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Aus der Wüste Sahara, am 30. September 1869.
Leonie! Da sitze ich mitten in der Wüste Sahara, und schreibe Dir, des Boten harrend, welcher Dir einstens diese Epistel überbringen wird. Noch habe ich in dieser erbärmlichen Wüste weder, einen Briefträger, noch einen Telegraphendiener erblickt, nur Schakale umheulen mich, während ich einsam auf dem Wüstensande auf meiner Harfe spiele, und meine ermüdeten Gefährten im Schatten der Kameele schlummern. O Leonie, ich empfinde bereits die Wehmuth der Civilisationslosigkeit, und was das Langweiligste ist – ich habe in dieser lautlosen Gegend nicht einmal Völkerschaften gesunden, welchen ich edlere Empfindungen einhauchen konnte. – Meine einzige Zerstreuung sind hier die Oasen; aber, Leonie, auch selbst diese Oasen, welche ich mir stets so interessant und angenehm vorgestellt habe, sind mir schon mancheinmal schauderhaft geworden. Ach, Leonie meiner schattigen Heimath, Du kannst Dir gar nicht recht vorstellen, was es mit diesen Oasen für eine Bewandtnis; hat. Wenn man so, durch Hitze und Müdigkeit völlig melancholisch geworden, sich einem dieser grünen Fleckchen nähert, da lechzt man bereits mit langer Zunge einem Trunke Wasser entgegen. Aber den gleichen Durst, wie der europäische Vergnügungsreisende oder Missionär, empfinden auch die abscheulichsten Unthiere dieser heißesten aller Weltgegenden, und indem man sich einer der renommirteren dieser Oasen nähert, begegnet man ganzen Prozessionen von Tigern, Elephanten, Leoparden, Krokodilen, Hyänen, Löwen, Antilopen, Giraffen und Schlangen; die Lüfte sind völlig geschwärzt durch Wolken von durstigen Papageien, Geyern, Adlern, Marabauts, Straußen und Kolibris. Es ist wahr, diese reißenden Thiere – wie man sie in zoologischen Werken nennt – sind zum Glücke der Missionäre viel zu sehr mit ihrem Durste beschäftigt, um meuchlerische Gedanken zu hegen, aber dennoch gehört eine Zusammenkunft mit diesen aneinander gedrängten Bestien nicht zu den größten Annehmlichkeiten dieses Lebens; das Gebrülle, das Gekreische, das Gequicke dieser vier- und zweibeinigen Wesen macht mich jederzeit nervös. Du kannst Dir überdies den leidenden Gemüthszustand meiner Nettel vorstellen. Dieses reizbare Geschöpf wird bei diesen Reunionen der Wüstenbevölkerung völlig exaltirt. Ihre Thränen, welche seit unserer Ankunft in Wien fast beständig flossen, verdoppeln sich beim Anblicke dieser unter stillen Thränen ersehnten Oasen, und verdreifachen sich, wenn in unserer unmittelbaren Nähe die wilden Thiere, nach Löschung ihres Durstes, mit schrecklichem Gebrülle sich aufeinander und übereinander stürzen und sich nicht selten mit Haut und Haaren auffressen. Gestern erlebte ich auf einer dieser Oasen eine Scene, bei deren Reminiscenz mir noch heute die Haare zu Berg stehen. Wir zogen durch die Wüste; ich spielte auf dem Höcker meines Kameeles eine Mendelssohn'sche Nocturne auf der Harfe; mein Gefährte Müller declamirte ein Gedichtchen von Geibel, Nettel weinte leise vor sich hin, indem ihr schaudernder Blick bald auf dem Halse ihres Kameeles, bald auf dem Mohren ruhte, welcher unsere Kameele antrieb. Da zeigte sich in heiterer Ferne eine Oase; durstige Löwen und Tiger, erhitzte Gazellen und schwitzende Elephanten drängten sich heran, um sich an der lauen Fluth der nahen Quelle zu erquicken.
Wir hielten unsern Zug an, um nicht von den Füßen ungehobelter Elephanten zertreten zu werden, und ich zog, um wenigstens der Wissenschaft nützlich zu sein, meinen Reisethermometer hervor und fand, daß die Luftwärme 33 Grade im Schatten meines Kameelhalses betrug, was verhältnißmäßig kühl genannt werden durfte. Nachdem sich die Bestien vollgetrunken hatten, entfernten sie sich paarweise, nur einige der größten Exemplare blieben unter der Palme zurück. Zwei riesenhafte Löwen durchbohrten sich mit Blicken, in welchen sich der ganze Fanatismus ihrer ungezügelten Natur widerspiegelte. Einer derselben schlug mit seinem zornigen Schweife so fürchterlich herum, daß er einer neugierig lauschenden Giraffe den langen Schwanenhals wie mit einem scharfen Messer mitten durchschnitt. Um den umstürzenden Leichnam der gemordeten Giraffe erhob sich nun ein mörderischer Kampf zwischen den beiden Königen der Wüste, welcher damit endigte, daß beide todesmatte Löwen von hinten durch bissige Hyänen angefallen und endlich stückweise unter schreckbarem Geheule aufgefressen wurden.
Nach diesem gegenseitigen Erwürgen flohen die Uebriggebliebenen und wir zogen sehr agitirt in die Oase ein. Hier ließen wir uns auf dem weichen Rasen nieder und erquickten uns an einigen Datteln, welche der Mohr mittelst eines Pfeiles von dem Baume heruntergeschossen hatte.
Ich saß da, die Harfe vor mir, und sang ein deutsches Volkslied. Herr Müller wollte mir einen Blumenkranz winden – ach! er ist so unendlich galant – und suchte afrikanische Vergißmeinnichte, konnte aber keine finden. Nettel weinte still am Rande der Quelle. Dann brach ich plötzlich, meinen schmelzenden Gesang ab, ließ meine Harfe sanft verklingen und warf einen jener Blicke auf Müllern, welche so viel bedeuten. Müller kam heran und setzte sich zu meinen Füßen. Sein Blick fiel auf Netteln und auf den schlummernden Mohren. Ich wußte, daß ich verstanden war.
» Allein!« lispelte der blonde Jüngling, »und doch nicht alleene!« Ich reichte ihm stumm meine Hand; er bedeckte sie mit tausend Küssen und schwieg weiter. Müller blickte mich längere Zeit an, dann lispelte er fragend, frug er lispelnd: »Laura, Sie sind Wittwe?«
Seufzend erwiderte ich: »Ja!«
»Laura!« lispelte er weiter, »Sie haben Vermögen?«
Sanft lächelnd erwiderte ich: »Ja!«
»Laura,« lispelte er abermals weiter, »Lauretta, schönste aller vereinsamten Wittwen, hier in der Wüste Sahara, im Centralpunkte der Welt, schwöre ich Ihnen ewige Liebe! Wollen Sie meine Gemahlin werden? Arm bin ich, aber voll der uneigennützigsten Liebe!«
Leonie! Mein Herz schmolz, ich schlug einige Akkorde aus meiner Harfe an, dann ließ ich sie leiser und leiser verklingen und endlich hauchte ich ein »Ja!«
Ich bin Braut. Wer hätte es mir prophezeihen können, – in Afrika, in einer Wüste, auf einer Oase Braut zu werden? O Oase, o Oase meines häuslichen Glückes!
Müller ist so ganz comme il faut. Seine Tournüre ist so degagirt, sein Auge himmelblau, seine Größe imposant, seine Kraft enorm. O Leonie, mein Leben wird eine Oase sein und Müller mich beschützen wider alle Elephanten, Krokodile und Schlangen dieses irdischen Daseins! –
Nachdem wir uns also ein Weilchen mit dem Ausdruck vollster Liebe angeblickt hatten, fuhr mein Bräutigam fort: »Ach, Laura'chen, verlassen wir doch so bald als möglich diesen ennüyanten Welttheil! Eilen wir nach Berlin, der Hauptstadt der Intelligenz!«
»Müller meines künftigen Glückes!« lispelte ich, »sollte ich nur aus dem einzigen Grunde nach Afrika gegangen sein, um mich hier zu verloben? Nein, wir wollen der Menschheit ein Opfer bringen, ein Opfer, von dem die Jahrtausende, die Aeonen erzählen werden! Nicht so, mon petit mignon?«
Müller schnitt eine säuerliche Miene und lispelte: »Wenn Sie es denn durchaus so befehlen! Aber geben Sie mir wenigstens etwas Schriftliches und setzen Sie mich zum Beweis Ihrer Liebe zum Erben Ihrer irdischen Güter ein!«
Ich wurde jetzt indignirt. » Müller!« rief ich in einem Tone, worin sich der tiefste Schmerz meiner Seele ausdrückte.
Er aber ergriff meine Hand und drückte einen so heißen, aufrichtigen Kuß darauf, daß ich nicht mehr an seiner Leidenschaft zweifeln konnte. Ach, Leonie, in dieser öden Wüste ist mir ein Bräutigam so nothwendig! Die stille Vertraulichkeit wird mich in Hunger und Durst trösten; ich will mich liebend um Müllern ranken, wie die Weinrebe um die Ulme.
Sechs Tage später.
Diese sechs Tage waren die schreckbarsten meines Lebens, o Leonie meiner bittern Enttäuschung! Nur die Liebe hält mich noch aufrecht. Wir haben uns in der Wüste Sahara verirrt und wissen nicht, sollen wir rechts oder links gehen. Müller stieg auf jeden Sandhügel hinauf, aber sein blaues Auge sah nur Sand und Himmel. Unsere Salami ist aufgezehrt, den letzten Rest des mitgenommenen Schweizerkäses haben mir, während des Schlummers auf dem Rasen einer kleinen Oase, einige Hyänen aufgefressen, und so stehen wir am Rande des Verderbens. Es wird uns bald nichts mehr übrig bleiben, als den Mohren abzuwürgen und ihn ungesotten und ungebraten aufzuessen. Leonie! Deine sanfte Laura hegt Mordgedanken! Ach, ich wollte diese Mohren veredeln und nun bin ich gezwungen, den ersten Mohren, welcher sich mir vertrauensvoll nähert, zu essen. O Leonie meiner jugendlichen Hoffnungen, das thut mir weh! – Müller dachte zuerst an Netteln, und meinte, diese sei doch ein bischen fetter, als der Mohr, an welchem wirklich nicht viel mehr als Haut und Bein zu bemerken ist, aber dagegen empörte sich mein Patriotismus!
»Nein, mein Müller!« rief ich, »ich bin keine gewöhnliche Menschenfresserin! Ich kann meine eigenen Landsleute nicht essen, am wenigsten meine eigenen Dienstboten!«
Der nächste Tag wird entscheiden, Leonie! Verabscheue Deine Laura nicht, auch wenn sie einen halben Mohren im Magen hat.
Tags darauf.
Leonie! Wie Sonderbares muß ich Dir heute melden! Jean Paul hat doch ewig Recht, wenn er behauptet, daß Alles anders kömmt, als man erwartet. Denke Dir, meine Leonie, ich bin eine Gefangene und ertrage meine Gefangenschaft mit einer Art von verbissenem Enthusiasmus. Lasse Dir also den ganzen Hergang erzählen. Ich saß mit Müllern auf einer Oase, wohin wir uns lechzend zurückgezogen hatten. Hohe Palmen wölbten sich über uns und unser Gefolge. Die Kameele käueten zum zwanzigsten Male das Heu wieder, das sie vor 14 Tagen in Kairo gefressen hatten. Der Mohr schlief »in seines Nichts durchbohrendem Gefühle« so süß, als ob das Schwert des Damokles bereits in die Scheide gesteckt worden wäre. Nettel strickte weinend in seiner Nähe. Müller seufzte tief, zog ein kleines Messerchen aus seiner Tasche und schaute mit grassem Blicke auf das unglückliche Opfer unseres Appetits. Ich fühlte mich wie eine zweite Lady Macbeth. Ich wählte mir bereits im Geiste die schmackhafteren Stücke des Mohren aus, denn der Hunger machte mich mit jedem Augenblicke kannibalischer gesinnt. – Die Katastrophe näherte sich – wir Brautleute erhoben uns und schlichen zu dem sanft Schlummernden. Der heroische Müller erhob das Messer – – – da wirbelte in weiter Ferne Staub auf. Müller ließ das Messer sinken. Ich rankte mich um seine athletische Gestalt wie die Mimose um den Tamarindenbaum, ich schlang meine Arme fester und fester um seinen Nacken und lauschte dem Kommenden entgegen.
Der Mohr schlummerte, Nettchen weinte still vor sich hin. Der Staub kam näher und immer näher. Endlich wirbelte er wenige Schritte vor uns zum tiefblauen Himmel empor. Wir konnten bemerken, daß ein Kabylentrupp auf uns zugaloppirte. Ein halberstickter Schrei von Schmerz und Freude entfuhr meinem Innern. »Wir sind gerettet, wir sind verloren!« rief ich wie aus einem Munde. Der Augenblick war in der That entscheidend. Die Kabylen sprengten in sausendem Galopp über die Oase. Der Erste derselben packte mich im Vorüberreiten bei meinem Schwanenhalse und hob mich zu sich auf sein schnaubendes Roß. Der Zweite ergriff den staunenden Professor, der Dritte die lautschluchzende Nettel, der Vierte den schlafenden Mohren, der Fünfte, Sechste und Siebente unsere Bagage, der Achte, Neunte und Zehnte die Zügel unserer Kameele, und »hopp, hopp, hopp gings fort im sausenden Galopp, daß Roß und Reiter schnoben und Kies und Funken stoben.« Wie lange wir fortgeritten waren, weiß ich nicht. Mein Entführer war ein sehr hübscher, junger Mann mit kohlschwarzem Barte und glühenden Augen. Er steckte mir fortwährend Datteln und Feigen in den Mund und hielt mich so sanft in seinen Armen, daß ich mich bald in völliger Sicherheit fühlte und entschlummerte.
Als ich erwachte, befanden wir uns unter einem Gewühle von Menschen. Zelte waren einladend aufgeschlagen, ich sah Divane, weiche Kissen, Wasserkrüge, Reistöpfe, und fühlte mich also gleich à mon aise. Mein Kabyle hob mich von seinem stolzen Schimmel, und deutete mir mittelst verständlicher Geberdensprache an, daß wir uns auf einer Hauptoase befänden, daß er mich zur Oberkommandantin seines Harems erheben wolle und daß ich thun solle, als ob ich zu Hause wäre. Mein Bräutigam und meine Dienerschaft wurden, bis auf Nettel, minder freundlich behandelt. Nettel indeß wurde in ein anderes Zelt geführt, wo sie sich, wie sie mir später erzählte, nach und nach bei einem Gerichte Reis zu sammeln begann. Müller und der Mohr wurden mittelst eines Strickes an eine Sykomore gebunden und erhielten geräucherten Knoblauch zur Stärkung ihrer gesunkenen Lebensgeister. Ich speiste mit vielem Appetite afrikanische Coteletts mit Reis, Zuckerwerk, trank Limonade und entschlummerte darauf auf weichem Pfühle.
Sechs Tage später.
Als ich Morgens darauf erwachte, trat ich aus meinem Gezelt. Ich hatte meine Locken mit Palmenzweigen geschmückt, meine Toilette war ein reizendes Negligé, das ich meinem Reisesacke, der mir auf Befehl des Oberkabylen zugestellt worden war, entnommen; ich trat unter die versammelten Kabylen und Kabylinen und lächelte. Das gute Volk grüßte mich, als wäre ich eine ausländische Königin. Leonie, Du kennst ja meine angeborne Noblesse! Ich imponirte dem Volke der Wüste. Durch Mimik befahl ich dem nächststehenden Kabylen mir meine Harfe herbeizubringen. Ich setzte mich auf Kissen, welche ich durch mimische Bewegungen herbeibefohlen hatte. Ich präludirte, und sang hierauf den »Baccio« – ich wollte ja vor allem Andern auf das Gemüth dieses rohen, aber unverdorbenen Volkes einwirken. Man lauschte erst schweigend, dann ließ man mich allein mit meinem Oberkabylen, welcher sich zu meinen Füßen mit dem Ausdrucke der Hochachtung lagerte.
Schmachtend blickte ich auf meinen afrikanischen Ritter. An der nächsten Palme stand Müller und hatte den Strick um den Hals. Der befreite Mohr fütterte die Kameele mit Oasenheu, und Nettel saß schluchzend am Eingang eines Zeltes. Der Kabyle gab mir durch mimische Zeichen sein Wohlgefallen zu erkennen; ich bat ihn durch Mimik, den Professor loszulassen. Der Kabyle verneinte dies mimisch.
»Warum dies?« frug ich mimisch.
»Aus dem einfachen Grunde,« erwiderte der Afrikaner mimisch, »weil er mein subordinirter Sclave geworden ist und ich denselben versteigern werde. Das ist kabylischer Gebrauch.«
»O, ihr guten Götter!« drückte ich durch Mimik aus, »seid Ihr wirklich solche blutdürstende Barbaren? Habt Ihr hier auf dieser Oase noch keinen Begriff von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit? Dieser edle Jüngling ist der Sohn eines Geheimraths aus Berlin, der Hauptstadt der Intelligenz, und Du wolltest ihn um einen Spottpreis verkaufen?«
Nachdem ich mich so mimisch als möglich ausgedrückt zu haben glaubte, betrachtete ich meinen Kabylen schalkhaft lächelnd.
Der Afrikaner schien ergriffen zu sein und nickte mir ein »Ja« zu. Er erhob sich und ging nach seinem Zelte.
»O Müller!« rief ich jetzt ohne Mimik, »Du bist frei. Ich selbst will Dir den Strick abschneiden; eile so bald als möglich in die Heimath zurück und rufe ganz Europa zu meiner Befreiung auf!«
Hiermit ging ich auf Müllern zu, welcher, sobald ihm der Strick vom Halse fiel, auf das nächste Kameel sprang und ohne ein Wort zu verlieren, in sausendem Galopp durch die Wüste nach Europa zurückeilte.
Niemand hatte etwas von seiner Flucht bemerkt.
Um das Geheimniß zu bewahren, trat ich lächelnd in das Zelt des Kabylenhäuptlings und erzählte ihm durch Mimik meine Lebensgeschichte.
Zwei Tage später.
O Leonie! Dieser blutdürstende Kabylenoberst schmachtet zu meinen Füßen. Auf meine inständigste, mimische Bitte verzichtete er sogar darauf, den edlen Flüchtling Müller, meinen erkorenen Bräutigam, gerichtlich verfolgen zu lassen.
Mustapha Ali Ebn Mechmed hat viele schöne Anlagen. Ich bin mit diesem orientalischen Verehrer ganz zufrieden, auch finde ich die hiesigen oasischen Gebräuche nicht gerade widerlich.
Einstweilen habe ich mich in mein Schicksal ergeben und benütze die Zeit zu Studien orientalischer Sitten und zu wissenschaftlichen Beobachtungen. Mein Reisethermometer und meine Harfe – diese einzigen Symbole europäischer Civilisation auf afrikanischem Boden, unterstützen mich darin zumeist. Die Temperatur, meine geliebte europäische Jugendfreundin, ist, trotz des ewig himmelblauen Himmels, nicht geradezu erquickend zu nennen. Die Wärme beträgt um die Mittagsstunde 48 bis 50 Grade Reaumur, und diese Palmen gewähren höchstens für einzelne Körpertheile Schatten. Nur am späteren Abend, wenn sich die Wüstenluft bis auf 30 oder 36 Grade abgekühlt hat, verfüge ich mich aus meinem Zelte in's Freie und singe zu meiner Harfe dem afrikanischen Volkshaufen ein Mendelssohn'sches Lied ohne Worte vor. Die jüngeren Damen des Volkshaufens tanzen dann zum Tamburin recht artig, und so verfließen die Abendstunden im traulichen Kreise.
Ich versuchte bereits mehrere Male durch Mimik diese afrikanische Volksabtheilung für europäische Civilisation empfänglich zu machen, doch habe ich mich leider noch nicht recht verständlich machen können. Ich sehe erst jetzt ein, wie schwierig es ist, die Worte »Philosophie, Aesthetik, Photographie, Eisenbahn, Telegraph, Phrenologie, Geographie, Constitution, Preßfreiheit et cetera« mimisch auszudrücken.
Alle meine bisherigen Bemühungen waren erfolglos; die Eingebornen blieben stets gleichgiltig vor mir sitzen, oder blickten mich fragend mit ihren Gazellenaugen an.
O Leonie! So ein Gazellenblick ist das Schönste, was die Wüste Sahara dem Fremdlinge darbietet. Auch mein Oberkabyle hat solche Gazellenblicke, und mir wird immer so hingebend zu Muthe, wenn mein Ange sich in der schwärmerischen Nacht seiner Blicke verliert. Was sind die Augen eines mitteleuropäischen Gemeinderathes oder Gutsbesitzers, Beamten oder selbst Künstlers gegen solch' ein Kabylengazellenauge?! Leonie, Du würdest Dich in stille Wonnen auslösen!
Am 7. October 1866.
Ich setze die Fortsetzung meiner Reisebeschreibung fort. Die Temperatur erhält sich noch immer auf einigen 40 Graden um Mittag, aber mein Oberkabyle ist in den letzten Tagen merklich kühler geworden. Er scheint sogar die Absicht zu haben, einen neuen Raubzug zu unternehmen, obgleich ich ihm auf die freundschaftlichste Art mimisch zu verstehen gab, daß so ein Raubzug ein höchst unchristliches Geschäft ist. Ach, Leonie! Es schmerzt mich tief, daß mein Kabylenhaupt nicht mehr meinen Harfenklängen lauscht, daß er gegen meine mimischen Darstellungen europäischer Verhältnisse gleichgiltig geworden ist. Sanfte Melancholie überschleicht mein Innerstes, der Kern meiner Seele ist still verwundet.
Nettel ist Bonne zweier jugendlicher Kabylenfräulein geworden und geht mit denselben an kühlen Abenden auf der Oase spazieren. Sie wirft mir nur zeitweise aus der Ferne einen stummen Blick der Verzweiflung zu, da ich ihr strenge verboten, mit mir zu conversiren, um keinen Fluchtverdacht zu erregen. –
So saß ich denn heute mit meiner Harfe allein vor der Thüre meines Zeltes und gedachte in stiller Sehnsucht meines entflohenen Bräutigams Müller. Ach, wo wird der Geliebte weilen? Ich spielte eine Etüde von Schumann; Nettel ging mit ihren afrikanischen Zöglinginen um eine Palme herum spazieren. Da entstand plötzlich ein großer Tumult. Aus allen Zelten strömten Kabylenhäuptlinge; Kameele und Araberrosse wurden gesattelt und nach Verlauf von einigen Minuten sprengte die ganze männliche Bevölkerung der Oase im Galoppe davon, um einen Raubzug in Scene zu setzen. Mein Kabylenhäuptling hatte nicht einmal so viel Aufmerksamkeit für mich, mir eine Abschiedsvisite zu machen. Das finde ich doch höchst indiscret! Zorn erfüllte meine empörte Seele, ich winkte Netteln zu mir und frug, ob es noch gesattelte Kameele auf der Oase gebe.
»Ja,« versetzte der Dienstbote schluchzend, »hinter den Zelten.«
»Gut also,« versetzte ich, »packe Dein Bündel, morgen um die Mittagsstunde, wenn die Weiber schlafen, besteigen wir zwei Kameele und fliehen zurück nach Bayern.«
Nettel stillte für einige Augenblicke ihre reichströmenden Thränen und entfernte sich mit ihren Kabylenzöglinginen.
Acht Tage später.
O Leonie meines ewigen Freundschaftsbundes! Ich bin gerettet und verloren zugleich. Unsere Flucht gelang. Zwei der schnellsten Kameele trugen uns, unser Gepäck und meine Harfe mit wahrer Windeseile durch die Wüste Sahara dahin. Niemand verfolgte Deine einsame Laura, als sie zwischen Sand und Himmel gegen Norden raste. Aber dennoch bin ich verloren! Ich sitze bereits auf der siebenten Oase trostlos und rathlos. Diese Wüste ist so enorm weitläufig, und ich kenne mich nicht aus! Meine einzige Zerstreuung ist, auf mein Thermometer zu schauen, denn selbst die Harfe verklingt in dieser Wüste ungehört. Nettel's Verzweiflung ist bereits an dem höchsten Punkte weiblicher Exaltation angelangt. Auf jeder Oase tobt sie umher mit dem Ausdrucke von wahrhaft fanatischer Raserei. Wie entlegen unsere jetzigen Oasen sind, zeigt sich schon dadurch, daß sie nicht einmal von wilden Thieren besucht werden. Sie sind wahre Nullen in der Zahlenlosigkeit irdischer Oede.