Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Letzter Brief.

Marseille, 12. December 1869.

 

Cara Leonetta!

Meine geliebte Leonina, dies ist der letzte Brief Deiner geliebten Laura, denn bald, o bald, werde ich mich an Deinen schlanken Hals und um meine beiden heißgeliebten Töchterchen werfen. Laß Dir nur in Kurzem erzählen, auf welche Weise ich wieder nach Europa gekommen bin.

Plötzlich, wie durch Zauberschlag an den Rand der Wüste versetzt, zog ich, gefolgt von der weinenden Nettel, wenige Stunden später in die Hauptstadt von Aegypten wieder ein. Als ich über die Esbekieh, den englischen Garten Cairo's, ritt, stieß hinter mir Nettchen zum erstenmale auf afrikanischem Boden einen Schrei der Freude aus. Ich blickte erstaunt, aber weil viele Leute spazieren wandelten, auch schmelzend zurück und erblickte unsern alten Freund – den Professor Stangelhuber aus München. Ach, Leonie! Auf afrikanischem Boden, nachdem man wochenlang nichts als Mohren, Löwen, Beduinen, Kabylen, Vögel Sträuße und Leoparden gesehen hat, macht ein bayerischer Professor einen fast wunderbaren Eindruck. Ich stürzte mich phrenetisch von meinem Kameele herab auf den Professor Stangelhuber, unsern bescheidenen Zeichnenlehrer aus dem Pensionate. Alle Erinnerungen meiner fernen Unschuld wogten über uns zusammen, als ich ausrief: »O Stangelhuber!«

Zeichnung: A. Oberländer

Auch Stangelhuber war zur Suezeröffnung in dieses abscheuliche Land gekommen; er war erst drei Tage in Cairo und schien über unsere freudige Zusammenkunft mehr bestürzt als erfreut zu sein. So intensiv wirkt auf afrikanischem Boden die Ueberraschung. Wimmernd erzählte ich ihm meine saharische Biographie. Als ich ausgewimmert hatte, ergriff ich seinen Hals und schwor, ihn niemals zu verlassen. Er schien so ergriffen zu sein, daß er lange Zeit nicht Worte finden konnte, mir seinen ritterlichen Schutz anzubieten. Aber ich las in seinen wilden Blicken den Zorn über mein schreckliches Geschick.

Von diesem Augenblicke an verließ ich meinen guten, dicken Stangelhuber keinen Augenblick. Auch Nettel schien wie neugeboren zu sein; sie ertrug an seiner Seite selbst den Anblick eines Mohren mit Stoicismus.

Doch auf Stangelhuber schien das orientalische Leben, selbst an meiner Seite, keinen angenehmen Eindruck zu machen. Er war meist in sehr gereizter Stimmung, und da er seinem Aerger über die ägyptischen Verhältnisse endlich doch Luft machen mußte, so nannte er sogar mich eine schwärmerische Närrin und Nettchen eine dumme Gans. Aber wir waren so stillvergnügt über unsern dicken Ritter unter all' diesen afrikanischen Molchen, daß wir ihm selbst seine Grobheit durch wahrhaft biedere Anhänglichkeit und Treue vergalten. Wir blieben standhaft an seiner Seite, wenn er auch noch so ergrimmt über diese afrikanischen Verhältnisse war.

Wir reisten miteinander nach Port Said, von Port Said nach Ismailia, von Ismailia nach Suez; wir durchfuhren den Kanal hinter der Kaiserin Eugenie. Ich machte ihn auf Alles, was nur meine hin- und herflackernden Augen bemerken konnten, mit rastloser Zunge aufmerksam, auch wenn er sich mit der ganzen Kälte seines Gelehrtenthums umgürtete. Nicht selten fiel sein, durch afrikanische, von mir geschilderte Verhältnisse erzürnter, grimmiger Blick auf mich, oder auf die oft laut kreischende, agitirte Nettel. Aber ich bin eine dankbare Seele und harrte bei ihm aus, bis der Suezkanal gänzlichst eröffnet worden war. Endlich aber sagte er mir, daß er nach Oberägypten abzureisen gesonnen sei; er hätte sich bereits auf einem Nilschiffe ganz allein eingemiethet, da nur mehr ein einziger freier Platz zu haben gewesen wäre! Er besorgte indeß mit freudigster Herzlichkeit noch meine Einschiffung nach Europa. So herzlich heiter habe ich den guten Stangelhuber noch nie gesehen, als da er mir zum letztenmale beim Abschiede die Hand reichte.

Was soll ich Dir, Carissima Leonetta, über die Suezeröffnung noch schreiben? Nichts! Ich werde Dir Alles viel umständlicher mündlich erzählen. Ich füge schmerzlich lächelnd nur Eines noch bei: » Afrika ist nicht zu bessern!« Jeder Civilisator ist noch bis heutigen Tages daselbst von Eingebornen gespießt, oder von Hyänen aufgefressen worden. Daher überlasse ich diesen fernen Welttheil ruhig seinem weiteren Schicksale und freue mich schon, meine Erlebnisse allen zarten weiblichen Seelen als abschreckendes Beispiel schriftlich bekannt zu geben.

Einen Kuß der Liebe drückt auf Dich und meine unvergeßlichen Töchterchen

Deine
Laura Gruber, geborne Fischer.

Ich werde mich durch das Vaterland Johanna d'Arc's über Paris nach dem deutschen Vaterlande begeben.

O Paris! Rousseau! Voltaire! Paul de Kock! O Henri quatre!

Buchwerbung

Zeichnung: A. Oberländer


 << zurück