Felix Mendelssohn Bartholdy
Reisebriefe
Felix Mendelssohn Bartholdy

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Weitere Briefe

An Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf

Berlin, den 10. März 1835

Dies ist der dritte Brief, welchen ich Dir in dieser Woche schreibe, und wenn das so fortfährt, so wird das Lesen meiner Briefe ein stehender Artikel in Deinem Zeit-Ausgabenbudget werden; – dann hast Du die Schuld Dir selbst beizumessen, da Du mich durch Lob verdirbst. Ich gehe gleich zum musikalischen Theil Deines letzten Briefes über.

Dein Wort, daß Sebastian Bach jedes Zimmer, wo er gesungen wird, zur Kirche umwandele, finde ich ganz besonders treffend, und so hat auch beim einmaligen Hören der Schluß des erwähnten Stücks denselben Eindruck auf mich gemacht; sonst gestehe ich, von meiner Abneigung gegen figurirte Choräle im Allgemeinen nicht zurückkommen zu können, weil ich die eigentlich zu Grunde liegende Idee nicht verstehe, besonders da nicht, wo die beiden certirenden Massen im Gleichgewicht der Kraft gehalten sind. Wo, wie z. B. im ersten Chor der Passion, der Choral nur einen wichtigeren und consistenteren Theil des Grundes ausmacht, oder wo, wie in dem oben erwähnten Stück der Cantate, wenn ich mich nach dem einmaligen Hören recht erinnere, der Choral das Hauptgebäude ist und die einzelne Stimme nur eine Verzierung, kann ich mir eher den Begriff und Zweck denken, – gar nicht aber da, wo die Figur gewissermaßen Variationen aufs Thema ausführt. Ueberhaupt ist mit dem Choral nicht zu spaßen. Das höchste Ziel dabei ist, daß das Volk ihn unter Begleitung der Orgel rein singe, – alles andere erscheint mir eitel und unkirchlich.

Am letzten Musikmorgen bei Fanny wurde die Motette von Bach: »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« und Dein »Ave Maria« von gewählten Stimmen gesungen. Eine große Stelle des letztern, in der Mitte, so wie auch das Ende, schienen mir zu künstlich und schwierig für den einfach frommen und allerdings ächt katholischen Styl, welcher übrigens darin vorherrscht. Wenn nun Rebecka bemerkt, daß einige Confusion in der Ausführung dieser Stelle stattgefunden habe, welche ich für zu schwierig gehalten habe, so beweist das nur, daß ich ein Ignorant bin, nicht aber, daß nicht das Ende doch zu spitzfindig modulirt sei. Was nun Bach betrifft, so scheint mir das genannte Stück ein ganz bewunderungswürdiges. Schon die Einleitung, welche Fanny besonders schön spielte, hat mich überrascht und ergriffen, wie lange Nichts, und ich mußte wieder an Bach's Einsamkeit denken, an seinen ganz isolirten Stand in Umgebung und Mitwelt, an die reine, milde, ungeheure Kraft und die Klarheit der Tiefe. Von den einzelnen Stücken hat sich mir »Bestelle dein Haus« und »Es ist der alte Bund« – augenblicklich und dauernd eingeprägt; weniger die Baß-Arie mit dem Alt-Soli. Was mir zuerst bei der Passion klar wurde, daß Bach der musikalische Repräsentant des Protestantismus sei, wird mir bei jedem neuen Stück, das ich von ihm höre, positiv oder negativ evident, – – so neulich durch die Messe, die ich in der Akademie hörte und die mir aufs Entschiedenste antikatholisch vorkömmt, daher denn auch alle ihre großen Schönheiten mir den innern Widerspruch ebenso wenig lösen zu können schienen, als dies möglich wäre, wenn ein protestantischer Geistlicher in einer protestantischen Kirche Messe läse. Nebenbei wurde mir aber aufs Neue klar, welch' großes Verdienst es von Zelter war und bleibt, Bach den Deutschen wiedergegeben zu haben, denn zwischen Forkel und ihm war von Bach wenig die Rede, und dann auch fast nur vom wohltemperirten Clavier. Ihm ist zuerst das wahre Licht über Bach aufgegangen, durch den Besitz anderer seiner Werke, die er als Sammler kennen lernte und als wahrer Künstler andere kennen lehrte. Seine musikalischen Aufführungen am Freitag sind abermals ein Beleg, daß nichts, was mit Ernst angefangen und in der Stille ununterbrochen fortgesetzt wird, ohne Erfolg bleiben kann. Ausgemacht ist es wenigstens, daß Deine musikalische Richtung ohne Zelter eine ganz andere geworden wäre.

Dein Vorsatz, Händel in seiner ursprünglichen Gestalt zu restaurieren, hat mich zu einigen Gedanken über die spätere Instrumentirung seiner Werke veranlaßt. Es entsteht dabei gewöhnlich die Frage, ob Händel, wenn er heute schriebe, sich nicht aller jetzt vorhandenen musikalischen Mittel bedienen würde, um seine Oratorien zu componiren, was am Ende doch nichts weiter heißt als: ob die künstlerisch sittliche Gestaltung, welcher wir den Namen Händel geben, heute dieselbe äußere Form annehmen würde, welche sie vor 100 Jahren gehabt hat, oder im weiteren Sinne, ob die Welt heute aussieht, wie sie vor 100 Jahren ausgesehen hat, worauf dann die Antwort sich von selbst ergiebt. Man muß aber die Frage anders stellen, und zwar nicht, ob Händel heute seine Oratorien componiren würde, wie vor 100 Jahren, sondern ob er überhaupt Oratorien componiren würde. Wohl schwerlich, wenn sie jetzt nur so zu schreiben wären, wie in der neuesten Zeit geschehen ist. Daraus, daß ich Dir das sage, kannst Du entnehmen, wie erwartungsvoll und zutrauend ich dem Deinigen entgegen sehe, welches hoffentlich die Aufgabe der Verbindung alten Sinns mit neuen Mitteln lösen wird, sonst würde die Wirkung ebenso gewiß ausbleiben, als die Maler des 19. Jahrhunderts sich nur lächerlich machen würden, die die Religiosität des 15. Jahrhunderts mit langen Armen und Beinen und einer auf den Kopf gestellten Perspektive wiederherstellen wollten. Mir scheinen die neuen Mittel, so wie eigentlich Alles in der Welt zu rechter Zeit gekommen zu sein, um den schwächer werdenden inneren Motiven belebend zur Seite zu stehen, denn auf der Stufe religiösen Sinnes, auf welcher sich Bach, Händel und ihre Zeitgenossen befanden, brauchten sie keines großen Orchesters zu ihren Oratorien, und ich selbst erinnere mich noch sehr wohl aus meinen jüngsten Jahren, daß der Messias, Judas und das Alexanderfest ganz wie sie Händel geschrieben und sogar ohne Orgel, zu Aller Freude und Erbauung gegeben worden sind. –

Wie bringt man aber jetzt, wo Leerheit der Gedanken und Lärm in der Musik sich allmählig in umgekehrtem Verhältniß zu einander entwickelt haben, die Sache zum Stehen? Das Orchester ist einmal da und wird seine jetzige Gestalt wohl eine lange Zeit ohne wesentliche Veränderung beibehalten. Reichthum ist aber auch nur dann ein Fehler, wenn man ihn nicht zu verwenden weiß. Wie also soll das Reiche des Orchesters verwendet werden? Welche Anleitung kann der Dichter dazu geben, und in welchen Regionen, oder soll die Musik sich ganz von der Poesie trennen und rein selbständig wirken? Ich glaube nicht, daß sie letzteres können wird, wenigstens nur in beschränktem Maße und nicht allgemein gültig; zu ersterem müßte aber ein Gegenstand sowohl für die Musik wie für die Malerei gefunden werden, welcher durch seine Innerlichkeit, allgemeine Gültigkeit und Verständlichkeit die früheren religiösen zu ersetzen im Stande wäre. Nun will es mich bedünken, als ob die beiden Haydn'schen Oratorien auch in dieser Beziehung eine sehr merkwürdige Erscheinung wären. Beide Gedichte sind schwach, als solche betrachtet, aber sie haben auf eine sehr glückliche Weise statt des alten positiven und fast übersinnlichen Religionsmotivs dasjenige ergriffen, welches die Natur, als sichtbare Emanation der Gottheit, in ihrer Allgemeinheit und ihren tausendfältigen Einzelheiten jedem offenen Gemüth einflößt. – Daher die unendlich tiefe, aber auch heitere, allgemein gültige und gewiß ächt religiöse Wirkung dieser beiden Werke, die bis jetzt ganz allein, stehen; – daher das Zusammenwirken aller hin und wieder kleinlichen, spielenden Einzelnheiten derselben mit dem großartigsten und treuesten Gefühl des Dankes, welches aus dem Ganzen hervorquillt und daher kömmt es auch, daß, ich wenigstens, das Krähen des Hahnes, das Singen der Lerche, das Gebrüll des Rindviehs und die Fröhlichkeit des Landvolkes, sowohl in der Schöpfung als auch in den Jahreszeiten, ebenso wenig gern vermissen würde, als in der Natur selbst. – Mit anderem Worte: Schöpfung und Jahreszeiten sind auf Natur und sichtbaren Gottesdienst gegründet, und sollten da nicht noch neue Stoffe für die Musik zu finden sein? –

Die Veröffentlichung des Goethe'schen Briefwechsels mit einem Kinde halte ich für einen wahrhaft ärgerlichen und verderblichen Mißbrauch der Presse, durch welchen schnell und immer schneller alle Illusion zerstört wird, ohne die das Leben ein Tod ist. Lebe Du mit Illusionen wohl und erhalte Dir die kindliche Anhänglichkeit an

Deinen Vater.

An den Professor Zelter in Berlin.

München, den 22. Juni 1830.

»Lieber Herr Professor!

Es ist lange her, daß ich Ihnen schreiben wollte, um Ihnen wieder einmal zu danken; aber es geht mir mit den schriftlichen Danksagungen nicht gut; sie kommen mir immer so kalt und so förmlich vor, während das, was ich genossen, und wofür ich mich erkenntlich zeigen möchte, so lebendig mir noch vor Augen steht. Als Sie mich vor neun Jahren im Goethe'schen Hause einführten, wußten Sie recht gut, welch ein wichtiges Geschenk und welch ein Glück das für mich sei; ich konnte es aber nicht wissen und Ihnen nicht genug dankbar für ein Geschenk sein, dessen Werth mir noch zu unbekannt war; jetzt aber, wo ich mich an Goethe und den Seinigen erquickt und erwärmt habe, wie noch nie, wo ich eine Reihe unvergeßlicher Tage da erlebt, wo mir jede Stunde Belehrung, Freude und Ehre von Neuem gebracht hat, jetzt weiß ich's wohl zu schätzen und kann eben darum wieder nicht recht danken. Haben Sie es doch nicht des Danks wegen gethan; und so müssen Sie mir verzeihen, wenn ich davon rede, obwohl ich immer merke, daß die Worte nicht so klingen wollen, wie ich's meine, und immer hinter dem rechten Sinn zurückbleiben. Nun, Sie werden es ja schon wissen, wie ich's fühle. Oft habe ich des Vormittags dem Goethe vorspielen müssen; er wollte einen Begriff davon haben, wie die Musik sich fortgebildet habe, und verlangte deshalb von den verschiedenen Componisten, wie sie einander folgten, etwas zu hören. An den Beethoven wollte er nicht gern heran; ich konnte es ihm aber nicht ersparen, da er hören wollte, wo es jetzt »mit den Tönen sich hingewendet habe«, und spielte ihm das erste Stück der C moll Symphonie, das ihm auch sehr gefiel. Ueber die Ouvertüre von Seb. Bach aus D dur mit den Trompeten, die ich ihm auf dem Clavier spielte, so gut ich konnte und wußte, hatte er eine große Freude; »im Anfange gehe es so pompös und vornehm zu, man sehe ordentlich die Reihe geputzter Leute, die von einer großen Treppe herunterstiegen«, – auch die Inventionen und vieles aus dem »wohltemperirten Clavier« habe ich ihm gespielt. – Eines Mittags meinte er, ob ich nicht das Handwerk grüßen wolle und zu dem Organisten gehen, damit er mich die Orgel in der Stadtkirche sehen und hören ließe. Das that ich denn und habe mich recht über das Instrument gefreut. Man sagte mir, daß auch Sie ein Gutachten über die Reparatur abgegeben hätten, und es ist damit besser geglückt, als mit irgend einer andern reparirten Orgel, die ich kenne. Obgleich wegen des länglich schmalen Raums, wo sie steht, die Pedalpfeife ganz hinten angebracht ist, klingt doch das volle Werk sehr stark und kräftig, der Ton zittert nicht im Geringsten, so daß also ganz genug Wind da sein muß; das Pedal ist in vollkommen gutem Verhältniß zum Manual, und auch an schönen sanften Stimmen verschiedener Art fehlt es nicht. Der Organist, nachdem er mir gesagt hatte, ich möge wählen, ob er mir was Gelehrtes oder was für die Leute vorspielen sollte (denn für die Leute müsse man nur schlechte, leichte Sachen componiren), gab denn auf mein Bitten was Gelehrtes; es war aber nicht viel an dem Dinge; er modulirte hin und her, bis man schwindlig wurde, und es wollte nicht neu werden; er machte eine Menge Eintritte, und es wollte keine Fuge werden. Als ich ihm was spielen sollte, ließ ich die D moll Toccata von Sebastian los und meinte, das sei gelehrt und zugleich auch für die Leute, d. h. für gewisse; aber siehe, kaum hatte ich angefangen, so schickte der Superintendent seinen Bedienten und ließ sagen: man möchte gleich mit dem Orgelspiel aufhören, da es Wochentag sei, und der Lärm ihn im Studiren störe. Über die Geschichte hat sich Goethe sehr erbaut. – Hier, in München, machen es die Musiker nun ganz wie der Organist; sie meinen, gute Musik sei allerdings eine Gottesgabe, aber nur so in abstracto; denn sobald sie etwas spielen, so ist es das Dümmste, Abgeschmackteste, was sie nur finden können, und wenn das den Leuten dann wie natürlich nicht gefällt, so meinen sie, es läge nur daran, daß es noch zu ernsthaft wäre. Selbst die besten Clavierspieler wußten kaum, daß Mozart und Haydn auch für das Clavier geschrieben hätten; Beethoven kannten sie nur vom Hörensagen; Kalkbrenner, Field, Hummel nennen sie classische oder gelehrte Musik. Da habe ich denn nun mehreremal gespielt und die Zuhörer so ungemein empfänglich und auffassend gefunden, daß ich mich doppelt über jene Frivolitäten ärgerte; und neulich in einer Soirée bei der Gräfin R..., die darin den Ton angeben soll, brach ich aus. Die jungen Damen, die angemessene Sachen recht hübsch hätten spielen können, zerbrachen sich die Finger an Herz'schen Springer- und Seiltänzerkünsten, und es wollte nichts verfangen; als ich denn nun aufgefordert wurde, so dachte ich: wenn ihr euch langweilt, ist's eure Strafe, und spielte frisch die Sonate aus Cis moll von Beethoven. Wie ich fertig bin, sehe ich, daß es den größten Effect gemacht hat; die Damen hatten geweint, die Herren disputirten über die Bedeutung; jetzt mußte ich den Clavierspielerinnen eine Menge Sonaten von Beethoven aufschreiben, die sie spielen sollten; am folgenden Morgen ließ die Gräfin ihren Klavierlehrer kommen und verlangte von ihm eine Ausgabe guter Musik, aber wirklich guter, von Mozart, Beethoven und Weber. Diese Geschichte ist nun in München herumgekommen, und es macht den gutgesinnten Musikern viel Spaß, daß ich mich zum Prediger in der Wüste aufgeworfen (ich hatte nämlich nachher noch der ersten Clavierspielerin hier eine lange Rede gehalten, ihr vorgeworfen, daß sie nichts beitrüge, die großen Werke hier kennen zu lehren, und daß sie den Leuten folge, statt deren Geschmack zu leiten, und sie hatte Besserung gelobt.) Seitdem spiele ich nur immer, was mir Vergnügen macht, wenn es auch noch so ernsthaft sei, und man hört mir mit Aufmerksamkeit zu. Es ist mir die größte Freude, hier viel zu musiciren, und wenn ich auch wenig zum Schreiben und Nachdenken komme, so regt doch dies lustige Leben Vieles an, erfrischt und erheitert. – Es liegt mir ein geistliches Stück im Kopfe; wenn ich dazu komme, es aufzuschreiben, so schicke ich es Ihnen sogleich. – Leben Sie wohl für heut, lieber Herr Professor. Die herzlichsten Grüße für die Ihrigen und Wünsche für Ihr Wohl und Ihre Heiterkeit von Ihrem treuen

Felix Mendelssohn Bartholdy.«

An den Professor Zelter in Berlin.

Rom, den 18. Dezember 1830

»Lieber Herr Professor!

Möge Ihnen der Brief zugleich für Ihren Geburtstag, für Weihnachten und für das neue Jahr ein fröhliches Fest wünschen. Sie wissen, wie meine Gedanken immer bei Ihnen sind, um Ihre Heiterkeit und Ihr Glück zu hoffen, und so lassen Sie mich denn diesmal nichts weiter sagen; am Ende eines so bewegten, ernsthaften Jahres, in so unruhiger, veränderlicher Zeit, ist es fast ängstlich einen Brief zu schreiben, der erst nach einigen Wochen ankommt, wo sich Vieles wieder verwandelt haben kann. Da schicke ich Ihnen denn etwas Musik, die bleibt doch still stehen, bis sie ankommt, und bitte Sie, sie freundlich aufzunehmen. Es ist ein Choral, den ich in Venedig componirt habe. Gern hätte ich Ihnen etwas anderes von meinen neuen Sachen geschickt, weil viel bessere darunter sind; indessen hätten sie alle mehr Platz eingenommen, und ich hatte mir vorgesetzt, mich auf zwei Bogen zu beschränken. Auch sagten Sie mir einmal, es sei Ihnen sowohl für sich, als für die Akademie unangenehm, daß garnichts Vierstimmiges componirt würde, sondern alles gleich zweichörig oder achtstimmig; und da dies Stück ungefähr die Form hat, die Sie mir damals angaben, und in so fern vielleicht mit Ihren Wünschen übereinstimmt, so habe ich es Ihnen denn abgeschrieben. Halten Sie es für werth, auf der Akademie gesungen zu werden, so wäre mir das natürlich die größte Freude. Auf jeden Fall aber bitte ich Sie, mir ja recht ausführlich darüber zu schreiben, und mir, da ich die Partitur hier habe, die Stellen und Tacte anzugeben, die Ihnen recht sind; namentlich sind einige Punkte, über die ich ziemlich ungewiß bin, und die ich geändert haben würde, wenn sich mir hier nicht neue Arbeiten gehäuft hätten, und wenn es mit einem Versuch gethan gewesen wäre: das sind manche Stellen in den Chorälen, wo die Stimmen unruhig durch einander gehen und absetzen, sie werden Ihnen wohl auffallen, und es wäre schön, wenn Sie mir eine Veränderung dafür angeben könnten. Auch möchte ich wissen, ob es Ihnen störend erscheint, daß ich beim Fugenthema die erste Note des Chorals verlängert habe? Ich that es, weil ich erstlich gewohnt war, die Melodie so zu hören, und dann namentlich, weil sich's breiter macht und mehr wie ein Thema, als wenn lauter Viertelnoten von gleicher Geltung darin sind. Endlich werden Sie in der Stimmenführung manches Unpolirte finden; es kommt aber auch von obigem Grunde her, daß ich es nicht sehr oft habe durchsehen können, und dann weil niemand hier ist, dem ich es zeigen konnte; so zeige ich es Ihnen also, und dann ist's schon gut. Fertig sind außerdem ein »Ave Maria« und ein Lutherischer Choral für acht Stimmen a capella, ein Psalm »Non nobis, Domine« und ein deutscher Choral »O Haupt voll Blut und Wunden« für Chor und Orchester und endlich eine Ouvertüre für's Orchester. Sie schienen mir in Ihrem vorigen Briefe zu fürchten, ich möchte, durch Vorliebe für irgend einen der großen Meister geleitet, mich viel an Kirchenmusik machen, um mich einer Nachahmung hinzugeben. Das ist aber wohl bestimmt nicht der Fall; denn nirgends, glaub ich, entwächst man dem bloßen Glauben an Namen mehr, als hier, wie man denn auch dafür nirgends mehr Achtung und Ehrfurcht für das Geleistete fühlt. – Was wir können und verehren, ist hier fremd und unbekannt; man sieht fast ein, daß es so sein müsse, und dann stehen wieder unvergängliche, ewige Denkmale vor Einem, die nach Jahrhunderten von neuem an's Licht treten, ohne daß man den Namen des Künstlers wissen könnte; da gilt denn nur das, was im tiefsten Ernst aus der innersten Seele geflossen ist; und wenn auch die Aesthetiker und Kunstgelehrten sich quälen, von außen hinein beweisen zu wollen, warum dies schön, und das weniger schön sei, durch Epochen, Styl und wie alle ihre Schubfächer heißen mögen: so ist nur jenes, glaub' ich, der einzige unveränderliche Maßstab für Bauwerke, Malerei, Musik und Alles. Wenn nicht der Gegenstand allein das Werk hervorgerufen hat, so wird es nie »Herz zu Herzen schaffen«, und da ist dann Nachahmung gleich das Aeußerlichste, dem Gedanken Fremdeste. Freilich kann mir Niemand verbieten, mich dessen zu erfreuen und an dem weiter zu arbeiten, was mir die großen Meister hinterlassen haben, denn von vorne soll wohl nicht jeder wieder anfangen; aber es soll auch ein Weiterarbeiten nach Kräften sein, nicht ein todtes Wiederholen des schon Vorhandenen; und wie denn jedes Eigenthümliche, Aufrichtige seinen Platz einmal einnehmen muß, wenn auch in spätester Zeit, das kann man nirgends herrlicher sehen, als in Rom, und das ist auch der Faden, an dem ich durch alles Gewirre der reichen Museen, Gallerien und aller Schönheiten, mich immer festhalte. Dasselbe bestätigt mir alles Neue, was ich jeden Tag sehe (denn ich fahre immer noch fort, täglich einen neuen Gegenstand kennen zu lernen); so weiß ich gleichsam schon vorher, welchen Eindruck ich zu erwarten habe, und da ist denn das Eintreffen und dennoch die Ueberraschung ein glückliches Gefühl. –

Die Cardinäle sind nun im Conclave, alle Ceremonien sind nun vorüber, ich habe täglich die päpstliche Kapelle gehört; da ist es mir nun recht wieder aufs Herz gefallen, wie sonderbar es hier mit Allem geht; sie sangen nicht besonders, die Compositionen taugten nichts, andächtig waren die Leute auch nicht, und das Ganze that doch eine göttliche Wirkung. Das kam blos davon her, weil sie sich in das Schiff von St. Peter stellen und da singen; nun hallen die Töne in allen Ecken und in der Höhe wieder, vermengen sich, verklingen, und die wunderbarste Musik entsteht, ein Accord schlingt sich in den andern, und woran kein Musiker zu denken wagt, das bringt die Peterskirche zu Stande. Es geht damit aber wieder, wie es in allen Dingen hier ist: sie mögen thun, was sie wollen, die schlechtesten Häuser bauen, die geschmacklosesten Gärten anlegen, mittelmäßige Musiken aufführen, so ist Natur und Vorzeit so reich, daß Alles schön und bewundernswerth wird; auf die beiden stützt sich dann aber auch Alles, und wenn man sich nicht die nöthige Gegenwart selbst mitbringen kann, so fehlt es freilich an allen Ecken. Wenn ich die jungen Musiker hier umhersteigen sehe und klagen, für Musik sei doch eigentlich nichts hier zu holen, und sie hätten sich ganz andere Vorstellungen gemacht, und wie ihre Litanei dann weiter geht: so möchte ich sie immer mit der Nase auf ein Säulencapitäl stoßen, denn da steckt die Musik drin. Was mache ich mir denn draus, daß hier im Orchester der jämmerliche Fagottist pustet, daß die Italiener weder an Malerei, noch an Musik, noch sonst die rechte Freude haben? Ich freue mich ganz genugsam daran allein, und es ist mehr Göttliches hier, als man in einem Leben fassen kann. Darum thut mir denn die schlechte Musik wenig zu Leide; aber es muß gesagt sein, daß sie schlecht ist, der Wahrheit zu Ehren. So geht es denn in allen möglichen Beschäftigungen leise über den Winter hinweg; denn heute habe ich noch die Orangen im Freien an der Sonne hängen sehen. Und da ich vom ernsten Römerleben gesprochen habe, so darf ich auch nicht verschweigen, daß ich vorgestern auf einem großen Balle war und mehr und mit größerem Vergnügen getanzt habe, als je sonst in meinem Leben.

So genieße ich die schönste Mischung von Lust und Ernst, wie sie nur Rom geben kann. Nun grüßen Sie mir alle die Ihrigen tausendmal und leben Sie wohl und glücklich, wie ich es hoffe.

Ihr treuer Felix.«

An den Professor Zelter in Berlin.

Paris, den 15. Februar 1832.

»Lieber Herr Professor!

Wenn ich Ihnen auch nur von den Hauptpunkten meiner Reise hätte schreiben wollen, so hätte ich es eigentlich von Deutschland aus thun müssen; denn wie ich jetzt nach all den Schönheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen, nach allem Herrlichen, das ich gesehen und erlebt, wieder nach Deutschland kam, und namentlich bei der Reise über Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt, den Rhein herunter bis Düsseldorf: da war eigentlich der Hauptpunkt der Reise; denn da merkte ich, daß ich ein Deutscher sei und in Deutschland wohnen wolle, so lange ich es könne. Es ist wahr, ich kann da nicht so viel Schönheit genießen, nichts Herrliches erleben; aber ich bin da zu Hause. Es ist kein einzelner von den Orten, der mich eben besonders fesselte, wo ich besonders gern leben möchte: – es ist das ganze Land, es sind die Menschen, deren Charakter und Sprache und Gebräuche ich nicht erst zu lernen oder nachzumachen brauche; unter denen ich mich wohl fühle, ohne mich darüber zu wundern, und so hoffe ich, daß ich auch in Berlin meine Existenz und das zum Leben Nothwendige finden, und daß ich da, wo ich Sie und die Eltern und Geschwister und die Freunde habe, mich nicht weniger heimisch fühlen werde, als an all' den anderen deutschen Orten. Wenn die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen, dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird; aber ich hoffe, ich werde es nicht brauchen. So kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie herzlich ich mich auf's Wiedersehen freue. –

Es ist mir lebhaft aufgefallen, wie in Deutschland die Musik und der Sinn für die Kunst verbreitet ist und sich immer mehr verbreitet, während man ihn anderswo (hier z. B.) concentrirt. Daraus folgt zwar vielleicht, daß es bei uns nicht so schnell in die Höhe, aber auch nicht so schnell auf die Spitze getrieben wird, und ferner, daß wir den andern Ländern Musiker schicken können und doch noch reich genug bleiben. Ich habe mir das Alles ausgedacht, wenn ich hier so oft Politik hören und zuweilen auch sprechen mußte, und wenn die Leute, namentlich aber die Deutschen, auf Deutschland schalten oder es beklagten, daß es keinen Mittelpunkt, kein Oberhaupt, keine Concentrirung habe, und wenn sie meinten, das werde Alles gewiß bald kommen. Es wird wohl nicht kommen, und ich denke, es ist auch ganz gut so. Was aber kommen wird und muß, das ist das Ende unsrer allzu großen Bescheidenheit, mit der wir Alles für recht halten, was die Andern uns bringen, unser Eigenthum sogar erst achten, wenn's die Andern geachtet haben. Hoffentlich werden die Deutschen bald aufhören, auf die Deutschen zu schimpfen, daß sie nicht einig seien, und so die ersten Uneinigen zu sein, und hoffentlich werden sie einmal dies Zusammenhalten den Andern nachmachen, was das Beste ist, das Diese haben. Wenn sie Das übrigens nicht bald thun, so gebe ich sie darum doch nicht auf, sondern componire weiter, so lange mir was einfällt. Aber das thut mir immer leid, wenn wir selbst Nichts von Dem wissen wollen, was wir voraus haben. –

Ich kam nach Stuttgart und freute mich wieder an dem vortrefflichen Orchester, das so vollkommen schön und genau zusammengeht, wie man sich es nur erdenken kann. Der Lindpaintner ist, glaub' ich, jetzt der beste Orchesterdirigent in Deutschland; es ist, als wenn er mit seinem Tactstöckchen die ganze Musik spielte; dazu ist er fleißig, hat fast täglich Proben mit seinem Orchester und wöchentlich sein Quartett. Da spielt der Molique, der solch eine rasende, kalte Fertigkeit hat, solch tollkühne Sprünge machen kann, daß er berühmt wäre, wenn er anderswo lebte. Sie wollten gerade ihr erstes Abonnement-Concert geben, in denen sie die großen Symphonien alle Jahre aufführen; ich sollte darin was spielen und Compositionen geben; allein ich hatte Eile und konnte nicht so lange warten; aber ich habe versprochen, bei meiner Rückkunft ein Weilchen da zu bleiben. Im Sommer haben die Leute wenig zu thun; wenn dann ein paar Tage lang keine Probe ist, so geht der Capellmeister mit seiner Frau zu Fuß über Land, nimmt Wäsche und eine Tabakspfeife mit und kommt nach ein paar Tagen durch die Weinberge wieder nach Haus. Die Hauptsache ist endlich, daß sie sich Alle beklagen und doch um keinen Preis fortgehen wollen; so habe ich recht in der Nähe Bekanntschaft mit dem Musikwesen einer kleinen deutschen Stadt gemacht. In Frankfurt ist das Ding vornehmer, geschäftsmäßiger, großstädtischer, aber viel weniger lustig. Dafür ist aber wieder der Cäcilien-Verein dort, wegen dessen allein man schon in Frankfurt gern sein muß; die Leute singen mit so viel Feuer und so zusammen, daß es eine Freude ist; er versammelt sich einmal wöchentlich und hat gegen 200 Mitglieder; außerdem hat aber Schelble des Freitags Abends bei sich einen kleinen Verein von etwa 30 Stimmen, wo er am Clavier singen läßt und seine Lieblingssachen, die er dem großen Verein nicht gleich zu geben wagt, nach und nach vorbereitet. Da habe ich eine Menge kleiner Sonntagsmusiken von Seb. Bach, sein Magnificat, die große Messe und sonst noch viel Schönes gehört. Die Frauen sind auch da, wie bei Ihrer Akademie, die eifrigsten; an den Männern fehlt es ein bischen: sie haben Geschäfte im Kopf; ich glaube sogar, es ist überall so; am Ende haben bei uns die Frauen mehr Gemeingeist, wie die Männer. Im Cäcilien-Vereine wenigstens gewiß; denn da sind die Soprane ganz herrlich, Alt und Baß sehr gut; aber an Tenören fehlt es etwas, und Schelble klagt, wie Sie, über die Lauigkeit der Männer. Ich habe im großen Verein unter Andern die Motette »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit«, die wir zuweilen bei Ihnen Freitags sangen, gehört; das Stück »Es ist der alte Bund« machte sich mit dem großen Chor und mit den schönen, weichen Sopranen ganz göttlich. – Man kann kaum glauben, wie viel ein einziger Mensch, der was will, auf alle Andern wirken kann; Schelble steht dort ganz allein, Sinn für ernste Musik ist gewiß nicht vorzugsweise in Frankfurt, und doch ist es merkwürdig, mit welcher Freude und wie gut dort die Dilettantinnen das »wohltemperirte Ciavier«, die Inventionen, den ganzen Beethoven spielen, wie sie das Alles auswendig wissen, jede falsche Note controliren, wie sie wirklich musikalisch gebildet sind. Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis geschaffen und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht. Zugleich ist dort der Philipp Veit und malt ruhig seine Bilder, die so einfach schön und fromm sind, wie ich es nur auf den alten Bildern gekannt habe. Da ist keine Ziererei und keine Affection drin, wie bei den Deutschthümlern in Rom, sondern eine aufrichtige Künstlerseele. Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder Schadow mit seinen Schülern ist und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit Etwas entsteht; wo Lessing seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestellen, und da haben sie wieder ihr kleines Orchester und ihre Symphonien von Beethoven – ich weiß nicht, warum ich Ihnen das Alles schreibe; denn Sie kennen es besser als ich; aber ich bin so hineingekommen, wie ich an alle die Menschen, die da so in jeder Stadt zerstreut sind, dachte, und aus denen das Land besteht. –

Hier aber ist Frankreich, und darum kann man auch keine deutsche Stadt mit Paris vergleichen, weil hier Alles zusammenströmt, was in Frankreich sich auszeichnet, während es sich in Deutschland verbreitet. Deutschland besteht aus so und so viel Städten; aber was Musik, ich glaube auch überhaupt, was Kunst betrifft, ist Paris Frankreich. Daher haben sie denn auch hier ihr Conservatorium, wo erzogen wird, wo sich eine Schule bildet, wohin alle Talente aus den Provinzen geschickt werden müssen, wenn sie sich irgend vervollkommnen wollen; denn außer Paris giebt es in ganz Frankreich kaum ein erträgliches Orchester, keinen ausgezeichneten Musiker; und während hier 1800 Clavierlehrer sind, und es doch noch an Lehrern fehlt, macht man in den andern Städten so gut wie gar keine Musik. Wie tausendfach sich Das nun hier im Mittelpunkt gestaltet, welch ein gewaltiges Treiben das ist, wenn man ein ganzes Land in Einer Stadt vor sich sieht und von allen Leuten die Elite um sich hat, das kann ich gar nicht beschreiben. Daher kommt es auch, daß sich hier Alles gleich in Fächer abtheilt; denn Jeder sucht und findet seinen Theil. Ich bleibe nun bei Dem, was Sie und die Eltern mich lieben gelehrt haben, bin also gleich in die école Allemande einrangirt. Was die Modemusik betrifft, so schreibe ich Ihnen Nichts davon; die ist, wie ich sie vor sieben Jahren schon gekannt habe; das Wichtigste und Bedeutendste, was ich noch nicht gehört habe, ist aber das Orchester des Conservatoire. Es ist natürlich, das es das Vollkommenste ist, was man in Frankreich hören kann; denn es ist ja das Pariser Conservatoire, dass die Concerte giebt; aber es ist auch die vollkommenste Ausführung, die man irgend sonst hört. Sie haben sich vereinigt, die Besten, die in Paris sind, – haben die jungen Geiger aus den Classen dazu genommen, einem tüchtigen und eifrigen Musiker die Direction übertragen und nun zwei Jahre lang Proben gemacht, ehe sie eine Aufführung wagten, bis sie ganz mit einander eingespielt waren, bis von einem Notenfehler keine Rede mehr sein konnte; eigentlich sollte jedes Orchester so sein, Tact- und Notenfehler sollten ein für allemal nicht vorkommen; aber da das leider einmal nicht der Fall ist, so ist dies das beste, was ich je gehört. Die Schule von Baillot, Rode und Kreutzer liefert ihnen die Geiger, und da ist es eine Freude, zu sehen, wenn die jungen Leute so in Masse auf's Orchester kommen, und alle nun anfangen mit demselben Bogen, derselben Art, derselben Ruhe und demselben Feuer. Es waren vorigen Sonntag vierzehn auf jeder Seite; Habeneck führt es an und tactirt mit dem Violinbogen. Die Schattenseiten sind: die Contrabässe, die nur drei Saiten haben, nur bis G gehen und ohne Kraft und Ton sind, so daß im Forte überall die eigentliche Stütze fehlt; ferner die erste Klarinette, die schreit und einen steifen, nicht angenehmen Vortrag und Ton hat; ferner sind die Trompeten in den hohen Tönen unsicher und ändern sich ihre schweren Stellen ab, und die Pauken endlich haben einen hohlen, dumpfen Kesselton, halb wie Trommeln; das Letztere und die Bässe schaden dem Eindruck des Ganzen am meisten. – Dagegen ist von einem Wanken, einem Fehler, der leisesten Uneinigkeit nie die Rede; es ist das genauste Ensemble, das man jetzt in der Welt hören kann, und dabei spielen die Leute ganz bequem und ruhig; man hört, wie Jeder seinen Platz vollkommen ausfüllt, sein Instrument vollkommen bemeistert, wie Jeder seine Stimme und Alles, was sie erfordert, vollkommen auswendig kennt, kurz, wie das ganze Orchester nicht von einzelnen Musikern, sondern von einer Gesellschaft gebildet wird. – Auch die äußern Anstalten sind sehr zweckmäßig und vernünftig getroffen; die Concerte sind nur selten (alle vierzehn Tage), Sonntags um 2 Uhr, so daß es in jedem Sinn ein Feiertag ist, und daß die Leute nachher weiter Nichts thun, als nach Hause gehen zu ihrer Essensstunde und den Eindruck behalten, da Abends fast nie Oper ist; ferner ist der Saal klein, also macht die Musik erstlich eine doppelt starke Wirkung und man hört alle Einzelheiten doppelt genau, und zweitens ist das Publikum nur klein, sehr gewählt und ebenfalls wie eine zahlreiche Gesellschaft. Die Musiker selbst haben nun wirklich Freude an den großen Beethovenschen Symphonien; sie haben sich hinein gespielt, und es macht ihnen Vergnügen, die Sache bezwungen zu haben; Einzelne, wie z. B. Habeneck selbst, meinen es auch gewiß ernst mit ihrer Liebe zu Beethoven, – den Andern aber, und zwar den größten Schreiern und Enthusiasten glaube ich kein Wort davon; denn sie setzen nun deswegen die andern Meister herab, – sprechen von Haydn wie von einer Perrücke, von Mozart wie von einem guten Mann, und ein solcher engherziger Enthusiasmus kann nicht wahr sein. Wenn sie fühlten, was Beethoven gemeint hat, so müßten sie auch wissen, was Haydn war, und müßten sich klein vorkommen; das thun sie aber nicht, sondern urtheilen frisch darauf zu. Auch das Publikum der Concerte liebt den Beethoven ungemein, weil sie glauben, man müsse ein Kenner sein, um ihn zu lieben; eigentliche Freude haben aber wohl die Wenigsten daran, und das Herabwürdigen von Haydn und Mozart kann ich nun einmal nicht vertragen: es macht mich toll. Die Beethoven'schen Symphonien sind ihnen wie exotische Pflanzen, sie riechen wohl daran, aber es ist eine Curiosität; und wenn Einer gar einmal die Staubfäden zählt und findet, es sei doch eigentlich aus einer bekannten Blumenfamilie, so ist er zufrieden und macht sich weiter Nichts daraus. So klagt man sogar schon über Kälte der Leute in diesem und dem vorigen Jahr, und man wird einige Violinquartetten von Beethoven für volles Saitenorchester, 28 Geigen u. s. w. mit Contrabässen ohne Blaseinstrumente geben, um was Neues von ihm zu haben. Ich sollte sie sogar instrumentiren und die Sonate pathétique für's Orchester des Conservatoire einrichten, habe ihnen aber eine schöne Rede gehalten, daß es wohl unterbleibt und ohne Blaseinstrumente gegeben wird. Neues wollen sie nun einmal, und das kommt mir zu Statten; denn deshalb spielen sie nächsten Sonntag meine Ouvertüre zum »Sommernachtstraum«. Ich muß Ihnen noch das Programm des vorigen Concerts sagen: es fing mit der A dur-Symphonie von Beethoven an, dann kam Choeur des chasseurs de Weber, das war ein Vers aus dem Jägerchor der »Euryanthe«, und dann auf einmal eine lange traurige Musik mit Hörnern, die ich nie gehört hatte; dann wieder der Jägerchor und dann wieder die traurige Musik, die immer leiser wurde und endlich schloß. Es fand sich, daß diese traurige Musik mit Hörnern von Castil-Blaze war, und daß man Euryanthe in der großen Oper nach seiner Bearbeitung ausgeführt hatte, von der dies ein Probestück ist. Es ärgert mich, daß man dies in dem Concerte gab; denn es wäre ohne Das ein Musterconcert gewesen; aber das war wieder eine von den Sachen, die nicht unter Ehrenmännern vorkommen sollten. Zum Schluß des ersten Theils spielte Kalkbrenner seinen »Traum«; das ist ein neues Clavierconcert, das er componirt hat, und worin er zur Romantik übergegangen ist; er erklärt vorher, daß es mit unbestimmten Träumen anfinge, dann käme eine Verzweiflung, dann eine Liebeserklärung und zum Schluß ein Militairmarsch. Kaum hört das Henri Herz, so macht er geschwind auch ein romantisches Clavierstück und erklärt es auch vorher: erst kommt ein Gespräch zwischen Schäfer und Schäferin, dann ein Gewitter, dann ein Gebet mit der Abendglocke und zum Schluß ein Militairmarsch. Sie werden es nicht glauben; aber es ist wirklich so. Uebrigens spielt Kalkbrenner sein Stück ganz wunderbar schön, mit einer Nettigkeit, Eleganz und Vollkommenheit, der Nichts gleich kommt. Das war der erste Theil des Concerts; der zweite bestand aus Le Christ du mont des olives mit den Chören des Conservatoire und den Sängern der großen Oper, die sämtlich daraus hervorgegangen sind. Das nächste Concert fängt mit der F dur-Symphonie von Beethoven an, dann ein Duett aus Armide (Esprits de haine) und ein Violoncellconcert. Der zweite Theil ist Kyrie und Gloria aus der neuen Beethoven'schen Messe und meine Ouvertüre. Wenn Das nicht bunt ist! –

Außerdem sollte ich Ihnen noch von Baillot's Soiréen, von der großen Oper und der nun wieder eröffneten Opéracomique erzählen; ich spare es mir aber für einen nächsten Brief auf, sonst verlieren Sie die Geduld für meine langen Briefe. Aber bitte, lieber Herr Professor, schreiben Sie mir ein paar Zeilen Antwort, wenn es auch nur ein paar Worte sind, damit ich wisse, ob Sie eine Fortsetzung von meinem Pariser Leben und Treiben haben wollen, und ob Sie mir noch unverändert und freundlich sind. Auch von meinen neuen Sachen muß ich Ihnen noch schreiben; denn ich bin ziemlich fleißig gewesen in der Zeit. Wie freue ich mich darauf, sie Ihnen vorzuspielen und zu erfahren, ob Sie damit zufrieden sind, und was Ihnen nicht recht ist, und was ich besser machen soll; denn Sie werden eine Menge Instrumental- und Kirchenmusiken mit anhören müssen!

Ihr treuer Schüler
Felix Mendelssohn Bartholdy.«

An Heinrich Bärmann in München

Rom, den 14. Februar 1831

»Lieber Bärmann!

Lange habe ich mein Versprechen Ihnen zu schreiben nicht gehalten und eigentlich könnten Sie deshalb etwas böse auf mich sein, aber wenn man gar zu viel Neues täglich erlebt, wenn sich fortwährend die Umgebungen verändern, so ist es aus Uebermaß von Stoff wohl ebenso schwer einen ordentlich vernünftigen Brief zu schreiben, wie es aus Mangel an Stoff schwer ist, wenn man ganz ruhig in den alten Verhältnissen und Umgebungen ungestört bleibt, und da ich das Stillschweigen nun breche, so seyn Sie auch freundlich und lassen Sie mich wieder von sich hören, denn eigentlich ist es hauptsächlich der Wunsch von Ihnen allen zu hören, zu erfahren, wie es Ihnen geht, wie Sie leben und was Sie treiben, der diesen Brief verursacht hat. Denn zu beschreiben was ich seitdem erlebt und gesehn habe dazu ist ein Brief zu kurz und es geht überhaupt schriftlich nicht recht; mündlich soll es schon einmal sich besser ausnehmen, und wer weiß wie bald das geschehen mag. Denn es ist ein starker Lieblingsplan von mir auf ein Paar Wochen wieder nach München in diesem Jahr zu gehen, und wenn sich alles so macht wie ich hoffe, so besuche ich Sie vielleicht in diesem Herbst wieder und erscheine unversehends in der Carlstraße, esse Klöße, spiele die As-dur Sonate, und dann sagen Sie: es ist zum Hinwerden. Aber auch deshalb möchte ich gar zu gern von Ihnen ein Paar Worte haben, damit ich weiß, ob Sie den Sommer und Herbst in München bleiben, oder ob Sie Reisepläne haben u.s.f. Denn mir ist die Zeit, die wir dort zusammen lebten gar zu lieb als daß ich nicht noch einmal davon kosten sollte, es waren die lustigsten Tage, die ich je gehabt habe, und daß ich sie namentlich Ihnen verdanke wissen Sie recht gut, und können sich wohl denken, wie erkenntlich ich Ihnen dafür bin. Hier ist es wohl ein prächtiges Leben, reicher und bewegter als man es irgendwo finden mag; aber unsereins ist am Ende doch auch ein Musiker und sehnt sich nach Musik, die gut klingt, und hier ist keine zu haben. Freilich giebt es dafür andere Dinge, die schöne Musik mit sich bringen: Die schönste Frühlingsluft, warmer blauer Himmel, göttliche Bilder überall, und Natur und Vorzeit so bunt und reich, wie man es sich nie denken kann; aber gerade wenn ich an Sie schreibe, so fehlt mir doch ein musikalischer Ton, und ein musikalischer Mensch, und ich gäbe viel darum, wenn wir nur eine halbe Stunde einmal mit einander plaudern könnten. Seit ich in Italien bin, ist die Musik, die ich selbst mache, die einzige, die ich zu hören bekomme, Orchester und Sänger sind wirklich zu schlecht. Was ich in London als untergeordnete Subjecte kannte, singt in Venedig und Florenz die ersten Rollen; für Rom war Mlle. Carl vom Berliner Theater als prima donna engagirt (sie ist übrigens sehr durchgefallen und der Contract deshalb wieder aufgehoben) und an Leute wie die Pasta, Malibran, David ist nicht zu denken, die sind wieder in London oder Paris.

Da ist es denn auch natürlich, daß es den Leuten selbst kein rechtes Vergnügen mehr macht, und ich möchte behaupten, daß mir nirgends in ganz Rom so unmusikalisch zu Muthe geworden ist, wie in der Oper. Ein Orchester müssen Sie sich denken wie im letzten bayrischen Dorf, es ist mit Worten schwer zu beschreiben, unter andern giebts einen ersten Clarinettisten hier im teatro di Apollo, o Bärmann, den müßten Sie hören; ich glaube das Geschlecht der Oerindur, unseres Thrones feste Säule, fiele vor Lachen auf die Erde und wälzte sich; der Kerl fängt alles mit einem Vorschlag an, der dritte Ton bleibt sitzen, am Ende giebts ein Trillerchen mit dem Ellbogen geschlagen, und einen Ton hat der Mensch, daß ich im ersten Augenblick dachte, es sei eine sehr schlechte Hoboe; aber da kam die Hoboe mit einem Solo und nun merkte ich Alles. Die Fagottisten ahmen täuschend einen Kamm nach, kein Instrument stimmt rein, ausgenommen die große Trommel, verpausiren thut sich einer alle Augenblicke und die Pauke schlägt in einem zarten Solo auf einmal tüchtig zu, der erste Geiger macht dann aber St. St! und hält das Ganze zusammen Der Contrabassist ist ein furchtbarer Kerl, trägt eine rothe Cappe im Orchester und einen dicken Schnauzbart, liegt auf der Notenlauer und paßt wo er hin und wieder eine Pfundnote erhaschen kann, – so geht das Ganze mit Feuer und Präcision, wie die Recensenten bei uns sagen.

Eine Sinfonie ist noch nie in Rom gespielt worden. Aber ihr Stolz ist, daß vor einigen Jahren die Schöpfung von Haydn gegeben wurde, und daß das Orchester sich, wie sie sagen, ganz leidlich aus der affaire gezogen habe, denn daß eine so entsetzlich schwere Musik gut gehen könne, sei wohl selbst in Deutschland nicht möglich, wo man sich auf diesen gelehrten genre verstehe. Ich mache dann ein Gesicht wie der hl. Nepomuk, erinnere mich, daß ich im Vaterland der Musik bin, wo Alles vorhanden ist, nur keine Musiker, und halte mich so viel als möglich an die jungen Mädchen, die wenig über Kunst sprechen und desto hübscher sind. Noch muß ich nachholen, daß die Trompeter durchgängig auf den verfluchten Klappentrompeten blasen, die mir vorkommen wie eine hübsche Frau mit einem Bart oder wie ein Mann mit einem Busen – sie hat eben einmal die chromatischen Töne nicht und nun klingt's wie ein Trompetencastrat, so matt und unnatürlich. Es bläst aber hier einer Variationen darauf. Nun zeigen Sie aber diese ganze Seite dem Stuntz ja nicht, er macht mich sonst mausetodt, wenn ich wieder nach München komme, auch spreche ich ja nur von Rom, es mag anderswo anders sein. Wenn ich Ihnen nun aber sage, daß ich trotz alles dessen ganz herrlich hier lebe, einen Winter zugebracht habe, der mir wie ein Augenblick verflogen ist und die froheste heiterste Zeit hier genieße, so denken Sie am Ende ich sei der guten Musik abtrünnig geworden, aber es geht so zu: ich habe auf meinem Zimmer alle Morgen in der Früh componirt und bin fleißig, damit ich Ihnen wieder was Neues zeigen kann, wenn ich wiederkomme, und da bin ich denn vergnügt gewesen und mir hat nichts gefehlt; dann geht's um 12 aus um Rom zu besehen nach einer Gallerie oder nach Ruinen oder aufs Land und da ist man wohl wieder vergnügt. Abends war ich immer und mehr als je in Gesellschaften, habe eine Masse Leute aus den verschiedensten Nationen und Ländern lustig beisammen gesehn – auch das ist nicht so übel, dazu die milde Frühlingsluft, die den Winter ganz vergessen macht, das erheitert schon. Denn jetzt heize ich nicht mehr ein, sitze bei offenem Fenster, die Mandelbäume blühen überall, die Sträucher schlagen aus und man muß schon den Schatten suchen; für Februar ist das schon ganz erträglich. Dazu kam nun der tolle Carneval dieser Tage, wo man sich den ganzen Tag im Freien umhertrieb; da wimmelte es von den tollsten Masken, die Italiänerinnen sind in ihrem Glanze, man wirft sich mit den Confettis wie rasend, das kindische Spiel wird ordentlich leidenschaftlich getrieben und man kann sich dessen nicht erwehren, die Damen bekommen Blumensträuße, Rosen und Veilchen in die Wagen geworfen und beregnen einen dafür mit Bonbons und Zuckermandeln; man steht im Hinterhalt, lauert den Bekannten auf, die Männer sahen aus wie Müllerknechte so weiß bestaubt, dazu giebt's Intriguen, Neckereien vollauf; leider aber sind wir um die 3 letzten Tage gekommen, wo alles am tollsten ist; als ich nämlich vorgestern mit Confettis beladen in den Corso komme, ist alles schwarz von Männern, keine Damen, nirgends Masken und ich entdecke endlich ein Edikt des Papstes an der Ecke, der Carneval sei wegen böser Umstände aufgehoben; man hatte nämlich eine Revolution entdecken wollen und die Soldaten wurden nun in alle Straßen mit geladenen Gewehren postirt, es gab auch wirklich abends einige Schüsse, Leute wurden arretirt, einer stark verwundet. So war das lustige Spiel in bösen Ernst verwandelt, und obwohl die Fasten erst übermorgen anfangen, sind doch die Straßen still und wie gewöhnlich. – Nun aber basta, Gott weiß, wie Sie der Brief mag gelangweilt haben; wenn er Sie nur zu einer Antwort bewegt, so ist sein Zweck erreicht und Sie haben mir fest versprochen, gleich zu antworten, also bitte, bitte thun Sie es. Noch habe ich eine Bitte: aus Venedig schrieb ich an den Grafen Pocci einige Zeilen als Antwort auf einen Brief von ihm, da aber fast alle Briefe, die ich in Venedig selbst auf die Post gab nicht angekommen sind, weil man mich dort wegen meiner Noten für einen gefährlichen Spion mit Chiffresprache hielt, so möchte ich gern wissen, ob er den Brief wirklich erhalten hat und bitte Sie also sich, wenn es Ihnen nicht viel Mühe macht, danach zu erkundigen, und es mir zu schreiben. Was macht denn Mde. Vespermann (die Sängerin)? Ich bitte Sie ihr meine herzlichsten Grüße zu sagen. Schreiben Sie mir von allen Bekannten und Freunden, ob es noch so aussieht wie da ich München verließ, Sie wissen wie mich alles von dort interessirt. Nun aber lassen Sie mich vor allen Dingen wissen, wie es den Ihrigen geht, ob Carl und Heinrich (die Söhne) tüchtige Fortschritte machen und ob sie sich zuweilen noch meiner erinnern, dann daß Sie mich Ihrem ganzen Hause und namentlich Ihrer lieben Frau von ganzem Herzen empfehlen und mich Ihr in freundliches Andenken zurückrufen müssen, das versteht sich von selbst.

Leben Sie alle wohl und heiter. Ihr
F. Mendelssohn Bartholdy.«


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