Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wir befanden uns jetzt also unterwegs nach dem alten Quecksilberbergwerke Almaden alto, und mußten über die Fuente de la Roca kommen. Fuente heißt Quelle und Roca Felsen, Fuente de la Roca ist folglich soviel wie Felsenquelle. Da Winnetou dieselbe kannte, brauchte ich nicht die Besorgnis zu hegen, von dem Player falsch geführt zu werden; wir konnten uns nicht verirren. Aber in Beziehung auf die unterwegs aufgestellten Posten mußten wir uns auf seine Aussage verlassen können. Es standen da zwar bloß je fünf Mann, und eine so geringe Anzahl brauchten wir nicht zu fürchten, wenn wir nur die Stelle kannten, an welcher sie sich befanden. Wenn er uns dieselbe aber falsch angab, konnten wir von ihnen leicht überrumpelt werden. Es galt also, ihn so in Respekt zu setzen, daß er es nicht wagte, den Versuch, uns zu täuschen, zu machen.
Die Fuente, an welcher zwanzig Yumas standen, war zwei Tagesritte entfernt; auf der Straße befanden sich vier Posten zu je fünf Mann. Da man nun von Ures bis nach Almaden fünf Tagereisen rechnete und wir von der Hazienda aus nur vier hatten, so standen die Posten eigentlich nur einen Zweidritteltagesritt auseinander, und wenn wir so ritten, wie Winnetou und ich es gewohnt waren, mußten wir heute schon vor Abend auf den ersten treffen, was aber nicht in meinem Plane lag. Ich wollte die fünf Roten des Abends in der Dunkelheit überrumpeln, und so mußten wir also entweder schnell reiten und irgendwo Halt machen, oder einen so langsamen Schritt annehmen, daß wir erst mit der Dunkelheit bei dem Posten anlangten. Ich entschloß mich aus guten Gründen für das erstere.
Was nun die Mimbrenjos betraf, auf deren Hilfe ich hoffte, so war leicht zu berechnen, wann sie bei uns eintreffen konnten. Wenn unser Bote sich beeilte, was gar nicht zu bezweifeln war, und die dreißig Mann seiner Anweisung sofort folgten, worauf ich jedenfalls auch rechnen konnte, so war es für sie möglich, in drei Tagen bei der Hazienda zu sein und dann an irgend einem Punkte, an welchem wir sie erwarten würden, genau nach derselben Zeit einzutreffen, die wir selbst brauchten, um von der Hazienda aus dorthin zu gelangen.
Ob sie den Weg kannten, wußten wir nicht, konnten uns aber auf ihre Findigkeit verlassen; dennoch aber, und damit sie sich nicht mit unnötigem Suchen aufzuhalten brauchten, machten wir eine Fährte, welche noch nach Tagen zu sehen war, und sorgten außerdem für verschiedene Zeichen, aus denen sie erkennen konnten, daß sie sich auf unserer Spur befanden. Die Zeichen bestanden in Steinen, welche wir in auffälliger Weise unterwegs zusammenlegten und in Ästen, welche wir an Stellen, wo es gesehen werden mußte, abbrachen und an einen andersartigen Baum befestigten. Ein Eichenzweig z. B. an einer Tanne, oder ein Fichtenast an einer Buche ist für den Indianer und wohl auch für jeden nachdenkenden Weißen, wenn er offene Augen hat, ein untrüglicher Beweis, daß sich jemand da befunden und den Ast oder Zweig als einen Fingerzeig zurückgelassen hat.
Der Player ritt zwischen Winnetou und mir, der junge Indianer hinter uns. Wenn ich zurückblickte, sah ich, daß der letztere den ersteren scharf im Auge hatte, damit es diesem, trotzdem er sich zwischen uns befand, ja nicht gelingen möge, auf irgend eine Weise seine Fesseln zu lockern.
Die Beschreibung der Gegend, durch welche wir kamen, würde zu Weitläufigkeiten führen. Sie steigt nach der hohen Sierra auf und ist destomehr bewaldet, je höher man kommt. An Wasser hat man keine Not zu leiden, denn wenn es auch hier und da ein unfruchtbares Felsenplateau giebt, so ist man doch bald darüber hinweg.
Ich war noch niemals hier gewesen. Ob Winnetou den Weg kannte, den wir heute zurückzulegen hatten, wußte ich nicht; er sagte nichts. Der Player aber mußte annehmen, daß er uns bekannt sei, da wir ihn nicht nach demselben fragten. Eine solche Frage war ganz unnötig, weil wir die Spur noch sahen, welche er gestern zurückgelassen hatte. Ob er selbst sie noch sehen konnte, bezweifelte, da sie auf längeren Strecken so schwer zu erkennen war, daß Augen, wie Winnetou sie besaß, dazu gehörten, sie zu unterscheiden.
Um die Mittagszeit machten wir an einem Wasser kurzen Halt, um die Pferde zu tränken; dann ging es wieder weiter bis um die Mitte des Nachmittages, wo wir an einer Waldesecke anhielten, weil wir da nach drei Seiten offene Aussicht hatten. Der Player wurde vom Pferde genommen und ins Gras gelegt. Wir setzten uns zu ihm, um zu essen, und er erhielt auch seinen Teil. Wir hatten unterwegs kein Wort mit ihm gesprochen; jetzt war anzunehmen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befanden; es galt, genau zu erfahren, wo derselbe lag, und so machte ich dem bisherigen Schweigen ein Ende, indem ich sagte:
»Als Ihr gestern hier vorüberkamt, habt Ihr wohl nicht gedacht, Master, daß Ihr Euch schon heute wieder hier befinden würdet, und zwar als Gefangener?«
»Ich hier vorübergekommen?« antwortete er. »Wenn Ihr das annehmet, so befindet Ihr Euch sehr im Irrtume.«
»Macht keine Flausen! Ich weiß nicht nur, daß Ihr hier gewesen seid, sondern ich sehe aus Eurer Fährte, daß Ihr Euch hier umgedreht habt, um zurückzublicken. Besinnt Euch nur! Eure Augen sind nicht scharf genug, die Spur noch zu sehen; die meinigen aber bemerken recht wohl, daß Ihr das Pferd gewendet habt.«
»Es ist nicht wahr!« behauptete er. »Ich bin noch niemals hier an dieser Ecke gewesen.«
»Hm! Ihr scheint vergessen zu haben, was Euch bevorsteht, falls Ihr auf den dummen Gedanken kommen solltet, uns täuschen zu wollen! Ich bin nichts weniger als ein Menschenfresser; aber wenn jemand mich für einen Dummrian hält, so nimmt er mich von einer Seite, welche meine schwache ist, und muß gewärtig sein, daß ich explodiere. Merkt Euch das! Ihr seid ein schlauer Gast und habt schon manchen Mann übertölpelt; bei uns aber gelingt Euch dieses nicht. Wollt Ihr also eingestehen, daß Ihr hier gewesen seid und hier angehalten habt?«
Er wußte nicht, ob er gestehen oder leugnen solle, und schwieg also.
»Soll ich Euch den Mund wieder öffnen, so wie ich Euch heute früh zum Reden gebracht habe? Um Euch Eure Lage klar zu machen, will ich Euch aufrichtig sagen, daß es uns nicht in den Sinn kommt, Euch etwas zu thun, falls ihr den Verstand besitzt, Euch in dieselbe zu schicken; falls Ihr aber meint, uns betrügen zu können, so habt Ihr Euch eine Rechnung gemacht, welche wir mit einem einzigen Querstriche quittieren. Von mir will ich nicht sprechen; aber meint Ihr etwa der Mann zu sein, der einen Winnetou irre zu führen vermag? Wir wissen, daß wir uns in der Nähe des ersten Postens befinden. Wir würden ihn auch ohne Euch entdecken; wir brauchen ja nur Eure Spur weiter zu verfolgen, doch können wir dadurch Zeit gewinnen, daß Ihr uns die Stelle sagt.«
»Das darf ich nicht; es wäre ein Verrat,« antwortete er.
»Gebt Euch doch nicht auf einmal das Ansehen eines ehrlichen und gewissenhaften Mannes! Wer soviel auf dem Gewissen hat, wie Ihr, dem pflegt es auf etwas mehr oder weniger nicht anzukommen. Übrigens verlange ich nichts Böses von Euch. Was ich von Euch fordere, ist keine Schande, sondern eine gute That. Entschließt Euch kurz; wir haben keine Zeit! Seid Ihr uns zu Willen, dann gut; wo nicht, so werdet Ihr sehen, was geschieht! Wollt Ihr uns nun sagen, wo der Posten sich befindet?«
Bei dieser Frage ergriff ich eine seiner Hände und drückte dieselbe, daß die Knöchel knackten.
»Haltet ein, haltet ein!« rief er. »Ich will es sagen!«
»Dann gut! Aber redet die Wahrheit! Bis jetzt haben wir keinen Grund, Euch ans Leben zu gehen, und darum versicherte ich Euch, daß es nicht unsere Absicht ist, Euch etwas zu thun; aber falls Ihr uns durch Lügen Fatalitäten bereiten solltet, so gebt Ihr uns die Veranlassung, welche wir jetzt noch nicht haben, und das Messer oder eine Kugel ist Euer Lohn! Wo steht der Posten?«
»Nicht weit von hier,« antwortete er, den Blick starr und bang auf meine Hand gerichtet, mit welcher ich die seinige noch fest umschlossen hielt.
»Wie lange reitet man bis dorthin?«
»Eine gute halbe Stunde.«
»Beschreibt die Gegend! Aber ein einziger unwahrer Buchstabe oder Laut kostet Euch das Leben!«
»Von hier aus geht es über das Grasland, welches Ihr hier vor Euch liegen seht. Dann kommt man wieder an einen Wald, welcher sich bergauf zieht. Jenseits der Höhe giebt es einen Wassertümpel, und an diesem liegt der Posten.«
»Ist der Wald dicht?«
»Ja. Aber es führt ein lichter Streif, fast wie ein ausgehauener Weg nach der Höhe und nach dem Tümpel.«
»Kann man von der Höhe aus den offenen Plan, über den wir reiten müssen, überblicken?«
»Nein. Die Bäume sind zu hoch.«
»Haben die fünf Indianer an dem Tümpel zu bleiben?«
»Natürlich; aber da sie sich durch die Jagd mit Fleisch versorgen müssen, ist es leicht möglich, daß einer von ihnen sich diesseits der Höhe befindet und uns kommen sieht.«
»Womit sind sie bewaffnet?«
»Mit Pfeilen und Lanzen.«
»Wie heißt ihr Anführer, nämlich der Anführer aller Yumas, um welche es sich handelt, auch der dreihundert, die in Almaden sind?«
»Wer sie jetzt befehligt, weiß ich nicht. Später wollte der ›große Mund‹ kommen, mit welchem Melton einen Kontrakt abgeschlossen hat.«
»Das genügt. Das übrige über Melton brauche ich jetzt noch nicht zu wissen. Ihr seid schon einmal in Ures gewesen und kennt den Weg, den man von dort aus nach Almaden alto einzuschlagen hat?«
»Ja.«
»Er führt sehr wahrscheinlich auch an dem Tümpel vorüber, an welchem der Posten liegt?«
»So ist es, denn er stößt dort mit dem von der Hazienda kommenden zusammen.«
Ich hatte diese Frage nicht ohne Absicht gethan; ich dachte dabei an den Haziendero, den Juriskonsulto und die drei Polizisten, welche, wie sich jetzt herausstellte, an dem Posten vorüber mußten und sehr wahrscheinlich in die Hände der Roten gefallen waren. Winnetou hatte denselben Gedanken gehabt, denn er stand, als er die Antwort des Player hörte, auf und sagte:
»Wir müssen fort, um die weißen Männer zu retten, welche nicht klug und erfahren genug sind, die Gefahr zu erkennen, welche auf ihrem Wege liegt.«
»So meint mein roter Bruder, daß – –«
Ich sprach meine Frage nicht aus, warf aber dabei auf den Player einen bezeichnenden Blick. Winnetou verstand mich und antwortete:
»Dieses Bleichgesicht hat uns nicht belogen, sondern aus Angst vor der Faust Old Shatterhands die Wahrheit gesagt. Winnetou kennt den Wald, die Höhe und auch den Tümpel, den er sogar bei Nacht finden würde.«
»Aber jetzt ist es noch lange Tag. Wenn wir schon jetzt aufbrechen, können wir, während wir über die offene Prairie reiten, gesehen werden!«
»Winnetou ist nicht so unvorsichtig, sich den Yumas zu zeigen. Er wird nicht geradeaus und auf der Spur des Gefangenen reiten, sondern einen Umweg südwärts machen. Von dort her sind die fünf Weißen aus Ures gekommen, und wir müssen ihre Spur betrachten, welche wir des Abends nicht sehen würden.«
Er hatte recht wie immer. Wir banden den Player wieder auf sein Pferd und verließen den Platz, indem wir aus unserer bisherigen Richtung nach Süden abbogen. Der grüne Plan, über den wir mußten, zog sich lang nach dieser Richtung hin.
Der Tümpel lag, wie wir gehört hatten, eine gute halbe Stunde nach Osten. Wir ritten wenigstens ebensolange südwärts; dann zeigte es sich, daß die Berechnung des Apatschen stimmte, denn wir trafen auf eine breite Fährte, welche nach Nordosten lief. Winnetou stieg ab, untersuchte dieselbe und meldete dann:
»Fünf Reiter. Es sind unerfahrene Weiße, denn sie ritten nicht hinter-, sondern nebeneinander. Der Häuptling der Apatschen meint, daß er die Männer aus Ures vor sich hat.«
»Wie alt ist die Fährte?« fragte ich.
»Wohl einen ganzen Tag. Wenn Bleichgesichter gegen Indianer ziehen und dabei so breite und lange dauernde Spuren machen, sind sie verloren. Wir haben ihre Fährte entdeckt und werden sie nun auch bald selbst sehen.«
Er stieg wieder auf, und dann folgten wir den Eindrücken der fünf Weißen, vollständig überzeugt, daß wir die unvorsichtigen Personen als Gefangene des Indianerpostens sehen würden.
Der Umweg, welchen wir gemacht hatten, bildete einen nach Süden gerichteten spitzen Winkel. Wir kamen also anstatt gerade aus Westen aus Südsüdwest an den Wald, hinter welchem der Tümpel lag, und durften mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen, nicht gesehen worden zu sein. Der Rand des Gehölzes war mit dichtem Unterholze bestanden, in welches wir eindrangen, bis wir eine Stelle fanden, welche sich für unsere Pferde als Versteck eignete. Wir banden dieselben an, hoben den Player aus dem Sattel und befestigten seine Hände und Füße an zwei Bäume. Dann sagte Winnetou zu dem jungen Mimbrenjo:
»Old Shatterhand und Winnetou werden nach dem Tümpel gehen; mein roter, kleiner Bruder aber bleibt hier zurück, bis wir entweder wiederkommen oder er von einem von uns benachrichtigt wird. Er sticht diesem weißen Gefangenen das Messer in das Herz, wenn derselbe ein lautes Wort sprechen oder gar einen Fluchtversuch wagen sollte. Geschieht sonst etwas Unerwartetes, so ist mein Bruder trotz seiner Jugend so entschlossen und klug, daß er selbst weiß, was er zu thun hat. Howgh!«
Man sah dem Jünglinge an, wie stolz ihn das Lob machte. Er zog sein Messer und setzte sich, ohne dem Apatschen eine Antwort zu geben, neben dem Gefangenen nieder. Ich drang mit Winnetou tiefer in den Wald ein, welcher schon jetzt fast steil aufwärts stieg. Nach einer kleinen Weile blieb der Häuptling stehen und fragte, natürlich in leisem Tone:
»Was meint mein Bruder, wie viel Yumas sich bei dem Tümpel befinden werden?«
»Drei,« antwortete ich, ohne lange Besinnung.
»Old Shatterhand hat recht. Wir sind zwei gegen drei und werden die fünf Weißen leicht und schnell frei machen.«
Es war keineswegs ein Wunder, so genau zu wissen, wie viele Rote wir vor uns hatten. Der Player war hier gewesen, um zu melden, daß er uns an der Hazienda gesehen hatte; darauf war natürlich einer von den fünf fortgeritten, um die Meldung nach der Fuente de la Roca zu bringen. Es waren also nach des Players Entfernung vier zurückgeblieben. Darauf kamen die fünf Reiter aus Ures und wurden festgenommen. Natürlich ritt abermals ein Bote nach der Fuente, um die wichtige Botschaft dorthin zu bringen; es konnten also nur noch drei da sein. Die fünf gefangenen Sonntagsreiter waren mit Proviant reichlich versehen, und man hatte ihnen diesen abgenommen; da verstand es sich ganz von selbst, daß es keinem der drei Yumas, welche die fünf zu bewachen hatten, einfiel, auf die Jagd nach Fleisch zu gehen. Meine Antworten waren also höchst selbstverständlich und keineswegs der Beweis eines außerordentlichen Scharfsinnes. Da wir es nun nur mit drei Gegnern zu thun hatten, gab es leichte Arbeit für uns.
Wir stiegen unter den dichten Bäumen so leise aufwärts, daß unsere Schritte in einer Entfernung von drei oder vier Ellen nicht zu hören waren, und erreichten nach kurzer Zeit die Höhe, welche nicht breit war und sich jenseits sehr bald wieder abwärts senkte. Winnetou kroch mit einer Sicherheit unter den Bäumen nieder, als ob er sich schon viele Male in dieser Gegend befunden habe. Dann drehte er sich halb nach mir um und hob warnend den Zeigefinger, um mir anzudeuten, daß jetzt noch größere Vorsicht als bisher nötig sei, legte sich ins Moos und lauschte nach vorn. Dies und der Umstand, daß es jetzt nach Wasser roch, zeigte mir an, daß wir uns ganz nahe an dem Tümpel befanden.
Ich schob mich weiter vorwärts, kam neben Winnetou zu liegen und konnte nun unter den niedersten Zweigen, welche fast die Erde berührten, hinaus auf eine kleine Lichtung sehen, deren Mitte ein stehendes Wasser einnahm. Jedenfalls gab es da einen Quell, welcher so schwach war, daß er nicht abfloß, sondern gleich wieder in den porösen Waldboden versickerte. Das Plätzchen war von drei Seiten von Bäumen und Büschen eingeschlossen; die vierte stand offen; da ging der natürliche Weg vorüber, welcher von der Hazienda del Arroyo nach der Fuente de la Roca führte. Wir lagen diesseits am Rande des Gebüsches; dann kam ein schmaler, mit Binsen und Schilf bewachsener Streifen, worauf der Tümpel folgte. Jenseits desselben saßen, doch nicht am Wasser, sondern ganz nahe bei den Bäumen, drei Indianer, und dort standen auch, an fünf Stämme festgebunden, die Weißen aus Ures. Wir fanden die Verhältnisse genau so, wie wir sie zu finden erwartet hatten.
Die Roten sprachen mit den Weißen, und zwar in dem sprachlichen Gemisch, dessen man sich in jenen Gegenden zwischen den beiden Rassen zu bedienen pflegt. Nicht nur um das Gespräch zu hören, sondern hauptsächlich um die Weißen zu befreien, mußten wir auf die andere Seite hinüber. Wir krochen also in einem Halbkreise um die Lichtung und kamen dann so nahe an die Gruppe zu liegen, daß wir die Worte nicht nur hören, sondern auch verstehen konnten.
Wie zu erwarten gewesen war, befand sich kein Häuptling, ja nicht einmal ein einigermaßen hervorragender Krieger unter den Roten, von denen keiner eine Flinte besaß. Die Pferde, auch diejenigen der Gefangenen, waren rundum angebunden und fraßen die Blätter und jungen Zweige ab. Zwei der Indianer saßen auf den frischüberzogenen weißen Kissen des Rechtsgelehrten und ließen sich die Delikatessen, welche dessen Frau für ihn eingepackt hatte, mit sichtlichem Behagen schmecken. Er nahm sich in seiner Galauniform ungemein drollig aus; sie paßte auch gar zu wenig zu der Umgebung, in welcher er sich befand. Die Angst, welche so deutlich, wie mit Buchstaben geschrieben, in seinen Zügen zu lesen war, entsprach sehr wenig der Aufgabe, mit welcher ihn seine Sennora in die Berge geschickt hatte. Ich glaubte sogar, Schweißtropfen auf seiner Stirn zu bemerken. Seine Untergebenen, die Polizisten, befanden sich in derselben Stimmung wie er, und der Haziendero machte auch nicht den Eindruck eines Helden, der seiner Fesseln zu lachen vermag. Man hatte ihnen die Taschen ausgeleert und alles, natürlich auch die Waffen, abgenommen. Diese Gegenstände lagen auf einem Haufen, um später geteilt zu werden.
Von den drei Roten schien derjenige, der sich mehr spanische Ausdrücke als die beiden andern angeeignet hatte, das Wort zu führen. Er that dies in einer Weise, aus welcher hervorging, daß es seine Absicht war, den Weißen noch mehr Angst zu machen, als sie schon jetzt besaßen. Eben als ich mich so zurechtgelegt hatte, daß ich, hinter einem Busche steckend, ruhig zuhören konnte, hörte ich ihn sagen:
»Wir sehen euch an, daß ihr sehr tapfere Krieger seid, doch ist es gut gewesen, daß ihr euch nicht gewehrt habt, denn wenn das geschehen wäre, hätten wir euch augenblicklich getötet; nun aber werdet ihr noch einige Tage leben dürfen, denn wir werden euch die Haut in Streifen abschneiden, um Riemen daraus zu machen.«
»Die Haut – Streifen – Riemen!« schrie der Juriskonsulto auf. »Mein gütiger, mein allgütiger Himmel! Das ist Mord; das ist Qual; das ist die größte Marter, die es giebt!«
»Bist du denn nicht der erste und oberste Mann in der Stadt, welche Ures heißt?«
»Der bin ich, ja; ich habe es Ihnen schon gesagt, wertester Sennor.«
»So wisse, daß es bei uns gebräuchlich ist, je vornehmer der Mann, desto größer die Qual, unter welcher er zu sterben hat. Was sind die drei Männer, die zu dir gehören?«
»Sie sind Polizisten, Untergebene von mir.«
»So werden wir ihnen weniger Martern bereiten. Wir skalpieren sie erst, und dann stechen wir ihnen die Augen aus.«
Die drei stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Der Rote grinste sie höhnisch an und fuhr, zu dem Haziendero gewendet, fort:
»Und du bist Don Timoteo, ein sehr reicher Mann. Dir schneiden wir die Hände ab. Ihr seid unsere Feinde; also müßt ihr alle qualvoll sterben.«
»Ich zahle euch ein Lösegeld, wenn ihr mir die Freiheit gebt!«
»Die roten Männer brauchen kein Geld. Das ganze Land gehört ihnen; was ihr habt, das habt ihr ihnen geraubt. Ihr braucht es ihnen nicht zu schenken, denn sie werden es sich selbst wiedernehmen, und ihr müßt sterben.«
»Auch ich zahle ein Lösegeld!« rief der Juriskonsulto. »Ich gebe Ihnen hundert Piaster!«
Der Indianer lachte.
»Zweihundert Piaster!«
»Du bist der reichste Mann in Ures und willst so wenig geben?«
»So gebe ich dreihundert, fünfhundert Piaster, wertester Sennor!«
»Du hast gehört, daß wir kein Geld haben wollen, weil wir keines brauchen. Ihr müßt sterben. Ich habe einen Boten fortgeschickt und noch heute wird der ›schnelle Fisch‹ kommen, um zu bestimmen, welches Todes ihr sterben sollt.«
Bei dieser Drohung kam dem Haziendero ein Gedanke, dem er, um die Roten einzuschüchtern, sofort Ausdruck gab:
»Wenn ihr uns das geringste Leid anthut, wird es euern eigenen Tod zur Folge haben. Wir haben mächtige Freunde, welche uns rächen werden!«
»Wir verachten eure Freunde. Es giebt keinen Weißen, welchen ein Yumakrieger zu fürchten hat.«
»Es giebt einen, den ihr alle fürchtet, Old Shatterhand!«
Der Rote machte eine verächtliche Handbewegung und antwortete:
»Old Shatterhand ist ein weißer Hund, den wir mit einem Hiebe auf die Schnauze töten würden, wenn er zu uns käme. Aber er wird sich hüten, zu kommen, denn er befindet sich nie in dieser Gegend.«
»Du irrst. Er war auf meiner Hazienda, und dann habe ich mit ihm in Ures gesprochen. Er will nach der Fuente und nach Almaden, um die fremden Arbeiter zu befreien.«
Jetzt wurde der Rote aufmerksam. Er schien den Haziendero mit dem Blicke, den er auf ihn richtete, durchbohren zu wollen, sagte dann aber in ungläubigem Tone:
»Du lügst; du willst uns bange machen; aber ein Yuma kennt keine Angst.«
»Ich lüge nicht. Sennor, bestätigen Sie es mir!«
Diese Aufforderung war an den Beamten gerichtet; dieser ergriff den Faden, an welchem er sein Leben hängen wähnte, und bekräftigte:
»Es ist so; Don Timoteo hat die Wahrheit gesagt; Sie können es glauben, wertester Sennor. Old Shatterhand war auch bei mir, und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, befand sich bei ihm.«
Mir war es höchst unlieb, daß die Leute von uns sprachen, sie hätten unter andern Umständen, oder wenn wir uns hier nicht schon befunden hätten, sich und uns den größten Schaden machen können. Dennoch war es interessant, zu sehen, welche Wirkung unsere Namen hervorriefen.
»Uff, uff!« fuhr der Rote auf, indem er in die Höhe sprang. »Winnetou war bei euch? Und Old Shatterhand befand sich bei ihm?«
»Ja. Old Shatterhand war sogar zweimal bei mir, wertester Sennor. Die beiden berühmtesten Männer sind über die Hazienda del Arroyo geritten, um uns nachzukommen.«
Da streckte der Rote seine Hand gegen seine beiden Kameraden aus und rief:
»Haben meine roten Brüder gehört, was gesagt wurde? Old Shatterhand befindet sich bei Winnetou, und das Bleichgesicht, welches Player genannt wird, meldete uns, daß Winnetou bei der Hazienda gewesen sei. Es stimmt also; es ist, wie die Weißen hier sagen. Winnetou ist mit Old Shatterhand unterwegs hierher. Wir müssen diesen Ort mit den Gefangenen hier verlassen und uns verstecken, alle Spuren vertilgen, und einer von euch muß dem ›schnellen Fische‹ entgegenreiten, um ihn zu warnen. Die beiden Krieger sind gefährlicher, als hundert andere. Der Player erzählte uns, daß der ›große Mund‹ Old Shatterhand gefangen und fortgeführt habe; wenn er wieder bei der Hazienda war, so hat er sich selbst befreit und wird Rache gegen uns schnauben wie ein wilder Büffel, welcher selbst den Bären des Gebirges besiegt. Wir befinden uns also in größter Gefahr und – –«
Er kam nicht weiter; es gab für ihn eine Unterbrechung, auf welche er am allerwenigsten vorbereitet war. Winnetou war bei den letzten Worten wie ein Blitz empor-, aus dem Busch und auf ihn zugeschnellt, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in seiner ruhigen und doch so imponierenden, ja, wenn er wollte, niederschmetternden Weise:
»Also hat der Yuma vorhin gelogen, als er sagte, daß ein Yuma keine Angst kenne! Er wollte Old Shatterhand wie einen Hund mit einem Hiebe auf die Schnauze erschlagen, und nun er hört, daß der weiße Krieger sich in der Nähe befindet, will er sich verstecken, weil er weiß, daß Old Shatterhand und Winnetou mehr sind als hundert andere Krieger. Ich sage euch, kein Yuma wird Old Shatterhand schlagen, denn noch ehe er den Arm dazu erhöbe, würde er zerschmettert sein!«
Das war wieder einmal ein Augenblick, an welchem der Apatsche sich in seiner so einfachen und doch so überwältigenden Größe zeigte. Er hatte keine Waffe in der Hand. Seine Silberbüchse hing ihm auf dem Rücken, und sein Messer steckte unberührt im Gürtel; aber er stand so stolz vor dem Yuma, leuchtete ihm mit solchen Augen ins Gesicht und drückte ihm die Hand mit solcher Gewalt auf die Schulter, daß dem Manne die Sprache versagte. Die beiden andern Yumas waren auch aufgesprungen; sie standen ebenso starr vor Überraschung da. Ihre Messer hatten sie bei sich; ihre Lanzen, Bogen und Pfeile lagen seitwärts auf der Erde; diese brauchten wir nicht zu fürchten. Da ermannte sich der Sprecher, trat einen Schritt zurück und fragte:
»Ein fremder, roter Krieger! Wer – – wer – – wer – –«
Er wollte fragen, wer der fremde Indianer sei, brachte aber die Frage, weil er seinen Schreck noch immer nicht überwunden hatte, nicht ganz heraus, erhielt jedoch die Antwort von dem Haziendero, welcher jubelnd ausrief:
»Winnetou, ja Winnetou ist's! Dem Himmel sei Dank; wir sind gerettet!«
»Win – – Winne – – Winnetou?« fragte der Yuma mit stockendem Atem. »Der Apatsche ist da?! Uff! Nehmt die Waffen und wehrt euch, ihr Krieger, denn – –«
Er griff nach seinem Messer; die andern beiden waren nicht so schnell; die Angst lähmte nun, da sie seinen Namen hörten, erst recht ihre Glieder. Winnetou schleuderte mit seinem Fuße ihre Lanzen und Pfeile ins Wasser und herrschte ihm zu:
»Schweig, Yuma, und rühre dich nicht! Da steht Old Shatterhand! Oder willst du versuchen, ihm einen Hieb auf die Schnauze zu geben?«
Dieser Ausdruck war mir nur lächerlich erschienen; Winnetou aber hatte sich über denselben geärgert, sodaß er ihn nun schon zum zweitenmale wiederholte. Indem er die letzteren Worte sprach und auf mich zeigte, trat ich zwischen den Büschen hervor und hielt in jeder Hand einen Revolver, beide auf die Yumas gerichtet.
»Das – das ist – – Old Shatterhand?« fragte der Yuma, die Augen nicht starr, sondern stier auf mich gerichtet.
Er war es, dem ich Widerstand mehr und eher zutraute, als seinen Gefährten; er mußte also auch eher als sie unschädlich gemacht werden; darum stand ich mit einem schnellen Schritte vor ihm und antwortete:
»Ja, das ist – – das ist Old Shatterhand, wie du sogleich fühlen sollst!«
Den Griff des rechten Revolvers fest mit der Hand umschließend, schlug ich ihm denselben auf den Kopf, daß er niederstürzte und sich nicht rührte; dann donnerte ich seine Genossen an:
»Werft die Messer weg, sonst habt ihr augenblicklich eine Kugel!«
Sie gehorchten sofort; es war die erste Bewegung, welche sie machten.
»Legt euch nieder, und rührt euch nicht!«
Auch das thaten sie schnell und ohne Widerrede. Nun wurden die fünf Gefangenen losgemacht und aufgefordert, mittels der Riemen, mit denen sie gefesselt gewesen waren, die drei Roten zu binden. Es läßt sich denken, wie rasch sie diesem Gebote nachkamen. Der hasenherzige Juriskonsulto warf sich natürlich auf den betäubten Indianer, da er diesen nicht zu fürchten brauchte, und rief, indem er ihm die Riemen mit dem Eifer eines Henkers um die Hände und die Füße schlang:
»Ja, gefesselt soll er werden, gebunden und erschlagen wie ein toller Hund, der Schuft, der Schurke! Ich werde ihn in Ketten und Banden nach Ures bringen, damit man dort sieht, daß ich als Sieger mit den wildesten Bestien des Gebirges in ritterlichem Kampfe gestanden habe. Ich kehre als Sieger heim; wer kann mir widerstehen!«
Auch diese Prahlerei war eigentlich lächerlich, doch ärgerte sie mich, da der Mann von seinem Ruhme sprach, ohne ein Wort für seine Retter zu haben. Darum fuhr ich ihn nicht eben höflich an:
»Schweig, Prahlhans! Wer hat den Yuma niedergeworfen, Sie oder ich? Bedanken Sie sich gefälligst bei mir!«
Da richtete er sich auf und antwortete in halb beleidigtem und halb vorwurfsvollem Tone:
»Sennor, ich bin – – nun, Sie wissen doch, was ich bin, und haben nur gethan, was Ihre Schuldigkeit war; das will ich freundlich anerkennen, aber mich dafür bedanken, das habe ich nicht nötig. Nicht wahr, Don Timoteo?«
»Sehr richtig, sehr richtig!« nickte der edle Haziendero. »Wir sind selber Manns genug und brauchen keinen, der nichts anderes weiß, als sich nur immer in unsere Angelegenheiten zu mischen!«
Das war wirklich stark! Es zuckte mir in den Fäusten. Was hatte ich nicht für diesen »Don« gethan! Ich mußte wirklich meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um mich ohne die gehörige Antwort abwenden zu können; aber es gab einen Anwalt für mich, welcher die Nichtswürdigkeit ebenso fühlte, wie ich, und in diesem Falle aber weniger Geduld besaß, als ich. Kaum waren die Worte gesprochen und kaum hatte ich mich umgewendet, so hörte ich hinter mir zwei Schläge. Mich rasch wieder umdrehend, sah ich den Haziendero und den »Juriskonsulto« am Boden liegen. Winnetou hatte sie mit dem Kolben seines Gewehres niedergeschlagen und holte schon wieder aus, dasselbe auch mit den Polizisten zu thun, welche vor Schreck über seine blitzschnelle That nicht an Flucht oder Gegenwehr dachten.
»Halt, diese nicht!« rief ich, indem ich ihm ins Gewehr fiel. »Sie können nichts dafür.«
Er ließ den Kolben sinken und antwortete in seinem entschlossensten Tone, indem seine Augen Blitze sprühten:
»Gut, mein Bruder will es so. Sie sollen also verschont bleiben, aber nur dann, wenn sie sich wieder an die Bäume binden lassen, sonst zerschmettere ich ihnen die Köpfe!«
Zugleich stellte er sich zwischen sie und den Haufen, auf welchem nebst den ihnen abgenommenen andern Sachen auch ihre Gewehre lagen. So zornig, wie in diesem Augenblicke, hatte ich den Apatschen noch nie gesehen. War es sein wirklich furchterweckender Anblick, oder war es die Folge alles dessen, was in den letzten zehn Minuten so Außergewöhnliches geschehen war, der eine Polizist trat vor, streckte mir seine Hände hin und sagte:
»Ja, binden Sie uns, Sennor; wir weigern uns nicht, es geschehen zu lassen! Ich weiß, Sie werden uns nichts thun, sondern es geschieht nur, um den beiden undankbaren Sennores zu zeigen, mit wem sie es zu thun haben. Hoffentlich sind sie nicht tot; ich aber glaube, Ihnen unsere Dankbarkeit am besten dadurch beweisen zu können, daß wir uns in Ihre Forderung fügen.«
»Gut! Um Ihres Vorgesetzten willen muß ich auch Sie binden; er könnte Sie sonst auffordern, ihn freizumachen; Sie müßten gehorchen, und ich würde das nicht dulden. Kommen Sie also her; Sie werden bald wieder frei sein!«
Wo Indianerpferde sind, hat man um Riemen niemals Not. Die drei Polizisten waren gezwungen gewesen, ihrem Vorgesetzten trotz dessen Unfähigkeit in die Berge zu folgen; sein Ungeschick hatte sie in die Gefangenschaft der Roten gebracht, aus welcher wir sie befreit hatten. Sie wären uns dafür gern auch in Worten dankbar gewesen, hatten aber bei dem Verhalten ihres Herrn nicht gewagt, dies zu thun, und waren, wie ich jetzt sah, empört darüber. Jedenfalls gönnten sie ihm den Kolbenhieb und hielten es nur infolge ihrer Stellung für geraten, das, was ihn von uns erwartete, auch mit über sich ergehen zu lassen. Sie wurden von mir angebunden, denn Winnetou gab sich nicht dazu her; er hätte sich gar nichts daraus gemacht, wenn der Haziendero und der Juriskonsulto tot gewesen wären. Glücklicherweise aber lagen sie nur in tiefer Ohnmacht. Während ich sie zu den Bäumen zog, um sie dort wieder zu fesseln, ging er fort, ohne zu sagen, wohin; ich wußte jedoch, daß er den Mimbrenjo und die Pferde holen wollte. Bald kam er mit ihm zurück; natürlich brachten sie auch den Player mit. Dem Mimbrenjo brauchte ich nichts mitzuteilen, denn der Apatsche hatte ihn schon von dem Geschehenen unterrichtet.
Unsere Pferde wurden angebunden; dann erhielt unser junger, roter Begleiter die Anweisung, wie er sich als Wächter bei den Gefangenen zu verhalten hatte. Er mußte bei ihnen zurückbleiben, während ich mit Winnetou fortging, wohin und wozu, das war so selbstverständlich, daß weder von ihm noch von mir ein Wort darüber verloren wurde. Es handelte sich nämlich darum, die beiden Yumas, welche von hier als Boten nach der Fuente gesandt worden waren und deren Rückkehr bald in Aussicht stand, unterwegs abzufangen, noch ehe sie den Lagerplatz am Tümpel erreichten. Hätten wir sie dort erwarten wollen, so konnten sie, wenn sie uns eher bemerkten, als wir sie, uns leicht entgehen und sogar gefährlich werden.
Wir drangen natürlich nicht in den dichten Wald ein, sondern gingen den Weg, auf welchem die Erwarteten kommen mußten. Die Gewehre hatten wir zurückgelassen, da dieselben bei der Art, in welcher wir die Yumas in unsere Gewalt bringen wollten, uns nur belästigen konnten.
Unser Weg bestand in einem von der Natur geschaffenen dünnen, lichten Streif, welcher sich jenseits durch den Wald von der Höhe niederzog und unten auf offenes Land führte. Da, wo der Wald zu Ende ging, verbargen wir uns unter den Bäumen. Es wollte Abend werden, und wir hatten uns also mehr auf unsere Ohren, als auf unsere Augen zu verlassen.
Winnetou hatte, seit er von mir verhindert worden war, die Polizisten niederzuschlagen, kein Wort mit mir gesprochen; jetzt endlich fragte er, als wir so wartend da saßen:
»Ist mein Bruder Old Shatterhand zornig auf mich, daß ich den Bleichgesichtern den Kolben auf die Köpfe gegeben habe?«
»Nein,« antwortete ich. »Der Häuptling der Apatschen hat mir ganz aus der Seele gehandelt.«
»So können eben nur Weiße sein. Ein roter Krieger, selbst wenn er bisher mein gefährlichster Feind gewesen wäre, würde mir, wenn ich ihn von solchen Banden befreite, fortan sein Leben schenken. Alles, was er besitzt, wäre auch mein Eigentum. Die Bleichgesichter aber haben nur schöne Worte und böse Thaten. Was soll mit den Undankbaren geschehen?«
»Was Winnetou über sie bestimmt.«
Da er nichts sagte, schwieg auch ich. Es wurde dunkel, und wir lauschten aufmerksam in die Ferne. Die Boten waren in einem längern Zwischenraume von hier fortgeritten, dennoch stand zu erwarten, daß sie miteinander zurückkehren würden. Diese Vermutung bestätigte sich, denn als wir endlich Huftritte hörten, waren es die von zwei Pferden, nicht von einem einzelnen. Wir verließen unser Versteck und traten an den Weg. Sie waren schon sehr nahe, doch bei der jetzigen Dunkelheit konnten wir sie noch nicht sehen; aber wir hörten, daß sie nebeneinander ritten.
»Winnetou mag den nehmen, welcher auf dieser Seite reitet,« flüsterte ich. »Ich nehme den drüben.«
Darauf huschte ich auf die andere Seite des Weges hinüber. Sie kamen; sie sahen uns nicht und wollten vorüber; aber die Pferde bemerkten uns mit ihren schärferen Sinnen; sie schnaubten und weigerten sich, weiterzugehen. Wären Winnetou und ich an ihrer Stelle gewesen, so hätten wir Verdacht geschöpft und unsere Tiere augenblicklich herumgerissen und, eine Strecke zurückgekehrt, zu Fuße uns heimlich wieder herangeschlichen, um die Stelle zu untersuchen. Die Indianer aber waren entweder keine erfahrenen und vorsichtigen Leute, oder sie fühlten sich so sicher in der abgelegenen Gegend, daß sie die Gegenwart eines menschlichen Feindes für unmöglich hielten und vielmehr glaubten, daß das Scheuen ihrer Pferde auf der Anwesenheit irgend eines wilden Tieres beruhe. Sie erhoben ihre Stimmen, um dasselbe durch ihr Geschrei zu vertreiben. In diesem Augenblicke trat ich einige Schritte weit hinter das Pferd desjenigen, welcher auf meiner Seite hielt, nahm einen Anlauf und sprang hinter ihm auf, nahm ihn mit der Linken bei der Gurgel und riß ihm mit der Rechten die Zügel aus der Hand. Er vergaß das Schreien und sein Kamerad auch, denn Winnetou hatte mit diesem ganz in derselben Weise gehandelt. Die Kerls waren so erschrocken, daß sie an keinen Widerstand dachten, wenigstens für den Augenblick, und als sie zum Bewußtsein ihrer Lage kamen, war es zu spät, denn wir hatten sie aus dem Sattel gedrängt, saßen nun selbst auf demselben fest und hatten sie quer vor uns liegen, indem wir sie mit festem Griffe bei der Kehle hielten. Wir drückten den Pferden die Sporen in die Weichen und jagten fort, den Berg hinan. Obgleich es bei der jetzigen Dunkelheit nicht ungefährlich war, zu galoppieren, ritten wir so schnell, weil die Indianer sich da weniger wehren konnten und wir unsere Kräfte nicht solange anzustrengen brauchten.
Der Mimbrenjo war so klug gewesen, ein Feuer anzuzünden, sodaß wir nach dem Lagerplatze nicht zu suchen brauchten. Wir sprangen von den Pferden, ohne die Gefangenen aus der Hand zu lassen, und unser kleiner roter Gefährte beeilte sich, sie zu binden. Es war eine seltene Lage, in welcher wir uns befanden. Wir drei hatten elf Gefangene, fünf Yumas, den Player, den Juriskonsulto, den Haziendero und die drei Polizisten, und wollten auch noch wenigstens die zwanzig an der Fuente del Roca befindlichen Yumas unschädlich machen. Trauten wir uns da nicht zuviel zu? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es kommt bei allem, was man thut, darauf an, wie man es anfängt, und neben diesem Umstande hat jeder Mensch auch das Recht, sich ein wenig auf sein Glück zu verlassen.
Die beiden zuletzt ergriffenen Yumas vermochten jetzt wieder Atem zu schöpfen, und das benutzten sie ganz gegen die Sitte der Indianer, ihrem Herzen Luft zu machen. Die mexikanischen Roten sind, wie bereits bemerkt, in keiner Beziehung mit den ritterlichen Indianern des Nordens zu vergleichen. Ein Sioux- oder Schlangenindianer hätte kein Wort verloren, seine Lage aber scharf überdacht und eifrig nachgesonnen, wie er sich aus derselben befreien könne. Die Yumas waren anders. Kaum hatten sie Atem bekommen, so begannen sie zu schimpfen und verlangten, freigelassen zu werden.
Unter andern Umständen hätten sie ganz gewiß keine Antwort erhalten; aber ich wollte aus Gründen, welche sich bald ergeben werden, gern ihre Namen wissen und auch denjenigen von wenigstens einem der drei Yumas, die wir schon vor Abend überrumpelt hatten. Darum antwortete ich dem Roten, der zuletzt geredet hatte:
»Du scheinst zu glauben, daß man den Mund nur zum Sprechen bekommen hat; ein kluger Mann aber weiß ihn auch zum Schweigen zu gebrauchen.«
Winnetou warf mir einen verwunderten Blick zu, sagte aber nichts, da er annahm, daß ich wohl einen Grund haben müsse, den Yuma einer Antwort zu würdigen. Der letztere erwiderte mir zornig:
»Wir sind Krieger der Yumas und leben mit den Weißen in Frieden. Wie könnet ihr es also wagen, eure Hände an uns zu legen!«
»Jeder kann behaupten, ein Krieger zu sein; aber ob es wahr ist, das ist eine andere Sache. Wie lautet denn der berühmte Name, den du trägst?«
»Spotte nicht! Mein Name ist von allen Feinden gefürchtet. Ich werde der ›schwarze Geier‹ genannt.«
»Und wie heißen deine vier Genossen?«
Er nannte ihre Namen und fügte hinzu.
»Sie sind ebenso berühmt wie ich selbst, und du wirst es bereuen, dich an ihnen vergriffen zu haben.«
»Dein Maul ist größer, als deine Thaten sind. Ich habe eure Namen noch nie gehört, und wenn ihr wirklich so berühmte Leute wäret, wie du mich glauben machen willst, so würdet ihr nicht so blind und dumm in unsere Hände gelaufen sein.«
»Es war dunkel; wir konnten euch nicht sehen, und da wir mit allen Roten und Weißen in Frieden leben, war gar nicht daran zu denken, hier auf einen Feind zu stoßen. Ich verlange, augenblicklich befreit zu werden!«
»Warte noch eine kleine Weile, vielleicht auch eine längere Zeit! Du behauptest, daß die Yumas mit allen Menschen in Frieden leben. Wie kommt es da, daß der ›große Mund‹ die Hazienda del Arroyo überfallen und verwüstet hat? Lebt ihr wirklich auch mit allen Roten auf gutem Fuße? Ich weiß, daß ihr mit den Mimbrenjos verfeindet seid. Mäßige dich also! Du sprichst mit Männern, denen du nicht einen Tropfen Wassers reichen darfst. Sieh den berühmten Krieger hier an meiner Seite! Es ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und ich selbst werde Old Shatterhand genannt.«
Nach diesen Worten wendete ich mich ab; ich hatte ihm, um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, mit unsern Namen den Mund gestopft; er ließ von jetzt an kein Wort mehr hören. Unser Mimbrenjo wollte ihn und seinen Gefährten nach der Stelle schleifen, an welcher die drei andern Yumas lagen; ich gab ihm aber in wohlbegründeter Absicht einen Wink, dies nicht zu thun.
Der Yuma war zum Schweigen gebracht; ich bekam dafür mit anderen zu thun. Der Haziendero und der Juriskonsulto hatten sich von dem erhaltenen Kolbenhiebe erholt, und der letztere redete mich jetzt in zornigem Tone an:
»Wie kommt es, Sennor, daß Ihr mich schlagen laßt und mich wieder angebunden habt! Ihr werdet Euch an geeigneter Stelle darüber verantworten müssen!«
»Schwatzen Sie nicht so albernes Zeug!« antwortete ich ihm. »Ein Juriskonsulto sollte doch klügere Dinge vorzubringen wissen! Ich habe Sie nicht geschlagen, und Sie befinden sich in derselben Lage, in welcher ich Sie hier vorgefunden habe; wie kann da von einer Verantwortung die Rede sein!«
»Ich war indessen frei, und Sie haben uns wieder fesseln lassen. Das ist unerlaubte Freiheitsberaubung, die mit Gefangenschaft bestraft wird! Ich wiederhole, daß Sie sich in Ures zu verantworten haben werden!«
»Ihr schönes Ures wird nie so glücklich sein, mich noch einmal in seinen Mauern zu haben, und ebenso bin ich überzeugt, daß Sie diese Stadt nie wiedersehen werden, weil Sie die kurze Zeit, welche zu leben Ihnen noch verbleibt, hier an dem Baume, an dem Sie angebunden sind, verbringen werden.«
»Sind Sie bei Sinnen! Sie wollen mich nicht wieder losmachen?«
»Nein. Ich bin einmal so thöricht gewesen, dies zu thun, habe aber dafür so schlechten Dank geerntet, daß es mir nicht einfallen kann, diese Dummheit zum zweitenmale zu begehen. Ich machte sie dadurch ungeschehen, daß ich die Lage der Dinge gerade so wieder herstellte, wie ich sie hier vorgefunden habe; sie soll auch so bleiben; wir reiten morgen früh fort und lassen Sie an Ihren Bäumen hängen.«
»Sie wollen uns einschüchtern, uns Angst machen! Es ist ja unmöglich, daß ein Mensch, ein Weißer, ein Christ so handeln kann!«
»War Ihre Dankbarkeit diejenige eines Menschen, eines Weißen, eines Christen?«
Ich wartete natürlich nur auf eine Bitte, auf ein gutes Wort; das zu sagen, fiel ihnen jetzt noch nicht ein, und der Juriskonsulto rief mir sogar zu:
»Thun Sie immerhin, was Sie wollen, Sennor! Sie werden Ihre Absicht doch nicht erreichen, und ebensowenig Ihrer Strafe entgehen. Wenn Sie uns auch hängen lassen, so giebt es doch Leute, welche uns losbinden werden, wenn Sie fort sind.«
»Welche Leute wären das wohl?«
»Die Indianer, welche hier liegen.«
»Die sind selbst gefangen und gebunden. Übrigens werden wir sie erschießen, ehe wir diesen Ort verlassen.«
»Erschießen? Sie sprechen doch nicht im Ernste! So müssen wir verhungern!«
»Allerdings!«
»Sennor, Sie sind ein Unmensch, ein Wüterich!«
Da konnte ich mich nicht mehr halten, trat ganz nahe zu ihm und sagte ihm ins Gesicht:
»Und Sie sind der allergrößte Schafskopf, welcher mir im Leben vorgekommen ist!«
Jetzt schien er endlich einzusehen, daß er grundfalsch gehandelt hatte; er schwieg, und ich ging zu Winnetou und dem Mimbrenjo, um zu essen. Proviant war genug vorhanden. Der Player, der Haziendero und der Juriskonsulto wurden in ihren Fesseln gefüttert; die drei Polizisten aber band ich los, sodaß sie mit freiem Gebrauche der Glieder essen konnten, und als sie fertig waren, wurden sie zwar wieder gebunden, aber nur zum Scheine und so, daß sie ohne Belästigung schlafen konnten. Als wir drei dann noch ein Weilchen beisammensaßen und bestimmten, in welcher Reihenfolge wir wachen wollten, meinte Winnetou zu mir:
»Mein Bruder hat seinen Stolz überwunden und mit diesen Menschen gesprochen. Warum hat er dem Yuma nicht mit Schweigen geantwortet?«
»Weil die Klugheit höher steht, als der Stolz. Ich wollte die Namen der Yumas erfahren.«
»Was können meinem Bruder Shatterhand die Namen nützen?«
»Ich will erfahren, welche Botschaft der ›schnelle Fisch‹ von der Fuente del Roca versendet hat. Winnetou hat gehört, daß er dort über die zwanzig Yumas gebietet. Die beiden Boten sind bei ihm gewesen. Er hat erfahren, daß wir bei der Hazienda waren und daß die fünf Weißen hier gefangen worden sind. Es ist für uns höchst wichtig, zu erfahren, was er thun will. Die Boten werden es uns weder freiwillig sagen, noch können wir es ihnen durch Zwang entlocken. Wir müssen List anwenden.«
Er sah mich mit seinen hellen Augen forschend an, doch war es ihm dieses Mal nicht möglich, meine Gedanken zu erraten. Darum fuhr ich fort:
»Der Häuptling der Apatschen versteht die Yumasprache; ich würde mich freuen, wenn er sie so gut zu sprechen verstünde, daß er für einen Yuma gehalten werden kann.«
»Winnetou redet diese Sprache gerade wie ein Yuma.«
»Das ist sehr gut. Ich habe mit Absicht die beiden Boten nicht zu den drei andern Yumas legen lassen; sie sollen nicht miteinander flüstern können. Der Häuptling der Apatschen hat ihre Namen gehört. Der eine Bote heißt ›schwarzer Geier‹ und derjenige von den drei andern, welcher mir für meine Absicht am geeignetsten erscheint, weil er jedenfalls der am wenigsten Kluge von ihnen ist, wird ›dunkle Wolke‹ genannt. Wir lassen das Feuer ausgehen, sodaß es finster wird. Dann schleicht Winnetou sich zum ›schwarzen Geier‹, giebt sich für die ›dunkle Wolke‹ aus und – –«
»Uff!« unterbrach mich der Apatsche mit einer Bewegung der Überraschung. »Jetzt verstehe ich meinen Bruder. Ich bin die ›dunkle Wolke‹, und es ist mir gelungen, aus meinen Fesseln zu schlüpfen?«
»Ja, so meine ich es.«
»Der Gedanke ist vortrefflich! Ich will natürlich die roten Brüder auch losbinden, damit sie fliehen können. Während ich mich anstelle, als ob ich die Banden des ›schwarzen Geiers‹ lösen wolle, wird er mir sagen, was der ›schnelle Fisch‹ an der Fuente beschlossen hat.«
»Ja, er wird es gewiß sagen, wenn es Winnetou gelingt, ihn zu täuschen.«
»Ich werde ihn täuschen. Er wird mich gewiß für die ›dunkle Wolke‹ halten, zumal ich nur flüstern kann und nicht laut sprechen darf. Im Flüstern sind die Stimmen aller Menschen ähnlich.«
Infolge dieses Planes wurde kein Holz mehr ins Feuer gelegt; Winnetou streckte sich ebenso wie ich lang aus und gab sich nach einigen Minuten den Anschein, fest zu schlafen; der Mimbrenjo hatte die erste Wache und setzte sich so, daß er der ›dunklen Wolke‹ den Rücken zukehrte. Wenn der Knabe wachte, konnte es leichter erscheinen, daß ein Gefangener sich befreite, als wenn Winnetou oder ich die Augen offen gehabt hätte, zumal er ihm den Rücken zudrehte. Der kleine Mimbrenjo fing seine Sache sehr klug an. Er gab sich den Anschein, sehr ermüdet zu sein, legte sich auch lang, stemmte den Ellbogen auf die Erde, stützte den Kopf mit der Hand und schloß, nach wiederholten scheinbaren Versuchen wach zu bleiben, die Augen.
Ich hatte die meinigen ein ganz klein wenig offen und sah, daß die Roten ihn scharf beobachteten und sich bedeutungsvolle Blicke zuwarfen. Ebenso sah ich, daß die Polizisten, welche mein Verhalten begriffen hatten, mit dem Juriskonsulto und dem Haziendero flüsterten. Wahrscheinlich gaben sie ihnen den einzigen guten Rat, der hier zu geben war. Die Flamme sank tiefer und tiefer. Ich bemerkte, daß die Yumas sich in ihren Fesseln streckten und wanden, um dieselben zu zerreißen. Dann ging das Feuer aus, und es wurde so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht zu sehen vermochte.
Es könnte scheinen, als ob unser Plan ein Wagnis gewesen sei. Die Yumas waren zwar gefesselt, aber nicht an Bäume angebunden; sie konnten sich jetzt in der Dunkelheit fortwälzen und einander dann mit den Zähnen die Riemen öffnen; aber ich befürchtete das nicht, denn einmal sollte die Dunkelheit nicht lange anhalten, und das andere Mal mußte Winnetou bei dem »schwarzen Geier« es sofort merken, wenn die Roten an ihrer Befreiung arbeiteten.
Er stieß mich mit der Hand an, um anzudeuten, daß er sich jetzt fortschleichen werde, und er that dies mit solcher Geschicklichkeit, daß ich, der ich neben ihm gelegen hatte, nicht das mindeste davon bemerkte. Er hatte alles von sich gelegt und glitt hinüber nach der Stelle, an welcher der »schwarze Geier« neben seinem Genossen lag. Bei ihm angekommen, berührte er ihn leise mit der Hand und raunte ihm zu:
»Still! ›Schwarzer Geier‹ erschrecke nicht und lasse keinen Laut hören!«
Der Rote war über die unerwartete Berührung wahrscheinlich erschreckt, denn es verging eine Weile, in welcher er sich sammelte; dann fragte er ebenso leise:
»Wer ist's?«
»Dunkle Wolke.«
Jetzt mußte es sich entscheiden, ob die Täuschung gelang oder nicht. Winnetou war gespannt darauf. Da flüsterte der »schwarze Geier«:
»Ich fühlte meines Bruders Hand. Ist sie denn frei?«
»Beide Hände sind frei. ›Dunkle Wolke‹ war nicht fest gebunden und hat sich losgemacht.«
»So mag ›dunkle Wolke‹ schnell auch mich befreien! Die Hunde schlafen. Wir fallen über sie her und schlagen sie tot!«
Winnetou nestelte an den Fesseln des Yuma herum und fragte:
»Ist's nicht besser, sie leben zu lassen? Der ›schnelle Fisch‹ wird sich freuen, sie lebendig gefangen zu sehen.«
»Dunkle Wolke ist nicht klug. Männer wie Old Shatterhand und Winnetou muß man töten, wenn man sicher sein will. Wer sie leben läßt, befindet sich in Gefahr. Der ›schnelle Fisch‹ konnte nicht gleich mit uns reiten; er wird am Vormittag mit fünf Kriegern kommen, um die weißen Gefangenen zu holen. Aber warum macht ›dunkle Wolke‹ nicht schneller! Es ist doch nicht schwer, einen Knoten zu lösen!«
»Der Knoten ist gelöst, aber ein anderer als derjenige, den der ›schwarze Geier‹ meint.«
Nach diesen Worten huschte Winnetou von ihm weg und kehrte zu uns zurück, um mir das Ergebnis unserer List mitzuteilen. Da unser Zweck erreicht war, blies der Mimbrenjo in die Asche, unter welcher noch einige Holzkohlen glimmten; ein kleines Flämmchen erschien, erhielt Nahrung, und bald brannte das Feuer so hell wie vorher.
Winnetou lag wieder neben mir; wir thaten so, als ob wir schliefen. Es machte uns Spaß, zu sehen, mit welchen Augen der »schwarze Geier« die »dunkle Wolke« betrachtete; er sah, daß sie gefesselt war. Das mußte ihn befremden; doch nahm sein besorgtes Gesicht sehr bald den Ausdruck der Beruhigung an; weil er anscheinend eine Erklärung des Rätsels gefunden hatte: der eingeschlafene Mimbrenjo war erwacht und hatte sich bewegt; das hatte die »dunkle Wolke« gehört und war schnell an ihren Platz zurückgekehrt und einstweilen wieder leicht in ihre Fesseln geschlüpft, um zunächst abzuwarten, ob der Wächter das Feuer wieder anblasen werde oder nicht.
Bald darauf schlief ich ein. Der Mimbrenjo hatte den ersten, Winnetou den zweiten und ich den dritten Teil der Nacht zu wachen. Als letzterer mich weckte, gab es doppeltes Licht; das Feuer brannte, und über uns stand der helle Mond. Mein erster Blick war auf den »schwarzen Geier« gerichtet. Er stellte sich schlafend, schlief aber nicht, da er noch immer auf die »dunkle Wolke« wartete. Ich setzte mich so, wie der Mimbrenjo gesessen hatte, den Rücken nach der »Wolke« gerichtet und dabei mit stillem Vergnügen die wütenden Blicke beobachtend, welche der Geier aus seinen von Zeit zu Zeit sich öffnenden Augen auf den Genossen schleuderte, dessen Verhalten er sich nun längst nicht mehr erklären konnte.
Die Nacht verging; es wurde Tag, und ich weckte Winnetou und den Yumatöter. Der »schwarze Geier« konnte seine Wut nicht mehr bemeistern. Sein Gesicht war verzerrt, und sein Auge schoß Blitze auf seinen Kameraden, der sich während der Nacht nicht gerührt hatte. Winnetou sah es auch, trat zu ihm und sagte mit dem ihm eigentümlichen halben Lächeln:
»›Schwarzer Geier‹ glaubt, ein großer Krieger zu sein, hat aber noch nicht gelernt, seine Gedanken zu verhüllen. Ich lese in seinem Gesichte, daß er auf ›dunkle Wolke‹ zornig ist.«
»Der Häuptling der Apatschen erblickt Dinge, welche nicht vorhanden sind!«
»Was Winnetou erblickt, ist vorhanden. Warum hat ›dunkle Wolke‹ den Wächter nicht erschlagen? Drei haben gewacht und ›dunkler Wolke‹ dabei den Rücken zugekehrt. ›Dunkle Wolke‹ konnte von hinten schlagen oder stechen, und dann die andern Yumas befreien.«
»Winnetou spricht, was ich nicht verstehe!«
»Der ›schwarze Geier‹ versteht mich recht wohl. ›Dunkle Wolke‹ war ja bei ihm, um ihm die Riemen aufzuknüpfen, ließ ihn aber im Stiche, um sich wieder schlafen zu legen. Ein guter Schlaf ist besser als die Freiheit!«
Da stieß der Geärgerte nun wütend hervor:
»›Dunkle Wolke‹ ist kein Krieger, kein Mann, sondern ein altes Weib, welches vor jedem Frosche und vor jeder Kröte flieht!«
Das hörte der Beschimpfte. Er richtete sich soweit auf, wie seine Fesseln ihm erlaubten, und rief zu dem andern hinüber:
»Was hat der ›schwarze Geier‹ gesagt? Ich sei ein altes Weib? Er selbst ist als das feigste alte Weib im ganzen Stamm bekannt. Wäre er ein Mann, so hätte er sich gestern abend nicht ergreifen lassen!«
»Du bist ja auch gefangen!« entgegnete der andere. »Warum hast denn du dich fangen lassen? Und bei dir ist's nicht am Abende, sondern bei Tage gewesen! Welch eine Feigheit, sich von den Fesseln befreit und sie doch wieder angelegt zu haben, weil du dich fürchtetest!«
Und nun begann zwischen beiden ein heftiger Redekampf. Sie hätten einander ermordet, wenn sie nicht gefesselt gewesen wären. Winnetou machte dem Auftritt ein Ende, indem er dem »schwarzen Geier« Aufklärung gab.
»Du – du bist es gewesen?!« rief der Geier da betreten aus. »Das ist unmöglich! Ich habe die ›Wolke‹ an der Stimme erkannt!«
»So bist du nicht nur blind, sondern auch halb taub gewesen, denn es war meine Stimme, welche du gehört hast. Du sagtest mir, was ich wissen wollte; dann schlich ich mich wieder fort.«
»Hört ihr es!« rief die ›dunkle Wolke‹ aus. »Er hat den Häuptling der Apatschen für mich gehalten und ihm unsere Geheimnisse mitgeteilt. Schande über ihn! Er muß aus dem Stamme gestoßen werden!«
»Du wirst ebenso wie er nicht mehr zu dem Stamme der Yuma gehören, denn ihr werdet unsere Kugeln schmecken, ehe wir von hinnen reiten; dann wird die Sonne in eure offenen Schädel scheinen, um zu sehen, daß niemals ein Gehirn darin gewesen ist!«
Die Drohung erschreckte die Yumas so, daß sie schwiegen, brachte aber dafür einen andern, nämlich den Juriskonsulto, zum reden. Seine Untergebenen hatten ihm den Standpunkt klar gemacht; er wußte, daß wir die Yumas töten und dann fortreiten wollten, ohne ihn und seine Gefährten loszubinden; als er nun Winnetous letzte Worte hörte, glaubte er diese Zeit gekommen und wendete sich aus Angst in bittendem Tone an mich:
»Sennor Shatterhand, ist es wirklich wahr, daß die Roten erschossen werden?«
»Ja,« antwortete ich. »Binnen einer Viertelstunde. Dann reiten wir fort.«
»Aber Sie werden uns doch vorher freilassen!«
»Nein. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß uns das nicht einfallen kann.«
»Aber bedenken Sie, daß Sie dadurch zum Mörder an uns werden, mein wertester Sennor!«
»Wie haben denn Sie gehandelt? Übrigens ersuche ich Sie, mich mit ihrem ›wertesten Sennor‹ zu verschonen. Ich verzichte auf einen Titel, den Sie vorher schon einem Yuma gegeben haben. Es scheint, Sie können nur dann höflich sein, wenn die Angst Sie dazu treibt.«
»Nein, nein! Ich kann höflich sein und werde höflich sein. Sie sollen kein unrechtes Wort mehr von uns hören, wenn Sie uns loslassen. Ich sehe ein, daß wir undankbar waren und ohne Sie verloren gewesen wären, und der Haziendero ist auch zu dieser Einsicht gekommen; nicht wahr, Don Timoteo?«
»Ja, Sennor Shatterhand,« antwortete der Angeredete. »Ich habe während der letzten Nacht über alles nachgedacht und weiß nun, daß alles, was mir widerfahren ist, nicht geschehen wäre, wenn ich auf Ihre Warnungen gehört hätte.«
Er bat, und der Beamte bat. Die unter Fesseln und stehend am Baume verbrachte Nacht hatte sie mürbe gemacht. Das war es, was ich bezweckt hatte, und so fragte ich endlich in freundlicherem Tone als bisher:
»Aber was werden Sie denn thun, wenn ich Sie loslasse? Nach Ures zurückkehren und Anklage gegen mich erheben, wie Sie mir gedroht haben?«
»Nein, nein!« antwortete der Haziendero. »Ich bin hier heraufgeritten, um Melton zu erwischen und alles, was er mir abgenommen hat, von ihm zurückzufordern. Diese Absicht kann ich in Ures nicht erreichen. Wenn Sie die Güte haben wollen, uns wieder loszubinden, werden wir mit Ihnen nach Almaden alto reiten, um dort den Betrüger zu bestrafen.«
»Ja, wir reiten mit Ihnen,« stimmte der Juriskonsulto bei. »Wir werden den Halunken zur Rechenschaft ziehen und große Thaten thun, indem wir mit den Yumas kämpfen!«
»Dann möchte ich Sie doch lieber hängen lassen, denn ich bin überzeugt, daß wir viel leichter und eher zum Ziele gelangen, wenn Sie nicht bei uns sind. Sie würden ja doch nur wieder Dummheiten machen.«
»Nein, nein! Wir versprechen Ihnen, klug wie die Schlangen zu sein und nichts zu thun, ohne vorher Ihre Erlaubnis eingeholt zu haben.«
»Wenn Sie den festen Willen haben, diesem Versprechen nachzukommen, so will ich mich erbitten lassen, doch muß vorher erst noch zweierlei geschehen. Sie unterzeichnen einige Zeilen, welche ich mir für den Gebrauchsfall in mein Buch notiere, des Inhalts, daß Sie nicht die mindeste Ursache haben, Winnetou und mir Vorwürfe zu machen, sondern uns als Ihren Lebensrettern vielmehr zu Dank verpflichtet sind.«
»Die Unterschrift sollen Sie haben. Und was ist das zweite?«
»Daß Sie sich auch an Wiinnetou wenden. Bisher haben Sie nur mich gebeten, Sie freizugeben; er hat aber darüber ebensogut zu bestimmen wie ich.«
Sie folgten dem Winke; der Apatsche antwortete ihnen nicht, sondern sagte, sich in wegwerfendem Tone an mich richtend:
»Die Bleichgesichter sind wie die Flöhe, welche keinen Nutzen bringen und auch niemandem zu schaden vermögen und denjenigen, an dem sie hangen, nur belästigen. Wenn Old Shatterhand solch Ungeziefer mit sich schleppen will, so ist das seine Sache. Der Häuptling der Apatschen hat nichts dagegen.«
Darauf löste ich ihnen die Riemen. Daß sie doch wirklich Angst gehabt hatten, zeigte sich jetzt, als sie meine Hände ergriffen, um sich zu bedanken. Ich hatte nicht nötig, sie von mir abzuwehren, denn ihre Dankesbezeugungen wurden von anderer Seite unterbrochen, von einer Seite, an welche ich jetzt am allerwenigsten gedacht hätte. Nämlich genau an derselben Stelle, an welcher ich gestern mit Winnetou den Tümpel erreicht hatte, teilte sich jetzt das Gebüsch, und wen sahen wir? Den jungen Mimbrenjo, den ich fortgeschickt hatte, um die fünfzig Krieger, welche sich bei den Herden befanden, zu benachrichtigen. Da er so schnell zurückkehrte, mußte etwas, und zwar nichts Gutes geschehen sein. Er reichte seinem Bruder die Hand und meldete dann, sich an Winnetou und mich wendend:
»Meine beiden großen Brüder haben so deutliche Spuren hinterlassen, daß ich ihnen leicht zu folgen vermochte. Leider wurde es gestern dunkel, ehe ich diesen Ort zu erreichen vermochte, und ich mußte, um die Fährte nicht zu verlieren, den Morgen kurz vor dem Ziele erwarten.«
»Mein junger Bruder,« antwortete ich, »muß kurz, nachdem er uns verlassen hatte, wieder umgekehrt sein, um uns nachzureiten. Ich sandte ihn seinen Brüdern entgegen. Warum hat er den Auftrag nicht ausgeführt?«
»Er hat ihn ausgeführt. Wie könnte er es wagen, gegen die Befehle Old Shatterhands und Winnetous zu handeln! Ich bin auf meine Brüder getroffen und habe sie mitgebracht.«
»Unmöglich! Die Herden können, da sie so langsam gehen, nach meiner Berechnung frühestens morgen bei der Hazienda eintreffen.«
»Unsere Krieger konnten eher kommen, weil sie die Herden verlassen mußten. Sie sind von den Yumas überfallen worden.«
»Was? Es scheint, die Gegend wimmelt geradezu von Yumaschwärmen. Wir hatten den ›großen Mund‹ mit seinen Leuten; droben in Almaden alto stehen dreihundert, und nun giebt es einen dritten Trupp, welcher die Herden überfallen hat! Das ist doch sonderbar!«
»Old Shatterhand wird es noch weit sonderbarer finden, daß der ›große Mund‹ sich bei dem Trupp befunden hat.«
»Der ›große Mund‹?« fragte ich beinahe erschrocken. »Der befindet sich doch in den Händen deines Vaters und soll nebst den andern gefangenen Yumas nach den Weideplätzen der Mimbrenjos transportiert werden!«
»So war es; aber es ist ihm jedenfalls gelungen, sich frei zu machen. Dann hat er mit vielen Yumakriegern die Herden überfallen.«
»Die Treiber haben sich natürlich gewehrt?«
»Nur kurze Zeit. Sie zählten nur fünfzig, und der ›große Mund‹ hatte mehrere hundert Krieger bei sich. Einige Mimbrenjos wurden getötet und mehrere verwundet; sie sahen ein, daß Widerstand zu nichts führen könne, und ergriffen die Flucht nach der Hazienda, wo sie Old Shatterhand und Winnetou wußten. Darum sind sie viel eher dort angekommen, als mein großer, weißer Bruder gedacht hat.«
»Warum sind sie nach dieser Richtung geflohen und nicht nordwärts, wo sie deinen Vater wußten?«
»Weil der ›große Mund‹ ihnen den Weg verlegte; weil sie annehmen mußten, daß es nun sehr fraglich sei, ob sie meinen Vater treffen würden, und weil sie nach der Hazienda nicht soweit hatten, wie zu ihm. Auch glaubten sie, von Old Shatterhand und Winnetou notwendig gebraucht zu werden. Ich traf schon am Walde der großen Lebenseiche auf sie und kehrte schnell um, sie meinen beiden berühmten Brüdern nachzubringen. Sie harren unten am Waldesrande, wo die Fährte, welcher wir gefolgt sind, unter die Bäume tritt. Ich vermutete den ersten Yumaposten hier und schlich voran, ihn zu erkundschaften.«
»So weiß man also nicht, auf welche Weise der ›große Mund‹ frei geworden ist?«
»Nein.«
»Dann kann es mit deinem Vater und seinen Kriegern schlimm stehen. Wer weiß, in welcher Gefahr er sich befunden hat und noch befindet. Ihr seid doch wohl so klug gewesen, einige Leute abzusenden, um dies zu erkunden?«
»Ja. Zwei sind fort, um meinen Vater aufzusuchen, und zwei andere sind nach unsern Weideplätzen, um dafür zu sorgen, daß sich schnell zweihundert frische Krieger hinauf nach Almaden alto aufmachen. Hätten wir noch mehr thun sollen?«
»Nein. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen und bei der Eile, welche nötig ist, habt ihr genug gethan. Hol deine Krieger herbei! Sie kommen mir wie gerufen, obgleich der Grund der Schnelligkeit für uns jedenfalls ein betrübender ist.«
Keiner unserer Gefangenen hatte ein Wort des Gespräches gehört, da wir, wie sich ganz von selbst versteht, in vorsichtiger Entfernung von ihnen gestanden hatten. Jetzt blickte ich Winnetou an, und er sah mich an. Ich hatte in Gegenwart des Knaben keinen Vorwurf aussprechen wollen; jetzt aber, als dieser fort war, nahm das Gesicht Winnetous den allerstrengsten Ausdruck an, den ich jemals bei ihm beobachtet hatte, und er sagte:
»Der ›starke Büffeh ist wert, aus der Reihe der Häuptlinge gestoßen zu werden! Kann Old Shatterhand das, was er gehört hat, für möglich halten?«
»Eigentlich nicht, aber unser Freund hat es doch ermöglicht. Wie zornig machte ihn der Gedanke, daß ich den ›großen Mund‹ entkommen lassen wolle! Und nun ist er ihm selbst entflohen!«
»Mein Bruder mag dazu nehmen, daß die Yumas alle gefesselt waren und keine Waffen hatten.«
»Und daß sie von über hundert Mimbrenjokriegern bewacht wurden! Und doch ist der vornehmste und für uns wichtigste von ihnen entkommen!«
»Vielleicht er nicht allein!«
»Ja, es ist sogar wahrscheinlich, daß alle seine Leute mit ihm befreit worden sind. Da er den Herden mit einer überlegenen Anzahl nachgefolgt ist, muß man vermuten, daß eine bedeutende Schar von Yumas auf die Mimbrenjos gestoßen ist, natürlich zufällig, und die Gefangenen befreit hat.«
»So mußte sich der ›starke Büffel‹ bis auf den letzten Mann wehren!«
»Und den ›großen Mund‹ lieber töten, als ihn entkommen lassen! Wir werden den gefährlichen Gegner nun bald wieder zu sehen bekommen. Er kann sich sagen, wohin wir wollen, und wird uns entweder unverweilt folgen oder gar von da aus, wo er auf die Herden getroffen ist, den geraden Weg hinauf nach Almaden einschlagen. Da wir unser so wenig sind, müssen wir ihm zuvorzukommen suchen. Jeder einzelne von uns hat für zehn zu gelten, und was wir nicht durch Gewalt erreichen können, müssen wir durch doppelt scharfe List zu erlangen trachten.«
Jetzt kamen die Mimbrenjos. Ich zählte vierzig. Einige von ihnen waren verwundet; da vier von ihnen als Boten unterwegs waren, hatten sie bei dem Zusammentreffen mit dem »großen Munde« sechs Tote verloren. Sie begrüßten uns stumm, schienen überhaupt sehr kleinlaut zu sein und Vorwürfe von uns zu erwarten; wir enthielten uns aber derselben, welche doch nichts nützen konnten, und ließen uns nur erzählen, wie es bei dem Überfalle zugegangen war. Sie hätten sich, trotzdem sie von einer solchen Übermacht angegriffen worden waren, wohl länger gewehrt, hatten sich aber klugerweise gesagt, daß mir ihre gesunden Glieder nützlicher sein würden, als den Feinden ihr Tod. Sie verdienten keinen Tadel; die Schuld traf ihren Häuptling ganz allein. Zwar wußten wir nicht, unter welchen Umständen ihm der »große Mund« entkommen war, aber es stand doch fest, daß er ihn auf keinen Fall hätte entfliehen lassen dürfen.
Am liebsten wäre ich jetzt gleich nach der Fuente aufgebrochen; aber wir mußten vorher den »schnellen Fisch« erwarten und festnehmen. Wir konnten es allerdings auch so einrichten, daß wir unterwegs auf ihn trafen, aber da hätte er uns von weitem sehen und uns entgehen können. Ich schickte also den jungen Yumatöter hinunter nach der Stelle, an welcher ich gestern mit Winnetou die beiden Boten festgenommen hatte; er konnte dort weit ostwärts blicken und sollte, sobald er die Erwarteten sah, uns sofort benachrichtigen.
Diese zählten sechs Mann. Da ich sie weder töten noch verwunden und auch ihre Pferde unverletzt haben wollte, so war mir die so unerwartete Ankunft der vierzig Mimbrenjos außerordentlich gelegen. Ich konnte den »schnellen Fisch« mit einer solchen Übermacht empfangen, daß ihm der Gedanke an Gegenwehr sogleich vergehen mußte.
Es war wohl gegen neun Uhr vormittags, als der Yumatöter gelaufen kam, um zu melden, daß er sechs Reiter gesehen habe. Ich machte mich mit fünfzehn Mimbrenjos die Höhe hinunter und legte mich mit ihnen in den Hinterhalt. Wir sahen die sechs im Trabe näher kommen. Als sie den Fuß der Höhe erreichten, ließen sie ihre Pferde langsamer gehen, was uns die Ausführung unserer Absicht erleichterte. Wir drangen von beiden Seiten aus den Büschen auf sie ein, rissen sie von den Pferden und nahmen ihnen die Waffen ab, noch ehe sie recht wußten, wie ihnen geschah. Dann wurden sie nach dem Tümpel geschafft, dessen von Bäumen und Sträuchern freie Ufer kaum Platz für so viele Menschen hatten, wie jetzt hier beisammen waren.
Die schon früher gefangenen Yumas erhoben ein Wehegeheul, als wir die sechs zu ihnen brachten. Der »schnelle Fisch« war noch jung und mußte sich schon ausgezeichnet haben, da ihm ein so wichtiger Posten anvertraut worden war. Er kannte mich nicht; als er aber Winnetou erblickte, ging ein sichtbarer Schreck über sein Gesicht, und er rief aus:
»Der Häuptling der Apatschen! Man hat mir doch gesagt, daß er unten bei der Hazienda del Arroyo zu finden sei!«
Winnetou antwortete in ironischer Höflichkeit:
»Meint der ›schnelle Fisch‹, daß der Häuptling der Apatschen Ackerbauer und Viehzüchter geworden sei und seine Wohnung für immer in einer Hazienda oder Estanzia aufgeschlagen habe? Ich hörte, daß der ›Fisch‹ von meiner Anwesenheit benachrichtigt worden sei und mich sehen wolle; da er nun ein so berühmter Krieger ist, habe ich es für meine Pflicht gehalten, ihm den weiten Weg zu ersparen, und bin heraufgekommen, ihn zu begrüßen. Er mag zugleich meinen Bruder Old Shatterhand kennen lernen, welcher da neben mir steht.«
Der Yuma fuhr zurück, betrachtete mich mit großen Augen und rief, die einzelnen Silben auseinander ziehend:
»Das – ist – Old – Shat – ter – hand?! Ist er denn nicht Gefangener des ›großen Mundes‹, unsers obersten Häuptlings?«
»Wie du siehst, bin ich nicht gefangen,« antwortete ich. »Der ›große Mund‹ trägt seinen Namen mit vollem Rechte: Sein Mund ist groß, und seine Worte klingen erhaben, aber Old Shatterhand vermag er samt seinen hundert Yumas nicht zu halten. Ich bin ihm entkommen und habe ihn dann selbst gefangen genommen.«
Ich hielt es natürlich nicht für nötig, ihm mitzuteilen, daß der ›große Mund‹ inzwischen wieder entkommen war. Meine Worte mußten ihn erschrecken, und er fragte:
»Der Häuptling ist gefangen? Wo befindet er sich?«
»In den Händen des ›starken Büffels‹, eures Todfeindes, der ihn und alle Yumakrieger, die wir ergriffen haben, nach den Weideplätzen der Mimbrenjos schafft, wo sie am Marterpfahle sterben werden. Wir aber sind indessen in die Berge geritten, um den ›schnellen Fisch‹ kennen zu lernen. Ich wollte zu ihm gehen, um mich ihm zu zeigen; da er aber so freundlich gewesen ist, zu uns zu kommen, so können wir ihm unsere Huldigungen schon hier erweisen und werden ihm dann das Ehrengeleite zurück nach der Fuente de la Roca geben.«
Ja, wir konnten nun nach der Felsenquelle aufbrechen, da wir hier nichts mehr zu thun hatten und Eile überhaupt not that. Je eher es uns gelang, die Emigranten zu befreien, destoweniger lang hatten sie zu leiden. Freilich, ob mir mit meinen wenigen Mimbrenjos diese Aufgabe gelingen würde, das war mehr als zweifelhaft. Wir hatten noch drei Posten zu je fünf Mann und dazu die an der Fuente befindlichen Yumas aufzuheben. Selbst wenn uns dies gelang, hatten wir dann mehr Gefangene zu bewachen, als wir selbst zählten, und sollten es dann noch mit Melton, den beiden Wellers und den dreihundert Yumas, welche in Almaden alto standen, aufnehmen. Das war weit mehr, als man von Menschen erwarten konnte; aber ich hatte meinen Winnetou bei mir, welcher wirklich, wie gesagt worden war, für hundert zählte, verließ mich, wie auch schon erwähnt, auf mein gutes Glück und hielt es trotz der eingetretenen ungünstigen Umstände doch für nicht unmöglich, daß die zur Hilfe gerufenen Mimbrenjos noch rechtzeitig eintreffen würden.
Bei der Minderzahl, in welcher wir uns befanden, mußten wir unsere Zuflucht zunächst und vor allen Dingen zur List nehmen, und da richtete ich mein Augenmerk auf den Player, dessen Charaktereigenschaften ein Verrat an seinen Genossen recht wohl zuzutrauen war. Wenn ich ihm unsere Nachsicht in Aussicht stellte, stand zu erwarten, daß er dieses Mittel zu seiner Befreiung gern ergreifen werde. Da durfte ich ihn nun freilich nicht mit den gefangenen Yumas verkehren lassen, da diese ihn gewiß abgehalten hätten, mir zu Willen zu sein. Ich richtete es also so ein, daß er, als wir aufgebrochen waren, von ihnen abgesondert ritt und den Yumatöter als Wächter bei sich hatte.
Es waren eigentlich nur vier Personen, auf welche ich mich vollständig verlassen konnte, Winnetou, ich und die beiden Söhne des starken Büffels. Von den andern Mimbrenjos stand zwar auch zu erwarten, daß sie ihre Schuldigkeit nach Kräften thun würden, aber zu diesen Kräften hatte ich eben kein rechtes Vertrauen; ich zweifelte daran, daß sie der Aufgabe, welche wir zu lösen hatten, vollständig gewachsen seien, und betrachtete sie, wenn auch nicht gerade als Statisten, so doch als Leute jener unselbständigen Art, welche nur das zu thun pflegen, worauf man sie mit der Nase stößt. Es waren alte Krieger unter ihnen, doch schienen dieselben nicht die Intelligenz zu besitzen, welche ich nach den Erfahrungen, die ich gemacht hatte, dem soviel jüngeren Yumatöter und seinem Bruder zutraute. Und was nun gar den Haziendero, den Juriskonsulto und dessen Polizisten betraf, so war ich überzeugt, daß ihre Gegenwart uns eher hinderlich als förderlich sein werde.
Es fiel uns natürlich nicht ein, die Yumas nach dem Wege zu fragen; sie durften überhaupt nicht wissen, wieweit wir unterrichtet waren und in welchen Beziehungen wir uns in Ungewißheit befanden. Winnetou kannte die Fuente und ihre Umgebung und schlug sicher den geradesten Weg nach derselben ein. Er mochte meine Gedanken aus den Blicken erraten, die ich von Zeit zu Zeit vorwärts warf, denn er sagte bei einer solchen Gelegenheit zu mir:
»Mein Bruder braucht keine Sorge zu haben, daß wir die Fuente verfehlen werden. Ich treffe sie so gewiß, wie meine Kugel ihr Ziel zu finden pflegt: ohne daß wir einen einzigen Schritt des Umweges machen.«
»Davon bin ich fest überzeugt. Jedoch fragt es sich, ob wir zur wünschenswerten Zeit dort ankommen, weil wir unsern heutigen Ritt so spät beginnen konnten.«
»Old Shatterhand mag sich auch in dieser Beziehung beruhigen. Wir kommen zwar erst des Nachts dort an, aber das ist doch besser, als wenn wir die Felsenquelle schon am Tage erreichten, wo wir gesehen werden könnten. In der Dunkelheit bleibt unser Nahen unbemerkt, und wir werden die Yumas so vollständig überraschen, daß uns keiner entgehen und die Kunde von unserer Anwesenheit weitertragen kann.«
Der Weg war sehr bequem; er führte stundenlang über einen weiten Llano, welcher mit kurzem Grase bewachsen war. Dunkle Streifen, die bald im Norden und bald im Süden am Horizonte erschienen, deuteten an, daß der Llano mit Wald eingefaßt war. Der Boden hatte die nötige Feuchtigkeit, um Gras hervorzubringen, doch kamen wir an keinem fließenden oder stehenden Wasser vorüber.
Zur heißesten Tagesstunde wurde angehalten, um die Pferde verschnaufen und weiden zu lassen; dann ging es weiter. Obgleich man es nicht sehr bemerkte, stieg der Llano immer bergan, bis er an einem Laubwalde endete, welcher die Lehnen sanfter Höhen umsäumte. Wir ritten zwischen denselben empor; sie bildeten sich zu Bergen aus, welche mit dichtem Nadelholz bestanden waren. Die Thäler, durch welche wir kamen, wurden von kleinen Bächen durchflossen und verwandelten sich infolge der zunehmenden Steilheit der anliegenden Höhen in Schluchten, in denen es schon düster war, als die Spitzen der Berge noch im Abendrote erglänzten.
Nun mußten wir langsamer reiten als bisher. Winnetou war als Führer an unsrer Spitze. Es trat vollständige Dunkelheit ein; aber er leitete uns mit solcher Sicherheit, daß die Finsternis uns nur dadurch beschwerlich wurde, daß wir unsere Gefangenen nun mit doppelter Aufmerksamkeit zu bewachen hatten.
Wohl drei Stunden waren seit der Dämmerung vergangen, da hielt er an einem Wasser an, welches in einem breiten und sehr bequem zu passierenden Thale floß. Ich hatte den letzten des Zuges gemacht und ritt nun vor zu ihm, da ich mir sagte, daß wir wahrscheinlich in der Nähe der Felsenquelle angekommen seien. Als ich ihn erreichte, sagte er:
»Mein Bruder wird bemerkt haben, daß dieses Thal nach Norden streicht, während die Fuente und auch Almaden östlich liegen. In einiger Entfernung von hier aber führt ein Seitenthal nach rechts, also aus Osten; aus diesem kommt das Wasser, an welchem wir uns befinden; dort entspringt es zwischen Felsen, und darum wird die Stelle, an welcher es aus den Steinen tritt, die Fuente de la Roca genannt. Die Feinde werden dort alle beisammen sein, denn es steht nicht zu erwarten, daß sie bei der gegenwärtigen Finsternis noch umherschweifen. Wir müssen unsre Gefangenen hier zurücklassen, denn nähmen wir sie weiter mit, so könnten sie auf den Gedanken kommen, uns durch Rufen und Schreien zu verraten. Was bestimmt nun mein Bruder, was geschehen soll? Sollen gleich soviele Mimbrenjos, als wir zur Überwältigung der Gegner brauchen, mitgehen, oder hält er es für besser, daß ich mich erst einmal allein anschleiche, um zu erfahren, wie wir den Überfall am besten vorzunehmen haben?«
»Das letztere wird das bessere sein. Mein Bruder Winnetou mag erst auf Kundschaft gehen. Wieweit ist die Felsenquelle von hier entfernt?«
»In einer Viertelstunde bin ich dort und kann also in einer ganzen Stunde recht gut wieder zurück sein.«
Er stieg vom Pferde, übergab mir seine Silberbüchse und verschwand in der Dunkelheit. Wir andern stiegen natürlich ab, nahmen die Gefangenen von den Pferden und legten sie nebeneinander, weil sie so besser beaufsichtigt werden konnten. Als ich mich niedergesetzt hatte, kam der Juriskonsulto zu mir und sagte:
»Ich habe bemerkt, daß der Apatsche fort ist. Wohin ist er gegangen, Sennor?«
»Nach der Fuente.«
»Was will er dort?«
»Er will sich an die Yumas schleichen, um zu erfahren, wie wir sie zu fassen haben.«
»Das ist doch überflüssig! Wenn wir gleich hingeritten wären, so hätten wir sie sicher überrumpelt; so aber befürchte ich, daß sie ihn bemerken und uns entwischen.«
»Ihre Befürchtung ist vollständig überflüssig. Sie werden ihn ebensowenig bemerken, wie die Mitternacht den Mittag zu sehen bekommt.«
»Wer hat denn eigentlich bestimmt, daß er vorangehen soll?«
»Er und ich natürlich.«
»Das finde ich weniger natürlich, Sennor. Er ist ein Indianer, der nichts gilt; Sie sind zwar ein Weißer, aber fremd hier zu Lande. Dagegen bin ich ein Vertreter der hiesigen Obrigkeit und muß, wenn es sich um die Ergreifung von roten Verbrechern handelt, verlangen, daß nichts ohne mein Wissen und meine Genehmigung unternommen wird. Sie hätten mich also vorher fragen sollen!«
»Meinen Sie? Da passen wir freilich nicht gut zusammen, denn ich pflege zu handeln, ohne viel zu fragen.«
»Das bitte ich, zu ändern! Ich ersuche Sie sehr, immer an meine Würde zu denken und mich nicht nur um Rat, sondern, wie es ganz selbstverständlich ist, um meine Erlaubnis zu fragen, ehe Sie eine Bestimmung treffen, welche von Amts wegen von mir und nicht von einem andern auszugehen hat!«
»Hm! Sie führen da eine sonderbare Sprache, Sennor. Ihr Amt geht, trotzdem sie sich in Uniform befinden, mich ganz und gar nichts an. Was Ihre Würde betrifft, so habe ich von derselben keine Spur bemerkt, als Sie als Gefangener und halb Verlorener am Baume hingen. Sie werden unserer Hilfe bedürfen, nicht aber wir Ihrer Befehle. Das klügste, was Sie thun können, ist schweigen. Da haben Sie meine Anwort!«
»Mit welcher ich mich unmöglich beruhigen kann, Sennor! Wenn Sie sich einbilden, unser Kommandant zu sein, so – – –«
»Schweigen Sie!« unterbrach ich ihn in strengem Tone. »Ich bilde mir allerdings ein, nebst Winnetou hier Kommandant zu sein. Ist Ihnen das nicht recht, so kehren Sie gefälligst um, und reiten Sie dorthin zurück, woher Sie gekommen sind! Sie meinen, sich mit meiner Entscheidung nicht beruhigen zu können? Wenn Sie sich nicht augenblicklich auf die Schöße Ihrer Uniform setzen und sich dann still verhalten, laß ich Sie binden. Dann können Sie, wenn wir fort sind, Befehle erteilen, soviel Sie wollen und an wen Ihnen beliebt!«
Das wirkte. Er ging zu seinem Haziendero und setzte sich bei ihm nieder. Sich jetzt noch laut zu widersetzen, das wagte er nicht, doch hörte ich ihn mißmutig vor sich hinbrummen. Dieses Vergnügen konnte ich ihm gönnen.
Es währte nicht so lange, wie Winnetou angenommen hatte. Noch waren nicht drei Viertelstunden vergangen, so kehrte er zurück und meldete:
»Es sitzen vierzehn Yumas an der Quelle; zwanzig sind es gewesen; fünf und den ›schnellen Fisch‹ haben wir ergriffen, folglich sind sie alle beisammen.«
»Wird ihr Ergreifen leicht oder schwer sein?«
»Leicht. Sie dünken sich sicher und haben ihre Waffen zur Seite liegen. Die Pferde weiden abwärts von dem Quell am Wasser.«
»So müssen wir an ihnen aufwärts vorüber. Werden sie uns nicht wittern?«
»Nein, denn die Luft steht in dem Thälchen still, und wir gehen am andern Ufer. Ich werde euch so führen, daß wir sie einschließen, ohne daß sie es bemerken.«
Wir suchten uns fünfundzwanzig Mimbrenjos aus, welche ihre Gewehre mitzunehmen hatten, da die Yumas mit den Kolben niedergeschlagen werden sollten. Die übrigen blieben mit den jungen Häuptlingssöhnen und unsern famosen weißen Begleitern aus Ures zurück, um die Gefangenen zu bewachen.
Indem wir am Wasser aufwärts schritten, bildeten wir eine Einzelreihe. Jeder Nachfolgende ging hart hinter seinem Vordermanne, damit wir die Fühlung nicht verlieren möchten. Bald kamen wir in das rechts abbiegende Nebenthal und mußten nun höchst vorsichtig sein. Jeder legte die Rechte auf die Schulter seines Vorangehenden und hielt sich mit der Linken von den Bäumen ab, an denen wir vorüberkamen. Der Schein eines Feuers glänzte uns entgegen. Über dem Wasser drüben hörten wir die Pferde stampfen.
Wir schritten nicht gerade auf das Feuer zu, sondern wurden von Winnetou in einem Bogen geführt. Als wir dann die Fuente erreichten, sahen wir, daß der Ort für unsern Zweck gar nicht geeigneter sein konnte. Der Felsen spaltete sich zu einer Nische, in deren Hintergrund der Quell aus dem Gesteine hervorsprudelte. Das Feuer brannte vor der Nische; die Indianer aber saßen in der Nische selbst, außer dreien, welche mit braten beschäftigt waren. Wir brauchten also nur die drei niederzuschlagen; die andern elf waren uns sicher, wenn wir uns vor der Nische, aus der es der Höhe der Felsen wegen kein Entrinnen gab, aufstellten. Ihre Waffen lagen in einem Haufen vor der Nische.
Ich befahl, einen Halbkreis zu bilden, die drei am Feuer Winnetou und mir zu überlassen, und sprang, als der Befehl leise von einem zum andern gegangen war, vorwärts. Wir hatten nur wenige Schritte zu thun. Als die Yumas das Geräusch unserer Füße hörten, waren sie auch schon eingeschlossen, und mein und Winnetous Kolben trafen die drei Roten so, daß dieselben zusammenknickten.
Die andern sprangen erschrocken auf, um aus der Nische hervor und nach ihren Waffen zu eilen, erkannten aber, daß dies unmöglich war, denn wir standen vor derselben und hielten ihnen mehr als zwanzig Gewehrläufe entgegen. Die kurze Verhandlung, welche wir mit ihnen führten, braucht nicht des näheren geschildert zu werden; sie mußten sich ergeben und wurden mit ihrem eigenen Riemenzeuge gebunden.
Hier an der Fuente befand sich, wie wir gewußt hatten und nun auch sahen, der Hauptposten von den fünf, welche zwischen der Hazienda und der Almaden alto gelegt waren. Wir fanden in der Nische mehrere Ledersäcke, welche mit Proviant und allem gefüllt waren, was für Indianer zu einem längeren Aufenthalte nötig ist. Der Ort selbst war in jeder Beziehung, außer für den Zweck der Verteidigung, gut gewählt. Wozu die Posten eigentlich gelegt waren, konnten wir uns denken, wenn ihr Zweck auch ein mehr zukünftiger als gegenwärtiger war. Auf dieser Linie sollte nämlich die Ausbeute des Quecksilberbergwerkes über die Hazienda nach Ures und von dort aus alle Bedürfnisse für Almaden zurücktransportiert werden; die Posten hatten für die Sicherheit des Weges zu sorgen.
Als wir uns im Besitze der Quelle befanden, ging Winnetou zurück, um die andern zu holen. Nach Verlauf einer Stunde waren sie bei uns. Es gab selbstverständlich lebhafte Scenen, welche für uns teils unangenehm, teils heiter waren, aber keine Bedeutung hatten, weshalb ihre Schilderung besser unterlassen bleibt.Wir schliefen tüchtig, die Wachen natürlich ausgenommen, und brachen am nächsten Morgen zeitig auf.
Nun befanden wir uns eigentlich in einer kleinen Verlegenheit. Niemand von uns war in Almaden gewesen, und die Yumas wollten wir nicht fragen. Wir hätten sie zwar zwingen können, uns zu führen, wären dabei aber jedenfalls auf Hinterlist und Hartnäckigkeit gestoßen. Man wird sagen: Der Haziendero hat doch jedenfalls den Weg nach seiner Besitzung gekannt. Ja, das ist richtig; aber wir wollten ihm auch nicht eine Spur von Unsicherheit merken lassen. Sobald wir ihm nur das Geringste zu danken hatten, stand zu erwarten, daß er und sein Juriskonsulto wieder in ihr altes Wesen zurückfallen würden. Zudem glaubte ich, mich auf den Player besser, als auf ihn verlassen zu können. Dieser war, sozusagen, als Spion oben in Almaden gewesen und hatte die Gegend jedenfalls in einer für seine Zwecke dienlichen Weise durchsucht; für meinen Zweck kannte er sie wahrscheinlich also genauer, als der Haziendero, und es zeigte sich auch in der Folge, daß ich da ganz richtig vermutet hatte.
Für den ersten Teil des Rittes brauchten wir keine Erkundigungen einzuziehen; es verstand sich ganz von selbst, daß unser Weg von der Fuente aus thalaufwärts führte, und wohin wir uns, wenn das Thal zu Ende war, zu wenden hatten, das konnte ich dem Scharfsinne Winnetous überlassen, welcher voranritt. Für die spätere Strecke mußte ich dadurch sorgen, daß ich den Player ausforschte.
Um diesen willig zu machen, mir Aufklärung zu erteilen, war es notwendig, ihn in Angst zu versetzen. Ich hatte den Yumatöter, welcher stets neben ihm ritt, davon unterrichtet, und gesellte mich, scheinbar absichtslos, im Laufe der ersten Viertelstunde zu ihm. Da der junge Indianer zwar den gebräuchlichen Mischdialekt sprach, aber dabei weniger indianische Ausdrücke anwendete als andere, so konnte der Player recht gut verstehen, was zwischen uns beiden gesprochen wurde. Als wir eine kleine Weile schweigend nebeneinander geritten waren, fragte mich der Yumatöter:
»Wird mein berühmter weißer Bruder erlauben, daß ich zu ihm spreche, obgleich ich ein so junger Krieger bin?«
»Mein roter Bruder mag getrost sagen, was er zu sagen hat,« antwortete ich.
»Die Krieger der Mimbrenjos, meine Brüder, sind zu Hunderten mit ihren tapfersten Häuptlingen ausgezogen, um droben in Almaden auf uns zu treffen. Denkt Old Shatterhand, daß sie schon dort sein werden, wenn wir bei dem Bergwerke ankommen?«
Mit voller Absicht erzählte der junge Indianer, daß uns unsere Verbündeten erwarteten; der Player sollte wissen, daß wir Hilfsmittel genug besaßen, unsere Absichten ins Werk zu setzen.
»Nein,« erwiderte ich. »Sie sind noch nicht dort.«
»Aber sie sind doch zu gleicher Zeit mit uns aufgebrochen und haben nicht so weit wie wir!«
»Der Yumatöter muß sich sagen, daß sie vor unserer Ankunft doch nichts unternehmen dürfen. Wenn sie sich aber den dreihundert Yumas, welche droben in Almaden sind, zeigen wollten, so würde augenblicklich der Kampf beginnen, welcher nur unter Winnetous und meiner Führung stattfinden soll. Das aber könnte alles verderben.«
»Verderben? Die hunderte Mimbrenjos werden die dreihundert Yumas doch leicht besiegen. Oder zweifelt Old Shatterhand daran?«
»Nein; es ist gar nicht möglich, Zweifel zu hegen. Erstens sind deine Brüder den Feinden in Beziehung auf ihre Zahl doppelt überlegen, und zweitens besitzen sie alle Schießwaffen, was ich von den Yumas nicht annehmen kann. Die letzteren müssen also unbedingt unterliegen.«
»So meine ich, daß unsere Krieger die Erlaubnis haben sollten, sofort anzugreifen, auch wenn wir uns noch nicht bei ihnen befinden.«
»Mein junger Bruder muß bedenken, welchen Zweck ich verfolge. Ich will Melton und die beiden Wellers fangen; ich werde sie ganz gewiß ergreifen, wenn die Mimbrenjos nach unserer Verabredung handeln. Greifen sie aber eher an, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die drei für mich sehr wichtigen Personen die Flucht ergreifen.«
»Sie werden von den Mimbrenjos daran gehindert werden.«
»Ja, das sollte man zwar meinen, ist aber nicht so sicher, wie mein junger Bruder denkt. Die drei Weißen werden sich hüten, sich am Kampfe zu beteiligen und dadurch ihr Leben in Gefahr zu bringen. Sie werden sich vielmehr aus dem Bereiche der Gefahr ziehen und von weitem, in Sicherheit, den Ausgang des Kampfes abwarten. Sehen sie, daß derselbe für sie ungünstig enden will, so reiten sie fort, und wir haben das Nachsehen.«
»Kann das nicht auch geschehen, wenn Old Shatterhand und Winnetou sich dabei befinden?«
»Nein, denn wir werden so klug sein, uns schon vor dem Kampfe der drei Bleichgesichter zu versichern. Sie ahnen nichts von unserer Annäherung, halten sich also nicht versteckt und werden uns offen und ahnungslos in die Hände laufen. Darum habe ich den Mimbrenjos den Befehl gegeben, sich, bis wir zu ihnen stoßen, in solcher Entfernung von Almaden zu halten, daß ihre Anwesenheit dort nicht bemerkt werden kann. Nach unserer Ankunft werden wir sofort reine Arbeit machen.«
Damit war unser Gespräch beendet, und es kam nun darauf an, ob es die gewünschte Wirkung auf den Player hervorgebracht hatte. Er blickte in düsterem Sinnen vor sich nieder und schien höchst bedenklich geworden zu sein. Es fiel mir nicht ein, ihn anzureden; er mußte selbst anfangen. Und das that er schon nach kurzer Zeit, indem er sich in englischer Sprache fragend an mich wendete:
»Master, wollt Ihr mir vielleicht sagen, ob der Yumatöter englisch versteht?«
»Vielleicht einige wenige Worte, mehr nicht,« antwortete ich.
»Dann erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ich gehört habe, was Ihr jetzt gesagt habt. Welchen Grund habt Ihr denn eigentlich, Euch so feindlich zu uns zu stellen?«
»Das könnt Ihr noch fragen? Master Player, nehmt es mir ja nicht übel, wenn ich diese Eure Frage für thöricht halte.«
»Habe ich Euch jemals etwas gethan?«
»Nein; aber mit euern Kollegen habe ich eine tüchtige Rechnung auszugleichen. Die Quittung werde ich ihnen mit einigen Kugeln geben.«
»Und ich? Was gedenkt Ihr dann mit mir zu thun?«
»Das kann ich jetzt noch nicht wissen. Ich muß erst erfahren, wie groß der Anteil ist, den Ihr an der Vergewaltigung meiner Landsleute habt.«
»Und wenn ein solcher Anteil nun vorhanden wäre?«
»Das würde Euch auch einen guten und wohlgezielten Schuß eintragen.«
»Alle Wetter! Wer hat Euch denn zum Richter über mich bestellt?«
»Ich selbst. Es ist aber gar nicht nötig, daß ich die Entscheidung fälle, welche Euch das Leben kosten wird. Die Auswanderer sind es, an denen Ihr Euch vergangen habt; ich liefere Euch ihnen aus und bin überzeugt, daß sie wenig Federlesens mit Euch machen werden. Oder denkt Ihr etwa, Nachsicht von ihnen erwarten zu dürfen?«
»Wenn ich in ihre Hände gerate, bin ich allerdings verloren. Aber wer zwingt Euch denn, mich ihnen auszuliefern?«
»Niemand; es ist mein Entschluß, mein freier Wille. Ich kann Euch ihnen ausliefern oder aber Euch auch laufen lassen, ganz wie es mir beliebt.«
»So möchte ich Euch bitten, letzteres zu thun!«
»Euch die Freiheit geben? Was fällt Euch ein!«
Ich machte dabei eine energische Armbewegung, welche ihm sagen sollte, daß daran nicht zu denken sei. Er kaute eine Weile an der Unterlippe und fuhr dann fort:
»Master, ich habe oft und viel von Euch gehört, und bei allem, was man über Euch redet und von Euch erzählt, steht die Menschlichkeit obenan, mit welcher Ihr selbst den ärgsten Feind behandelt. Wie kommt es da, daß Ihr diese schöne Eigenschaft nicht auch jetzt, gegen mich, in Anwendung bringen wollt?«
»Pah! Ich will menschlich gegen Euch sein; aber Ihr scheint Euch einen falschen Begriff von Menschlichkeit zu machen. Menschlich ist derjenige, welcher seinen Nächsten eben als Mensch behandelt, und das thue ich allerdings. Das heißt: einen guten Menschen behandle ich gut und einen schlechten schlecht.«
»Ihr haltet mich also für schlecht?«
»Natürlich!«
»Da irrt Ihr Euch, Master! Ich bin nicht schlecht, gebe aber gern zu, daß ich leichtsinnig gehandelt habe. Ich wollte schnell ein reicher Mann werden und habe mich deshalb dem Unternehmen Meltons angeschlossen. Als ich dies that, wußte ich nicht, daß Eure Landsleute ihr ganzes Leben unter der Erde verbringen sollen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen! Ist das nicht ein Milderungsgrund?«
Ich gab mir den Anschein, als ob ich seiner Versicherung Glauben schenkte, und antwortete:
»Hm! Es ist allerdings ein Leichtsinn, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, ohne genau zu wissen, auf welche Weise dasselbe zu stande kommen soll. Es wird mir schwer, Euch eine solche Unvorsichtigkeit zuzutrauen.«
»Traut sie mir in Gottes Namen zu, Master! Ich schwöre, daß ich nur gewußt habe, daß die Deutschen im Bergwerke arbeiten sollen, daß man sie aber für immer in demselben vergraben will, davon habe ich keine Ahnung gehabt.«
»Aber als Ihr es erfuhrt, seid Ihr natürlich einverstanden gewesen?«
»Nein. Ich habe mich mit aller Gewalt dagegen gesträubt, konnte es aber leider nicht ändern. Aber ich nahm mir fest vor, ihnen später, soviel in meiner Macht stand, ihre Lage zu erleichtern.«
»So! Nun, wenn das der Fall ist, so seid Ihr allerdings nicht der schlechte Mensch, für den ich Euch gehalten habe. Habt Ihr denn eine Ahnung, was es heißt, fürs ganze Leben in einem Schachte eingesperrt zu sein?«
»Natürlich kann ich mir das denken.«
»In einem Quecksilberwerke nämlich! Dies fürchterliche Gift übt eine entsetzliche Wirkung auf den Körper aus. Wie hätten meine armen Landsleute nach einigen Jahren ausgesehen, wenn sie nicht indessen gestorben wären! Und was für einen Tod hätten sie gehabt!«
»Schiebt das nicht auf mich, Master! Der teuflische Plan ist in dem Gehirn Meltons entstanden.«
»Ihr sagt ganz richtig: teuflisch ist der Plan. Die Urheber werden aber auch eine Strafe erleiden, welche ihrem Verbrechen angemessen ist. Ich werde sie den Mimbrenjo-Indianern übergeben und sie am Marterpfahle hinrichten lassen. Die Schurken werden tagelang sterben. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
»Sie haben es verdient; ich aber sage mich von ihnen los!«
»Das ist zu spät. Der Anteil, welchen Ihr an dem Werke habt, kann nicht ungeschehen gemacht werden.«
»Er kann es, Master, er kann es, wenn Ihr nur wollt, indem ich mich auf Eure Seite stelle, indem ich Euer Verbündeter werde.«
»Ich danke für einen solchen Verbündeten!«
»Wirklich? Meint Ihr, daß ich Euch nicht von Nutzen sein kann?«
»Ich möchte wissen, in welcher Weise Ihr mir förderlich werden könntet! Die Verhältnisse liegen so, daß ich keiner Hilfe bedarf. Mein Plan ist einfach und dabei leicht auszuführen. Wir reiten nach Almaden, schießen die Yumas zusammen, nehmen die weißen Halunken gefangen und veranstalten den mit uns verbündeten Mimbrenjos ein Schauspiel mit Marterpfählen. Da Ihr so viel von mir gehört haben wollt, werdet Ihr mir wohl zutrauen, daß ich dies ohne Eure Hilfe fertig bringe.«
»Ich gebe freilich zu, daß Ihr der Mann dazu seid, auch ohne mich ans Ziel zu kommen; aber Ihr werdet dabei auf Schwierigkeiten stoßen, welche ich, falls Ihr Euch meiner Hilfe bedienen wolltet, leicht beseitigen könnte.«
»Was für Schwierigkeiten könnten das wohl sein?«
»Kennt Ihr denn den Weg hinauf nach Almaden?«
»Ich brauche ihn nicht zu kennen. Der Haziendero ist ja bei uns.«
»Kennt Ihr die Stellen, wo die drei Yumaposten liegen, die Ihr noch aufzuheben habt?«
»Wir werden sie finden.«
»Ja, ein Pfadfinder, wie Ihr seid, wird sie finden, aber nach langem Suchen. Dabei geht die kostbare Zeit verloren. Ebenso müßt Ihr in Betracht ziehen, daß Euch kein Mann entkommen darf, denn wenn es einem gelänge, Euch zu entgehen, so würde er Euch voran nach Almaden eilen und Eure Ankunft melden. Ob das weitere dann so glatt für Euch verlaufen würde, das bezweifle ich sehr. Und dann wollt Ihr, ehe es zum Kampfe kommt, Euch Meltons und der zwei Weller versichern. Ihr scheint das für sehr leicht zu halten.«
»Allerdings. Ich will gar nicht von meinen früheren Erlebnissen und Erfahrungen reden; es muß schon das, was in den letzten Tagen geschehen ist, Euch sagen, daß wir es ohne große Mühe und Gefahr durchsetzen werden.«
»Es wird Euch allerdings keine Gefahr bringen, da Ihr Meister in solchen Dingen und zumal im Anschleichen seid. Ich selbst bin ja auch in dieser Weise von Euch überrumpelt worden. Desto mehr Mühe aber wird es Euch machen, diese drei Männer zu erwischen, da Ihr nicht wißt, wo sie wohnen, wo sie sich verborgen halten.«
»Das werden wir wohl zu entdecken vermögen.«
»Vielleicht, aber wohl nur dann, wenn es zu spät ist und diejenigen, welche Ihr fangen wollt, Wind von Euch bekommen haben.«
»Ihr redet in Rätseln, Master Player. Erst sprecht Ihr vom Wohnen und dann vom Verbergen. Wie hängt das wohl zusammen? Ein Versteck ist doch keine Wohnung!«
»Gewöhnlich nicht, hier aber doch. Die drei haben den Verhältnissen nach eine ganz bequeme Wohnung; dieselbe liegt aber so versteckt, daß selbst Euer bekannter Spürsinn nicht ausreicht, sie zu entdecken.«
»Es wird Spuren geben, nach denen wir uns richten können.«
»Nein, denn die Gegend ist ganz ausnahmslos so felsig, daß es keinen Fußstapfen geben kann.«
»So legen wir uns auf die Lauer. Melton wird seine Wohnung, welche Ihr ein Versteck nennt, doch zuweilen verlassen, so daß wir ihn zu sehen bekommen.«
»Das thut er allerdings, aber nur des Nachts, weil er gewarnt worden ist. Meine Botschaft, daß ich Winnetou an der Hazienda gesehen habe, ist von Posten zu Posten weiter getragen worden und so zu ihm gekommen. Es lag zwar gar kein Grund vor, anzunehmen, daß er von unserem Unternehmen mehr wisse, als ich Euch in der Übereilung gesagt hatte; aber das war doch genug, um anzunehmen, daß er Verdacht geschöpft habe und weiter nachforschen werde. Als ich da unten mit Euch sprach, ahnte ich nicht, daß Ihr Old Shatterhand wäret, doch wußten wir, daß Winnetou von Old Shatterhand unzertrennlich ist und sehr wahrscheinlich versuchen werde, Euch zu befreien. Gelang ihm dies, so war anzunehmen, daß Ihr sofort nach Almaden aufbrechen würdet. Melton und die Weller werden sich also auf alle Fälle so verhalten, wie die Vorsicht ihnen gebietet. Sie gehen des Nachts aus. Bei dem Wege in das Bergwerk, den sie zu machen haben, ist es ganz gleich, ob sie ihn des Nachts oder am Tage thun.«
»So! Ihr kennt also den Ort, wo sie wohnen?«
»Ja.«
»Meint Ihr nicht, daß ich Euch zwingen kann, ihn mir zu entdecken? Ich stelle Euch die Wahl zwischen dieser Mitteilung und dem Tode!«
»Das nützt Euch nichts. Habt Ihr einmal die Absicht, mich in gleicher Weise wie Melton zu behandeln, so ist mir der Tod ohnedies gewiß. Ich werde nur dann sprechen, wenn ich auf Schonung rechnen kann.«
Ich war überzeugt, daß seine Festigkeit keine bedeutende sei und ich, um ihm das Geheimnis zu entlocken, nur seine Hände zu drücken brauchte; aber die immerwährende Wiederholung desselben Einschüchterungsmittels widerstrebte mir, und ich wollte ja mehr von ihm erfahren, als die Wohnung Meltons allein. Darum hielt ich es für das beste, mich ihm geneigt zu zeigen, und sagte:
»Nun, angenommen, daß wir Euch das Leben schenken, auf wessen Gewissen fällt dann die Verantwortung von allem, was Ihr später thun werdet? Auf das unserige. Wenn Ihr sterbt, so könnt Ihr nichts Böses mehr thun.«
»Seid überzeugt, daß ich bessere Wege einschlagen werde, wenn Ihr mich leben laßt! Ich war, wie schon gesagt, nicht böse, sondern nur leichtsinnig und würde es Euch Zeit meines Lebens danken, wenn Ihr einmal Gnade für Recht ergehen lassen wolltet. Macht wenigstens den Versuch!«
»Hm! Ein Versuch ist noch nicht die vollendete That; man kann dann immer noch thun, was man will. So könnte ich denn allerdings einmal versuchen, ob mit Euch auf ehrlichem Wege auszukommen ist.«
»Thut das, thut das, Master! Ich gebe Euch mein Wort, daß der Versuch gelingen wird.«
»So sagt mir zunächst einmal, wie Ihr Euch diesen Versuch wohl denkt!«
»Bindet mich zunächst los, und dann werde ich – –«
»Halt!« unterbrach ich ihn. »Vom Losbinden kann keine Rede sein. Ihr bleibt unter allen Umständen zunächst noch Gefangener.«
»Aber wie kann ich Euch behilflich sein, wenn ich mich nicht bewegen kann!«
»Jetzt ist Eure einzige Bewegung das Reiten, und das könnt Ihr, wie Ihr bewiesen habt, auch in Fesseln. Sollten die Dienste, welche Ihr uns anbietet, eine Bewegung, in welcher Euch die Fesseln hindern würden, notwendig machen, so werden wir Euch dieselben abnehmen. Das höchste, was ihr außer dem Reiten jetzt zu thun vermögt, ist, uns den Weg anzugeben, den wir reiten müssen.«
»Das werde ich,« brummte er, mißmutig darüber, daß ich ihm gleich seinen ersten Wunsch abgeschlagen hatte.
»Und zwar richtig anzugeben,« fügte ich mit Nachdruck hinzu. »Wollet Ihr uns irre leiten, vielleicht um Zeit zu gewinnen, so würden wir es sofort bemerken und Euch die Riemen straffer anziehen. Wann werden wir den nächsten Yumaposten erreichen?«
»Noch vor Abend.«
»Wie ist die Örtlichkeit beschaffen, in welcher er liegt?«
»Er befindet sich an einem Waldesrande. Vorher müssen wir über eine freie Ebene.«
»So kann der Posten diese Ebene überblicken?«
»Ja. Wenn ihr ihn überraschen wollt, müßt ihr dieselbe also vermeiden.«
»Das kommt auf ihre Länge oder Breite an. Sobald wir sie erreichen, werdet Ihr uns darauf aufmerksam machen. Sagt mir zunächst doch einmal, warum Ihr auf der Hazienda geblieben und nicht mit nach Almaden geritten seid?«
»Ich hatte den Auftrag, dort die Retorten zu erwarten, welche aus Ures kommen werden.«
»Dieselben sollten dann über die Postenkette nach Almaden transportiert werden?«
»Ja.«
»Wenn Ihr Retorten braucht, so vermute ich, daß in Almaden das Quecksilber in Form von Schwefelquecksilber, also als Zinnober gefunden wird?«
»So ist es; es kommt jedoch stellenweise auch gediegen vor.«
»Der Zinnober soll in den Retorten also in Schwefel und Quecksilber zerlegt werden. Durch welche Zuschläge soll das geschehen? Eisenhammerschlag ist nicht zu haben; ich vermute folglich Kalk?«
»Ja, es soll Kalk verwendet werden.«
»Giebt es welchen da oben?«
»Massenhaft. Die Berge und Felsen bestehen meist nur aus Kalk, in welchem es zahlreiche Höhlen giebt.«
Bei dem Worte Höhlen kam mir ein Gedanke. Es war für uns äußerst beschwerlich und hinderlich, die Gefangenen im Freien zu bewachen. War es möglich, sie oben in einer Höhle unterzubringen, so bedurften wir viel weniger Leute, die vielen Roten unter Aufsicht zu halten. Darum erkundigte ich mich:
»Kennt Ihr vielleicht eine Höhle, welche in der Nähe des Schachtes liegt?«
»Ja.«
»Ist sie groß?«
»Sie kann wohl an die hundert Menschen fassen.«
»Wieviel Eingänge hat sie?«
»Nur einen. Sie hat aber keine Hinterwand und scheint tief in den Kalkfelsen zu gehen, man kann aber nicht weiter, weil man an einen Abgrund kommt, dessen Breite man nicht zu ermessen vermag.«
»Ist er tief?«
»So tief, daß man einen Stein, den man hinabwirft, nicht unten auftreffen hört. Rechts giebt es eine kleine Nebenhöhle, welche voller Wasser steht. Ich habe es versucht; es ist trinkbar und sehr kühl.«
»Natürlich wissen Eure Freunde auch von dieser Höhle?«
»Kein Wort! Ich habe ihnen nichts gesagt, denn ich hatte – –«
Er hielt inne. Er schien jetzt mehr gesagt zu haben, als er eigentlich wollte.
»Weiter! Denn ich hatte – – – ?«
»Ich hatte meine Gründe dazu,« vervollständigte er sich. »Ich brauchte einen solchen Ort für mich allein.«
»Wozu?«
Er gab nicht sofort Antwort. Da er nachsann, vermutete ich, daß er die Wahrheit nicht sagen wollte und auf eine Ausrede dachte. Dann erklärte er:
»Mein Grund wird Euch beweisen, daß ich wirklich kein schlechter Mensch bin. Ich dachte an die deutschen Arbeiter. Vielleicht konnte es mir gelingen, einen oder einige von ihnen zu befreien; ich brauchte ein Versteck, um sie zu verbergen, und da kam mir die Höhle als ungemein passend vor. Darum sagte ich nichts von ihr.«
»Das macht Eurem guten Herzen allerdings alle Ehre. Wann habt Ihr sie denn entdeckt?«
»Schon als ich vor einem Jahre zum erstenmal oben war.«
»Ihr wart von Melton geschickt worden, und habt ihm nach Eurer Rückkehr natürlich Bericht erstattet?«
»Ja.«
»Damals habt Ihr doch noch nichts von den deutschen Arbeitern gewußt?«
»Nein.«
»Und wollt ihm doch gerade wegen dieser die Höhle verheimlicht haben! Ihr seht, daß man mit Euern Versicherungen vorsichtig umzugehen hat. Ihr habt einen ganz andern Grund gehabt, von der Höhle zu schweigen; ich will aber nicht in Euch dringen, ihn mir zu sagen, da er mir sehr gleichgültig sein kann. Aber laßt dies den letzten Versuch sein, mir Schwarz für Weiß vorzumachen! Ich bin nicht der Mann, der so leicht zu täuschen ist, und würde das nächste Mal nicht so bereitwillig sein, wie jetzt, mich zufrieden zu geben.«
Den eigentlichen Grund für seine Geheimhaltung der Höhle glaubte ich erraten zu können. Er hatte wohl die Absicht gehabt, seine Compagnions zu bestehlen und das entwendete Quecksilber und Zinnober in der Höhle zu verbergen, bis sich Gelegenheit finden würde, es unbemerkt fortzuschaffen. Daß er sich sträubte, mir dies zu gestehen, war kein Beweis, daß er es unehrlich in Beziehung auf seine mir gemachten Versprechungen meinte. Darum fühlte er sich durch meine letzten Worte beunruhigt und entschloß sich, um mein Mißtrauen zu zerstreuen, mir einen Umstand mitzuteilen, den ich noch nicht kannte und welcher für mich höchst wertvoll war.
»Ich mache Euch weder Schwarz für Weiß noch Weiß für Schwarz vor,« sagte er. »Ich gebe zu, daß Ihr Ursache habt, mir zu mißtrauen; aber es kann Euch doch nichts nützen, Dinge zu erfahren, welche mit Euern Absichten in keinem Zusammenhange stehen.«
»Das weiß ich wohl, und darum habe ich nicht in Euch gedrungen, mir wegen der Höhle die Wahrheit zu sagen. Ich meine nur, daß Ihr Euch hüten sollt, mich in Dingen, die mich angehen, täuschen zu wollen. Ihr wißt, daß von Euerm Verhalten Euer Leben abhängt.«
»Es fällt mir nicht ein, Euch zu täuschen. Mein Leben ist mir lieb; ich will es mir erhalten und werde Euch darum ehrlich dienen. Dafür will ich Euch den vollgültigen Beweis geben, indem ich Euch etwas verrate, was Euch jedenfalls freudig überraschen wird.«
»Was?«
»Da oben in Almaden giebt es weder Gras noch Baum, und so muß alles, was man zur Nahrung braucht, weit hergeschafft werden. Wie Melton überhaupt für alles schon vorher gesorgt hat, ehe die Hazienda ihm gehörte, so hat er auch Proviant gekauft, welcher in fünf Maultierwagen von Ures nach Almaden gegangen ist.«
»Das zu hören, ist mir allerdings sehr wichtig. Wer führt den Transport? Denn ich nehme an, daß die Fuhrleute den Weg nach Almaden nicht kennen.«
»Melton hat ihnen einige Indianer entgegengeschickt.«
»Habt Ihr die Leute mit ihren Wagen und Maultieren gesehen?«
»Nein, denn sie haben einen Weg eingeschlagen, auf welchem sie nicht auf mich treffen konnten. Der Weg, welcher über die Hazienda führt und den auch Ihr bis jetzt benutzt habt, ist für Fuhrwerk stellenweise nicht passierbar; darum mußten diese Wagen einen andern einschlagen, welcher weiter südlich liegt und länger ist, dann aber mit dem unserigen zusammentrifft.«
»Kennt Ihr die Gegend, wo beide Wege sich vereinigen?«
»Sehr gut, da ich es bin, der den andern, den bequemeren Weg ausfindig machen mußte. Wir werden übermorgen an diese Stelle kommen.«
»Meint Ihr, daß die Wagen dann schon vorüber sein werden?«
»Ich bezweifle es. Wenn ich genau nachrechne und ihnen kein Unfall widerfahren ist, halte ich es für wahrscheinlich, daß sie die Stelle schon morgen abend erreichen werden.«
»So hätten wir sie dann vor uns und könnten uns mit Proviant versehen?«
»Nicht nur mit Proviant. Die Wagen enthalten auch noch viele andere Gegenstände, welche in Almaden gebraucht werden.«
»Wenn sich das bewahrheitet, so will ich zugeben, daß Ihr mir mit der Mitteilung einen dankenswerten Dienst erwiesen habt, obgleich wir auch ohne dieselbe auf die Wagen getroffen wären. Aber aus Euern Worten entnehme ich noch etwas, was für uns ebenso wichtig, wenn auch bedeutend unangenehmer ist. In der Gegend von Almaden wächst kein Baum, kein Gras. Wie weit erstreckt sich die Unfruchtbarkeit?«
»Beinahe eine Tagereise weit nach allen Seiten.«
»Aber wo Wasser ist, da wächst doch wenigstens Gras, und Ihr spracht vorhin von Wasser!«
»Das befand sich in der Höhle. Wasser giebt es freilich in Almaden, aber nur unterirdisch. Das Oberirdische ist eine steinharte, dürre Kalkfelseneinöde.«
»Und doch sind dreihundert Indianer oben! Haben die denn keine Pferde?«
»Sie haben sie nicht mitgenommen. Sie mußten die Pferde unter der Aufsicht einiger Wächter zurücklassen.«
»So werden auch wir dazu gezwungen sein, und das ist unangenehm. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wo die Pferde der Yumas sich befinden?«
»Es ist nicht direkt darüber gesprochen worden, aber da ich es bin, der die ganze Gegend ausgekundschaftet hat, so kann ich mir denken, wo man sie zu suchen hat. Die Yumas sind von Norden gekommen und haben die Tiere also nordwärts von Almaden zurücklassen müssen, und zwar haben sie das jedenfalls hart an der Linie gethan, auf welcher das fruchtbare und unfruchtbare Land zusammenstößt. Es giebt dort nur eine einzige Stelle, an welcher man dreihundert Pferde auf längere Zeit mit wenig Wächtern zusammenhalten kann, und diese Stelle kenne ich genau. Wir stoßen natürlich nicht auf sie, da wir von Westen kommen und, an der Kalkeinöde angelangt, eine Tagesreise von ihr entfernt sein werden. Habt Ihr vielleicht die Absicht, die Pferde wegzunehmen? In diesem Falle werdet Ihr mich bereit finden, Euch zu ihnen zu führen, und das muß Euch wieder ein Beweis dafür sein, daß ich es wirklich ehrlich mit Euch meine.«
»Werde es mir überlegen,« antwortete ich kurz, indem ich damit die lange Unterhaltung abbrach. Ich hatte zwar noch mancherlei zu fragen, konnte das aber auch später und gelegentlich thun, da ich ihn nicht vermuten lassen wollte, wie wenig ich eigentlich über die Verhältnisse unterrichtet war, welche ich doch genau kennen mußte, um unsere Absichten zu erreichen.
Ehe ich mich von ihm trennte, um wieder auf die Seite Winnetous zu kommen, lockerte ich die Riemen ein wenig, welche seine Hände zusammenhielten. Es sollte das, ohne daß ich etwas dazu sagte, für ihn ein Zeichen sein, daß die moralische Umkehr, welche er mir versprochen hatte, auf mich einen guten und für ihn einen nützlichen Eindruck gemacht hatte.
Über den heutigen Ritt glaube ich, hinweggehen zu können, da er nichts Erwähnenswertes brachte. Um die Mitte des Nachmittags hatten wir eine steile Bergeslehne erklommen und langten auf einer Hochebene an, welche im Norden und Süden von Höhen eingeschlossen war; ihr östliches Ende konnten wir nicht sehen. Da ließ der Player mich zu sich kommen und teilte mir mit:
»Das ist die Ebene, jenseits welcher der Posten am Waldesrande liegt.«
»Wie lange reitet man dorthin?«
»So wie wir reiten, werden es fast zwei Stunden sein.«
»Liegt der Posten in gerader Richtung von hier?«
»Ja.«
»So will ich Euch Gelegenheit geben, mir noch augenfälliger als bisher zu beweisen, daß ich mich auf Euch verlassen kann.«
»Thut das, Master! Was verlangt Ihr von mir?«
»Ich werde voranreiten, um die Indianer dingfest zu machen, und Ihr sollt mich an den Ort begleiten, an welchem ich sie zu suchen habe.«
»Sehr gern! Aber sie werden Euch kommen sehen!«
»Wieso? Ah, Ihr denkt, ich reite geradeaus? Das fällt mir nicht ein, denn da würden sie mich allerdings bemerken. Wir machen einen Umweg, bis wir den Waldesrand erreichen, und schleichen uns dann an demselben bis zum Posten hin. Aber ich mache Euch darauf aufmerksam, daß der leiseste Versuch eines Verrates Euch sofort eine Kugel oder einen Messerstich einbringen würde!«
»Kommt mir nun doch nicht immerfort wieder mit Euern Drohungen! Ihr habt keinen Grund mehr dazu. Ich habe mir vorgenommen, mein Leben dadurch zu retten, daß ich Euch treu diene, und müßte ein Dummkopf sein, wenn es mir einfallen könnte, es durch Falschheit noch mehr in Gefahr zu bringen, als es vorher auf dem Spiele gestanden hat!«
Ich suchte mir zu dem Yumatöter und seinem Bruder noch sechs oder sieben Mimbrenjos aus, mit denen ich den Streich ausführen wollte. Nachdem ich Winnetou gebeten hatte, in dem bisherigen Schritte weiterreiten zu lassen, wendeten wir uns im Galoppe nach Süden ab. Konnten wir den beabsichtigten Umweg nicht auch nach Norden machen? Allerdings; aber dann hätten wir später beim Anschleichen, wobei wir die südliche Richtung einhalten mußten, die Sonne seitlich vor uns gehabt; so wie wir aber jetzt ritten, bekamen wir sie in den Rücken und konnten nicht geblendet werden. Es giebt eben bei solchen Erlebnissen so vieles zu bedenken und zu berücksichtigen, wovon ein Laie keine Ahnung hat.
Wir jagten also eine tüchtige Strecke über die Sehweite eines scharfen Auges südwärts und wendeten uns dann wieder gerade nach Osten. Nach einer Stunde erblickten wir in der Ferne den Wald und hielten auf denselben zu. Dabei fragte ich den Player:
»Sind wir denn von unserer eigentlichen Marschrichtung weit genug entfernt, sodaß die Yumas uns nicht sehen können?«
»Ja. Seht dort die dunkle Bergkuppe, welche hinter dem Walde aufsteigt! Sie dient mir als Marke. Ich weiß genau, wo wir uns befinden. Ihr habt vom Anschleichen gesprochen. Was thun wir während der Zeit mit den Pferden?«
»Die lassen wir an einer sichern Stelle zurück. Es fragt sich nur, wie lange wir noch im Sattel bleiben dürfen.«
»Wenn wir den Yumas so nahe gekommen sind, daß ich befürchten muß, zu Pferde gesehen zu werden, dann sage ich es Euch.«
Wir kamen bald an den Wald und ritten nun nordwärts. Dabei stießen wir auf die Fährte eines einzelnen Reiters, welche so frisch war, daß ich annehmen mußte, ihn ganz nahe vor uns zu haben. Und richtig, als wir um eine Biegung des Gebüsches kamen, sahen wir ihn reiten. Es war ein Indianer, welcher ein erlegtes Wild hinter sich aufgebunden hatte. Er ritt im langsamen Schritte, hielt aber dabei den Kopf in so eigentümlicher Weise zur Seite, daß ich annahm, er halte seine ganze Aufmerksamkeit nach rückwärts gerichtet. Der Mann mußte uns gesehen haben, stellte sich aber unbefangen, um abzuwarten, wie wir uns verhalten würden. An Feindseligkeit dachte er wohl schwerlich. Meine Indianer hielt er sehr wahrscheinlich für Yumas und uns zwei Weiße für Verbündete Meltons. Daß er nicht anhielt, um uns zu erwarten, hatte wohl keinen besondern Zweck, sondern lag einfach in der eigenen Art und Weise, in welcher die Roten zu handeln pflegen. Ich durfte ihn nicht weiterreiten lassen, mußte aber auch dafür sorgen, daß er nicht zu früh entdeckte, daß die vermeintlichen Yumas feindliche Mimbrenjos seien. Darum mußten meine Begleiter eine langsame Gangart annehmen, und ich jagte ihm allein in voller Carriere nach.
Da hielt er an, wendete sich um, griff nach seinem Bogen und legte einen Pfeil auf mich an. Ich parierte mein Pferd bei dieser Drohung nicht, sondern winkte nur abwehrend und rief dabei die beiden, ihm sehr wohlbekannten Namen Melton und ›großer Mund‹ zu. Der erstere war nach unsern Begriffen sein jetziger Arbeitgeber und der letztere sein oberster Häuptling; er mußte mich für einen Freund oder wenigstens für einen guten Bekannten derselben halten und senkte Bogen und Pfeil. Ich begrüßte ihn indianisch, indem ich mein Pferd im vollen jagen drei Schritte vor ihm parierte und ihn dann fragte:
»Hat mein Bruder eine gute Jagd gemacht? Die vier Yumakrieger, zu denen er will, werden Hunger haben.«
»Die Jagd war ergiebig, wie mein weißer Bruder sieht,« antwortete er. »Wird er mir sagen, woher er kommt?«
»Von der Hazienda del Arroyo. Ich habe dich von dem ›schnellen Fisch‹ zu grüßen, welcher mit seinen Kriegern an der Quelle des Felsens liegt. Ist der Posten, zu welchem du gehörst, vollzählig vorhanden?«
»Ja.«
»Und wie steht es droben in Almaden? Befinden sich deine dreihundert Brüder dort wohl?«
»Wir haben nicht gehört, daß etwas Unerwünschtes dort geschehen ist. Wenn mein weißer Bruder von der Hazienda kommt, so wird er wissen, daß sich ein Bleichgesicht, welches Player heißt, dort befindet und Winnetou, den Häuptling der Apatschen gesehen haben will. War der Apatsche wirklich dort?«
»Ja.«
»Er wird wieder fort sein, um Old Shatterhand zu befreien, den der ›große Mund‹ gefangen hat?«
»Old Shatterhand hat sich ohne seine Hilfe befreit.«
»Uff! Und haben diese beiden Krieger sich getroffen?«
»Ja.«
»Uff, uff! So steht zu erwarten, daß sie zu uns kommen. Das muß sogleich nach Almaden gemeldet werden. Es muß einer von uns fortreiten!«
»Das ist nicht nötig, da ich die Botschaft selbst nach Almaden bringen werde.«
»Das ist gut; aber wird mein weißer Bruder so schnell reiten, wie es nötig ist, wenn die Kunde von – – –«
Er hielt plötzlich inne und die weit offenen Augen auf meine Gefährten gerichtet, welche nun soweit herangekommen waren, daß er ihre Gesichter erkennen konnte. Dann fuhr er, mißtrauisch mit der Hand nach seinem Messer fahrend, fort-
»Was sehe ich! Ich habe mit gegen die Mimbrenjos gekämpft und dabei den ›starken Büffel‹ und seine Söhne gesehen. Wenn ich nicht blind bin, so sind diese es, welche sich bei meinem weißen Bruder befinden. Was soll ich davon denken?«
»Denke, daß du verloren bist, wenn du nur einen Schritt von dieser Stelle weichst!« antwortete ich, indem ich mit einem schnellen Griffe meinen Stutzen vornahm und auf ihn anlegte. »Ich bin Old Shatterhand und verbiete dir, dich zu bewegen!«
Ich sah trotz der dunklen Farbe seines Gesichtes, daß er erbleichte. Er ließ vor Schreck die Zügel fallen und zog die Hand vom Messer zurück, indem er stammelte:
»Old Shat – ter – hand! Und – das – ist – das – – Zau – – bergewehr!«
Er sah die auffällige und eigenartige Konstruktion des Schlosses an meinem Stutzen, über welchen unter den Indianern so viele Sagen verbreitet waren, und glaubte infolgedessen sofort meinen Worten.
»Ja, das ist meine Zauberflinte, aus deren Lauf du sofort zehn Kugeln in den Kopf und Leib bekommen wirst, wenn du nicht ganz genau das thust, was ich dir befehle!«
Ohne in seiner Verwirrung auf diese Drohung zu antworten, fragte er wie abwesend:
»Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Wo ist da Winnetou?«
»Er wird auch gleich kommen und bringt die Krieger der Mimbrenjos mit. Steig vom Pferde!«
Meine Begleiter waren indessen herangekommen und umringten ihn. Man sah ihm an, daß er noch immer nicht ganz wieder bei sich war. Er stieg wie im Traume vom Pferde und sah schweigend zu, daß man einige an seinem Sattel befestigte Reserveriemen losmachte und ihn mit denselben band. Hierauf machte mir der Player die Bemerkung, daß wir nun dem Posten nahe genug gekommen und also zur Vorsicht angehalten seien. Es wurde also abgestiegen; zwei Mimbrenjos bekamen die Pferde und den Yuma zur Bewachung, und wir andern setzten unsern Weg zu Fuße fort.
Natürlich hielten wir uns dabei nicht im Freien, sondern unter den Bäumen. Als wir ungefähr zehn Minuten gegangen waren, sagte der Player:
»Nun nur noch ein kurze Strecke, Master, so kommen wir an einen kleinen Teich, an welchem die Yumas liegen müssen.«
»Gut! Ich will Euch zeigen, daß ich Euch Vertrauen schenke. Eigentlich müßte ich Euch hier zurücklassen, da Ihr auf den Gedanken kommen könntet, uns das Spiel zu verderben; aber ich will Euch mitnehmen, sage Euch jedoch: Gelingt es uns nicht, den Posten aufzuheben und Ihr seid schuld daran, so ist's mit Euch zu Ende!«
»Keine Sorge! Es fällt mir gar nicht ein, so mit offenen Augen in mein Verderben zu rennen.«
Wir schlichen nun langsam und höchst vorsichtig weiter. Dabei gab ich dem Yumatöter einen nur von ihm bemerkten Wink, den Player ja nicht aus dem Auge zu lassen, denn dieser konnte, während wir uns auf die Yumas warfen, versuchen, uns zu echappieren. Dann sahen wir zwischen den Bäumen vor uns den Spiegel des Teiches glänzen. Vier Rote lagen faullenzend an demselben. Ihre Pferde hatten sich zerstreut, denn wir bemerkten von unserm Standorte aus nur zwei derselben.
Von Baum zu Baum huschend, näherten wir uns noch mehr und fielen dann über die vor Schreck sich gar nicht Wehrenden her. Der Player stand mit gebundenen Händen dabei und machte ein Gesicht, als ob er sich über den so gelungenen Überfall seiner bisherigen Verbündeten herzlich freue.
Als wir fertig waren, ging einer der Mimbrenjos fort, um seine zwei Kameraden mit den Pferden und dem fünften Yuma herbeizuholen, und da sahen wir auch schon unsern Zug von Westen her über die offene Ebene kommen. Er hielt an dem Teiche an, da wir die Nacht hier zubringen wollten.
Am nächsten Morgen ging es weiter. Der Player machte den Führer und war ehrlich gegen uns. Gegen Abend führte er uns zu dem nächsten Posten, welcher in ähnlicher Weise wie die vorigen überrumpelt wurde. Wir hatten nun nur noch einen vor uns und also noch zwei Tageritte nach Almaden.
Am darauffolgenden Morgen kamen wir durch ein breites, nach Osten streichendes Thal, in welches ein aus Süden kommendes mündete. An der Stelle, wo beide sich vereinten, war das Gras auf eine weite Strecke zerstampft oder abgefressen, und wir sahen Wagenspuren und zwei schwarzgebrannte Feuerstätten.
»Habe ich es Euch nicht gesagt?« meinte der Player. »Das sind die Proviantwagen gewesen, und meine Rechnung war also ganz richtig. Sie haben gestern abend hier gehalten. Hier ist die Stelle, an welcher die beiden Wege zusammenstoßen.«
Ich zählte die Geleise und fand, daß wir wirklich fünf Wagen vor uns hatten. Aus wieviel Mann die Yumaeskorte bestand, konnten wir nicht sehen, da die zahlreichen Stapfen nicht auseinanderzulesen waren.
Jetzt brauchten wir nur den Geleisen zu folgen. Sie waren dem weichen Boden deutlich eingeprägt, und nun sahen wir auch, daß sich sechs Reiter dabei befanden.
»Melton hat also sechs Führer geschickt,« sagte ich zum Player; »eigentlich eine mir unerklärliche Berechnung. Sechs Führer sind entschieden nicht nötig, und als Eskorte, um die Wagen zu beschützen, sind sie zu wenig.«
»Das mag sein,« antwortete er. »Aber Rote sind es jedenfalls nur fünf.«
»Wer ist da der sechste?«
»Entweder der Kaufmann selbst, bei dem die Sachen in Ures gekauft worden sind, oder ein Vertreter desselben. Melton hat nämlich nur die Hälfte des Preises bezahlt und will die andere Hälfte erst nach glücklich erfolgter Ablieferung entrichten; also mußte jemand mitkommen, der das Geld in Empfang zu nehmen hat.«
»Die Frischheit der Geleise zeigt, daß wir die Wagen nicht weit vor uns haben. Es handelt sich nun darum, daß wir sie auf einem Terrain erreichen, wo wir die roten Begleiter festnehmen können, ohne daß einer entkommt. Wo giebt es eine solche Stelle?«
Er sann eine kleine Weile nach, um sich in Gedanken zu orientieren, und antwortete dann:
»Wenn Ihr genug Geduld besitzet, bis gegen Mittag zu warten, so kommen wir auf freies Land, wo Ihr Euern Zweck erreichen werdet. Bis dahin aber führt der Weg immer eng zwischen Bergen hin, wo Ihr Euch nicht ausbreiten und das Entkommen eines einzelnen verhindern könnt.«
Das gab freilich eine Zeitversäumnis, die mir nicht lieb war; aber wenn wir uns der Wagen bemächtigten, so durften wir dann nicht schneller reiten, als die Maultiere sich mit ihren Lasten bewegen konnten, und verloren dabei höchst wahrscheinlich einen ganzen Tag; da kam es also auf die Versäumnis einiger Stunden auch nicht an.
Um zu sehen, wieweit die Wagen voran seien, ritt Winnetou fort. Wir erreichten ihn nach drei Viertelstunden, wo er halten geblieben war, um uns herankommen zu lassen. Er hatte die Wagen gesehen und auch die Begleitung derselben, welche, wie er bestätigte, aus fünf roten und einem weißen Reiter bestand. Die Knechte, welche Zügel und Peitsche führten, saßen vorn auf den Wagen.
Wir hielten uns so, daß wir sie in nicht viel mehr als fünf Minuten erreichen konnten, und kamen, wie der Player gesagt hatte, gegen Mittag durch ein Thal, welches sich zu einer ziemlich weiten Ebene verbreiterte, um sich darauf wieder zu seiner vorigen Enge zusammenzuziehen. Da sahen wir die Wagen einzeln hintereinander fahren. Voran ritten die fünf Roten; der Weiße folgte einsam hinter dem Zuge. Da ich vorher die Posten aufgehoben hatte, wollte Winnetou die Gefangennahme der fünf Wegweiser besorgen, wozu er zehn Mimbrenjos mit sich nahm. Er jagte, während wir im Schritt nachfolgten, mit den Leuten den Wagen nach, an ihnen rechts und links vorüber und hielt dann, die Roten umzingelnd, bei diesen an. Wir sahen, daß sie sich zur Wehr setzten, freilich mit unzulänglichen Waffen, denn was waren ihre Tomahawks und Lanzen gegen die Gewehre unserer Mimbrenjos und gar gegen die Silberbüchse Winnetous. Es fielen Schüsse. Der Zug hielt. Die Knechte brüllten vor Ärger oder Angst, und der Weiße wendete sein Pferd, um auszureißen. Da sah er uns, die wir ihm den Rückweg verlegten, und galoppierte nach links davon.
Auf ihn war es gar nicht abgesehen. Er durfte um unsertwillen nicht fort und mußte auch zu seinem eigenen Besten angehalten werden. Was sollte aus ihm, dem unerfahrenen, einzelnen Menschen hier in den Bergen werden? Mein Pferd war das schnellste, und so jagte ich ihm nach. Indem er zurückblickte, sah er das und trieb sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit an. Es half ihm aber nichts; ich holte ihn doch bald ein, drängte mein Pferd an das seinige, riß ihm die Zügel aus der Hand und hielt dann beide Tiere an, ihn fragend:
»Wo wollen Sie denn hin, Sennor? Es giebt doch gar keinen Grund zu solcher Eile!«
Er war ein noch ziemlich junger, hagerer Mensch, dem man den Geschäftsmann von der Nasenspitze lesen konnte. Bis an die Zähne in Waffen steckend, streckte er mir doch beide Hände flehend entgegen und bat:
»Nicht morden, nicht morden, Sennor! Ich habe Ihnen nichts gethan und wehre mich auch nicht; also schonen Sie mein Leben!«
»Haben Sie keine Angst, Sennor! Wir hegen nicht die Absicht, Ihnen an den Kragen zu gehen; es ist nur auf Ihre fünf Yumaindianer abgesehen.«
»Nicht auf mich?« fragte er, indem er tief aufatmete und sich den Angstschweiß von der Stirn strich.
»Nein, lieber Jüngling, nicht auf Sie. Ihr wertes Leben ist uns im Gegenteile lieb und teuer; es wird Ihnen nicht ein einziges Haar gekrümmt werden. Kehren Sie also getrost mit mir zu Ihren Wagen zurück!«
Er betrachtete mich dennoch mit unsicherem, zweifelndem Blicke und meinte:
»Wer sind Sie denn?«
»Ein ehrlicher Mensch. Soviel will ich Ihnen einstweilen sagen. Ihre Yumas aber waren Schurken, die wir festnehmen mußten. Also kommen Sie!«
»Gut, ich will Ihnen trauen und also zurückkehren, da ich annehme, daß – – mein Himmel! Was sehe ich! Dort liegen alle fünf im Grase, erschossen, gestorben, ermordet und tot!«
Es war leider so, wie er sagte; die Roten waren tot. Ich hätte sie geschont, die Mimbrenjos aber hatten kein Federlesens gemacht.
»Sie sind erschossen worden, weil sie sich zur Wehr gesetzt haben,« erklärte ich ihm. »Hätten sie das unterlassen, so wäre kein Blut geflossen.«
»So bitte ich Sie dringend, Sennor, zu konstatieren, daß ich mich nicht zur Wehr gesetzt habe!«
»Das will ich Ihnen gern mit hundert Eiden bezeugen. Sie sind in Wirklichkeit so menschenfreundlich gewesen, von Gegenwehr abzusehen. Wie heißen Sie denn eigentlich?«
»Nennen Sie mich Don Endimio de Saledo y Coralba!«
»Ich werde Sie der Kürze wegen einstweilen nur Sennor Endimio nennen und bitte Sie, mir auch noch zu sagen, was Sie sind.«
»Ich bin Kaufmann.«
»So! Und was stellen Sie hier bei diesen Wagen vor? Den Oberkutscher?«
»Ganz und gar nicht, Sennor! Wie können Sie einen Don Endimio de Saledo y Coralba mit der Bezeichnung Kutscher in Berührung bringen! Ich bin der auserwählte Bevollmächtigte Sennor Manfredos, des Kaufmanns, welcher die Waren zu liefern hat, die sich in diesen Wagen befinden.«
»Schön! Ich ersuche Sie nun nochmals, mit mir zu den Wagen zurückzukehren!«
»Gern – – aber da sehe ich, daß die Indianer, die sich bei Ihnen befinden, zur Hälfte gebunden sind. Das muß meinen Verdacht von neuem erwecken!«
»Die freien Reiter sind Mimbrenjos, und die gefesselten sind Yumas.«
»Soll ich etwa auch gefangen genommen werden?«
»Nein. Sie brauchen, wie ich Ihnen schon versicherte, keine Angst zu haben.«
Wir kehrten also zu den Wagen zurück, wo man auf uns gewartet hatte. Es war nicht nötig gewesen, sie zu umzingeln, da wir nicht zu befürchten brauchten, daß die fünf Knechte davonlaufen würden. Dieselben waren übrigens mutiger als der famose Endimio; sie standen beisammen, mit den Gewehren in den Händen, bereit, sich zu wehren, falls wir ihnen die Veranlassung dazu geben würden.
»Lassen Sie Ihre Flinten in Ruhe, Sennores!« rief ich ihnen zu. »Und kommen Sie zu mir, um zu hören, daß wir uns als Ihre Freunde betrachten.«
Der Player hatte angenommen, daß die Leute die Besitzer der Wagen seien; es stellte sich heraus, daß sie nur Knechte waren und die Fuhrwerke dem Kaufmann gehörten. Sie waren echte Peons, kräftige, halbwilde Männer, denen aber die Gutmütigkeit aus den Augen sah. Ich erklärte ihnen so kurz wie möglich, um was es sich handelte, und hatte dabei Gelegenheit, einigemale den Namen Winnetous zu nennen, worauf sie ihre Augen auf den Apatschen richteten. Als ich geendet hatte, sagte der älteste von ihnen, der eine gewaltige Hiebnarbe im Gesicht hatte:
»Es bedarf gar keiner Entschuldigung und Aufklärung, Sennor. Wenn Winnetou dabei ist, so sind Ihre Wege und Absichten ehrliche, denn der Häuptling der Apatschen giebt sich zu nichts Schlechtem her. Meine alte Seele ist erfreut, diesen großen Häuptling endlich einmal erblicken zu dürfen, und es fehlt nur das eine, daß auch Shatterhand da wäre, der sich sonst gewöhnlich bei Winnetou befindet.«
»Er ist ja da! Hier auf meinem Pferde sitzt er.«
»Sie, also Sie wären Old Shatterhand? Ich bin glücklich, einen so berühmten Mann zu sehen. Sennor, wir glauben jedem Worte, welches Sie gesagt haben, und bitten Sie um Ihren Rat, was wir thun sollen.«
»Der soll Ihnen gern werden. Vorher aber sagen Sie mir, wie es kommt, daß Sie mir so schmeichelhafte Worte widmen. Daß Winnetou auch hier in dieser Gegend bekannt ist, habe ich gewußt; ich war aber noch niemals hier.«
»Ist auch nicht nötig, denn ich war drüben, jenseits der Grenze, in den Vereinigten Staaten. Bin mehrere Jahre in Texas gewesen und sogar hinauf bis Kansas gekommen. Da dürfen Sie sich nicht drüber wundern, daß ich Sie kenne, Sennor.«
»Was waren Sie da drüben?«
»Alles mögliche, habe es aber zu nichts gebracht und bin ein so armer Teufel geblieben, daß ich jetzt in meinen alten Tagen den Fahrknecht machen muß. Weil ich aber von drüben her das Abenteuerliche gewöhnt bin, habe ich wenigstens eine Stelle angenommen, in welcher man auch einmal eine ungewöhnliche oder gar gefährliche Fuhre auszuführen hat, und meine vier Kameraden sind gleicher Gesinnung mit mir. Wir haben uns auf die Fahrt nach den Bergen förmlich gefreut. Und richtig, es scheint von jetzt an Ereignisse zu geben!«
»Sie hatten allerdings Grund zu dieser Freude, da Ihr Prinzipal Ihnen einen so tüchtigen Vertreter mitgegeben hat.«
Ich winkte bei diesen Worten nach Endimio hin, welcher sich scheu noch in einiger Entfernung hielt.
»O,« lachte der Alte, »der reißt aus, wenn er eine Fliege summen hört! Doch nun vor allen Dingen zu unserer Sache! Unser Frachtgut ist bestellt und halb bezahlt. Wir haben es in Almaden abzuliefern und die andere Hälfte des Geldes in Empfang zu nehmen. Sie aber sind dagegen, Sennor. Was sollen wir thun?«
»Ich bin nicht dagegen, wünsche jedoch, daß Sie es dem Adressaten nur in meiner Gegenwart abliefern.«
»Das soll ein Wort sein! Ich bin einverstanden.«
»Auch möchte ich gern wissen, worin dies Frachtgut besteht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich einiges davon für mich nehmen werde.«
»Thun Sie das immerhin. Dann aber wird Melton nicht zahlen wollen.«
»Er wird zahlen, dafür garantiere ich.«
»Dann nehmen Sie meinetwegen alles mit samt den Wagen und Maultieren! Wenn Old Shatterhand gutsagt, sind wir sicher.«
»Ich bin Ihnen für dieses Vertrauen herzlich dankbar, muß Ihnen aber aufrichtig erklären, daß ich überhaupt kein reicher Mann bin und besonders jetzt nicht soviel Geld bei mir habe, um auch nur hundert Cigaretten bezahlen zu können.«
»Thut nichts, thut gar nichts! Die Fracht steht trotzdem zu Ihrer Verfügung, und was Sie bestimmen, das wird geschehen. Wenn es Ihnen an Cigarren und Tabak fehlt, was in diesen Bergen freilich vorkommen kann, so greifen Sie nur zu. Wir haben genug mit, um Sie auf Jahre hinaus zu versehen.«
»Halt!« rief da der Haziendero aus. »Ich protestiere dagegen, daß sich jemand an der Fracht vergreift.«
»Wer sind Sie denn?« fragte der alte Peon, indem er ihn verwundert ansah.
»Ich bin Don Timoteo Pruchillo, Besitzer der Hazienda del Arroyo.«
»Die haben Sie doch verkauft, wie ich gehört habe!«
»Infolge eines Verbrechens, welches an mir begangen worden ist. Ich will Schadenersatz haben und lege Beschlag auf diese Wagen und auf alles, was sie enthalten.«
»Das geht nicht an, weil, wie Sie gehört haben, Sennor Shatterhand über diese Sachen bestimmen wird.«
»Sie gehen ihn nichts an. Er hat nicht das geringste Recht zu irgend einer Bestimmung.«
»Und Sie besitzen noch weniger Recht, Ihre Hand an unsere Fracht zu legen. Melton hat sie bestellt, und wir haben sie ihm zu bringen. Wie Sie privatim mit ihm stehen, muß mir sehr gleichgültig sei. Fechten Sie das mit ihm aus, aber nicht mit uns!«
Das schob sich der wackere Juriskonsulto herbei, pflanzte sich dem Peon gegenüber auf und fragte in kurzem Amtstone:
»Wie heißen Sie?«
»Man nennt mich den alten Pedrillo.«
»Kennen Sie mich?«
»Ja.«
»So wissen Sie, daß Sie mir zu gehorchen haben!«
»Ich habe Ihnen nicht einmal in Ures zu gehorchen, denn ich bin nicht irgend einer Person, sondern nur dem Gesetze unterthan. Hier oben aber gelten Sie soviel wie gar nichts.«
»Mensch, zwinge mich nicht, dich zu bestrafen!«
»Und zwingen Sie mich nicht, Sie auszulachen! Man kennt Sie. Hier giebt's nur zwei, denen wir gehorchen werden, nicht weil sie uns zu befehlen haben, sondern weil ihnen unsere Achtung gehört, nämlich Old Shatterhand und Winnetou. Was andere Mäuse pfeifen, mag zwar ihnen gefallen, uns aber nicht.«
»Mensch,« fuhr ihn der Beamte an, »vergiß nicht, was du bist, ein Knecht, nichts als ein Knecht! Hier aber steht der Bevollmächtigte deines Herrn, welcher wohl wissen wird, auf wessen Seite die Macht und das Recht zu suchen ist!«
Er deutete bei diesen Worten auf Endimio. Als dieser aller Augen auf sich gerichtet sah, geriet er in Verlegenheit und sagte:
»Ich bin der Beauftragte Sennor Manfredos, das ist wahr; aber ich habe Pedrillo mit der Ausführung meiner Aufträge betraut – –«
Er wurde durch einen lauten Ausruf des Players unterbrochen, welcher nach der Stelle deutete, wo das Thal wieder enger wurde. Dort wurde ein Reiter, ein Weißer, sichtbar, welcher einen Augenblick lang halten blieb und dann, als er die Wagen sah, sich umdrehte, um zu winken und darauf auf uns zugeritten kam.
»Weller, dort kommt Weller!« hatte der Player gerufen.
»Weller? Der Betrüger? Der Schurke?« fragte der Haziendero. »Den muß ich haben, und zwar sofort!«
Er rannte dem Nahenden entgegen, in welchem auch ich den jungen Weller erkannte. Diese Übereilung konnte üble Folgen haben, doch hoffte ich, daß der Haziendero nicht gleich meinen Namen nennen werde, und trat, um nicht zu früh von Weller bemerkt zu werden, hinter einen Wagen.
Die beiden trafen in einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten von uns zusammen, und wir hörten die Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden. Der Haziendero schrie den jungen Weller wütend an:
»Recht so, daß Sie kommen, Sie Dieb, Sie Räuber und Mörder! Ich verlange meine Hazienda zurück, und zwar genau so, wie sie dastand, ehe sie niedergebrannt wurde!«
»Sie hier, Don Timoteo?« fragte der andere erstaunt, ohne zunächst die Schimpfworte zu beachten. »Ich denke, Sie befinden sich in Ures! Was wollen Sie auf dem Wege nach Almaden?«
»Was ich will? Den Raub will ich zurück, den Ihr mir abgenommen habt!«
»Ich verstehe Sie nicht! Wie können Sie gegen mich, Ihren Freund, solche Worte führen!«
»Schweig, Schurke, und wage es ja nicht wieder, dich meinen Freund zu nennen! Ich bin ausgezogen, mich an dir zu rächen. Schau hin; dort stehen sie alle, die mit mir gekommen sind! Siehst du den Juriskonsulto von Ures?«
Der Gefragte blickte kopfschüttelnd nach den Wagen und antwortete: »Den kenne ich nicht.«
»Auch seine Polizisten nicht?«
»Nein. Was soll hier die Polizei?«
»Euch ergreifen, euch festnehmen, sowie wir schon eure Mitschuldigen festgenommen haben.«
»Mitschuldigen? Wer ist das?«
»Die Yumas. Stell' dich doch nicht so, als ob du nicht sähest, daß sie gebunden sind!«
»Gebunden? Wahrhaftig, sie sind gefesselt! Sogar der ›schnelle Fisch‹! Wer sind denn die andern Roten?«
»Das sind die Mimbrenjos, welche mit uns gegen euch gezogen sind. Und dort hinter dem letzten Wagen steckt Winnetou, der Häuptling der Apatschen!«
»Der Schwätzer wird alles verderben!« raunte mir Winnetou unwillig zu. »Mein Bruder mag dann schnell auf sein Pferd springen!«
»Winnetou ist hier?« fragte Weller. »Ist's möglich! Ich sehe ihn nicht.«
»O, nicht bloß dieser ist da, sondern noch einer, über den du erschrecken wirst. Da ist auch noch Old Shatterhand, der euern Yumas entkommen ist.«
»Old Shatterhand? Verdammt! Gut, daß du mir das sagst, Dummkopf!«
Wir hörten zunächst einen Schrei und dann den Galopp eines Pferdes und traten hinter dem Wagen hervor. Dort lag der Haziendero am Boden, niedergeschlagen von Weller, der davonjagte, zurück des Weges, den er gekommen war. Ich sprang zu meinem Pferde, schwang mich auf und jagte ihm nach. Zu gleicher Zeit that Winnetou dasselbe; er folgte mir auf den Fersen. Wir hörten den Flüchtling schreien:
»Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos! Old Shatterhand, Winnetou und die Mimbrenjos!«
Warum that er das? Etwa aus Schreck und Entsetzen? Er war doch während seines Wortwechsels mit dem Haziendero nicht so erschrocken gewesen! Er schrie die Namen noch, als er in die Enge verschwand, und als wir beide in dieselbe eindrangen, schrie er sie immer noch.
Wir kamen ihm rasch näher. Es ging thalaufwärts; rechts und links war Wald. Er blickte sich um und sah uns höchstens dreihundert Schritte hinter sich. Er erkannte, daß er verloren sei, wenn er die Flucht auf diese Weise fortsetzte, hielt sein Pferd an, sprang ab und eilte links in den Wald. Sofort schwang ich mich auch aus dem Sattel und sah dabei, daß der Apatsche auch heruntersprang.
»Winnetou, ihm direkt nach!« rief ich diesem zu und rannte dann unter die Bäume und die Steigung empor.
Es geschah das mit guter Berechnung. Wenn wir beide dem Fliehenden nachliefen, so konnten wir beim Geräusche unserer Schritte das Geräusch der seinigen nicht hören. Es war geraten, ihm zuvorzukommen und dann zu lauschen. Das wollte ich thun, während Winnetou ihn mir getrieben brachte.
Wir befanden uns unten an der linken Thalwand, welche ziemlich dicht mit Bäumen besetzt war und auch ziemlich steil zur Höhe stieg. Ich nahm an, daß Weller zunächst in gerader Richtung emporklettern werde, und nahm mir als Marke eine starke Buche, welche, wenn er diese Richtung wirklich einhielt, an seinem Wege lag. Ich war soweit hinter ihm gewesen und hatte also nach der Buche einen viel weitern Weg zurückzulegen als er.
Diesen Unterschied mußte ich durch doppelte Schnelligkeit auszugleichen versuchen. Ich glaube nicht, daß ich mich jemals im Leben so von Baumstamm zu Baumstamm, von Stein zu Stein geschnellt habe. Als ich die Buche erreichte, war ich atemlos, und es schwindelte mir. Ich warf mich hinter dem Stamm auf den Boden nieder und versuchte, zu lauschen. Zunächst summte mir das aufgeregte Blut in den Ohren, doch der feste Wille vermag selbst so etwas zu unterdrücken. Dann vernahm ich Schritte, zweierlei Schritte, nämlich diejenigen eines Menschen, der sich leise und vorsichtig, darum nicht zu eilig, der Buche näherte, und dann diejenigen einer andern Person, welche laut und rasch durch die Bäume und Sträucher drang. Der erstere war Weller und der letztere Winnetou; ich war dem Flüchtlinge also doch zuvorgekommen, ein Beweis, was der Mensch, wenn es sein muß, weit über seine gewöhnlichen Kräfte hinaus zu leisten vermag.
Er kam; schon sah ich ihn! Er ahnte nicht, daß einer von den beiden, welche er hinter sich glaubte, schon vor ihm war. Er lenkte seine Schritte nicht genau der Buche zu, sondern wollte rechts vor derselben vorüber. In dem Augenblicke, in welchem er mir am nächsten war, sprang ich auf, schnellte mich hin zu ihm, faßte ihn beim Haare, denn der Hut war ihm von den Zweigen herabgeschlagen worden, und riß ihn an denselben nieder. Er stieß einen überlauten Schrei aus.
»Hat mein Bruder ihn fest?« rief mir Winnetou zu, als er diesen Schrei hörte.
»Ja,« antwortete ich, indem ich Weller das Knie auf die Brust setzte, daß ihm der Atem ausgehen wollte.
»Ich komme gleich. Halte ihn nur fest!«
Es bedurfte dieser Aufforderung des Apatschen gar nicht, denn ich hatte den einstigen Kajütenwärter unter einem so starken Drucke, daß er jede Bewegung vergaß. Da kam Winnetou. Als er den Gefangenen sah, sagte er:
»Es war ein guter Gedanke meines Bruders, ihm vorauszuspringen. Ich wußte, daß Old Shatterhand ein vortrefflicher Läufer ist; aber daß er fliegen kann, habe ich nicht gedacht. Warum hast du dem Manne nicht die Faust gegeben, um ihn zu betäuben?«
»Weil es nicht nötig ist. Der Kerl ist nur ein Knabe in meinen Händen und soll nicht die Wohlthat der Bewußtlosigkeit haben.«
Weller hatte sein Gewehr in der Hand getragen; es war ihm, als ich ihn faßte, entfallen. Winnetou hob es auf. Ich zog den Burschen in die Höhe, stellte ihn auf die Beine und sagte:
»Vorwärts jetzt! Und wenn du nicht gehorchst, werden wir uns Gehorsam zu verschaffen wissen!«
Ich hätte ihn, selbst wenn ich im Besitze eines Riemens gewesen wäre, nicht gebunden; aber ich hatte keinen mit und Winnetou auch nicht. Der Mensch wäre übrigens eine solche Vorsichtsmaßregel gar nicht wert gewesen. Ich nahm ihn beim Kragen und schob ihn vor mir her. Als wir unten ankamen, standen unsere Pferde noch genau da, wo wir abgestiegen waren, dasjenige von Winnetou hinter dem meinigen. Wellers Pferd war vorwärts gelaufen und wurde von einigen Mimbrenjos, welche uns nachgeritten waren, herbeigeholt. Die Freude des Haziendero, als wir den Ergriffenen brachten, war groß und machte sich in dem Jubelrufe Luft:
»Sie haben ihn! Sie bringen ihn! Das ist prächtig; das ist herrlich! Nun soll er den Schlag, den er mir mit dem Gewehr gegeben hat, sogleich wiederbekommen!«
Er wollte ihm einen Hieb versetzen; ich stieß ihn aber zurück und sagte:
»Laßt das sein, Sennor! Sie haben eine Dummheit begangen, als Sie ihm entgegengingen. Dadurch wurde er auf uns aufmerksam und wäre uns beinahe entflohen. Das Richtige war, still zu sein und ihn ganz herbeizulassen.«
»Sie scheinen ein Gaudium daran zu finden, andere Leute immer nur zu tadeln! Sie sind ein – –«
Er wollte wahrscheinlich grob werden; ich unterbrach ihn aber in scharfem Tone:
»Schweigen Sie auf der Stelle, sonst –«
Ich hatte im Ärger wirklich den Arm erhoben. Da fuhr er erschrocken zurück und retirierte hinter einen Wagen, wo der liebe Juriskonsulto sich zu ihm gesellte und sie sich dann wahrscheinlich gegenseitig ihre Not klagten. Verkannte Genies haben ja immer zu klagen.
Winnetou hatte den Gefangenen indessen an eine Deichsel binden lassen. Die Mimbrenjos umringten ihn und schimpften auf ihn ein. Ich trieb sie zurück, denn was ich mit ihm zu sprechen hatte, brauchten sie nicht zu hören. Nur Winnetou blieb da, um meinem Versuche, dem Gefangenen etwas zu entlocken, beizuwohnen.
Letzterer zeigte ein finsteres, verschlossenes Gesicht und hielt die Augen zu Boden gesenkt. Ich erwartete keineswegs, daß er mir ein umfassendes Geständnis ablegen werde, glaubte aber, ihm doch wenigstens einige Äußerungen zu entlocken, aus denen ich einige Schlüsse ziehen könnte.
»Sie sind erst seit wenigen Minuten bei uns, Sennor Weller,« sagte ich, »und haben also noch nicht Zeit gefunden, über Ihre Lage nachzudenken; ich will Ihnen lieber gleich sagen, daß dieselbe eine gefährliche ist. Es handelt sich um Tod oder Leben. Die Entscheidung wird sich nach Ihrem Verhalten richten. Sagen Sie mir, warum Sie so unvorsichtig gewesen sind, Almaden zu verlassen und uns in die Hände zu reiten!«
Es dauerte eine ganze Weile, ehe er antwortete. Er überlegte wahrscheinlich, ob er überhaupt reden solle oder nicht, und wenn geantwortet werden mußte, wie weit er dann mit seinen Worten gehen dürfe. Als er mit sich ins reine gekommen war, erwiderte er:
»Ich erhielt den Befehl dazu von Sennor Melton.«
»So muß Ihr Ritt einen Zweck gehabt haben?«
»Einen doppelten sogar! Wir warteten auf die Wagen, bei denen wir uns jetzt befinden; sie kamen nicht, und so mußte man sehen, welche Ursache die Verzögerung haben möge.«
»Das war der eine Zweck. Nun der andere?«
Er öffnete schon die Lippen zur Antwort, schloß sie aber wieder. Wahrscheinlich hatte er vorhin mehr gesagt, als er jetzt gutheißen konnte. Endlich antwortete er:
»Das ist etwas, was Sie nicht interessiert.«
»O, ich gestehe Ihnen, daß mich alles, was Sie betrifft, aufs höchste interessiert; habe ich doch die Erfahrung gemacht, daß Sie meiner Person ein gleich großes und gleich eifriges Interesse zuwenden. Bei dieser Gegenseitigkeit der Teilnahme halte ich es für meine Pflicht, mich nach Ihrem und Ihrer Freunde Befinden zu erkundigen. Wie geht es in Almaden? Sind die Arbeiter schon unter die Erde gebracht?«
»Ja,« entfuhr es ihm wohl wider Willen.
»Arbeiten sie schon?«
»Nein.«
»Ich verstehe; sie müssen erst zahm gemacht und an die quecksilberhaltige Schachtluft gewöhnt werden. Hunger und Durst thun weh; diese beiden Mittel werden sie schon willig machen.«
Da er schwieg und mir nicht widersprach, so durfte ich annehmen, das Richtige getroffen zu haben, und fuhr fort:
»Wie gefällt Ihnen Ihre Wohnung da oben? Sie liegt ungemein versteckt, und da ich beabsichtige, Sie dorthin zurückzubringen, liegt es in Ihrem Interesse, mir sie und ihre Lage zu beschreiben.«
Jetzt antwortete er schnell, ja augenblicklich:
»Das kann mir nicht einfallen.«
»Das werden wir sehen. Sind Sie allein von Almaden fort?«
»Ja,« antwortete er ebenso rasch.
»Ich erinnere mich aber, gesehen zu haben, daß Sie einen Wink nach rückwärts gaben?«
»Das kann nur Täuschung gewesen sein. Vielleicht habe ich irgend ein Geräusch gehört und deshalb zurückgeblickt.«
»Mag sein. Aber warum schrieen Sie so laut während Ihrer Flucht?«
»Vor – – Angst.«
»Ein solches Geständnis fällt Ihnen wohl sehr schwer, und Sie machen es vielleicht auch nur, um die Wahrheit zu verbergen. Sollte jemand dagewesen sein, für dessen Ohren Ihre Rufe bestimmt waren? Es sollte mich sehr wundern, wenn Sie den Ritt so ganz allein unternommen hätten. Man kann so gar leicht in die Lage kommen, einen Gefährten zu brauchen. Sie wohnen mit Ihrem Vater doch bei Sennor Melton?«
»Thun Sie doch keine überflüssigen Fragen! Sie können sich ja sagen, daß ich Ihnen dieselben nicht beantworten werde.«
»Wenn nun Ihr Leben davon abhängt, ob Sie antworten oder nicht?«
»So bekommen Sie trotzdem keine Auskunft. Es kann mir nicht einfallen, meinen Vater zu verraten. Und was mein Leben betrifft, so steht dasselbe zwar augenblicklich in Ihrer Hand, aber ich weiß, daß Sie kein Mörder sind, und bin auch außerdem überzeugt, daß ich es auf hohe Jahre bringen werde.«
»Ganz wie Sie denken oder wollen! Ich werde Sie nicht länger belästigen und die Wohnung Ihres Vaters jedenfalls auch ohne Ihr Zuthun finden.«
Der Umstand, daß er einen Wink nach rückwärts gegeben und nachher unsere Namen so laut gerufen hatte, erregte doch mein Bedenken. Seine Spur mußte noch zu sehen sein; die Mimbrenjos, welche sein Pferd geholt hatten, mußten sie gesehen haben, doch als ich mich bei ihnen erkundigte, erklärten sie, es sei eine einfache und keine Doppelfährte gewesen. Das beruhigte mich wenigstens einstweilen.
Ich hatte übrigens mehr zu thun als mich ausschließlich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Es gab soviel Fragen in Beziehung auf den Wagen und ihren Inhalt. Ich sollte alles wissen und alles entscheiden und hielt es für das beste, jetzt noch keine Bestimmung zu treffen. Wir gesellten uns zu dem Wagenzuge und konnten uns später nach den Umständen richten. Soviel aber stand schon jetzt fest, daß ich in den fünf Wagenführern eine höchst brauchbare und zuverlässige Unterstützung gefunden hatte.
Vom Augenblicke unseres Aufbruches an war Wellers Fährte meine Wegweiserin. Ich ritt voran, um sie zu lesen, was vorerst nicht möglich war, da wir sie bei der Verfolgung verwischt hatten. Als wir aber über die Stelle, an welcher sein Pferd stehen geblieben war, hinausgelangten, besaß sie die vollste Deutlichkeit. Da erblickte ich denn zu meiner Überraschung eine dreifache Spur. Zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer war zurückgeritten. Natürlich machte ich Winnetou darauf aufmerksam, und er war augenblicklich derselben Ansicht, welche ich darüber hegte: Weller hatte einen Begleiter gehabt. Er war aus irgend einem Grunde demselben eine kurze Strecke vorausgeeilt, hatte uns gesehen und war auf uns zugekommen. Dem Begleiter hatte er einen Wink gegeben, daß er die gesuchten Wagen vor sich sehe und ihn später durch seine Rufe zur schleunigen Flucht angetrieben, und von unserer Anwesenheit benachrichtigt.
Als wir unsere Ansicht weitersprachen, stellte es sich heraus, daß, während unser aller Aufmerksamkeit auf Weller und den Haziendero gerichtet gewesen war, einer der Polizisten einen zweiten Reiter, auch einen Weißen, gesehen hatte, welcher an derselben Stelle erschienen, dann aber schnell wieder verschwunden war. Daß der Polizist und Pfiffikus uns diese Mitteilung erst jetzt machte, konnte ihm kaum verziehen werden, denn der andere Reiter war entweder Wellers Vater, oder gar Melton selbst gewesen. Ihn zu verfolgen, hielt ich nicht für ratsam. Dies hätte durch mich und Winnetou geschehen müssen, und wenn wir uns entfernten, konnte hinter uns unsere ganze, so sonderbar zusammengewürfelte Gesellschaft auseinanderfliegen. Wir waren gezwungen, bei den Wagen zu bleiben, und mußten also langsamer reiten; der Mann kam uns also weit voran und machte gewiß durch die Nachricht von unserm Kommen ganz Almaden rebellisch. Es war uns also nicht mehr möglich, unsere Gegner zu überraschen. Ja, ich begann im Gegenteile schon mit dem Umstande zu rechnen, daß sie unsere Ankunft dort gar nicht abwarten, sondern uns entgegenziehen und sich in den Hinterhalt legen würden, um uns an einem dazu passenden und für sie günstigen Orte zu überfallen und aufzureiben.
Am meisten ärgerte mich, daß der Betreffende wußte, wer wir waren, da der junge Weller unsere Namen genannt hatte. Er befleißigte sich also wahrscheinlich der größten Eile, uns einen schlimmen Empfang zu bereiten. Selbstverständlich nahm ich den Haziendero gehörig vor, denn er war schuld an allem, wollte das aber nicht einsehen.
Wir nahmen unsern Weg wieder unter die Füße, oder vielmehr unter die Pferdehufe. Aus guten Gründen ließ ich Winnetou nicht allein voranreiten, sondern gesellte mich zu ihm. Es war nämlich auch möglich, daß der Reiter seine Flucht nicht gleich fortgesetzt hatte, sondern beflissen gewesen war, uns zu beobachten. In diesem Falle steckte er mit seinem Pferde im Walde, und es galt also, seine Spur auf das schärfste ins Auge zu nehmen. Es zeigte sich aber, daß er fortgeritten war. Hinter uns beiden ritt der Yumatöter mit seinem Bruder, welche den Player zwischen sich hatten. Diesen mußte ich in meiner Nähe haben, da er unser eigentlicher Führer war. Weller steckte zwischen den Mimbrenjos.
Unser Weg stieg bergan. Wir hatten zunächst zu beiden Seiten Wald, dann nur noch zur linken Hand, bis er auch hier zu Ende ging. Nun begann eine grasige Ebene, in welcher die Spuren so deutlich wie die Worte in einem großgedruckten A-b-c-Buche zu lesen waren. Es blieb wie bisher: zwei Reiter waren uns entgegengekommen, und einer von ihnen ritt jetzt vor uns her. Er war durch den Wald im schärfsten Schritte geritten; auf der Ebene angelangt, hatte er sein Pferd in Galopp gesetzt. Vorher aber war er, wie wir sahen, abgestiegen. Wozu? Um dies zu erfahren, stiegen auch wir beide ab, nämlich Winnetou und ich, um die Stelle zu untersuchen. Die Spitzen seiner Füße waren gegen die Seiten des Pferdes gerichtet und abwechselnd mit den Fersen bald mehr, bald weniger in den Boden eingedrückt. Ich warf Winnetou einen fragenden Blick zu, und er nickte zustimmend, denn er sah, daß ich gleicher Meinung mit ihm war: der Reiter hatte hier nämlich den Sattelgurt fester geschnallt, um bei der Eile, die er nun vorhatte, sicheres Reiten zu haben. Nach diesem Nicken deutete der Apatsche zur Seite, wo das Gras so niedergedrückt war, als ob zwei lange, oben dünne und unten breite Gegenstände dagelegen hätten.
»Uff!« sagte er dabei. »Wundert sich mein Bruder Shatterhand nicht auch darüber?«
»Allerdings. Der Mann hat zwei Gewehre gehabt, welche er, als er den Gurt fester schnallen wollte, weglegte, um die Hände frei zu haben.«
»Ich kenne nur einen, der zwei Gewehre bei sich trägt, und der bist du. Das eine ist sein Eigentum, das andere hat ihm nicht gehört.«
»Wahrscheinlich nicht. Wozu soll er zwei Gewehre von Almaden mitschleppen? Er ist also unterwegs zu dem zweiten gekommen; er hat es irgend jemand weggenommen. Wer dieser jemand ist, werden wir höchst wahrscheinlich bald erfahren. Reiten wir weiter!«
Wir setzten unsern Weg fort, bald darauf teilte sich die Fährte, welcher wir folgten; die Doppelspur, welche uns entgegenkam, ging nordwärts ab, während die des einzelnen Reiters, welcher vor uns floh, die bisherige östliche Richtung beibehielt. Wir hielten wieder an.
»Welche Richtung ist die richtige nach Almaden?« fragte ich den Player.
»Die nach Osten,« antwortete er.
»Aber Ihr seht, daß der junge Weller mit seinem Begleiter hier aus Norden gekommen ist.«
»Sie sind vorn geraden Wege abgewichen. Sie müssen irgend eine Ursache gehabt haben, einen Umweg zu machen.«
»Ich ahne, daß die Ursache mit der zweiten Flinte zusammenhängt, und werde danach forschen. Reitet weiter! Ich will der Doppelspur nordwärts folgen, und mein junger Bruder, der Yumatöter, mag mich begleiten.«
Winnetou nahm es mir keineswegs übel, daß ich nicht ihn aufforderte, mit mir zu gehen. Er hielt es wie ich für erforderlich, daß wir uns nicht zugleich entfernten, sondern einer von uns bei dem Zuge blieb. Der Yumatöter aber war stolz darauf, schon wieder von mir ausgezeichnet zu werden.
Wir jagten im Galopp über das Gras dahin, um so schnell wie möglich unsere Absicht zu erreichen. Schon nach zehn Minuten sah ich, daß die Aufklärung uns nahe war. Um den Scharfsinn des jungen Mimbrenjo auf die Probe zu stellen, sagte ich:
»Wir werden bald umkehren können. Weiß mein Bruder, woraus ich das erkenne?«
Er betrachtete die Spur, welcher wir folgten, schärfer und antwortete dann:
»Ich sehe nichts anderes, als was ich bisher gesehen habe.«
»Mein Bruder muß nicht zur Erde, sondern gegen den Himmel blicken!«
Dabei deutete ich auf sechs bis acht Punkte, welche weit vor uns in der Luft zu sehen waren; sie schwebten bald auf und nieder, bald zogen sie Kreise.
»Uff, das sind Geier!« rief er aus. »Sie halten sich oberhalb einer gewissen Stelle; sie haben also ein Aas unter sich liegen.«
»Nein, kein Aas. Auf ein Aas stoßen die Geier sofort nieder. Diese aber thun das nicht; sie bleiben oben schweben, folglich lebt das Wesen noch, welches sie sich als Beute ausersehen haben.«
Als wir näher kamen, sahen wir noch andere Geier, diese Gesundheitspolizisten der Natur. Sie bildeten, am Boden sitzend, einen Kreis, in dessen Mitte ein Körper lag, welcher, wie wir sahen, als wir näher kamen, ein menschlicher war.
»Ein Mensch!« rief der Mimbrenjo aus. »Ein Ermordeter, eine Leiche!«
»Keine Leiche! Wäre er tot, so hätten sich die Geier längst über ihn hergemacht. Er muß sich vor kurzem noch bewegt haben.«
Die Vögel flogen, noch ehe wir die Stelle erreichten, auf. Bei dem Verunglückten angekommen, hielten wir an und sprangen ab.
»Gütiger Himmel!« rief ich aus, als ich den ersten Blick auf ihn geworfen hatte. »Ist das möglich! Es ist einer von denen, die wir retten wollen,« fuhr ich fort, indem ich niederkniete, um den Bedauernswerten zu untersuchen.
Es war der Herkules. Und wie sah er aus! Sein Anzug war zerfetzt, entweder im Kampfe oder aus andern Ursachen. Er hatte einen Hieb auf den Kopf bekommen; sein Schädel war angeschwollen bis weit in die Stirn herein und sah blutig rot aus. Ob der Knochen zerschmettert war, konnte ich nicht sehen. Sonst bemerkte ich glücklicherweise keine Wunde. Als ich den Kopf zu untersuchen begann, verursachten meine Berührungen Schmerzen, denn der Herkules brüllte laut und bäumte den Oberkörper auf. Sobald ich die Hände von der Wunde ließ, fiel er zurück und war still.
»Wir müssen zurück,« sagte ich. »Hier ist nichts zu machen. Wir müssen vor allen Dingen Wasser haben.«
»Aber, wenn er unterwegs stirbt?«
»So dient es zu unserer Beruhigung, daß er hier auch gestorben wäre. Ich nehme ihn zu mir aufs Pferd.«
»Diesen großen, schweren Mann!«
»Es muß gehen, denn anders ist er nicht zu transportieren.«
Es war wahr; den Goliath zu mir quer über den Sattel zu bringen, verursachte uns eine Anstrengung, welche den Verwundeten natürlich auch angriff. Er brüllte vor Schmerz, kam dabei aber nicht zum Bewußtsein. Endlich hatte ich ihn oben, und dann ging es fort, zurück, doch nicht auf demselben Wege, den wir gekommen waren, denn das wäre ein Umweg gewesen, da unser Zug sich inzwischen fortbewegt hatte. Er ging nach Osten; wir waren nach Norden geritten und mußten also in der Diagonale nach Südosten zurückkehren.
Mein Pferd hatte eine schwere Last zu tragen, war aber stark genug, trotz derselben Galopp zu gehen. Ich mußte galoppieren, weil diese Gangart die steteste ist und den Verwundeten am wenigsten angriff. Er war still und lag wie tot quer vor mir. Als wir unsern Zug erreichten, gingen nicht nur die Kräfte meines Pferdes, sondern auch die meinigen fast zu Ende.
Natürlich erregte die Last, welche wir mitbrachten, Aufsehen. Man rief und schrie durcheinander und drängte sich herbei, den Verletzten zu betrachten. Winnetou war, wie gewöhnlich, ruhig. Er wies die Neugierigen streng zurück, half die Last mir abnehmen und untersuchte dann den Schädel. Es war nicht nötig, ihm dabei zu helfen, denn der Apatsche verstand sich auf Verwundungen wie kein anderer.
»Der Knochen ist nicht zerschmettert,« erklärte er nach einiger Zeit. »Der Mann wird leben bleiben, wenn er das Fieber überwindet. Man gebe mir Wasser!«
Die Fuhrleute hatten aus Rücksicht für ihre Maultiere volle Eimer unter ihren Wagen hängen, sodaß dem Verlangen Winnetous nachgekommen werden konnte. Der Indianer besaß eine so zarte Hand, daß der Verwundete unter der Berührung derselben nicht ein einzigesmal erwachte. Nachdem er gekühlt und verbunden worden war, wurde ihm in einem der Wagen ein Lager hergerichtet. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung.
Wer erwartet hätte, daß Winnetou, als wir wieder nebeneinander ritten, mich nach dem Herkules fragen würde, der hätte sich geirrt. Er blickte sinnend vor sich nieder. Ich kannte das Gesicht, welches er dabei machte. Er bemühte sich, ohne meine Hilfe auf die richtige Fährte zu kommen. Nach einer Weile hob er den Kopf; der halbbefriedigte Blick, den er dabei zu mir herübergleiten ließ, sagte mir, daß er mit sich im reinen sei. Darum fragte ich nun:
»Mein roter Bruder hat die Erklärung gefunden, die er von mir hätte bekommen können. Wer ist denn der Verwundete?«
»Er gehört zu den Bleichgesichtern, welche Melton überlistet hat.«
»Allerdings. Er ist der einzige, dem ich meinen Verdacht mitteilte.«
»Er wird auch der einzige sein, der dem Schicksale der andern entgangen ist. Old Shatterhand weiß natürlich, wer ihn verwundet hat?«
»Allerdings. Weller und sein uns unbekannter Begleiter sind es gewesen; das zweite Gewehr war das seinige, welches sie ihm abgenommen haben.«
»So wird er, wenn er wieder zu sich kommt, uns sagen können, wer der andere gewesen ist.«
»Wird dies bald geschehen?«
»Das ist nicht leicht zu sagen. Das Bleichgesicht ist ein Riese und hat einen sehr harten Kopf; jeder andere wäre zerschmettert worden. Der Knochen ist ganz, aber wer kann wissen, in welchem Zustande sich das Gehirn unter demselben befindet? Es wäre mir sehr lieb, wenn er zur Besinnung käme und sprechen könnte, denn er ist in Almaden gewesen und würde uns sagen, was dort vorgegangen ist.«
»Meine Warnung hat ihn doch vorsichtig gemacht, sonst wäre ihm das gleiche Schicksal mit den andern geworden. Er ist entkommen, und Weller und der andere haben ihn verfolgt. Das ist klar.«
»So ist es. Aber es kommt noch eins dazu. Meint mein Bruder, daß die beiden Bleichgesichter nur diesen einen Grund gehabt haben, Almaden zu verlassen?«
»Nein. Hätten sie nur diesen gehabt, so wären sie wieder umgekehrt, als sie meinten, den Flüchtling erschlagen zu haben; sie sind aber weitergeritten. Wahrscheinlich haben sie die Wagen mit großer Ungeduld erwartet und sind, da dieselben nicht zur rechten Zeit ankamen, ihnen entgegengeritten.«
»Das denke auch ich. Will mein Bruder nicht einmal mit Weller reden? Es ist vielleicht gut, zu hören, was er über den Verwundeten sagt.«
Das war eine Aufforderung, welcher ich sehr gern nachkam, denn ich war selbst begierig, zu hören, ob der Mensch ein Eingeständnis machen werde. Ich wartete, bis wir den Zugtieren eine Rast gönnen mußten, was an einem fließenden Wasser geschah. Der Herkules war noch nicht zu sich gekommen. Während Winnetou sich mit ihm beschäftigte, ging ich zu Weller, welcher gebunden am Boden lag, und fragte:
»Ihr kennt doch wohl den armen Teufel dort, dem man den Kopf so arg zugerichtet hat?«
»Natürlich kenne ich ihn,« fuhr er mich an; »Ihr wißt ja, daß ich auf dem Schiffe die Ehre hatte, ihn und Euch zu bedienen.«
»Das wissen wir Euch keinen Dank, und es wäre für uns und für Euch auch besser gewesen, wenn Ihr Euch später nicht um uns gekümmert hättet. Nun wird der Herkules Eure Aufmerksamkeit vielleicht mit dem Leben bezahlen! Der Kolbenhieb, welcher meinem Landsmanne das Leben rauben sollte, stammt von Euch.«
»Von mir? Welch ein Gedanke! Master, Ihr wollt ein so scharfsinniger Mann sein und laßt Eure Gedanken doch so in die Irre gehen! Wie kommt Ihr denn eigentlich darauf, daß ich es bin, der ihn hat erschlagen wollen?«
»Ihr oder der andere, welcher bei Euch war. Einer von euch beiden ist's gewesen.«
»Die Behauptung höre ich; aber wo ist der Beweis? Wie nun, wenn er von einem andern überfallen worden und ich erst später an ihm vorübergekommen wäre?«
»Macht das einem Kinde weiß, aber nicht mir! Euer Vater hat ja sein Gewehr!«
Es stand bei mir fest, daß sein Begleiter entweder sein Vater oder Melton gewesen war, und ich glaubte, das erstere für richtiger halten zu müssen. Er ließ sich dadurch, daß ich auf den Busch schlug, zu der schnellen und unüberlegten Frage verleiten:
»So habt Ihr ihn also doch erkannt? Nun meinetwegen! Ich habe nichts davon, wenn ich es leugne. Ja, es war mein Vater. Und wißt Ihr, warum ich Euch das sage? Ich gebe Euch den guten Rat, umzukehren und Euch nicht länger um Almaden zu kümmern. Euer Vorwitz wird Euch teuer zu stehen kommen.«
»Wollen das abwarten!«
»Ihr braucht gar nicht zu warten; ich sage es Euch schon jetzt. Ihr kennt die Verhältnisse nicht und wißt also nicht, was Euch in Almaden erwartet.«
»So bitte ich Euch sehr, es mir zu sagen!«
»Fällt mir nicht ein! Nur das eine will ich Euch sagen: Euer Leben hängt davon ab, wie Ihr mich behandelt. Man wird Euch zwingen, mich frei zu geben, und dann werde ich bestimmen, was mit Euch geschehen soll.«
»Ah, Ihr meint, daß ich Euer Gefangener sein werde?«
»Ja, wenn Ihr nicht vorher erschossen werdet.«
»Nun, so heiß, wie Ihr denkt, wird es wohl nicht werden. Mit den dreihundert Yumas, welche es in Almaden giebt, nehmen wir es gern auf.«
»Dreihundert – –? Wie, Ihr wißt – –?«
»Ja, wir wissen sehr genau, was uns in Almaden erwartet und was Ihr uns so klug verschweigen wollt. Ich sage Euch, nicht mein Leben schwebt in Gefahr, sondern das Eurige hängt an einem Faden. Ihr befindet Euch sehr im Irrtum, wenn – –«
Ich hielt mitten in der Rede inne, denn in diesem Augenblicke erscholl von dem Wagen, in welchem sich der Herkules befand, ein überlauter, ein gräßlicher Schrei. Ich eilte hin. Der Verwundete saß aufrecht unter dem aufgespannten Wagentuch, stierte mit blutunterlaufenen Augen heraus und schrie:
»Gieb sie her; gieb sie her! Judith, Judith, folge mir; er betrügt dich doch!«
Er ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen, daß man es fünfzehn Schritte weit hörte. Er war zwar erwacht, aber noch nicht bei Sinnen und phantasierte von seiner Geliebten.
Ich ergriff seine beiden Fäuste, hielt dieselben sanft aber fest und redete ihm gütlich zu. Er lauschte. Seine Augen nahmen nach und nach einen andern Ausdruck an, und im klagenden Tone sagte er:
»Er bethört sie; er bethört sie! Sie denkt nicht an seine Schlechtigkeit, sondern an sein Geld.«
Indem ich ihm weiter zuredete, beabsichtigte ich, ihn zu beruhigen; aber die Wirkung war nicht die erwünschte.
»Wer spricht da?« fragte er zornig. »Ich kenne Sie! Sie wollen mir Vorwürfe machen. Sie haben mich gewarnt, und ich habe es nicht beachtet. Nun habe ich den Lohn. Melton hat mir Judith genommen, und Weller hat – –«
Er stockte. Der letztgenannte Name erweckte eine neue Vorstellung in ihm.
»Weller!« schrie er dann. »Wo sind sie? Wo sind die beiden Weller? Der Alte hielt mich fest, und der Junge schlug mich nieder. Wo, wo sind sie, damit ich sie erwürgen, erdrosseln kann!«
Das Bewußtsein war ihm mit einemmal zurückgekehrt. Er sah mich an; er sah an mir vorüber, zum Wagen hinaus. Da fiel sein Blick nach der Richtung, in welcher der junge Weller lag; er erkannte ihn und stieg mit der Eile eines Wütenden aus dem Wagen. Ich wollte ihn halten, aber meine Kraft reichte nicht aus. Winnetou faßte ihn auch, doch vergeblich, denn im gegenwärtigen Zustande vervielfältigten sich seine Kräfte in einer Weise, daß er uns beide mit Leichtigkeit abschüttelte. Dabei brüllte er:
»Dort, dort liegt er, der Mörder, der mich aus dem Schlafe weckte und dann niederschlug. Ich zermalme ihn!«
Er sprang auf Weller, der vor Angst aufschrie, zu, warf sich auf ihn nieder und krallte ihm die beiden Hände um den Hals. Wir wollten ihn wegreißen – vergebliches Beginnen! Bei seiner jetzigen Aufregung hätten ihn, wie man zu sagen pflegt, zehn Pferde nicht fortzuziehen vermocht. Er hielt den Hals seines Feindes wie mit Eisenklammern umfaßt und stieß dabei Laute aus, welche nicht mit der Stimme eines Tieres und noch viel weniger mit derjenigen des Menschen verglichen werden konnten. Wir zogen und zerrten an ihm; er achtete es nicht. Das Gesicht Wellers nahm eine dunkle und immer dunklere Färbung an; er war am Ersticken. Da nahmen wir alle unsere Kräfte zusammen und zerrten den Herkules auf, aber mit ihm auch Weller, dessen Hals er so fest wie zuvor umklammert hielt. Wir versuchten, seine Finger zu lösen, vergeblich, bis ich auf den Gedanken kam, ihn durch Schmerzen von Weller abzubringen. Ich gab ihm also einen, allerdings nur leisen Schlag auf den Kopf, und sogleich ließ er den andern los und griff mit beiden Händen nach der Stelle, welche ich berührt hatte. Er stand da, vor Schmerz schreiend; sein Geschrei ging in Wimmern über; dann knickte er langsam zusammen, kam auf die Erde zu liegen, schloß die Augen und war still. Der übergroßen Anstrengung war eine ebenso große Ermattung gefolgt. Als ich ihn so daliegen sah, fiel mir auf, was ich vorher nicht so beachtet hatte, nämlich sein elendes Aussehen, welches von seiner Verwundung allein nicht herrühren konnte.
Natürlich untersuchten wir nun den Gewürgten. Er war tot, erwürgt von den Händen dessen, den er für tot, für ermordet gehalten hatte. Wie schnell und wie schrecklich war mein Wort, welches ich ihm in ganz anderer Voraussetzung gesagt hatte, in Erfüllung gegangen: »Nicht mein Leben schwebt in Gefahr, sondern das Eurige hängt an einem Faden!«
Wir bedauerten es, daß es so gekommen war, fühlten aber kein Mitleid mit dem Toten. Er wurde kurzweg in die Erde verscharrt; dann setzten wir unsere Fahrt fort, nachdem wir den Herkules wieder in den Wagen gebettet hatten.
Über den übrigen Teil der Reise kann ich kurz hinweggehen, indem ich bemerke, daß wir nach Aufhebung der übrigen Posten in die Region gelangten, in welcher die Vegetation aufzuhören begann. Was ich für möglich gehalten hatte, war nicht eingetroffen, nämlich, daß unsere Feinde uns entgegenkommen könnten, um uns zu überfallen. Sie erwarteten uns in Almaden, denn sie meinten, weil wir dort unbekannt mit der Örtlichkeit seien, könnten sie uns leichter als anderswo den Garaus machen.
Der Player erwies sich, was ich vorher sehr bezweifelt hatte, als ehrlich. Als wir auf seine Angabe hin den letzten Posten gefunden und überwältigt hatten, sagte er zu Winnetou und mir:
»Jetzt rate ich euch, mit den Pferden nicht weiter zu gehen, weil ihr in Almaden zwar Wasser, aber kein Futter findet. Ihr müßt einen Ort aufsuchen, an welchem ihr sie zurücklassen könnt.«
»Ist euch auf dieser Seite ein solcher bekannt?« fragte ich.
»Ja.«
»Er muß aber so gelegen sein, daß man einen Angriff leicht abwehren kann!«
»Bei dem Orte, den ich meine, kann von einem Angriffe gar keine Rede sein. Er liegt so versteckt mitten im Walde, daß es unmöglich ist, euch zu finden.«
»Dann paßt er eben nicht für uns, oder meint Ihr etwa, daß wir die Pferde und die Maultiere hier zurücklassen müssen, die Wagen aber mitnehmen sollen? Wie wollen wir die schweren und großen Wagen nach einer Örtlichkeit bringen, welche vom Walde rundum umgeben ist?«
»Da habt Ihr freilich recht, Master.«
»Und wenn wir dies zustande brächten, so müßten wir doch mit der Möglichkeit rechnen, daß unsere Spuren gesehen und wir entdeckt würden. Wagenspuren sind sehr lange sichtbar. Der Wald, welcher uns beschützen Soll, würde auch den Angreifern Deckung bieten. Der Ort also, den Ihr für so passend für uns haltet, könnte im Gegenteile für uns sehr gefährlich werden.«
»Wie soll er denn beschaffen sein?«
»Er muß frei liegen, damit wir die Annäherung eines Feindes leicht und rechtzeitig bemerken können, und doch soviel Bäume haben, daß wir, unter ihnen verborgen, von weitem nicht sogleich gesehen werden.«
»Also genug Wasser, reichlich Gras, Bäume oder Sträucher und doch rundum frei. So ein Ort ist nicht leicht zu finden. Und doch,« fügte er nach einigem Sinnen hinzu, »weiß ich einen; aber er liegt von hier ab.«
»Das kann uns nur lieb sein. Man erwartet uns in Almaden aus der geraden Richtung. Da kann es nur von Vorteil für uns sein, wenn wir uns abseits von derselben befinden.«
»Wir haben wenigstens noch drei Stunden zu fahren, so daß wir erst gegen Abend hinkommen.«
»Auch das schadet nichts, da wir heute doch nichts mehr unternehmen können. Übrigens dürft Ihr nicht denken, daß wir gleich so mir nichts dir nichts in voller Gesellschaft nach dem Bergwerke gehen. Erst muß ein Kundschafter hin. Das ist so Regel bei Winnetou und mir.«
»Damit verschwendet ihr doch viel Zeit!«
»Es ist besser, man verwendet eine gewisse Zeit auf Vorsichtsmaßregeln, als daß man in schädlicher Eile ins Verderben rennt.«
»Wollt ihr nicht in Betracht ziehen, daß dem Kundschafter manches geschehen kann, was einer aus vielen Personen bestehenden Truppe nicht geschehen würde?«
»Und wollt ihr nicht bedenken, daß es Lagen giebt, in denen ein einzelner viel weniger Gefahr läuft, als ein zahlreicher Trupp? Übrigens werden wir keinen Dummkopf schicken. Ich denke, daß Winnetou den Kundschaftergang übernehmen wird.«
»Nein, nicht ich, sondern mein Bruder Shatterhand,« fiel da der Apatsche ein. »Winnetou muß bei dem kranken Bleichgesichte bleiben, wenn es gerettet werden soll.«
Er hatte die Heilung des Herkules übernommen und wollte seinen Patienten nicht verlassen. Das war eine Menschenfreundlichkeit und Pflichttreue, welche mich veranlaßte, ihm zu Willen zu sein, obgleich ich die Überzeugung hegte, daß er ein besserer Kundschafter sei als ich.
Wir wichen nun aus der bisherigen Richtung ab und kamen gegen Abend an ein Wäldchen, welches von allen Seiten von Prairie umgeben war. Es hatte vielleicht zweitausend Schritte im Durchmesser, bot uns also Platz genug. Stellenweise standen die Bäume so weit auseinander, daß wir mit den Wagen dazwischen konnten; es war also möglich, sie zu verstecken, und Wasser gab es auch. In den letzten zwei Stunden hatten wir, hinter den Wagen hergehend, uns Mühe gegeben, ihre Spuren soviel wie möglich auszulöschen.
Bis wir uns in dem Wäldchen eingerichtet hatten, war es Nacht geworden. Feuer brannten wir nicht an; die Wagen enthielten genug Proviant, zu dessen Zubereitung wir keines Feuers bedurften. Noch war ich beim Essen, da kam Winnetou, der sich beim Herkules befunden hatte, zu mir und sagte:
»Mein Bruder mag mit zu dem Kranken kommen, der mit ihm sprechen will. Er weiß, was er sieht und hört und redet. Er fragte mich, und ich habe ihm gesagt, was er wissen wollte.«
Der Patient lag neben dem Wagen, in welchem er transportiert worden war, im weichen Grase; man hatte ihm den Kopf auf Decken gebettet. Als ich mich zu ihm setzte, streckte er mir die Hand entgegen und sagte langsam und mit krankhaft leiser Stimme:
»Ich hörte von dem Indianer, welcher mit mir sprach, daß Sie hier und daß ich Ihnen mein Leben zu verdanken habe. Geben Sie mir Ihre Hand! Wie freute ich mich, als ich jetzt von dem Indianer hörte, daß Sie hier seien! Sie waren doch gefangen! Wie sind Sie frei gekommen?«
Ich erzählte ihm, was geschehen war, und dehnte meinen Bericht bis auf die gegenwärtige Stunde aus. Er wußte nicht, was seit dem Augenblicke, an welchem Weller ihn niedergeschlagen hatte, von ihm und mit ihm geschehen war, und fragte, als ich geendet hatte, ganz erstaunt:
»Ist das, was Sie erzählen, wahr? Ich habe Weller erwürgt?«
»Ja. Sie sagten im Fieber, er habe Sie niedergeschlagen. War er es wirklich?«
»Ja. Was ich im Delirium that, brauche ich nicht zu verantworten.«
»Was müssen Sie erlebt haben! Sie werden mir es später erzählen; jetzt sind Sie zu schwach dazu.«
»O nein. Mein Kopf thut zwar weh, aber ich habe, wie Sie wissen, die Natur eines Elefanten. Wenn ich langsam und leise rede, greift es mich nicht an. Lassen Sie mich immerhin erzählen. Wenn Sie gekommen sind, meine Gefährten zu retten, müssen Sie doch baldigst wissen, was geschehen ist.«
»Ich bin allerdings sehr gespannt, es zu hören. Sie wurden von dem ›großen Munde‹ gefangen genommen und dann wieder frei gegeben. Melton und die Weller kamen auch frei, ebenso der Haziendero. Was geschah nachher?«
»Sie hatten ganz recht, uns zu warnen; es war auf uns abgesehen. Melton kaufte dem Haziendero seinen Besitz ab, und damit wurden wir seine Arbeiter.«
»Ja, ich erinnere mich, den Passus des Kontraktes gelesen zu haben, daß alle Rechte des Haziendero auf seinen etwaigen Rechtsnachfolger überzugehen hätten. Das war, wie ich heute weiß, gleich von vornherein so berechnet. Aber Sie waren für die Hazienda, also für Vieh- und Feldwirtschaft engagiert und brauchten nicht ins Bergwerk zu gehen!«
»Meinen Sie, daß letzteres unser Willen gewesen ist? Wir haben von dem Quecksilber nicht das mindeste gewußt. Melton belog uns, indem er sagte, daß eine kleine Tagereise hinter der Hazienda eine kleine, zu ihr gehörige Estancia liege, wo wir einstweilen beschäftigt werden sollten. Die Wellers sollten uns hinführen, während er mit dem Haziendero nach Ures ritt, um den Kauf rechtsgültig zu machen. Wir erklärten uns einverstanden, da auf der Hazienda für jetzt nur Hunger zu holen war, und brachen mit den Wellers auf. Aber nach vollendetem Tagemarsche fanden wir anstatt einer Estancia ein Indianerlager, dreihundert Mann mit über vierhundert Pferden. Auf einen Teil der überschüssigen Pferde wurden wir gefesselt; die anderen waren Packpferde, welche Lasten zu tragen hatten. Dann wurden wir fortgeschafft, Tag für Tag weiter, bis nach Almaden. Dort giebt es ein vermaledeites Loch, das Mundloch eines Schachtes, in welches gestiegen werden mußte.«
»Habt ihr euch denn auch da nicht gewehrt?«
»Von mir will ich nicht reden, denn wenn ich hineingestiegen wäre, so befände ich mich unter der Erde und nicht hier bei Ihnen; aber die andern, die Kinder, Weiber und Väter, was konnten sie machen? Die paar Menschen gegen die dreihundert Wilden! Übrigens bedrohte man uns mit dem Tode, sofern wir uns weigerten. Die Frauen und Kinder konnten an keine Gegenwehr denken, und um ihretwillen und um ihnen keine Mißhandlungen zuzuziehen, ergaben sich auch die Männer drein.«
»Was geschah dann mit ihnen unten?«
»Weiß ich es? Ich bin nicht mit unten gewesen.«
»Ah so! Sie waren nicht mit in dem Schacht! Wie haben Sie das angefangen?«
»Sehr einfach. Als man mir die Riemen abgenommen hatte und mich nach dem Loche schob, brach ich durch die Indianer und rannte fort, nachdem ich mehrere niedergeschlagen und einem von ihnen, der ein Gewehr besaß, dieses entrissen hatte. Man schoß nicht auf mich, weil man mich lebendig haben wollte; das war meine Rettung. Die Roten rannten mir nach. Ich bin ein starker Kerl, aber ein schlechter Läufer, doch gab mir die Angst die nötige Schnelligkeit. Dennoch hätten mich die leichtfüßigen Schurken eingeholt, wenn ich nicht durch den Erdboden durchgebrochen wäre. Da sahen sie mich nicht mehr und ließen mich stecken.«
»Sonderbar! Wenn sie hinter Ihnen her waren, müssen sie doch auch an die Stelle, wo Sie durchgebrochen sind, gekommen sein?«
»Ja, aber ich war nicht geradeaus gerannt, sondern hatte eine doppelte Schwenkung gemacht. Ich kam nämlich an eine Felsenecke, bog um dieselbe herum, um den Indianern aus dem Gesicht zu kommen, und schwenkte dann noch um eine zweite Ecke, hinter welcher der Boden unter mir wich, so daß ich in die Tiefe fuhr.«
»Ich habe erfahren, daß der Felsen dort aus Kalkstein besteht; der ist bekanntlich, wo er auftritt, gern von natürlichen Höhlungen durchzogen.«
»Eine Höhlung war dies nicht, sondern ein Gang, ein Stollen, der schräg abwärts in die Erde läuft.«
»Haben Sie ihn untersucht?«
»Das konnte ich nicht, denn es war dunkel, und ich hatte kein Licht. Eine Strecke bin ich abwärts gegangen, aber nicht weit, da es mir gefährlich erschien, weiter zu gehen. Dann ging ich aufwärts, Schritt um Schritt und vorsichtig tastend, ehe ich den Fuß weitersetzte. Das war gut, denn sonst wäre ich in die Tiefe gestürzt, da ich sehr bald an einem Abgrunde stand.«
Bei diesen Worten fiel mir die Höhle ein, von welcher der Player gesprochen hatte; sie mündete zu Tage und endete hinten in einem Abgrunde. Darum fragte ich:
»Können Sie mir die Örtlichkeit genau beschreiben, wo Sie eingebrochen sind?«
»Ich kann Ihnen ganz Almaden beschreiben.«
»Das ist mir lieb. Haben Sie denn Gelegenheit gehabt, sich die Gegend anzusehen, obgleich Sie sich nicht erblicken lassen durften?«
»Ich habe es gewagt, um Judiths willen. Sie war nämlich die einzige, welche unterwegs nicht gefesselt wurde und dann auch nicht in den Schacht zu steigen brauchte. Gerade als man mich losband, damit ich hinunter sollte, verhöhnte sie mich und sagte mir, daß ich unten Quecksilber graben müsse, während sie oben die Wirtschafterin des Bergwerksherrn sein werde. Das machte mich verwegen, und die Wut darüber gab mir die Kraft, mich durchzuschlagen und dann nach ihr zu suchen.«
»Wie kamen Sie aus dem tiefen Loche?«
»Indem ich Steine aufeinander baute.«
»Haben Sie die Judith gefunden?«
»Ihren Aufenthaltsort vermochte ich nicht ausfindig zu machen, denn ich durfte mich nur des Nachts hervorwagen; aber begegnet bin ich ihr einmal. Sie erschrak zuerst; dann wurde sie freundlich. Dabei versprach sie mir, mir ihre Wohnung zu zeigen; nur müsse sie erst nachsehen, ob Melton fest schlafe, weil dieser mich nicht gewahren dürfe.«
»Das glaubten Sie ihr?«
»Ja. Aber als sie fort war, kamen mir Bedenken; ich verließ den Ort, an welchem ich auf sie warten sollte, und versteckte mich in der Nähe. Sie kam nicht wieder, dafür aber Melton mit den beiden Weller und einigen Indianern, die mich ergreifen wollten.«
»So hat Ihre Angebetete Sie verraten. Wie kann ein Mann wie Sie noch Liebe zu einem solchen Geschöpfe hegen! Wie lange haben Sie denn Ihr Versteck benutzt?«
»Bis vor zwei Tagen; dann trieb mich der Hunger fort, und ich schlug ganz natürlich den Weg ein, auf welchem wir gekommen waren. Wenn es mir glückte, eine bewohnte Gegend zu erreichen, wollte ich meinen armen Gefährten von dort aus Hilfe bringen. Nun aber sind ja Sie da; das ist besser.«
»Wovon ernährten Sie sich denn?«
»Von den wenigen Pflanzen, welche es dort giebt. Ein wenig Wasser fand ich in meinem Verstecke, wo ich es von den Wänden leckte.«
»Schrecklich! Ein Wild konnten Sie nicht schießen?«
»Ich besaß keine Munition. Als ich wie ein Tier alle Halme verzehrt hatte, die es im Umkreise gab, mußte ich fort.«
»Wurden Sie nicht angehalten?«
»Nein.«
»So haben die Indianer die Gegend nicht eingeschlossen?«
»Bis dahin war dies nicht der Fall; aber ich sah und hörte, daß sie dieselbe immerfort nach mir durchstreiften. Ich mußte einen ganzen Tag lang durch wüste Einöde wandern, ehe ich wieder Gras und Bäume fand. Da begegnete ich einem einzelnen Indianer, welcher jedenfalls nach Almaden wollte, aber er traute sich nicht an mich heran, da er nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet war und bei mir eine Flinte sah. Jedenfalls hat er in Almaden gemeldet, daß er mich gesehen hatte, und die beiden Weller sind schnell hinter mir hergeritten. Was dann weiter geschah, das wissen Sie.«
»Ja, das weiß ich, und was ich noch nicht weiß, das werden Sie mir sagen können. Oder fühlen sie sich zu matt dazu?«
Er hatte natürlich nur langsam und in Pausen gesprochen, versicherte aber:
»Wenn ich leise rede, halte ich es noch länger aus. Ich habe einen Büffelschädel und werde den Hieb bald überwinden.«
»Ja, die Weller haben ihren harten Schädel nicht gekannt und Sie für tot gehalten. Nun bitte ich, sich genau auf Almaden und Ihr dortiges Versteck zu besinnen und mir dasselbe zu beschreiben.«
»Wir kamen über ein wüstes, wellenförmiges Land, welches eine Tagreise breit ist. Hinter demselben senkt sich der Boden ziemlich schnell und bildet eine weite, fast kreisrunde Vertiefung, welche früher ein See gewesen zu sein scheint. In diesem See hat eine große Felseninsel gelegen, welche heute das eigentliche Almaden darstellt, und wie ein riesiger Felsenquader aussieht. Man kann auf zwei Seiten hinaufgelangen. Oben auf dem Plateau, fast auf der Mitte desselben, steht ein rohes Steinhaus, welches nur aus den vier Wänden und dem Dache besteht. In diesem Hause ist die Mündung des Schachtes.«
Won welchen beiden Seiten kann man nach oben?«
»Von Nord und Süd. Die Ostseite steigt ganz lotrecht auf; an der westlichen kann man eine kleine Strecke emporgelangen, und da liegt auch mein Versteck.«
»Wie kann ich es am besten finden?«
»Fast genau in der Mitte der Westseite liegt ein großer Felsblock, welcher sich vor Zeiten, wie man sieht, oben losgerissen hat und herabgestürzt ist, hart an der eigentlichen Wand des Berges; links schließt er fest an dieselbe an, während er rechts mit ihr eine breite Lücke bildet, welche aber ganz mit Geröll ausgefüllt ist. Auf der ersteren Seite, also links, nördlich von dem Blocke, ist der Berg in der Weise aus- oder auch angewaschen, als ob früher ein Wasser von oben herabgeflossen wäre. Das Wasserbett windet sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite, und um zwei dieser Ecken, welche dadurch gebildet werden, bin ich damals gerannt, als ich verfolgt wurde und plötzlich in der Erde verschwand. Sie können gar nicht fehlgehen.«
»Ich muß also links von dem Felsblocke in dem früheren Wasserbette aufwärts steigen?«
»Ja. Sie sehen es schon aus der Ferne ganz deutlich liegen. Auf der dritten Windung bin ich eingebrochen. Das Loch ist nicht ganz offen. Ich habe es, ehe ich ging, soviel es mir möglich war, mit Steinen zugedeckt; aber das Auge von Old Shatterhand wird die Stelle sofort entdecken.«
»Und der Gang oder Stollen, in welchem Sie sich befanden, ist gemauert?«
»Da, wo ich eingebrochen bin, ja; das konnte ich sehen, weil ich durch das Loch Licht von oben hatte. Ob es weiterhin auch noch Mauer giebt, kann ich nicht genau sagen.«
»So weiß ich in dieser Beziehung genug und möchte nun nur noch eins fragen: Ihre liebe Judith ist frei, wie Sie mir erzählen. Wo befindet sich denn ihr Vater, der frühere Pfandleiher und Rauhwarenhändler?«
»Im Schachte gefangen wie die übrigen.«
»Und Judith hat für ihren Vater kein gutes Wort eingelegt?«
»Nein.«
»So nehmen Sie es mir nicht übel: sie hat zwar ein reizendes Äußere, ist aber ein unnatürliches Geschöpf. Sollte sie mir in die Hände geraten, so werde ich wohl nicht allzu zart mit ihr umspringen.«
Da fragte der nicht nur am Kopfe, sondern immer noch auch im Herzen verwundete Herkules schnell und besorgt:
»Sie wollen ihr doch nichts thun?«
»Was das betrifft, so gestehe ich aufrichtig, daß ich, wenn sie ein männlicher anstatt ein weiblicher Taugenichts wäre, für nichts, auch nicht für einen tüchtigen Stock gutstehen würde.«
»Um Gottes willen, sprechen Sie nicht so! Wie ich Sie kennen gelernt habe, so zweifle ich keinen Augenblick, daß sie mit Melton in Ihre Hände geraten wird. Welch ein Jammer, wenn Sie sie dann prügeln lassen! Bedenken Sie, daß sie meine Braut war!«
»Die Sie schmählich verraten und verlassen hat! Der Jammer könnte ihr gar nichts schaden und würde ihr sehr wahrscheinlich besser bekommen, als das ewige trostlose Anhimmeln Ihrerseits. Aber Ihr Herz hat einen noch größeren Hieb bekommen, als Ihr Kopf; Sie sind doppelt krank und dreifach zu beklagen, und so will ich Sie durch das Versprechen beruhigen, daß ich Ihren Engel wenigstens nicht verhauen lassen werde,«
»Sie verstehen nichts von Frauenliebe!«
»Hören Sie, liebster Freund und unglücklicher Liebhaber, ein Mann, dem eine solche Geschwulst auf dem Kopfe sitzt, der sollte wohl von Heftpflastern und Brausepulver, nicht aber von Frauenliebe reden. Ich gestatte meinem Herzen auch eine Stimme, und ich bin so glücklich, eine Mutter zu haben, welche mir in jeder Minute meines Lebens bewiesen hat, daß echte, wahre Frauenliebe, hier Mutterliebe, ein herrliches Abbild der Liebe Gottes ist; vielleicht lerne ich auch einmal die Liebe eines andern Weibes kennen; jedenfalls aber wird das Weib dann nicht die geringste Ähnlichkeit mit Ihrer Judith besitzen. Ich wünsche Ihnen für Ihr Herz eine so gründliche Heilung, wie Sie von Winnetou für Ihren armen, schwachen Kopf erwarten können!«
Der trotz seines starken Körpers innerlich so schwache Mann hatte mich in Zorn gebracht. Ich ließ ihn liegen und ging zu dem Player, um zu erfahren, ob ich in Beziehung auf seine Höhle richtig oder falsch vermutet hatte. Er hatte mein Gespräch mit dem Herkules bemerkt und fragte, als ich zu ihm kam:
»Höchst wahrscheinlich hat der Mann Euch von Almaden erzählt. Es wundert mich, daß er von dort entkommen konnte. Wie ist das möglich geworden?«
Da ich nicht für nötig hielt, es ihm zu sagen, machte ich eine Ausrede:
»Haltet Ihr es für so schwer, von dort zu fliehen?«
»Sogar für unmöglich, wenn man sich unten im Schachte befindet.«
»Hat das Bergwerk nur diesen einen Zugang? Führt kein Stollen von unten her zu Tage?«
»Nein. Das Werk ist alt und scheint von den spanischen Eroberern angelegt worden zu sein. Sollte es damals einen Stollen gegeben haben, so ist derselbe jedenfalls längst verschüttet.«
Als ich ihn nun um eine Beschreibung von Almaden alto bat, gab er sie mir genau so, wie ich sie von dem Herkules erhalten hatte, und fügte hinzu:
»Aber wozu die Beschreibung! Ich höre, daß Ihr als Kundschafter vorausgehen werdet; Ihr nehmt mich natürlich als Führer mit, und da zeige ich Euch dann alles besser, als ich es Euch beschreiben kann.«
»Ich werde Euch wohl kaum aus Eurer Ruhe reißen, denn ich bedarf keines Führers.«
»Nicht? Aber Euer Gang ist höchst gefährlich, und Ihr waret noch niemals dort. Wie leicht könntet Ihr da Euern Gegner in die Hände geraten!«
»Sorgt Euch nicht um mich! Ich habe schon gefährlichere Wege glücklich zurückgelegt, und wenn Ihr mit mir von Melton erwischt würdet, könntet Ihr leicht an Euch selbst erfahren, wie schwer es ist, aus Almaden zu entkommen. Was ich zu wissen brauche, das weiß ich jetzt. Wollt Ihr ein übriges thun, so bitte ich Euch, mir die Lage der Höhle zu beschreiben.«
»Ja, die Höhle! Ihr kommt von Westen nach Almaden. Da steht Euch die schroffe Felsenwand gerade entgegen. Ganz unten, fast genau in der Mitte derselben, liegt ein Felsenblock, welcher abgestürzt und da liegen geblieben ist. Zu seiner rechten Seite hat es zwischen ihm und der Felswand früher einen freien Raum gegeben, welcher jetzt fast ganz mit Geröll angefüllt ist. Steigt da das Geröll hinauf und räumt davon im Hintergrunde die oberste Schicht weg, so wird sich Euch dadurch der Eingang zu der Höhle öffnen.«
»Und sie ist vollständig leer?«
»Vollständig, abgerechnet das Wasser, welches in der Nebenhöhle steht. Vielleicht kann die Höhle Euch in irgend einer Weise nützlich sein. Das war das einzige und letzte, was Ihr wissen wollt?«
»Ja.«
»Ich dächte, es müsse Euch sehr daran liegen, zu erfahren, wo Melton wohnt.«
»Allerdings, aber ich denke, es auszukundschaften.«
»Glaubt das nicht! Der Ort liegt so versteckt, daß selbst das schärfste Auge ihn nicht bemerken kann. Es ist kein Haus, sondern schon mehr ein Versteck, ein vorläufiger Aufenthalt, da Melton die Absicht hat, sich später ein Wohnhaus zu bauen. Es liegt wie ein Schwalbennest, aber nicht nach außen, sondern einwärts gerichtet, an der Wand und kann von unten nicht erreicht werden.«
»Weiß schon!« schlug ich auf den Busch. »Es hängt an der östlichen Felsenwand.«
»Wie? Ihr wißt das schon?« fragte er erstaunt. »Wer hat es Euch verraten?«
»Ihr. Ihr sagtet, daß es an der Felsenwand hängt und von unten nicht zu erreichen ist, das übrige kann man sich sehr leicht ergänzen. Wenn die Wohnung von unten nicht erreicht werden kann, so muß sie an einer Seite liegen, welche nicht zu erklettern ist. Von Nord und von Süd kann man auf das Plateau gelangen; diese beiden Seiten sind also ausgeschlossen. Auf der westlichen Seite liegt Eure Höhle, deren Geheimnis Ihr vor Melton sicher nicht bewahren könntet, wenn sich hier, oben über ihr, sein Versteck befände, denn er würde Euch kommen und gehen sehen. Also bleibt nur noch die Ostseite übrig; da muß er wohnen.«
»So ist es allerdings. Master, jetzt glaube ich, daß Ihr, wenn man Euch nur ein A zeigt, das ganze Alphabet aus diesem einen Buchstaben holt!«
»So schlimm ist es nicht; aber ich bin durch die scharfe Not sehr oft gezwungen worden, ebenso scharf nachzudenken, und das Berechnen, erst so schwer, wird mit der Zeit zur Leichtigkeit. Die Not ist, wie überall, so auch hier die beste Lehrmeisterin.«
»Wollen doch sehen, ob sie wirklich eine so gute Lehrerin ist. In diesem Falle könnt Ihr vielleicht auch berechnen, welcher Weg zu dem Verstecke Meltons führt, ohne daß ich Euch eine Andeutung mache?«
»Ohne! Ich brauche nur hinzugehen und mir das Plateau des Berges anzusehen.«
»Das sagt Euch gar nichts. Ihr würdet nichts bemerken.«
»Doch! Zum Beispiel ob dieses Plateau irgend eine offene oder heimliche Vertiefung hat. Sodann würde ich sehen, aus was der Boden da oben besteht, ob aus reinem, nacktem Fels oder nicht.«
»Aus dem Schutte, welcher aus dem Schächte geschafft und rings zerstreut worden ist! Aus so einem einfachen Umstande könnt Ihr doch unmöglich berechnen, auf welche Weise man in das Versteck Meltons kommt!«
»Nennt es berechnen, schließen oder erraten, es ist ganz dasselbe; ich kenne den Weg.«
»So ist es Euch von irgend jemanden verraten worden!«
»Ich habe nur mit Euch darüber gesprochen und weiß nur das wenige, was Ihr mir gesagt habt.«
»Ihr macht mich immer begieriger. Wollt Ihr mir sagen, was Ihr berechnet oder erraten habt?«
»Warum nicht? Es ist ja für Euch kein Geheimnis, daß man ein Stück in den Schacht hinunterzusteigen hat, um in die Wohnung, von welcher wir reden, zu gelangen.«
»Bei Gott, er weiß es, er weiß es!« rief da der Player so laut aus, daß alle auf uns aufmerksam wurden. »Wie ist das nur möglich, wenn Ihr keine andere Quelle als meine Äußerungen habt?«
»Es ist wenigstens ebenso leicht wie das, was ich vorher erraten habe. Ihr habt doch gesagt, daß der Zugang nicht von unten sei, also muß er oben zu suchen sein. Da man das Versteck nicht sehen kann, so liegt es auch nicht ganz oben in der Nähe der Felsenkante, da man es entdecken würde, falls man über dieselbe herunterblickte; es muß also etwas abwärts zu suchen sein. Aus letzterem und dem vorigen Grunde folgt nun wieder, daß der Weg nicht offen auf dem Plateau hinführen kann, sondern unter der Oberfläche liegen muß. Liegt er so tief, so hat er unbedingt einen Eingang, in welchen man hinabsteigt; es giebt aber kein Loch, keine offene oder versteckte Vertiefung außer dem Schachte, und also muß mit Sicherheit angenommen werden, daß der betreffende Weg unten im Schachte beginnt. Habt Ihr eine Ahnung, wie die Indianer postiert sind?«
»Nein. Aber den Ort, wo allem Erwarten nach ihre Pferde untergebracht sind, kann ich Euch zeigen.«
»Dazu ist später Zeit. Der alte Weller meldet unsere Ankunft, also werden die Roten sich meist auf die Westseite von Almaden gezogen und uns von da aus Kundschafter entgegengeschickt haben. Steht das Schachthaus und das Mundloch unbewacht?«
»Nein. Es halten da stets zwei Indianer Wache, um den etwaigen, allerdings fast unmöglichen Ausbruch eines Arbeiters zu verhüten.«
Ich hätte nun auch nach dem Haziendero fragen können. Er, als der frühere Besitzer von Almaden, mußte doch die Örtlichkeiten kennen. Aber einesteils wollte ich mit diesem Ignoranten überhaupt nichts zu thun haben, und andernteils hätte ich gewärtig sein müssen, daß er mir verkehrte Auskünfte gab und mich durch dieselben irre führte.
Eine Besprechung mit Winnetou war nicht nötig. Wenn einer von uns beiden einmal etwas unternahm, so wußte der andere, daß es nach Kräften ausgeführt wurde. Guter Rat wurde weder begehrt noch gegeben. Der Apatsche fragte mich nur, wann ich aufbrechen würde.
»Noch vor Tage,« antwortete ich. »Ich muß einen Umweg machen. Die Yumas erwarten uns von Westen her; darum werden wir von Süden kommen, wo man nicht auf uns achtet. Trotz dieses Umweges, hoffe ich, daß wir am Abende dort ankommen.«
»Mein Bruder Shatterhand spricht ›wir‹. Wird er nicht allein reiten?«
»Nein. Ich muß einen Begleiter haben, der auf die Pferde achtet und auf die Waffen, falls ich diese einmal zurücklassen muß.«
»Auf die Pferde? Will mein Bruder reiten, obgleich es kein Gras giebt?«
»In unsern Wagen giebt es Reis und Mais genug. Wir, nehmen uns ein Quantum mit, um füttern zu können.«
»Und wer wird der Begleiter sein?«
»Der junge Bruder des Yumatöters. Wir haben nichts Leichtes vor; ich bin aber überzeugt, daß er höchst eifrig sein wird, sich meines Vertrauens wert zu machen.«
»Winnetou kennt die gute Absicht seines weißen Bruders. Der junge Mimbrenjo soll wo möglich auch bald einen Namen haben wie sein Bruder, welcher durch Old Shatterhand so schnell zum Krieger geworden ist.«
Das war auch wirklich meine Absicht. Allerdings war es gewagt, einen unerfahrenen Knaben bei einem so gefährlichen Ritte mitzunehmen, aber ich hatte zu ihm wenigstens ebensoviel Vertrauen, wie zu einem der älteren Mimbrenjokrieger.
Was wir brauchten, wurde noch am Abende bereit gelegt, Proviant für uns und Futter für die Pferde. Noch ehe es tagte, waren wir zum Aufbruche bereit. Wie erstaunte ich da, als Winnetou zu uns trat und sagte:
»Es kann kommen, daß meine beiden Brüder gezwungen sind, eine große Schnelligkeit zu entwickeln; da paßt das Pferd des jungen Mimbrenjo nicht zu dem schnellen Hengste Old Shatterhands; er mag also für den Ritt das meinige nehmen; es wird ihn sicher zu uns zurückbringen.«
Daß der Apatsche sein kostbares Pferd einem andern, und noch dazu einem Knaben anvertraute, das war ein Wunder und dabei zugleich ein sicheres Zeichen, daß er dem kleinen Mimbrenjo ungemein wohl wollte. Dieser durfte unmöglich das großmütige Anerbieten ablehnen, und so flogen wir denn, beide gleich gut beritten und zunächst eine südliche Route einschlagend, in den frischen Morgen hinein. – – –