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Auf einem Dorfe, ungefähr eine starke Meile von Dresden, Birnichen mit Namen, lebte vor wenig Jahren ein Bauer namens Heine; er besaß einiges Vermögen und einen unbescholtenen Ruf, so lang er ledig blieb. Aber kaum war er verheiratet, als ihn die Eifersucht seiner Frau oft aus dem Hause trieb und die Gesellschaft seines Schwiegervaters zu Trunk und Spiel verleitete. Er verließ nachher zwar den Ort, wo er bisher gelebt hatte, und kaufte in einem andern Dorfe ein ansehnliches Gut; doch da er auch hier sein unordentliches Leben fortsetzte und da weder er selbst noch seine Frau der Landwirtschaft sich tätig annahmen, so gerieten sie von Tag zu Tag in mehreren Verfall ihres Vermögens; die Schuldner klagten; der Tag der Hilfsvollstreckung war bereits angesetzt; seine Brüder, die wohlhabend und bis jetzt seine letzte Hoffnung gewesen waren, sagten sich von ihm los, und sein Ruin war entschieden.
Doch alles dies war nur geringes Leiden gegen einen andern täglichen Verdruß. Seine Frau nämlich, die den Gedanken der herannahenden Armut noch weit weniger als er selbst ertragen konnte, unterließ nicht, ihn jeden Augenblick mit Vorwürfen zu überhäufen. Er allein, hieß es, habe sie in dieses unübersehbare Elend gestürzt, wo der Bettelstab, wo Schimpf und Qual ihrer warteten und wovon nur ein freiwilliger Tod sie erlösen könne. Nächstens sei sie entschlossen, denselben sich anzutun; denn unmöglich könne dort, wenn sie auch ungerufen komme, ein so großer Jammer ihr bestimmt sein; wohl aber müsse die ganze Last ihrer Verdammung immer und ewig auf demjenigen ruhen, der sie zu diesem Schritte gedrängt habe.
Diese letzte Drohung erschütterte ihn tief: er hörte sie so oft und mit so ernstlichem Tone wiederholt, spürte in seiner Gattin übrigen Handlungen einen mit jedem Tage so sichtlich wachsenden Tiefsinn, daß er an der Wahrheit ihres Entwurfs nicht zweifeln konnte, und fühlte daher das Besorgnis eines traurigen Endes auch täglich bei sich gemehrt.
Vorstellungen aus Gründen der Religion wirken tiefer als alle irdischen; das ist eine gewöhnliche und auch hier bestärkte Wahrnehmung. Ihn, der bisher mit ruhiger Gelassenheit sich dem Abgrund der äußersten Dürftigkeit genähert hatte, war der Gedanke, Schuld am Verderben einer Seele, zumal der Seele seiner Frau, zu sein, war die Vorstellung von der Anklage in jenem Leben so schrecklich, daß er alles zu tun beschloß, um solcher, es sei auf welche Art es wolle, los zu werden. Der Verlust seines eigenen Lebens, wo er nur Elend und Gewissensbisse seiner warten sah, war ihm hierbei eine Kleinigkeit, und es erhob sich im Innern seines Herzens ein Gedanke, der bald zum Vorsatz ward, zum festen Vorsatz, seine Frau umzubringen, ehe sie selbst Hand an sich lege; zuvor aber, da nicht Haß, sondern wahre Liebe zu diesem schrecklichen Vorhaben ihn verleitete, auch alles zu tun, was ihre Seele zu retten dienlich wäre.
Sein erstes Bestreben ging nunmehr dahin, ihr wieder Hoffnung zur Verbesserung ihrer Glücksumstände zu machen. Es gelang ihm durch falsche Nachrichten, die er ihr von seinem Advokaten und von seinen Brüdern brachte. Die arme Unglückliche glaubte bald, was sie so eifrig wünschte, und fing an, sich von neuem aufzuheitern. Kaum merkte er dies, als er ihr vorschlug, das heilige Abendmahl zu genießen; auch dazu war sie willig, und beide empfingen es mit möglichster Andacht; er betete selbst mit ihr, sprach viel vom Sterben, kurz, tat alles, was, seiner Einfalt nach, ihm fähig zu sein dünkte, sie unbemerkt und unwissend zu dem nahen wichtigen Schritt vorzubereiten.
Indes nahte sich der zur Hilfsvollstreckung bestimmte Tag. Er wandte heimlich alles Mögliche an, um ihn noch zu entfernen, jedoch umsonst; und als er nun alles verloren sah, setzte er den Abend vorher zur Vollbringung seines Vorhabens an. Er war in der Stadt gewesen und täuschte, als er heim kam, seine Frau von neuem mit den günstigsten Nachrichten. Sie ging froh zu Bette; er setzte sich vor dasselbe, sprach mit ihr von verschiedenen künftigen Einrichtungen, las ihr einige Kapitel aus der Bibel und einige Gebete vor, und so entschlief sie.
Kaum sah er dies, als er zu dem bereitliegenden tödlichen Gewehr, einer geladenen Flinte, eilte; er drückte diese auf sie los, und sie starb, ohne selbst zu wissen, wie? Sein Rufen sowohl als der Schuß erweckten das Hausgesinde; sein Geständnis setzte alle außer sich; nur er blieb gelassen und schickte selbst nach den Gerichten, denen er sich willig gefangen gab; die ganze Zeit seiner Haft hindurch den ersten Mut beibehielt, und endlich seine Strafe mit einer Unerschrockenheit litt, die jeden Zuschauer zum Mitleid bewegte.
Wie viel hier Stoff zur Ausschmückung und Verschönerung vorrätig wäre, sieht jeder leicht. Mit Vorbeilassung alles dessen frage ich bloß: Wo ist derjenige, der mir unwidersprechlich sagen kann, daß dieser arme Inquisit gut oder böse, mitleidig oder grausam gehandelt habe? Ob ein stärkerer Beweis gutgemeinter Liebe möglich gewesen sei? und ob nicht ein solcher Fehltritt, der vor menschlichem Richterstuhl allerdings des Todes wert war, vor jenem höhern Tribunal ein verzeihlicher, wo nicht gar verdienstlicher Irrtum gewesen sein dürfte?
O ihr Kenner des menschlichen Herzens! Ihr wollt zuweilen ein Fältchen desselben entwickeln, aber Millionen Tausend entschlüpfen euch.
Und ihr Aufzeichner menschlicher Begebenheiten, was gilt es, bei eben erzählter Begebenheit stand in zwölf Zeitungsblättern: »Den und den Tag ward gerichtet N. N.! Er hatte liederlich sein ganzes Vermögen verschwendet und dann seine Frau umgebracht.«
Kein unwahres Wort, und doch jedes so falsch!