umkehren werden?«
Der Mann stand wie angedonnert da und senkte den Kopf. Winnetou fügte hinzu:
»Der Mimbrenjo mag an seinen Platz zurückkehren und die Feinde beobachten, um mir später, wenn wir Old Shatterhand begrüßt haben, zu melden, daß sie verschwunden sind!«
Der Rote schlich von dannen; seine Kameraden konnten nichts anderes thun, als sich wieder setzen, obgleich es für sie jedenfalls keine kleine Aufgabe war, ihre Aufregung zu bemeistern. Ihr Häuptling war wohl im stillen froh, daß er wenigstens nicht ganz aufgesprungen war und sich in unsern Augen nicht so sehr wie sie blamiert hatte.
So gewiß war Winnetou seiner Sache! Es gab doch immerhin die Möglichkeit, daß die Yumas kein Bedenken fanden, ihren Ritt unbeirrt fortzusetzen; in diesem Falle wären wir zwar nicht gerade von ihnen überrascht und unvorbereitet getroffen, aber doch bei einer Zeremonie gestört worden, deren Unterbrechung stets als ein böses Omen, ja beinahe als eine Schande betrachtet wird.
Das Rauchen der Friedenspfeife ist so oft beschrieben worden, daß ich wohl unterlassen kann, es hier zu thun; ich will aber erwähnen, daß es sehr lange dauerte, ehe das wiederholt gefüllte und in Brand gesetzte Kalumet durch so zahlreiche Hände von Mund zu Mund gegangen war. Winnetou, der »starke Büffel« und ich waren jeder zu einer Rede gezwungen, welche stehend gehalten wurde. Wir thaten sechs Züge aus der Pfeife und bliesen den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Hauptwindrichtungen; die andern Indianer brauchten nur zwei Züge zu thun und den Rauch ihren beiden Nachbarn ins Gesicht zu blasen.
Zwei durften sich nicht mitbeteiligen, nämlich die beiden Knaben des Häuptlings. Sie gehörten nicht zu den Kriegern, hatten noch keine Namen und standen in der Ferne außerhalb des Kreises. Die Aufnahme in den Stand der Krieger ist, wie schon früher erwähnt, an sehr strenge Bedingungen geknüpft, von deren Erfüllung nur in sehr seltenen Fällen und auf ganz besondere Veranlassung oder Empfehlung abgesehen wird. Ebenso umständlich geht es her, wenn ein neuer Krieger zum erstenmale die Friedenspfeife rauchen soll. Eigentlich muß er sich den heiligen Thon dazu selbst aus den roten Steinbrüchen holen; die südlich wohnenden Stämme können diese Bedingungen freilich nicht erfüllen, machen dafür jedoch andere Anforderungen, deren Erfüllung kaum weniger schwierig ist.
Der Mann, welcher das Wagnis unternimmt, solche Bedingungen und Anforderungen zu umgehen, muß einen großen Namen haben und seiner Sache sehr sicher sein; er begiebt sich in die Gefahr, sein Leben zu verlieren, oder wenigstens für immer ausgestoßen zu werden. Dennoch war ich entschlossen, das Wagnis zu unternehmen, und ich glaubte, daß der Erfolg kein für mich nachteiliger sein werde.
Es galt nämlich dem älteren Sohne des Häuptlings, welcher sich so brav benommen hatte. Er war der Überzeugung gewesen, daß er bei mir schneller als sonst zu einem Namen kommen werde – nun wohl, er sollte sich nicht getäuscht haben.
Als Winnetou die Friedenspfeife von dem letzten der Indianer zurückerhielt und den Beutel auch wieder an den Gürtel hängen wollte, nahm ich ihm beides aus der Hand und sagte:
»Mein roter Bruder wolle mir sein Kalumet erlauben. Es hat einer den Rauch der Pfeife nicht getrunken, welcher doch würdig ist, sie als einer der ersten in die Hand zu bekommen.«
Meine Worte erregten zwar Verwunderung, doch keine allzugroße, weil man glaubte, ich meine den Wachtposten, welcher sich nicht bei uns, sondern in der Waldspitze befand und also nicht mitgeraucht hatte. Daß ich nicht nur an ihn dachte, sondern ihn sogar einen der ersten nannte, war allerdings etwas, was ihnen sonderbar vorkommen mußte. Ich stopfte die Pfeife, stand auf, schritt aus dem Kreise hinaus, ergriff die Hand des Knaben, führte ihn an meinen Platz, in den Kreis zurück und sagte dann, mich rundum wendend:
»Hier steht Old Shatterhand. Meine roten Brüder mögen hören und sehen, was er spricht und thut. Wer dann nicht mit ihm einverstanden ist, mag mit ihm kämpfen um das Leben und um den Tod!«
Es trat eine tiefe, erwartungsvolle Stille ein. Aller Augen hingen wie gebannt an mir und an dem Knaben. Die Hand des letzteren zitterte in der meinigen; er ahnte, was für ein wichtiger Augenblick gekommen sei.
»Mein junger Bruder mag mutig und auf der Stelle, ohne Zögern, thun, was ich ihm sagen werde!«
Diese Worte raunte ich ihm leise zu und er antwortete ebenso leise:
»Ich werde befolgen, was Old Shatterhand mir gebietet.«
Jetzt setzte ich die Pfeife in Brand, that den ersten Zug, blies den Rauch gen Himmel und sagte:
»Diese Wolke des heiligen Rauches geht zum Manitou, dem großen, guten Geiste, welcher alle Gedanken kennt und die Thaten des ältesten Kriegers und des jüngsten Knaben verzeichnet. Hier sitzt Nalgu Mokaschi, der berühmte Häuptling der Mimbrenjokrieger; er ist mein Freund und Bruder, und mein Leben ist sein Eigentum. Und hier steht neben mir sein Sohn, an Jahren ein Knabe, an Thaten aber ein alter Krieger. Ich fordere ihn auf, meinem Beispiele zu folgen und dem großen Manitou den heiligen Rauch des Kalumets zu geben.«
Bei den letzten Worten gab ich dem Knaben die Pfeife in die Hand. Er führte sie sofort zum Munde, that einen langen Zug und blies den Rauch gegen den Himmel. Dies war von mir eine Kühnheit und von ihm ein Wagnis, für welches freilich nicht er, sondern ich verantwortlich gemacht werden mußte. Die Folge zeigte sich sofort. Das war noch nie dagewesen; ein Knabe ohne Namen raucht die Friedenspfeife! Die Indianer standen auf und erhoben laute Rufe. Auch der Häuptling sprang auf und starrte mich an. Nur Winnetou blieb ruhig sitzen. In seinem ehernen Gesichte war weder eine Spur von Zustimmung noch von Mißbilligung zu lesen. Ich winkte mit der Hand Schweigen, ergriff die Pfeife wieder, that die bereits beschriebenen fünf weiteren Züge und gab sie dem Knaben zurück, der, zu allem entschlossen, schnell dieselben Züge that. Da aber erhob sich lautes Gebrüll; Ausrufe des Zornes schwirrten durcheinander. Man hielt das, was ich that, für ein Verbrechen an den heiligen Gewohnheiten der Nation. Aller Augen blitzten mir zornig entgegen; man ballte die Fäuste; man zog die Messer, und von den Ausrufen, welche ich hörte, wiederholte sich besonders der eine: »Ein Knabe, der keinen Namen hat!«
Auch der Häuptling war, obgleich es sich um seinen eigenen Sohn handelte, keineswegs einverstanden mit mir. Er nahm den Knaben bei der Schulter, schob ihn von mir weg und rief:
»Was wagt Old Shatterhand! Wäre er ein anderer, so würde ich ihn auf der Stelle niederschlagen! Einem Knaben, der keinen Namen hat, das Kalumet geben, darauf steht der Tod. Der Stamm wird dich richten, obgleich du mein Freund und Bruder bist. Ich habe nicht die Macht, dich zu verteidigen.«
Als er zu sprechen begonnen hatte, waren seine Leute ruhig geworden. Sie wollten hören, was er sagte. Jetzt ging ein beifälliges Murmeln der Zustimmung durch ihre Reihen. Der Knabe stand jetzt neben seinem Vater und blickte trotz der drohenden Haltung der Krieger voll Vertrauen zu mir auf. Eben wollte ich antworten, da stand Winnetou auf, winkte mit der Hand, ließ sein Auge mit einem langen, festen Blicke von Gesicht zu Gesicht schweifen und sagte mit seiner sonoren Stimme, welche man weithin hörte, selbst wenn er sie nicht anstrengte.
»Der ›starke Büffel‹ hat nicht die Macht, Old Shatterhand zu verteidigen? Wer hat davon gesprochen, daß er seiner Macht bedarf? Wäre eine Verteidigung nötig, so würde Winnetou für seinen weißen Bruder kämpfen; aber wer wagt es, zu sagen, daß Old Shatterhand sich nicht selbst zu helfen vermag? Was er gethan hat, ist eine seltene That, doch wird er sie verantworten. Nur einer, der keinen Namen hat, ist von der Pfeife des Friedens ausgeschlossen. Hat dieser Knabe wirklich keinen Namen? Fragt Old Shatterhand! Er wird es besser wissen als die Mimbrenjokrieger.«
Sein Scharfsinn führte ihn auf das Richtige: Es wäre mir nicht eingefallen, dem Jünglinge die Friedenspfeife zu reichen, wenn ich nicht einen Namen für ihn bereit gehabt hätte.
»Der Häuptling der Apatschen hat recht!« rief ich laut. »Wessen Pfeife haben wir geraucht? Die seinige! Wer also hat das Recht, mir Vorwürfe zu machen? Nur er allein! Thut er es? Nein, denn er kennt mich und weiß, daß Old Shatterhand nicht ohne Überlegung handelt. Ist er, den ihr einen Knaben nennt, etwa von einem fremden oder gar feindlichen Stamme? Nein; er gehört dem eurigen an! Also müßtet ihr eigentlich stolz darauf sein, daß Old Shatterhand das Kalumet mit dem Sohne eures Häuptlings teilt. Statt dessen geratet ihr in Zorn. Ich sage euch, daß ich mich sehr über euch zu wundern habe!«
»Er hat keinen Namen!« rief man mir zu.
»Wer behauptet das?«
»Wir alle und ich auch!« antwortete mir der »starke Büffel«. »Ich bin der Vater dieses Knaben und weiß also, ob er einen Namen hat.«
»Ich weiß es besser, obwohl ich nicht sein Vater bin. Wie lange war er fort von euch? Was ist inzwischen geschehen? Was hat er gethan und vollbracht? Weißt du das? Du schweigst. So sage mir hier vor diesen deinen Kriegern, ob Old Shatterhand das Recht hat, jemandem einen Namen zu geben!«
»Old Shatterhand hat es.«
»Würdest du dich etwa wegen eines Namens von mir beleidigt fühlen?«
»Nein. Jeder Krieger der Mimbrenjos würde gern und mit Stolz seinen bisherigen Namen hergeben, um dafür einen von Old Shatterhand zu empfangen.«
Da nahm ich den Knaben wieder bei der Hand und rief mit lauter Stimme:
»Ihr habt die Worte eures Häuptlings vernommen; hört nun auch, was ich euch jetzt sage! Hier steht Old Shatterhand und neben ihm sein junger Freund und Bruder Yuma Shetar. Er wagte sein Leben für mich; ich gebe das meinige für ihn. Seht her! Es sind erbeutete Waffen, welche er trägt. Yuma Shetar wird ein großer Krieger seines Stammes sein.«
Yuma Shetar heißt zu deutsch »Yumatöter«. Die Augen meines jungen Freundes leuchteten auf und füllten sich doch mit Feuchtigkeit. Winnetou trat zu ihm heran, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:
»Yuma Shetar, das ist ein stolzer Name. Old Shatterhand hat ihn dir gegeben, also mußt du ihn verdient haben. Winnetou freut sich, dich Yuma Shetar nennen zu dürfen; er ist dein Freund und wird mit dir gern das Kalumet rauchen. Gieb es her!«
Er nahm dem jungen Manne die Pfeife ab, zündete sie an und wechselte sie mit ihm ganz in derselben Weise, wie ich es gethan hatte. Der Häuptling stand schweigend dabei. Ich sah seine Lippen vor großer Bewegung zittern. Die Mimbrenjos machten jetzt ganz andere Gesichter. Winnetou hatte Yuma Shetar bei der einen Hand ergriffen; ich nahm ihn bei der andern und sagte:
»Die Krieger der Mimbrenjos sehen hier drei Brüder, welche treu zu einander halten, Winnetou, Yuma Shetar und Old Shatterhand. Der ›Yumatöter‹ ging mit mir in Todesgefahr; er folgte mir, um mich zu retten, als die Yumas mich gefangen hatten und ich am Marterpfahle sterben sollte. Er stand zur Stunde der Befreiung an meiner Seite und tötete zwei ihrer Krieger, als sie mich wieder ergreifen wollten. Er geleitete mich bis an die Stelle, an welcher ich mich jetzt befinde. Ich habe ihn gesehen mutig im Kampfe, schlau und besonnen im Verfolgen der Feinde. Mancher alte Krieger hätte das nicht vermocht, was er gethan hat. Darum bin ich er, und er ist ich, und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, hält treu zu ihm und mir. Wer ihn beleidigt, beleidigt uns und mag jetzt hervortreten. Oder kommt auch alle her! Wir sind bereit, für ihn mit euch zu kämpfen.«
Da konnte sich der alte Häuptling doch nicht mehr halten. Er stieß einen unartikulierten Ruf des Entzückens aus, riß sein Messer aus dem Gürtel und schrie:
»Yuma Shetar heißt der tapfere Krieger, dessen Vater ich bin; hört ihr es? Yuma Shetar! Old Shatterhand, das große Bleichgesicht, hat ihm diesen Namen gegeben, und Winnetou, der berühmteste Apatsche, hat sich seinen Freund und Bruder genannt. Wer ist unter euch, der etwas gegen diesen Namen hat? Wer will noch darüber zürnen, daß Old Shatterhand die Pfeife des Friedens mit Yuma Shetar trank? Wer? Er komme her zu mir und ziehe sein Messer! Ich werde ihm die Seele aus dem Leibe schneiden und sein stinkendes Fleisch den Geiern zum Fraße geben!«
Einen Augenblick lang herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer »Yuma Shetar!« und »Yuma Shetar, Yuma Shetar!« brüllten alle nach, gar nicht an die Yumas denkend, welche sich in der Nähe befanden. Sie kamen herbei, um dem neuen und jüngsten Genossen die Hände zu schütteln. Ihre vorherige Mißbilligung hatte sich in das Gegenteil verkehrt. Der alte Häuptling nahm meine beiden Hände und wollte eine Danksagung beginnen, wurde aber von Winnetou bedeutet:
»Mein Bruder mag später sagen, was sein Herz empfindet; jetzt ist nicht mehr Zeit dazu. Der Tag hat sich geneigt, und es will finster werden. Dort steht der Späher, welcher mit uns reden will. Es wird Zeit sein, an die Beobachtung der Feinde zu gehen.«
Der Posten stak allerdings nicht mehr im Gebüsch, sondern stand vor demselben. Daraus war zu schließen, daß er nichts mehr zu beobachten hatte, doch wagte er infolge des scharfen Verweises, welchen er vorhin erhalten hatte, es nicht, eigenmächtig herbeizukommen. Erst als Winnetou ihm einen zustimmenden Wink gab, kam er näher und meldete:
»Die Yumas kamen, sind aber wieder in der Richtung zurückgeritten, in welcher sie gekommen waren.«
»Wie weit kamen sie heran?«
»Es kamen zwei als Kundschafter heran und blieben an der Stelle, wo wir Old Shatterhand trafen, halten. Sie warteten, bis alle Yumas kamen, welche lange Zeit die Stelle untersuchten. Die Feinde ritten nur noch eine kleine Strecke weiter, um unsere Fährte zu betrachten; dann kehrten sie langsam wieder um.«
Winnetou nickte ihm zu und wendete sich dann an den Häuptling:
»Der ›starke Büffel‹ hört, daß ich recht gehabt habe. Die Yumas sind umgekehrt, doch nur, um uns irre zu führen. Die Krieger der Mimbrenjos mögen hier bleiben, bis ich mit Old Shatterhand wiederkehre.«
Wir beide stiegen auf und ritten fort, eben als es so dunkel geworden war, daß man die Hufstapfen der Pferde nur noch schwer zu erkennen vermochte. Also in die dunkle Nacht hinein, um einen Feind zu beobachten, den wir nicht sehen konnten und von dem wir nur wußten oder vielmehr vermuteten, daß er sich nicht mehr in der Richtung befand, nach welcher er sich entfernt hatte.
Wie oft hatte ich mit Winnetou solche Ritte ins scheinbar Blaue unternommen, und stets waren wir durch den geradezu bewundernswerten Instinkt des Apatschen an das richtige Ziel geführt worden! Ich freute mich darauf, heute seinen oft fast verblüffenden Scharfsinn wieder einmal nach so langer Zeit bewundern zu können.
Die Yumas waren nach Osten zurückgeritten; es fiel uns aber nicht ein, ihnen in dieser Richtung zu folgen, denn ich war ebenso überzeugt wie Winnetou, daß sie sehr bald wieder umgekehrt seien. Man denke sich einen Wald von ungefähr zwei Reitstunden Länge und etwa einer halben Stunde Breite. Der Wald zog sich ziemlich genau von Ost nach West.
An seiner Südseite, nahe am östlichen Ende, lag die Buschecke, hinter welcher wir die Mimbrenjos zurückgelassen hatten. Es stand also zu erwarten, daß die Yumas, aus der östlichen in die westliche Richtung zurückgekehrt, den Wald an seiner langen nördlichen Seite umreiten, nach Süden umbiegen und dann an der südlichen Seite entlang gehen würden, um uns von Westen her in den Rücken zu kommen. Wir wollten auf sie treffen, ihnen folgen und sie beobachten. Deswegen bogen wir, am südöstlichen Ende des Waldes angelangt, nach Norden um und ritten am Walde hin, bis wir das nordöstliche Ende erreicht hatten. Dort blieben wir halten.
Wir hatten bis jetzt nicht gesprochen; lange Reden und Erklärungen gab es nicht zwischen uns. Jetzt fragte ich kurz:
»Du weiter, oder ich?«
»Wie Old Shatterhand will,« antwortete der Apatsche.
»So mag Winnetou weiter reiten; er hat ein schärferes Ohr als ich.«
»Das Gehör des ›Blitzes‹ wird das Ohr meines Freundes unterstützen. Welches Zeichen geben wir uns?«
»Den gewohnten Adlerschrei nicht, denn in dieser Gegend giebt es keine Adler.«
»So mag Old Shatterhand den Puma nachahmen, welchem man des Nachts hier leicht begegnen kann!«
Nach diesen Worten ritt er davon, so leise, daß man den Tritt seines barfußen Pferdes nicht zu hören vermochte. Wir trennten uns, weit wir nicht wußten, ob die Yumas sich nahe an den Wald halten würden oder nicht; daher mußte einer von uns sich weiter als der andere von demselben entfernen. Natürlich bildete der Rand des Waldes keine schnurgerade Linie, sondern zahlreiche Windungen, denen die Yumas sicher nicht folgen würden. Wir mußten die von ihnen eingeschlagene Linie vermuten, uns denken, wozu der Instinkt der Erfahrung gehörte. Postierten wir uns zu nahe oder zu weit ab, so gingen sie vorüber, ohne von uns bemerkt zu werden. Und doch verloren wir über diese Schwierigkeiten kein einziges Wort, ebenso wie ich gar nicht gefragt hatte, ob wir uns trennen würden. Es verstand sich das ganz von selbst, und dann mußte ein jeder sich sozusagen auf seine eigene »Nasenspitze« verlassen.
Ich ritt noch langsam ein Stück, soweit ich dachte, vom Walde fort und stieg dann ab, um mich in das Gras zu legen. Mein Pferd begann sofort, sich Gras abzuraufen.
»Hatatitla, iteschkusch – Blitz, leg dich!« sagte ich ihm.
Es streckte sich sofort im Grase aus, ohne von nun an einen Halm zu berühren. Das Geräusch des Rupfens hätte mich verhindert, in die Ferne zu hören. Ich lag hart neben dem Pferde, um es besser beobachten zu können. Winnetou hatte gesagt, daß das Gehör des »Blitzes« mein Ohr unterstützen werde, und ich wußte allerdings, daß ich mich in dieser Beziehung auf das Pferd verlassen konnte.
Das kluge Tier lag mit dem Kopfe nach Osten, woher ich die Yumas erwartete. Es hob denselben von Zeit zu Zeit und sog die Luft langsam und prüfend durch die Nüstern ein. Da – wir mochten wohl eine Viertelstunde so gelegen haben, verwandelte sich der erst leise Atemzug des Pferdes plötzlich in ein stärkeres Schnauben; es legte die Ohren vor und gab dem Kopfe jene charakteristische Haltung, welche auf Spannung deutet. Ich legte das meine auf den Boden, konnte aber nichts hören.
Jetzt schnaubte das Pferd lauter, aber nicht ängstlich, wie es beim Nahen eines Raubtieres gethan hätte. Es kamen Menschen. Ich legte die Hand auf die Nase des Pferdes und drückte sie nieder; darauf wußte ich, daß das Tier nun keinen Laut mehr von sich geben und sich auch, selbst falls man schießen sollte, nicht bewegen werde, und das dank der indianischen Dressur, die es von Winnetou erhalten hatte.
Wenn ich von Dunkelheit spreche, meine ich damit natürlich keine ägyptische Finsternis. Man konnte mehrere Schritte weit sehen, und es war nur zu wünschen, daß die Linie, welche die Nahenden inne hielten, nicht etwa geradewegs über meinen Körper führte. Die Befürchtung, welche ich in dieser Beziehung hegte, traf beinahe ein. Ich hörte den dumpfen Schall von vielen Huftritten im Grase; sie kamen näher und näher und, wie es schien gerade auf mich zu. Dann sah ich die dunkle Masse der Reiter und Pferde; ich konnte nicht mehr auf und fort, weil ich gesehen worden wäre. Ich schmiegte mich dicht und lang an mein Pferd und hielt demselben die Nase fest auf die Erde nieder.
Jetzt kamen sie, glücklicherweise doch nicht so nahe, wie ich erst befürchtet hatte. Vielleicht dreißig Schritte entfernt ritt der erste an mir vorüber; ihm folgten die andern, nicht einfach hinter, sondern zu mehreren nebeneinander reitend. Ich konnte die Gesichter gar nicht und die Gestalten nur undeutlich erkennen, aber die Zahl stimmte ungefähr: es waren die Yumas.
Zuletzt kamen noch zwei Nachzügler, welche sich etwas weiter links hielten, als die andern und mir also weit näher, vielleicht fünfzehn Schritte näher kamen. Die Gestalt meines Pferdes und mein eigener Körper bildeten eine sich von dem kurzen Grase abhebende Masse, welche aus solcher Nähe gesehen werden konnte, ja fast gesehen werden mußte. Und richtig, da geschah es – – die Kerls hielten ihre Pferde an und blickten zu mir herüber. Es mußte etwas geschehen, aber was? Blieb ich ruhig liegen, so kamen sie ganz gewiß herbei. Ich mußte sie erschrecken, sie fortjagen. Da war das mit Winnetou verabredete Zeichen das beste. Freilich, wenn sie mich dann wirklich für einen Kuguar hielten und auf mich schossen! Meine Hoffnung stand aber darauf, daß sie nicht schießen würden, weil der Schall von hier aus leicht zu den Mimbrenjos dringen konnte.
Jetzt wendete der eine schon sein Pferd zu mir herüber. Ich richtete mich halb auf, um mir die Größe des Tieres, dessen Stimme ich nachahmen wollte, zu geben, und brüllte kurz und zornig wie ein Puma, welcher sich verteidigen will. Der Mann ließ einen Ruf des Schreckens hören und riß sein Pferd zurück; als ich dann das Gebrüll wiederholte, machten sich beide schleunigst auf und davon, den andern nach. Gott sei Dank, die verzweifelte List war gelungen! Wie leicht hätte mein Gebrüll alle Yumas zurücklocken können!
Kaum waren sie fort, und ich hatte eben mein Pferd wieder bestiegen, so kam Winnetou geritten.
»Wo?« fragte er kurz.
»Da, vor uns.«
»Warum hat mein Bruder zweimal gebrüllt? Einmal genügte.«
»Weil die Yumas mich liegen sahen und ich sie davonscheuchen mußte.«
»Uff! Dann hat Old Shatterhand viel Glück gehabt.«
Nun wurde eine lange Zeit kein Wort gesprochen. Wir ritten schweigend hinter den Roten her. Wir waren zwei Personen, sie aber so viele. Wenn wir uns ihnen so nahe hielten, daß wir sie noch unbestimmt erkennen konnten, vermochten sie uns nicht zu sehen. Unsere Huftritte konnten sie keinesfalls hören.
So ging es zwei Stunden lang am nördlichen Waldesrande hin; dann wurde am westlichen nach Süden umgebogen. Winnetou sprach meine eigenen Gedanken aus, als er jetzt sagte:
»Da sie nicht wissen, wo sich die Mimbrenjos befinden, werden sie nun bald lagern und Späher aussenden.«
»Mein Bruder hat recht. Dann reiten wir schnell voran, um den Kundschaftern zuvorzukommen.«
Bald war bei der geringen Breite des Waldes die südwestliche Ecke desselben erreicht; die Yumas hielten an, und wir thaten natürlich nicht nur dasselbe, sondern ritten, um auch die zufälligste Begegnung zu vermeiden, ein Stück wieder zurück.
»Old Shatterhand mag mein Pferd halten,« meinte dann Winnetou. »Ich muß sehen, wie die Yumas lagern.«
Er stieg ab und huschte fort; ich blieb zurück, vielleicht vierhundert Schritte von den Roten haltend. Hören konnte ich nichts von ihnen, auch nichts sehen, da sie sich wohl hüteten, ein Feuer anzuzünden. Sie ahnten nicht, daß die Mimbrenjos, vor denen sie sich so in acht nahmen, zwei Stunden von ihnen entfernt waren. – –