Balduin Möllhausen
Westliche Fährten. Erster Band
Balduin Möllhausen

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Der Arriero

Im nördlichen Neu-Mexiko, da, wo der 35ste Grad nördlicher Breite und der 105te Grad westlicher Länge sich durchschneiden, liegt die alte mexikanische Ansiedelung Anton-Chico. Dieselbe hat es nie weit über dreihundert Einwohner bringen können. Ihre Lage ist eben keine glücklich gewählte, indem der Verkehr, der sich nach Santa-Fé, der »Haupthandelsstadt des Westens« hinzieht, sie nur auf Umwegen berührt. Aber auch ihre Umgebung ist von der Natur nicht hinlänglich begünstigt, um den Ackerbau zu einer den Wohlstand hebenden Erwerbsquelle zu machen. Viehzüchter und deren Hirten beleben vorzugsweise die wenigen Häuser, die, von ungebrannten Ziegeln in Würfelform erbaut, jeder äußeren Schönheit entbehren, jedoch malerisch contrastiren zu den sich ringsum majestätisch aufthürmenden Gebirgszügen, durch welche der Pecos, ein schmaler, sehr reißender Strom, sich in zahllosen Windungen sein tiefes Bett hindurchgewühlt hat. Der Reichthum der Einwohner von Anton-Chico berechnet sich im Allgemeinen nach dem Bestande ihrer Heerden. An Grund und Boden besitzt jeder wenig mehr, als sein Gehöft und den zu demselben gehörigen Garten. Alles Uebrige, und somit auch die Weidegerechtigkeit, ist Gemeingut. Letztere reicht so weit, wie nur immer gutes Gras wächst, reicht durch alle zugänglichen Thäler bis in die sich östlich ausdehnende Prairie hinaus, reicht so weit, wie Jeder glaubt, seine Schafheerden ohne Gefahr vor den lauernden Comanches und Kioways treiben zu dürfen. Diese Grenze jederzeit genau zu bestimmen, wäre eine schwere Aufgabe, indem die Sicherheit allein davon abhängt, wohin jene nomadisirenden und räuberischen Indianerstämme sich gerade gewendet haben. Und dennoch geschieht es nicht selten, daß, während man sie weit nördlich auf den Spuren des wandernden Bison wähnt, plötzlich einige Dutzend dieser wilden Steppenreiter, wie aus dem Boden gewachsen, erscheinen, die sich etwa widersetzenden Hirten erschlagen und mit so viel Pferden und Schafen, als sie fortzubringen vermögen, das Weite suchen, bevor noch die Kunde von dem Ueberfall die zwischen Felsplateaus verborgen liegende Ansiedelung erreichte. Nicht selten befinden sich einzelne Mexikaner im Verein mit solchen Räuberbanden, ihnen die Ausführung ihrer hinterlistigen Pläne wesentlich erleichternd. Unmittelbarer ihnen aus der Beute erwachsender Gewinn liegt in den meisten Fällen der Verrätherei zu Grunde, vielfach aber auch die mit den Indianern verabredete Schonung der eigenen Heerden, oder der Durst nach Rache für diese oder jene erlittene Unbilde.

Sechszehn oder siebenzehn Jahre mögen seitdem verstrichen sein, als an einem heitern Herbstabende Sennor Adolfo Enrique Tempestar, der Alkalde von Anton-Chico, zu Ehren irgend eines obscuren Provinzialheiligen, vielleicht auch mit Rücksicht auf einen Familiennamenstag, einen überaus glänzenden Fandango veranstaltet hatte.

Wie Anton-Chico eine eigene Kirche besitzt, kann es sich auch einer eigenen Fandangohalle rühmen, welche letztere, gerade neben der Kirche liegend, wie diese bei allen außergewöhnlichen und gewöhnlichen Festlichkeiten eine bedeutende Rolle spielt. An jenem Abend ging es also in der Fandangohalle recht lustig zu, und es mußte wohl, indem nichts verabsäumt worden war, was dazu beitragen konnte, dem Ball erhöhten äußern Glanz zu verleihen. Die Einladungen waren rechtzeitig von Haus zu Haus befördert worden, die heisere Kirchenglocke hatte männiglich zur bestimmten Stunde herbeigerufen, und als dann die Gäste versammelt waren und die Kirchenglocke verstummte, da bedurfte es nur eines Winkes des biedern Alkalden, um durch den Beginn der Musik die allgemeine Fröhlichkeit sogleich auf den höchsten Gipfel hinaufzuschnellen. Zwei Guitarren, eine Geige und ein Triangel vollbrachten dies Zauberwerk, und so wirkungsvoll zeigten sich die in raschem Takte gehaltenen Melodieen, daß selbst die Musikanten davon hingerissen wurden und die munteren Klänge ihrer Instrumente gelegentlich mit noch munterern Versen aus dem Stegreif begleiteten. Solche Verse verherrlichten vorzugsweise Liebe und Pferde, Gold und Riesenkräfte, Lungen, deren Athem dem tollsten Novembersturm vergleichbar, und Füße, welche den Boden nicht zu berühren brauchten, um die gewagtesten Sprünge und anmuthigsten Tanzverschlingungen auszuführen. Und gute Füße und gute Lungen gehörten dazu, um in der geräumigen, jedoch niedrigen Halle die mit Staub und Tabaksdampf angefüllte Atmosphäre einzuathmen und alle die kleinen Hindernisse zu besiegen, welche von einem tennenähnlich festgestampften Lehmfußboden unzertrennbar. Derartige kleine Unbequemlichkeiten hatten indessen auf die tanzlustigen Sennors und die tanzwüthigen Sennoritas gerade so viel Einfluß, wie der verfrühte Mond an einem hellen Herbstnachmittage auf das Sonnenlicht, und nichts kam der ausgesuchten Grandezza gleich, mit welcher Don Adolfo Enrique Tempestar, als Erster ins dem Platze, die Honneurs machte, die Eintreffenden willkommen hieß, die bereits Anwesenden aufmunterte und die ihm von den Schönen des Orts dargereichten brennenden Cigarittos aus Höflichkeit halb aufrauchte und dann fortwarf. Der freieren Bewegung halber hatte er den Rock abgelegt und dafür den hohen spitzen Sombrero auf dem Kopfe behalten. Derselbe paßte vortrefflich zu dem breiten, etwas fleischigen Gesicht, dessen Hauptschmuck ein ziemlich dünner schwarzer Vollbart. Eine feuerrothe Schärpe schlang sich malerisch um die würdige Alkaldentaille; an diese aber schlossen sich nach unten die berühmten mexikanischen Calzoneros an, weite, aus zweierlei Tuch bestehende Beinkleider, aus deren offen stehenden, reich mit runden metallenen Knöpfen und Stickerei versehenen Näthen sich die faltigen Weißen Unterkleider hervorbauschten. So bildete der Alkalde, trotz seines vorgerückten Alters, noch immer eine recht stattliche Erscheinung, namentlich als er mit seiner Tochter in einem langsamen Walzer den Ball eröffnete und fast alle Anwesenden, wohl an die dreißig Paare, ihm in dicht gedrängter Reihe auf dem Fuße nachfolgten.

Hinsichtlich des äußeren Glanzes hätten die sich zu Anfang sehr ehrbar einherbewegenden Paare einen Vergleich mit einer großstädtischen Ballgesellschaft wohl nicht ausgehalten; dagegen wäre es schwer gewesen, anderswo eine prächtigere Auswahl von frischen Mädchengesichtern, schwellenden Lippen und geheimnißvoll glühenden dunkeln Augen aufzutreiben, wie an dem bewußten Abende in der durch sechs tüchtige Talgkerzen erleuchteten Fandangohalle von Anton-Chico. Aber auch die Tänzer, ältere wie jüngere Leute, brauchten sich nicht zu scheuen, öffentlich aufzutreten, und wo die Natur das Ihrige verabsäumt hatte, da waren kunstfertige Hände bereit gewesen, in um so höherem Grade nachzuhelfen und alle in dortiger Gegend verfügbaren Mittel zur Vollendung eines westlichen Gentleman heranzuziehen. Gestickte Jacken und rothe Flanellhemden, mit Knöpfchen überladene Calzoneros und indianisch verzierte Ledergamaschen, breitrandige Strohhüte und Filzsombreros wirbelten durcheinander mit weißen leichten Kleidern und grellfarbigen Röcken, mit langen Zöpfen und coquet um die Schultern geschlungenen Rebosos, mit Glasperlen, broncenen Schmucksachen, seidenen Bändern und wer weiß, was sonst noch alles zu der bescheidenen Ballausrüstung einer mexikanischen Schönen in jenen abgeschiedenen Grenzansiedelungen gehört. Außerdem – und dies galt als hoher Vorzug – durfte sich die Gesellschaft rühmen, nur aus Honoratioren, lauter freien Mexikanern und einigen gerade dort anwesenden Pelzjägern zu bestehen. Alles, was im entferntesten Ansprüche an die Bezeichnung »Peon« hatte, war ausgeschlossen. Kaum daß man dieser Art von Leibeigenen gestattete, durch Thüren und Fenstern hereinzulugen, und hätte man sich anders zu helfen gewußt, würden sogar die vier Musikanten schwerlich die überschwängliche Ehre genossen haben, den aristokratischen Fandango durch ihr Spiel verherrlichen zu dürfen. Doch die vier Musikanten waren unersetzlich; weit und breit berühmt, spielten sie in einem Takte, daß die Füße sich fast von selbst darnach bewegten, nicht zu gedenken der schönen Reime, mittelst deren sie die Tänzer förmlich zu berauschen verstanden.

»Kleines, kleines, kleines, kleines, kleines Geld.
Und ein großes, großes, großes, großes Herz,
Lippen, Lippen, Lippen, Lippen roth und frisch.
Bestes Mittel ist für jeden Schmerz.«

sang der Triangelschläger, und schneller folgten die Guitarrenaccorde, schneller drehten sich die Paare und leidenschaftlicher glühten die Augen, während Staub und Cigarrendampf sich unter der niedrigen Decke zu einer die Kerzenflammen beeinträchtigenden Wolke vereinigten. Der Alkalde, für dessen Wohlbeleibtheit der Walzer einen zu anstrengenden Rhythmus angenommen hatte, war aus der Reihe getreten und betrachtete mit hoher Zufriedenheit das sich vor ihm entwickelnde lebhafte Bild, wogegen Brigida, seine liebliche Tochter, offenbar weniger zufrieden, aus dem viereckig geschnittenen Blättchen einer zarten Maishülse und Tabak eine Cigarette drehte, anrauchte und ihm darreichte.

Diesen Zeitpunkt schien einer der Gäste abgewartet zu haben, um sich dem Alkalden zu nähern und ein Gespräch mit ihm und seiner Tochter anzuknüpfen.

»Caramba! Warum noch nicht in Bewegung, Christobal?« kam ihm der Alkalde zuvor, und mit Wohlgefallen ruhten seine Blicke auf der kraftvollen Gestalt, die in der malerischen Nationaltracht doppelt vortheilhaft hervortrat.

Auf die gelblichen, von pechschwarzem Lockenhaar und einem ebenso schwarzen Bart beschatteten finsteren Züge Cristobals trat ein verbindliches Lächeln, indem er sich vor Brigida leicht verneigte.

»Mit wem hätte ich tanzen sollen, Sennor?« fragte er zurück, »mein erster und mein letzter Schritt in dieser Halle sind zu Diensten Eurer schönen Tochter, und da Ihr selbst Euch herbeiließet, den Fandango zu eröffnen, so blieb mir nichts Anderes übrig, als geduldig zu warten.«

Der Alkalde klopfte Cristobal gutmüthig lachend auf die Schulter. In Brigida's schwarzen Augen leuchtete es dagegen hell auf, ihre vollen Lippen kräuselten sich, wie zu einer scharfen Antwort, spöttisch empor, als ein durchdringender Blick Christobals sie veranlaßte, das Antlitz zu senken und gleichsam mechanisch eine Cigarette für ihn zu drehen.

Die Reihe der Paare hatte sich etwas gelichtet und eine geregeltere Ordnung trat an Stelle des ersten Gedränges; der Anblick der fröhlichen Menschen fesselte den Alkalden zu sehr, als daß er ein neues Gespräch hätte eröffnen mögen. Christobal rauchte einige Züge aus der ihm von Brigida brennend dargereichten Cigarette, und sie dann zur Seite legend, glitt er mit ihr in die Reihe der walzenden Paare hinein.

»Lieben, lieben, herzen, küssen möcht' ich sie,
Tanzen, ewig tanzen nur allein mit ihr,
Schau'n in ihre schwarzen Augen spät und früh,
Wenn's auch, wenn's auch Cristobal erführ'!«

sang der Triangelschläger, sobald er die schöne Alcaldentochter in den Armen des in Anton-Chico zwar nicht wohnhaften, jedoch im Hause des Alcalden hoch angesehenen Rancheros vor sich vorüberschweben sah; dann warf er den Triangel zur Seite, und die ihm zur Hand liegenden Castagnetten ergreifend, schlug er einen der Musik angemessenen Wirbel, dessen ein abgedienter Tambour sich nicht hätte zu schämen brauchen.

»Bueno! bravissimo!« ertönte des geschmeichelten Alcalden Stimme. »Mucho bravissimo!« lohnten die durch den Klang der Castagnetten förmlich berauschten Tänzer im wilden Chor den Improvisator. Die bereits rastenden Paare umschlangen sich leidenschaftlich und traten mit einer gewissen Todesverachtung dem Reigen bei; auf dem ganzen Gewirre aber ruhten des Alcalden Blicke, als ob durch seine eigenen Lungen die unermüdlichen Tänzer belebt worden wären, die Kraft seiner eigenen Füße ihnen die Fähigkeit verliehen hätte, mit so viel Pünktlichkeit den Takt der wirbelnden Musik inne zu halten.

Allmählich erschlafften die bis auf's Aeußerste angespannten Kräfte; hier trat ein Paar aus, dort eins. Auch Brigida gab' zu verstehen, daß sie zu rasten wünsche, worauf Cristobal sie nach einer Seite hinüberführte, auf welcher sie von dem Alcalden nicht gesehen, noch weniger die zwischen ihnen gewechselten Worte, gehört werden konnten.

»Wo ist der Peon, der Tadeo?« fragte Cristobal alsbald.

Brigida, in Folge der heftigen Anstrengung schwer athmend, sah nach einer andern Seite, um den auf sie gerichteten durchdringenden Blicken nicht zu begegnen.

»Mein Vater schickte ihn über Land,« antwortete sie endlich zögernd mit erzwungenem Gleichmuthe.

»Was soll er dort? Gestern war er noch hier,« fuhr Cristobal fort.

»Ein längst für verloren gehaltenes kostbares Pferd ist wieder zugelaufen, jedoch so verwildert« –

»Und da soll Tadeo seine Kunst an ihm versuchen?« fiel Cristobal mit schlecht verhehltem Grimm ein.

»Er ist der beste Arriero in weitem Umkreise.«

»Caramba! als ob es am Rio Grande keine geschickten Arrieros mehr gäbe; ich errathe, man wollte dem Burschen die Mühe ersparen, uns zu bedienen; ich errathe aber auch, auf wessen Anstiften er heute hier fehlt. Wäre er ein freier Mann, möchte man ihn nicht weit zu suchen haben.«

Brigida's glühendes bräunliches Antlitz schien sich bei diesen Worten noch tiefer zu röthen; die bisher kundgegebene Scheu verschwand aus ihrem Wesen, und den Kopf trotzig emporwerfend, blickte sie Cristobal fest an.

»Auf mein Anstiften wurde er fortgeschickt,« sprach sie ruhig. »Nur noch kurze Zeit und der Peon ist ein freier Mann. Warum also Jemand als Leibeigenen da Dienste verrichten lassen, wo er binnen wenigen Monaten als sein eigener Herr auftreten darf? Ist es nicht ehrenhaft genug, daß er durch langjährige treue Arbeit die Schulden seiner verstorbenen Eltern tilgte, anstatt, wie so Viele an seiner Stelle gethan haben würden, zu entfliehen?«

»Dieser elende Peon hat an Euch eine wunderbar warme Fürsprecherin,« versetzte Cristobal höhnisch; »wüßte er das nicht, würde er schwerlich so lange der Knecht Eures Vaters geblieben sein. Caramba! Ich möchte erfahren, wie Don Enrique Tempestar dieses Freundschaftsverhältnis beurtheilte, würde ihm der ganze Umfang desselben geschildert.«

»Ich kann meinem Vater jederzeit frei unter die Augen treten,« erwiderte Brigida mit aufflammendem Zorn, »und gereicht es zu Eurer Beruhigung, so vertraue ich Euch gern an, daß Tadeo sich nicht minder des herzlichsten Wohlwollens meines Vaters erfreut.«

»Er ist ein brauchbarer Arriero,« gab Cristobal stolz zu, und auf seinem gelben Antlitz spielte ein ingrimmiges Lächeln, »ein Arriero, um welchen ich Euern Vater beneide. Nun, ich bezweifle nicht, daß Euer Vater sich aus Wohlwollen für ihn und für mich dazu entschließt, ihn gegen die Summe, welche er mir schuldet, an mich abzutreten.«

Brigida erbleichte und kehrte ihr Antlitz wieder den wild einherstürmenden Tänzern zu. Erst nach längerem Sinnen hatte sie hinlänglich Ruhe gewonnen, um antworten zu können.

»Es muß eine bedeutende Summe sein,« versetzte sie, indem sie einen Schritt seitwärts trat, durch welche Bewegung der um ihre Hüften ruhende Arm ihres Tänzers niedersank; »gewiß sehr bedeutend, daß Ihr meint, mit derselben zuerst mich und demnächst Tadeo zu kaufen.«

»Euch kaufen, Brigida?« lachte Cristobal, während seine tief liegenden Augen leidenschaftlich funkelten, »Santa Maria! wie mögt Ihr das Wort da in Anwendung bringen, wo Euch die aufrichtigste Zuneigung entgegengetragen wird?«

»Zuneigung?« fragte Brigida, ihre Lippen wiederum emporwerfend, »wo sind die Beweise dafür? Soll ich sie etwa darin suchen, daß Ihr meinen Vater mit einer Geldsumme und einigen Pferden und Rindern unterstütztet, als die Apaches ihm den ganzen Viehstand davongetrieben hatten? Ihr schlagt Eure Dienste hoch an, Don Cristobal, und habt dabei an meinem Vater nicht mehr gethan, als er an vielen Andern, die sich in einer ähnlichen Lage befanden. Wie Jene ihm allmählich das Seinige zurückerstatten, werdet auch Ihr befriedigt werden, ohne daß Ihr meine Person als Bürgschaft braucht. Ihr selbst habt freilich noch nie Verluste durch die Wilden erlitten und ich wünsche es Euch auch nicht; allein grade dieser Umstand sollte Euch dazu bewegen, weniger tyrannisch gegen Andere aufzutreten, nicht zu vergessen, daß auch Ihr eines schönen Tages Eure Weiden leer finden und Eure Heerden in den Schluchten der Navahoes oder auf den Ebenen der Comanches suchen mögt; es sei denn, Ihr hättet einen besonderen Vertrag mit unseren hinterlistigen Feinden geschlossen.«

Cristobal fuhr bei diesen im Grunde harmlos gemeinten Worten wie vor dem tödtlichen Biß einer Klapperschlange zurück. Sein Gesicht schien noch gelber und blutloser zu werden und heftig knirschten seine Zähne.

»Habt Ihr geendigt, meine schöne Brigida?« sprach er sodann, mit äußerster Anstrengung ein sorgloses Lächeln erzwingend, »so gestattet auch mir, in dieser peinlichen Angelegenheit ein letztes Wort an Euch zu richten. Wohnte Euer Vater in der Nähe von Santa Fé, würde er durch die Indianer eben so wenig Verluste erlitten haben, wie ich. Was aber Euern bittern Vorwurf der Tyrannei betrifft, o, meine theure Brigida, so erscheint Euch Manches nur hart, weil das zwischen Euerm Vater und mir bestehende Uebereinkommen bisher noch nicht Eure Beistimmung fand. Tröstet Euch indessen und gewöhnt Euch daran, Euch als meine schöne und treue Gattin zu betrachten; ich dagegen leiste Euch das heilige Versprechen, daß Ihr nie Grund haben sollt, die von Eurem Vater für Euch getroffene Wahl zu beklagen.«

»Saiten-, Saiten-, Saiten-, Saiten-, Saitenspiel
Selbst das Herz, das Herz des Musikanten rührt;
Doch der Walzer wird ihm selber viel zu viel,
Tanzt und tanzt man nicht, wie sich 's gebührt!«

sang der Improvisator auf einen Wink des Alkalden, dem die Pause, welche Cristobal und Brigida eintreten ließen, zu lange dauerte, und der hinter den erregten Zügen Beider Empfindungen vermuthete, die seinen Wünschen nicht entsprachen.

»Tanzt und tanzt man nicht, wie sich's gebührt!«

wiederholten die jungen Burschen die letzten Worte des Improvisators, die in Verbindung mit dem Castagnettengerassel zündend wirkten, und Alles, was bisher an den Wänden herumgestanden hatte, stürzte sich blindlings in den wirbelnden Kreis. Auch Cristobal schlang den Arm um Brigida, um mit in den Reigen einzutreten; bevor er indessen seine Absicht ausführte, tanzte ein nach oben in rothen Flanell, nach unten in indianisch gegerbtes Leder gekleideter Pelzjäger vorüber. Cristobal wollte ausweichen; die Bewegungen des ausgelassenen und laut gellenden Halbwilden waren aber so wenig berechenbar, daß er sammt seiner lieblichen Tänzerin an die Wand geschleudert wurde.

»Mille Caramba! Die Hölle über den ungeschickten Hund!« rief der Ranchero wutschnaubend aus.

»Es lag nicht in seiner Absicht; stört nicht den Fandango durch Hervorrufung eines Streites,« bat Brigida besorgt, indem sie ihren zerknitterten weißen Anzug flüchtig ordnete.

Lebeau dagegen, unter welchem Namen der junge Pelzjäger unter seinen Gefährten bekannt war, stieß ein gellendes Gelächter aus, nickte Brigida freundlich zu, und dahin walzte er, als ob nichts vorgefallen wäre. Auf der andern Seite der Halle trat er indessen aus der Reihe und da sein Kopf über alle anderen in der Halle Anwesenden emporragte, so kostete es ihn keine Mühe, mit dem ebenfalls hochgewachsenen Cristobal über die Tanzenden fort ein Gespräch anzuknüpfen.

»Sennor Cristobal!« überschrie er die Musik und das Schurren und Stampfen der Füße, infolge dessen der Angeredete wiederum zögerte, den Tanz zu beginnen, »Sennor Cristobal, für den unabsichtlichen Stoß bin ich Euch eine Sühne schuldig; ich muß mir Eure Freundschaft erwerben, indem ich, anstatt Euer Auge zu treffen, mein Messer auf der linken Seite Eures Kopfes in die Wand stecke!«

Bei den letzten Worten hob sich aber auch schon seine Faust empor, wie ein Blitz zuckte es über die Häupter der Tanzenden fort und fast gleichzeitig bohrte sich die Klinge eines schweren Jagdmessers auf der bezeichneten Stelle mehrere Zoll tief in die nachgiebige Lehmwand.

Derartige Scenen waren in der dortigen Gegend etwas zu Gewöhnliches, als daß durch das Verfahren des verwilderten Pelzjägers große Störung hätte verursacht werden können. Brigida und einige andere Tänzerinnen, welche den Flug des mit unglaublicher Sicherheit geworfenen Messers beobachtet hatten, schrieen auf, Cristobal zuckte mit dem Kopf zur Seite, der Eine und der Andere rief auch wohl sein »Bueno!« die Guitarrenspieler rissen unbarmherzig an den Saiten, doch lauter als Alles ertönte wieder des lustigen Lebeau Stimme:

»Laßt nur das Messer!« rief er sorglos, sobald er gewahrte, daß Cristobal seine Hand nach demselben ausstreckte, »bin Mannes genug, es mir selber zu holen. Behaltet auch Eure Drohblicke für Euch, denn wir sind nunmehr quitt. Hab' übrigens ein ähnliches Gesicht in Gesellschaft einiger Dutzend Comancheräuber gesehen, und verdammt will ich sein, wenn ich ihm nicht bei nächster Gelegenheit ein halbes Loth Blei zuschicke, wie es nie reiner aus den Galena-Bergwerken zu Tage gefördert wurde!«

»Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruh' ich hier begehr'!
Brecht die Häls' Euch draußen, ist's mir einerlei;
Macht das Leben, Leben Ihr mir hier zu schwer,
Reiß' die Saiten, Saiten ich entzwei!«

gellte der Improvisator auf den stummen Befehl des Alkalden, der, um Unglück zu verhüten, sich zu Cristobal durchdrängte und gemeinschaftlich mit seiner Tochter diesen beschwor, den Streit nicht fortzusetzen.

Einige Sekunden überlegte Christobal; dann glitt es wie verhaltene Schadenfreude über sein gelbes Antlitz, und einen lauten Jubelruf ausstoßend, umfaßte er Brigida mit welcher er davon stürmte.

Hiermit schien der unangenehme Zwischenfall sein Ende erreicht zu haben. Der Alkalde ging herum und munterte zu neuen Anstrengungen auf; die Musikanten spielten, als hätten sie ihre Instrumente vernichten wollen; die Paare schwangen sich mit einer Leidenschaftlichkeit im Kreise, wie sie eben nur bei Mexikanern möglich, bis endlich Athem und Füße ihren Dienst versagten und die Spielleute, der allgemeinen Stimmung Rechnung tragend, mit einem Schlußverse eine Pause eintreten ließen.

»Nun, Sennor, wo ist der Peon, der Tadeo?« fragte Christobal, indem er mit Brigida neben deren Vater hintrat und den alten Herrn freundschaftlich auf die Schulter schlug; »ich könnte ihn gerade jetzt gebrauchen, um nach meinem Pferde zu sehen.«

»Caramba! der Tadeo ist nicht zu Hause,« antwortete der Alkalde, nicht ahnend, daß Brigida bei Nennung des Namens erschrak und bebenden Herzens der Fortsetzung des Gespräches entgegen sah, »'s sind aber genug Andere da, die nicht minder gewissenhaft für Euer Pferd sorgen werden.«

»Kein Anderer rührt mein Pferd an!« erwiderte Christobal hochfahrend, indem er nachlässig eine goldene Uhr aus dem Gurt zog und sich von dem Stande der Zeit überzeugte, »das Pferd sucht seines Gleichen, und außer mir versteht nur noch der Tadeo, es richtig zu behandeln. Ich werde daher selbst gehen.«

»Nehmt wenigstens einige Leute mit, die Euch beim Einfangen 'ne Hand leihen!« rief der Alkalde dem Davonschreitenden nach.

»Pah, einfangen!« rief Cristobal zurück, »es hört auf meinen Ruf und ist folgsam, wie ein gut geartetes Kind. Will ihm nur einige Maiskolben zutragen; in einer halben Stunde bin ich wieder hier; die schöne Brigida mag so lange mit meinem Freunde Lebeau tanzen!«

Dann trat er in's Freie hinaus, wo die neugierigen Peons ihm scheu auswichen, ihm auch wohl einen leisen Fluch nachsendeten, als er die Richtung nach dem etwa zehn Minuten entfernten Pecos einschlug und in der Dunkelheit verschwand.

Anstatt sich sogleich nach dem eingehegten und grasreichen Uferstreifen hinzubegeben, auf welchem die wenigen Milchkühe des Ortes und die zum täglichen Gebrauch bestimmten Pferde und Maulthiere weideten, folgte Christobal dem breiten Wege nach, der ihn an die Furth des Pecos führte. Auf der anderen Seite des Stromes theilte sich der Weg strahlenförmig, je nachdem die verschiedenen Ziegen- und Schafheerden, und außer diesen die Hirten und die zwischen der Ansiedelung und den Heerden vermittelnden Reiter neue Fährten nach den Seitenthälern und sogar bis in die Prairie hinaus gebrochen hatten. Als der Ranchero sich dem Strome so weit genähert hatte, daß er die verkrüppelten Bäume auf dem Ufer desselben zu unterscheiden vermochte, stieß er den schrillen Pfiff aus, mit welchem er sein Pferd zu rufen pflegte, worauf er, offenbar um zu lauschen, die Eile seiner Bewegungen mäßigte. Eine Minute verrann, oder vielmehr gerade so viel Zeit, wie ein gewandter Reiter gebraucht, um sich in den Sattel zu schwingen, als von der andern Seite des Stromes der scharfe Hufschlag eines Pferdes zu ihm herüberdrang, welches sich im Galopp näherte. Nach kurzer Zeit plätscherte es in den Fluthen, dann trieb ein Reiter sein Pferd mit klatschendem Geißelschlag nach dem Ufer hinauf.

»Ihr seid pünktlich,« redete Christobal den Eintreffenden an, sobald derselbe neben ihm hielt und eine Lanze, welche so lange quer vor ihm auf dem Sattel gelegen hatte, auf die Erde stellte und sich vom Pferde aus auf dieselbe stützte. Im Uebrigen zeichnete er sich in der Dunkelheit nur als eine schwarze, mit den undeutlichen Formen des Pferdes zusammenfallende Masse aus, indem eine Decke seinen Oberkörper in weiten Falten umhüllte und nur die Arme und den mit mehreren Geierfedern geschmückten schwarz und dicht behaarten Kopf frei ließ.

»Ich immer pünktlich, wenn ich Geschäfte mit Don Christobal,« entgegnete der geheimnißvolle Reiter in dem eigenthümlich verdorbenen Spanisch der südlichen Prairie-Indianer, »glaubte, warten zu müssen noch manche Stunde; Ihr seid gekommen sehr früh.«

»Es machte sich eben, daß ich früher fort konnte,« versetzte der Mexikaner wie beiläufig, dann fuhr er lebhafter fort: »Ist Alles eingeleitet?«

»Die Ziegen und Rinder des Alkalden jetzt wohl schon auf dem Wege nördlich,« antwortete der Indianer ruhig.

»Wie viele Häupter?«

»Alles, was in dem Thalwinkel weidete.«

»Caramba! So kann ihm nicht viel geblieben sein. Ihr solltet ja einen Theil zurücklassen.«

»Ich denke, es ist ein Abmachen. Wenn sie uns nachsetzen, noch immer früh genug, den Weg mit Ziegen zu bestreuen; 's kostet ihnen Zeit, sie zu sammeln, und wir gewinnen Vorsprung.«

»Ihr seid der geriebenste Schurke, der jemals auf eines fremden Mannes Pferd ritt.«

»Wir Beide,« versetzte der Indianer gedehnt.

»Darüber wollen wir nicht streiten,« erwiderte Christobal hochmüthig, »ich gehe auf Anderes aus, als auf einige Dutzend Ziegen.«

»Um so besser,« entgegnete der Indianer mit unerschütterlicher Ruhe; »Ihr aber machen viel Umstände mit der schönen Alkaldentochter; doch mir einerlei.«

»Wenn Ihr nur Euren Vortheil habt, kümmern Euch die Umstände nicht. Sind die Leute, die das Mädchen abholen sollen, auf ihrem Posten?«

»Drüben in der Schlucht warten sie. Ein Zeichen, und sie sind da.«

»Gut; was denkt Ihr mit den Hirten aufzustellen? Erschlagen dürft Ihr sie nicht, das brächte Euch die ganze Provinz auf den Nacken.«

»Wir nehmen sie eine Strecke mit und lassen sie laufen, sobald wir in Sicherheit sind. Hoffentlich sorgt Ihr dafür, daß die Verfolger eine falsche Richtung einschlagen?«

»Ich werde mein Möglichstes thun; leider ist Jemand da, dessen Augen ebenso scharf sind, als die Eurigen!«

»Tadeo?« fragte der Indianer mit feindseligem Ausdruck.

»Gerade der ist nicht da, oder es möchte sich Gelegenheit finden, ihm eine gute Messerklinge zwischen die Rippen zu stoßen; nein, der Tadeo nicht, aber der Lebeau.«

»Caramba!« fluchte der Indianer emporfahrend; dann stützte er sich wieder nachlässig auf seine Lanze. »So werden wohl einige Kugeln fliegen, oder wir müssen die Ziegen drangeben und mit den Pferden und Rindern zufrieden sein.«

»Pah, schießt ihn über den Haufen und behaltet Alles,« rieth Christobal.

»Wir wollen sehen,« versetzte der Indianer. »Wo gedenkt Ihr das Mädchen in Empfang zu nehmen?«

»Es bleibt bei unserer ersten Verabredung: Ich finde es binnen heute und vier Tagen in der Nähe der Navahoequelle im Taos-Gebirge.«

In diesem Augenblick richtete der Indianer sich schnell empor, und indem er dahin spähte, woher er gekommen war, wendete auch sein Pferd den Kopf seitwärts, worauf es leise wieherte.

»Es nähert sich Jemand,« bemerkte der Comanche leise, nachdem er eine Weile gelauscht hatte; »man kommt zu Pferde.«

»Vielleicht ein Hirte,« versetzte Christobal, sobald er den Hufschlag eines scharf getriebenen Pferdes unterschied.

»Ein Hirte,« bekräftigte der Indianer unruhig, »aber ein Hirte des Alkalden, der meinen Leuten durch die Finger geschlüpft ist. Ein Anderer würde nicht reiten, wie der dort.« Und ohne eine Entgegnung abzuwarten, lenkte er sein Pferd eine kurze Strecke stromaufwärts, wo eine Gruppe niedriger Bäume ihm ein sicheres Versteck gewährte. Christobal hatte ihn begleitet, und kaum waren sie auf dem bezeichneten Punkte angelangt, als der Reiter, jede Vorsicht außer Acht lassend, in den Strom hineinsprengte.

»Maria santissima! Alles verloren, Alles verloren!« klagte eine jugendliche Stimme verzweiflungsvoll, indem das Pferd sich nach dem abschüssigen Ufer hinaufarbeitete. Dann ertönte der scharfe Schlag des zusammengelegten Lassos, mit welchem der flüchtige Hirte sein Thier antrieb, und keuchend flog dieses auf die in der Dunkelheit kaum bemerkbar daliegende Ansiedelung zu.

»Wie ich sagte,« sprach der Comanche, die Lanze vor sich auf den Sattel legend, »er ist ihnen entschlüpft, und der Alkalde erfährt zu früh, daß wir wieder einmal Appetit auf das Fleisch seiner Ziegen bekommen haben – Caramba! Ziegenfleisch werden wir nicht viel essen, doch was meint Ihr, habt Ihr Euern Appetit auf die Sennorita nicht verloren?«

»Die Sache ist eingeleitet, mag sie daher ihren Gang nehmen,« versetzte Cristobal ingrimmig, »mache ich heute kein Ende damit, so dauert's keine drei Tage, und der Alte ist eines Sinnes mit seiner Tochter – hole der Teufel den Tadeo; er allein verdarb mir die Rechnung. Mein zweitbestes Pferd Demjenigen, der mir den Scalp des verfluchten Peon bringt.«

»Für ein gutes Pferd thue ich viel,« erwiderte der Comanche spöttisch, »gebt mir Gelegenheit, und Ihr sollt keine vierundzwanzig Stunden auf den Scalp warten.«

Damit spornte er sein Pferd auf die Furth zu, welche er vorsichtig durchritt; dann aber nahm er den Handschuh zur Hand, und als sei er ein zurückgebliebenes Mitglied der sagenhaften wilden Jagd gewesen, flog er über die sich zwischen den hohen Felsplateaus ausdehnenden Grasebenen hin. –

Christobal befand sich bereits auf der eingehegten Wiese bei seinem Pferde. Schadenfroh vernahm er das plötzlich erwachende Geschrei in der Ansiedelung, wo die von dem flüchtigen Hirten heimgebrachte Kunde von dem räuberischen Ueberfall der Indianer sich wie ein Lauffeuer verbreitet hatte. Als er eine Viertelstunde später an der Fandangohalle vorüberschritt, stand dieselbe öde und leer. Tänzer, Tänzerinnen und Musikanten waren aus einandergestoben; die Einen, um zu jammern, die Anderen, um Pferde herbeizuschaffen, zu satteln und sich zur Verfolgung zu rüsten. Da man die Stärke der Räuber nicht kannte, so war bei Allen ein hoher Grad von Besorgniß vorherrschend. Nur Lebeau bewahrte dieselbe Munterkeit, die er beim Tanze zur Schau getragen hatte, und mit derselben rauhen fröhlichen Laune, mit welcher er sich kurz zuvor anschickte, die Nacht zu durchschwärmen, bestieg er jetzt seinen Mustang, um gemeinschaftlich mit Christobal und dem Alkalden an der Spitze von etwa zwei Dutzend kampffähigen Männern den Comanches nachzusetzen. Christobal war der Letzte, der sich in den Sattel schwang. Er hatte einen flackernden Feuerbrand mit hinausgenommen, bei dessen unsteter Beleuchtung er Sattel- und Zaumzeug seines Renners bedächtig prüfte und nicht minder sorgfältig den an dem Sattelknopf befestigten Lasso in gleichmäßige Ringe zog. Niemand wunderte sich darüber; sein Verfahren entsprach eben dem Rufe, welchen er sich als Reiter und Lassowerfer erworben hatte. Noch weniger befremdete es, daß er mit dem Feuerbrand in der Faust sein Pferd bestieg und erst außerhalb der Ansiedelung denselben einige Male um's Haupt schwang und, wie um Feuersgefahr zu verhüten, weit von sich warf. –

In einer westlichen, dem Verkehr nur selten dienenden Seitenschlucht stieg in diesem Augenblick von der halben Höhe des Uferabhanges ein Mann niederwärts, welchen man am Tage auf den ersten Blick als einen vollständig bewaffneten Indianer erkannt haben würde. Der von Christobal durch Schwingen der Holzfackel erzeugte Funkenregen schien ihn zu dieser Bewegung veranlaßt zu haben; denn waren vorher seine Blicke unausgesetzt starr auf die Ansiedelung gerichtet, die sich vor dem schwarzen Hintergrunde nur durch vereinzelte erleuchtete Fensterchen auszeichnete, so hatte sie jetzt offenbar jegliche Anziehungskraft für ihn verloren. Unten in der Schlucht angekommen, drang er ohne Säumen in dieselbe ein, bis er nach einer Wanderung von fünf Minuten eine von verkrüppelten Cedern theilweise beschattete Fläche erreichte. Dort wendete er sich nach der am dichtesten bewaldeten Seite hinüber, wo seine Annäherung durch das leise Wiehern mehrerer Pferde verrathen wurde. Gleich darauf umringten ihn sieben Stammesgenossen, mit welchen er, ihnen seine Beobachtungen mittheilend, in eine ernste Berathung zusammentrat. Was auch immer ihr Vorhaben sein mochte, alle möglichen Fälle waren vorher reiflich erwogen worden, denn es genügten wenige Minuten, um eine Einigung zu erzielen.

Die Pferde, neun an der Zahl, wurden aus ihrem Versteck auf eine Blöße gezogen und dort, bis auf eins, so aneinander gefesselt, daß sie eine lange Reihe bildeten. Dann entledigten sich sieben Mitglieder der Bande ihrer Waffen, welche sie an die Sättel befestigten; nur Tomahawk und Messer behielten sie, worauf sie sich von einander trennten. Einer bestieg das vorderste der zusammengefesselten Thiere und begann mit der ihm willig folgenden Kette auf einem selbst bei Tage sich nur wenig auszeichnenden Pfade das nördliche, achthundert Fuß hohe Plateau zu ersteigen; ein anderer nahm das übrig gebliebene Pferd und begab sich in die Mündung der Schlucht, wo die Ansiedelung gerade vor ihm lag, während die sechs letzten, verschiedene Umwege einschlagend, auf Anton-Chico zu in der Dunkelheit verschwanden. –

In der Ansiedelung selber herrschte um diese Zeit unter dem zurückgebliebenen wehrlosen Theil der Einwohnerschaft bange Aufregung. Die Besorgnisse galten sowohl den Verlusten, deren Umfang man nicht kannte, wie den die Räuber verfolgenden Männern, die nur zu leicht, um ihr Eigenthum zurückzugewinnen, in einen ernsten Kampf verwickelt werden konnten. Für die Sicherheit der Ansiedelung fürchtete man weniger; wußte man doch aus Erfahrung, daß die Grenzorte nie geschützter waren, als wenn die räuberischen Steppenvölker gerade einen Einfall in ihr Gebiet ausgeführt hatten; und so wurden auch an dem heutigen Abende, dessen fröhlichem Anfange ein so trauriges Ende folgte, die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln vernachlässigt. Die erschreckten Frauen und Mädchen liefen von Haus zu Haus, um mit den Nachbarinnen jammernd alle möglichen Unglücksfälle zu erwägen, oder sich Trost bei den ergrauten Häuptern der kleinen Gemeinde zu holen; die Knaben saßen um die Kamine und schmiedeten die furchtbarsten Rachepläne, deren Ausführung leider noch einige Jahre hinausgeschoben werden mußte, und so ereignete es sich, daß die Straße abwechselnd vollständig verödet war und wieder vorübergehend geräuschvoll belebt wurde. Erst um Mitternacht schien man sich einigermaßen zu beruhigen oder vielmehr in das Unabänderliche zu ergeben; nur noch hin und wieder öffnete sich eine Hausthür, um eine verspätete Besucherin hinauszulassen und demnächst wieder doppelt und dreifach verriegelt zu werden. In dem abgesondert stehenden Hause des Alkalden hatten sich ebenfalls einige Nachbarinnen bis zur Mitternachtsstunde aufgehalten, für die mutterlose Brigida um so willkommener, als außer einer alten Haushälterin nur noch zwei Mägde sich bei ihr befanden, diejenigen Peons aber, welche sich nicht an der Verfolgung der Indianer betheiligten, also zum Schutz des Gehöftes wenig geeignet waren, in einem abwärts gelegenen, eigens für sie eingerichteten Schuppen mit unverbesserlicher Theilnahmlosigkeit der Ruhe pflegten.

Brigida gab ihren Nachbarinnen eine Strecke das Geleite. Die Thüre blieb so lange offen, in derselben aber standen die Hausgenossinnen, ihre junge Gebieterin erwartend. Nach kurzer Abwesenheit trat sie wieder bei ihnen ein, worauf Alle gemeinschaftlich an's Werk gingen, die Thür von innen sicher zu befestigen. Die Riegel klirrten noch und die heimkehrenden Nachbarinnen befanden sich kaum außerhalb der Hörweite, als von beiden Seiten des Gehöftes her mehrere Gestalten vor die Thür hinglitten, deren eine alsbald Einlaß begehrend anklopfte.

»Wer ist da?« fragte die Haushälterin, den letzten Riegel noch in der Hand.

»Tadeo,« flüsterte es geheimnisvoll.

»Gott sei Dank, Tadeo ist heimgekehrt!« rief die Haushälterin Brigida zu, die bereits von dem engen Flur in das geräumige Wohngemach eingetreten war.

»So sind wir wenigstens nicht ganz allein,« antwortete Brigida erleichterten Herzens, »schnell, schnell, öffne, damit er erfahre, weshalb der Fandango verfrüht sein Ende erreichte.«

Während sie noch sprach, klirrten Schloß und Riegel, die Thür flog zurück, und bevor Brigida oder eine ihrer Untergebenen die ihnen drohende Gefahr erriethen, befanden sie sich in der Gewalt von einem halben Dutzend durch kriegerische Malereien entstellter Indianer, die durch Aufpressen der Hände den ihnen auf den Lippen schwebenden Schrei des Entsetzens erstickten. Zugleich funkelten Messerklingen vor ihren Augen, Jeden mit augenblicklichem Tode bedrohend, der einen Versuch zur Flucht wagen oder einen Laut ausstoßen würde.

Obgleich die Unglücklichen begriffen, daß wenn man das Aeußerste gegen sie beabsichtigte, die unbarmherzigen Räuber nicht gezögert haben würden, sie mittelst ihrer Tomahawks auf ewig zum Schweigen zu bringen, hatte der Schrecken sie doch in so hohem Grade gelähmt, daß sie nicht den geringsten Widerstand zu leisten vermochten, als die Wilden ihnen Knebel zwischen die Zähne zwängten und sie demnächst an Händen und Füßen fesselten. Die Haushälterin und die beiden Mägde warfen sie auf die der Landessitte gemäß zur Nachtruhe mitten in das Gemach hineingezogenen Matratzen, einige Decken breiteten sie noch über sie aus, um ihnen die letzte Möglichkeit zu rauben, durch Klagelaute die Aufmerksamkeit zufällig Vorübergehender auf sich zu lenken, worauf sie die Lampe auslöschten, Brigida hinaustrugen und die Thüre so befestigten, als ob sie wirklich verschlossen gewesen wäre. Einige Sekunden lauschten sie; Alles ringsum war still; kaum fünfzig Schritte weit von ihnen drang durch ein kleines Fenster fahler Lichtschein ins Freie; man wachte daselbst noch; wenn auch durch die jüngsten Ereignisse in Angst und Sorge gestürzt, ahnte doch Niemand die unmittelbare Nähe der gefährlichen Erbfeinde.

Ein Blick belehrte die Indianer über ihre Sicherheit. Es befand sich zwar kaum Jemand in Anton-Chico, den sie zu scheuen gehabt hätten, allein ihr Zweck wurde nur dann in seinem ganzen Umfange erreicht, wenn es ihnen gelang, unentdeckt zu entkommen und einen möglichst großen Zwischenraum zwischen sich und ihre muthmaßlichen Verfolger zu legen. Von Brigida selbst drohte ihnen am wenigsten Verrath, indem sie eine wollene Decke um ihr Haupt geschlungen hatten, in deren dicken Falten ihr mattes Stöhnen und Jammern erstarb. Eine Strecke trugen sie ihr Opfer; dann aber rief ein scharfes Zischen ihren Genossen mit dem Pferde herbei, und nachdem sie das beinahe bewußtlose Mädchen auf den Sattel festgeschnürt hatten, schlugen sie flüchtigen Schrittes die Richtung nach der westlichen Thalschlucht ein. Bald darauf wanden sie sich auf dem steilen Bergpfade langsam nach dem Plateau hinauf, wo ihr letzter Gefährte mit den Pferden sie erwartete. Dort oben waren sie sicher, daß ein etwahiger Hülferuf Brigida's nicht mehr in die Ansiedelung hinabdrang; sie entfernten daher Decke und Knebel, um ihr das Athmen zu erleichtern, und sie zwischen sich nehmend, setzten sie ihre Flucht in nördlicher Richtung über das Plateau fort. –

Im Thale von Anton-Chico herrschte unterdessen die tiefste Stille. Hin und wieder kläffte wohl ein aus den Schluchten ins Freie getretener Prairiewolf, oder ein jagender Uhu lachte schauerlich, doch diese Töne erhöhten nur den Charakter beängstigender Verödung. Erst als der Tag zu grauen begann, das Krähen der Hähne sich zu dem Meckern der vereinzelten Ziegen und dem Blöken der auf den Höfen umherirrenden wenigen Schafe gesellte und die Wohnungen der Menschen allmählich deutlicher hervortraten, schien es, als ob mit der Dunkelheit ein schwer drückender Bann von dem Städtchen wiche. Wer von irgend einem der den Thalkessel begrenzenden Plateauränder niederwärts gespäht hätte, auf den würde der Anblick der gleichsam erwachenden Landschaft mit den sich über die würfelförmigen Häuser erhebenden schmalen Rauchsäulen und den hier und dort über die Vorplätze schlüpfenden menschlichen Gestalten sogar einen freundlichen Eindruck ausgeübt haben. Auch hätte er wohl seine Aufmerksamkeit einem Reiter zugewendet, der, wie fröstelnd, in eine grellfarbig gestreifte Decke gehüllt, auf der von einer westlichen Höhe niederführenden Santa-Fé-Straße sein Roß in das Thal hinablenkte und, unten angekommen, auf das Städtchen zubog. Er hätte durch die sich schnell lichtende Dämmerung hindurch bemerkt, wie aus den nächsten Häusern mehrere Gestalten dem Reiter entgegeneilten und mit lebhaften Armbewegungen ihm irgend etwas berichteten. Es wäre ihm nicht entgangen, wie sodann der Reiter sein Roß heftig spornte und vor des Alkalden Haus hingaloppirte, dort aus dem Sattel sprang und an die Thür eilte, um Einlaß zu begehren, wie auf sein bloßes Pochen aber schon die nur angelehnte Thür nachgab und er im Innern des Hauses verschwand. Nach einigen Minuten erschien er wieder; sein Ruf hallte durch die Ansiedelung, und aus allen Richtungen eilten Frauen, Mädchen und Kinder nach der Wohnung des Alkalden, um sich an Ort und Stelle von dem Unglück zu überzeugen, welches dessen Tochter betroffen hatte.

Eine halbe Stunde verging, während welcher die Verwirrung in dem Orte den höchsten Grad erreichte. Nur der Reiter schien seine Ruhe zu bewahren, denn er fütterte den vor dem Hause des Alkalden stehenden Renner mit einigen Maiskolben, spürte die nächste Umgebung des Städtchens sorgfältig ab, worauf er mehrere Knaben beauftragte, auf schnell herbeigeschafften Pferden dem Alkalden nachzureiten und ihn und seine Begleiter von Brigida's Entführung in Kenntniß zu setzen. Dann erst begab er sich zu seinem eigenen Pferde. Bedächtig prüfte er das Zaumzeug, bedächtig zog er die Gurten straffer; den in mäßig großen Reifen zusammengelegten Lasso hing er über den Sattelknopf, und mit einem flüchtigen Scheidegruß bestieg er den von Kraft strotzenden Renner, der, obwohl er die halbe Nacht unterwegs gewesen war, bei der Aussicht auf einen neuen Ritt ungeduldig mit den Hufen scharrte und in gestrecktem Galopp der oben näher bezeichneten Schlucht zueilte.

Alles dieses hätte ein auf dem nächsten Plateaurande aufgestellter Späher bequem übersehen können. Wäre er aber nach der Stelle hinübergegangen, auf welcher der sich nach dem Plateau hinaufschlängelnde Saumpfad dieses erreichte, dann würde er sehr bald Gelegenheit gefunden haben, den bisher aus der Ferne beobachteten Reiter genauer kennen zu lernen.

Derselbe war ein Bursche von etwa dreiundzwanzig Jahren, nicht ganz so hoch gewachsen wie Cristobal, aber von gedrungenerem und kraftvollerem Körperbau, und seinen edlen Renner tummelte er in einer Weise, als ob er mit demselben aus einem Guß bestanden hätte. Auf seinem bräunlichen, jugendfrischen Antlitz, erst spärlich geschmückt mit einem weichen schwarzen Barte, ruhte ein gewisser Trotz; aus seinen dunkeln Augen leuchtete unerschütterliches Selbstvertrauen, welches freilich an dem heutigen Morgen durch einen sprechenden Ausdruck der Angst verdrängt wurde. Seine Tracht war die der Arrieros, wie solche von begüterten mexikanischen Landbesitzern zum Einfangen verwildeter Pferde und Rinder gehalten werden. Eine kurze dunkelfarbige Jacke, ein breiter Gurt und schwarze enge Beinkleider bildeten die Hauptbestandtheile des Anzuges. Die Unterschenkel wurden noch besonders geschützt durch breite und sehr feste Lederstücken, die, sich gamaschenartig anschmiegend, unterhalb des Knies durch einen Riemen zusammengehalten wurden. An seinen Füßen klirrten die gewöhnlichen, mit Kettchen verzierten riesenhaften Sporen; auf dem Kopfe ruhte, tief in die Stirn geschoben, der breitrandige Hut, während unter demselben eine üppige Fülle schwarzen Lockenhaars hervorquoll und bis auf die Schultern niederfiel. Wer ihn so sah, hielt ihn schwerlich für einen Peon oder Leibeigenen, so stattlich nahm er sich auf dem eigenthümlich schwer gesattelten Renner aus; noch weniger aber standen im Einklange mit seiner untergeordneten Stellung die Angst und die Leidenschaftlichkeit, mit welcher er sich anschickte, seinem Brodherrn die geraubte Tochter zu retten.

Nachdem Tadeo, denn kein Anderer war es, die Hochebene erreicht hatte, spähte er eine Weile argwöhnisch um sich; dann prüfte er vom Sattel aus die Spuren, welche von den Pferden der Comanches auf dem festen Lehmboden kaum bemerkbar ausgeprägt worden waren. Dieselben standen nördlich, und der Ausdruck einer gewissen Befriedigung gelangte auf seinem frischen Antlitz zum Durchbruch, indem er berechnete, wohin die Entführer sich nur gewendet haben konnten, um mit ihren die Heerden davontreibenden Genossen zusammenzutreffen. Noch einmal schweiften seine Blicke auf der von Plateaus und zerklüfteten Bergjochen begrenzten Linie des Horizontes herum, noch einmal verglich er in Gedanken die Lage der von des Alkalden Heerden benutzten Weiden mit dem einzigen den Räubern zur Flucht offen stehenden Wege und der Zeit, welche sie zum Vorsprung gewonnen hatten; dann trieb er sein Pferd an. Zuerst versetzte er es in einen schnell fördernden Paßschritt; aber schon nach einer halben Stunde verfiel es in einen regelmäßigen gestreckten Galopp, und ohne Unterbrechung schoß es wie ein Vogel über die hoch gelegene und von jedem Hinderniß freie Ebene dahin. Die Strecke, zu welcher die Comanches mit ihrer Gefangenen fünf Stunden gebrauchten, legte er in kaum zwei Stunden zurück, ohne daß sein Pferd bemerkbare Spuren von Ermüdung gezeigt hätte; als er sich aber dem nördlichen Rande des Plateaus näherte, wo er wenig Deckung zwischen den spärlich zerstreuten Cedern fand, mäßigte er seine Eile. Zuletzt stieg er sogar ab, und das Pferd am Zügel führend, schlich er so lange in einer bestimmten Entfernung an dem Rande des Abhanges hin, bis er einen Punkt erreichte, von welchem aus er ebensowohl das östliche, weithin gegen Norden zwischen anderen Höhen sich verlierende Thal, als auch die Schlucht zu übersehen vermochte, welche dicht vor ihm von dem erwähnten Thale aus in vielen Windungen westlich lief und das nächste Plateau von demjenigen trennte, auf welchem er sich befand.

Der erste Blick niederwärts belehrte ihn, daß er sich in seinen Muthmaßungen nicht getäuscht hatte. Bei der weiten Fernsicht, welche er genoß, entdeckte er nicht nur die Viehräuber und deren Verfolger, sondern auch die acht Comanches, die zum Theil in der Mündung der Schlucht hinter einigen Cederbüschen, die gefesselte Brigida in ihrer Mitte, rasteten, theils eine Strecke nach dem schroffen Abhange des Plateaus hinaufgeklettert waren und mit unverkennbarer Spannung die in dem Thale stattfindenden Ereignisse bewachten.

Bei der eigenthümlichen Klarheit der Atmosphäre in jenen Regionen und in seiner Stellung vermochte Tadeo die Bewegungen Aller genau zu verfolgen; selbst über die einzelnen Persönlichkeiten, obgleich dieselben ihm wie durch das Thal kriechende Käfer erschienen, blieb er keinen Augenblick in Zweifel, noch weniger über den Stand der Dinge selbst, die für die Zwecke der Räuber offenbar keinen günstigen Fortgang genommen hatten.

Südwärts, so weit seine Blicke reichten, sah er die Ebene mit Theilen einer zersprengten, ursprünglich nach vielen Tausenden zählenden Schaf- und Ziegenheerde bedeckt. Berittene Hirten waren beschäftigt, die nach allen Richtungen fliehenden Thiere wieder zusammenzutreiben. Ein Trupp von einigen zwanzig Reitern ließ Hirten und Heerden hinter sich zurück und verfolgte eifrig eine andere, fast ebenso starke Reiterschaar, welche einen Vorsprung von einer guten halben Stunde haben mochte. Letztere hielt sich in der Nähe des westlichen Plateaus, wo von den Höhen niedergewaschenes und niedergebrochenes Erdreich und Gestein sich pfeilerartig an die schroffen Uferwände lehnten, diese aber ihre sich allmählich senkenden Ausläufer weit in die Ebene hinaussendeten. Aus den Bewegungen der einzelnen Reiter ging hervor, daß sie sich den Blicken der Verfolger zu entziehen suchten, was ihnen zwischen den unregelmäßigen Hügelketten augenscheinlich gelang; dagegen befanden sie sich unausgesetzt in Tadeo's Gesichtskreise. Die Schafe und Ziegen angesichts der ihnen nachsetzenden Männer von Anton-Chico zurücklassend, suchten sie mit den Rindern und Pferden auf günstigerem Boden zu entkommen. Aber auch die Rinder waren zuletzt nicht mehr im Stande, gleichen Schritt mit ihnen zu halten, und deutlich gewahrte Tadeo, daß zwei derselben, welche die Flucht zu sehr hinderten, in eine enge Regenschlucht getrieben und dort, um wenigstens das Fleisch für den Stamm zu retten, mittelst Pfeilen niedergeschossen wurden. Dann aber setzten sie die Flucht wieder mit beschleunigter Eile fort, wobei die ganze Bande, einen Halbkreis bildend, gegen vierzig Pferde und vielleicht halb so viele Rinder vor sich hertrieb.

Unfähig, sich mit seinen Freunden im Thal in Verkehr zu setzen, oder sich auch nur bemerklich zu machen, schwankte Tadeo lange, bevor er sich für das eine oder das andere Verfahren entschied.

Den Entführern Brigida's in die Schlucht hinab nachzureiten, wäre ebenso nutzlos wie gefährlich gewesen. Mußten doch zu der Zeit, zu welcher er den Boden der Schlucht erreichte, die Viehräuber unfehlbar vor derselben eintreffen; dann aber bildete die vereinigte Bande eine wohlbewaffnete Macht, welche mit Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen, mindestens achtzehn bis zwanzig Mann erforderlich gewesen wären. Er überlegte noch, als seine Aufmerksamkeit sich wieder dem von Lebeau geführten Trupp zuwendete. Ein Reiter, in welchem er Cristobal erkannte, hatte sich von demselben getrennt und beschrieb mit seinem sich durch seltene Gewandtheit auszeichnenden Renner eine große Achte, worauf er sich den Gefährten wieder anschloß. Diese Bewegung, an sich harmlos, erschien dem spähenden Tadeo dennoch überflüssig und ungerechtfertigt. Der in ihm aufsteigende Argwohn wurde aber zur Ueberzeugung, als die gellenden Rufe der tief unter ihm aufgestellten Schildwachen heraufdrangen, und er, über die Felsenwand niederwärts schauend, entdeckte, daß sie in langen Sätzen den Abhang hinabeilten, die in der Schlucht befindlichen Indianer dagegen die weidenden Pferde aufzäumten und Alles zur Fortsetzung der Flucht vorbereiteten.

»Caramba!« entwand es sich den Lippen des erbitterten Arriero's, und mechanisch umklammerte die rechte Faust das Heft des in seinem Gurt steckenden breiten Messers; »also dennoch im Einverständniß mit ihnen! Ha, ich ahnte längst, weshalb er selbst stets von ihnen verschont blieb. Verdammt, andere Leute verarmen bei harter Arbeit, während er täglich wohlhabender wird, ohne daß man ihn in seinem Heimatsorte jemals arbeiten sähe. Zuerst raubte er die Heerden und demnächst die Tochter; er weiß, daß auf andere Art sie nie sein eigen werden würde. Per Dios, Freund Cristobal! wir wollen sehen, ob ein Peon nicht mehr werth ist, als ein Genosse von Dieben und Räubern.«

Die mit dem Vieh beschäftigten Indianer waren unterdessen der Schlucht gegenüber eingetroffen. Ob die bei Brigida befindlichen Männer sie sahen, vermochte Tadeo von oben herab nicht zu unterscheiden; wohl aber entdeckte er, daß sieben derselben einzeln, je nachdem sie fertig wurden, sich auf ihre Pferde schwangen und in gestrecktem Galopp in das Thal hinauseilten. Sie beabsichtigten offenbar, sich unter dem Schutze der theilweise bewaldeten Hügel ihren Genossen zuzugesellen und ihnen beim Treiben der geraubten Heerde behülflich zu sein, nötigenfalls auch sie in ihrem Widerstand gegen die Verfolger zu unterstützen. Ihr Verfahren befremdete ihn nicht, er hatte es sogar erwartet; dagegen überraschte es ihn, daß der letzte Indianer mit Brigida sich seinen Gefährten nicht anschloß, sondern umkehrte und, des jungen Mädchens Pferd führend, tiefer in die Schlucht eindrang.

»Vor allen Dingen will man die schöne Brigida in Sicherheit schaffen,« sprach Tadeo zähneknirschend vor sich hin; dann entrang es sich wie ein wilder Jubelruf seiner Brust. In der nächsten Minute aber hatte er sich in den Sattel geschwungen, worauf er so lange an der Schlucht hinritt, bis er den in dieselbe hinabführenden Pfad erreichte. Brigida und ihr Wächter waren unterdessen hinter dem nächsten Ufervorsprunge verschwunden. Tadeo konnte daher unbemerkt in die Tiefe hinabgelangen, wo er sogleich den Lasso zur Hand nahm und in schnellster Gangart die von dem Comanche verfolgte Richtung einschlug.

Brigida ritt einen indianischen Mustang; man hatte sie auf denselben festgeschnürt; ebenso waren ihr, um sie vollständig in die Gewalt ihres Wächters zu geben, die Hände gefesselt worden. Den Zügel ihres Pferdes hatte der Indianer dafür an seinen eigenen Sattel befestigt, so daß, wohin er sich wenden mochte, sie ihm beständig zur Seite blieb. Die Bewegungen der beiden Pferde wurden dadurch auf dem hindernißreichen und oft sehr schmalen Wege natürlich vielfach gehemmt; allein da der Wilde sich mit seiner Beute außer aller Gefahr wähnte, so geizte er nicht mit der Zeit, und so groß war sein Sicherheitsgefühl, daß er kaum aufschaute, als er plötzlich den Hufschlag eines ihm nachsetzenden Pferdes vernahm. Lag es für ihn doch außerhalb des Bereiches der Möglichkeit, daß der vorläufig noch durch eine Schluchtbiegung seinen Blicken entzogene Reiter ein Anderer, als einer seiner Gefährten sein könne. Sorglos ritt er um die nächste Biegung herum; dort aber, wo die Abhänge der Plateau's weiter zurücktraten, hielt er an, um den vermeintlichen Gefährten zu erwarten und den Zweck seines Kommens zu erfahren. Nachlässig hatte er sich halb im Sattel umgedreht; anstatt aber rückwärts zu schauen, weideten sich seine schadenfrohen Blicke an der lieblichen Brigida, die, ein Bild hoffnungsloser Verzweiflung, auf dem Rücken des geduldigen Mustangs hing und nur durch die festgeschnürten Banden am Hinabsinken gehindert wurde. Jetzt sprengte der Reiter hinter dem Ufervorsprunge hervor. Der Indianer sah mechanisch hinüber, aber als sei er von einem tödlichen Geschoß getroffen worden, schnellte er empor, sobald er Tadeo erkannte, der bei seinem Anblick sogleich den Lasso um's Haupt schwang und mittelst einer einzigen Drehung die Schlinge in Kreisform öffnete.

»Hund von einem Comanche!« rief er gleichzeitig, dem Pferde die Sporen tief in die Weichen drückend, denn er gewahrte, daß der Indianer, einem dunkeln Triebe der Selbstverhaltung folgend, das Messer aus dem Gurt riß und sich bereit machte, den ihm drohenden Lasso rechtzeitig zu durchschneiden. Doch der Elende hatte keinen gewöhnlichen Arriero vor sich, der, um einen Menschen zu fangen, die Schlinge bis zur Größe eines Wagenrades hätte erweitern müssen. Klein, ganz klein, kaum anderthalb Fuß im Durchmesser und aus einer Entfernung von dreißig Fuß kam die verhängnißvolle Schleife angesaust, so klein, daß, als er den Arm ausstreckte, um sie mit dem Messer aufzufangen, sie zwischen Arm und Kopf hindurchglitt und sich eng um seinen Hals legte. Er suchte sich zu befreien und griff mit der linken Hand in die Schlinge, doch in demselben Augenblick bäumte sich Tadeo's Pferd, und sich vor dem heftigen Schenkeldruck seines Reiters herumwerfend, der mit Blitzesschnelligkeit das lose Ende des Lasso's um den Sattelknopf schlang, riß es den Indianer rücklings zur Erde. Gleich darauf stand Tadeo mit dem geschwungenen Messer über ihm; allein es bedurfte dieser Vorsicht nicht mehr, die Gewalt des Stoßes hatte dem Elenden das Genick gebrochen und seinen jähen Tod herbeigeführt. –

Draußen im Thale hatten unterdessen Räuber wie Verfolger nach begonnener Weise ihren Weg fortgesetzt: Letztere die frischgebrochenen Fährten beständig im Auge, Erstere seit Eintreffen der Genossen mit erneuten Kräften ihre Beute zwischen den vielfach gekerbten Plateaupfeilern und Hügeln einhertreibend. Rind auf Rind wurde abseits gejagt und niedergeschossen, bis zuletzt deren höchstens noch zehn oder zwölf die galoppirenden Pferde begleiteten. So gelangten endlich auch die Verfolger in die Mündung der Schlucht, und nach allen Seiten stoben sie auseinander, um sich Gewißheit über den Ursprung der ihnen entgegenstehenden Fährten zu verschaffen. Cristobal war der eifrigste von Allen; er sprengte am tiefsten in die Schlucht hinein, wo die westwärts ausgeprägten Hufspuren ihn bald belehrten, daß sein verrätherischer Plan geglückt sei. Ohne Säumen gesellte er sich darauf den Gefährten wieder zu, trotzig behauptend, mit fruchtlosen Forschungen keine Zeit verlieren zu dürfen.

»Seid verdammt genau mit den Schleichwegen der Comanches vertraut!« rief Lebeau aus, dessen scharfen Augen keine einzige der von den Entführern Brigida's in der Schluchtmündung ausgeprägten Spuren entgangen war, »neun Pferde haben hier gestanden, sieben sind in's Thal hinausgezogen, während zwei umkehrten. Es sollte mich nicht wundern, würden wir für unsere Mühe belohnt, verlören wir die beiden letzteren nicht aus den Augen.«

»Wofür haltet Ihr mich?« fuhr Cristobal wüthend auf, indem er die rechte Hand an den Kolben seiner Pistole legte.

Lebeau lachte spöttisch.

»Vielleicht gerade für das, für was Ihr am wenigsten gehalten sein möchte,« antwortete er sodann, »aber laßt Eure Knallbüchse stecken, es möchte mir sonst einfallen, Euch zu 'ner Art westlichen Duells herauszufordern.«

»Friede! Friede, Sennors,« bat der Alkalde dringend; »wenn Ihr überhaupt noch geneigt seid, mir zur Erlangung meines Eigenthums behülflich zu sein, so spart Euren Hader für gelegenere Zeiten auf.«

Er wollte noch etwas hinzufügen, als die Aufmerksamkeit Aller in die Schlucht hineingelenkt wurde, von woher der Galopp zweier Pferde zu ihnen herüberdrang. Sobald aber Tadeo und Brigida sichtbar wurden, Letztere mit aufgelöstem Haar, brach sich das Erstaunen in einem allgemeinen Ausruf Bahn. Nur Lebeau blieb ruhig und beobachtete argwöhnisch Cristobal, der bei dem unerwarteten Anblick erbleichte, während sein Pferd, als sei die Unruhe seines Herrn in es übergegangen, ungeduldig hin und her trat.

Als sie sich den ihrer Ankunft erstaunt entgegensehenden Freunden bis auf etwa fünfzig Schritte genähert hatten, mäßigte Tadeo die Eile seines Pferdes, während Brigida neben ihren Vater hinflog, ihn unter Thränen des Entzückens begrüßend und mit wenigen Worten die überstandenen Leiden und ihre Rettung durch Tadeo schildernd.

Wie erstarrt vernahm der Alkalde die Kunde von der Gefahr, welche seinem Hause gedroht hatte; die ringsum Haltenden schienen dagegen das Vernommene zu bezweifeln, und fragend ruhten alle Blicke auf Tadeo und Cristobal, als Letzterer, welchen der empfundene Schrecken förmlich gelähmt hatte, sich plötzlich wieder hoch im Sattel aufrichtete und mit einem Ausdruck wahrhaft thierischer Wuth um sich spähte.

»Bestreitet Jemand, daß der Peon da drüben im Einverständniß mit den Räubern handelte, um sich des Mädchens zu bemächtigen?« rief er aus.

»Tadeo ist unschuldig, er ist mein Retter!« fiel Brigida flehentlich ein, denn noch kannte sie nicht den ganzen Umfang der von dem Ranchero verübten Verrätherei.

»Ich bin Mannes genug, für mich selbst zu sprechen!« schnitt Tadeo nunmehr alle weiteren Eröterungen ab, und sein Pferd mit dem in seiner rechten Faust ruhenden Lasso heftig antreibend, sprengte er bis auf zehn Schritte vor Cristobal hin. »Don Cristobal!« redete er den ihn mit einem Gemisch von Haß und Geringschätzung Betrachtenden an, »seid Ihr bereit, die gegen mich erhobene Anklage zu vertheidigen, wohlan, so bin ich ebenso bereit, nicht nur zu vertheidigen, sondern auch zu beweisen, was ich, der Peon, jetzt Euch gegenüber behaupte: Mit Eurem Wissen und Willen ist heute zum dritten Male unser Alkalde seines Viehs beraubt worden; auf Euer Anstiften allein wurde Brigida« –

»Hund von einem Peon!« schrie Cristobal, vor Wuth seiner nicht mehr mächtig, und gleichzeitig riß er eine Pistole aus dem Holster, die er auf Tadeo abfeuerte.

Brigida stieß einen Schrei des Entsetzens aus und schmiegte sich an ihren nicht minder erschrockenen Vater an. Lebeau sprengte wild fluchend an Cristobal vorbei, mit gewandtem Griff ihm die zweite noch geladene Pistole entreißend und neben sich in den Sand abfeuernd; der Arriero aber hielt da, wie aus Erz gegossen; nur die Schlinge kreiste in der erhobenen Faust langsam um sein Haupt. Die mit unsicherer Hand abgeschossene Kugel hatte ihn nicht berührt.

«Friede, Ruhe! Die Sache soll untersucht werden!« ermahnte der Alkalde.

»Lasso gegen Lasso!« rief dagegen der über die Aussicht auf einen Zweikampf entzückte Lebeau. »Lasso gegen Lasso! Beide verstehen gleich gut ihn zu schwingen, und ein feiger Hund, wer zurücksteht! Halloh! Platz da hinten für die Kämpfer! Zeigt, daß Ihr ein Mann seid, Don Cristobal, und kein Vieh- und Mädchenräuber!

»Tadeo, jetzt gilt's, durch einen einzigen Wurf den Peon von Euch abzustreifen! Wer zuerst stürzt, hat verloren, und der Sieger mag ihm zehn Kantschuhhiebe mit in den Kauf geben!«

Weiter brauchte der tolle Bärenjäger nicht anzufeuern. Cristobal hatte den Lasso vom Sattelknopf gelöst und geordnet, mit einem Fluche riß er sein Pferd herum, und die geöffnete Schlinge kunstgerecht schwingend, bereitete er sich zum Angriff auf den Arriero vor.

Obwohl alle Anwesenden die zwischen den beiden Nebenbuhlern bestehende tödliche Feindschaft kannten, glaubte doch Niemand, daß der Kampf weiter, als bis zu der Erniedrigung des Einen von ihnen fortgesetzt werden würde. Selbst der Alkalde theilte diese Meinung, und wenig eindringlich waren seine Worte, als er Brigida zu überreden suchte, sich mit ihm zu entfernen. Brigida aber saß da, als hätte sie des Vaters Worte nicht gehört. Sie war zu sehr Mexikanerin, zu sehr in Liebe dem jungen Arriero zugethan, um eine Stätte zu verlassen, auf welcher über ihr Lebensglück entschieden werden sollte.

Die beiden Reiter hatten unterdessen begonnen, sich gegenseitig in den buntesten Schlangenlinien zu umkreisen. Die Lassos drehten sich in den erhobenen Fäusten; fest waren die Augen auf den Gegner und die feindliche Waffe gerichtet, jede Bewegung genau berechnend und dem eigenen Pferde keine Sekunde Rast gönnend. Ringsum herrschte tiefe Stille, man hörte nur den unregelmäßigen Hufschlag und das Keuchen und Schnauben der bis zur Aufbietung ihrer äußersten Kräfte angetriebenen Pferde.

Plötzlich richtete Cristobal sich in den Steigbügeln empor, und sein Pferd zu einem langen Satze zwingend, holte er zum Wurf aus. Der Lasso entglitt indessen nicht seiner Hand; er hatte Tadeo nur täuschen und zum Schleudern bewegen wollen, um gleich darauf desto sicherer von seiner eigenen Waffe Gebrauch zu machen; denn als das Pferd den Boden wieder berührte, drehte der Lasso sich, anstatt über seinem Haupte, seitwärts von ihm, wahrend er den Oberkörper fest an den Hals seines Pferdes anschmiegte, in der Hoffnung, daß die zuversichtlich erwartete Schlinge harmlos über ihn hingleiten werde.

Und Tadeo warf wirklich, allein nicht in gerader Richtung, sondern er beschrieb mit der über seinem Haupte kreisenden Schleife eine schiefe Achte, und als seine Faust sich öffnete, da zuckte sie, mit unglaublicher Kraft und Sicherheit gelenkt, dicht über den Kopf seines eigenen Pferdes fort, so daß sie dem ebenfalls nach vorn drängenden Pferde Cristobals im Sprunge begegnete, über dessen Kopf glitt und zugleich den sich noch immer an den Hals seines Thieres anklammernden Reiter mit faßte. In demselben Augenblick warf der Arriero aber auch schon sein Pferd herum, und zwar mit einer solchen Gewalt, daß Cristobals Renner, welcher durch einen neuen Sprung nach vorn die Wucht des Stoßes verdoppelte, krachend auf den Rücken schlug den mit ihm durch die Schlinge vereinigten Ranchero unter sich begrabend. –

Brigida hatte die Hand ihres Vaters ergriffen, dieselbe leidenschaftlich pressend. Es war die einzige Art, auf welche sie ihre sie fast überwältigenden Empfindungen zu offenbaren vermochte. Von den Lippen der übrigen Anwesenden brach dagegen ein triumphirendes Hurrah, sobald sie den Arriero siegreich aus dem Kampfe hervorgehen sahen. Mehrere sprangen aus dem Sattel, um Cristobal zu Hülfe zu eilen; auch Tadeo näherte sich ihm, es seinem Pferde überlassend, die an dem Sattelknopf befestigte Leine straff zu halten.

Als er bei dem Besiegten eintraf, zwang er sein Pferd durch einige ihm zugerufene Worte die Leine zu lockern. Cristobals erprobter Renner erhob sich stolpernd; er selbst aber fiel, sobald die Schlinge sich öffnete, schlaff zurück. Mochte es in Tadeo's Absicht gelegen haben, oder nicht, die unscheinbare Waffe, mit welcher er vom Sattel seines wohlgeschulten Pferdes aus den wildesten Stier niederzuwerfen verstand, war auch hier in seiner Faust eine furchtbare geworden. Alle Wiederbelebungsversuche blieben vergeblich; der Lasso und die Gewalt, mit welcher das Pferd auf ihn stürzte, hatten Cristobals Knochengerüst förmlich zerschmettert. – – – –

In trüber, banger Stimmung trennte sich die Gesellschaft von einander. Der Alkalde schlug mit seiner Tochter den nächsten Weg nach Anton-Chico über das Plateau ein. Mehrere Hirten, den auf sein Pferd gebundenen Leichnam zwischen sich, begaben sich durch das Thal auf den Heimweg. Die übrige streitfähige Mannschaft, an ihrer Spitze Lebeau und Tadeo, setzten dagegen die Verfolgung der Räuber fort. Erst am Abend des nächsten Tages trafen sie wieder bei den Ihrigen ein, und mit sich brachten sie einige Rinder und alle Pferde bis auf zwei.

Man hatte die Räuber wirklich eingeholt, zum Kampfe war es indessen nicht gekommen. Dafür hatte Lebeau ein Einverständniß mit den Comanches vermittelt, laut dessen sie zwei Pferde und das Fleisch der von ihnen erschossenen Rinder behielten, sich dagegen verpflichteten, Anton-Chico fortan, gegen Erstattung eines mäßigen Tributes an Ziegen, nicht mehr durch räuberische Ueberfälle heimzusuchen. Außerdem lieferten sie die untrüglichen Beweise, daß sie stets im Einverständniß mit Cristobal gehandelt hatten und ein großer Theil der von ihnen verübten Grenzräubereien ihm zur Last gelegt werden mußte.

Letzteres verscheuchte die trübe Wolke, welche noch das Gemüth des Einen oder des Andern in Anton-Chico umdüsterte; und als drei Monate später wieder einmal des Abends nach Sonnenuntergang die Kirchenglocke die tanzfähige Einwohnerschaft zu einem ungewöhnlich glänzend ausgestatteten Fandango rief, da geschah dies, um die eheliche Verbindung und kirchliche Einsegnung des freien Bürgers Tadeo mit der schönen Brigida, der Tochter des würdigen und mit dem Verlauf der Dinge zufriedenen Alkalden, zu verherrlichen.


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