John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor
Die Hörigkeit der Frau (The subjection of women)
John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor

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Viertes Kapitel

Es bleibt uns jetzt noch eine Frage, die nicht minder wichtig ist als die bereits erörterten und die von denjenigen Widersachern, deren Überzeugung wir in den Hauptpunkten etwas erschüttert haben, mit um so größerer Dringlichkeit gestellt werden wird: Was haben wir von der für unsere Sitten und Einrichtungen vorgeschlagenen Veränderung Gutes zu erwarten? Würde es besser um die Menschheit stehen, wenn die Frauen frei wären? Und wenn dies nicht der Fall sein sollte, weshalb alsdann die Gemüter beunruhigen und im Namen eines abstrakten Rechtes den Versuch einer sozialen Revolution machen?

Es läßt sich kaum erwarten, daß man diese Frage in bezug auf die vorgeschlagenen Veränderungen hinsichtlich der Ehe aufwerfen werde. Die Unsittlichkeiten, Leiden und Übel aller Art, welche in unzähligen Fällen aus der Unterwerfung der einzelnen Frau unter den einzelnen Mann hervorgehen, sind viel zu schrecklich, um übersehen zu werden. Mögen gedankenlose oder unaufrichtige Personen, welche nur extreme Fälle oder solche, die in die Öffentlichkeit gelangen, zählen, vielleicht sagen, die Übel gehörten zu den Ausnahmen, aber niemand kann blind sein gegen ihre Existenz und gegen ihre Stärke in vielen Fällen. Es liegt aber auf der Hand, daß dem Mißbrauch der Gewalt nicht wirksam gesteuert werden kann, solange man die Gewalt selbst aufrechterhält. Es ist ja eine Gewalt, die nicht vorzugsweise den guten oder den zartfühlenden Männern gegeben oder geboten wird, sondern allen Männern, dem rohesten und dem verbrecherischsten. Die einzige Schranke, welche es hier gibt, ist die öffentliche Meinung; derartige Männer unterliegen aber gewöhnlich nur der Beurteilung solcher Menschen, die mit ihnen auf derselben Stufe stehen. Wenn derartige Männer das einzige menschliche Wesen, das durch das Gesetz gezwungen ist, alles von ihnen zu ertragen, nicht in rohester Weise tyrannisieren sollten, müßte die menschliche Gesellschaft bereits einen paradiesischen Zustand erlangt haben. Wir bedürften nicht länger der Strafgesetze, um die bösen Neigungen und Begierden der Menschen niederzuhalten. Astraea müßte nicht bloß zur Erde zurückgekehrt, sondern das Herz des schlechtesten Menschen müßte ihr Tempel geworden sein. Das Gesetz der Hörigkeit in der Ehe ist ein ungeheuerlicher Widerspruch, ein Hohn gegen alle Prinzipien der modernen Welt wie gegen alle Erfahrungen, durch welche diese Prinzipien langsam und mühsam erworben worden sind. Jetzt, wo die Sklaverei der Neger aufgehoben, ist es der einzige noch existierende Fall, daß ein menschliches Wesen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte der Gnade eines andern Menschen überliefert wird in der Hoffnung, dieser werde die ihm eingeräumte Macht lediglich zum Besten des ihm Unterworfenen anwenden. Die Ehe ist die einzige wirkliche Leibeigenschaft, die unser Gesetz kennt. Es gibt keine Sklaven mehr außer den Herrinnen jedes Hauses.

Nicht von dieser Seite der Angelegenheit dürfen wir daher so leicht die Frage erwarten: Cui bono? Man wird uns vielleicht sagen, das Böse werde das Gute überwiegen, aber das Gute selbst wird man ohne Widerrede zugeben. Handelt es sich dagegen um die größere Frage über die Aufhebung der auf den Frauen lastenden Beschränkungen, um ihre Gleichstellung mit den Männern hinsichtlich der bürgerlichen Rechte, um ihre Zulassung zu allen ehrenhaften Beschäftigungen, um eine sie für derartige Beschäftigungen tüchtig machende Erziehung, so werden sich viele Personen finden, denen es nicht genügt, wenn man ihnen sagt, daß diese Ungleichheit durch nichts zu rechtfertigen sei, sondern die auch noch ausdrücklich wissen wollen, welche Vorteile man von der Abschaffung dieser Ungerechtigkeit zu erwarten haben würde.

Der Vorteil, der daraus erwüchse, wäre zuvörderst der, daß die allgemeinste und einflußreichste der Verbindungen der Menschen untereinander fortan durch Gerechtigkeit statt durch Ungerechtigkeit geregelt würde. Es ist kaum möglich, durch irgendeine Erklärung oder Erläuterung den großen Gewinn, welcher der menschlichen Natur daraus erstehen würde, anschaulicher zu machen, als dies bereits durch die einfache Darlegung der Sache für jeden geschehen sein muß, der Worten einen moralischen Sinn beilegt. Alle in der Menschheit vorhandenen selbstischen Neigungen, alle Selbstvergötterung und ungerechte Selbstbevorzugung wurzeln in der gegenwärtigen Verfassung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau und ziehen ihre hauptsächlichste Nahrung aus derselben. Man stelle sich vor, was es für einen Knaben sagen will, wenn er in dem Glauben aufwächst, er stehe ohne jedes Verdienst oder jede Anstrengung von seiner Seite, gleichviel ob er der leichtsinnigste und hohlste oder der unwissendste und beschränkteste Mensch auf Gottes Erdboden sei, lediglich durch den Umstand, daß er als Mann geboren ist, dem Rechte nach über jedem Wesen, das einer ganzen Hälfte der Menschheit angehört, und unter denen sich wahrscheinlich eine oder einige finden, deren wirkliche Überlegenheit er täglich und stündlich an sich wahrzunehmen hat.

Welchen Einfluß muß solches Beispiel, solche Lehre auf den Charakter haben? Folgt ein Mann gewohnheitsmäßig in allem seinem Tun der Leitung einer Frau, so ist er entweder ein Narr, und sie denkt, daß sie nicht seinesgleichen ist und nicht seinesgleichen sein kann; und ist er kein Narr, so ist es noch schlimmer – er sieht ein, daß sie ihm überlegen ist, und ist trotzdem gesetzlich ihr Gebieter, kann von ihr Gehorsam verlangen. Kann ein solcher Zustand zur Veredlung der Menschen beitragen? Und Leute aus den gebildeten Klassen wissen oft gar nicht, wie tiefgehend die Wirkung auf eine immense Majorität männlicher Charaktere ist, weil unter gebildeten, feinfühlenden Leuten die Ungleichheit soviel wie möglich unsichtbar gemacht und vor allen Dingen den Kindern verborgen wird. Die Knaben werden zu gleichem Gehorsam gegen ihre Mutter wie gegen ihren Vater angehalten; sie dürfen ihre Schwestern nicht dominieren und sind auch nicht gewohnt, diese ihretwegen zurückgesetzt zu sehen, sondern eher das Gegenteil; kurz, die von dem ritterlichen Gefühl für die Sklaverei gemachte Kompensation ist vorherrschend, und die Sklaverei bleibt im Hintergrund. Wohlerzogene Jünglinge der bessern Stände entgehen daher in ihren Kinderjahren oft den bösen Einflüssen der Situation und lernen sie erst kennen, wenn sie erwachsen der Herrschaft der nackten Wirklichkeit verfallen. Solche Leute lassen sich nicht träumen, wie früh in einem anders erzogenen Knaben das Bewußtsein der angeborenen Überlegenheit über das Mädchen Platz greift, wie es mit ihm wächst und stärker wird, je mehr er an Stärke gewinnt, wie ein Schulknabe es dem andern einimpft, wie früh der heranwachsende Knabe sich seiner Mutter überlegen und ihr vielleicht Schonung, aber keine Achtung schuldig zu sein glaubt, und welches erhabene, sultanartige Gefühl der Überlegenheit der junge Mann endlich vor allen andern Frauen gegen die hat, welcher er die Ehre erweist, sie zur Gefährtin seines Lebens zu machen. Kann man wirklich wähnen, daß alle diese Einwirkungen für das ganze Dasein des Mannes, sowohl als Individuum wie als Mitglied der Gesellschaft, nicht von der höchsten Entscheidung sein müssen? Es ist ganz dasselbe Gefühl wie bei einem König von Gottes Gnaden, er sei durch den Umstand, auf dem Throne geboren zu sein, erhaben über alle andern Menschen, oder wie das Gefühl eines Adeligen, er sei edel, weil er adelig geboren sei. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist genau dasselbe wie zwischen dem Feudalherrn und dem Vasallen, nur daß der Vasall nicht zu so unbegrenztem Gehorsam verpflichtet war. Mag die Hörigkeit auf den Charakter der Vasallen gut oder böse gewirkt haben: Niemand kann sich der Wahrnehmung verschließen, daß der dadurch auf den Lehnsherrn geübte Einfluß ein überwiegend nachteiliger gewesen ist, mochte er zu der Einsicht gelangen, daß seine Vasallen in Wirklichkeit ihm überlegen waren, oder fühlen, daß er über Leuten, die ebenso gut waren wie er selbst, nicht infolge eigenen Verdienstes oder eigener Arbeit als Gebieter stand, sondern lediglich weil er, wie Figaro sagt, die Mühe gehabt hatte, geboren zu werden. Die Selbstvergötterung des Monarchen oder des Feudalherrn findet ihresgleichen in der des Mannes.

Wir Menschen können nicht von Kindheit an im Besitze einer unverdienten Auszeichnung aufwachsen, ohne uns damit zu brüsten. Es ist immer nur eine kleine Anzahl Auserlesener, welche Vorrechte, die sie nicht durch ihr eigenes Verdienst erworben haben und die sie als dasselbe übersteigend erkennen, mit dem Gefühl der Demut erfüllen; allen übrigen flößen sie nur Stolz ein, und zwar die schlimmste Art des Stolzes, die es gibt, der sich selbst nach zufälligen und nicht nach selbst errungenen Vorzügen schätzt. Gesellt sich zu dem Gefühle, erhaben über das ganze andere Geschlecht zu sein, die persönliche Autorität über ein Individuum desselben, wie dies in der Ehe der Fall ist, so wird die Situation, wenn sie für Männer, in deren Charakter Gewissenhaftigkeit und Liebe die stärksten Seiten sind, eine Schule der Gewissenhaftigkeit und der liebevollsten Schonung. Für Männer anderer Art bildet sie eine regulär eingerichtete Akademie oder ein Gymnasium der Arroganz und Herrschsucht, welche Eigenschaften, falls sie durch die Gewißheit des Widerstandes im Verkehr mit andern Männern, die ihresgleichen sind, auch niedergehalten werden, doch gegen alle hervorbrechen, die sich in einer Stellung befinden, in der sie gezwungen sind, sie zu dulden. Solche Männer werden sich für den unfreiwilligen Zwang, den sie sich anderwärtig auflegen mußten, an dem unglücklichen Weibe rächen.

Indem man eine den ersten Prinzipien menschlicher Gerechtigkeit widersprechende Verbindung der ganzen Existenz der Familie zugrunde legte, gab man ein Beispiel, bildete man Gesinnungen aus, die der innersten Natur der Menschen nach in einer so ausgedehnten Weise verderblich wirken mußten, daß wir nach unseren jetzigen Erfahrungen uns kaum eine Veränderung vorstellen könnten, die gleichzeitig auch eine soviel größere Verbesserung sein würde als die Abschaffung dieser Einrichtung. Alles, was Erziehung und Zivilisation getan haben und noch tun, um den Einfluß zu verwischen, welchen die Herrschaft des Gesetzes der Gewalt auf den menschlichen Charakter gehabt hat, und an seine Stelle den Einfluß der Gerechtigkeit zu setzen, wird nur auf der Oberfläche bleiben, solange man den Feind nicht in seiner Verschanzung angreift. Das Prinzip der politischen und moralischen Umgestaltung der Neuzeit ist, daß einzig und allein das Verhalten des Menschen den Grad der Achtung bestimmt, die ihm gebührt; daß nicht, was er ist, sondern was er tut, für die ihm zu zollende Würdigung maßgebend ist, und daß vor allen Dingen das Verdienst und nicht die Geburt den einzigen rechtmäßigen Anspruch auf Macht und Ansehen gibt. Würde keinem menschlichen Wesen über das andere eine Autorität eingeräumt, die nicht ihrer Natur nach temporär ist, so wäre die Gesellschaft nicht beständig am Werke, mit der einen Hand Neigungen zu pflanzen, die sie mit der andern ausrotten muß. Das Kind würde zum ersten Male, solange die Menschheit besteht, durch die Erziehung auf den Weg gewiesen, den es gehen soll, und es wäre die Hoffnung vorhanden, daß es als Mann nicht davon abweichen werde. Solange jedoch das Recht des Starken, über den Schwächern zu herrschen, noch im Herzen der Gesellschaft in vollster Kraft aufrechterhalten wird, bleibt jeder Versuch, das gleiche Recht des Schwächern zum Prinzip ihrer äußern Handlungen zu machen, immer eine Sisyphusarbeit; denn das Gesetz der Gerechtigkeit, das zugleich das des Christentums ist, kann die innersten Gesinnungen der Menschen nicht durchdringen, und sie werden gegen dasselbe arbeiten, selbst wenn sie sich ihm beugen.

Ein anderer großer Vorteil, der zu erwarten stünde, wenn den Frauen der freie Gebrauch ihrer Fähigkeiten gewährt würde, indem man ihnen die ungehinderte Wahl ihres Berufes überließe und ihnen dasselbe Feld der Tätigkeit und dieselben Preise und Ermutigungen wie den Männern öffnete, würde die Verdopplung der dem Dienst der Menschheit zu Gebote stehenden Summe der Intelligenz sein. Wo jetzt eine Person imstande ist, der Menschheit zu nützen und ihre allgemeine Entwicklung als öffentlicher Lehrer oder als Vorsteher und Leiter irgendeines Zweiges der öffentlichen oder sozialen Angelegenheiten zu fördern, würde künftig die Chance vorhanden sein, deren zwei zu haben. Geistige Bedeutendheit ist gegenwärtig in allen Zweigen so sehr unter dem Bedarf vorhanden, daß der Verlust, welcher der Welt zugefügt wird, indem man sich weigert, die eine Hälfte der Talente, die sie besitzt, nutzbar machen zu lassen, sehr schwer ins Gewicht fällt. Geben wir zu, daß diese Summe geistiger Kraft nicht ganz und gar verlorengeht. Ein großer Teile davon findet in der häuslichen Tätigkeit und in den wenigen andern den Frauen offenstehenden Beschäftigungen Anwendung und wird darin stets Anwendung finden, und ein anderer stiftet indirekt Gutes durch den persönlichen Einfluß, den in vielen einzelnen Fällen bestimmte Frauen auf bestimmte Männer ausüben. Diese letzteren Vorteile sind jedoch immer nur sehr teilweise, ihre Ausdehnung ist äußerst begrenzt, und wenn man sie auch von der einen Seite von der Summe der frischen Kraft, welche der Gesellschaft durch das Freigeben der einen Hälfte menschlicher Intelligenz zuströmen würde, in Abzug zu bringen hat, so muß man doch auf der andern Seite hinzurechnen, welcher große Vorteil aus dem Sporn erwüchse, den die Männer durch die Mitbewerbung der Frauen erhielten, oder bezeichnender ausgedrückt: durch die Notwendigkeit, den Vorrang vor diesen zu verdienen.

Dieser große Zuwachs zur intellektuellen Kraft des Menschengeschlechtes und zu der Summe der für die gute Führung ihrer Angelegenheiten verfügbaren Geschicklichkeit wäre teilweise zu erreichen durch die bessere und vollkommenere geistige Erziehung des weiblichen Geschlechtes, welches alsdann mit der geistigen Entwicklung des männlichen Geschlechts gleichen Schritt halten würde. Die Frauen würden im allgemeinen erzogen werden zu der gleichen Fähigkeit und dem gleichen Verständnis wie die Männer aus derselben Gesellschaftsklasse: für Geschäfte, öffentliche Angelegenheiten und höhere wissenschaftliche Studien, hingegen die kleinere Zahl Auserwählter des einen wie des andern Geschlechtes, die nicht nur geschickt wären, die Gedanken anderer zu verstehen, sondern selbst zu denken oder selbst etwas Tüchtiges zu tun, würde, gleichviel ob Mann oder Frau, es in gleicher Weise leicht finden, ihre Talente auszubilden und zu vervollkommnen. Die Erweiterung der Sphäre weiblicher Tätigkeit wirkte in dieser Weise dadurch Gutes, daß sie die Erziehung der Frauen zu dem Niveau derjenigen erhöbe, welche den Männern zuteil wird, und es jenen möglich machte, an allen Fortschritten dieser zu partizipieren. Unabhängig davon würde aber das Niederreißen der Schranken an und für sich schon eine erziehliche Wirkung vom höchsten Werte haben. Schon das bloße Abschütteln der Idee, daß alle größeren Ziele des Denkens und Handelns, alle Dinge, welche der Gemeinsamkeit angehören und nicht lediglich Privatinteressen sind, nur die Männer angehen und daß man Frauen davon zurückzuhalten habe – indem man ihnen die meisten verbietet und sie in den wenigen, die man ihnen erlaubt, kalt und vornehm duldet –, schon das Bewußtsein, das die Frau erfüllen würde, ein Mensch gleich allen Menschen zu sein; die Berechtigung zu haben, sich ihre Lebenszwecke selbst zu wählen; durch dieselben Beweggründe wie jeder andere getrieben und veranlaßt zu sein, sich für das zu interessieren, was menschliche Wesen interessiert; das Recht zu besitzen, denjenigen Teil des Einflusses auf alle die Menschheit betreffenden Angelegenheiten, welche im Bereiche der individuellen Meinung liegen, auszuüben, mag sie nun tätigen Anteil daran nehmen oder nicht – dies allein würde schon die geistigen Anlagen der Frauen in ganz immenser Weise erweitern und einen nicht minder wichtigen Einfluß auf den Standpunkt ihrer moralischen Gesinnungen und Gefühle ausüben.

Außer der bedeutenden Vermehrung des für die Besorgung und Wahrnehmung der Angelegenheiten der Menschheit zur Verfügung stehenden individuellen Talentes, von dem gegenwärtig ganz gewiß nicht ein solcher Vorrat vorhanden ist, daß man die eine Hälfte dessen, was die Natur davon bietet, ungenützt beiseite liegen lassen dürfte, würde auch die Meinung der Frauen alsdann einen viel mehr segensreicheren als größeren Einfluß auf die Hauptsumme des menschlichen Glaubens und der menschlichen Empfindungen ausüben. Ich sage, einen viel mehr segensreichem als größern Einfluß, denn der Einfluß der Frauen auf die allgemeinen Ansichten ist immer, oder doch wenigstens seit der frühesten Periode, ein sehr beträchtlicher gewesen. Der Einfluß der Mütter auf die erste Charakterbildung der Söhne und der Wunsch der jungen Leute, sich jungen Frauen gut zu empfehlen, sind in allen Zeiten sehr wichtige Faktoren für diese Charakterbildung gewesen und haben wichtige Momente im Fortschritt der Zivilisation bestimmt. Selbst im Zeitalter Homers wird αιδώς vor den τρωάδας ελκεσιπέπλους als ein mächtiges Motiv der Handlungsweise des großen Hektor anerkannt. Der moralische Einfluß der Frauen ist in zwiefacher Weise zur Erscheinung gekommen. Zuvörderst war er besänftigend. Diejenigen, welche am meisten der Gefahr ausgesetzt waren, Opfer der Gewalt zu werden, mußten ganz natürlich bestrebt sein, alles, was in ihrer Macht stand, zu tun, deren Sphäre zu begrenzen und ihre Exzesse zu mildern. Diejenigen, welche in der Kunst des Fechtens nicht erfahren waren, mußten ganz natürlich geneigt sein, jeder andern Art, Streitigkeiten zum Austrag zu bringen, den Vorzug zu geben. Im allgemeinen sind immer diejenigen, welche am meisten von dem rücksichtslosen Gebaren selbstsüchtiger Leidenschaften gelitten haben, auch die eifrigsten Anhänger jedes Moralgesetzes gewesen, das Mittel bot, dieser Leidenschaft Zügel anzulegen. Frauen waren mächtige Werkzeuge für die Bekehrung der nordischen Eroberer zum Christentume, einem Glauben, der den Frauen soviel günstiger war als alle früheren. Man darf die Bekehrung der Angelsachsen und Franken als seit der Zeit der Gemahlinnen Ethelberts und Chlodwigs beginnend bezeichnen. Die zweite Art, in welcher der Einfluß der weiblichen Ansichten sich bemerklich gemacht, besteht darin, daß sie den Männern ein mächtiger Sporn gewesen ist für die Entwicklung derjenigen Eigenschaften, die in den Frauen selbst nicht ausgebildet wurden und die bei ihren Beschützern zu finden deshalb notwendig für sie war. Mut und kriegerische Tugenden sind zu allen Zeiten zum großen Teil aus dem Wunsche der Römer hervorgegangen, die Bewunderung der Frauen zu erregen, und dieser Sporn wirkt noch weit über diese eine Klasse hervorragender Eigenschaften hinaus, da, wie dies sich aus ihrer Stellung auch ganz natürlich erklären läßt, der beste Freipaß für die Bewunderung und Gunst der Frauen für den einzelnen Mann immer das Ansehen war, in dem er bei den andern Männern stand. Aus der Verschmelzung dieser beiden Arten des durch die Frauen geübten moralischen Einflusses entstand der Geist der Ritterlichkeit. Die Eigentümlichkeit desselben lag darin, daß er bestrebt war, das höchste Maß kriegerischer Eigenschaften mit der Pflege einer gänzlich verschiedenen Klasse von Tugenden zu vereinen – den Tugenden der Sanftheit, Großmut und Selbstverleugnung gegenüber den wehrlosen Klassen im allgemeinen und einer noch ganz besonderen Unterwürfigkeit und Anbetung gegenüber den Frauen, welche von den andern wehrlosen Klassen sich dadurch unterschieden, daß es in ihrer Macht stand, denjenigen freiwillig den höchsten Lohn zu gewähren, die geduldig um ihre Gunst warben, statt ihre Unterwerfung gewalttätig zu erzwingen. Obgleich die Ritterlichkeit in der Ausübung hinter der Theorie derselben noch weit trauriger zurückblieb, als dies schon im allgemeinen zwischen Praxis und Theorie der Fall zu sein pflegt, bleibt sie doch eins der köstlichsten Denkmäler der Sittengeschichte der Menschheit, denn sie ist ein merkwürdiges Beispiel eines von einer im höchsten Grade desorganisierten und zerfahrenen Gesellschaft gemachten übereinstimmenden und organisierten Versuchs, eine ihren sozialen Verhältnissen und Einrichtungen zum größten Vorteil gereichende moralische Idee in Umlauf zu bringen und in die Praxis überzuführen. Die Erscheinung ist um so bemerkenswerter, als sie, obgleich völlig fruchtlos in ihrem Hauptzweck, doch nichtsdestoweniger keineswegs ganz unwirksam gewesen ist, vielmehr einen sehr fühlbaren und zum größten Teile höchst wertvollen Eindruck auf die Ideen und Gefühle aller folgenden Zeiten hinterlassen hat.

Die Ritterlichkeit in ihrer idealen Gestalt ist der höchste Gipfel des Einflusses der weiblichen Empfindungen auf die moralische Veredlung des Menschengeschlechtes, und müßten die Frauen wirklich in ihrer hörigen Stellung verharren, so wäre es sehr zu beklagen, daß uns die Gesetze der Ritterlichkeit verlorengegangen sein sollten, denn sie allein wären imstande, den demoralisierenden Einfluß jener Stellung zu mildern. Die in der allgemeinen Lage der Menschheit vorgegangenen großen Veränderungen machen es jedoch unvermeidlich, ein total anderes Ideal der Sittlichkeit an die Stelle des ritterlichen Ideals zu setzen. Die Ritterlichkeit war der Versuch, moralische Elemente in einen Zustand der Gesellschaft einfließen zu lassen, wo alles, Gutes wie Böses, abhängig war von persönlicher Tapferkeit unter dem sänftigenden Einfluß individuellen Zartgefühls und persönlicher Großmut. In der modernen Gesellschaft werden alle Dinge, selbst diejenigen, welche dem Departement der militärischen Angelegenheiten angehören, nicht durch persönliche Anstrengungen, sondern durch die vereinten Operationen größerer Massen entschieden, während die Hauptbeschäftigung der Gesellschaft jetzt nicht mehr im Fechten und Kämpfen, sondern in Handel und Industrie besteht. Die Anforderungen des modernen Lebens schließen die Tugenden der Großmut so wenig aus wie die des alten, aber es beruht nicht mehr gänzlich darauf. Die hauptsächlichste Begründung des moralischen Lebens der Neuzeit muß Gerechtigkeit und Klugheit sein; die Achtung eines jeden vor den Rechten jedes andern und die Geschicklichkeit eines jeden, für sich selbst sorgen zu können. Die Ritterlichkeit tat keiner von allen Formen des Unrechts, welche die Gesellschaft durchaus ungestraft beherrschten, gesetzlichen Einhalt, sondern ermutigte nur die Mittel, welche sie zum Ausdruck des Preises und der Bewunderung wählte, einem lieber Recht als Unrecht zu tun. Das Gesetz der Sittlichkeit muß sich jedoch in Wahrheit immer auf seine Strafverordnungen stützen, auf die Macht, die es besitzt, vom Bösen zurückzuschrecken. Die Sicherheit der Gesellschaft kann nicht darauf beruhen, daß man lediglich die Ehre zum Gesetz macht, denn sie ist ein verhältnismäßig nur in wenigen starkes Motiv und übt auf manche durchaus gar keine Wirkung aus. Die moderne Gesellschaft ist imstande, in allen ihren Schichten und Verhältnissen das Böse zu unterdrücken durch eine zweckmäßige Anwendung der höhern Kraft, die ihr die Zivilisation verliehen hat, und auf diese Weise die Existenz der schwächeren Mitglieder der Gesellschaft, die nun nicht länger wehrlos sind, sondern unter dem Schutze des Gesetzes stehen, erträglich zu machen, ohne sich auf die ritterlichen Gefühle derer verlassen zu müssen, welche vermöge ihrer Stellung tyrannisieren könnten. Dem ritterlichen Charakter bleibt seine ganze Schönheit und Erhabenheit, aber das Recht der Schwachen und das allgemeine Behagen des menschlichen Lebens beruht jetzt auf einem viel sichereren und zuverlässigeren Halt, oder besser, es beruht darauf in jedem Lebensverhältnis mit Ausnahme des ehelichen.

Der moralische Einfluß der Frauen ist gegenwärtig in nicht geringerem Maße vorhanden, er ist jedoch nicht mehr von einem so ausgeprägten und entschiedenen Charakter, sondern verliert sich mehr in den allgemeinen Einfluß der öffentlichen Meinung. Die Gefühle der Frauen tragen sowohl durch die Sympathie, welche sie einflößen, wie durch den Wunsch der Männer, in den Augen der Frauen zu glänzen, sehr viel dazu bei, am Leben zu erhalten, was noch vom ritterlichen Ideal übriggeblieben ist, indem sie die schönen Empfindungen pflegen und die Traditionen der Tapferkeit und Großmut beibehalten. Nach diesen Seiten des Charakters ist ihr Standpunkt höher als der der Männer, in der Tugend der Gerechtigkeit ist er jedoch etwas niedriger. Hinsichtlich der Beziehungen des täglichen Lebens darf man wohl sagen, der Einfluß der Frauen sei im ganzen für die sanfteren Tugenden ermutigend, für die strengeren entmutigend, obgleich diese Schilderung nur mit allen von dem individuellen Charakter abhängigen Modifikationen angewendet werden darf. In den meisten der größeren Prüfungen, welchen die Tugend in den Vorkommnissen des menschlichen Lebens ausgesetzt wird – den Konflikten zwischen Vorteil und Grundsatz –, ist die Richtung des weiblichen Einflusses von sehr gemischtem Charakter. Ist das in Frage kommende Prinzip zufällig eins der sehr wenigen, welche ihnen durch ihre religiöse oder moralische Erziehung sehr tief eingeimpft sind, so sind sie sehr mächtige Verbündete der Tugend, und ihre Gatten und Söhne werden oft von ihnen zu Handlungen der Selbstverleugnung veranlaßt, deren sie ohne diesen Sporn niemals fähig gewesen wären.

Bei der gegenwärtigen Erziehung und Stellung der Frauen bedecken die ihnen eingeflößten moralischen Prinzipien verhältnismäßig nur einen sehr kleinen Streifen des Feldes der Tugend und sind überdies grundsätzlich negativ, indem sie wohl einzelne Handlungen verbieten, aber sich um die allgemeine Richtung der Gedanken und Zwecke wenig kümmern. Ich fürchte, es muß gesagt werden, daß Uneigennützigkeit im allgemeinen Lebensverkehr – die Verfolgung von Zwecken, welche keine Privatvorteile für die Familie versprechen – sehr selten durch den Einfluß der Frauen ermutigt und unterstützt wird. Der Tadel trifft sie jedoch nicht schwer, daß sie Zwecke nicht ermutigen, von denen den Vorteil einzusehen man sie nicht gelehrt hat und welche ihre Gatten ihnen und dem Interesse der Familie entziehen; aber die Konsequenz bleibt deshalb dieselbe: der Einfluß der Frauen ist den Tugenden des öffentlichen Lebens nicht günstig.

Seit die Sphäre ihrer Tätigkeit ein wenig erweitert ist und eine beträchtliche Anzahl von Frauen sich praktisch mit der Erreichung von Zielen beschäftigen, die außerhalb ihrer eigenen Familie und ihres Haushaltes liegen, haben die Frauen um so mehr einen gewissen Anteil an der öffentlichen Meinung. Ihr Einfluß fällt ins Gewicht bei zwei der hervorstechendsten Züge des modernen Lebens in Europa – der Abneigung gegen den Krieg und dem Hange zur Philanthropie. Es sind dies beides gewiß ganz vortreffliche Kennzeichen, aber unglücklicherweise ist der Einfluß der Frauen, wenn auch für die Ermutigung, welche er diesen Gefühlen im allgemeinen gibt, sehr wertvoll, für ihre besondere Anwendung wie für die Richtung, die er ihnen gibt, wenigstens ebenso oft schädlich wie nützlich. Im philanthropischen Bereich sind hauptsächlich die beiden Abteilungen religiöse Proselytenmacherei und Wohltätigkeit von den Frauen kultiviert. Die innere Mission ist aber nur ein anderes Wort für Verschärfung religiöser Animositäten, und die äußere Mission ist gewöhnlich ein blindes Jagen nach einem Ziel, ohne die verhängnisvollen Nachteile zu kennen oder zu beachten – verhängnisvoll sowohl für diesen als für alle andern wünschenswerten Zwecke –, welche durch die angewandten Mittel entstehen können. Bei der Ausübung der Wohltätigkeit wiederum können die dadurch hervorgebrachte augenblickliche Wirkung auf die dabei direkt beteiligten Personen und die sich daraus ergebenden endlichen Folgen für das allgemeine Gute im vollständigen Widerstreit zueinander stehen. Die Erziehung nämlich, die unsere Frauen erhalten – eine Erziehung viel mehr des Gefühls als des Verstandes –, und die ihnen durch ihr ganzes Leben eingeimpfte Gewohnheit, nur auf die augenblicklichen Wirkungen für die Personen und nicht auf die fernerliegenden Wirkungen auf Klassen und Personen zu sehen, macht sie unfähig zu erkennen und abgeneigt zuzugeben, daß irgendeine Form philanthropischer Wohltätigkeit, welche ihrem teilnehmenden Gefühl zusagt, schädliche Resultate haben könne.

Die große und fortwährend steigende Menge unwissender und kurzsichtiger Wohltätigkeit, welche die Sorge für den Unterhalt den Leuten aus den Händen nimmt und sie von den unangenehmen Folgen ihrer eigenen Handlung befreit, untergräbt recht eigentlich die Grundfesten der Selbstachtung, der Selbsthilfe, der Selbstbeherrschung, also der Hauptbedingungen des individuellen Wohlstandes und der gesellschaftlichen Tugend. Diese Vergeudung der Hilfsquellen und der wohlwollenden Gefühle, die Böses stiftet, wo sie Gutes tun will, wird unendlich durch die Beiträge der Frauen vermehrt und durch ihren Einfluß immer mehr angeregt. Wo Frauen wirklich die praktische Leitung bestimmter Aufgaben der Wohltätigkeit in der Hand haben, werden sie solche Mißgriffe allerdings nicht so leicht begehen. Es kommt zuweilen vor, daß Frauen, welche öffentliche Wohltätigkeitsanstalten verwalten, vermöge der ihnen eigentümlichen Einsicht in vorhandene Dinge und besonders durch jenes Eindringen in das Gemüt und Gefühl der Personen, mit denen sie in unmittelbare Berührung kommen, worin Frauen Männer so weit übertreffen, in der klarsten Weise den demoralisierenden Einfluß der gegebenen Almosen oder der geleisteten Hilfe erkennen und manchen Nationalökonomen über dieses Thema belehren könnten. Wie aber sollte man von Frauen, die nur ihr Geld geben und nicht Angesicht zu Angesicht mit den dadurch erzielten Wirkungen gebracht werden, erwarten, daß sie dieselben vorhersehen könnten? Wie sollte eine zum gegenwärtigen Lose der Frauen geborne und mit demselben zufriedene Frau den Wert der Selbständigkeit schätzen können? Sie ist nicht selbständig; sie hat die Selbständigkeit nicht kennengelernt; ihre Bestimmung ist, alles von andern zu empfangen, und weshalb sollte, was gut genug für sie ist, von Übel für den Armen sein? Der ihr geläufige Begriff von »Gutes empfangen« bezieht sich auf die Geschenke und Gaben von einem Höhergestellten. Sie vergißt, daß sie unfrei, daß der Arme aber frei ist, daß sie nicht gezwungen werden kann, das zu erwerben, was ihr, ohne daß sie es erworben hat, gegeben wird; daß nicht für jeden von jedem gesorgt werden kann, sondern daß es Motive geben muß, Leute zu veranlassen, für sich selbst zu sorgen, und daß die einzige Wohltätigkeit, die sich bis ans Ende als Wohltätigkeit erweist, die ist, durch welche den Leuten, sofern sie physisch dazu imstande sind, geholfen wird, sich selbst zu helfen.

Diese Erwägungen zeigen, wie nützlich der Anteil, welchen die Frauen an der Bildung der öffentlichen Meinung nehmen, zum Bessern verändert werden würde durch jene erweiterte Kenntnis der Dinge und praktischen Verkehr mit denselben, auf welche ihre Meinung influiert, die notwendigerweise die Folge ihrer politischen und sozialen Emanzipation sein würde. Aber die Verbesserungen, welchen dieselbe durch den Einfluß, den sie, jede in ihrer eigenen Familie, ausüben, hervorbringen würde, dürfte immer noch bemerkbarer sein.

Es wird oft behauptet, daß in den Klassen, welche der Versuchung am meisten ausgesetzt sind, der Mann häufig durch seine Frau und Kinder auf dem Pfade der Redlichkeit und Ehrbarkeit erhalten wird, teils durch den direkten Einfluß, den die Frau auf ihn ausübt, teils durch die Rücksicht für ihre und der Kinder Zukunft. Dies mag wahr sein und verhält sich ohne Zweifel oft so bei solchen, die mehr schwach als verdorben sind, und dieser segensreiche Einfluß würde durch die gleichen Gesetze für beide bewahrt und noch verstärkt werden; er ist nicht abhängig von der Dienstbarkeit der Frau, sondern wird im Gegenteil vermindert durch die Nichtachtung, welche die Männer der niedern Klassen in ihrem Herzen immer gegen diejenigen fühlen, die ihrer Gewalt unterworfen sind. Steigen wir jedoch die Stufenleiter der menschlichen Gesellschaft höher hinauf, so gelangen wir zu einer gänzlich verschiedenen Gattung bewegender Kräfte. Der Einfluß der Frau dient, so weit er reicht, dazu, den Mann davor zu bewahren, daß er nicht unter das Niveau der gewöhnlichen Achtung seines Standes herabsinkt, er dient aber in ebenso hohem Maße dazu, ihn zu hindern, daß er nicht darüber hinaufsteige. Die Frau ist der Beistand der gewöhnlichen öffentlichen Meinung. Ein Mann, dessen Frau an Bildung tief unter ihm steht, hat an ihr beständig einen Ballast oder, schlimmer noch, einen Hemmschuh bei jeder Regung, die er fühlt, besser zu sein, als die öffentliche Meinung von ihm verlangt.

Für jemand, der in solchen Banden schmachtet, ist es beinahe unmöglich, es zu erhabenerer Tugend zu bringen. Weicht ein Mann in den Ansichten von der großen Menge ab – sieht er Wahrheiten, die dieser noch nicht aufgedämmert sind, oder fühlt er in seinem Herzen Wahrheiten, die andere nur mit den Lippen bekennen, während er in gewissenhafterer Weise als die Mehrzahl der Menschen danach handeln will –, so ist für alle solche Gedanken und Wünsche die Ehe das schwerste, unübersteiglichste Hindernis, es sei denn, er habe das seltene Glück, eine Frau zu besitzen, die ebenso hoch wie er selbst über der gewöhnlichen Menge steht.

Denn erstens bedingt ein derartiges Handeln immer Opfer des persönlichen Vorteiles, betreffe dies nun das gesellschaftliche Ansehen oder die pekuniären Mittel, zuweilen kann auch die ganze Existenz auf dem Spiele stehen. Ein Mann mag für seine Person bereit sein, diese Opfer und Gefahren auf sich zu nehmen, aber er wird doch zögern, ehe er sie seiner Familie auferlegt. Und seine Familie bedeutet in diesem Falle soviel wie seine Frau und Tochter, denn von seinen Söhnen hofft er immer, daß sie fühlen werden, wie er fühlt, und daß sie, was er entbehren kann, in gleichem Falle ebenso willig werden zu entbehren wissen. Aber seine Tochter – ihre Heirat hängt vielleicht davon ab – und seine Frau, die nicht imstande ist, die Ziele zu begreifen und zu verstehen, für die diese Opfer gebracht werden sollen – die, wenn sie dächte, daß sie irgendein Opfer wert wären, dies nur in gutem Glauben und um seinetwillen täte –, die keinen Teil hat an dem Enthusiasmus und der Selbstbefriedigung, welche vielleicht seinen Busen schwellt, während die Dinge, die er zu opfern geneigt ist, alles in allem für sie sind! Wird da nicht der beste, der selbstloseste Mann lange Anstand nehmen, ehe er derartige Konsequenzen über sie bringt? Und steht selbst nicht der Lebensunterhalt und der Komfort des Lebens, sondern nur die gesellschaftliche Geltung auf dem Spiel, so ist die Last für sein Gewissen und Gefühl doch immer noch eine sehr schwere. Wer Frau und Kinder hat, der hat auch Dame »Man sagt« bei sich aufgenommen. Mag er auch ihren Einflüsterungen kein Gehör geben, für seine Frau haben sie eine um so größere Wichtigkeit. Der Mann selbst mag über der öffentlichen Meinung stehen oder hinreichende Entschädigung in der Meinung, die Gleichgesinnte über ihn haben, finden; aber den zu ihm gehörigen Frauen kann er keine Entschädigung bieten.

Der sich beinahe immer gleichbleibende Hang der Frau, ihren Einfluß mit dem gesellschaftlichen Ansehen in eine Waagschale zu werfen, ist den Frauen zuweilen zum Vorwurf gemacht, selbst als ein besonderer Zug von Schwäche und kindischer Unreife in ihrem Charakter hingestellt worden, und ganz gewiß mit großem Unrecht. Die Gesellschaft macht das ganze Leben der Frauen in den bessern Klassen zu einem fortgesetzten Opfer, sie verlangt von ihnen eine unnachläßliche Unterdrückung ihrer natürlichen Neigungen, und der einzige Ersatz, den sie ihnen für das, was oft den Namen Märtyrertum verdient, gewährt, ist Ansehen. Das Ansehen der Frau aber ist untrennbar mit dem ihres Mannes verbunden, und sie fühlt, daß sie, nachdem sie den vollen Preis dafür gezahlt, es für eine Sache verliert, für die sie keine Sympathien haben kann. Sie hat dem gesellschaftlichen Ansehen ihr ganzes Leben zum Opfer gebracht, und ihr Mann will dafür nicht eine Laune, ein Hirngespinst, eine Exzentrizität opfern, etwas, das von der Welt weder anerkannt noch gestattet wird und worin die Welt mit ihr übereinstimmen wird, es für eine Torheit, wo nicht für etwas Schlimmeres zu halten. Dies Dilemma ist am schwersten für jene sehr verdienstliche Klasse von Männern, die, ohne die Talente zu besitzen, welche sie befähigen, unter ihren Meinungsgenossen eine hervorragende Stellung einzunehmen, aus Überzeugung zu ihrer Meinung halten und sich durch Ehre und Gewissen gebunden fühlen, ihr zu dienen dadurch, daß sie ihren Glauben bekennen und mit ihrer Zeit, ihrer Arbeit und ihren Mitteln alles unterstützen, was zu seiner Ausbreitung unternommen wird. Der schlimmste Fall ist der, wenn solche Männer sich in einer Stellung befinden, die an und für sich ihnen weder Zutritt zu der sogenannten besten Gesellschaft gibt, noch sie davon ausschließt, sondern ihre Aufnahme lediglich von der Meinung abhängig ist, die man über sie persönlich hat, daß dagegen Geburt, Lebensgewohnheiten sowie der Umstand, daß sie sich zu einer Meinung bekennen oder einer Partei angehören, die bei denen Anstoß erregt, welche den Ton in der Gesellschaft angeben, sie aus dieser ohne Ausnahme effektiv ausschließen würde. Viele Frauen schmeicheln sich, in neun Fällen von zehn ganz irrtümlich, es würde sie und ihren Gatten nichts hindern, sich in der besten Gesellschaft ihrer Stadt oder ihrer Umgebung zu bewegen, zu der andere Leute ihrer Bekanntschaft, die ja derselben Lebensstellung wie sie angehören, freien Zutritt haben, wenn nur ihr Mann nicht unglücklicherweise ein Dissenter wäre oder in dem Rufe stünde, der radikalsten politischen Partei anzugehören. Das allein ist es, denkt sie, was Georg verhindert, ein Offizierspatent oder eine Stelle zu bekommen, einer guten Heirat für Caroline im Wege steht und ihren Mann und sie um Einladungen, vielleicht gar um Ehren bringt, zu denen sie, nach allem, was sie sieht, ebensogut berechtigt sind wie andere Leute. Ist es mit einem solchen Einflusse in jedem Hause, der entweder offen angewendet oder verdeckt und dadurch nur um so mächtiger in Bewegung gesetzt wird, ein Wunder, daß die Leute im allgemeinen in jener mittelmäßigen Respektabilität niedergehalten werden, die ein so ausgeprägtes Kennzeichen der Neuzeit geworden ist?

Es gibt noch eine andere sehr bedenkliche Seite der Wirkungen, welche durch die ungenügende Bildung der Frauen hervorgebracht wird, und zwar ebenfalls nicht direkt, sondern durch den Unterschied, der dadurch zwischen der Erziehung und dem Charakter eines Mannes und einer Frau geschaffen wird. Das Ideal der Ehe ist innige Übereinstimmung in Gedanken und Neigungen; was könnte aber einer solchen ungünstiger sein als diese Verschiedenheit des Bildungsgrades? Das Ungleichartige mag anziehen, aber nur das Gleichartige vermag festzuhalten, und von dem Verhältnis ihrer Gleichartigkeit hängt es ab, in welchem Grade Menschen einander ein glückliches Leben zu bereiten vermögen. Solange die Frauen den Männern so ungleich sind, ist es gar nicht wunderbar, daß selbstsüchtige Männer die Notwendigkeit fühlen, die unumschränkte Herrschaft in Händen zu haben, um dadurch imstande zu sein, die lebenslangen Konflikte der Neigungen in limine aufzuhalten, indem sie dieselben in der ihnen genehmen Weise scheiden. Bei gänzlich verschiedenen Leuten kann es auch keine wirkliche Übereinstimmung der Interessen geben. Sehr oft findet bei Eheleuten gerade über die höchsten Pflichten, über Gewissenssachen, eine tiefgehende Meinungsverschiedenheit statt. Ist, wo dies der Fall ist, wirklich eine Übereinstimmung in der Ehe denkbar? Und doch kommt es nicht selten vor, und gerade da, wo die Frau einen tiefen Ernst des Charakters besitzt; am häufigsten aber ist diese Erscheinung in den katholischen Ländern, wo sie in ihrer abweichenden Ansicht von der einzigen Autorität unterstützt wird, die man sie neben oder über dem Mann anzuerkennen gelehrt hat – vom Priester. Der Einfluß der Priester auf die Frauen wird von protestantischen und liberalen Schriftstellern mit jener Unverschämtheit einer Macht, die nicht gewohnt ist, sie von irgend jemand bestritten zu sehen, angegriffen, weniger deshalb, weil er an und für sich von Übel sei, sondern weil er mit der Autorität des Gatten rivalisiert und eine Empörung gegen seine Unfehlbarkeit heraufbeschwört. In England entstehen auch wohl ähnliche Differenzen, wenn eine evangelische Frau mit einem Manne andern Glaubens verheiratet ist, im allgemeinen ist aber diese Quelle der Nichtübereinstimmung doch verstopft worden, freilich nur dadurch, daß die Charaktere der Frauen zu einer solchen Nichtigkeit herabgedrückt sind, daß sie keine andere Meinung haben als die, welche der sogenannte gute Ton oder ihr Mann sie zu haben lehrt.

Es bedarf aber gar nicht einmal der Meinungsverschiedenheiten, schon stark voneinander abweichende Geschmacksrichtungen können dem Glücke des ehelichen Lebens bedeutenden Eintrag tun, und es führt, mag es auch vielleicht den Liebesneigungen der Männer einen höhern Reiz geben, doch gewiß nicht zum Glücke in der Ehe, daß man durch die Erziehung die vielleicht vorhandenen natürlichen Verschiedenheiten der Geschlechter in einer so künstlichen Weise übertreibt. Sind die Ehegatten wohlerzogen und wohlgesittete Leute, so duldet einer den Geschmack des andern; ist es denn aber ein Zustand gegenseitiger Duldung, den Leute, wenn sie in die Ehe treten, von derselben erwarten? Diese Verschiedenheit der Neigungen wird in allen entstehenden häuslichen Fragen ihre Wünsche, sofern sie dieselben nicht aus Liebe oder Pflichtgefühl unterdrücken, miteinander in Widerstreit bringen. Wie verschieden muß die Gesellschaft sein, welche die beiden Personen zu frequentieren oder bei sich zu empfangen wünschen! Jede wird das Verlangen haben, sich zu denen zu gesellen, die ihre Geschmacksrichtung teilen; Leute, die der einen zusagen, werden der andern vollkommen gleichgültig oder ihr unangenehm sein, und doch sind beide gezwungen, einen gemeinschaftlichen Verkehr zu haben, da Eheleute jetzt nicht mehr, wie zur Zeit Ludwigs XV., in verschiedenen Teilen des Hauses leben und jeder seine eigene Visitenliste haben, abgesehen davon, daß dies zu allen Zeiten nur bei einem sehr exklusiven Kreise der Fall sein konnte. Aber nicht bloß in bezug auf den Umgang wird die Verschiedenheit der Wünsche hervortreten, sie wird sich in noch ernsterer Weise bei der Erziehung der Kinder geltend machen, in denen jeder seinen Geschmack und seine Gesinnungen herausgebildet haben möchte, und es bleibt hier nur die Wahl zwischen einem Kompromiß, der beide Teile nur halb befriedigt; oder die Frau muß – und oft mit recht bittern Schmerzen – verzichten, doch wirkt alsdann, ob mit oder gegen ihre Absicht, ihr Einfluß den Zwecken des Gatten entgegen.

Es wäre natürlich die größte Torheit, wenn man annehmen wollte, diese Verschiedenheit der Gefühle und Neigungen existiere lediglich deshalb, weil die Frauen anders als die Männer erzogen werden, und daß es unter andern, nur irgend denkbaren Verhältnissen nicht auch Verschiedenheiten des Geschmackes und der Neigungen geben müsse; man wird aber dessenungeachtet mit der Behauptung nicht über das Ziel hinausschießen, daß die Verschiedenheit der Erziehung diese Verschiedenheiten unendlich vergrößert und sie ganz unvermeidlich macht. Solange man unsere Frauen so wie jetzt erzieht, werden Mann und Frau schwerlich in ihrem Geschmacke und in ihren Wünschen zu einer wirklichen Übereinstimmung gelangen können, sofern man dabei vielleicht von ganz alltäglichen Dingen absieht. Sie werden es meistens als hoffnungslos aufgeben müssen und auf den Versuch verzichten, in dem nächsten Gefährten ihres Lebens das idem velle, idem nolle zu haben, das als das Band einer Vereinigung, die in Wahrheit eine solche ist, anerkannt wird; oder wenn es dem Manne gelingt, es herbeizuführen, so geschieht es nur dadurch, daß er eine Frau wählt, die eine so vollkommene Null ist, daß sie überhaupt kein velle oder nolle hat und bereit ist, sich in alles zu schicken, was ihr von andern geheißen wird. Aber selbst diese Berechnung ist nicht so ganz untrüglich, Dummheit und Geistlosigkeit sind keineswegs eine Bürgschaft für die Unterwürfigkeit, welche man so zuversichtlich von ihr erwartet. Und wenn sie es nun wirklich wären, ist dies das Ideal der Ehe? Was bekommt der Mann in diesem Falle durch seine Heirat? – eine höhere Magd, eine Wärterin, eine Mätresse! Wenn im Gegenteil jede der beiden Personen, statt ein Nichts zu sein, ein Etwas ist, wenn sie einander lieben und sich nicht zu unähnlich sind, um den Anfang für ein inniges Zusammenleben zu machen, so wird die beiderseitige beständige Teilnahme an den gleichen Dingen, unterstützt durch ihre Sympathie, die in dem einen schlummernden Fähigkeiten wecken, sich für Dinge zu interessieren, die zuerst nur für den andern Interesse hatten; so findet eine allmähliche Assimilation der Charaktere und Geschmacksrichtungen statt, teils durch eine ganz unmerklich mit jedem vorgehende Veränderung, bei weitem mehr aber dadurch, daß jede der beiden Naturen wirklich bereichert wird, indem jede den Geschmack und die Fähigkeit der andern noch zu den ihrigen hinzubekommt. Dergleichen geschieht häufig bei zwei Freunden desselben Geschlechts, die viel miteinander verkehren, und es würde ein gewöhnlicher, wenn nicht der gewöhnlichste Fall in der Ehe sein, wenn nicht die gänzlich verschiedene Art und Weise der Erziehung beider Geschlechter das Schließen einer in der Wirklichkeit gut passenden Verbindung beinahe zu einer Unmöglichkeit machte. Ließe man darin nur eine Verbesserung eintreten, so würde, welche Verschiedenheit des individuellen Geschmackes sich alsdann noch ergeben möchte, als allgemeine Regel wenigstens, vollständige Übereinstimmung und Einigkeit in den großen Zwecken des Lebens herrschen. Wenn die beiden Personen nach großen Zielen streben und einander in allem, was sie betrifft, Hilfe und Ermutigung gewähren, so sind die geringeren Dinge, in denen ihr Geschmack voneinander abweichen mag, unwesentlich; sie haben die Grundlage für eine solide Freundschaft von dauerndem Charakter, wie sie nichts anderes zu geben vermag, und während des ganzen Lebens größere Freude durch die, welche dem andern bereitet, als die selbst genossen wird.

Ich habe bisher die Wirkungen in Erwägung gezogen, welche die Ungleichheit zwischen Mann und Frau auf die Freuden und das Behagen des ehelichen Lebens ausübt; diese üblen Wirkungen werden aber noch bedeutend vermehrt, wenn die Ungleichheit Hörigkeit ist. Bloße Ungleichheit, wenn damit nur eine Verschiedenheit an und für sich gleich guter Eigenschaften ausgedrückt wird, kann zum Segen gereichen, indem sie das Mittel zur gegenseitigen Veredlung wird, und braucht daher noch kein Hindernis des Glückes zu sein. Wenn jeder wünscht und sich bestrebt, die besonderen Eigentümlichkeiten des anderen anzunehmen, so bringt die Verschiedenheit keinen Widerstreit der Interessen, sondern im Gegenteil eine größere Übereinstimmung derselben hervor und macht den einen dem andern nur teurer. Wenn aber der eine an Bildung und Wissen tief unter dem andern steht und nicht tätig bestrebt ist, mit Hilfe des andern sich zu einer gleichen Stufe mit demselben zu erheben, so kann der Einfluß, den diese Verbindung auf die Fortbildung des geistig Höherstehenden ausübt, nur ein schädlicher sein, und zwar noch weit mehr in einer ziemlich glücklichen Ehe als in einer unglücklichen. Der Höherstehende kann nicht ungestraft sich mit einem Niedrigerstehenden zusammenschließen und ihn zum einzigen nächsten Gefährten seines Lebens wählen. Jede Gemeinschaft, die nicht verbessernd auf uns wirkt, wirkt verschlechternd, und dies in um so höherem Grade, je näher und inniger sie ist. Selbst ein wahrhaft bedeutender Mann beginnt sich etwas zu vernachlässigen, wenn er gewöhnlich, wie man zu sagen pflegt, der König der Gesellschaft ist, und ein Mann, der eine weit unter ihm stehende Frau hat, ist dies in der Gesellschaft, die er am häufigsten hat, beständig. Während von der einen Seite seine Selbstbefriedigung unaufhörlich Nahrung erhält, bekommt er von der andern Seite ganz unmerklich eine Art, zu fühlen und die Dinge zu betrachten, welche einem weit niedrigeren oder beschränkteren Gesichtskreise, als er besitzt, angehört. Dieses Übel unterscheidet sich von vielen der bisher besprochenen dadurch, daß es im Steigen begriffen ist. Die Verbindung der Männer und Frauen im täglichen Leben ist enger, als sie je vorher war. Das Leben der Männer ist häuslicher geworden. Früher führten ihre Vergnügungen wie ihre gewählten Beschäftigungen sie meist in die Gesellschaft von Männern, ihre Frauen hatten nur ein Fragment ihres Lebens. Gegenwärtig hat der Fortschritt der Zivilisation und das Anathema, welches die öffentliche Meinung gegen rohe Vergnügungen und schwelgerische Gelage, wie sie sonst die Männer zu halten pflegten, ausgesprochen hat, verbunden mit den höhern Ansichten, die, das kann nicht geleugnet werden, die Neuzeit von den Pflichten der Gegenseitigkeit hegt, die den Mann an die Frau fesseln, ihn mit seinen persönlichen und geselligen Vergnügungen weit mehr auf das Haus und dessen Bewohner angewiesen, während die Erziehung durch die Art und den Grad der Bildung, die sie der Frau angedeihen läßt, sie allerdings befähigt, in gewissen Ideen und Empfindungen mehr als früher die Gefährtin des Mannes zu sein. Leider wird aber das Werk sehr unzureichend getan, und sie bleibt in den meisten Dingen hoffnungslos unwissend und dem Manne gänzlich unebenbürtig. Sein Wunsch nach einem geistigen Gedankenaustausch wird daher gewöhnlich durch einen Austausch befriedigt, bei dem er nichts lernt. An die Stelle der Gesellschaft ihm geistig Gleichstehender und Gleichstrebender, die er vielleicht aufzusuchen genötigt gewesen wäre, tritt nun eine ihn nicht fördernde und nicht anregende Unterhaltung. Wir sehen es oft genug, daß junge Männer, die zu den größten Hoffnungen berechtigten, sobald sie verheiratet sind, stehenbleiben oder vielmehr, da sie nicht vorwärts schreiten, unvermeidlich zurückgehen. Treibt die Frau den Mann nicht vorwärts, so hält sie ihn zurück. Er hört auf, sich um das zu kümmern, um was sie sich nicht kümmert, er beginnt damit, Gesellschaft die seinem frühern Streben zusagte und Bedürfnis war, nicht mehr zu suchen, und kommt dahin, sie unangenehm zu finden und zu vermeiden, weil sie ihn mit einem Gefühl der Beschämung wegen seines Abfalls erfüllt; die höhern Fähigkeiten des Herzens wie seines Geistes hören auf, tätig zu sein. Dieser Wechsel hängt eng zusammen mit den neuen selbstsüchtigen Interessen, welche die Familie in ihm erstehen läßt, und nach wenigen Jahren ist in keiner materiellen Hinsicht mehr ein Unterschied zwischen ihm und denjenigen, die nie andere Wünsche gehabt, als die sich auf die gewöhnlichen Eitelkeiten der Welt und die gewöhnlichen pekuniären Zwecke beziehen.

Ich will nicht versuchen, zu beschreiben, was die Ehe sein kann zwischen zwei Personen von gebildetem Geiste, übereinstimmend in ihren Ansichten und Zielen, zwischen denen die beste Gleichheit, die es geben kann, besteht, Ähnlichkeit der Kräfte und Fähigkeiten mit gegenseitiger Überlegenheit, so daß jeder abwechselnd sich den Luxus zu verschaffen vermag, zu dem andern emporzusehen, und abwechselnd das Vergnügen haben kann, auf dem Pfade der Entwicklung das Amt des Führenden zu übernehmen oder geführt zu werden. Denjenigen, welche es begreifen können, brauche ich es nicht zu beschreiben, denjenigen, die das nicht vermögen, würde die Beschreibung doch als der Traum eines Enthusiasten erscheinen. Aber ich behaupte aus vollster Überzeugung, dies und dies allein ist das Ideal einer Ehe, und alle Ansichten, Gebräuche und Institutionen, welche eine andere Anschauung davon begünstigen oder die Vorstellungen darüber und das darauf bezügliche Streben nach irgendeiner andern Richtung lenken, mit welchen Vorwänden sie auch heraustaffiert sein mögen, sind doch nichts als die Relikte einer primitiven Barbarei. Die moralische Regeneration der Menschheit wird in Wahrheit erst dann beginnen, wenn die Hauptgrundlage der gesellschaftlichen Beziehungen unter das Gesetz gleicher Gerechtigkeit gestellt ist und Menschen lernen, ihre stärksten Sympathien mit ihnen an Rechten wie an Bildung gleichstehenden Menschen zu kultivieren.

So weit über die Vorteile, welche der Welt daraus erwachsen würden, sobald sie aufhörte, das Geschlecht zu einem Hindernis für Privilegien und einem Kennzeichen individueller und gesellschaftlicher Unterdrückung zu machen.

Diese Vorteile würden bestehen in einer Vermehrung der Hauptsumme an Denk- und Arbeitskraft und in einer großen Verbesserung der allgemeinen Bedingungen der Verbindung zwischen Männern und Frauen. Es würde jedoch eine klägliche Darstellung der Sache sein, wollten wir den direktesten Vorteil mit Stillschweigen übergehen, nämlich den unaussprechlichen Gewinn an besonderer Glückseligkeit für die befreite Hälfte der Menschheit, den Unterschied für sie zwischen einem Leben der Unterjochung unter den Willen anderer und einem Leben vernünftiger Freiheit. Nach den ursprünglichsten Bedürfnissen an Nahrung und Kleidung ist Freiheit die erste und stärkste Notwendigkeit für die menschliche Natur. Solange die Menschen ohne Gesetz sind, hegen sie den Wunsch nach gesetzloser Freiheit; haben sie aber erst die Bedeutung der Pflicht und den Wert der Vernunft verstehen gelernt, so werden sie immer mehr geneigt sein, sich durch diese beiden im Gebrauch der Freiheit leiten und beschränken zu lassen; aber sie lieben deshalb die Freiheit nicht weniger, sie sind deshalb nicht geneigt, den Willen anderer Völker als den Ausdruck und die Auslegung dieser leitenden Prinzipien anzunehmen. Im Gegenteil, die Gemeinwesen, in welchen die Vernunft am meisten ausgebildet worden und in welchen die Idee der sozialen Pflicht am mächtigsten gewesen ist, sind diejenigen, welche die Freiheit der Tat für das Individuum am stärksten gesichert haben – die Freiheit für jeden, sein Verhalten nach seinem eigenen Pflichtgefühl und nach solchen Gesetzen und sozialen Beschränkungen zu regeln, die sein eigenes Gewissen ihm vorschreiben kann.

Um den Wert persönlicher Unabhängigkeit als ein Element des Glückes richtig zu würdigen, sollte jeder erwägen, welchen Wert er ihr als Bestandteil seines eigenen Glückes beimißt. Es ist ein unendlicher Unterschied in dem Urteil, das ein Mensch über eine Angelegenheit fällt, sobald sie ihn selbst, und dem Urteil, das er fällt, sobald sie andere Leute betrifft. Hört man andere sich darüber beklagen, daß die Freiheit ihrer Handlungen gehemmt sei, daß ihr eigener Wille keinen genügenden Einfluß auf die Regelung ihrer Angelegenheiten habe, so ist man sehr geneigt zu fragen, was denn dabei eigentlich ihr Kummer sei? Welchen positiven Schaden sie dabei erleiden? In welcher Hinsicht sie ihre Angelegenheiten gefährdet glauben? Können sie darauf keine bestimmte, genügende Antwort geben, so wendet man sich von ihnen und hält ihre Klagen für Hirngespinste von Leuten, die mit vernünftigen Zuständen niemals zufrieden sein können. Sobald man jedoch für sich selbst zu urteilen hat, nimmt man einen ganz andern Standpunkt ein. Dann fühlt man sich von der untadelhaftesten Verwaltung seiner Angelegenheiten durch einen Vormund nicht zufriedengestellt, denn der Hauptgrund zur Unzufriedenheit liegt darin, daß man selbst von der Bestimmung über sein Wohl und Wehe ausgeschlossen ist, und es erscheint nebensächlich, noch zu erörtern, ob die Verwaltung des andern eine gute oder schlechte sei. Ebenso verhält es sich mit den Völkern. Welcher Bürger eines freien Landes würde Anerbietungen Gehör schenken, die ihm für den Verzicht auf die Freiheit die beste, geschickteste Regierung in Aussicht stellten? Selbst wenn er zu glauben vermöchte, es könnte bei einem Volke, das durch einen andern als seinen Willen regiert wird, eine gute, geschickte Regierung existieren, würde nicht doch das Bewußtsein, daß sein Volk sich das eigene Geschick unter eigener moralischer Verantwortlichkeit bereitet, ihm Ersatz bieten für etwa in seinem Lande bei den Details der öffentlichen Angelegenheiten vorkommende Unebenheiten und Unvollkommenheiten? Was jeder in dieser Beziehung fühlt, das fühlen, dessen mag er versichert sein, die Frauen ebenfalls. Was je seit Herodots Zeiten bis zu den unsrigen gesagt und geschrieben worden ist über den veredelnden Einfluß einer freien Regierung, über die Frische und Elastizität, die sie allen Fähigkeiten gibt, über die größern und höhern Zwecke, die sie dem Geist und dem Herzen bietet, über den selbstloseren Geist, der das öffentliche Leben erfüllt, über das lebendigere Pflichtgefühl, das sie hervorruft, über den höheren Standpunkt, zu dem sie das Individuum in moralischer, geistiger und sozialer Hinsicht erhebt – davon ist jedes Titelchen ebenso wahr für die Frauen wie für die Männer. Sind diese Dinge kein wichtiger Teil individuellen Glückes? Jeder Mann wolle sich ins Gedächtnis zurückrufen, was er empfand, als er, dem Jünglingsalter entwachsen, frei von der Vormundschaft und Aufsicht selbst der geliebtesten und zärtlichsten Eltern, das Mannesalter mit der eigenen Verantwortlichkeit antrat. War es nicht, als sei ihm eine schwere Last abgenommen oder als sei er von hindernden, wenn auch nicht in anderer Weise schmerzhaften Banden befreit worden? Fühlte er nicht noch einmal soviel Leben in sich, fühlte er sich nicht noch einmal soviel Mensch als zuvor? Und glaubt er, daß Frauen solche Gefühle nicht haben?

Es ist aber eine auffallende Erscheinung, daß viele Männer die aus dem persönlichen Stolze entspringenden Genugtuungen und Kränkungen, obgleich sie, sobald es sie selbst betrifft, für die meisten alles in allem sind, bei andern Leuten nicht gelten lassen wollen und ihnen weniger als jedem andern menschlichen Gefühl die Berechtigung einräumen, einer Handlungsweise als Grund oder Rechtfertigung zu dienen; vielleicht deshalb, weil sie sich in ihrem eigenen Falle mit so vielen anderen Eigenschaften schmeicheln, daß sie selten wissen, welchen mächtigen Einfluß gerade diese Gefühle auf ihr Leben ausüben. Wir können uns aber versichert halten, daß ihr Einfluß auf das Leben und Fühlen der Frauen von nicht geringerer Bedeutung ist. Die Frauen sind geschult, sie in der natürlichsten und gesundesten Richtung zu unterdrücken, aber das innerste Prinzip bleibt und äußert sich in einer andern, äußern Form. Verwehrt man einem tätigen, energischen Geiste die Freiheit, so wird er nach Macht suchen; entzieht man ihm die Herrschaft über sich selbst, so wird er seine Persönlichkeit sichern, indem er andere zu beherrschen versucht. Indem man einem menschlichen Wesen keine eigene Existenz gestattet, sondern nur eine in der Abhängigkeit von andern, setzt man es einer gar zu großen Versuchung aus, andere seinen Zwecken dienstbar zu machen.

Wo man auf keine Freiheit, wohl aber auf Macht hoffen kann, wird Macht das große Ziel der menschlichen Wünsche. Diejenigen, denen andere nicht die ungestörte Leitung ihrer eigenen Angelegenheiten gönnen wollen, werden sich, wenn sie irgend können, dadurch zu entschädigen suchen, daß sie sich für ihre eigenen Zwecke wieder in die Angelegenheiten anderer mischen. Daher kommt dann die Leidenschaft der Frauen für persönliche Schönheit, Kleiderpracht und äußern Glanz und alle die Übel, die daraus in der Gestalt von Luxus und sozialer Unsittlichkeit entstehen. Die Liebe zur Macht und die Liebe zur Freiheit sind in einem ewigen Widerstreit. Wo die wenigste Freiheit ist, da ist die Leidenschaft für die Macht am brennendsten und gewissenlosesten. Der Wunsch, Macht über andere zu besitzen, kann erst dann aufhören, eine entsittlichende Wirkung auf die Menschheit auszuüben, wenn jeder Mensch persönlich imstande sein wird, ihrer entbehren zu können, und das kann nur geschehen, wo die Achtung vor der Freiheit jedes andern in seinen persönlichen Angelegenheiten ein feststehender Grundsatz ist.

Die freie Entfaltung und der freie Gebrauch der eigenen Fähigkeiten ist aber nicht nur durch das dadurch erweckte Gefühl der eigenen Würde eine Quelle individuellen Glücks, die Fesselung und Unterdrückung desselben nicht nur durch die Beeinträchtigung der eigenen Würde eine Quelle des Unglücks für menschliche Wesen, also auch für Frauen. Nächst Krankheit, Armut und Schuld ist nichts so verhängnisvoll für den freudigen Genuß des Lebens als der Mangel an einem würdigen Wirkungskreis. Frauen, welche die Sorge für eine Familie haben, besitzen einen solchen Wirkungskreis, und er genügt ihnen im allgemeinen; was aber wird aus der bedeutend anwachsenden Zahl von Frauen, die nicht Gelegenheit haben, den Beruf zu erfüllen, den man ihnen mit grausamem Hohn als ihren einzigen nennt? Was wird aus den Frauen, deren Kinder gestorben oder getrennt von ihnen sind oder die erwachsen, sich verheiratet und einen eigenen Herd gegründet haben?

Es gibt unzählige Beispiele von Männern, die nach einem tätigen Geschäftsleben sich zurückziehen mit der Berechtigung, sich nun dem Genusse der Ruhe hingeben zu dürfen, wie sie hoffen, denen aber, da es ihnen nicht möglich ist, anstelle der alten Interessen und Aufregungen neue zu finden, der Wechsel von einem Leben der Arbeit in ein Leben der Untätigkeit Langeweile, Melancholie und einen vorzeitigen Tod bringt. Jedermann findet dergleichen ganz natürlich, aber niemand denkt an den gleichen Fall, in dem sich so viele brave, pflichttreue Frauen befinden, die das, was man ihre Schuld an die Gesellschaft nennt, bezahlt haben, indem sie Söhne und Tochter tadellos erzogen, die einen Haushalt führten, solange ein Haus da war, das ihrer Sorge bedurfte; denen nun die einzige Beschäftigung, für die sie sich tüchtig gemacht hatten, abhanden gekommen ist, und die für ihren unverminderten Tätigkeitstrieb keine Verwendung mehr haben, wenn nicht vielleicht eine Tochter oder Schwiegertochter geneigt ist, zu ihren Gunsten von der Leitung ihres jungen Haushaltes abzudanken. Gewiß, ein hartes Los für das Alter derer, die sich in würdiger Weise der Pflichten entledigt haben, solange es solche Pflichten zu erfüllen gab, welche die Welt als die einzigen bezeichnet, die sie gegen die Gesellschaft haben. Für solche Frauen und für jene andern, denen eine solche Pflicht überhaupt nicht zuteil geworden ist – von welchen viele das Leben vergrämen im Bewußtsein einer verfehlten Bestimmung und einer ungenutzten Kraft, der man nicht gestattet hat, irgendwo tätig einzugreifen –, für diese sind, im allgemeinen, die einzigen Hilfsquellen Religion und Wohltätigkeit. Ihre Religion, mag sie auch eine Religion des innigsten Gefühls und der Beobachtung der äußern Gebräuche sein, kann niemals eine Religion der Tat werden, es sei denn mit Hilfe der Wohltätigkeit. Zur Wohltätigkeit sind viele Frauen von Natur wunderbar befähigt; um sie jedoch praktisch nützlich auszuüben, ja um dadurch kein Unheil zu stiften, bedarf es der Erziehung, mannigfaltiger Vorbereitung, der Kenntnis und der Denkkraft eines geschickten Administrators.

Es gibt wenig Verwaltungsposten in der Regierung, für die eine Person, die befähigt ist, Wohltaten nützlich zu verteilen, nicht geeignet wäre. In diesem wie in jedem andern Falle, vorzugsweise in dem der Kindererziehung, können die einer Frau gestatteten oder übertragenen Pflichten nicht in geeigneter Weise erfüllt werden, ohne daß sie auch zu den Pflichten erzogen wird, die sie zum großen Schaden für die Gesellschaft jetzt nicht als die ihrigen betrachten darf. Und hier möchte ich noch eine Bemerkung einflechten über die eigentümliche Weise, in welcher die Untüchtigkeit der Frauen für gewerbliche und wissenschaftliche Beschäftigung häufig von denen hingestellt wird, die es leichter finden, von dem, was ihnen nicht behagt, ein komisches Bild zu entwerfen, als Argumenten dafür entgegenzutreten. Wenn darauf hingewiesen wird, daß die exekutiven Fähigkeiten der Frauen und ihre klugen Ratschläge sich in Staatsangelegenheiten zuweilen sehr nützlich erweisen dürften, so erregen diese Spaßvögel das Gelächter der Welt, indem sie ein ergötzliches Gemälde von dem Kabinett oder dem Parlament entwerfen, in dem junge Mädchen von sechzehn bis achtzehn Jahren oder Frauen Anfang der Zwanziger sitzen, angetan, als seien sie, wie sie gehen und stehen, aus dem Ballsaal in das Haus der Gemeinen transportiert worden. Sie vergessen, daß Männer in so jungen Jahren gewöhnlich nicht ins Parlament gewählt oder zu einem wichtigen Staatsamt berufen werden. Der gesunde Menschenverstand müßte ihnen sagen, daß, wenn solche Vertrauensposten Frauen übertragen würden, dies solche wären, die keinen besondern Beruf für die Ehe fühlten, derselben eine andere Anwendung ihrer Fähigkeiten vorzögen – wie ja selbst jetzt viele Frauen einen der wenigen ihnen offenstehenden Berufszweige der Ehe vorziehen – und die besten Jahre ihrer Jugend darauf verwendet hätten, sich für die von ihnen gewählte Laufbahn vorzubereiten; oder noch häufiger wahrscheinlich Witwen und Frauen von vierzig oder fünfzig Jahren, welche die Kenntnisse vom Leben und die Fähigkeit für die Regierung, die sie in ihren Familien erlangt hätten, mit Hilfe geeigneter Studien nun auf einem größeren Felde nützlich machen könnten.

Es gibt kein Land in Europa, in dem die gescheitesten Männer nicht häufig erfahren und freimütig bekannt haben, welch hohen Wert für sie der Rat und die Hilfe einsichtsvoller Frauen für Erreichung öffentlicher wie Privatzwecke gehabt hat, und es gibt wichtige Zweige der öffentlichen Verwaltung, für die wenige Männer so geeignet sind wie solche Frauen, unter anderm die detaillierte Kontrolle der Ausgaben. Doch wir haben es jetzt nicht mit dem Bedürfnis der Gesellschaft für die Dienste der Frauen in öffentlichen Angelegenheiten zu tun, sondern mit dem öden, hoffnungslosen Leben, zu welchem eben diese Gesellschaft sie so oft verdammt, indem sie ihnen verbietet, die Fähigkeiten, die zu besitzen viele von ihnen sich bewußt sind, auf einem weiteren Felde zu üben als auf dem einen, das vielen gar nicht geöffnet ward und für andere schon wieder geschlossen ist.

Eine der wichtigsten Bedingungen für das Glück der Menschen ist, daß sie an ihrer gewöhnlichen Beschäftigung Geschmack finden. Dieses Erfordernis eines erfreulichen Lebens ist einem großen Teil der Menschheit nur sehr unvollkommen gewährt oder ganz und gar versagt, und sein Mangel macht manches Leben zu einem verfehlten, das allem Anschein nach mit allen Bedingungen ausgestattet war, um ein erfolgreiches zu werden. Wenn aber Verhältnisse, die zu bewältigen die Gesellschaft jetzt noch nicht geschickt genug ist, das Vorhandensein solcher verfehlter Existenzen oft unvermeidlich machen, so sollte die Gesellschaft sie sich doch nicht noch selbst schaffen. Die Ungerechtigkeit der Eltern, die eigene Unerfahrenheit des Jünglings oder der Mangel äußerer Gelegenheiten für einen zusagenden Beruf, während sie für einen nicht zusagenden vorhanden sind, verurteilt genug Männer, ihr Leben bei einer Beschäftigung zu verbringen, die sie widerstrebend und schlecht machen, während es andere Dinge gibt, die sie gut gemacht hätten und wobei sie glücklich gewesen wären. Den Frauen wird aber ein solches Los durch ein bestimmtes Gesetz und durch Gebräuche, die ebenfalls als Gesetz gelten, aufgezwungen. Was inmitten unaufgeklärter Gemeinwesen für manche Männer Farbe, Religion oder in dem Falle, wo es sich um ein besiegtes Land handelt, Nationalität, das ist ihr Geschlecht für alle Frauen: eine unbedingte Ausschließung von beinahe allen ehrenhaften Tätigkeitszweigen mit Ausnahme derer, die nicht von andern ausgefüllt werden können oder denen sich zu widmen andern nicht der Mühe wert scheint. Die aus Ursachen dieser Natur entstehenden Leiden erfahren gewöhnlich so wenig Sympathie, daß selbst jetzt noch wenig Personen eine Vorstellung von der Summe des Unglücks haben, das aus dem Gefühl eines verfehlten Lebens entspringt. Und diese Fälle werden immer häufiger werden, je mehr die zunehmende Kultur größere und größere Mißverhältnisse zwischen den Ideen und Fähigkeiten der Frauen einerseits und dem ihnen von der Gesellschaft gewährten Spielraum für ihre Tätigkeit andererseits schafft!

Erwägen wir die positiven Übel, welche für die für so viele Dinge untüchtig gemachte Hälfte der Menschheit aus dieser Untüchtigkeit erwachsen, erstens den Verlust der am meisten belebenden und erhebenden Art des persönlichen Genusses, und dann die Müdigkeit, die Täuschung und das tiefere Unbefriedigtsein vom Leben – so fühlt man, daß von allen Lehren, deren die Menschen für den Kampf mit den unvermeidlichen Unvollkommenheiten ihres Erdenloses bedürfen, keine notwendiger ist als die: Sie mögen sich wohl hüten, zu den Übeln, welche die Natur auferlegt, durch ihre eifersüchtigen, vorurteilsvollen Beschränkungen einer dem andern noch mehr Übel zu schaffen. Ihre törichte Furcht setzt andere und schlimmere Übel an die Stelle derer, denen sie vorbeugen wollen. Jede Beschränkung der freien Bewegung eines ihrer Mitmenschen – mit Ausnahme derer, die man für ein von ihnen verursachtes Übel zur Rechenschaft ziehen muß – trocknet pro tanto den Hauptquell der menschlichen Glückseligkeit aus und macht die Menschheit in einem sehr beträchtlichen Grade ärmer an allem, was dem einzelnen Menschen das Leben wertvoll und lebenswert erscheinen läßt.


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