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27. Kapitel

Der Leutnant Pavjel Sacharjewitsch Uschakoff wurde mit gleicher Ungeduld von dem Fürsten Orloff, dem Grafen Potemkin und Fräulein Adeline erwartet, denn seine Person war der Mittelpunkt der vielfach verschlungenen Fäden geworden, welche in so eigentümlicher Weise das Schicksal der kleinen Schauspielerin mit den beiden Männern vereinigte, auf welche die Blicke des ganzen Hofes gerichtet waren, und welche unter der sorgfältig festgehaltenen Maske kühler und gleichgültiger Artigkeit gegeneinander einen erbitterten Kampf auf Tod und Leben führten.

Uschakoff selbst war nicht imstande, den Zusammenhang des Gewebes dieser wundersam verschlungenen Fäden zu überblicken, aber er hatte doch genug davon gesehen und begriffen, um für sich, welche Wendung auch immer eintreten mochte, sicheren Gewinn und Erfüllung seiner ehrgeizigen Hoffnungen zu erwarten. Sein Ehrgeiz hatte ihn getrieben, sich Orloff zu verkaufen, aber der verletzende Hochmut, mit dem der Fürst ihn behandelte, hatte ihn oft mit tiefem Unmut erfüllt, und die Weigerung des Fürsten, ihm irgendeine Sicherheit für seine Zukunft zu gewähren, erweckte in ihm grimmigen Haß. Er freute sich, unter dem Schutze des mächtigen Grafen Potemkin zum Sturze des hochmütigen Orloff beitragen zu können, denn daß Potemkins Einmischung in diese Angelegenheit, die er in so tiefes Geheimnis gehüllt wähnte, den Sturz des allmächtigen Günstlings zum Zweck hatte, das war ihm nicht zweifelhaft, und freudig sah er dem Augenblick entgegen, in welchem er dem von seiner Höhe herabgeschleuderten Orloff höhnisch würde entgegentreten können. Über seine Zukunft durfte er jetzt ganz unbesorgt sein, der Befehl der Kaiserin selbst, den ihm Potemkin gegeben, enthob ihn jeder Verantwortung und schützte ihn vor jedem Verdacht, der hochverräterischen Verschwörung in sträflicher Absicht angehört zu haben; und auch die Regungen seines Gewissens, die er wegen seines Verrats an dem armen Mirowitsch empfunden, waren beruhigt, denn durch dessen Verhaftung, vor Beginn der strafbaren Tat, wurde ja seine Schuld aufgehoben oder wenigstens auf ein ganz geringes Maß zurückgeführt. Überdies hatte ihm ja Potemkin versprochen, daß Mirowitsch nichts Übles widerfahren solle; er konnte also auch dem Freund gegenüber seine Handlungsweise als einen Weg zu dessen eigener Rettung darstellen, wofür ihm Mirowitsch selbst vielleicht später dankbar sein würde. Vor kurzem noch hatte er sich in ein hochgefährliches Unternehmen verstrickt gesehen, und die Hoffnung auf den Lohn seiner dunklen Taten war immer zweifelhafter geworden – jetzt durfte er mit Sicherheit auch auf glänzenden Lohn hoffen und hatte kaum eine ernsthafte Gefahr zu befürchten.

Leichten Herzens trat er daher in Orloffs Zimmer, um die Berichte, welche er von seinem Kommandanten erhalten hatte, zu überbringen.

»Nun,« rief ihm der Fürst entgegen, den die heitere, sorglose und lächelnde Miene des früher so finster und trübe blickenden Offiziers befremdete, »nun, was bringst du? Du siehst aus, als ob du einen ganzen Sack voll guter Nachrichten hättest.«

»Ich glaube, Durchlaucht, daß ich sie habe,« erwiderte Uschakoff, indem ein flüchtiger Blitz tückischer Schadenfreude aus seinen Augen aufsprühte, »die Sache nähert sich dem Ende; bald werde ich, wie ich hoffe, der gefährlichen Arbeit überhoben sein, eine Mine zu graben, deren Explosion mich selbst in die Luft sprengen kann, eine Arbeit, zu der mich nur die tiefe Ergebenheit für Eure Durchlaucht hat veranlassen können.«

»Sage lieber, die Liebe zu dem Gold, das ich dir gegeben,« rief Orloff lachend, »und die Hoffnung auf den Lohn, den du dir zu verdienen denkst, eine andere Ergebenheit für meine Person kenne ich nicht, und diese genügt mir; sie ist die zuverlässigste.«

»Nun, also was ist's?« fragte er dann, während Uschakoff erbleichend die Lippen aufeinanderpreßte.

»Alles ist vorbereitet,« erwiderte Uschakoff, »und morgen abend soll der Gefangene befreit werden.«

»Du bist sicher,« fragte Orloff, »daß der Kommandant nichts weiß, daß er keine Sicherheitsmaßregeln getroffen hat?«

»Nicht im geringsten,« erwiderte Uschakoff, »der größte Teil der Soldaten steht blindlings zu Mirowitsch, und keiner von ihnen wird, um seines eigenen Kopfes willen, etwas verraten; die übrigen werden leicht überwunden werden oder sich im letzten Augenblick den Verschwörern anschließen, und ich bin gewiß, daß die Befreiung des Gefangenen ausgeführt werden wird.«

Orloff neigte den Kopf und schlug die Augen nieder, um die düstere Freude zu verbergen, welche in seinen Blicken glühte.

»Und dann,« sagte Uschakoff, »sobald die Nacht angebrochen ist, werden sie den befreiten Prinzen nach Petersburg führen. Die schwache Torwache wird leicht überwältigt werden. Ich soll nach dem Auftrag, den mir Mirowitsch erteilt, Tschewaridew benachrichtigen, man wird in der Artilleriekaserne den befreiten Gefangenen erwarten und ihn zum Kaiser ausrufen.«

»Das alles wird morgen abend geschehen?« fragte Orloff.

»Ganz bestimmt, Durchlaucht,« erwiderte Uschakoff, »denn Mirowitsch hat einmal die Tat beschlossen und den verschworenen Soldaten, die er nur mit Vorsicht sehen und sprechen kann, seine Befehle erteilt. Ein Aufschub ist nicht zu erwarten.«

Orloff versank in tiefes Nachdenken.

»Und was habe ich zu tun?« fragte Uschakoff.

»Du wirst ausführen, was Mirowitsch dir aufgetragen – du wirst Tschewaridew benachrichtigen und im übrigen die Sache ihren Gang gehen lassen.«

»Doch,« fragte Uschakoff, indem er den Fürsten durchdringend ansah, »wie soll ich mich im Augenblick der Tat stellen? Soll ich mich den Verschwörern entgegenstellen, so wird man mich umbringen – soll ich mit ihnen gehen, so werde ich mit ihnen in die Falle stürzen, die Eure Durchlaucht ihnen stellen werden. Ich wage nochmals daran zu erinnern, daß ich dann keine Rechtfertigung haben werde als Ihr Zeugnis, gnädiger Herr, und wenn dies Zeugnis ausbliebe – oder wenn es bloß zu spät käme –«

»Du bist ein Narr«, warf Orloff leicht hin; »ich vergesse keinen Dienst, die Werkzeuge, die ich gebraucht, haben sich noch niemals über mich beklagt.«

Er hatte die letzten Worte mit einem so eigentümlichen Klang der Stimme gesprochen, daß Uschakoff unwillkürlich schauderte.

»Höre,« fuhr er dann fort, »ich habe noch einen Auftrag für dich.«

»Ich erwarte Eurer Durchlaucht Befehl.«

»Die kleine Adeline muß beseitigt werden, ehe die Verschwörung dieses Mirowitsch, in den sie vernarrt ist, zum Ausbruch kommt, sie würde jammern und lamentieren – die Kaiserin hat eine Schwäche für sie, das alles darf nicht sein.«

»Und vielleicht würde Fräulein Adeline«, sagte Uschakoff lächelnd, »unter dem Eindruck der Gefahr, in welche sich ihr Geliebter gestürzt hat, noch weniger geneigt sein, ihn zu vergessen.«

Orloff sah ihn mit einem drohend feindlichen Blick an, aber er schien seine Bemerkung überhört zu haben und fuhr fort:

»Du wirst also zu der Kleinen gehen und ihr im Auftrage von Mirowitsch sagen, daß er mit ihr zu fliehen bereit sei, daß er morgen abend ihr einen geschlossenen Wagen senden werde, der sie an der Fontankastraße erwarten soll; um neun Uhr möge sie dort erscheinen, pünktlich um neun Uhr. Sie soll dem Kutscher, den sie an einer roten Schnur um den Hals erkennen wird, das Wort ›Smolensk‹ sagen, das ist der Name seines Regiments, das wird ihr Vertrauen einflößen – dann solle sie in den Wagen steigen, und dieser werde sie unmittelbar zu ihrem Geliebten führen, der sich nicht in die Stadt hinein wagen könne. Glaubst du,« fragte er, »daß sie auf diese Botschaft hin sicher kommen wird?«

»Ich bin dessen gewiß, Durchlaucht,« erwiderte Uschakoff, »sie hat mir noch niemals Mißtrauen gezeigt, sie ist überzeugt, daß ich der Freund ihres Geliebten bin.«

»Gut denn,« sagte Orloff, »so geh', ich verlasse mich auf dich, daß dort in Schlüsselburg und hier in der Stadt alles nach meinem Befehl ausgeführt wird, ich gebe dir mein Wort, daß du morgen um diese Stunde aller Sorgen überhoben sein wirst.«

»Und ich schwöre. Eure Durchlaucht,« erwiderte Uschakoff, »daß ich mit Ungeduld die Stunde erwarte, welche Ihnen den vollen Beweis liefern soll, wie ich meine ganze Kraft daran setze, Ihrer Gnade durch die Tat zu danken.«

»Dieser Mensch ist gefährlich,« sagte Orloff, als Uschakoff sich entfernt hatte, »und was noch schlimmer ist, er weiß, daß er gefährlich ist, und jetzt schon klingt aus seinen Worten kaum verhüllter Trotz hervor. Man soll das Werkzeug zerbrechen, das man zu geheimnisvoller Tat gebraucht, das ist eine alte Regel der Klugheit, und es ist um so notwendiger, sie zu befolgen, wenn das Werkzeug selbst zu denken anfängt, wenn es zu begreifen versucht und selbst seinen eigenen Wert schätzen möchte. Ich hatte dennoch mein Werkzeug gut gewählt, alles fügt sich, wie es soll – bald wird die undankbare Kaiserin erkennen, daß Orloffs mächtige Hand allein ihren Thron zu stützen vermag, daß ich allein für sie wache und jede drohende Gefahr ersticke. Sie wird entsetzt sein über das, was sie hier sieht, und sie bebt im Innersten ihres Herzens vor jenem Pugatschew, der so vortrefflich seine Rolle spielt – die Türken bedrohen ihre Grenzen – sie wird zitternd unter meinen Schutz zurückkehren, mag sie dann in tändelndem Spiel ihre Unterhaltung suchen, wie und wo sie will, dieser hochfahrende Potemkin wird zu Boden stürzen wie ein kecker Schmetterling, der seine Flügel am Licht verbrannt, zur Warnung für alle, die meine Bahn kreuzen möchten – ich aber werde auf der Höhe der Herrschaft und Macht manch süßes Glück finden bei der reizenden Adeline, die den kleinen Mirowitsch bald vergessen wird, wenn die mächtigste Hand in Rußland ihr die lockendsten Schätze von Asien und Europa zu Füßen legt!«

Er rief seinen Kammerdiener.

»Kaspar Michailow soll kommen!« befahl er.

Der Kammerdiener sendete einen Lakaien nach dem hinteren Seitenflügel des Palastes, und bald kehrte dieser mit einem starken, untersetzten Manne zurück, der einen Kaftan und hohe, bis zum, Knie heraufreichende Stiefel trug. Sein Haar war über der Stirne kurz abgeschnitten, und hing an den Schläfen und über den Nacken hin länger herab, seine niedrige Stirn, seine breiten Backenknochen und seine kurze, etwas aufgestülpte Nase zeigte den Typus der slawischen Rasse in ihren niedrigsten Schichten, die lauernden Augen dieses Mannes hatten einen unsteten, unheimlichen Blick; seine Erscheinung würde Schrecken eingeflößt haben, wenn man ihm auf einsamen Wegen begegnet wäre, und selbst hier, im Palaste des Fürsten, schien er einen ähnlichen Eindruck hervorzubringen, denn alle Lakaien, an denen er vorüberging, wichen scheu vor ihm zurück, obgleich er jeden von ihnen demütig grüßte, wobei ein unzusammenhängender, eigentümlich gurgelnder Laut aus seinem Munde hervordrang.

Er wurde sogleich bei dem Fürsten eingeführt und blieb lange in dessen Kabinett. Als er dann wieder durch die Korridore nach dem Seitenflügel des Palastes zurückkehrte, wichen ihm alle Diener ebenso scheu wie vorhin aus – in seinen Augen aber funkelte eine finstere, tückische Freude, und mancher der Hausbeamten, an dem er, sich tief verbeugend, vorbeischritt, machte das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Brust, indem er ihm nachsah – denn Kaspar Michailow war der oberste der stummen Diener des Fürsten Orloff, welche dieser sich aus den kühnsten und verwegensten Verbrechern auserwählt.

Uschakoff warf einen finstern, drohenden Blick rückwärts, als er das Marmorpalais verlassen hatte.

»Er wähnt, ich sei in seinen Händen,« flüsterte er vor sich hin, »und doch halte ich ihn in den meinigen – bald werde ich frei sein von diesen unwürdigen Fesseln, die mich zu erwürgen drohten, und aus denen nun der Zufall oder ein Wunder mich erlöste.«

Er ging langsam, in tiefem Sinnen vorwärts – es war notwendig, Potemkin von allem zu unterrichten, wie dieser es ihm befohlen hatte, und doch schien es ihm unvorsichtig, öffentlich das Winterpalais zu betreten, denn wenn Orloff Kunde davon erhielt, so war es möglich, daß er seine Pläne änderte oder vertagte und der Gefahr, die sich über seinem Haupte zusammenzog, auswich.

Während er noch unschlüssig darüber nachdachte, was er zu tun hatte, legte sich eine Hand auf seine Schulter, und als er sich schnell umwendete, sah er Herrn Peter Sebastianow Firulkin vor sich, der ihn mit der größten Liebenswürdigkeit begrüßte.

»Ich habe Sie um Verzeihung zu bitten, mein Herr Leutnant,« sagte Firulkin, »ich bin nicht höflich gegen Sie gewesen, als wir uns das letztemal begegneten – ich hatte Sie in einem Verdacht, von dessen Grundlosigkeit ich mich nun überzeugt habe, und ich bitte Sie, einen Augenblick in mein Haus einzutreten und mit mir ein Glas Wein auf gute Freundschaft zu trinken, auch habe ich schöne Sachen in meinem Gewölbe, wie sie die Herren Offiziere brauchen, und werde Ihnen keinen hohen Preis stellen, um zu beweisen, wieviel mir daran liegt, mein Unrecht wieder gutzumachen.«

Uschakoff war nicht wenig erstaunt über diese plötzliche Änderung in dem Benehmen Firulkins und wollte die Einladung desselben kühl ablehnen.

Aber der Alte beugte sich zu ihm vor und sagte, ohne den unbefangenen Ausdruck seines Gesichtes zu verändern, mit leiser Stimme:

»Kommen Sie mit mir, mein Herr, der Herr Graf Potemkin hat mir befohlen, Sie zu ihm zu führen.«

Uschakoff erschrak. Er kannte Firulkin als eine Kreatur Orloffs – sollte ihm hier eine Falle gestellt werden –

»Kommen Sie, kommen Sie!« drängte Firulkin, »wagen Sie es nicht, zu zögern, der Graf erwartet Sie!«

Uschakoff entschloß sich, auf jede Gefahr hin mit dem Alten zu gehen – wirkliche Gefahr konnte ihm in diesem Hause kaum drohen, und er war seiner Selbstbeherrschung sicher, so daß er, auch wenn ihm eine Falle gestellt werden sollte, kein unbedachtes Wort sprechen würde.

Firulkin zog ihn schnell mit sich fort, indem er mit lauter Stimme ihm von verschiedenen vorzüglichen Waffen erzählte, die er durch seine Agenten erhalten, und die er ihm für einen geringen Preis überlassen wolle.

Als sie vor dem großen, prachtvollen Hause des Millionärs angekommen waren, führte ihn dieser nicht zu dem Haupteingange, sondern zu einem Seitenflügel, in dem sich seine Warengewölbe befanden.

Kaum dort eingetreten, zog er ihn aber nach einem innern Hofe fort und führte ihn über eine Seitentreppe nach einem kleinen Kabinett.

Uschakoff hatte die Hand an seinen Degen gelegt, aber als er in das Kabinett eintrat, verschwand jede Besorgnis, denn er fand hier in der Tat Potemkin, der ihm in einem einfachen, bürgerlichen Anzug entgegentrat.

»Ich habe Sie hierher führen lassen, mein Herr,« sagte der Graf, »da ich vermuten muß, daß alle Ihre Schritte beobachtet werden. Sie kommen von Orloff, wie stehen die Sachen, was haben Sie mir zu berichten?«

Uschakofs erzählte alles, was er dem Fürsten über die Verschwörung in Schlüsselburg mitgeteilt hatte, und berichtete dann über den Auftrag, den ihm Orloff für Fräulein Adeline Lemaitre gegeben.

»Gut,« rief Potemkin, »gut, alles geht vortrefflich! Was die Verschwörung betrifft, so haben Sie den Verhaftsbefehl der Kaiserin und wissen, was Sie zu tun haben, um das Unternehmen im entscheidenden Augenblicke unschädlich zu machen. Zu Fräulein Adeline werden Sie sogleich hingehen – Sie werden ihr den Auftrag des Fürsten ausrichten und werden alles aufbieten, damit das junge Mädchen in den sie erwartenden Wagen steigt, in dem sie der Fürst, wie ich nicht zweifle, nach Gatschina entführen will. Ich bürge Ihnen nochmals dafür, daß dem Leutnant Mirowitsch nichts widerfahren soll, da sie ja allein um seinen Anschlag wissen und ihn verhaften werden, ehe er den ersten Schritt zur Ausführung desselben getan.«

»Und Adeline –« fragte Uschakoff, »sie soll Orloff preisgegeben werden?«

»Niemand soll ihm preisgegeben werden,« rief Potemkin, »verlassen Sie sich auf mich, und bald soll niemand mehr in Rußland vor seiner rücksichtslosen Macht zittern! Gehen Sie jetzt – Sie dürfen nicht zu lange hier bleiben, und damit Sie einen Vorwand für Ihre Anwesenheit in Firulkins Gewölbe haben, nehmen Sie diesen Yatagan als ein Geschenk von mir, Sie sollen dem alten Schurken keinen Dank schuldig sein.«

Er reichte dem jungen Manne einen schön gearbeiteten, mit edlen Steinen besetzten türkischen Säbel, dieser dankte freudig überrascht und entfernte sich dann auf Potemkins Wink schnell, um seine Aufträge auszuführen.

Firulkin erwartete ihn vor der Tür des Kabinetts, er führte ihn auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, zurück und begleitete ihn auf die Straße, indem er, laut sprechend, ihn auf die Schönheit der Waffe aufmerksam machte, welche Potemkin ihm geschenkt.

Ganz freudig trug Uschakoff das kostbare Geschenk fort, er weidete sich an dem Glanz der schönen Steine, welche ihm die Vorbedeutung einer Zukunft voll Glanz und Ehre zu sein schienen.

Vor der Türe des kaiserlichen Theaters erwartete er Fräulein Adeline, er teilte ihr alles, was ihm Orloff aufgetragen, als eine Botschaft ihres Geliebten mit, und fand das erregte Mädchen, das ihn in ängstlicher Sehnsucht erwartet hatte, ohne Zögern und ohne weitere Frage und Nachforschung bereit, die Flucht, welche ihr die Freiheit bringen sollte, ganz in der vorgeschlagenen Weise zu unternehmen. Sie war so ganz frei von Mißtrauen gegen den Freund ihres Geliebten, ihre geängstigte Seele sehnte sich so sehr nach einem Weg der Rettung, daß ihr kein Gedanke an eine Täuschung und die Möglichkeit einer Gefahr kam.

Als Uschakoff, der sie eine Strecke nach ihrer Wohnung hin begleitet hatte, sich von ihr trennen wollte, drückte sie ihm ein kleines Päckchen in die Hand.

»Nehmen Sie dies, mein Herr,« sagte sie, »es ist ein wertvoller Stein, das einzige, was ich besitze. Geben Sie es Wassili, er ist arm, er wird des Geldes bedürfen zu unserer Flucht.«

Ehe er antworten konnten, war sie schnell mit flüchtigem Gruß davongeeilt.

Uschakoff öffnete die Seidenumhüllung, Orloffs prachtvoller Ring leuchtete ihm entgegen.

»Abermals ein Edelstein,« sagte er, »er sei mir wieder eine Bürgschaft glücklicher Zukunft, und diesmal will ich ihr Vertrauen nicht täuschen – ich will den Stein für Mirowitsch bewahren – diesen beiden liebenden Herzen gegenüber soll mein Gewissen frei und rein bleiben, der Betrug, den ich jetzt gegen sie übte, wird sie ja dennoch zum Glück führen!«

Er steckte den Stein ein und ging leichten Herzens nach der Kaserne der Artillerie, wo er Tschewaridew mitteilte, daß Mirowitsch die Ausführung des festgesetzten Planes für den nächsten Abend beschlossen habe.

Auch hier fühlte er sich frei und leicht, es galt ja nun nicht mehr, die vertrauenden Freunde dem Verderben zuzuführen, denn wenn die Verschwörung von ihm durch den kaiserlichen Befehl, den er bei sich führte, im Keime erstickt wurde, so blieb ja auch die Teilnahme Tschewaridews und der Offiziere in tiefes Geheimnis begraben, und keine strafbare Tat von ihnen trat an das Tageslicht.

Lange blieb er hier und hörte mit innerer Ungeduld den Erwägungen der Verschworenen über alle möglichen Fälle, auf die man gefaßt und vorbereitet sein müsse, zu, und als endlich der Abend dunkelte, brach er auf, um auf der Kommandantur zu Pferde zu steigen und den Rückweg nach Schlüsselburg anzutreten.

Wieder war er auf allen seinen Schritten von einem der Freunde des französischen Gelehrten und von einem der jungen Studenten, welche im Erdgeschoß des Hauses der Madame Lemaitre wohnten, verfolgt, und wieder zogen sich seine beiden Verfolger zurück, als er die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich gelassen hatte.

Heiter und sorglos ritt er durch die Dunkelheit auf der Straße dahin. Endlich hatte er das Tannengehölz an der Biegung des Weges erreicht, an welchem er vor wenigen Tagen von Potemkins Leuten festgenommen worden war. Er blickte mit glücklichem Lächeln auf die dunklen Schatten der Tannen, in der Erinnerung an jene Stunde, die ihn so sehr erschreckt hatte und doch der Ausgangspunkt seines Glückes gewesen war.

Er hob den an seinem Sattel befestigten Yatagan empor und freute sich an dem Anblick der durch die Dunkelheit leuchtenden Steine.

Fast hatte er den Ausgang des Gehölzes erreicht, als plötzlich, ganz wie an jenem Abend, zwei dunkle Gestalten rückwärts heransprangen und dem Pferde in die Zügel fielen. Wohl erschrak er auch diesmal, aber zugleich auch blitzte der Gedanke durch seinen Kopf, daß Potemkin diese Leute gesendet haben möge, um ihm noch eine Botschaft zu bringen.

»Was wollt ihr?« fragte er, mehr neugierig als drohend, aber er erhielt keine Antwort, wohl aber sah er, daß noch andere Schatten seitwärts heranschlichen.

Da riß er den türkischen Säbel aus der Scheide, schwenkte die schneidige Waffe gegen die beiden Männer, welche am Kopfe seines Pferdes standen und rief:

»Redet in des Teufels Namen oder ihr werdet es euch selbst zuzuschreiben haben, wenn ich euch den Schädel spalte!«

Ein dumpfer, unheimlicher Ton, dem Knurren eines Raubtieres ähnlich, klang zu ihm herauf.

»Nun,« rief er, »so sollt ihr fühlen, daß ihr nicht hören wollt!«

Er erhob seine Waffe, um den Arm zu treffen, der den Zügel seines schnaubenden Pferdes festhielt. Aber in demselben Augenblick fühlte er sich rückwärts gerissen – eine Schlinge war von hinten über seinen Kopf geworfen und schnürte seinen Hals so fest ein, daß er nur noch einen dumpfen Schrei ausstoßen konnte.

Mehrere Gestalten sprangen heran und rissen ihn vom Pferde. Die Männer, welche den Zügel gehalten hatten, ließen denselben los, und pfeilschnell jagte das Tier davon.

Uschakoff schlug verzweiflungsvoll um sich, aber mehrere Männer faßten seinen Arm und knieten auf seine Brust nieder, ihn an jeder Bewegung verhindernd – immer fester zog sich die Schlinge zu, Schaum trat auf seinen Mund, seine Augen drängten sich mit dem Ausdruck furchtbarer Angst aus seinen Höhlen hervor, aber die Männer drückten seinen konvulsivisch zuckenden Körper immer fester an den Boden, immer enger und enger wurde die Schlinge zusammengeschnürt – in wenigen Augenblicken war das finstere Werk der Nacht vollendet; mit einem dumpfen Röcheln hauchte Uschakoff in einer letzten Zuckung seine Seele aus.

Bei diesem ganzen entsetzlichen Vorgange war von den Mördern kein Wort gesprochen worden, man hörte nur immer wieder jene schauerlichen, dumpf gurgelnden Töne. Zwei der Männer hielten noch immer die Schlinge um Uschakoffs Hals fest angezogen, ein dritter, welcher der Führer der anderen zu sein schien, und dessen stummem Wink sie gehorchten, beugte sich über den Toten und durchsuchte alle Taschen seiner Kleidung. Er fand in der Uniform den Verhaftsbefehl für den Leutnant Mirowitsch und das kleine Paket mit dem Ring. Er steckte beides zu sich, dann legte er die Hand auf das Herz des regungslosen Körpers, um sich zu überzeugen, daß kein Pulsschlag des Lebens in demselben mehr vorhanden sei. Hierauf stand er auf, bewegte den Arm immer mit denselben unartikulierten Tönen, indem er auf den Hals des Erdrosselten deutete.

Die Schlinge wurde abgenommen. Zwei Männer hoben Uschakoffs Leiche auf, und der Führer schritt ihnen bis zum nahen Ufer der Newa voran, wo sie durch das Schilf bis unmittelbar an den Rand des Wassers hin vordrangen. Hier setzten sie den Körper des Erwürgten in eine schwingende Bewegung, um ihn dann in mächtigem Bogen in die Fluten des Stromes zu schleudern. Die Strudel des Wassers schlossen sich wieder und die Wirbel des Flusses rissen den kaum erstarrten Toten in die Tiefe hinab, der im verwegenen Spiel um Glanz und Ehre Menschenglück und Menschenleben eingesetzt hatte, der eben noch so hoffnungsvoll dem Ziel seines Ehrgeizes entgegenlächelte, und nun in jähem Sturz den Einsatz des eigenen Lebens verloren hatte.

Die finsteren Gestalten kehrten eilig nach dem Tannendickicht zurück. Sie lösten hier ihre Pferde von den Bäumen, um welche sie die Zügel geschlungen hatten, sprangen in den Sattel und jagten schweigend, wie dämonische Spukgeister, auf dem Wege nach Petersburg davon.


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