Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel IV. Der Schrifttext

Mr. Fleming wartete damit, seiner Tochter den Gutenachtkuß zu geben, bis das Zimmer nach dem Abräumen des Abendessens völlig leer war, und teilte ihr dann, indem er sie herzlich in seine Arme zog, mit, daß ihr Onkel sie eingeladen habe, auf seine Kosten mit nach London zu fahren, wobei er eine Andeutung fallen ließ, als hätte sich ihr hiermit ein goldener Pfad aufgetan, und sie gleichzeitig bat, sich nichts weiter dabei zu denken, vielmehr alle Erwartungen und Träume von irgendwelchen unmöglichen Summen fahren zu lassen und sich einfach Mühe zu geben, ihrem Onkel zu gefallen. Er habe auf sein Vermögen ein Recht und könne damit machen, was er wolle, und wenn er vierzig- und fünfzigmal mehr besäße, als er faktisch hätte, – und wieviel das sei, wußte niemand. Im Grunde war der Bauer, wie viele erfahrene Menschen in ihren Versuchen, anderen zu raten, sehr eindringlich darauf bedacht, sich selbst eine Lektion zu erteilen, und seine Warnung, irgendwelcher Versuchung zu unterliegen, lief vor allem darauf hinaus, die natürlichen Ursachen für eine solche anzudeuten. Es ist für die Alten wie für die Jungen ein Glück, daß die scharfe Urteilskraft der Jugend durch so mancherlei abgelenkt und gemildert wird. Rhoda dankte ihrem Vater und redete sich in den guten Glauben hinein, sie habe allerlei Schönes und Weises vernommen.

»Deine Schwester,« sagte er – »aber wir wollen nicht von ihr sprechen. Wenn ich mich von dir trennen könnte, mein Kind, wär's mir lieber, sie wäre diejenige, welche zurückkäme.«

»Dahlia würde unser einsames Leben jetzt töten,« sagte Rhoda.

»Hm,« meinte der Vater sinnend, »wenn sie jeden Sonnabend Abend sechs Leute abzulehnen hätte, würde sie nicht über das stille Leben klagen. Aber das ist es eben – für Landwirtschaft und Haushalt hat keine von euch rechten Sinn, aber jeder vornehme Herr könnte stolz darauf sein, eine von euch zur Frau zu kriegen. Das hab' ich schon immer gesagt, als ihr klein wäret. Und wenn ihr euch gelangweilt habt, mein Kind, – was hat man denn groß von Geselligkeit? Ja, man meint vielleicht, Teekuchen oder 'n Glas Grog für den Nachbar kosteten nichts, aber man braucht nur 'mal mit der Art von Dingen anzufangen, und mit einmal weiß man nich' mehr, wo das Geld abbleibt. Und es is' nun 'mal so, wie ich das schon immer zu eurer armen Mutter gesagt hab', – kann sein, hab' ich gesagt, daß unsere Mädchens nich' so sind, wie Hollands und Nashaws und Perrets und andere hier im Dorf, – nein, sie sind auch nich' so. Aber warum? sag' ich. Weil die anderen nich' an sie 'rankönnen!«

In dieser unklaren Art und Weise versuchte sich der Stolz des Bauern gegen den Vorwurf der Ungastlichkeit und den eines Zurückhaltens seiner Töchter von jedem Verkehr, wie er Mädchen ihres Standes und Alters zukomme, zu verteidigen, und es fiel Rhodas ernstlichen Bemühungen nicht schwer, ihm zu versichern, daß er damit recht gehandelt hätte.

Bis spät in die Nacht war Rhoda, unter Mrs. Sumfits Beistand, damit beschäftigt, zwischen dem armseligen Putz, den sie besaß, dasjenige auszusuchen, was ihr für London am geeignetsten und für die Umarmung ihrer Schwester am würdigsten schien; denn um keinen Preis wollte sie das Feingefühl der feinen Dame, die Dahlia offenbar inzwischen geworden war, verletzen.

»Du kannst dich darauf verlassen, Rhoda,« sagte Mrs. Sumfit, »mein' Dahly ist über ihn hinausgewachsen. Und das wurmt deinen Onkel, Kind. Das kann er nicht aushalten. Siehst du das nicht? So sind die Männer! Und dann wieder andere dagegen, die möchten, daß man wie 'ne Prinzessin angezogen ginge, und sie fänden's doch noch nich' schön genug. Ach, sie sind so verschieden! Aber das sagen sie nu' doch alle, ob sie das nu' mögen oder nich', daß sie 'ne Frau lieber mögen, wenn sie 'n bißchen nach der Mode angezogen is'. Was mir furchtbar leid tut, daß is' dein Hut. Was war das doch für 'n Hut, der da auf 'n Bild neben ihr lag, bei ihrem netten, runden Arm, – och, nu', wie sie den Finger da so an die Backe legte, daß da orndtlich 'ne Kuhle in kam, ganz, a's wenn sie so 'n bißchen traurig an uns dächte. Das is' g'rad' so, wie die feinen Damen ausseh'n, – so 'n bißchen traurig. Wenn wir doch man bloß 'n Hut für dich hätten!«

»Meiner muß gehen,« sagte Rhoda.

»Ja, und dann seht ihr aus wie 'ne Dame und 'n Dienstmädchen, die 'n bißchen zusammen spazieren geh'n. Und das muß sie doch fühlen! Das wird wirklich nett!«

»Sie wird sich meiner nicht schämen,« stotterte Rhoda, und dann summte sie eine kleine Melodie vor sich hin und fügte tapfer hinzu, »da ist nun 'mal nichts dabei zu machen. Was soll ich versuchen auszusehen, was ich nicht bin.«

»Nein, gewiß nicht,« gab Mrs. Sumfit zu. »Wenn du nur nich' so unmodern wärst. Du könnt'st g'rad' so gut so 'ne alte Person sein, wie ich, so wenig werden sich die Leute nach dir umkucken. So auf dem Lande, – das is ja als wenn du in 'n Kohlenkeller säßest, da is' das ja ganz egal. Aber in London, Kind, mit 'n Pflaster und 'n Trottoir und 'n Omnibusverkehr! Wenn du da nich' 'n bißchen modern bist, dann sei dir das da die kleinen, dummen Jungens auf der Straße nach, – och, die haben das so los mit der Mode! Das glaubst du gar nicht. Und das will ich nich', daß sie über mein' Dahlys Schwester lachen und ›Kohlenkasten‹ hinter ihr herschrei'n, wie sie das einmal bei mir getan haben, du machst das nu' glauben oder nicht, und daß sie sie man so beiseite schieben und sagen: ›Was is' das für eine!‹ Denn sie is' wirklich nüdlich. Das haben dein Onkel Anton und Mr. Robert auch gesagt.«

Rhoda errötete und sagte nach einer Weile: »Ich möchte viel lieber, die Leute sprächen nicht über mein Aussehen!«

Daß sie dem Auge wohlgefällig erscheine, hatte ihr wahrscheinlich ihr Spiegel selbst gesagt, aber ein junger Mann, der überhaupt etwas sieht, soll nicht wie ein Spiegel sein. Der eigene Instinkt raunt einem Mädchen zu, daß sein Bild schwerlich im Herzensgrunde eines Jünglings ruhe, der es genau und objektiv zu beschreiben vermag.

Durch Rhodas ganzes Wesen ging in dieser Zeit als Grundton der Wunsch, sich an dem Lob ihrer eigenen Persönlichkeit zu erwärmen und daran zu erstarken. Bisweilen, wenn sie ihr Antlitz sah, durchschauerte es sie. Es war ein so eigenartiges Gesicht mit seinen dicken, dunklen Augenbrauen und den seltsam geradeaus blickenden, braunen Augen, der geraden, langen, roten Unterlippe und der gewölbten Oberlippe, dem Kinn und der Nase, die so gar nichts von Dahlia hatten, deren Nase nach einer geringen Krümmung an der Wurzel in einer sanften Linie verlief, und deren Kinn gleichsam wie eine Schale erschien. Rhodas Züge waren härter. Ihre Nase hatte eine kleine Neigung zum Himmelanstreben und ihr Kinn eine ebensolche zur Eckigkeit. Wenn sie ihr Gesicht einer eingehenden Prüfung unterzog, war sie direkt in Zweifel darüber, ob es wirklich dem Auge wohlgefällig sei, obschon sie wußte, daß ihr in der Unterhaltung, oder, wenn sie errötete, Lebhaftigkeit und Farben zur Hilfe kamen. Sie wußte auch, daß ihr Kopf anmutig auf dem Halse ruhte und daß sie gut und normal gewachsen sei, aber all' diese Weisheit war ihr nie durch jemand bestätigt worden, und daher leicht von einem Zweifel zu überschatten. Wie die rechte Schönheit einer Landschaft der vergoldenden Strahlen der Sonne bedarf, um völlig zum Vorschein zu kommen, so lechzte dieses Mädchen nach einem Trunk goldener Schmeichelworte. Ohne neidisch auf ihre Schwester zu sein, empfand sie doch, daß Dahlia sie aussteche, und sie konnte des sehnlichen Wunsches nicht Herr werden, nicht allzusehr von ihr verdunkelt und in den Hintergrund gedrängt zu werden.

Aber das große, gewaltige London – für ihre Phantasie eine ganze neue Welt für sich – streckte die Arme nach ihr aus. In dem Halbschlafe jener Nacht meinte sie das Getöse der Metropole, das schrille Lärmen von einander widersprechenden Harmonien zu hören, und der Glanz der hellerleuchteten Stadt schien in dem dunklen Himmelsblau zu hängen wie ein neuer Planet, der ihr zuwinkte.

Es war unausbleiblich, daß die Rede am Sonntag Morgen beim Frühstück auf ihre bevorstehende Reise kam. Robert sprach genau so mit ihr, wie er bei dem gleichen Anlaß mit Dahlia gesprochen hatte. Es fiel ihr auf, daß er in zwei oder drei Fällen die gleichen Straßennamen erwähnte und dieselbe Angst äußerte, was ihre Fahrt zum Bahnhof und das Erreichen des Zuges betraf. »Das ist etwas, das einem die Grenzen seiner Kraft so recht deutlich macht,« sagte er. »Da ist kein Aufhalten möglich. Ich glaube, ich könnte einen Vierspänner in vollem Galopp stoppen. Ich sage nur, ich glaube, ich könnte es; aber wenn sich's um Eisen und Dampfkraft handelt, dann fühl' ich mich wie 'n kleines Kind. Züge aufzuhalten, – das gibt's nicht.«

»Aber zum Entgleisen bringen kann man sie,« sagte Anton, eine Bemerkung, die allgemeines Gelächter hervorrief und den Eindruck verstärkte, daß er ein Mann sei, der sich immer zu helfen wisse.

Rhoda ärgerte sich über Roberts Pochen auf seine Kraft. Sie reiste, und sie freute sich auf ihre Reise, aber sie hätte doch gern ein Wort des Bedauerns darüber gehört, und sah ihn noch einen Augenblick an. Aber Robert hatte überhaupt kaum einen Blick für sie. Er warf mit Rüben, Hafer, Ochsen und Geflügelzucht, mit allem nur irgend Denkbaren an alltäglichen Sachen um sich, schilderte den Hof und seine Vorliebe für denselben und für die ganze Gegend, sagte, es ginge doch nichts über das Leben eines Landmannes und versprach Rhoda, in einer Woche würde sie von London völlig genug haben.

Sie rümpfte heimlich die Nase über ihn, und dachte, »wie wenig ahnt er von der Beständigkeit eines Frauenherzens, wenn es«, fügte sie hinzu, »einmal eine wirkliche Neigung gefaßt hat.«

Anton wurde in der Kirche gezeigt, trotzdem er den leisen Einwand wagte, daß es schön sein müsse, in dem Märzsonnenschein umherzugehen und sich an den Äckern und den Feldblumen zu freuen, die einem keine Arbeit und keine Kosten machten und doch immer hübsch wären und alle künstlichen Produkte zwanzigmal aufwögen.

»Ganz, was ich Dahly immer sag',« nahm er Gelegenheit zu bemerken, »aber nein, das macht ihr nichts aus! Ich glaub', Frauen hören da einfach nichts von, wenn man ihnen so vernünftig zuspricht. ›Kuck mal,‹ sag ich, ›n Veilchen!‹ ›Nu sieh doch mal,‹ sagt sie, ›ne Rose!‹ Ja, was soll man dazu sagen? Sie schwört darauf, es geht nichts über 'ne Rose. Und ich schwör' darauf, 'n Veilchen kost't nix. Na, und denn is' der Krieg da, ich sprech' vom Kostenpunkt und sie vom Aussehen.«

Robert stimmte auf einen auffordernden Blick Antons mit einem höflichen ›Ja, freilich‹, bei. Worauf Rhoda ausrief:

»Dahlia hatte recht, Onkel, ganz recht hatte sie.«

»Gewiß hatte sie recht, wenn sie'ne Millionärin wäre. Aber da sie eine Bauerntochter ist mit sehr geringen Aussichten, – ich möchte wohl sagen mit bescheidenen Aussichten, – aber bescheiden, das paßt nicht recht zu ihr. Aber als 'ne Bauerntochter könnte sie doch das Veilchen gewählt haben. Das 's klar wie der Tag. Ein Gutes hat sie ja, das geb' ich zu: sie sagt mir, sie macht ihre Hüte selbst, und die seh'n gerad' so schön aus, als wenn sie von 'ner Putzmacherin wären, und ich muß sagen, da bin ich stolz auf, daß ich das von meiner Nichte sagen kann. Und ich glaub' auch, um sich selbst feine Kleider kaufen zu können, hat sie sich hingesetzt und hat welche für feine Damen genäht. Denn da bin ich selbst über zu gekommen. ›Spar' doch das Geld, denn brauchst' nich' so zu arbeiten,‹ sag' ich. Was antwortet sie? – denn 'ne Antwort hat sie immer parat: ›Onkel, ich kenne den Wert des Geldes besser.‹ ›Du meinst, weil du 's so fein ausgeben kannst?‹ sag' ich zu ihr. ›Ich kauf mehr dafür, als das Geld wert ist,‹ sagt sie. Und ich will Ihnen was sagen, Herr Robert Armstrong, – ich höre, so heißen Sie, Herr: wenn Sie den Frauen im Reden über sind, dann sind Sie 'n fixer Kerl!«

Robert lachte. »Ich strecke die Waffen in der ersten Viertelstunde.«

»Machen sich nichts aus 'n Weibern? Woll'n Sie das damit sagen?«

»Ich kann glücklicherweise sagen, ich denke überhaupt nicht an sie.«

»Na, na, Mr. Robert Armstrong, denken Sie nicht mal an eine?«

»Dann würd' ich noch lieber an zwei denken.«

»Und warum das, wenn ich fragen darf?«

»Das ist sicherer.«

»Na, das seh' ich nu' eigentlich nicht ein,« sagte Anton.

»Dann kann mir die eine die andere in Ordnung halten,« erklärte Robert den Fall.

»Sie sind ja der reine türkische Großmogul in Ihren Anschauungen über die Frauen, Mr. Robert Armstrong. Ich hoffe doch, Sie haben gute moralische, Ansichten?«

Sie waren auf dem Wege zur Kirche, aber Robert konnte trotzdem einen kräftigen Fluch nicht unterdrücken.

Er bemerkte, er hoffe, daß seine Moral ebenfalls eine gute wäre.

»Ja, ich mein' nur, Herr,« sagte Anton, »so zwei Weiber, sehen Sie –«

»Nein, nein, ein Weib,« unterbrach ihn Robert. Sie fragten nur, wie ich ›über die Frauen dächte‹. ›Denken‹ könnt' ich doch schließlich über so viel Frauen, wie ich Lust hätte, wenn ich dazu Zeit hätte. Aber zu der Frau, die man zu seinem Weibe machen will, zu der geht man geradeswegs hin und ›denkt nicht erst viel darüber‹, weder über sie, noch über die ganze Geschichte.«

»Sie meinen, die sichern Sie sich erst mal?«

»Nein, ich versuche mein Glück bei ihr. Weiter mein' ich gar nichts.«

»Wenn sie Sie nun aber nicht haben will?«

»Dann wart' ich.«

»Wenn sie nun aber jemand anders heiratet?«

»Ja, seh'n Sie, aus 'ner Frau, die so dumm ist, mach' ich mir überhaupt nichts.«

»Na, ich muß sagen –,« Anton verschluckte, was ihm auf der Zunge lag. »Aber wenn sie es nun doch täte, – ich mein' nur, es könnte ja doch sein, – wenn sie nun doch so dumm wär' und hinginge und sich verheiratete, und Sie mit offenem Mund und einem aufgehobenen Fuß so daständen und das Nachsehen hätten?«

»Ja, denken kann ich das ja mal gern,« sagte Robert. »Also wenn sie so dumm wäre, ja, dann müßte ich ja auch schön dumm sein, daß ich mir so 'ne Dumme ausgesucht hätte. Also, meinetwegen, sie gibt mir 'n Korb, dann verschaffe ich mir 'ne Pistole oder 'n tüchtiges Ende Tau, oder ich mache so einen tüchtigen Kopfsprung, mit 'ner Kanonenkugel an den Füßen, oder ich geh' zum Apotheker und hol' mir so 'n Zeug, mit dem man Ratten vergiftet, – oder was denn sonst so 'n dummer Kerl in solchem Falle tut. Schließlich ist's da ziemlich egal, was.«

Der alte Anton wartete auf Rhoda, um ihr über ein Hecktor zu helfen und sagte zu ihr:

»Er lacht über eure ganze Sippe.«

»Wer?« fragte sie, während ihr ein verräterisches Rot in die Wangen stieg.

»Na, dein Mr. Robert Armstrong.«

»Mein, Onkel?!«

»Er macht sich nicht so viel aus einer einzigen.« Onkel Anton schnippte mit den Fingern.

»Dann ist es jedenfalls das beste, es macht sich auch keine einzige was aus ihm, Onkel.«

»Nein, gerade im Gegenteil! Das ist immer ein Zeichen dafür, daß ein junger Mensch für sein Geschäft gut paßt. Wenn er dich hätte Kartoffeln kochen, Klöße machen, Betten, Tee und all das besorgen sehen, dann hättest du vielleicht dein Glück gemacht. Dann wär' er vielleicht geradeswegs auf dich losmarschiert, ehe du nach London abführest.«

»Und hätte gesagt: ›du bist das Weib!‹« Die Vorstellung kitzelte Rhoda zu sehr, sie mußte es sagen, obgleich sie sich ärgerte und innerlich mit sich selbst unzufrieden war. »Oder vielleicht, ›du bist die Köchin!‹« murmelte sie, und mit diesem Worte legte sie gewissermaßen eiserne Riegel vor ihr Herz und bezeichnete ihn innerlich mit Namen, die nichts, was er getan oder gesagt hatte, rechtfertigte – Namen wie tyrannisch, gewinnsüchtig, und ähnliches.

In der Kirche hatte Robert allerhand Aufmerksamkeiten für sie. Einmal ertappte sie ihn dabei, daß er seine Augen auf ihrem Gesicht ruhen ließ, aber er verriet keinerlei Verlegenheit und sah einfach weg, zum Prediger hin. Als der Text verlesen wurde, schlug er ihr die Stelle in seiner Bibel auf und reichte ihr dieselbe mit einer gewissen Absichtlichkeit hin, den Finger auf einer Zeile aus dem Buche Josua: »Schlingen und Fallen wird man dir stellen.« Sie nahm die Sache wie eine Abschiedshöflichkeit hin, aber als sie aus der Kirche kam, sah Robert, daß ein Erröten über ihr Gesicht huschte und zerbrach sich den Kopf darüber, was für Gedanken wohl in ihr aufstiegen. Er ahnte offenbar nicht, daß Mädchen zuweilen erst spät die Bedeutung einer Handlung herausfinden, und daß sie glühende Qualen erleiden können, wenn ihnen diese Bedeutung plötzlich klar wird. Rhoda rief all ihren weiblichen Stolz zur Hilfe, um den Mann zu verachten, der es gewagt hatte, ihr zu mißtrauen. Den ganzen Tag ging sie mit einem Gesicht wie eine Mohnblume herum, so empfindlich war dieser Stolz. Aber je mehr sie darüber nachgrübelte, um so mehr ärgerten sie die Zweifel, die Robert offenbar in Dahlia setzte, wenn er seine Finger auf diese flammende Schriftstelle setzen konnte. Ihrer Phantasie erschloß sich damit ein ganzes Reich der Finsternis und warf zum erstenmal seine Schatten über die Welt ihrer Vorstellungen. Ihre Unwissenheit, daß alle diese Zweifel ihrem eigenen Innern entstammten, war nicht erheuchelt; sie hatten ganz still in niemals aufgestörten Tiefen ihrer Seele geschlummert, – ein ganz naturgemäßer Prozeß ihres Verstandes übertrug dieselben mit zwingender Gewalt auf den, der sie ihr durch einen Zufall zum erstenmal aufgedeckt hatte.


 << zurück weiter >>