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Eine einzige Nacht im Wirtshaus »Zum Piloten« hatte genügt, um Roberts alten Ruf, als des herzhaftesten unter allen Zechern und netten Kerls im ganzen Umkreise des Seeleute erzeugenden Distriktes, wo noch der Ruf »Dibden« durch die Wirtschaft donnerte und Mannhaftigkeit zum großen Teil nach der Fähigkeit bemessen wurde, geistige Getränke an Bord zu nehmen, wie ein Schiff Ballast einnimmt, im Dorfe Warbeach wieder Leben und Kraft zu verleihen. Wohl fühlten sich die Männer veranlaßt, ein kopfschüttelndes Bedauern über die traurige Tatsache zu erheucheln, daß er so stark trinke, wie je; wohl äußerten die Frauen von Warbeach ein aufrichtiges Mitleid für ihn, aber sein Ruhm stand frisch wieder da. Wie der Frühling seine Blumen wiederbringt, so ließ Roberts Gegenwart seine jugendlichen Taten aufs neue zum Leben erstehen. In der ganzen Nachbarschaft hatte es keinen Boxer gegeben wie Robert Eccles, keinen solchen Preiskämpfer bei allen Spielen, noch – wenn er es sich einmal vorgenommen hatte – einen so unbesiegbaren Zecher. Er war es, der den wüsten Gesellen, Nie Sedgett, durchgedroschen hatte, weil er Harry Boulby, den Sohn der Wirtin des Gasthofes »Zum Piloten«, mit seinem Taschenmesser gestochen hatte, – öffentlich durchgedroschen, zum Gaudium von ganz Warbeach. Er hatte die alte Madam Garble aus ihrer brennenden Hütte getragen und seinen Vater veranlaßt, ihr ein Obdach in seinem Hause zu gewähren, und hatte – wie sehr er es auch haßte – Feldarbeit getan, um für ihren Unterhalt zu bezahlen. Er rettete Warbeachs Ehre durch ein Wettrinken mit einem Yorkshirer Kapitän bis vier Uhr morgens, wo es denn ein feiner Anblick war, Jungens, zu sehen, wie ganz Hampshire dem aus dem Felde geschlagenen Nordländer in seinem erstaunten Zick-Zack-Kurs zu seinem flachkieligen Kumpan hin, zuschaute, alles in dem fröhlichen Sonnenaufgang über dem Fluß – yoho! ahoy!
Der berühmte Robert hatte es zunächst mit der See versucht und danach mit dem Soldatenspiel. Na, hoffentlich wird er sich jetzt an die Landwirtschaft machen und dem Beispiel seines alten Vaters folgen und dauernd zu seinen Landsleuten zurückkehren. So klang der Chor der Jüngeren und mancher der Älteren stimmte ein.
Rings um Warbeach herum hatte sich dänisches Blut angesiedelt. Ich fürchte, um irgendwie in Britannien als echter, volkstümlicher Held zu gelten, muß in einem Burschen immer noch so etwas von einer skandinavischen Gurgel sein, und wenn er, abgesehen davon, daß er ein gewaltiger Zecher ist, auch noch ein famoser Kamerad beim Becher ist, zu singen und zu verzeihen weiß, eine offene Hand hat und mit den großartigen, kühnen Redensarten eines Feuerkopfes um sich wirft, so stempelt er sich in der Vorstellung seiner Genossen zum Könige.
Es war viel Stoff nötig, um König Robert von Warbeach den letzten Stoß zu geben, und meistens konnte er aushalten, bis ihn ein kühler Luftzug von der Außentür her wie ein mahnender Bote daran erinnerte, daß er in all seiner Seelengröße ein König der Schweine sei, woraufhin dann seine Art und Weise, ohne ein Wort an irgend jemand, davonzugehen, die ganze Gestalt hoch aufgerichtet, wenn andere schwankten und gemeine Lieder brüllten, ein Thema allgemeiner Bewunderung wurde, ja, und er war frisch wie ein Apfel am Morgen! Darin vor allem lag das Zwingende seiner Persönlichkeit! Was die Nacht bewies, bestätigte das Morgengrauen.
Der vollkommene Gegensatz zu Mr. Robert war Sedgetts Sohn, Nicodemus Sedgett, dessen unglückseliger Rufname ihn seitens der Witzbolde von Warbeach mit einem gewissen Helldunkel umkleidet hatte. Der junge Nic hatte auch eine Vorliebe dahin, seinen Geist in den Becher zu versenken und – abgesehen davon, daß er niemals für seine Extravaganzen bezahlte, trank er, als gälte es die Ehrenrettung seines berühmten Schutzpatrons, und die Nachbarschaft Nic Sedgetts, wenn dieser junge Mann nachdenklich über seinem Glase wurde, war nicht beliebt.
Die Geschichte, wie er den Sohn der Wirtin, Harry, gestochen hatte, haftete ihm in höchst fataler Weise an. Die Wunde war im Schenkel gewesen und nichts Gefährliches. Harry war wieder auf und war zur See, ehe Nic aufgehört hatte, die Zeichen von Roberts Vergeltungsakt an seinem Leibe zu zeigen; aber Engländern ist jede Art Blutvergießens, und sei es noch so unbedeutend, so verhaßt, daß Nic sich in den Augen Warbeachs niemals völlig rehabilitierte. Niemand hatte ein landsmännisches Gefühl ihm gegenüber, und man kann sich wohl vorstellen, daß sein Antlitz in dem Hause, wo sich die Jugend des Dorfes zu versammeln pflegte, dem Gasthaus »Zum Piloten« nicht mehr gesehen wurde.
Er pachtete einen der Bauernhöfe in Fairly, der unter dem Namen ›Dreibäumen‹ bekannt war, wo er, wie man sagte, sich durch das Geld seiner Haushälterin hielt. Denn er gehörte zu jener Art übler Gesellen, die jeder gerechten Prophezeiung ein Schnippchen schlagen, und es war umsonst, wenn Mrs. Boulby und das ganze Dorf Warbeach erklärten, es könne ihm nicht gut gehen, wenn das Schicksal ihn augenscheinlich immer über Wasser hielt.
Er besaß eine für einen Schuft außerordentlich günstige Eigenschaft: trotz eines nicht anziehenden Gesichtes verstand es der Kerl, sich, wie der Augenschein bewies, den Frauen angenehm zu machen. »Das beweist nichts weiter,« sagte Mrs. Boulby, die keine andere Erklärung zu finden wußte, mit der Vorliebe ihres Geschlechts fürs Verallgemeinern, »als daß mein Geschlecht 'ne alberne Gesellschaft ist.«
Er hatte eines Tages kein Geld, um seine Pacht zu bezahlen und inserierte flottweg (indem er zu diesem Zweck, wie man behauptete, seine letzten fünf Schillinge verwandte) wegen einer Haushälterin; und ehe noch Warbeach aufgehört hatte, sich über seine Torheit lustig zu machen, besorgte eine angenehme Frau von fünfunddreißig Jahren in seinem Namen Einkäufe. Sie machte Tee und richtete ein Abendessen her für solche Freunde, welche er sich in seinem Hause zusammenbitten konnte und bezahlte offenbar nach einiger Zeit seine Pacht für ihn; Not gab's im Hause keine drei Tage. Warbeach betrachtete es wie einen Druckfehler seitens der Vorsehung, daß Nie immer wieder ins glückliche Fahrwasser geriet, aber unsere modernen Propheten haben wenig Geduld und verlangen vom Geschick, daß es ohne weitere Vorbereitung seiner Waffen und sonder Warnung seines Opfers zuschlage.
Ich brauche nicht zu sagen, daß Roberts Beliebtheit mehr zugrunde lag, als sein altes, gelegentliches Laster. Mögen diejenigen, die eine Vorliebe für ethnologische Verallgemeinerungen haben, ein Urteil darüber fällen, ob der alte Gegensatz zwischen Sachsen und Normannen ausgeglichen ist; eins aber scheint mir zweifellos, daß ein Volksheld, wenn er unter der gewöhnlichen Masse des Volkes gefunden werden kann, doppelt beliebt ist. Ein vornehmer Herr mag noch so ritterlich und noch so herablassend sein, – geliebt wird er schwerlich jemals in dem Maße werden, ob uns auch nach seinem Tode Balladen oder Legenden davon erzählen; denn erst der Tod löst die besonderen Grenzen und Unterschiede, die das Volk zwischen sich und den höheren Gesellschaftsklassen empfindet, und die man, um ein allzufeines Auffassungsvermögen nicht zu begünstigen, es sorglich empfinden lehrt. Tote Briten sind alle miteinander Briten, – aber lebende Briten sind nicht vollkommen Brüder.
Als dem Sohne eines Bauern, dessen Vorzüge ihnen verständlich waren, erkannten sie Roberts Überlegenheit an. Er war ein äußerst mutiger, gutmütiger und ein hübscher junger Mensch, und er hatte ritterliche Lebensauffassungen, für die manch einer unter dem Einflüsse des Biers oder Branntweins Verständnis hatte, und die anderen gelegentlich irgendwelcher Übereilung, irgendeiner materiellen Not einleuchteten, und sie waren stolz auf ihn, mit einer Art Familienstolzes. Der Stolz mischte sich mit Furcht, die einen zarten Lichtschein über ihn warf, wie der Traum einer Mutter von ihrem Kinde. Wie ich bereits sagte, das Volk ist nicht derart in Selbstverachtung versunken, daß es seine Besten unterschätzen sollte, doch muß es zugegeben werden, daß es nur selten junge Burschen hervorbringt, die den untrüglichen Stempel des Anführers tragen, und die Einzigartigkeit eines Mannes, wie Robert, verlieh ihm in ihren Gedanken einen Anstrich von Traurigkeit.
Überdies blies der Wind des Schicksals, der Nic Sedgett immer hilfreich war, stets ungünstig, in welcher Richtung Robert sein Segel auch hissen mochte. Er war nicht die Persönlichkeit, seinen eigenen Vorteil wahrzunehmen; und der Glaube, daß der Mensch der großmütigen Hand seines Gottes kleine Hintertürchen offen lassen muß, wenn er vorwärts zu kommen hofft, lieber als ganz schlicht zu versuchen, vor seines Schöpfers Augen als ein ehrlicher Kerl dazustehen, ist unter armen Leuten beinah so verbreitet, als unter den wohlhabenden Klassen, welche dieselben von oben herab betrachten.
Als der fidele Schlachter Billing, einer aus dem kleinen Kreise, die am Abend vorher im Piloten mit Robert zusammen gesessen hatten, erzählte, daß er die Armee verlassen habe, hörte man ihm mit einer Miene des Bedauerns zu, und allgemein war das Gefühl überwiegend, daß der prächtige Robert sich um seine Pension und sein Altenteil gebracht habe.
Aber als Gevatter Sedgett die Runde machte und erzählte, daß der Zweck von Roberts Anwesenheit unter ihnen das düsterste Unterfangen sei, was man sich nur irgend vorstellen könne, daß er Morgen für Morgen ausreite in der ganz bestimmten Absicht, einem der Herren in Fairly zu begegnen, daß er ihn schon vom Pferde gerissen und in den Kot geworfen habe, ihn einen Schurken genannt und ihn herausgefordert habe, entweder sein Geheimnis preiszugeben oder zu fechten, daß er ihm folge und öffentlich auf ihn fahnde, daß er sich mit diesem vornehmen Herrn messe, hinter dem doch alle die anderen Herren und der Graf und das Gesetz ständen, um ihn zu schützen, da war des Staunens und Schreckens in dem kleinen Orte kein Ende. Schwachherzige erklärten, nun sei es mit Robert aus. Alle empfanden, daß er meilenweit übers Ziel hinausgeschossen habe. Es waren düstere Tage, Tage, an denen die Nebelmassen von der winterlichen See her flußaufwärts rollten und die Sonne an dem undurchdringlichen Himmel nur eine Stunde ihr Dasein fristete und gegen Mittag erlosch.
Man sah Robert ausreiten und hörte den Hufschlag seines Pferdes, wenn er heimkehrte. Im Piloten sprach er nicht mehr vor. Dunkelheit und Geheimnis umhüllte ihn. Unter Mrs. Boulbys Dach gab es abendliche Zusammenkünfte in der Annahme, daß er ihren Versuchungen nicht werde widerstehen können, und sie war nicht so töricht, ihnen die Hoffnung darauf zu nehmen, doch endlich trug das Weib in ihr über die Wirtin den Sieg davon, und sie klagte: »Er kommt nicht mehr vonwegen der Getränke. O, warum hab' ich mich auch überreden lassen, dies Zeug zu verkaufen, von dem er sagt, er schickte ihn zum Teufel, der arme, liebe Jung'! und ich kann doch nicht lassen, ihn zu überreden einen kleinen Tropfen zu nehmen. Ich tat es am ersten Tag, als er herkam, weil ich seine Gewohnheiten vergessen hatte, er sah wirklich so schrecklich verzweifelt aus, und da trank er, und da ging's denn weiter und weiter, bis die Sache ordentlich im Gange war, und ich ganz stolz, daß er aus seinem Elend herauskam. Und jetzt, haßt er den bloßen Gedanken an mich!«
In ihrer Verzweiflung ermutigte sie Sedgett zu einem Besuch ihres Ausschanks und ihrer Gaststube, und er wurde überall ein höchst bedeutsamer Mann.
Farmer Eccles zurückhaltende (manche sagten, seine stolze) Art und noch mehr die harte, gefürchtete Tante Anne, unter deren Szepter der Haushalt stand, hielt die Leute dem Warbeacher Hof fern, mit Ausnahme Sedgetts, der erzählte, wie sie Robert allabendlich, nach seiner Heimkehr ein Kapitel aus der Bibel vorlese und geduldig aufsitze, bis er komme, um diese Pflicht zu erfüllen, und daß des Bauern Worte an seinen Sohn gewesen wären: »Du magst hier ausruhen, essen und trinken und mein Pferd reiten, – aber du bekommst keinen Heller aus meiner Tasche.«
Durch Steeve Biltons, des Jägers von Fairly, Vermittelung war Sedgett in der Lage zu berichten, daß unter den Herren ein Zusammenschluß gegen Robert bestände, dessen Benehmen keiner unbedingt zu billigen vermöchte, mit Ausnahme der Wirtin und des fidelen Schlachters Billing, die ihm in blindem Glauben anhingen.
»Hat Bob Eccles jemals,« fragte letzterer, »ich sage, jemals den Respekt gegen seine Vorgesetzten außer acht gelassen? Mußte man nicht bei seinen wildesten Streichen schließlich immer zugeben, daß er recht hätte, – nach dem Urteil jedes verständigen Menschen? – wenn schon nicht im Hinblick auf seine eignen Interessen, – das ist 'ne andere Sache! Und Mr. Billings unerschütterliches Ausharren bei dem Dorfhelden wurde ihm angerechnet, als Sedgett, mit einer Berufung auf Stephen Biltons Autorität, berichtete, daß der Zweck von Roberts Vorgehen die Verteidigung eines Mädchens sei, dem ein Unrecht geschehen, und das alles, was er verlange, sei zu erfahren, wo sie versteckt gehalten werde, damit er sie ihren Eltern wieder zuführen könne. Diese Erzählung ging von Mund zu Mund und erhielt unterwegs zahllose Ausschmückungen. Das in Frage stehende Mädchen wurde zu einer Dame, denn für ein bloßes gewöhnliches Mädchen bedarf es ganz hervorragender Eigenschaften, ehe sie als die passende Gefährtin eines volkstümlichen Helden zu gelten vermag. Sie wurde zu einer jungen Dame mit großem Vermögen, die in Robert verliebt war und durch die Verschlagenheit des vornehmen Beleidigers, den Robert herausgefordert hatte, verborgen gehalten wurde. Dies gab Sedgett, durch hartnäckige Fragen und durch den Nimbus, welchen die ganze Geschichte auf ihn warf, zu immer kühnerer Erfindungsgabe angestachelt, als Wahrheit aus.
Mrs. Boulby, die als eine die meisten überragende Frau, Sedgetts schwächliche Erscheinung verachtete, hatte seinen Erzählungen so lange ein williges Ohr geliehen, bis sie ihn als Aufschneider erkannte, und dann widersprach sie ihm grad' heraus, da ihr an seiner Kundschaft gar nichts lag.
»Ja, aber, Madam, ich kann Ihnen den Namen nennen, – den Namen des Herrn,« sagte Sedgett mit einem Versuch sie zu versöhnen. »Es ist ein Mr. Algernon Blancove, der irgendwie durch Verschwägerung oder dergleichen ein Vetter von Mrs. Lovell ist.«
»Darin mögen Sie wahrscheinlich recht haben, mein Guter,« erwiderte Mrs. Boulby, mit einem intuitiven Unterscheidungsvermögen zwischen Wahrem und Falschem und zugleich von dem Wunsche beseelt, zu zeigen, daß diese Neuigkeit sehr wenig für sie ins Gewicht falle. »Alles and're ist Ihre eig'ne Erfindung, und das wissen Sie sehr gut und ist gr'ad so wenig wahr, wie Ihre Salbaderei über meinen Kognak, der 'ne französische Marke ist, so wahr, wie mein Blut britisch ist!«
»O Madam, sagte Sedgett boshaft, »was Geschichten anbetrifft, so weiß ich, daß Sie Zeugen genug dafür haben, daß er über 'n Kanal gekommen ist. Ha ha! Bloß bringen Sie sie nicht vor Gericht! Bringen Sie sie ja und ja nicht vor Gericht.«
»Sie meinen, Mr. Sedgett, sie würden nicht schwören?«
»Nein, Madam,« schwören würden sie, sofort und ohne zu stocken, wenn Sie es ihnen vorsagen würden. Ich will verdammt sein, wenn sie mit ihrem Schwören den Pilot nich' auf 'n Riff treiben. Ne, 'n gute Gewohnheit is' 's nich'!«
»Schön, Mr. Sedgett, das nächste Mal, daß Sie meinen Kognak trinken und schlechte Folgen merken, lassen Sie 's mich wissen!«
»Und was wollen Sie dann tun, Madam, wenn ich fragen darf?«
Sie hatten Zuhörer, und Mrs. Boulby gab die grausame Antwort:
»Ich werd' Sie nicht zu Ihrer Frau nach Haus lassen,« was einen Sturm der Heiterkeit über den als Pantoffelhelden bekannten Mann heraufbeschwor.
»Na, was die Folgen betrifft, Madam, so denk' ich Ihretwegen an die,« sagte Sedgett, nachdem er den Schlag verwunden hatte.
»Das sagen Sie doch dem Steuereinnehmer, Mr. Sedgett, wahrscheinlich wird's den traurig machen.«
»Kognak ist Ihr schwacher Punkt, wie's scheint, Madam!«
»Wahrscheinlich würd' Ihr Rücken steifer sein, wenn Sie etwas davon in sich hätten.«
»Der arme Bob Eccles hatte solches Steifmachen nicht weiter nötig, als er das erste Mal herkam,« warf Sedgett hin.
Worauf Mrs. Boulby, vor Entrüstung glühend, ausrief: »Führt den auch noch an! Ja, er und Sie und Ihr Sohn – 'ne nette Schande für Sie, wenn er Ihnen so gleicht, wie die Leute sagen. Ihr Sohn ist es, Nic Sedgett, der meint, er könne noch 'mal gegen mich zeugen, wie er es einmal geschworen hat, wohl, daß er seinen Lohn dafür kriegt und sich damit aus 'nem zweiten Bankrott rettet? Und das will 'n Farmer sein! Sagen Sie ihm man, daß ich nicht bange vor ihm wär', Sedgett, und daß einer hier wäre, der ihm gleich noch 'ne zweite Tracht Prügel verabfolgen würde, ohne erst abzuwarten, daß er sein Messer gegen einen harmlosen, unschuldigen Jungen braucht.«
»Beruhigen Sie sich nur, beruhigen Sie sich nur, Madam,« bemerkte Sedgett, den die Gewohnheit, zu Hause Schläge zu erdulden, gegen Worte außerhalb des Hauses abgestumpft hatten. »Bob Eccles hat alle Hände voll zu tun, und wer weiß, ob er nicht schon eher an die Hulks 'ran kommt, als mein Nic. Und Sie meinen, inwieweit ich für Nic verantwortlich bin?«
»Um so glücklicher für Sie, wenn Sie's nicht sind. Und, Sedgett, entweder befassen Sie sich mit Weiberkram, indem Sie herumlaufen und Neuigkeiten auskramen, wie 'n zersprungener Glockenklöppel, oder die Männer sind die allergrößten Klatschbasen, was ich glaube; denn in dem Geschäft ist Ihnen keiner über, und man darf Ihnen ja nicht mal Böses wünschen, wo man doch weiß, was Sie kriegen.«
»In aller Freundlichkeit, Madam, –« Sedgett brachte es fertig, sich ein Kompliment über seine Fähigkeit, Neues in Umlauf zu setzen, herauszuhören, »in aller Freundlichkeit! Mir können Sie doch nicht vorwerfen, daß ich das l in Ihrem Namen jemals wegließe, was? Booby = Tölpel, Einfaltspinsel. Ich möchte das nur bemerken, weil der arme Dick Boulby, Ihr beklagenswerter Mann, – ha, armer Dick! Sehen Sie, Madam, die Zähesten sind nicht immer die Langlebigsten, er sang immer: ›Ich bin 'n See-Booby‹ nach der Melodie ›Ich bin 'ne Seejungfer‹, – armer Dick, ›un' lieg' auf dem Meeresgrund‹. Er hielt sich den Kopf frei von Ihrem Kognak, aber was seine Beine betraf –
»Sie sind doch nicht böse, Madam?«
»Nicht im geringsten, Mr. Sedgett, und wenn ich Ihnen eins mit der flachen Hand versetzen sollte, so denken Sie es ja nicht!«
Sedgett warf seinen runzligen, knochigen Kopf in den Nacken und wich vom Schenktisch zurück.
Aus sicherer Entfernung rief er: »Schlechte Neuigkeiten das über Bob Eccles, daß er gestern 'nen Schlag hat einstecken müssen!«
Mrs. Boulby ließ ihre Blicke gleichmütig auf ihm ruhen, bis er sich zurückzog, dann wandte sie sich an die seines Geschlechts, die um sie herumstanden: »Was gafft ihr mich so an? Manch einem von euch Mannsleuten könnt' 'ne Tracht Prügel jeden Tag eures Lebens nicht schaden. Sedgett da würd' genau so 'n Schuft sein wie sein Sohn, wenn er nicht zu Haus sein Gehöriges kriegte!«
Das war ihre Art, auf den parthischen Pfeil zu reagieren, aber sein Widerhaken war vergiftet. Das Dorf war in fieberhafter Erregung über Robert, und die Behauptung, daß er einen Schlag habe einstecken müssen, rief eine beinah ebensogroße Entrüstung hervor, als wenn man verkündet hätte, eine feindliche Flotte wäre oberhalb Sandy Points gesichtet worden.
Mrs. Boulby ging in ihr Zimmer und schrieb einen Brief an Robert, welchen sie durch einen der am Schenktische Umherlungernden befördern ließ; der brachte die Nachricht zurück, drei der Herren aus Fairly hielten zu Pferde an Bauer Eccles Pforte und sprächen mit ihm. Die Angelegenheiten spitzten sich zu. Die Herren brauchten Bauer Eccles nur zu drohen, so würde er sich auf seines Sohnes Seite stellen, einerlei, ob er recht oder unrecht hätte. Am Abend zeigte sich Stephen Bilton, der Jäger, an der Tür der langen Schenkstube des Piloten und wurde seitens der zahlreichen Versammelten mit lebhaften Zurufen begrüßt.
»'n Abend, meine Herren,« sagte Stephen mit liebenswürdiger Bescheidenheit und tat, als wisse er von keinerlei Aufregung und habe gar nichts zu erzählen.
»Na, Steeve?« sagte einer, um ihn zu ermutigen.
»Was gibt's Neues über Bob?« sagte ein anderer.
Ehe Stephen noch gesprochen hatte, war es der ganzen Stube klar, daß er die allgemeine Ansicht über Robert nicht teile. Er wollte nicht verstehen, wer mit »Bob« gemeint sei. Die Fragen spielte er auf ein anderes Gebiet hinüber, zuckte dann die Achseln mit einem: »Ach, laßt uns doch 'nen ruhigen Abend haben!«
Schließlich sagte er: »Was ich von Bob Eccles weiß? Na, das läßt sich ziemlich kurz zusammenfassen, – der 's verrückt.«
»Verrückt,« schrie Warbeach.
»Das ist gelogen,« sagte Mrs. Boulby von der Tür her.
»Schön, Madam, ich lasse einer Dame ihre eig'ne Meinung.« Stephen nickte ihr zu. »Es ist kein Zweifel, daß die Doktoren das sagen werden. Ich sag' nich' bloß, was ich selber denk'. Es steht so klar da, wie großgedruckte Buchstaben in einer Zeitung. Wahnsinnig, das 's das Wort. Ich möcht' 'n Glas was Warmes, Mrs. Boulby. Wir haben 'n heiße Jagd gestern gehabt.«
»Wo habt ihr abgefangen, Steeve?« fragte eine gedrückte Stimme.
»Wir haben überhaupt nicht abgefangen: es war einer von den Strandfüchsen, er muß auf der Klippe in seinen Bau gekommen sein.« Stephen schlug sich aufs Knie. »Meiner Überzeugung nach gibt ihnen der Geruch von der See 'ne doppelte Portion Schlauheit.«
»Der dumme Kerl scheint Ihnen 'n büschen die Laune verdorben zu haben, was, Steeve?«
Der Annahme war man allgemein, dennoch hatte die Behauptung, Robert sei verrückt, etwas sehr Beunruhigendes; denn erstlich ist ein Verrückter wehrlos und, wenn er in Freiheit ist, jedermanns Feind, und andererseits sah Roberts Benehmen entschieden etwas danach aus. Der Gedanke hatte bereits wie ein Schatten einige der enthusiastischen Gemüter im Dorfe beunruhigt, und ein kurzes Schweigen bemächtigte sich aller, während welches Stephen sich daran machte, eine Pfeife zu stopfen und anzubrennen.
»Du, sag' 'mal, warum meint man denn, daß er verrückt sei?«
Der fidele Schlachter Billing sprach, aber die alte Ironie seiner unerschütterlichen Überzeugung fehlte.
»O!« Stephen begnügte sich damit, beide Ellenbogen an die Seite zu pressen.
Verschiedene Augenpaare musterten ihn prüfend. Er starrte sie seinerseits an und fing an, gemächlich seinen Rauch von sich zu blasen.
»Du solltest nicht zufällig irgendwas mit Bob gehabt haben, Steeve?«
»Ich nicht!«
Mrs. Boulby brachte selber Stephen das Glas und ließ, indem sie sich zurückzog, die Tür zu ihrem Zimmer offen.
»Warum meinst du denn, daß er verrückt ist, Stephen?«
Ein zweites »O!«, als käme es von Höhen herab, die jenseits allen Argumentierens lägen, kam wie ein Grunzen aus Stephens Kehle. Diesmal ließ er sich dazu herbei, hinzuzufügen:
»Wie weiß man denn, daß 'n Hund toll geworden ist? Na, Robert Eccles, das 'ne ganz ähnliche Sache. Wenn man einen Mann nicht nach seinem Tun beurteilen will, dann hat man ja überhaupt keine Möglichkeit, über ihn ins klare zu kommen. Er kommt und fällt Herren an und schwört, er wird beibleiben, es zu tun.«
»Schön, und was beweist das?« sagte der fidele Schlachter Billing.
Mr. William Moody, ein Schiffszimmermann, ein leberleidend aussehender Bürger übernahm die Antwort.
»Was beweist das? Was beweist es, wenn man 'nen Seekadetten mit 'm Kopf im Heringsfaß findet? Es beweist, daß sein Kopf schmal war, und der and're Teil des Körpers rundlicher.«
Dies Bild erschien kräftig, aber nicht sonderlich beweisführend, und es wurde nichts weiter daraus klar, als daß Moody und zwei oder drei andere, die vor dem Bild des törichten jungen Seeoffiziers gefesselt waren, zum Feinde übergingen. Stempelte man Roberts Taten mit der Marke des Wahnwitzes, so löste das jedenfalls die Schwierigkeit am leichtesten und ersparte unnützes Kopfzerbrechen. Mittlerweile hatte Stephen sein Glas ausgetrunken, und die Wirkung davon war ersichtlich.
»Den Teufel auch!« rief er aus, »ich sag' ja nicht, daß er verdient erschossen zu werden. Und es ist ja möglich, daß ihm Unrecht geschehen ist. In dem Fall soll er fechten. Und das sag' ich auch, der Herr soll ihm Genugtuung geben.«
»Hört, hört,« riefen einige.
»Und wenn der Herr sich weigert, ihm Mann gegen Mann ehrliche Genugtuung zu geben, dann ist er eben kein anständiger Kerl, und dann braucht er auch nicht so behandelt zu werden. Was ich gegen die Sache habe, ist rein persönlich. Ich mag nicht, wenn einer 'n Spielverderber ist, und ich kann keinen verfluchten Fuchstöter leiden, der einem so bei der Jagd in die Quere kommt, wie er es tut, seit er wieder hier ist. Ich möcht' noch 'n Glas, Mrs. Boulby.«
»Aber natürlich, Stephen,« sagte Mrs. Boulby, indem sie sich über sein Glas beugte, als mache sie ihm eine Reverenz, und war so sanft mit ihm, daß die törichten unter den Burschen dachten, die gegen ihren Liebling geschleuderte Anschuldigung habe sie eingeschüchtert.
»Ich hätte noch ein paar Fragen wegen des Fuchstötens, Master Stephen,« sagte Farmer Wainsby, ein Bauer, der sich in unglücklicher Lage befand, während er den Ellbogen aufs Knie stützte, um seiner Äußerung mehr Nachdruck zu verleihen. »Da kann man immerzu und immerzu fragen. Sport, ja, das sagt man so. Alles zu seiner Zeit. Aber,« – er beschrieb mit seinem Pfeifenstiel einen Kreis und heftete ihn dann, wie aus dem Zentrum heraus, auf Stephens Brust, mit der schwierigen Frage: »Erhalten wir Diebe auf Gemeindekosten, damit sie mit 'n Stehlen beibleiben – schwarze, weiße oder braune, – einerlei, was für welche? Na also, wenn die Gemeinde das nich' haben will, verdamm' mich, was soll 'n Individibum das denn haben woll'n. Da's gar kein Grund dafür, soweit ich das einseh, un' da mögen die Herren nu' über denken, wie sie wollen: Füchse soll man hängen!«
Man wechselte allerhand bedeutsame Blicke. Im allgemeinen schienen Farmer Wainsbys Bemerkungen unenglisch, obschon man es ihm zugute hielt, da von seiner Seite hierbei besondere Interessen im Spiel waren.
»Ja, ja, das wissen wir ja alle,« sagte Stephen und sah sich wie Hilfe suchend rings im Kreise um.
»Und am Ende tun wir das ja auch,« sagte Wainsby.
»Fuchshetzen wird es noch geben, wenn Ihr Urgroßvater Ihr jüngster Sohn sein wird, Bauer, oder umgekehrt!«
»Ich wette, Ihre Kinder werden 'n ausgestopften Fuchs jagen, Mr. Steeve, in dem mehr Stroh is, a's Eingeweide.«
»Wenn das Land wär', was Ihr daraus machen möchtet,« Stephen schlug mit der Hand auf den Tisch, »da wollt' ich wahrhaftig lieber hängen, als mich noch lang' 'n Engländer nennen lassen.«
»Hört, hört, Steeve!« ertönte ein allgemeines Beifallsrufen bei diesem von ihm verkündeten konservativen Grundsatz.
»Was ich sage, ist dies: ›Fleisch und Blut über Füchse‹!«
Mit dieser Äußerung versuchte Bauer Wainsby einzulenken, aber Stephens Erwiderung: »Sind Füchse vielleicht kein Fleisch und Blut?« zeigte ihm seine Ungeschicklichkeit und, von den tumultuarischen Beifallsrufen angestachelt, fuhr Stephen fort: »Gewiß sind sie das; sie kalten Blutes töten, ist Tiermord, sicher! Was tun wir also? Wir gewähren ihnen einen freien Spielraum – einen freien Spielraum und keine Bevorzugung. Mögen sie dem Instinkt folgen, den die Natur in sie gelegt hat; weiß die alte Dame es nicht am besten? Wenn sie weg können, haben sie gewonnenes Spiel. Das 'ne offene, ehrliche Sache, ohne heimliche Kniffe dabei. Ihr mögt nun Ratten töten und eure Kaninchen, aber Füchse, die überlaßt den Vornehmen. Füchse sind Herrenvolk. Das versteht ihr nicht! Ich will doch gleich gehenkt werden, wenn sie das nicht sind! Ich mag den alten Fuchs gern leiden, und ich mag nicht, wenn man ihn mordet und schlachtet, – den soll man 'n Herrentod sterben lassen, von Herrenhänden – .«
»Und Damen,« warf der Bauer spottend ein.
Die ganze Stube war auf Stephens Seite und würde stürmisch seine Partei ergriffen haben, wenn er nicht an dem Wendepunkt seiner Periode angelangt wäre, ohne selbst dessen gewahr zu werden, und so seinem Gegner Gelegenheit geboten hätte, jenen blödsinnigen Zusatz zu machen.
»Ja, und Damen,« rief der Jäger, der jede Hilfe begierig aufgriff. »Warum nicht auch Damen? Ich hasse ein Treiben ohne irgendeine Frau. Sie nicht auch? und Sie? und Sie? Und Sie, Mrs. Boulby? Da sind Sie, und gleich hat die Stube ein besseres Ansehen, – ist's nicht so, Jungens? Hurra!«
Damit war der Anstoß zum Zutrinken gegeben, und Stephens Glas wurde im Triumph neu gefüllt, während der Bauer in tiefes Nachdenken darüber versank, daß sein verhängnisvoller Versuch, sein Argument dadurch zu stärken, daß er eine Bemerkung hinwarf, um das andere Geschlecht zu diskreditieren, dasselbe zu Fall gebracht hatte, – eine Erwägung, zu der manch einer vor ihm gekommen ist.
»Ja, armer alter Bob!« Stephen seufzte und nippte an seinem Glase. »Darin kann ich mit jedem von euch einstimmen. Es ist schlimmer für mich, ihn sehen, als für euch, von ihm hören zu müssen. Bin ich nich' immer einer von sein'n Freunden gewesen, un' hab' ich nich manches Mal gesagt, er verdiente, einer von den feinen Herren zu sein? Er hat ganz die Manieren von 'n feinen Herrn, gleich 'n Hut ab, wenn da 'n Dame dabei is', und so 'n feine Art zu sprechen. Aber was ich sag', – die Taten, darauf kommt's an, und sein Betragen, das is' 'n hundsföttisch schlechtes! Das kann man gar nicht anders nennen. Da sind zwei Mr. Blancoves, da in Fairly, Verwandte von Mrs. Lovell, – die ich mir die Freiheit nehmen will, ›Meine Schönheit‹ zu nennen, ohne sie beleidigen zu wollen – und vor die ritt Bob noch gestern hin – der eine von den Herren ist nämlich Mr. Algernon, reitet freihändig und hat 'n guten Sitz, – der andere ist Mr. Edward; aber Mr. Algernon, der 's Bob Eccles Mann – Bob reitet 'ran, gerade als wir Meister Reineckes Rute an den Sattelknopf der Dame anbinden, unten in Ditley-Marsh, und verbeugt sich vor der Dame. Un' sagt – aber er 's verrückt, total verrückt!«
Stephen griff aufs neue nach seiner Pfeife, während sich ein Lärm der Enttäuschung erhob, daß die Wände hallten und die Gläser aneinander klirrten.
»Ein bißchen mehr Zucker, Stephen?« sagte Mrs. Boulby, indem sie leichten Schrittes von der Tür herantrat.
»Danke, Ma'm, Sie sind die beste Wirtin, die je gelebt hat.«
»Is' sie auch! Aber wie war's mit Bob?« riefen ihre Gäste, – einige fragten, ob er eine Pistole bei sich gehabt hätte, oder ob er einen Stock geschwungen.
»Nich' mal 'n armseligen Zweig – das 's ja gerade der Beweis, daß er verrückt ist,« Stephen brüllte so laut, wie nur irgendeiner der anderen. »Und ich muß ihn da in den Ring hineinreiten sehen und wußte doch, was die Herren geschworen hatten, zu tun, wenn er ihnen in das Treiben 'reinkäme, und mit dem Gefühl, daß er im Unrecht war! Wahrhaftig, ich kann gar nicht so kräftig fluchen, wie ich es tun möchte, um zu sagen, wie wild ich war. Denkt euch nur mal an meine Stelle! Ich hab' doch den alten Bob lieb. Ich hab' mit ihm getrunken, ich hab' Verpflichtungen gegen ihn, seit ich 'n Jung' war, und immer weiter, ich kenn' keinen besseren in ganz England, als Bob. Und da war er und sagte zu Mr. Algernon: ›Sie wissen, weswegen ich hier bin.‹ Ich hab' niemals einen Herrn so totenblaß im ganzen Gesicht gesehen, wie er war, und dabei so rot unter den Augen, so, als wenn ihr mal gesehen habt, daß ein Kerl von Polizisten in Zivilkleidern festgenommen wird. Hui, fuhr Mr. Edwards Reitpeitsche auf Bob los.«
»Mr. Algernons,« verbesserte jemand Stephen.
»Mr. Edwards,« sag' ich doch – »seines Vetters. Und gerad' übers Gesicht. Bei Gott! Mir sauste das Blut!«
Ein Ton wie ein Peitschenhieb drückte die Gefühle der im Piloten Versammelten aus.
»Bob steckte ihn ein?«
»Was blieb ihm anders übrig, dem dummen Kerl? Er hatte ja nichts, sich zu verteidigen, als seine Hand. Sagt er: ›Das 'n jämmerliche Art, zu versuchen, mich zum Schweigen zu bringen. Ich habe mit diesem Herrn zu tun,‹ und Bob spornt sein Pferd auf Mr. Algernon, und Mrs. Lovell reitet mit aufgehobener Hand auf ihn zu, und gerad' in dem Augenblicke kommt der alte Herr, Squire Blancove von Wrexby, herangetrottet, und Bob Eccles sagt zu ihm: ›Sie hätten Ihrem Sohne was ersparen können, wenn Sie Wort gehalten hätten.‹ Es scheint, so wie Bob das sagte, daß der Squire versprochen hatte, seinen Sohn aufzusuchen und die Sache in Ordnung zu bringen. Alles, was Mrs. Lovell tun konnte, genügte kaum, um Mr. Edward zu hindern, nochmals auf Bob loszugehen. Wie 'n weißer Satan war er und sprach dabei die ganze Zeit ganz ruhig und höflich. Sagt Bob: ›Ich will's gern mit dem andern aufnehmen, wenn ich mit dem einen fertig bin,‹ und der Squire fing an, auf seinen Sohn einzureden und Mrs. Lovell auf Mr. Edward, und all die übrigen Herren um den armen, lieben, alten Bob herum, mein Blut tobte nur so, bis Bob es nicht mehr aushalten konnte und rief: › Meine Herren, ich habe ihn in meiner Macht, und ich bin still, solange ich noch die Möglichkeit sehe, daß ich ihn dazu kriege, sich wie ein Mann mit menschlichem Gefühl zu benehmen.‹ Wenn sie auf ihn losgegangen wären, – ich glaub', ich hätte ihn nicht allein stehen lassen können; Ansichten – das 's ein Ding, aber Blut, das 's 'n ander' Ding, und ich bin entfernt verwandt mit Bob; und ein Mann, der immer daran denkt, wieviel ihm seine Stelle wert ist, der verdient sie nicht. Aber Mrs. Lovell, die legte die Sache bei – eine Dame, Farmer Wainsby, mit Ihrer Erlaubnis. Das 's das Gute, wenn 'ne Dame mit beim Treiben ist. Das muß man 'ner Dame lassen!«
»Wenn sie man nich' zufällig an der ganzen Geschichte Schuld hatte,« entgegnete der Bauer mürrisch auf Stephens bedeutsames Kopfnicken hin.
»Wie ging denn die Sache aus, Stephen, mein Jung'?« sagte Schlachter Billing in einem Tone, als wollte er sagen: »Laß ihn man reden!«
»Die Sache ging so aus, mein Jung', wie mein Glas hier – 'n heißer, starker Stoff, und auf 'm Boden Zucker. Un' ich freu' mich nich' so sehr über dies, wie ich mich über das gefreut hab'. Mein Wort darauf! Jungens, euer Wohl!« Stephen trank den letzten Rest aus.
Mrs. Boulby besorgte immer noch die Bedienung. Die Unterhaltung über die Nebenumstände war anziehender, als die nackten Tatsachen an sich, und das wieder gefüllte Glas ermunterte Stephen dazu, die Einzelheiten der aufregenden Szene noch näher auszumalen, ohne daß ihn die ungeduldige Spannung seiner Zuhörer, die zu sehr erregt waren, um die Ausschmückung zu würdigen, daran gehindert hätte. Besonders verweilte er dabei, wie Robert die Zügel hätte fallen lassen und mit den Hacken auf Algernon losgeritten wäre, wie Mrs. Lovell dann ihr Pferd in seinen Weg gedrängt hätte, und die beiden Pferde wie Meereswogen in die Höhe gestiegen wären; da hätten beide Reiter ihre Herrschaft über ihr Tier und Robert zugleich eine so ritterliche Höflichkeit gezeigt, daß die Dame ihm durch ein Neigen ihres Kopfes gedankt hätte.
»Ich lief zwischen die Hunde und tat, als wolle ich sie beruhigen und zusammenrufen,« sagte Stephen, »und hörte sie sagen – gerade ehe alles vorbei war und er zurückritt, hörte ich sie. sagen: ›Vertrauen Sie mir hierin: ich will Sie treffen.‹ Ich kann darauf schwören, daß das genau ihre Worte waren, obschon sie noch mehr sagte, noch irgend etwas von einem ›Wo‹ dazu, und dies hab' ich nicht gehört. Ja, bei Gott, alter Bob, du bist 'n glücklicher Kerl, und ich will doch gleich hängen, wenn ich nicht auch verrückt werden wollte für ein oder zwei Minuten kurzer, süßer Privatunterhaltung mit der reizendsten jungen Wittib, die die Sonne jemals beschienen hat.
»Seht ihr die Jacht auf hohem Meer.
Sie tanzet und tanzet, o!
Mein wildes Mädel, ich lieb' dich so sehr, –«
Irgend so was von ›bäumt sich, o!‹ auf ihrem Pferd, wißt ihr, oder ihr seid verdammte Narren, wenn ihr's nicht wißt. Ich hab' nie singen können, wollte, ich könnt's! Es ist die schönste Lebensfreude! Dann kann man sich doch Luft machen! Es lebe die Harmonie!«
»Bravo, bravo! nun bist du 'n ganzer Mann, Steeve! und willkomm ener und am willkommen sten, yi – yi – o!« der fidele Schlachter Billing sang es schrill heraus. »Man muß das Leben begießen. Bob Eccles soll leben, hoch und nochmals hoch! und es soll keiner sagen, daß ich nicht durch dick und dünn zu einem Freunde, wie Bob, hielte. Hoch, Jungens!«
Auf Roberts Wohl wurde mit einem donnernden: »Hoch!« getrunken und Lobpreisungen auf die Reinheit des Kognaks folgten dem allgemeinen Tumult. Mrs. Boulby nahm die dahin zielenden Komplimente entgegen.
»Kommt auf die Flut an, Madam, was?« bemerkte einer mit einem so breiten Grinsen, daß die Verschmitztheit deutlich dahinter zu lesen war.
»Ja, erst die Flut und die Ebbe dann,« sagte ein anderer.
»Manch' Fäßchen hob ich wohlgemut,
Grenzwächter, komm! Ich will dein Blut!«
Ermunternde Zurufe erfolgten: »Weiter im Text!« aber ›Der kecke Schmuggler‹ haftete leider unzureichend im Gedächtnis und schmolz, wie Steeve Bilton, dahin zusammen, seine Verse in Prosa ausklingen zu lassen, in »so etwas wie«; worob der fidele Schlachter Billing, der aus literarischem Vergnügen an ihrem Inhalt Liederbücher zu lesen pflegte, sich den Kopf kratzte und dann, als hätte er auf eine Feder gedrückt, lossang:
»Und brüllt auch das ganze Regierungspack,
Doch berg' ich mein Fäßchen von gutem
Kognak. –«
»wenn ich auch«, nahm er die Gelegenheit wahr einzuflechten, als der Chorus und eine Art Feuerwerk belangloser Reime zur Ruhe gekommen waren, »für derartigen Mumpitz nicht bin. Ehrlichkeit! – das 's der Zucker von meinem Grog.«
»Ja, ja, aber du gehst gern so bombensicher, was den Stoff, den du trinkst, betrifft, wie nur je einer,« sagte der Schiffszimmermann, dessen Auge gelblich aufblitzte während dieses sprühenden Hin und Hers von Gesang und Spaß.
»Da hast du recht, Will Moody!« gab der fidele Schlachter zu, »oder vielmehr, diesmal hast du nicht unrecht!«
»Was soll es denn heißen, daß du deiner Wirtin hier Spitzen austeilst von wegen ihres Kognaks? Hier haben wir ihn – und das ist genug – nur mißvergnügte Kerls verlangen mehr.«
»Wie ist es, Madam?« der fidele Schlachter wandte sich an sie und deutete zum Beweis auf Moodys Gesichtsfarbe.
Es war eine allgemein bekannte Fabel, daß Fäßchen des guten Kognaks bei niedrigem Wasserstande gesät und bei hohem geerntet würden, nahe beim Schleusentor des alten Wirtshausgartens »Zum Piloten«, aber es war durchaus in Mrs. Boulbys Interesse, die Fiktion aufrecht zu halten, die behauptete, ihr Kognak käme derart aus erster Quelle in ihre Wirtschaft, ohne die garstige Berührung mit Zollbeamten und panschenden Zwischenhändlern, und da zu ihres Mannes Lebzeiten derartiges vielleicht vorgekommen war und wohl gelegentlich noch vorkam, steckte sie gleichmütig den einträglichen Ruhm ein, daß ihr Kognak der beste des ganzen Distrikts sei.
»Ich bin überzeugt, Sie sind zufrieden, Mr. Billing,« sagte sie.
Der fidele Schlachter fragte, ob Will Moody zufrieden sei, und da Mr. William Moody sich für vollauf befriedigt erklärte, sagte der fidele Schlachter: »Dann bin ich auch zufrieden!« worob der Schiffszimmermann das Gelächter auf den Höhepunkt brachte, indem er erklärte, er sei durchaus nicht befriedigt und, um den Verwünschungen der Mehrzahl zu entgehen, sich dahinter verschanzte, daß er aus dem Grunde nicht befriedigt sei, weil sein Glas leer wäre, und auf die Weise Frieden mit ihnen schloß. Jedes Glas im Zimmer wurde aufs neue gefüllt.
Jetzt wurde auch den jungen Burschen die Zunge gelöst, und Dick Curtis, der vielversprechende Kricketspieler von Hampshire, rief: »Mr. Moody, Ihr Spezielles! Das 's Ihr viertes Glas, also nun fangen Sie keinen Streit mit mir an!«
»Du!« Moody flammte in galligem Zorn auf und nannte ihn dies und jenes und 'n jungen Strolch, wofür die Gesellschaft, welche mehr Auffassung für die verhängnisvolle Wahrheit in Dick Curtis' Bemerkung hatte als für seine Unverschämtheit, Mr. Moody zu einem Lied verurteilte. Er gab ihnen das:
»Manch junger Kap'tän schritt über mich hin,
Was Wunder, daß ich ein Kahlkopf bin.«
mit pointierter Bitterkeit zum besten, und die Anwesenden dankten ihm. Als sie ihn indessen aufstehen sahen, als wolle er gehen, erhob sich ein Sturm verächtlicher Entrüstung, einige sagten, er sei wohl, wie der alte Sedgett, bange vor seiner Frau, andere, daß er wie Nic Sedgett sei und sich blau getrunken hätte.
»Bist 'n Sack voll blauer Teufel, o je, o je, o je!« sang Dick, nach der Melodie: »Nun kommen bald die Campbells.«
»Nu' möcht' ich doch jeden der Anwesenden fragen,« Mr. Moody schüttelte seine Faust, »ob 'n Mann das aushalten kann? Hast du nicht gesungen,« er wandte sich an Dick Curtis, »hast du nicht in meinen Chorus hineingesungen: ›'s ist kein Wunder, zu hör'n, wie Sie schrie'n, Herr?‹ Das hast du getan!«
»Muß sich nicht Mrs. Boulbys Kognak in seinem Gesicht schämen?« Dick wandte sich an alle Anwesenden, »ich frage jeden der hier versammelten Herren!«
Anschuldigungen und Erwiderungen gingen hin und her, im Lauf des Wortgefechts nannte Dick Mr. Moody einen Freund von Nie Sedgett, und es kam zu einer Art Verhör. Es wurde bewiesen, daß Moody mit Nic Sedgett zusammen gesehen worden war, und dann fingen drei oder vier an zu behaupten, Nic Sedgett sei sehr intim mit ein paar von den Herren in Fairly – Glück hätte er ja immer. Stephen ließ durchblicken, das könne er bestätigen, er hätte gesehen, wie Mr. Algernon Blancove Nic unterwegs angehalten und mit ihm gesprochen habe.
»In dem Fall«, sagte Schlachter Billing, »wird Unheil gebraut. Hat jemals irgendwer Nic und den Teufel zusammen gesehen?«
»Ich hab' Nic und Mr. Moody zusammen stehen sehen,« sagte Dick Curtis. »Was denn? Ich konstatier' bloß 'ne Tatsache,« rief er, als Moody aufsprang, allem Anschein nach, um Händel anzufangen, wofür die Versammelten ruhig ihre Vorbereitungen machten, indem sie ihm die Stühle aus dem Weg räumten, aber der Feigling machte sich das Mißverständnis zu Nutze und gelangte, ob schon verfolgt, zur Tür.
»Da haben wir 'n Beispiel dafür, was davon kommt, daß wir keinen Präsidenten haben, seufzte der fidele Schlachter. »Nie ist einer so für den Präsidentensessel geschaffen gewesen, wie Bob Eccles, das sag' ich! Na, nun 's unser Abend unterbrochen, ich für meine Person hätt' gern 'n Morgen draus gemacht. Hört mal, da draußen! Wahrhaftig, da schneeballen sie sich!«
»Als sie zur Tür kamen, bot sich ihnen der Anblick einer weißen, stillen Erde unter funkelndem Sternenlicht, und des galligen Schiffszimmermanns und Dick Curtis', Mann gegen Mann, jeder mit einem Schneeball in der Hand. Ein kurzes Hin und Her des munteren Kampfes brachte Mr. Moody wieder zum Lachen, und alle schieden vergnügt, mit einem Abschiedsgeschoß, wo sich ihre Wege trennten.
»Dem Himmel sei Dank für das Schneien,« sagte Mrs. Boulby, »sonst möchte Gott wissen, wann ich zu Bett gekommen wäre.« Damit schloß sie die Tür des leeren Wirtshauses ab.