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16. Kapitel.

Als Doktor Sternau Rodriganda verlassen hatte, führte ihn die Spur des Wagens, der er folgte, nach der großen Heerstraße, die Lerida mit Barcelona verbindet. Hier verlor sich diese Spur unter den vielen Gleisen der Straßen, so daß ein Verfolgen im wörtlichen Sinn nicht denkbar war.

Es gab für Sternau nur einen Anhaltspunkt, er kannte aus den Fußtapsen, die er im Park beobachtet hatte, die ungefähre Anzahl der Leute, die auf dem Wagen Platz genommen hatten. Doch war dies auch sehr unsicher.

Glücklicherweise hielt da, wo der Weg von Rodriganda her in die Heerstraße einbog, ein Schäfer, der seine Merinoschafe auf dem abgebauten Acker weidete. Er hatte eine Karrenhütte bei sich, und so ließ sich vermuten, daß er auch während der Nacht auf dem Feld gewesen sei. Sternau ritt zu ihm hin und fragte nach einem kurzen Gruß:

»Hast du in vergangener Nacht hier geschlafen?« – »Ja, Señor«, lautete die Antwort.

Der Arzt hielt ihm ein Silberstück entgegen und fragte weiter:

»War es hier während der Nacht sehr belebt?« – »Nein. Nur ein einziger Wagen passierte. Da von der Straße her.« – »Und wohin?« – »Nach Rodriganda zu.« – »Wieviel Uhr?« – »Eine Stunde vor Mitternacht, vielleicht auch bereits früher.« – »Kehrte er zurück oder nicht?« – »Ja. Vielleicht zwei Stunden später.« – »Wer saß darin?« – »Es waren mehrere.« – »Kanntest du einen?« – »Nein.« – »Was waren für Tier angespannt? Maultiere?« – »Nein, Pferde, ein Brauner und ein Schimmel.« – »Weißt du dies genau?« – »Ja. Ich hatte mir hart an der Straße ein Feuer angebrannt, um mir Kastanien zu rösten, als sie vorüberfuhren. Ich habe die Pferde ganz genau erkannt.« – »Hast du nicht gesehen, wie die Männer gekleidet waren?« – »Sie fuhren schnell vorüber, aber ich denke, sie hatten Jacken an und Mützen auf, wie man sie bei den Seeleuten sieht.« – »Gut, ich danke dir. Mit Gott.«

Sternau ritt weiter. Was er gehört hatte, gab ihm doch einigen Anhalt. Er hielt nun bei allen an der Straße liegenden Einkehrhäusern an und erkundigte sich, ob der Wagen hier vorübergefahren sei, konnte aber nichts Genaues erfahren. Auf diese Weise kam er sehr langsam vorwärts. Endlich, als er vielleicht drei Stunden weit geritten war, gelangte er an eine einsam liegende Venta, vor der mehrere Krippen standen, zum Zeichen, daß man hier mit Pferd und Geschirr Obdach erhalten könne, stieg ab, band sein Pferd außen an und trat in die niedrige Stube, in der er sich ein Glas Wein geben ließ.

Der Wirt schien ein alter, freundlicher und sehr gesprächiger Mann zu sein, denn er begann sofort mit Sternau eine Unterhaltung über das Wetter und tausend Dinge, für die sich der Arzt kaum interessieren konnte. Endlich fragte der Alte:

»Wohin will der Señor reiten?« – »Nach Barcelona vielleicht.« – »Aha! Geschäfte unterwegs?« – »Eigentliche Geschäfte allerdings nicht, ich suche einen Wagen, der hier vorübergefahren sein muß.« – »Einen Wagen? Hm! Vielleicht habe ich ihn gesehen. Ich bin alt, kann nicht mehr viel verrichten und sitze daher stets hier am Fenster. Was war es für ein Wagen?« – »Es waren ein Brauner und ein Schimmel vorgespannt, und mehrere Männer saßen darauf, die wie Seeleute gekleidet gewesen sind.« – »Aha!« nickte der Alte. »Wann ist dies geschehen?« – »Vielleicht drei Stunden vor Mitternacht sind sie hier aufwärts und ungefähr vier Stunden später wieder abwärts vorübergekommen.« – »Stimmt!« nickte der Wirt. – »Habt Ihr sie gesehen?« – »Nein, Señor, es war beide Male, als sie vorüberkamen, finster, ich hätte sie also nicht sehen können. Aber das erste Mal, als sie abwärts fuhren, sind sie bei mir eingekehrt.« – »Ah! Ich würde Euch dieses Goldstück geben, wenn Ihr mir sagen könntet, wem der Wagen gehört.«

Die Augen des alten Mannes leuchteten vor Freude auf. Seine Venta war ein kleines, armseliges Häuschen, er schien nicht wohlhabend zu sein, und das Goldstück mußte ihm daher wohl recht willkommen sein.

»Gebt her, Señor!« sagte er schmunzelnd. »Für dieses Goldstück werdet Ihr wohl noch mehr erfahren, als Ihr verlangt habt. Der Wagen gehört einem Wirt in Barcelona. Ich kann es beschwören.« – »War er selbst mit dabei?« – »Wird sich hüten. Mit dem Landola ist nicht gut Kirschen essen.« – »Wer ist dieser Landola?« – »Ein Seekapitän, dessen Schiff ›La Pendola‹ heißt.« – »Was hat dieser Mann mit dem Wagen zu tun, den ich meine?« – »Heilige Madonna! Er saß ja darauf, er machte den Kutscher. Er wird wohl nach Rodriganda zu Señor Gasparino Cortejo gefahren sein.« – »Alle Wetter! Kennen diese beiden einander?« – »Das versteht sich. Sie machen sogar zusammen Geschäfte, wie sich die Leute so in die Ohren flüstern. Dieser Henrico ist ein ganz verzweifelter Mensch. Ein Menschenleben gilt ihm nichts. Er soll ein halber Pirat sein, vielleicht auch ein ganzer, auch sagt man sich, daß er zuweilen eine Ladung Ebenholz – Neger – mit verhandelt.« – »Und dabei soll Cortejo beteiligt sein?« – »Ja«, nickte der Alte. »Ich werde das Euch erklären, Señor. Kennt Ihr den Grafen von Rodriganda?« – »Ein wenig.« – »Er ist blind.« – »Ja, oder vielmehr, er war blind.« – »Heilige Madonna, so ist es also wahr! Ich habe gehört, daß seine Tochter einen furchtbar klugen und geschickten Arzt hat kommen lassen, der hat ihm zuerst den Blasenstein aus dem Leib gebohrt und ihm sodann gar die Augen aufgeschnitten, so daß er nun sehen kann. Das ist also keine Lüge?« – »Nein«, lächelte Sternau. – »Das muß ja ein Ausbund von Kunst und Klugheit sein. Vielleicht hat er gar den Teufel, behüte mich der liebe Gott vor ihm! Ich will doch lieber sterben, als mir einen Blasenstein, der so groß ist wie hier dieser Fenstersims, aus dem Leib herausbohren lassen! Also dieser Graf Emanuel von Rodriganda war blind und mußte sich ganz und gar auf seinen Sachwalter verlassen.« – »Das läßt sich leicht erklären.« – »Der Graf ist unermeßlich reich. Und der Sachwalter, nämlich dieser Cortejo, ist ein Schurke.« – »Könnt Ihr das beschwören?« Jedermann beschwört es, Señor. Nun aber passen dieser Reichtum und dieser Schurke so gut zusammen, wie das Lamm zum Geier, von dem es zerrissen und gefressen wird. Verstanden?« – »Sehr gut!« – »Damit nun niemand merken soll, wie reich Cortejo mit dem Reichtum des Grafen geworden ist, hat er seinen Raub auf dem Seehandel angelegt. Er und Kapitän Landola besitzen das Schiff gemeinsam und teilen den Gewinn.« – »Wißt Ihr das genau?« – »Man sagt es. Aber ich habe auch gestern davon pfeifen hören, als die Matrosen hier bei uns einkehrten. Sie flüsterten so einiges, was ich recht gut verstanden habe, obgleich es nicht für mein Ohr bestimmt war.« – »Habt Ihr nicht gehört, wem die gestrige Fahrt gegolten hat?« – »Nein. Aber zu wem sollte Landola gefahren sein, wenn nicht zu Cortejo?« – »Gut. Hier ist das Goldstück, mein Lieber. Ihr habt es ehrlich verdient«

Der Wirt steckte das Geld mit freudig glänzender Miene ein. Sternau bezahlte außerdem seine kleine Zeche und stand eben im Begriff aufzubrechen, als sich draußen eiliger Hufschlag vernehmen ließ. Sternau schaute hinaus und erkannte einen Reitknecht aus Rodriganda, der auf schweißbedecktem Pferd dahergesprengt kam und sofort anhielt, als er das Pferd erblickte, das Sternau draußen angebunden hatte. Dann sprang er ab und kam herein.

»Oh, welch ein Glück, daß ich Euch finde, Señor Doktor!« rief er, als er den Arzt sah. »Die gnädige Condesa sendet mich. Wir sind zu dreien ausgeritten und haben uns geteilt, um Euch ja nicht zu verfehlen.« – »Dann muß die Angelegenheit höchst wichtig sein. Was ist es?« – »Don Emanuel ist plötzlich sehr erkrankt.« – »Nicht möglich! Auf den Augen?« fragte Sternau erschrocken. – »Nein. Hier!« Der Knecht deutete nach dem Kopf, so daß der Wirt es nicht bemerkte.

»Da? Nicht möglich, nicht möglich! Das muß ein Irrtum sein!« – »Es ist so, Señor!« – »Trinken Sie schnell ein Glas Wein, dann geht es nach Rodriganda zurück.«

Als sie aufgestiegen waren und vom Wirt also nicht gehört werden konnten, fragte Sternau den Reitknecht nach den Einzelheiten und erfuhr da auch, daß der Advokat das Schloß zu Pferde verlassen habe. Da hielt er sein Pferd an und fragte:

»Können Sie auf Rodriganda entbehrt werden?« – »Jetzt? Ja.« – »Wollen Sie für mich einmal nach Barcelona reiten?« – »Sehr gern, Señor.« – »So reiten Sie! Sie sollen nämlich im Hafen nachsehen oder sich erkundigen, an welchem Tag das Kauffahrteischiff ›La Pendola‹, Kapitän Henrico Landola, in See geht. Werden Sie dies erfahren können?« – »Oh, sicher!« – »Aber Gasparino Cortejo kann auch in Barcelona sein, und er darf keineswegs erfahren, wonach Sie sich erkundigen sollen.« – »Keine Sorge, Señor!« – »So reiten Sie! Ich werde Sie gut belohnen, wenn Sie mir eine sichere Nachricht bringen.«

Der Reitknecht drehte sein Pferd um und ritt davon; der Arzt aber sprengte in gestrecktem Galopp auf Rodriganda zu.

Er legte die drei Wegstunden in kaum einer zurück. Als er an der Rampe vor seinem Tier stand, kam der Kastellan in eigener Person herbei, um das Pferd in Empfang zu nehmen.

»Oh, Señor, wie so etwas passieren kann!« klagte er. »Verrückt, vollständig verrückt!« – »Es ist nicht glaublich!« – »Und doch ist es wahr; Elvira sagt es auch.« – »Wo befindet er sich?« – »In seinem Schlafzimmer. Die gnädige Condesa hat sich da eingeschlossen und läßt keinen Unberufenen eintreten! Graf Alfonzo erklärte sich bereits zum Herrn von Rodriganda und wollte einen Irrenarzt kommen lassen; sie aber hat es nicht zugegeben.«

Sternau nickte nur und eilte die Treppe empor. An der Vorzimmertür standen zwei Diener Wache, die ihn sofort einließen. Als er leise in das Krankenzimmer trat, sah er den Grafen mit verbundenem Kopf im Bett liegen. An dem letzteren saß Rosa, in Tränen gebadet, und in ihrer Nähe die Engländerin, die liebevoll teil an ihrem Schmerz nahm.

Als Rosa den Geliebten erblickte, erhob sie sich und warf sich stürmisch an seine Brust. Sie sagte kein Wort, aber er fühlte ihren Busen konvulsivisch wogen; ihre ganze Gestalt zitterte unter dem Schmerz, den sie mit Gewalt zu beherrschen versuchte.

Sternau drückte sie an sich und küßte sie innig auf die Stirn.

»Laß mich jetzt meine Liebe«, bat er leise. »Es ist jede Sekunde kostbar!« – »Ja, ach ja!« antwortete sie, von ihm zurücktretend, »o Gott, Carlos, sage, ob er verloren ist!«

Sternau schritt zu dem Kranken, und von diesem Augenblick an war sein Antlitz kalt, sein Auge scharf und forschend; er schien nur Arzt zu sein. Er nahm die Kompresse von der Stirn des Grafen, befühlte dessen Puls und ließ sich dann von den beiden Damen den Hergang erzählen, soweit sie ihn kannten. Dies geschah mit leiser Stimme, unterdessen aber bat der Graf immerfort:

»Tut mir nichts, ich weiß ja, wer ich bin. Ich bin – ich bin – ich bin der treue Alimpo!«

Nun untersuchte Sternau das Atmen und die Augen des Kranken, und keine Bewegung, kein Kopfschütteln, kein Zucken seiner Mienen deutete die Gedanken an, die er hatte. Schließlich trat er an das untere Ende des Bettes, so daß der Kranke ihn vollständig erkennen konnte, und fragte:

»Wer sind Sie?« – »Ich bin – bin – bin Alimpo«, antwortete der Graf nachdenklich. – »Das ist nicht wahr!« sagte Sternau streng. »Besinnen Sie sich! Sie sind – Sie sind – nun?« – »Ich bin – bin bin Alimpo!« lautete in kläglichem Ton die Antwort. – »Schweig, Schurke! Du lügst!« donnerte da der Arzt den Kranken mit der ganzen Macht seiner Stimme an. »Du bist nicht Alimpo! Gestehe, wer du bist!«

Dabei schlug Sternau mit der Faust auf den Pfosten des Bettes, so daß das letztere krachte. Die beiden Damen waren erschrocken zusammengefahren; der Kranke versuchte, sich mit dem Kopf unter der Decke zu verbergen; Sternau jedoch zog ihm die letztere hinweg und gebot ihm nunmehr mit wahrhaft brüllender Stimme:

»Nun, wird's bald? Ich will wissen, wer du bist!« – »O Gott, mir bricht das Herz!« flüsterte Rosa.

Der Arzt machte ihr eine strenge, gebieterische Bewegung und ließ den Kranken nicht aus dem drohenden Auge. Da wandte dieser sich herüber und hinüber und wimmerte endlich die Antwort:

»Tut, tut, tut mir nichts, denn ich bin ja wirklich der treue Alimpo!«

Erst jetzt wandte sich Sternau wieder vom Bett ab und den beiden Damen zu:

»Verzeihung; ich konnte nicht anders! Bitte schnellstens Wasser, Tücher und Gefäße zum Aderlassen und Erbrechen.« – »Ist es gefährlich?« fragte Rosa angstvoll.

Aber sie erhielt keine Antwort, sondern er schob sie rasch zur Seite und eilte hinaus.

»O mein Gott, es ist keine Rettung!« hauchte sie. »Señor Carlos würde den Vater nicht so angedonnert und mich nicht so zur Seite geschoben haben! Er will keine Sekunde versäumen, keine einzige; das ist der Beweis, daß keine Rettung ist.«

Aber trotz ihrer Verzweiflung gab sie Befehl zum schleunigen Herbeischaffen des Nötigen, und als Sternau nach zwei Minuten wiederkehrte, lag alles bereit. Er hatte eine kleine Hausapotheke, das Verbandszeug und mehreres andere geholt.

»Was hat der Graf heute genossen?« fragte er. – »Eine einzige Tasse Schokolade«, antwortete Rosa. – »Nichts weiter?« – »Nein.« – »Wer hat diese Schokolade bereitet?« –»Ich selbst.« – »Wer brachte sie ihm?« – »Ein Diener.« – »Don Emanuel ist vergiftet worden!«

Sternau sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß die Gräfin in einen Sessel sank.

»Herr, mein Heiland!« stöhnte sie. – »Und zwar mit dem Pohon Upas, dem fürchterlichsten der Gifte. Ich kenne seine Wirkung. Ich sollte es Ihnen verschweigen. Daß ich es Ihnen aufrichtig sage, mag Ihnen beweisen, daß ich noch Hoffnung habe. Besorgen Sie schnell Diener her, zum Aderlassen!«

Als der Graf die vielen Vorbereitungen um sich her erblickte, wurde er vor Angst still und ließ alles mit sich geschehen. Er erhielt zunächst ein Brechmittel, das sofort wirkte, aber ihn sehr anstrengte, ohne etwas von der Schokolade zurückzubringen.

»Ich dachte es«, sagte Sternau. »Es sind fünf Stunden seit dem Genuß des Getränkes vergangen.«

Hierauf ließ er den Patienten zur Ader, und zwar nahm er dem Grafen das höchste Maß von Blut, bis zu dem er nach den gegenwärtigen Umständen gehen konnte. Sodann befahl er, einige Fliegen zu fangen. Als dies unter einiger Verwunderung über diese sonderbare Forderung geschehen war, tat er die Fliegen in ein Glasgefäß, auf dessen Boden er von dem Blut des Grafen getröpfelt hatte, und lud die Damen ein, die kleinen Tiere zu beobachten. Die Fliegen naschten von dem Blut, begannen zu beben und zu zittern, krümmten sich und starben.

»Ich habe mich nicht getäuscht, es ist Pohon Upas. Es gibt verschiedene Bereitungen und Zusammensetzungen dieses Giftes, und es kommt darauf an, das richtige Mittel zu treffen. In der Zusammensetzung, an die ich jetzt denke und die ich auf Java kennenlernte, macht es, wenn man zwei bis drei Tropfen genießt, wahnsinnig; fünf bis sechs Tropfen aber geben den Tod. Der Graf hat wohl nur zwei Tropfen erhalten, und ich bin überzeugt, daß man beabsichtigte, ihn wahnsinnig zu machen.«

Diese Worte brachten einen allgemeinen Schreck hervor, und es dauerte lange, ehe sich die Aufregung legte, besonders da niemand wußte, daß außer dem Diener jemand, den man in Verdacht nehmen konnte, bei dem Grafen gewesen war.

»Und Sie glauben, daß der Vater noch zu retten ist?« fragte Rosa ängstlich. – »Ja«, antwortete Sternau mit Zuversicht. »Dieses Gift hat in kleinen Gaben die Eigenschaft, daß es wahnsinnig macht, indem es das Gedächtnis suspendiert. Als der Kastellan den Grafen getroffen hat, befand sich Don Emanuel gerade in dem Moment, wo das Gedächtnis schwindet. Er hat nur die letzte menschliche Erscheinung, die ihm vor Augen kam, festgehalten und glaubt daher, daß er der Kastellan sei. Einen anderen Namen, eine andere Existenz kennt er nicht. Ich mußte sehen, ob die Erinnerung vollständig, ohne eine kleine Spur zurückzulassen, geschwunden sei, darum sprach ich so streng zu ihm, um auch die Angst wirken zu lassen. Es war jedoch vergeblich. Die zwei unendlich fein zerteilten Tropfen des Giftes sind bereits vollständig in sein Blut und Hirn übergegangen. Ich entlaste das letztere nun durch spanische Fliegen und Senfteige und entgifte das erstere teilweise durch eine möglichst große Blutentziehung. Das nun noch in dem Körper befindliche Gift werde ich durch ein Gegengift bekämpfen, das ich leider noch nicht besitze, denn ich kann mich nur dann in den Besitz desselben setzen, wenn jemand bereit ist, sich für Don Emanuel aufzuopfern.« – »Aufzuopfern?« fragte Rosa. »Oh, es wird mir nichts zu teuer sein, um es für den Vater hinzugeben, selbst das Leben nicht!« – »Gnädige Condesa, ich verlange nicht das Leben eines Menschen, und doch ist das, was ich haben will, selbst von der opferfreudigsten Dame nicht zu haben, sondern höchstens von einem robusten Menschen, der allerdings eine Lebensgefahr, einen ungewöhnlichen Schmerz nicht scheut und sich mir anvertraut!« – »Suchen Sie ihn, suchen Sie ihn!« rief Rosa. »Ich werde ihn reich belohnen. Welches Mittel meinen Sie?« – »Don Emanuel kann nur durch den Schaum eines zu Tode gekitzelten Menschen gerettet werden. Dieser Schaum ist eines der stärksten Gifte und gibt, mit Kapsikum vermischt, das einzige Gegenmittel zu Pohon Upas. Zu Ihrer Beruhigung bemerke ich, daß es auch genügt, einen Menschen so lange zu kitzeln, bis die ersten Zeichen der Tollwut eintreten. Befände sich ein Sachverständiger hier, der den Vorgang zu leiten und die Medizin zu bereiten versteht, so würde ich keinen Augenblick zaudern, mich selbst zur Verfügung zu stellen. Da dies aber nicht der Fall ist und ich vielmehr als Arzt unentbehrlich bin, so müssen wir uns nach einem mutigen Menschen umsehen, der es wagt, die Qualen einer so fürchterlichen Folter zu ertragen.« – »Ach, wer wird das tun?« klagte Rosa. – »Lassen Sie es unter den Bewohnern des Schlosses und Dorfes bekanntmachen. Wir müssen den Grafen heilen, um seiner selbst willen und um den Giftmischer zu entdecken. Ich zweifle gar nicht, wenn Don Emanuels Gedächtnis wiederkehrt, so wird er sich auf irgendeinen Umstand besinnen können, der zur Entdeckung des Täters führen wird.« – »Auch ich befürchte, daß kein Mensch sich melden wird, da das Mittel so schrecklich ist«, bemerkte Amy.

Da trat der Kastellan, der einige Handreichungen getan hatte, zu seiner Frau, die mit zugegen war.

»Elvira«, fragte er, »nicht wahr, du hast den gnädigen Grafen lieb?« – »Ja, sehr!« antwortete sie. – »Und die liebe gute Condesa auch?« – »Oh, sehr! Das weißt du ja, mein lieber Alimpo!« – »Und du würdest gern alles tun, um sie zu erfreuen?« – »Ja, das versteht sich!« – »Nun gut, meine liebe Elvira; ich werde mich melden!«

Alle waren erstaunt über diese Heldenmütigkeit des sonst keineswegs sehr tapferen Mannes. Aller Augen ruhten auf der Kastellanin, und alle waren begierig, ihre Antwort zu hören. Als sie dies bemerkte, wandte sie sich mit einem stolzen Blick zu ihrem Mann und sagte:

»Alimpo, ich weiß, daß du kühn und verwegen bist. Ich habe oft um dich gezittert und deinen Mut mit aller Gewalt in den Schranken gehalten; hier aber habe ich nichts dagegen. Laß dich immerhin auf die Folter legen, du wirst Don Emanuel retten, und ich werde stolz auf dich sein.«

Das war weit mehr, als man diesen beiden guten Leuten hätte zutrauen können. Hätte man nicht Rücksicht auf den Kranken zu nehmen gehabt, so hätte man ihren Entschluß mit lautem Jubel belohnt. Aller Hände streckten sich ihnen entgegen, der Arzt aber, der es vermied, sich hinreißen zu lassen, meinte besonnen:

»Mein treuer Señor Alimpo, wißt Ihr auch, was Ihr tun wollt?« – »Ja, vollständig.« – »Habt Ihr eine Ahnung der Qualen, die Euch bevorstehen?« – »Ich habe einmal in einem Buch davon gelesen.« – »Und dennoch wollt Ihr sie auf Euch nehmen?« – »Ja. Das sagt meine Elvira auch.« – »Gut, so werde ich es mir überlegen. Zunächst muß ich jedoch bemerken, daß ich dieses schreckliche Gegengift keineswegs heute oder morgen schon brauche! Der Graf muß sich erst von dem Aderlaß erholen. Wir werden die Bekanntmachung doch noch erlassen und dann unter den sich Meldenden die Auswahl treffen. Für jetzt bitte ich um Schonung des Patienten, er scheint zu schlafen.«


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