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Neapel, den 27. April 1831.
Es ist beinahe 14 Tage, daß ich keinen Brief von Euch habe; hoffentlich ist nichts Beunruhigendes vorgefallen, und so sehe ich denn jeden Posttag Nachrichten entgegen. Mit meinem Schreiben wird es aus Neapel nicht viel werden. Man steckt zu tief darin, um sich gleich hinaus versetzen und erzählen zu können. Dazu kommt noch, daß ich das schlechte Wetter, welches wir einige Tage lang hatten, zum Arbeiten benutzt, und mich mit Eifer auf die Walpurgisnacht geworfen habe. Das Ding hat mich immer mehr interessirt, sodaß ich nun jede freie Minute benütze, um daran zu arbeiten. – In wenig Tagen soll es fertig sein, denke ich, und es kann ein ganz lustiges Stück werden. Bleibe ich so im Zuge wie jetzt, so mache ich auch noch die Italienische Symphonie in Italien fertig, dann hätte ich doch eine ganz gute Ausbeute von diesem Winter mitzubringen. Dazu wird täglich etwas neues gesehen; die Parthien mache ich meist mit Schadows. Gestern waren wir in Pompeji. Das ist halb wie eine Brandstätte, halb wie eine eben verlassene Wohnung. Für mich, dem beides immer etwas Rührendes hat, war der Eindruck eigentlich der traurigste, den ich bis jetzt in Italien gehabt. Als seien die Menschen eben ausgegangen, ist es; doch zeigt wiederum fast Alles auf eine andere Religion, anderes Leben, kurz auf 1700 vergangene Jahre hin; und dazu klettern denn Franzosen und Engländerinnen munter drauf umher; zeichnen es auch wohl gar ab, – es ist wieder einmal das alte Trauerspiel von Vergangenheit und Gegenwart, über das ich in meinem Leben nicht wegkomme. Das lustige Neapel macht sich darauf freilich ganz gut; aber die übertriebene Masse von elenden Bettlern, die Einen auf allen Wegen und Stegen verfolgen, den Wagen in Haufen einschließen, sobald man anhält; namentlich die weißhaarigen alten Leute, die man darunter sieht, thun mir wehe, denn eine solche Masse von Elend kann man sich gar nicht denken. Geht man am Meere spazieren, sieht nach den Inseln hinüber, – will dann auch einmal auf's Land sehen, und steht in der Mitte von Krüppeln, die mit ihren Gebrechen coquettiren, oder findet sich, wie mir es neulich geschah, von 30 bis 40 Kindern umgeben, die alle ihr » muoio di fame« absingen, und sich dabei auf die Kinnbacken klopfen, um zu zeigen, daß sie nichts zu beißen haben, – so macht es einen widerlichen Contrast. Und doch ist es mir noch viel verhaßter, daß man die Freude, ein zufriedenes Gesicht zu sehen, durchaus entbehren muß; denn wenn man reichlich gegeben hat, sei es an Custoden, Arbeiter, Aufwärter, kurz wem ihr wollt, so ist die stehende Redensart » niente di piu?« Dann kann man gewiß sein, daß es zu viel ist. Ist es der rechte Preis, so geben sie es in der größten Entrüstung zurück, kommen dann nach, und bitten wieder darum. Das sind Kleinigkeiten, aber sie zeigen den kläglichen Zustand der Leute. Bin ich doch schon so weit gekommen, mich einmal über die immerwährende lächelnde Heiterkeit der Natur zu ärgern, als mir auf abgelegenen Spaziergängen überall Bettler entgegen kamen, und einige davon Viertelstunden weit mitgingen. Nur wenn ich auf meinem Zimmer, ruhig sitze, den Meerbusen, und den Vesuv darüber ansehe, und ganz allein damit bin, ist mir hier recht wohl und heiter geworden. Heut werden wir nach dem Camaldolenser Kloster hinaufsteigen, und morgen, wenn das Wetter sich hält, nach Procida und Ischia. Abends bin ich heut bei Mde. Fodor, mit Donizetti, Benedict u. a. m. Sie ist sehr freundlich und gefällig gegen mich; durch ihr Singen hat sie mir schon großes Vergnügen gemacht, denn sie hat eine unglaubliche Leichtigkeit, und macht ihre Verzierungen mit solchem Geschmack, daß man sieht, wie die Sonntag sich vieles von ihr angenommen hat; namentlich das mezza voce, das die Fodor, deren Stimme nicht mehr ganz frisch und voll ist, sehr politisch klug an vielen Stellen anzubringen weiß. Da sie auf dem Theater nicht singt, so ist es mir doppelt lieb, sie persönlich kennen gelernt zu haben. Das Theater ist jetzt für mehrere Wochen geschlossen, weil das Blut des heiligen Januarius ehester Tage fließen soll. Was ich vorher dort gehört, war der Mühe des Hingehens nicht werth. Das Orchester wie in Rom, schlechter als jedes deutsche, – keine einzige erträgliche Sängerin, und nur Tamburini mit seiner frischen Baßstimme gab dem Ganzen etwas Leben. Um italienische Oper zu hören, muß man jetzt nach Paris oder London gehen. Ich bitte Gott, daß es nur nicht mit der deutschen Musik ebenso werden möge! – Ich muß aber zu meinen Hexen zurück; verzeiht, wenn ich für heut aufhöre. Der ganze Brief schwebt eigentlich in Ungewißheit; oder vielmehr schwebe ich darin, ob ich die große Trommel dabei nehmen darf, oder nicht: »Zacken, Gabeln, und wilde Klapperstöcke« treiben mich eigentlich zur großen Trommel, aber die Mäßigkeit räth mir ab. Ich bin auch gewiß der einzige, der den Blorberg ohne kleine Flöte componirt; aber um die große Trommel thäte mir es leid, und ehe Fanny's Rath ankommt, ist die Walpurgisnacht fertig und eingepackt, – ich fahre schon wieder durch's Land, und Gott weiß, wovon dann die Rede ist. Ich bin überzeugt, Fanny sagte »Ja«, aber ich bin doch unschlüssig. Großer Lärm muß auf jeden Fall gemacht werden. O Rebecka, kannst Du mir nicht einige Liedertexte schaffen und schicken; mir ist sehr danach zu Muthe, und Du mußt wieder was Neues zu singen haben. Wenn Du mir hübsche Verse schicken kannst, alte oder neue, lustige oder saure, oder sauersüße, so schiebe ich sie Dir in Deine Stimme hinein. Für sonstige Bestellungen stehe ich zu Diensten. Ich bitte Dich, schaff mir was zu arbeiten, für die Reise, in den Wirthshäusern. Nun aber lebt alle wohl, und so ganz wohl, wie ich es möchte – und denkt mein.
Neapel, den 17. Mai 1831,
Ihr Lieben!
Sonnabend den 14ten Mai 2 Uhr sagte ich dem Fuhrmann, er möge nur umwenden; – wir hielten vor dem Tempel der Ceres in Pästum, und das war der südlichste Punkt auf meiner Jugendreise. Der Wagen kehrte sich um nach Norden zu, und seitdem nähere ich mich wieder Euch, wenn ich weiterreise. Es war ungefähr ein Jahr, daß ich mit Vater nach Dessau und Leipzig abgereist war, und so stimmt es auch in der Zeit; es war die Hälfte. Ich habe das Jahr für mich benutzt, – bin an Eindrücken und Erfahrungen sehr viel reicher; war auch fleißig in Rom und hier; aber Äußerliches ist nichts geschehn, und im Anfange des nächsten Jahrs, so lange ich in Italien bin, wird es auch wohl dabei bleiben. Darum ist mir aber doch die Zeit nicht weniger lieb, als andere, wo ich äußerlich, und in der Meinung der Leute vorwärts kam; denn das hängt doch immer zusammen. Habe ich was Rechtes erlebt, so wird es schon auch nach Außen wirken, und ich will gewiß keine Gelegenheit dazu vorüber lassen. Hoffentlich wird die auch noch vor Ende dieser Reise ein Paar mal kommen; deshalb kann ich die Monate, die mir noch für Italien bleiben, fortfahren, die Natur und den blauen Himmel zu genießen, ohne an was Anderes zu denken. Nur da ist jetzt die Kunst von Italien, – da, und in Monumenten; aber da bleibt sie auch ewig, und da wird Unsereins zu lernen und zu bewundern finden, so lange der Vesuv stehen bleibt, und so lange die milde Luft, und das Meer, und die Bäume nicht vergehen. Trotz dessen bin ich Stock-Musiker genug, um mich herzlich wieder einmal nach einem Orchester, oder einem vollen Chor zu sehnen. Es ist doch auch Klang darin, und solchen giebt's hier nicht; das ist jetzt unsere Sache geworden, und wenn man so lange ganz ohne dies Element hat sein müssen, so fehlt es Einem sehr. Orchester und Chor sind hier, wie in einer untergeordneten Mittelstadt bei uns, nur noch roher und unsicherer. Der erste Violinist schlägt, durch die ganze Oper hindurch, die vier Viertel des Taktes auf einen blechernen Leuchter, sodaß man es zuweilen mehr hört, als die Stimmen (es klingt etwa wie obligate Castagnetten, nur stärker) und trotz dessen sind Orchester und Stimmen nie zusammen. Bei jedem kleinen Instrumentalsolo kommen altmodische Verzierungen und besonders ein schlechter Ton zum Vorschein. Das Ganze ist ohne den geringsten Geist, ohne Feuer und Lust. Die Sänger sind die schlechtesten italienischen, die ich bis jetzt irgendwo gehört habe, Italien ausgenommen; denn wenn man eine Idee von italienischem Gesang haben will, muß man nach London oder Paris gehen. Selbst die Dresdener Gesellschaft, die ich in Leipzig voriges Jahr hörte, ist besser als irgend eine hier. Es ist ja auch natürlich; beim grenzenlosen Elend, das man hier überall sieht, – wo soll sich da ein Boden zur Erhaltung eines Theaters, das jetzt doch einmal große Mittel braucht, finden? Und die Zeit wo jeder Italiener geborener Musiker war, ist, wenn sie jemals gewesen, lange vorbei. Sie behandeln es, wie jeden Modeartikel, kalt, gleichgültig, kaum mit dem Interesse des äußerlichen Anstandes, und da ist es nicht zu verwundern, wenn jedes einzelne Talent, wie es aufkommt, gleich in die Fremde zieht, wo es besser anerkannt, besser an seinen Platz gestellt wird, und wo es Gelegenheit findet etwas Ordentliches, Herzstärkendes zu hören und zu lernen. – Der einzige Tamburini hier ist recht gut. Man hat ihn aber längst schon in Wien, in Paris, und ich glaube auch in London gehört, und jetzt, wo er anfängt seine Abnahme zu fühlen, geht er nach Italien zurück. Auch daß die Italiener die Gesangskunst allein besitzen sollen, kann ich nicht begreifen; denn was ich von italienischen Sängern und Sängerinnen Kunstreiches gehört habe, das kann die Sonntag auch, und in noch höherem Grade; sie hat es zwar, wie sie sagt, meist von der Fodor gelernt, aber warum sollte denn nun eine andere Deutsche es nicht von der Sonntag lernen können? Und die Malibran ist eine Spanierin. Diese Glorie vom »Lande der Musik« kann Italien nicht behalten; in der That hat es sie schon verloren, und wird es auch vielleicht bald in der Meinung der Leute, obwohl das letztere zufällig ist. Ich war neulich in einer Gesellschaft Musiker, wo man von einer neuen Oper eines Neapolitaners, Coccia, sprach, und wissen wollte, ob sie gut sei? Wahrscheinlich ist sie gut, sprach einer der Musiker, denn Coccia war lange in England, hat da studirt, und es haben dort auch einige seiner Sachen gefallen. Das war mir auffallend, – man würde in England gerade so von Italien gesprochen haben. Aber quo me rapis? Euch lieben Schwestern sage ich heut nichts, schicke aber in den nächsten Tagen einen kleinen persönlichen Aufsatz, der Euch zugeeignet ist. Erschreckt nicht! ich dichte nicht; das Ding ist und heißt nur: ein Tagebuch der Spazierfahrt nach den Inseln im Mai.
Neapel, den 28. Mai 1831.
Liebe Schwestern!
Da das Tagebuch zu dünn und schlecht geworden ist, muß ich Euch doch wenigstens ein abrégé meiner Geschichte mittheilen. Wisset denn, daß Freitag den 20sten Mai in Neapel in corpore gefrühstückt wurde, nämlich Früchte und dergleichen, und in corpore heißt: die Reisegesellschaft nach den Inseln, die aus Ed. Bendemann, T. Hildebrandt, Carl Sohn und Felix Mendelssohn Bartholdy bestand.
Mein Bündel war nicht sehr schwer, und enthielt außer Goethe's Gedichten und drei Hemden wenig Erhebliches. So packten wir uns in einen Miethswagen und fuhren durch die Grotte des Posilippo nach Pozzuoli. Der Weg führt längs dem Meere, und ist das Lustigste, was man sehen kann. Um so mehr thut die entsetzliche Masse von Blinden, Krüppeln, Bettlern, Galeerensclaven, kurz Elenden aller Art, die Einen dort empfangen in der Feiertagsnatur, wehe. Ich setzte mich ruhig in den Hafen hin, und zeichnete, während die andern sich mit den Serapistempeln, den Theatern, den heißen Quellen und ausgebrannten Kratern quälen mußten, die ich schon dreimal, und zur Genüge gesehen hatte. – Dann nahmen wir, wie junge Patriarchen oder Nomaden, all unser Hab' und Gut, Mäntel, Bündel, Bücher, Mappen, auf Esel, setzten uns selbst oben drauf, und machten die Tour um den Meerbusen von Bajae, zum Averner See, wo man sich für sein Mittagessen Fische einkaufen muß; über den Berg nach Cuma (vergleiche Goethe's Wanderer) und kamen so nach Bajae herunter, wo gegessen und geruht wurde. Dann wurden noch Tempelruinen, alte Bäder und dergleichen besehen, und so wurde es Abend, ehe wir zur Überfahrt kamen. Um ½ 10 Uhr langten wir im Städtchen Ischia an, und im einzigen Wirthshaus war Alles besetzt, so daß wir uns entschlossen, noch bis zu Don Tommaso zu gehen, zwei Stunden Wegs, die wir aber in 5/4 liefen; – es war prächtig kühl; in allen Weinranken und Feigenbäumen und Gesträuchen saßen unzählige Glühwürmer und ließen sich fangen; und als wir endlich etwas ermüdet beim Don gegen Eilf eintrafen, fanden wir noch alle Leute wach, die nettesten Zimmer, frische Früchte, einen freundlichen Diaconus als Kellner, und blieben bis Mitternacht behaglich sitzen, einer Fuhre Kirschen gegenüber. Andern Morgens war es aber schlecht Wetter, und regnete tüchtig. Auf den Epomeo konnte man also nicht hinauf, und da wir eigentlich auch nicht so recht viel mit einander conversiren konnten (es ging nun einmal nicht, Gott weiß, warum), so wäre das Ding langweilig geworden, hätte Don Tommaso nicht den niedlichsten Hühnerhof, den es in Europa geben kann. Vorne an der Thür steht ein gewaltiger schattiger Orangenbaum mit vielen reifen Früchten, unter dessen Ästen die Treppe nach der Wohnung hinaufführt. Jede von den weißen steinernen Stufen ist mit einem großen Blumentopfe besetzt, und der Flur oben besteht aus einer weiten offenen Halle, wo man aus einem Bogen heraus den ganzen Hof mit Orangenbaum, Treppe, den Strohdächern, Weinfässern und Krügen, den Eseln und Pfauen übersehen kann. Damit es am Vorgrunde nicht fehle, steht unter dem gemauerten Bogen ein indischer Feigenbaum, so üppig, daß man ihn mit Stricken an die Mauer hat festbinden müssen. Den Hintergrund endlich machen die Weinberge mit den Lusthäusern, und die Vorhöhen des Epomeo. Unter dem Bogen war man nun vor dem Regen geschützt; da setzten wir uns alle Vier hin, und zeichneten den ganzen lieben Tag lang uns den Hof ab, so zierlich es gehen wollte. Ich habe mich überhaupt nicht genirt, sondern immer mitgezeichnet, und glaube auch etwas profitirt zu haben. Nachts gab es ein ganz furchtbares Gewitter, und ich beobachtete im Bette, daß die Donner am Epomeo entsetzlich lange nachbrummen, etwa wie am Vierwaldstädter See, oder noch länger. Den nächsten Morgen, Sonntag, schien es heiter zu sein. Wir gingen nach Foria, sahen die Leute in ihren bunten Costümen in den Dom gehen; die Frauen hatten ihre berühmten zusammengelegten Mousselintücher auf dem Kopfe, die Männer standen vor dem Kirchplatze, und kannegießerten in knallrothen Sonntagskappen, und so wanden wir uns durch die festlichen Dörfer nach und nach den Berg hinauf. Es ist ein großer zerrissener Vulkan, voll Spalten, Höhlen, Abhängen und steilen Klüften. Die Höhlen haben sie zu Weinkellern benutzt, und mit großen Fässern vollgepfropft; auf den Abhängen sind überall Weinberge mit Feigen- oder Maulbeerbäumen; auf den steilen Felsstücken wächst Korn, und giebt mehrmals im Jahre Erndten; die Schluchten sind mit Epheu, unzähligen bunten Blumen und Kräutern bedeckt; und wo sich sonst noch ein Platz findet, da schießen junge ächte Kastanienbäume auf, und geben den schönsten Schatten. So liegt das letzte Dorf, Fontana, mitten im Grün, und in den Pflanzen. Da überzog sich der Himmel aber; es wurde dunkel, und als wir höher hinaufkamen, bei den obersten Felsspitzen, war es ganz nebelig geworden; die Dünste tanzten umher, und obwohl die zackigen Felsen, der Telegraph, und das Kreuz wunderlich genug in den Wolken sich ausnahmen, so konnten wir doch von der Aussicht nicht das Geringste sehen. Zugleich fing es zu regnen an; man kann nicht oben bleiben und warten, wie auf dem Rigi, und so mußten wir also, ohne seine Bekanntschaft gemacht zu haben, den Epomeo wieder verlassen, liefen im Regen hinunter; einer sprang über den andern; ich glaube wir haben keine Stunde gebraucht. – Andern Tags fuhren wir nach Capri. Das Ding hat schon was Morgenländisches an sich, mit der glühenden Hitze, die von den weißen Felswänden abprallt, mit den Palmen, und den runden Kuppeln der Kirchen, die wie Moscheen aussehen. Der Scirocco war brennend, und machte mich zum rechten Genießen untauglich; denn in dieser Sonnenhitze 537 Stufen hinauf-, und dann wieder hinunter zu steigen, nach Anacapri hin, ist eine Pferdearbeit. Aber wahr ist es, daß das Meer sich ganz wunderbar schön ausnimmt von dem kahlen Felsen herunter, und zwischen den tollen Zacken hindurch. Vor allem muß ich aber von der blauen Grotte erzählen, denn die kennt nicht ein Jeder, weil man nur bei stillem Wetter, oder schwimmend hineinkann. Wo die Felsen ganz senkrecht in's Meer hineinstehen, und vielleicht auch unter dem Wasser noch eben so hoch sind, wie darüber, da hat sich eine gewaltige Höhle gebildet, aber so, daß im ganzen Umkreis der Höhle die Felsen mit ihrer Breite auf dem Meere ruhen, oder vielmehr unmittelbar hineinhängen, und erst von da aus aufsteigen, bis zur Wölbung der Höhle; das Meer füllt also den ganzen Boden der Höhle aus, und diese hat ihre Öffnung unter dem Wasser; nur ein kleines Stück der Öffnung ragt über dem Wasser hervor, und durch dies kleine Stück fährt man nun mit einem schmalen Kahn, auf dessen Boden man sich ausstrecken muß, hinein. Ist man einmal drin, so liegt die ganze ungeheure Höhle mit ihrer Wölbung über Einem, und man kann frei, wie unter einem Dome, darin umherrudern. Das Sonnenlicht fällt nun aber auch durch die Öffnung unter dem Wasser hinein, wird durch das grüne Meerwasser gebrochen und gedämpft, und daher kommen die zauberischen Erscheinungen. Die ganzen hohen Felsen sind himmelblau und grünlich im Dämmerlicht, etwa wie im Mondschein; doch sieht man alle Ecken und Vertiefungen deutlich; das Meer aber ist durch und durch vom Sonnenlicht beleuchtet und erhellt, sodaß der schwarze Kahn auf einer hellen glänzenden Fläche schwebt; die Farbe ist das blendendste Blau, das ich je gesehen habe, ohne Schatten, ohne Dunkelheiten, wie eine Scheibe des hellsten Milchglases; und wie die Sonne durchscheint, so sieht man auch ganz deutlich alles, was unter dem Wasser vorgeht, und das ganze Meer mit seinen Geschöpfen thut sich auf. – Da sieht man an den Felsen die Korallen und Polypen sitzen; tief unten begegnen sich Fische aller Art, und schwimmen an einander vorüber, die Felsen werden gegen das Wasser zu immer dunkler, und am Ende, wo sie dicht darüber hängen, sind sie schwarz und man sieht weiter unter ihnen fort noch das helle Wasser, mit Krebsen, Fischen und Gewürmen darin. Dazu hallt es ganz wunderlich in der Grotte von jedem Ruderschlage wieder, und wie man an den Wänden umherfährt, so kommen neue Gestalten zum Vorschein. Ich wollte, Ihr könntet das sehen, denn es ist ganz sonderbar zauberhaft. Dreht man sich nach der Öffnung um, durch die man hineinkam, so scheint das Tageslicht rothgelb hindurch, dringt aber nicht weiter, als ein Paar Schritt davon, und so ist man ganz einsam auf dem Meere unter den Felsen, mit seinem eigenen besonderen Sonnenlichte; es ist, als könne man einmal ein wenig unter dem Wasser leben. –
Dann wurde nach Procida übergesetzt, wo die Frauen sich griechisch kleiden, aber darum doch nicht hübscher aussehen; aus allen Fenstern guckten neugierige Gesichter; ein Paar Jesuiten, mit den schwarzen Kleidern und den dunklen Gesichtern, saßen in einer hellen Weinlaube, ließen sich's wohl sein, und machten ein hübsches Bild. Dann über's Meer nach Pozzuoli, und so durch die Grotte des Posilippo wieder nach Hause.
An Paul kann ich über die Veränderung seines Wohnorts, und den Eintritt in die große weite Londoner Welt nicht schreiben, weil er mir nur mit zwei Worten sagt, er würde wahrscheinlich in drei Wochen abreisen, und mein Brief ihn also nicht mehr in Berlin antreffen kann; in einer Woche riskire ich's und adressire an meinen Bruder in London. Es soll nun einmal sein, daß das rauchige Nest mein Lieblingsaufenthalt ist und bleibt. Das Herz geht mir auf, sobald ich daran denke; und male ich mir nun gar meine Rückkehr dahin aus, wie ich von Paris hinüberreise, und Paul dort selbstständig, allein, verändert in den alten lieben Umgebungen finde; wie er mir seine neuen, ich ihm meine alten Freunde vorführen kann, wie wir dann zusammen wohnen und leben, so wird mir schon jetzt ungeduldig, nur bald dahin zu kommen. Aus einigen Zeitungen, die mir Bekannte zukommen lassen, sehe ich, daß mein Name auch nicht vergessen ist, und so kann ich hoffen, wenn ich dorthin zurückkehre, wieder fortarbeiten zu können, wie ich es damals nicht durfte, weil ich nach Italien mußte. Macht die Oper in München Schwierigkeit, oder geben sie mir nicht den Text, den ich wünsche, so mache ich eine Oper für London, denn daß ich dort den Auftrag dazu erhalte, sobald ich es möchte, das weiß ich. Für das Philharmonic bringe ich auch neue Sachen mit, und so will ich meine Zeit gut anwenden.
Da ich die Abende hier frei habe, so lese ich ein wenig französisch und englisch; namentlich haben mich die Barricades, und les états de Blois interessirt, weil man sich mit Grausen in eine Zeit versetzt sieht, die man oft als eine kräftige, zu früh vergangene, muß preisen hören. Wenn mir die Bücher auch viele Fehler zu haben scheinen, so ist die Schilderung der beiden gegenüberstehenden Häupter, von denen einer immer schwächer, unschlüssiger, heuchlerischer und jämmerlicher sich zeigt, als der andere, doch gewiß nur zu wahr, und man dankt Gott, daß dieses gepriesene Mittelalter vorüber ist, und nie wiederkehren kann. Zeigt es keinem Hegelianer, aber es ist so, und je mehr ich darüber lese und denke, desto deutlicher fühle ich das. Ein großer Liebling von mir ist Sterne geworden. Mir fiel ein, daß Goethe einmal über die »sentimental journey« sprach und sagte, man könne durchaus nicht besser ausdrücken, wie des Menschen Herze ein trotzig und verzagt Ding ist. Da fand ich sie zufällig, dachte, ich wollte sie doch kennen lernen, und habe mich sehr gefreut, wie darin Alles so fein und schön aufgefaßt und hingestellt ist. Deutsches giebt es hier wenig zu lesen; ich bin also auf die Goethe'schen Gedichte beschränkt, und bei Gott, es ist genug darin zu bedenken; – neu bleibt es immer. Namentlich interessiren mich hier die Gedichte, die er offenbar in, oder um Neapel geschrieben hat, wie z. B. Alexis und Dora; denn ich sehe fast täglich von meinem Fenster aus, wie das wunderbare Gedicht entstanden ist. Ja, wie es denn mit allen Meisterwerken geht, so denke ich oft so von selbst und plötzlich daran, daß mir ist, als müsse es mir auch bei ähnliches Gelegenheit eingefallen sein, und als hätte er es nur zufällig ausgesprochen. Von dem Gedicht »Gott segne Dich junge Frau« behaupte ich nun gar, das Lokal aufgefunden, und bei der Frau zu Mittag gegessen zu haben; aber natürlich muß sie jetzt schon ganz alt, und ihr säugender Knabe ein stämmiger Vignerol geworden sein. Zwischen Pozzuoli und Bajae liegt ihr Haus »eines Tempels Trümmern« und nach Cuma ist es drei Meilen gut. Da könnt Ihr Euch denken, wie Einem die Gedichte neu werden, und wie anders und frisch man sie wieder empfindet, und kennen lernt. Von Mignon's Lied will ich gar nicht erst sprechen. Aber toll ist es doch, daß Goethe und Thorwaldsen leben, daß Beethoven erst vor ein Paar Jahren gestorben ist, und daß H–. behauptet, die deutsche Kunst sei mausetodt. Quod non. Schlimm genug für ihn, wenn es ihm so zu Muthe ist; aber wenn man ein Weilchen über das Raisonnement nachdenkt, kommt es Einem doch sehr schaal vor. A propos! – Schadow, der in einigen Tagen nach Düsseldorf zurück geht, verspricht mir bei Immermann neue Lieder für mich auszuwirken, auf die ich mich sehr freue. Der Mann ist doch ein Dichter; das steht eben so in seinen Briefen, wie in Allem. Graf Platen ist ein kleiner, verschrumpfter, goldbebrillter, heiserer Greis von fünfunddreißig Jahren; er hat mir Furcht gemacht. Die Griechen sehen anders aus! Er schimpft auf die Deutschen gräßlich, vergißt aber, daß er es auf Deutsch thut. Doch ich komme zu sehr in's Plaudern; also lebt wohl für heute.
Rom, den 6. Juni 1831.
Liebe Eltern!
Nun ist's mal wieder Zeit, daß ich Euch einen ordentlichen, vernünftigen Brief schreibe; ich glaube, daß alle die aus Neapel eigentlich nichts recht getaugt haben. Es ist, als wolle Einen die Luft da nicht zum Nachdenken kommen lassen; wenigstens ist es mir nur sehr selten gelungen, mich dort zu sammeln. Jetzt bin ich aber kaum ein Paar Stunden wieder hier, und das alte römische Behagen und die heitere Ernsthaftigkeit, von der ich Euch in meinen ersten Briefen aus Rom schrieb, haben sich schon wieder ganz über mich ausgebreitet. Ich kann nicht sagen, wie ungleich mehr ich Rom liebe, als Neapel. Die Leute sagen, Rom sei monoton, einfarbig, traurig und einsam; es ist auch wahr, daß Neapel mehr wie eine große europäische Stadt ist, lebendiger, verschiedenartiger, kosmopolitischer. Ich sage Euch aber im Vertrauen, daß ich nach und nach auf das Kosmopolitische einen ganz besondern Haß bekomme; – ich mag es nicht, wie ich überhaupt Vielseitigkeit nicht recht mag, oder eigentlich nicht recht daran glaube. Was eigenthümlich, und schön, und groß sein soll, das muß einseitig sein; wenn diese eine Seite nur zur größten Vollkommenheit ausgebildet ist, – und das kann kein Mensch Rom abstreiten. Um als große Stadt eigenthümlich zu sein, dazu scheint mir Neapel zu klein. Das ganze Leben und Treiben beschränkt sich auf zwei große Straßen: den Toledo, und die Küste vom Hafen bis zur Chiaja. Die Idee eines Mittelpunkts für ein großes Volk, die London so wunderbar schön macht, giebt mir Neapel nicht, und zwar, weil eben das Volk fehlt; denn die Fischer und Lazzaroni kann ich kein Volk nennen. Sie sind mehr wie Wilde, und ihr Mittelpunkt ist nicht Neapel, sondern das Meer. Die Mittelklassen, die gewerbetreibenden, arbeitenden Bürger, die in den andern großen Städten die Grundlage bilden, sind hier ganz untergeordnet; man möchte sagen, es fehlt ganz daran. Das ist es, was mir eigentlich den Aufenthalt in Neapel selbst oft verdrießlich gemacht hat, so sehr ich die Umgegend liebe, und genossen habe; und wie mir das immer von Neuem vor die Augen trat, so glaube ich am Ende sogar an mir selbst den Grund davon erfahren zu haben. Ich kann nicht sagen, daß ich eigentlich unwohl war in dem fortwährenden Sciroccowetter; aber es war unangenehmer, als eine Unpäßlichkeit, die in ein Paar Tagen vorübergeht. Ich fühlte mich schlaff, unlustig zu allem Ernsthaften, kurz unthätig. Wie ich denn nun tagelang mit mürrischem Gesichte die Straße auf und ab schlenderte, und mich am liebsten eigentlich auf die Erde gelegt hätte, ohne irgend etwas zu denken, zu wollen, zu thun, – da fiel mir auf einmal ein, daß die Hauptklassen von Neapel am Ende wirklich so lebten, und daß also der Grund zu meinem Mißbehagen nicht, wie ich fürchtete, in mir, sondern im Ganzen, – in Luft, Klima u. s. w. liegen möchte. Das Klima ist für einen großen Herrn eingerichtet, der spät aufsteht, nie zu Fuß zu gehen braucht, nichts denkt (weil das erhitzt), Nachmittags seine Paar Stunden auf dem Sopha schläft, dann sein Eis ißt, und Nachts in's Theater fährt, wo er wieder nichts zu denken findet, sondern da Besuche machen, oder empfangen kann. Auf der andern Seite ist das Klima wieder eben so passend für einen Kerl im Hemde, mit nackten Beinen und Armen, der sich ebenfalls nicht zu bewegen braucht, – sich ein Paar Gran erbettelt, wenn er einmal nichts zu leben hat, – Nachmittags sein Schläfchen macht auf der Erde, am Hafen, oder auf dem Steinpflaster (die Fußgänger steigen über ihn weg, oder schieben ihn aus dem Wege, wenn er gerade in der Mitte liegt), der dann sich seine frutti di mare etwa selbst aus dem Meere heraufholt, dann da schläft, wo er Abends zuletzt hinkommt, – kurz der in jedem Augenblicke das thut, was ihm gerade gemüthlich ist, wie ein Thier. Das sind denn nun auch die beiden Hauptklassen in Neapel. Bei weitem der größte Theil der Bevölkerung des Toledo besteht aus zierlich geputzten Herren und Damen, oder schönen Carossen, in denen sich Mann und Frau einander spazieren fahren, oder aus diesen braunen sans culottes, die mal Fische zum Verkauf tragen, und gräßlich dazu brüllen, oder Last tragen, wenn es an Gelde fehlt. Leute aber, die eine fortgesetzte Beschäftigung haben, – irgend eine Sache mit Fleiß und Beharrlichkeit verfolgen, und ausbilden, – die Arbeit um der Arbeit willen lieben, giebt es nur wenige, glaube ich. – Goethe sagt, das sei der Jammer des Nordens, daß man dort immer etwas thun wolle, und immer nach etwas strebe, und giebt einem Italiener Recht, der ihm räth, er solle nicht so viel denken; das mache nur Kopfschmerzen. Es muß aber wohl sein Spaß sein; wenigstens hat er nicht danach gehandelt, sondern eben recht wie ein Nordländer. Will er aber damit nur sagen, daß die verschiedenen Charaktere in der Natur begründet seien, und von ihr abhängen, so hat er natürlich Recht, das versteht sich. Ich kann auch wohl einsehen, wie das Alles so sein muß, und warum die Wölfe heulen; aber man braucht darum doch nicht mit ihnen zu heulen; das Sprüchwort sollte gerade umgekehrt sein. Die Leute nun, die ihrer Lage nach arbeiten, und also auch denken und thätig sein müssen, die behandeln das Ding wie ein nothwendiges Übel, das ihnen Geld verschafft, und wenn sie es haben, leben sie wie die großen, oder die nackten Herren. Daher ist kein Laden, wo man nicht betrogen würde. Einheimische, die viele Jahre lang dort Kunden sind, müssen eben so handeln, und auf ihrer Hut sein, wie Fremde; und einer meiner Bekannten, der fünfzehn Jahre aus einem Laden kaufte, erzählte mir, wie seit fünfzehn Jahren immer derselbe Kampf um ein Paar Scudi sei, und wie nichts ihm dagegen helfe. Daher eben giebt es so wenig Industrie und Concurrenz; daher macht Donizetti eine Oper in zehn Tagen fertig; sie wird ausgezischt, aber das thut gar nichts, denn er bekommt dafür bezahlt, und kann wieder spazieren gehen. Sollte aber seine Reputation endlich gefährdet werden, so würde er wieder zuviel arbeiten müssen, und das wäre unbequem. Darum schreibt er einmal eine Oper in drei Wochen, giebt sich zu ein Paar Stückchen Mühe, damit sie recht gefallen, und kann dann wieder eine Weile spazieren gehen, und schlecht schreiben. So malen ihre Maler die unglaublich schlechten Bilder, die noch weit unter der Musik stehen. So bauen die Architekten die abgeschmacktesten Gebäude (unter andern eine Nachahmung von St. Peter im Kleinen, im chinesischen Geschmack). Alles das ist aber einerlei; die Bilder sind bunt, die Musik macht Lärm, die Gebäude geben Schatten – mehr will der neapolitanische Große nicht davon. – Wie mir denn nun körperlich ebenso zu Muthe wurde wie ihnen, wie mich alles eigentlich zum Faulsein, Spazierengehn und Schlafen antrieb, und wie ich mir innerlich doch immer sagen mußte, das sei unrecht, und versuchte, mich zu beschäftigen und zu arbeiten, was wieder nicht gehen wollte, so entstand die Verdrießlichkeit, in der ich mehrere Briefe an Euch geschrieben habe, und ich konnte ihr nur ausweichen, indem ich mich in den Bergen umhertrieb, wo es gar zu göttlich schön ist, und wo jedem Menschen heiter und dankbar zu Muthe werden muß. Ich habe übrigens nicht versäumt, die Musiker kennen zu lernen die dort sind; wir haben auch Musik zusammen gemacht, aber ich habe mich über ihre großen Lobeserhebungen nicht freuen können. Die Fodor ist bis jetzt die einzige Künstlerin, oder vielmehr der einzige Künstler, den ich in Italien getroffen habe; anderswo hätte ich vielleicht vieles an ihrem Gesange auszusetzen, aber das überhörte ich alles, weil es doch wirklich Musik ist, wie sie singt, und das thut einem Menschen nach langer Pause gar zu wohl. Nun bin ich aber wieder im alten Rom; da ist ein ander Leben; täglich sind Prozessionen, weil vorige Woche corpus domini war, – und wie ich die Stadt in der Nachfeier der heiligen Woche verließ, so finde ich sie in der Nachfeier des Frohnleichnamstages wieder. Es machte mir einen sonderbaren Eindruck, daß Alles auf den Straßen in der Zwischenzeit so sommerlich geworden war; überall Buden mit Citronen und Eiswasser; alle Leute in leichten Kleidern; die Fenster offen, und die Jalousien geschlossen; vor den Kaffehäusern sitzt man auf der Straße, und ißt gelato's in Masse; der Corso wimmelt von Equipagen, denn nun wird wenig zu Fuß gegangen, und obwohl ich eigentlich keinen Freund, und keinen nahestehenden Menschen vermisse, so wurde mir doch ganz weich, als ich den spanischen Platz wieder sah, und die alten, wohlbekannten, Straßennamen an den Ecken. Etwa eine Woche bleibe ich nun hier, und dann geht es nordwärts. Donnerstag soll die infiorata sein; doch ist es noch nicht bestimmt, ob sie stattfindet, weil man Revolutionen fürchtet; ich hoff es aber. Bei der Gelegenheit würde ich noch das Gebirge sehen, und dann abreisen. Wünscht mir denn also wieder einmal glückliche Reise, denn nun geht die Fahrt wieder los. Heut vor einem Jahr kam ich in München an, hörte Fidelio, und schrieb Euch; seitdem haben wir uns nicht gesehen, so Gott will möge es nicht wieder so lange dauern.
An den Herrn Professor Zelter.
Rom, den 16. Juni 1831.
Lieber Herr Professor!
Es ist lange her, daß ich Ihnen schreiben wollte, um Ihnen von der Musik der heiligen Woche Bericht abzustatten; meine Reise nach Neapel kam aber dazwischen, und dort, wo ich mich die meiste Zeit im Freien auf den Bergen umhertrieb, und mir mit dem Meere zu schaffen machte, war auch nicht die rechte Ruhe für's Schreiben zu finden; daher die Verspätung, die ich Sie zu entschuldigen bitten muß. Ich habe seit der Zeit keinen merkwürdigen Ton gehört (in Neapel nur das Allermäßigste) und so habe ich Ihnen denn wirklich von den letzten Monaten nichts zu schreiben, als über die heilige Woche; vergessen denke ich nichts zu haben, und werde es wohl schwerlich je! Vom Eindruck des Ganzen habe ich schon an die Eltern berichtet, und diese werden es Ihnen mitgetheilt haben. Es war schön, daß ich mir vornahm die Sache ganz kalt und beobachtend anzuhören, und daß mir dennoch schon vor dem Anfang in der Kapelle ernsthaft und andächtig zu Muthe wurde. Solche Stimmung gehört, glaub' ich, dazu, um irgend etwas Neues recht auffassen zu können, und mir ist von der Wirkung des Ganzen nichts entgangen, obwohl ich mich zwang, auch auf alle Einzelheiten aufzupassen. Mittwoch um 4 ½ Uhr fing die Feier mit der Antiphona »Zelus domus tuae« an. Das Büchelchen, welches die Kirchenordnung der Woche enthält, erklärt was die ganze Feier eigentlich bedeutet, »es würden in jedem Nocturno drei Psalmen gesungen, weil Christus für die Jungfräulichen, die Verheiratheten und die Verwittweten gestorben sei; und auch wegen der drei Gesetze: des natürlichen, geschriebenen und evangelischen; das Domine labia mea, und das Deus in adjutorium würden nicht gesungen, weil die Gottlosen uns unser Haupt und Anfang geraubt hätten; die 15 Lichter bedeuteten die zwölf Apostel und drei Marien, (das Büchelchen enthält in dieser Art die allermerkwürdigsten Sachen, und ich bringe es Ihnen deshalb mit). Die Psalmen werden von allen Männerstimmen zu zwei Chören fortissimo abgesungen. Jeder Psalmvers ist nämlich in zwei Theile, wie Frage und Antwort, oder vielmehr a und b abgetheilt; der erste Chor singt a, und der zweite antwortet mit b. Alle Worte, ausgenommen das letzte, werden in großer Schnelligkeit auf einem Ton gesungen, und auf dem letzten machen sie ein kurzes Melisma, welches beim ersten und zweiten Vers verschieden ist. Nach dieser Melodie, oder tono, wie sie es nennen, wird der ganze Psalm mit all seinen Versen gesungen, und ich habe mir sieben verschiedene dieser toni nachgeschrieben, mit denen sie in den drei Tagen abwechselten. Sie können sich nicht denken, wie ermüdend und monoton sich dies macht, und wie roh und handwerksmäßig sie ihre Psalmen herunter singen. Der erste tonus den sie sangen, war z. B.
So geht nun der ganze Psalm von 42 Versen immer fort, indem eine Vershälfte auf gag und die andere auf geg endigt. – Sie singen es genau mit dem Ausdruck, und es klingt, als wenn sich viele Männer ernsthaft und böslich zankten, sodaß jeder halsstarrig dem andern immer wieder dasselbe zuruft. Im letzten Vers jedes Psalms singen sie die Worte, mit denen er schließt, langsamer und nachdrücklicher, und machen statt des Melismas einen langen Dreiklang piano, zum Beispiel, bei dem ersten:
Am Anfang jedes Psalm ist als Einleitung eine Antiphona, oder mehrere; diese werden gewöhnlich von ein Paar Altstimmen sehr rauh und hart in Canto fermo gesungen, ebenso die erste Vershälfte jedes ersten Psalmverses, und bei der zweiten geht dann das oben beschriebene Antworten der Männerchöre los. Die einzelnen Antiphonen u. s. w. die ich nachgeschrieben habe, behalte ich mir vor Ihnen zu zeigen, damit Sie sie mit dem Büchelchen zusammenhalten können. Den Mittwoch Abend wird erst der 68ste, dann der 69ste und 70ste Psalm gesungen. (Beiläufig ist diese Eintheilung der Psalmverse, und daß sie vom Chor und Gegenchor abgesungen werden, eine der Einrichtungen, die Bunsen für die evangelische Kirche hier gemacht hat; so wie er auch jeden Choral durch eine Antiphona einleiten läßt. Diese sind von Georg, einem hiesigen Musiker, nach Art der Canti fermi componirt, und werden erst von einigen Stimmen abgesungen, dann fällt der Choral ein, z. B. ein' feste Burg ist unser Gott.) Nach dem 70. Psalm kommt ein pater noster sub silentio, d. h. Alles steht auf, und es ist eine kurze, stille Pause. – Drauf fängt die erste Lamentation des Jeremias ganz leise und sanft in C dur an. Es ist eine schöne und ernsthafte Composition von Palestrina, und wenn sie auf das wilde Psalmgeschrei folgt, ohne Bässe, blos für hohe Solostimmen und Tenor, mit dem zartesten Anschwellen und Abnehmen, zuweilen fast unhörbar verschwimmend, und von einem Ton und Accord zum andern sich langsam hinziehend, so macht es sich ganz himmlisch. – Schlimm ist es freilich, daß die Stellen, die sie am Rührendsten und Andächtigsten singen, und die auch offenbar mit Vorliebe componirt sind, die Überschriften der einzelnen Kapitel oder Verse: Aleph, beth, gimmel etc. sein müssen: und daß der schöne Anfang, der klingt als käme er vom Himmel herunter, gerade auf die Worte ist: Incipit Lamentatio Jeremiae Prophetae, lectio I. Dagegen muß sich doch ein protestantisches Herz etwas empören, und wenn man die Absicht haben sollte, diese Gesänge in unsere Kirchen einzuführen, so scheint mir schon darin die Unmöglichkeit davon zu liegen; denn wenn Einer singt: »erstes Kapitel« so kann man nicht andächtig werden, es sei auch noch so schön. Mein Büchelchen sagt zwar: Vedendo profetizzato il crocfriggimento con gran pietà si cantano eziandio molto lamentevolmente »Aleph« e le altre simile parole, che sono le lettere dell' alfabeto Ebreo, perché crano in costume di porsi in ogni canzone in luogo di laimento, come é questa. Ciascuna, lettera ha in se tutto il sentiimento di quel versetto, che 1a segue, ed é come un argomento di esso. Das hilft aber Alles nichts. – Darauf werden Psalm 71, 72 und 73 in obiger Weise abgesungen, mit den Antiphonen. Diese sind ganz willkürlich in die verschiedenen Stimmen vertheilt, sodaß bei der einen die Soprane anfangen: in Monte Oliveti; drauf fallen die Bässe forte ein: oravit ad patrem: pater etc. Dann folgen die Lectionen aus dem Traktat des heiligen Augustinus über die Psalmen. Die sonderbare Art, wie diese gesungen wenden, frappirte mich unsäglich am Palmsonntag, wo ich es zum ersten Male hörte, und ohne zu wissen, was es war. Eine Stimme allein trägt sie vor, auf einem Tone recitirend, aber nicht wie in den Psalmen, sondern langsam, nachdrücklich, indem der Ton recht ausklingt. Für die verschiedenen Zeichen der Rede: für Komma, Frage, Punkt, giebt es nun verschiedene Tonfälle. Vielleicht sind sie Ihnen schon bekannt: mir, dem sie neu waren, erschienen sie sehr wunderlich. Die erste wurde z.B. von einer schönen Baßstimme auf g vorgetragen; kommt ein Komma, so macht er auf
dem letzten Wort: |
bei einem Fragezeichen: |
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bei einem Punkt aber so: |
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z.B. |
Wie sonderbar sich der Fall von a nach c macht, kann ich gar nicht beschreiben, besonders, wenn nach dem Baß ein Sopran kommt, der mit d anfängt, und nun ganz denselben Fall mit e und g macht; dann ein Alt in seinem Ton; denn sie sangen drei verschiedene Lectionen, die immer mit canto fermo abwechselten. Wie sie den canto fermo ganz ohne Rücksicht auf Wort und Sinn vortragen, davon als Beispiel das »es wäre ihm besser, daß er nie geboren wäre«, was so gesungen wird:
ganz fortissimo und eintönig. Dann kamen die Psalmen 74, 75, 76. Dann wieder drei Lectionen. Dann das Miserere, aber in derselben Art gesungen, wie alle vorigen Psalmen, mit folgendem tonus:
Man soll sich erst die Ohren tüchtig durchreiben, ehe man es besser bekommt! Dann folgen Psalm 8, 62, 66, Canticum Moysi in seinem eigenen Ton, Psalm 148, 149, 150. Nun kommen einige Antiphonen; alle Lichter am Altar sind inzwischen ausgelöscht, bis auf eins, das unter dem Altar versteckt wird; über dem Eingang brennen noch sechs Kerzen ganz hoch; alles Übrige ist schon dämmerig, und jetzt fängt der ganze Chor unisono, mit aller Kraft, den Cantaticum Zachariae an, während die letzten Lichter ausgelöscht werden. Das große forte in der Dämmerung, und der ernsthafte Klang der von allen Stimmen ausströmt, machen sich wunderschön. Die Melodie in D moll ist auch sehr schön. Nach dem Ende ist nun alles ganz dunkel; eine Antiphona kommt auf die Worte »und der Verräther hatte ihnen ein Zeichen gegeben« ec., bis »der ist's, den greifet«. Dann fallen alle auf die Knie, und eine Stimme singt piano: » Christus factus est pro nobis obediens usque ad mortem«. Am 2ten Tage setzt sie noch hinzu: mortem autem crucis; und am Charfreitage: propter quod et Deus exaltavit illum, et dedit illi Nomen, quod est super omne Nomen. Nun kommt wieder eine Pause, während deren jeder das pater noster für sich sagt. Es ist eine Todtenstille in der ganzen Kapelle während dieses pater noster; darauf fängt das Miserere mit einem leisen Accord der Stimmen an, und breitet sich dann aus in die beiden Chöre. Dieser Anfang, und der allererste Klang haben mir eigentlich den meisten Eindruck gemacht. Man hat anderthalb Stunden lang nur einstimmig, und fast ohne Abwechselung, singen hören; nach der Stille kommt nun ein schön gelegter Accord; das thut ganz herrlich, und man fühlt recht innerlich die Gewalt der Musik; die ist es eigentlich, die die große Wirkung macht. Sie sparen sich die besten Stimmen zum Miserere auf, singen es mit der größesten Abwechselung, mit Anschwellen und Abnehmen, vom leisesten piano zur ganzen Kraft der Stimme: es ist kein Wunder, wenn das jeden ergreifen muß. Dazu kommt noch, daß sie wieder ihre Contraste nicht vergessen, und also Vers um Vers von allen Männerstimmen ganz eintönig, forte und rauh absingen lassen: dann tritt am Anfang des folgenden wieder der schöne, sanfte, volle Stimmenklang ein, der immer nur kurze Zeit fortdauert, und dann von dem Männerchor unterbrochen wird. Während des monotonen Verses weiß man nun schon, wie schön der Chor eintreten wird, und dann kommt er auch wieder, und ist wieder zu kurz, und ehe man recht zur Besinnung kommt, ist das Ganze vorbei. – Wenn also z. B. wie den ersten Tag, wo man das Miserere von Baini gab, der Hauptton H moll ist, so singen sie: misrere mei Dei bis misericordiam tuam nach den Noten mit Solostimmen, zwei Chören und allem möglichen Aufwand der Mittel ihrer Stimmen; dann fallen alle Bässe tutti forte mit fis ein, und recitiren auf diesem einen Ton das : et secuncdum multitudinem bis iniquitatem meam, worauf gleich wieder der sanfte H moll Accord folgt, u. s. w. bis zum letzten Vers, den sie immer mit ganzer Kraft singen. Dann folgt wieder ein stilles, kurzes Gebet, und dann scharren alle Cardinäle nach Kräften mit den Füßen; das ist das Ende der Ceremonie. – Mein Büchelchen sagt: der Lärm bedeutet, wie die Hebräer Christus mit großem Tumult gefangen nehmen. Das mag sein, es klingt aber genau wie das Trommeln des Parterre, wenn das Stück nicht anfangen will, oder mißfallen hat. Dann wird die eine Kerze wieder unter dem Altar bervorgeholt, und bei ihrem Schein geht alles still auseinander; wobei ich noch erwähnen muß, daß es sich wunderschön macht, wenn man aus der Kapelle in den großen Vorsaal tritt, wo ein gewaltiger Kronleuchter angezündet ist, und wo die Cardinäle mit ihren Geistlichen durch die Reihen der Schweizer gehen, den erleuchteten Quirinal hindurch. – Das Miserere was sie den ersten Tag sangen, war von Baini; eine Composition, wie eben alle von ihm, – ohne einen Zug von Leben und Kraft. Indeß es waren Accorde und Musik, und das machte den Eindruck. Den zweiten Tag gaben sie einige Stücke von Allegri, die andern von Bai, und den Charfreitag Alles von Bai. Da Allegri nur einen Vers componirt hat, auf den sie alle abgesungen werden, so habe ich also jede der drei Compositioncn, die sie dort gaben, gehört. – Eigentlich aber ist es ziemlich einerlei, welches sie singen, denn die embellimenti machen sie beim einen, wie beim andern; für jeden verschiedenen Accord ein eigenes; und so kommt von der Composition nicht viel zum Vorschein. Wie die embellimenti hineingerathen sind, wollen sie nicht sagen, – behaupten, es sei Tradition. Das glaube ich ihnen aber durchaus nicht; denn so wie es überhaupt mit einer musikalischen Tradition ein schlimmes Ding ist, so weiß ich nicht, wie sich ein fünfstimmiger Satz vom Hörensagen fortpflanzen soll; so klingt es nicht. – Sie sind von einem Spätern offenbar hinzugemacht, und mir scheint, der Director habe gute, hohe Stimmen gehabt, diese bei Gelegenheit der heiligen Woche gern produciren wollen, und ihnen deshalb Verzierungen zu den einfachen Accorden geschrieben, in denen sie ihre Stimmen recht auslassen und zeigen könnten. Denn alt sind sie gewiß nicht, aber mit vielem Geschmack und Geschick gemacht; sie wirken vortrefflich. Namentlich ist eine, die oft vorkommt, und den größesten Effect macht, sodaß unter allen Leuten eine leise Bewegung entsteht, wenn sie anfängt; ja, wenn man immer von der besondern Art des Vortrags sprechen hört, und wenn die Leute erzählen, die Stimmen klängen nicht wie Menschen-, sondern wie Engelstimmen aus der Höhe, und es sei ein Klang, den man sonst nie wiederhole, so meinen sie immer diese eine Verzierung. Wo nämlich im Miserere, sei es von Bai oder Allegri (denn sie machen in beiden ganz dieselben embellimenti), diese Accordfolge ist:
da singen sie statt dessen so:
Wie nun der Sopran das hohe C recht rein und sanft faßt, und lange ausklingen läßt, und dann langsam herabgleitet, während der Alt immer fort sein C hält, sodaß ich im Anfange sogar getäuscht wurde, und glaubte, das hohe C bleibe während dessen oben liegen, – und wie sich die Harmonie so nach und nach auseinander wickelt, das ist wirklich ganz prächtig. Die andern Verzierungen sind in derselben Art den Accordfolgen angepaßt aber diese ist bei weitem die schönste. Von einer besonderen Art des Vortrags wüßte ich sonst nichts zu sagen; auch was ich einmal gelesen, daß eine eigene akustische Vorrichtung den Schall fortpflanze, ist eine bloße Fabel; ebenso daß sie alles nur so nach Tradition singen, ohne Takt, einer dem andern folgend; denn ich habe recht gut den Schatten von Baini's langem Arm auf und ab gehen sehen; zuweilen schlägt er sogar sehr hörbar auf's Pult. Es fehlt überhaupt nicht an Dunst, den die Leute, und auch die Sänger selbst, darum verbreiten. Sie sagen z.B. durchaus nie vorher, welches Miserere sie singen wollen; das würde im Moment selbst entschieden ec. Der Ton in dem sie es singen, hängt übrigens von der Reinheit der Stimmen ab. Den ersten Tag war es H moll; den 2ten und 3ten E moll, schloß aber alle drei Mal fast in B moll. Der Haupt-Sopran, Mariano, war ausdrücklich aus dem Gebirge nach Rom gekommen, um mitzusingen, und dem habe ich es zu danken, daß ich die embellimenti mit ihren hohen Tönen gehört. So sehr sie sich aber zusammen nehmen, so rächt sich doch die Nachlässigkeit und die üble Gewohnheit des ganzen übrigen Jahres, und es kommen oft entsetzliche Detonationen vor. – Noch muß ich Ihnen erzählen, daß ich am Donnerstag, als das Miserere anfangen sollte, auf eine Leiter stieg, die an der Wand lehnte, und so bis dicht an die Decke der Kapelle gelangte, sodaß ich die Musik, die Priester, und alle die Zuhörer in der Dunkelheit weit unter mir hatte. Wie ich da oben so allein saß, ohne langweilige Fremde neben mir, machte es mir am meisten Eindruck. Und nun weiter! – Sie werden genug Miserere haben an diesen anderthalb Seiten, und Einzelnes bringe ich Ihnen noch mündlich und schriftlich mit. Am Donnerstag um 10 ½ Uhr war feierliche Messe. Sie sangen eine achtstimmige von Fazzini, die eben nichts merkwürdiges enthielt. Mehrere canti fermi und Antiphonen, die ich da nachgeschrieben, behalte ich mir vor, und die Ordnung des Gottesdienstes, mit Gründen dafür, besagt das Büchlein. Beim Gloria in excelsis werden alle Glocken in Rom geläutet, und dann nicht wieder, bis nach dem Charfreitag. Die Stunden werden von den Kirchen bezeichnet, indem man mit Hölzern gegen einander klappert. Es machte sich schön, daß die Worte des Gloria, die das Signal zum tollen Lärm geben, vom alten Cardinal Pacca, mit schwacher zitternder Stimme, vom Altar gesungen wurden, worauf dann alle Glocken und der Chor einfielen. Sie legten nach dem Credo, das: fratres ego enim von Palestrina ein, sangen es aber ohne alle Achtung, und sehr roh. Die Fußwaschung der Pilger, die dann folgt, mit der Procession, wo auch die Sänger mitgehen, Baini aus einem großen Buch, das vor ihm getragen wird, Takt schlagend, und bald dem einen, bald dem andern winkend, die Sänger um die Noten gedrängt, im Gehen pausirend, eintretend, der Pabst auf seinem Prachtsessel getragen u. habe ich schon den Eltern beschrieben. Am Abend waren wieder die Psalmen, Lamentationen, Lectionen, und das Miserere, wie den vorigen Tag, mit wenigem Unterschiede. Eine Lection wurde nach einer eigenen Melodie, die ich Ihnen mitbringe, von einem Sopran ganz allein vorgetragen. Es ist Adagio, in langen Noten, dauert gewiß über eine Viertelstunde; die Stimme ist ganz ohne den mindesten Halt, und der Gesang liegt sehr hoch; dennoch wurde alles mit der klarsten, reinsten, festesten Intonation ausgeführt; der Sänger sank nicht um ein Komma; ließ die letzten Töne eben so egal und rund anschwellen und abnehmen, wie die im Anfang; es war ein Meisterstück. Mir fiel auf, wie sie das Wort Appogiatur gebrauchen.
Geht z. B. die Melodie von c nach d, oder von c nach e, so singen sie |
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oder |
oder |
und diesen Vorschlag nennen sie appogiatura; es heiße übrigens wie es wolle, so macht es sich fatal, und man muß sich sehr daran gewöhnen, um nicht ganz gestört zu werden durch diese sonderbare Art, die mich sehr an unsere alten Frauen in der Kirche erinnerte. Außerdem war, wie gesagt, die Folge dieselbe. Ich hatte aber im Büchlein vorausgesehen, daß das tenebrae vorkommen würde, und da ich mir dachte, es würde Sie interessiren zu erfahren, wie man es in der päbstlichen Kapelle singt, so saß ich mit gespitztem Bleistift auf der Lauer, bis es herankam und schreibe Ihnen hier die Hauptstellen (sie sangen es übrigens wieder ganz schnell, durchaus forte, ohne die geringste Ausnahme). Der Anfang war:
Ich kann mir einmal nicht helfen: es empört mich, wenn ich die allerheiligsten, schönsten Worte auf so nichts sagende leiermäßige Töne muß abgesungen hören. Sie sagen es sei Canto fermo, – es sei Gregorianisch – das ist All' eins. Wenn man es damals nicht anders gefühlt hat, oder nicht anders hat machen können, so können wir es jetzt, und in den Bibelworten steht von dieser monotonen Handwerksmäßigkeit wahrhaftig nichts; da ist Alles frisch und wahr, und nebenbei auch so gut und natürlich ausgedrückt, als möglich; warum soll denn das nun klingen wie eine Formel? Und weiter ist doch wirklich an solchem Gesange nichts! – Das Pater mit dem kleinen Schnörkel, das meum mit dem Trillerchen, das ut quid me – das soll Kirchengesang sein? Freilich, ein falscher Ausdruck ist nicht drin, denn es ist garkein Ausdruck darin; aber ist denn das nicht eben die rechte Entwürdigung der Worte? So bin ich hundertmal wild geworden während der Ceremonie hier; und kamen dann die Leute, und waren außer sich, wie herrlich das doch sei, so wollte es mir wie ein schlechter Spaß bedünken, und doch war es ihr Ernst! –
Am Freitag früh, zur Messe, ist die ganze Kapelle ohne Schmuck; der Altar entblößt; Pabst und Cardinäle in Trauer. Nun wurde die Passion sec. Johannem gesungen, von Vittoria componirt. Aber nur die Worte des Volks im Chor sind von ihm; das Übrige wird schematisch abgesungen, wovon nachher. Es kam mir zuweilen denn doch gar zu kleinlich und einförmig vor; mir wurde sehr bös zu Muthe, und eigentlich hat mir auch die ganze Sache mißfallen. Denn eins von Beiden muß sein: die Passion muß uns entweder vom Priester ruhig erzählend vorgetragen werden, wie sie uns der Johannes erzählt; dann braucht kein Chor einzufallen: Crucifige eum, und keine Altstimme den Pilatus vorzustellen. Oder sie muß mir vergegenwärtigt werden, daß mir zu Muth wird, als sei ich dabei, und sähe Alles mit an. – Dann muß Pilatus singen, wie er mag gesprochen haben; der Chor muß schreien: Crucifige, und das freilich nicht im Kirchenton. Aber dann ist es schon durch die innerste Wahrheit, und durch den Gegenstand den es vorstellt, Kirchenmusik. Dann brauche ich keine »Nebengedanken« bei der Musik; dann ist mir die Musik nicht »Mittel um zur Andacht zu erheben« wie sie es hier wollen, sondern dann ist sie eine Sprache, die zu mir redet, und der Sinn ist eben durch die Worte nur ausgedrückt, – nur in ihnen enthalten. So ist Seb. Bach's Passion; aber wie sie es hier singen, da ist es nur was Halbes, weder einfache Erzählung, noch große, dramatische, ernsthafte Wahrheit. Der Chor singt » Barrabam« in ebenso heiligen Accorden, wie » et in terra pax«; der Pilatus spricht nicht auf andere Weise, als bei Evangelist; und wenn nun der Jesus immer piano eintritt, um doch eine Auszeichnung zu haben, und wenn der Chor recht tüchtig losschreit mit seinen Kirchenaccorden, so weiß man nicht, was das Alles soll. Verzeihen Sie die Bemerkungen, ich will nun gleich wieder historisch berichten. Der Evangelist also ist ein Tenor, und die Art des Recitirens ist, wie bei den Lectionen: für Komma, Frage, Punkt eigene Schlußfälle. Der Evangelist recitirt auf d, und
macht auf einem Punkt so: |
bei einem Komma: |
und am Ende, wenn eine andere Person eintritt, so: |
Der Christus ist ein Baß, und fängt immer so an:
Das Schema habe ich nicht herauskriegen können, obwohl ich mehrere Stellen nachgeschrieben habe, die ich Ihnen zeigen kann; unter andern die Worte am Kreuze. Alle anderen Personen nun: Pilatus, Petrus, die Magd, und der Hohepriester,
sind ein Alt auf G mit diesem Tone: |
Die Worte des Volks singt der Chor von oben herab, während alles Andere am Altar gesungen wird. Der Merkwürdigkeit wegen muß ich Ihnen das Crucifige hersetzen, wie ich es mir nachgeschrieben:
Auch das » Barrabam« ist merkwürdig; es sind lauter zahme Juden. – Aber der Brief ist schon zu lang; also das Weitere hiervon will ich verschweigen. – Es kommen nun die Gebete für alle Völker und Institutionen, jedes einzeln genannt. Bei dem Gebet für die Juden wird aber nicht gekniet, wie bei den andern, auch nicht Amen gesagt; sie beten pro perfidis Judacis, und das Büchlein weiß auch hierfür eine Erklärung zu finden. –
Nun kommt die Anbetung des Kreuzes. Es wird in die Mitte der Kapelle ein kleines Crucifix gestellt, und alle gehen mit bloßen Füßen (d.h. ohne Schuhe), fallen davor nieder, und küssen es; während dessen werden die Improperien gesungen. Mir scheint, nach einmaligem Hören, es sei eine der schönsten Compositionen von Palestrina, und sie singen sie mit ganz besonderer Vorliebe. Es ist da eine bewundrungswürdige Zartheit und Übereinstimmung im Vortrage des Chors; sie wissen jeden kleinen Zug ins rechte Licht zu stellen, und hervorzuheben, ohne ihn vorzudrängen; ein Accord verschmilzt sich sanft in den andern. Dazu ist die Ceremonie sehr würdig und ernsthaft; in der Kapelle die tiefste Stille; und das immer wiederkehrende Griechische »Heilig« singen sie außerordentlich schön, – jedesmal mit derselben Sanftheit, und demselben Ausdruck. Sie werden sich aber wundern, es geschrieben zu sehen; denn was sie singen ist so:
Solche Sachen wie der Anfang, wo alle Stimmen zusammen eine und dieselbe Verzierung machen, kommen sehr oft vor, und man gewöhnt sich daran. Das Ganze macht sich aber wirklich herrlich; ich wollte, Sie könnten den Tenor des ersten Chors hören, wie er das hohe A auf Theos nimmt; sie ziehen da den Ton so durchdringend, und doch ganz leise hervor, daß es sehr rührend klingt. Dies wird nun so oft wiederholt, bis alles was in der Kapelle ist, das Kreuz angebetet hat, und da diesmal der Zudrang nicht sehr groß war, so habe ich es leider nicht so oft gehört, als ich gewünscht hätte. Aber ich konnte mir wohl erklären, warum die Improperien auf Goethe den größesten Eindruck gemacht haben; es ist wirklich fast das Vollkommenste, da Musik, und Ceremonie, und Alles im größten Einklang sind. Es folgt nun wieder eine Prozession zur Abholung der Hostie, die Abends vorher in einer andern Kapelle des Quirinals, beim Licht von vielen hundert Kerzen, ausgestellt und angebetet wurde. Dann schloß der Vormittags-Gottesdienst um 1 ½ Uhr (mit einer Hymne im Canto fermo). Abends um ½ 4 Uhr fing nun wieder das erste Nocturnum mit den Psalmen, Lectionen u.s.w. an; ich berichtigte noch einiges, was ich nachgeschrieben, hörte das Miserere von Bai, und gegen Sieben ging man durch den erleuchteten Vorsaal, hinter den Cardinälen nach Hause, und auch das war erlebt und vorbei. – Ich habe Ihnen die heilige Woche genau beschreiben wollen, lieber Herr Professor, weil es mir schöne Tage waren, wo ich jede Stunde etwas längst Erwartetes eintreffen sah, und kennen lernte, – weil es mich besonders freute, daß trotz der Spannung, trotz der vielen Reden drüber hin und her, lobend und tadelnd, mir das Ganze einen eben so frischen und lebhaften Eindruck machte, als wäre ich unabhängig und ohne Befangenheit hingekommen, und weil ich wieder bestätigt sah, wie das Vollkommene, und sei es auch in der fremdesten Sphäre, vollkommen wirkt. Mögen Sie den langen Brief halb so gern lesen, wie es mir Freude gemacht hat, mir die Zeit der heiligen Woche in Rom zurückzurufen.
Ihr treuer
Felix Mendelssohn Bartholdy.