Balduin Möllhausen
Westliche Fährten. Erster Band
Balduin Möllhausen

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Der versteinerte Urwald

Wird der forschende Reisende, der ein bestimmtes Ziel verfolgt, auf seinen Wanderungen in Regionen verschlagen, von welchen er weiß, daß außer vereinzelten Biberfängern kaum ein Weißer dieselben jemals betrat, dann ist er geneigt, Alles, was in den Kreis seines Wahrnehmungsvermögens tritt, mit erhöhter Theilnahme zu betrachten. Wo aber Wunderbares seiner Aufmerksamkeit begegnet, gleichviel, ob im Reiche der Vegetation, ob in der Bildung der Erdrinde oder unter den dieselbe belebenden Geschöpfen, da fühlt er sich angeregt zu neuen Arbeiten, gleichsam belohnt und entschädigt für die Mühen und Entbehrungen, nach deren Ueberwindung es ihm erst vergönnt gewesen, seine Blicke in den verborgenen Erdenwinkel zu werfen.

Es war in der Frühe des 2. December des Jahres 1853, als ich mich in Gesellschaft zweier Kameraden von unserer ExpeditionDie von der Vereinigten-Staaten-Regierung aus geschickte Expedition des Ingenieur-Lieutenants Whipple zur Erforschung eines Eisenbahnweges nach dem Stillen Ocean. trennte, um einem Rudel Antilopen jagend nachzufolgen, zugleich aber auch die Beschaffenheit einer breiten und tiefen Regenschlucht, oder vielmehr das trockene Bett des Rio-Secco kennen zu lernen, der unserm Tram den Weg gegen Westen versperrte.

Vierzehn Tage früher hatten wir die Wasserscheide der Rocky-Mountains auf dem fünfunddreißigsten Breitegrade überschritten, und nach manchem Aufenthalte bei den terrassenförmig gebauten Städten der Pueblo-Indianer waren wir endlich in die ungastliche Wildniß eingedrungen, welche wir, bis zu unserer Ankunft am stillen Ocean, von keiner freundlich lächelnden Landschaft unterbrochen finden sollten.

Hinter uns lagen die Tannen und Cedernwaldungen, welche die Höhen und Thäler des mächtigen Gebirgszuges der Rocky-Mountains anmuthig schmücken; nur noch in weiter Ferne vermochten wir südlich, östlich und nördlich die duftig verschwimmenden Forsten zu erkennen, während westlich vor uns die nackte hügelige Wüste sich unabsehbar ausdehnte und am fernen Horizonte malerische Gruppen ausgebrannter Vulkane und wunderlich geformter Felsenthürme auftauchten. Vielversprechend war dies von uns zu durchforschende Terrain nicht; seit vierundzwanzig Stunden hatten wir kein Wasser für unsere Thiere gehabt, und nach Aussage der uns begleitenden Zani-Indianer war es sehr zweifelhaft, ob wir innerhalb der nächsten zwölf Stunden auf solches stoßen würden. Zu dem Mangel des Wassers gesellte sich jetzt aber auch sehr fühlbar der Mangel an dem zum Kochen nothwendigsten Brennholz, welches nur mühsam durch dürre Talgholzstauden ersetzt werden konnte, nicht zu gedenken der Nähe der räuberischen Navahoes, von welchen wir nicht wußten, ob sie uns nicht heimlich umschwärmten und nur auf eine günstige Gelegenheit lauerten, zur nächtlichen Stunde unsere Maulthierheerde auseinander zu schrecken und mindestens mit einem Theil derselben in die fernen, labyrinthisch durcheinander laufenden Schluchten zu entfliehen.

Während also an dem eben bezeichneten Tage unser Wagenzug, nach einem geeigneten Uebergangspunkte spähend, sich in südlicher Richtung an dem aus dem Norden kommenden Rio-Secco hinwand, ritt ich mit meinen Gefährten in das tief gelegene, trockene Flußbett hinab, wo wir erst nach langem mühevollen Umherklettern auf den sandigen, durch Regengüsse vielfach gekerbten und zerrissenen Ufer-Abhängen eintrafen.

Am Fuße der letzten niedergeschwemmten Uferhügel angekommen, gewannen wir einen Ueberblick über eine kurze Strecke des Flußthales. Der Boden desselben erschien, soweit er uns sichtbar, eben, doch entdeckte man auf diesem sowohl, wie an den Uferabhängen, daß zeitweise ungeheuere Wassermassen mit vernichtender Gewalt daselbst einherschäumten, um schnell wieder zu versiegen.

Soweit das Auge reichte, war nirgends eine Spur von Vegetation wahrnehmbar; überall nackter, gelber Sand und röthliches Erdreich, der ganzen Umgebung einen überaus traurigen Charakter beängstigender Oede und Einsamkeit verleihend. Nur der Boden der Schlucht erhielt einige Abwechselung durch kleine Wasserspiegel auf Stellen, auf welchen massive Gesteinslagen das schnelle Durchsickern des bittersalzhaltigen Wassers verhindert hatten, und endlich durch zahlreiche größere und kleinere Baumstämme, welche von den reißenden Fluthen aus den nördlichen Waldungen bis hierher geführt zu sein schienen.

Ein tüchtiges Feuer gehört namentlich zur rauhen Jahreszeit mit zu den größten Annehmlichkeiten des Lagerlebens, und da wir in der Nähe des Rio-Secco zu übernachten beabsichtigen, so war der Anblick des vielen Treibholzes für uns ein überaus erfreulicher. Plaudernd ritten wir in das sandige Flußbett hinein, als plötzlich das scharfe Klingen eines Hufeisens, welches einen Holzblock berührte, uns veranlaßte, zu halten und letztern genauer zu prüfen.

Wir hatten während der letzten Tage zwar vielfach das Erdreich mit kleinen fossilen Holzstücken bestreut gefunden, auch waren wir von den uns begleitenden Eingeborenen auf den Anblick größerer Massen derselben vorbereitet worden, doch hätten wir eine Ueberraschung, wie sie uns hier bevorstand, nie für möglich gehalten. Wir glaubten unsern Augen nicht trauen zu dürfen, als wir uns so unerwartet von einem zum Theil bloßgewaschenen Urwalde umgeben sahen; der in seiner äußern Erscheinung an eine Fläche Waldland erinnerte, auf welcher, zum Zweck der Urbarmachung, die Bäume gefällt und in regelmäßige Blöcke zerschnitten worden. Stämme in allen Größen lagen ungeordnet umher, und zwischen diesen ragten hin und wieder Baumstumpfen wie stehengebliebene Wurzel-Enden aus dem Sande hervor. Einzelne Stämme erreichten bei einer entsprechenden Stärke die Länge von 60 Fuß und waren durch die eigene Schwere in genau aneinander passende, regelmäßige Blöcke zersprungen, während nicht weit davon verwitterte Trümmer Anhäufungen von Spänen und zerbrochenen Aesten glichen. Die stärksten Stämme hatten über 5 Fuß im Durchmesser; manche waren hohl und angebrannt, überall aber erkannte man deutlich die Rinde, sogar die verkohlten Theile, die Risse und Ringe, so daß man bei einem oberflächlichen Hinblick die Versteinerung hätte bezweifeln mögen. Die Farbe dieser vollständig verkieselten Holzmassen war größtenteils dunkel, doch entdeckten wir auch hin und wieder die prachtvollsten Achat- und Jaspisfarben. Namentlich da, wo einzelne Blöcke dem Einfluß des Wassers und der Atmosphäre erlegen und zerfallen waren, blitzten uns größere und kleinere Fragmente entgegen, die ein so schönes Farbengemisch zeigten, daß man sich kein geeigneteres Material zu Bildhauerarbeiten und Schmucksachen hätte wünschen können. Andere Stämme hatten wieder ihre ursprüngliche Holzfarbe behalten und sahen verwitternden Balken von Tannenholz so ähnlich, daß man sich versucht fühlte, sich durch Berührung von der wirklichen Versteinerung zu überzeugen. Vor einem heftigern Stoß zerfielen solche Baumreste in kleine Brettchen, die sich im Aeußern durch nichts von brennbaren Spänen unterschieden. Das Versteinerungsmaterial in diesem wunderbaren Urwalde besteht durchweg aus Kieselmasse, theils hornsteinartig, theils Chalcedon, selbst Jaspis, mehr oder minder durch Eisenoxyd roth gefärbt, wogegen die versteinerten Hölzer selber auffallenderweise nur den Coniferen und zwar den Abietineen angehören, zwischen welchen sich, ähnlich zerbrochenen Hirschgeweihen, die Ueberreste baumartiger Farrnkräuter vorfinden. Ueber viele Quadratmeilen fort erstreckt sich dieser versteinerte Urwald, denn obwohl wir nicht wieder auf Stellen gelangten, wo er auch nur annähernd wie im Rio-Secco zu Tage trat, sahen wir doch noch lange nachher und in der Entfernung von fünf bis sechs Tagereisen von jenem Punkte, die den unfruchtbaren Boden bedeckenden Kiesel vielfach mit den schönen farbigen Steinchen untermischt, welche wir leicht als Fragmente der uns nicht fremden Versteinerungen erkannten.

Von den merkwürdigsten dieser fossilen Baumstämme sammelten wir Proben und bedauerten nur, daß unsere Transportmittel nicht gestatteten, Exemplare mit heim zu nehmen, die nicht nur die Verschiedenheit der Versteinerungen in ihrem grellen Farbenspiel zeigten, sondern auch die Dimensionen der Blöcke berechnen ließen und veranschaulichten.

Fortwährend zwischen vorweltlichen Waldtrümmern einherreitend, versuchten wir dem Bette des Rio-Secco südlich zu folgen; wir mußten unser Vorhaben indessen bald aufgeben, indem Erd- und Steinmassen, durch die Gewalt des Wassers chaotisch durcheinander geschleudert, zusammen mit tief aufgewühlten Spalten den Boden vor uns zu unwegsam machten. Mit Mühe gelangten wir aus dem wilden Thale wieder aufs hohe Ufer, wo wir den Spuren unserer Wagen nachfolgten, die uns nach einem scharfen Ritte von vierzehn englischen Meilen ins Lager führten. Unsere Zelte waren auf dem sich dort senkenden Ufer des Rio-Secco aufgeschlagen. Wasser, wenn auch kein wohlschmeckendes, lieferte eine sandige Vertiefung des Strombettes; unter den Feldkesseln brannten dagegen wieder die wenig Hitze spendenden, schnell aufflackernden Talgholzstauden. Bei der Kälte des Abends vermißten wir sehr die freundlichen Lagerfeuer. Holz befand sich freilich in geringer Entfernung, aber Holz, welchem man nur mittels eines Stahles Funken zu entlocken vermochte. Ueber uns in unendlicher Höhe funkelten die Sterne; wie lange war es her, daß der Wind singend und säuselnd zwischen den grünen Nadeln der stolzen Tannenwipfel des versteinerten Urwaldes hindurchfuhr und die malerischen Kronen der zwischen den Coniferen zerstreut wuchernden baumartigen Farrnkräuter melancholisch wiegte? Zeit und Raum, wo erreichen sie ihr Ende, wo liegt ihr Anfang? Eine Sonnenweite, sie ist eine Spanne im unbegrenzten Weltenraume; Jahrtausende, sie sind ein Athemzug in der Bildungsperiode der Himmelskörper.

Früher als gewöhnlich und fröstelnd begaben wir uns zwischen die Decken unserer Feldbetten.

Ende des ersten Bandes.

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