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Endlich schlug die Stunde, welche die Kaiserin zum feierlichen Empfange der Glückwünsche des Hofes angesetzt hatte.
Katharina hatte befohlen, daß Soltikow an diesem Abende die Stelle ihres Adjutanten einnehmen solle, um ihn vor dem ganzen Hofe als den Überbringer der Botschaft des Sieges, an dem er selbst so großen Anteil genommen, zu ehren; sie selbst hatte ihm das große Band des St.-Andreas-Ordens umgehängt und ihm den Stern an die Brust geheftet, und er erwartete mit seinem Sohne in dem Vorzimmer der kaiserlichen Gemächer das Erscheinen Ihrer Majestät, welche sich nach dem Diner zurückgezogen hatte, um ihre Abendtoilette zu machen.
Der General war tief bewegt; in seiner Unterhaltung mit der Kaiserin waren so manche Töne der Erinnerung angeklungen aus lange vergangenen Zeiten, die noch immer im goldenen Frühlingslicht der Jugend und der Liebe in seiner Seele lebten, und die ruhmvolle, herrliche Gegenwart, welche jetzt an die Stelle jener dahingegangenen Zeiten getreten war, hatte ihn ja zum Werkzeuge der Vernichtung des Liebesglückes seines Sohnes gemacht.
Traurig stand er da, und er, der mit seiner Botschaft den ganzen Hof, der in den glänzenden Festsälen die Kaiserin erwartete, in laute, jubelnde Freude versetzt hatte, schien selbst keinen Anteil an derselben zu nehmen.
Nikolai war ruhig und heiter; sein mutiger Entschluß hatte ihm die Frische wiedergegeben. Er schien älter geworden, die kindliche Weichheit war von seinem Gesicht verschwunden, mächtige Willenskraft drückte sich in seinen Blicken und in seiner Haltung aus, er war bestrebt, den Vater, den er so wenig gekannt und der ihm so schweres Leid gebracht, durch frohe und zuversichtliche Worte aufzurichten. Die Kaiserin erschien.
Zoraide war tief verschleiert an ihrer Seite. Katharina hatte ihr befohlen, sie zu begleiten, damit das arme Kind in dem Festesglanz ihren Kummer vergesse oder demselben wenigstens in einsamer Grübelei keine neue Nahrung gebe. Stumm reichte sie Nikolai die Hand.
»Wie steigt heute so lebendig,« sagte Soltikow halblaut zur Kaiserin, bevor er die Tür zu dem großen Salon öffnete, in welchem ihr persönlicher Dienst sie erwartete, »wie steigt heute so lebendig die lange vergangene Zeit mit ihrem Schmerz und ihrem Glück vor mir herauf, jene Zeit, in der ich der Großfürstin folgte, wenn sie in die Empfangssäle sich begab, zitternd in banger Furcht vor irgendeiner Kränkung und Demütigung, und doch wieder glücklich, wenn ein Blick meiner erhabenen Gebieterin mich traf und mir sagte, daß sie meine Teilnahme bemerkt habe und mir dafür danke.«
»Ja, Sergius Semenowitsch,« erwiderte Katharina, ihn träumend anblickend, »ja, jene Zeit war schön, und nie soll sie vergessen sein; aber nimmer würde ich sie wieder erwecken, wenn meiner Hand die Macht dazu gegeben wäre; damals mußte die Großfürstin sich unwürdigem Zwange beugen und ihr Gefühl tief in ihr Herz verschließen, heute kann die Kaiserin stolz ihr Haupt aufrichten und ihre Freunde vor der ganzen Welt an ihre Seite erheben; damals verzehrte die Sehnsucht nach der Krone mein Herz, heute trage ich sie und halte die Herrschaft in meinen Händen. Besser ist es so, Sergius Semenowitsch, als daß ich damals um des flüchtigen Glückes der Stunde das strahlende Ziel vergessen hätte, das ich auf dornenvollen Wegen verfolgen mußte.«
Seufzend neigte Soltikow das Haupt und schritt der Kaiserin voraus.
Als er die Hand nach der Tür ausstreckte, wurde dieselbe von außen geöffnet, und zwei Offiziere in bestäubten Kleidern traten atemlos in das Gemach.
Die Kaiserin erschrak.
Sollte irgendein Unglücksbote den Tag der Siegesfreude trüben?
»Woher kommt ihr, was bringt ihr?« fragte sie, mit Mühe ihre feste und sichere Haltung bewahrend.
»Mich sendet der General Romanzow an Eure Majestät«, sprach der erste der beiden Offiziere. »Ich muß mich anklagen, daß ich einen Tag verloren habe; mein Pferd stürzte, weil ich zu sehr eilen wollte, und ich mußte eine lange Strecke zu Fuß zurücklegen, bis ich ein neues fand, darum hat mich mein Kamerad hier einholen können, der einen Tag später aus dem Lager von Schumla abging.«
»Und was bringt Ihr?« fragte die Kaiserin den ersten Boten.
»Diesen Brief an Eure Majestät.«
»Vom General Romanzow?« fragte die Kaiserin.
»Nein, Majestät, der Brief ist vom Großwesir Mossum Oglu; der General hat ihn mir mit dem Befehl gegeben, ihn in Eurer Majestät Hände zu legen.«
»Von meinem Vater?« rief Zoraide, indem sie erschrocken herantrat.
»Sollte er dennoch meinen Worten nicht trauen«, sagte Soltikow, »und seine Bitte noch einmal Eurer Majestät selbst aussprechen wollen?«
Die Kaiserin hatte schnell den Brief erbrochen und den Inhalt durchflogen, ihr Gesicht wurde ernst, sie wandte sich zu Nikolai und Zoraide und sagte mit wehmütigem Lächeln: »Euer Verhängnis wendet sich, meine Kinder, ihr dürft hoffen; höre, was dein Vater mir schreibt.«
Sie las:
»Erhabene, gnädige Kaiserin!
Ein besiegter Feind wendet sich bittend an das Herz der großmütigen Siegerin. Eure Majestät hat meiner Tochter Zoraide, der Freude und dem Glück meines Lebens, Ihre Gnade huldvoll zugewendet; ich gehe einem ungewissen Schicksal entgegen und bitte Eure Majestät, mein Kind unter Ihrem Schutz zu behalten und ihr eine mütterliche Freundin zu sein, wenn ihr Vater nicht mehr imstande sein sollte, für sie zu sorgen. Zoraide soll Ihnen gehorchen und Sie lieben, wie sie mir gehorcht hat und wie sie mich liebte; ich lege ihre Zukunft in die Hand Eurer Majestät und bitte den allmächtigen Gott, daß er seinen Segen in Fülle über Sie ausgießen möge für das Werk Ihrer Großmut.«
»Du siehst,« sagte die Kaiserin, indem sie Zoraiden das Blatt mit einem Blick voll schmerzlichen Mitleids reichte, »daß du nun mir gehörst nach dem Willen deines Vaters selbst und daß ich das Recht habe, dich mit Nikolai zu vereinigen.«
»Mein Gott, mein Gott,« sagte Zoraide, »ich begreife nicht!« Sie wendete das Papier um.
»Ja, ja, das ist meines Vaters Siegel,« sagte sie, »ich kenne es, der Brief kommt von ihm, es ist sein Wille, mich von sich zu geben; was mir Glück bringen sollte, erschreckt mich; liebt er mich nicht mehr oder –«
Sie erbleichte und kreuzte zitternd die Arme über der Brust, während Nikolai, strahlend von glücklicher Freude, zu ihr herantrat und den Arm um ihre Schultern legte.
»Der General Romanzow sendet durch mich Eurer Majestät dieses Schreiben«, sprach der zweite Offizier, auf den fragenden Blick der Kaiserin antwortend.
»Ah,« rief Katharina, ihm den groß gesiegelten Brief abnehmend, »diesmal ist es Romanzow selbst, der mir schreibt.« Hastig riß sie den Brief auf und las:
»Der General Soltikow wird Eurer Majestät persönlich Bericht erstattet haben über den großen und entscheidenden Sieg, den Eurer Majestät Truppen erfochten haben, und der Entwurf des Friedensvertrages wird in Eurer Majestät Händen sein, ebenso wird der Brief, den der Großwesir Mossum Oglu mir für Eure Majestät übergeben, Allerhöchst Ihnen überbracht sein. Ich habe nun noch folgende wichtige Nachrichten zu melden:
»Der Sultan Mustapha III. ist gestorben, Abdul Achmed ist an seine Stelle getreten, der Großwesir Mossum Oglu ist vom Oberbefehl über die von uns geschlagenen und zersprengten Armeen abberufen und der Pascha Moldauantschi an seine Stelle geschickt; dieser hat den von Mossum Oglu mit Soltikow geschlossenen Friedenstraktat in der Erkenntnis, daß kein Widerstand möglich ist, und auf meine Drohung, im Falle der Verzögerung sogleich nach Adrianopel zu marschieren, ebenfalls angenommen, vorbehaltlich der Genehmigung des Sultans, an der nicht zu zweifeln ist. Mossum Oglu hat, wie ich zu meinem Schmerz erfahren, in Adrianopel den Boten des Sultans gefunden, der ihm –«
Die Kaiserin stockte und blickte auf Zoraide, welche sich aus Nikolais Armen losgemacht hatte und bleich, mit starren Blicken den Worten des Briefes lauschte.
»Ein Bote des Padischahs,« rief sie, »was heißt das? O habe Erbarmen, hohe Herrin, sage mir, was ist mit meinem Vater geschehen?«
»Armes Kind,« sagte die Kaiserin, »und doch, sie muß es wissen, die schmerzvolle Gewißheit ist besser als die quälende Angst und Unruhe. Dein Vater hat sein Schicksal geahnt, mein Kind, und darum hat er dich meinem Schutz übergeben; er hat in Adrianopel den Boten des Sultans mit der seidenen Schnur, seinem Todesurteil, gefunden. Er war ein tapferer und stolzer Mann,« fuhr sie fort, die Schlußworte aus Romanzows Brief lesend, während Zoraide mit einem lauten Jammerruf zusammenbrach, »und ich werde dem edlen Feind ein ehrenvolles Andenken bewahren.«
»O mein Vater, mein Vater!« rief Zoraide jammernd; »sie haben dich gemordet, die Erbarmungslosen, gemordet, ohne daß du dein Kind noch einmal hast sehen können!«
Nikolai hob das weinende Mädchen vom Boden auf.
Die Kaiserin öffnete ihre Arme und drückte sie an ihre Brust.
»Sei ruhig, mein Kind,« sagte sie, »deines Vaters Segen begleitet dich noch über sein Grab hinaus; ihn hast du verloren, aber er hat dich an das Herz einer Mutter gelegt, und du sollst mir ein heiliges Vermächtnis sein; die Kaiserin von Rußland wird dir dein Glück bauen, als ob du ihr eigenes Kind wärest. Gräfin Katharina Katharinowna sollst du heißen, und du sollst den Ersten gleichstehen in meinem Reich, bis du deinem Nikolai die Hand reichst und den edlen Namen der Soltikow mit dem Namen deiner Kaiserin verbindest.
Nikolai sank auf die Knie und küßte inbrünstig die Hand der Kaiserin.
Soltikow legte die Hand auf das Haupt seines Sohnes und sagte:
»Und solange mein Geschlecht fortlebt in Rußland, mögen alle, die ihm angehören, der erhabenen Kaiserin und ihren Nachkommen ihr Leben weihen voll Dank und Bewunderung.«
Noch ruhte Zoraide leise schluchzend in den Armen der Kaiserin, plötzlich aber richtete sie sich hoch auf, ihre feuchten Augen flammten, und die Hand ausstreckend, rief sie mit lauter, klangvoller Stimme:
»Ja, euch will ich angehören, euch allein; dir, meiner hohen, gütigen Herrin, und dir, mein geliebter Freund, für immer und ewig; nichts ist gemein mehr zwischen mir und dem Volk des Padischahs, der meinen Vater feig und grausam ermordet; aus meinem Herzen reiße ich den Glauben, der dem Nachfolger seines Propheten erlaubt, so grausame Untat zu verüben. Dein Gott ist der meine, mein Nikolai, der Gott der Gnade, der Barmherzigkeit, der Liebe; zu diesem Gott will ich beten für meinen armen, schändlich gemordeten Vater, beten für unser Glück, das er schauen wird von dort oben herab, dessen er sich freuen wird im Lichte der ewigen Verklärung. Nimm mich hin, ich bin dein; in Schmerzen hat der Himmel unsere Seelen zusammengefügt, unser Schicksal auf Erden liegt in der gnädigen Hand unserer hohen mütterlichen Herrin.«
Sie kniete an Nikolais Seite vor der Kaiserin nieder, diese streckte ihre linke Hand über die Häupter der Knienden aus und reichte Soltikow ihre rechte.
»Siehst du, Sergius Semenowitsch,« sagte die Kaiserin, nur ihm verständlich, »wie alles wunderbar sich zusammenfügt, Soltikow und Katharina Katharinowna, so soll sie heißen in der heiligen Taufe, die Namen finden sich wieder zusammen, und ihre Vereinigung knüpft den Traum der Erinnerung an das lebendige Glück der Zukunft. Nun aber geh', meine Tochter,« sagte sie dann, »gedenke in der Stille deines Vaters, dessen Segen auf deinem Haupte ruht, heute gehörst du nicht in den Kreis der Fröhlichen, in der Einsamkeit findet die Seele sich selbst wieder, geh' und weine, und bitte Gott, daß dies die letzte Träne deines Lebens sein möge. Du aber, Nikolai, sollst mich begleiten; diese ernste Stunde hat dir dennoch hohes Glück gebracht, und dem Sohn ziemt es, teilzunehmen an der Freude und der Ehre seines Vaters.«
Zoraide ließ den Schleier über ihr Gesicht fallen und kehrte schweigend in die inneren Gemächer der Kaiserin zurück.
Nikolai öffnete die Tür des Vorzimmers, Soltikow nahm den Platz des Adjutanten hinter seiner Gebieterin ein, die Kammerherren und Hofdamen vom Dienst rangierten sich zu langem und glänzendem Zuge, und wenige Augenblicke später trat die Kaiserin, von dem einstimmigen, brausenden Jubelruf des vollzählig versammelten Hofes begrüßt, in den großen Thronsaal, wo ihr zuerst der Großfürst und die hessischen Prinzessinnen glückwünschend entgegentraten; dann nahten die fremden Diplomaten und die Großwürdenträger des Reiches, unter ihnen voran Gregor Orloff.
Starren Blickes sah er in die Augen der Kaiserin.
»Ich wünsche Eurer Majestät Glück zu Romanzows herrlichem Siege, der Ihnen und allen Ihren treuen Dienern eine schwere Sorge abgenommen und eine große Gefahr von dem Reiche gewendet.«
»Ich habe nie daran gezweifelt,« erwiderte Katharina mit stolzer Sicherheit, »daß das Glück und der Sieg meinen Fahnen stets treu bleiben würden, und daß meine Feldherren und meine tapferen Heere auch die einmal verlorene Frucht ihrer Siege wiedergewinnen würden.«
Orloff preßte die Lippen aufeinander, ein Blitz wilden Zorns flammte in seinen Augen auf.
»Eure Majestät werden«, sagte er, »dem Glück nicht zu viel vertrauen, denn noch droht eine finstere Wetterwolke am Horizont, und um sie zu beschwören, bleibt es nötig, die ganze Kraft des Reiches in starker und treuer Hand zusammenzufassen.«
»Ihr habt recht, Fürst Gregor Gregorjewitsch,« erwiderte Katharina, »und wohl steht es der Kaiserin an, im Augenblick der Freude sich sorgend der Gefahr zu erinnern, die noch das Reich bedroht. Romanzows Hand ist stark und treu, und der Sieger über die türkische Übermacht wird auch die Rebellen niederwerfen.«
Ein keuchender Ton drang aus Orloffs schwer atmender Brust, sein Gesicht wurde erdfahl, seine Lippen bebten und schienen eine furchtbare Drohung ausstoßen zu wollen, aber sein Bruder Alexis, der hinter ihm stand, faßte seinen Arm und zog ihn zurück.
Katharina schien den Eindruck ihrer Worte nicht zu bemerken, ihr Blick schweifte über den sie umgebenden Kreis hin; der Graf Panin stand traurig, gesenkten Hauptes da, alle übrigen hielten sich von ihm fern, auf dessen Haupt die kaiserliche Ungnade lastete, so daß ein freier Kreis sich um ihn gebildet hatte, als ob jedermann seine Nähe wie die eines von ansteckender Seuche Behafteten zu meiden suche.
Schnell schritt Katharina auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sprach mit lauter Stimme:
»Euch gebührt heute mein Dank, Graf Nikita Iwanowitsch, denn es ist das Werk Eurer klugen und scharfblickenden Politik, das Romanzows herrlicher Sieg gekrönt hat; die Erziehung meines Sohnes, die ich Euren treuen Händen anvertraut habe, ist vollendet; es ziemte sich nicht, solange der Feind die Grenzen des Reiches bedroht, die Vermählung des Großfürsten zu feiern, jetzt soll dieselbe von heute in zwei Wochen stattfinden, und damit hört Euer Amt bei Eurem erhabenen Zögling auf, der Eure Lehren, so hoffe ich, niemals vergessen wird, wenn die Vorsehung ihn einst zur Herrschaft über das heilige Rußland beruft; aber ich bitte Euch, die Leitung meiner auswärtigen Angelegenheiten weiterzuführen, und seid gewiß, daß ich in Euch stets meinen treuen Ratgeber ehren und lieben werde.«
Eine tiefe Stille herrschte ringsumher. Graf Panin zitterte so stark, daß er sich kaum aufrechtzuhalten vermochte, Tränen stürzten aus seinen Augen, er beugte sich auf die Hand der Kaiserin und stammelte unverständliche Dankesworte.
Der Großfürst aber eilte heran, umarmte den Grafen zärtlich und drückte dann auch im überwallenden Gefühl die Kaiserin an seine Brust, welche freundlich dieser die Schranken der Etikette durchbrechenden kindlichen Zärtlichkeit ihren Beifall lächelte.
Gregor Orloff wollte vorstürmen, aber wieder hielt ihn sein Bruder Alexis zurück und führte ihn noch weiter aus dem die Kaiserin umgebenden Kreise fort.
Eben wollte die Kaiserin ihre Tournee fortsetzen; die Nächststehenden drängten sich um den Grafen Panin, um dem eben noch Gemiedenen ihre Freude und ihre Glückwünsche über die ihm zuteil gewordene Ehre und Anerkennung auszusprechen, da hörte man unruhiges Stimmengewirr vom Eingange her, und im nächsten Augenblick eilte, sich durch die dichten Gruppen drängend, ein Offizier in hohen Stiefeln und bestäubter Uniform sporenklirrend herein. Er beugte das Knie vor der Kaiserin und rief:
»Heil unserer erhabenen Herrin, der großen Kaiserin Alexiewna! Die Rebellen sind vernichtet, der hochverräterische Yemelka Pugatschew ist in Fesseln geschlagen und befindet sich auf dem Wege nach Petersburg, um nach dem Urteil Eurer Majestät die Strafe seiner Frevel zu empfangen. Mich sendet der General Panin voraus, um die Siegeskunde zu melden.«
Katharina drückte die Hände auf ihr Herz, ihre Blicke richteten sich aufwärts, ein Schimmer unsäglicher Freude verklärte ihr Gesicht. Dann sprach sie ruhig, ohne daß ihre klare Stimme eine Spur von Bewegung hören ließ:
»Es ist gekommen, wie es kommen mußte, die Gerechtigkeit des Himmels hat mit ihrem strafenden Blitz das Haupt des tollkühnen Frevlers getroffen, und so wird es allen äußeren und inneren Feinden des Vaterlandes ergehen, solange ich das Schwert des heiligen Rußlands in meiner Hand halte!«
Sie streckte gebietend ihre Hand aus, als ob sie, mit der Macht des Himmels selbst umgürtet, der überwundenen Welt ihre Gesetze auferlegen wolle.
»Es lebe Katharina Alexiewna, unsere erhabene, unüberwindliche Kaiserin!« rief Graf Panin.
Der Großfürst wiederholte diese Worte, und brausend setzte sich der begeisterte Ruf durch die weiten Festsäle fort.
Gregor Orloff aber hatte bei der Meldung von Pugatschews Gefangenschaft einen dumpfen Schrei ausgestoßen, seine Augen färbten sich blutig, seine Lippen schäumten, drohend erhob er die geballten Fäuste und schien sich zur Kaiserin durchdrängen zu wollen; aber mit gewaltiger Kraft hielt ihn sein Bruder Alexis fest und zog ihn immer weiter fort nach der Wand des Saales, so daß kaum jemand aus der Versammlung, deren ganze Aufmerksamkeit auf die Kaiserin gerichtet war, den Vorgang bemerkte. Immer höher steigerte sich die Wut des Fürsten, der in einem Anfall von wahnsinniger Raserei röchelnde Töne ausstieß, während sein Bruder ihn immer weiter zurückdrängte.
Plötzlich riß er sich los und stürmte, die Lakaien und Türsteher zurückstoßend, durch den nächsten Ausgang des Thronsaales hinaus.
Sein Bruder Alexis folgte ihm durch die Korridore über die große Treppe hin, bis er ihn endlich auf der Straße erreichte.
»Fort!« rief Orloff, den Arm seines Bruders zurückstoßend, »fort aus dem verfluchten Hause der falschen Verräterin; die Hölle ist mit ihr im Bunde – hört ihr's, ihr Geister des Abgrundes, hört ihr's, nehmt mich, nehmt meine Seele, aber rächt mich an ihr, schmettert sie hinab von der Höhe, auf die ich sie gehoben habe; ich, den sie zu vernichten sinnt, wie sie jedem Vernichtung bringt, der so töricht ist, ihrer Lockung zu folgen!«
Die Straße war dicht mit Menschen gefüllt, Lichter brannten an den Fenstern der Häuser zur Feier des Sieges über die Türken. Auch die Kunde von Pugatschews Gefangenschaft hatte sich bereits mit der geheimnisvollen Schnelligkeit verbreitet, welche stets große Nachrichten wie mit elektrischer Strömung durch das Volk trägt. Immer dichter wurden die Gruppen auf den Straßen; erstaunte und erschrockene Blicke richteten sich auf den tobenden Fürsten.
»Ja, mein Bruder, ja,« sagte Alexis, »du hast recht, die Mächte des Himmels oder der Hölle werden deinen Ruf hören und dich rächen, aber komm fort von hier, um Gottes willen, fort, nach Hause!«
Orloff blieb stehen, seine auf das äußerste angestrengten Nerven sanken plötzlich in tiefe Erschöpfung zurück; schwer lehnte er sich auf den Arm seines Bruders und brach in konvulsivisches Weinen aus. Immer schneller zog ihn Alexis fort, er hielt den Schwankenden aufrecht, er stützte seinen zitternden Arm und lenkte seine strauchelnden Schritte; und als sie endlich das Marmorpalais erreicht hatten, da brach der Fürst unter dem Portal zusammen, so daß die erschrocken herbeieilenden Lakaien den Bewußtlosen in seine Wohnung tragen mußten, wo Alexis traurig und sorgenvoll neben seinem Lager sitzen blieb.
Aus den Fenstern des Winterpalais aber leuchtete der helle Festesglanz in die Nacht hinaus, auf den Straßen wogte das freudeberauschte Volk, und immer wieder und wieder erklang der laute Jubelruf:
»Es lebe Katharina Alexiewna, die Große, die Unüberwindliche!«