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Die »Streitfrage«, ob auch das Tier eine Seele habe, ist wohl keine Streitfrage mehr; dürfte für die meisten entschieden sein in dem Sinne, daß nicht nur eine Seele im Tiere lebt, sondern daß diese Seele auch Charakter ausweist, Temperament, Denkfähigkeit (bis zu einem erstaunlich hohen Grade), Lust, Unlust – ganz wie beim homo sapiens. Der Tiercharakter wird zunächst zwar von der Rasse bestimmt, aber innerhalb des Rassencharakters hat noch jedes Tier seine besonderen, nur ihm eigentümlichen Charaktereigenschaften. Wer diese Meinung nicht teilt, wer die Tierseele leugnet, wer das Tier nur aus Instinkt handeln läßt, bestenfalls gewitzigt durch böse Erfahrungen, die es gemacht hat und sich zur Lehre dienen läßt – solch ungläubiger Thomas sollte nach Island gehen. Hat er Augen im Kopfe, so erkennt er hier leicht, Tiere haben nicht nur Seele, Seelenleben, Denkvermögen, Verstand – nein, sie sind genau wie der Mensch »Produkte ihrer Umgebung«. Die Umwelt, in der sie leben, bestimmt auch ihren Charakter, ihre »Anschauungen«, ihre »Weltauffassung«. Wenigstens läßt sich an den Haustieren der Isländer unschwer feststellen, daß ihre »Auffassungen« sich durchaus denen ihrer Besitzer angepaßt haben, und es bringt dem manche fröhliche Stunde, der beobachtet, wie gleichlaufend sich Charakter von Mensch und von Tier hier entwickelt haben.
Konstantinopel ist seiner vielen Hunde halber berühmt, Reykjavik würde es nicht weniger sein, wenn es von der Reisewelt mehr besucht würde. Jeder Hundefreund kommt hier auf seine Rechnung. Der Hunde kenner schon weniger. Ihn würden seine Kenntnisse wohl manchmal im Stiche lassen, versuchte er, die Fidos und Amis, Schnauzerl, Spitzl, Männes alle hübsch säuberlich nach Rasse und Familie zu bestimmen. So würdevoll diese Vertreter der isländischen Hundearistokratie auch durch die Straßen der Hauptstadt spazieren – sie einer bestimmten Rasse zuzuweisen ist nur bei wenigen möglich, oder immer nur zu Bruchteilen. Man kann nicht sagen: dieses Vieh ist ein Dobermann, jenes ein Terrier; hier läßt sich höchstens feststellen: dieses Ohr ist »echter« Seidenpintscher, jener Schwanz ist »garantiert« Neufundländer, usw. Die edlen Tiere selber wissen nichts vom »Makel der Geburt«. Sie bewegen sich mit einem Anstande, als sei ihr Stammbaum so rein und so alt wie der ihrer Herren.
Auch unter der Reykjaviker Hundewelt gibt es ein Veilchen, das im Verborgenen blüht: der unscheinbarste, bescheidenste unter ihnen, das ist der Rassehund! Nämlich der einheimische, isländische. Spitze sind diese echten Tiere. Ihr Äußeres ist drollig genug. Der Rumpf ist walzenförmig, gleicht einem Muff. Dieser Muff läuft auf vier Beinen, die offensichtlich zu kurz geraten sind. Überzogen ist er mit einem dicken, strubbeligen Fell; dessen Haare stehen radial ab wie die Stacheln eines Igels, der Verteidigungsstellung angenommen; Farbe meist rostbraun. Hinten ein stolzer Schweif; er hat eine nicht allzu entfernte Ähnlichkeit mit einer Reiherfeder. Und vorn, fast ohne das Zwischenglied eines Halses, ein zottiger Kopf, aus dem uns zwei klare, hellbraune Hundeaugen treuherzig entgegenblicken. Eine Perle der Schöpfung ist er nicht, kann durch Schönheit nicht einnehmen. Wer ihn das erste Mal sieht, muß schmunzeln, kann dem Köter aber Zuneigung nicht versagen. Was für »seelische Fäden« sich da auf den ersten Blick zwischen Mensch und Tier spinnen, vermag ich nicht zu sagen; die Tatsache besteht: jeder muß diesem isländischen Spitz gut sein, obwohl er äußerlich nichts Bestechendes an sich hat, so wenig, daß er trotz seiner Echtheit unter den Mischlingen fast verschwindet. Im Lande draußen kommt er mehr zur Geltung; da beherrscht er das Feld fast allein.
Kennt man Mensch und Leben hier genauer, so fragt man sich vergebens, weshalb diese vielen Hunde eigentlich gehalten werden. Nötig sind sie auf keinen Fall. Räuber, Einbrecher, Diebe gibt es in Island nicht. Die Leutchen sind, wie wir schon gesehen haben, eine einzige Familie, und da bestiehlt man sich nicht gegenseitig. Fremdes Gesindel kommt nicht hierher, würde sich auch sogleich überzeugen müssen, daß unrecht Gut hier nicht in Sicherheit zu bringen ist. In einem Lande, wo alle Welt einander kennt, jeder vom anderen weiß, was er besitzt, da läßt sich Diebesgut weder selber nutzen noch an den Mann bringen. Nach dieser Richtung hin ist die Sicherheit so groß, daß nur Ängstliche ihre Haustüren abschließen. Und da sollten Hunde nötig sein als Hüter des Hauses?! Nein, aus diesem Grunde hält sie keiner, ganz abgesehen davon, daß die lieben Hündchen ihrer ganzen Weltauffassung nach zu solchem Amte auch völlig unbrauchbar sind, wie wir sogleich sehen werden. – Es bliebe die Vermutung, daß die Isländer große Hundefreunde wären. Doch sie trifft nicht zu. Der Isländer neigt nicht dazu, Hunde oder überhaupt Tiere zu verhätscheln, sich mit ihnen abzugeben, Freundschaften mit ihnen zu schließen. So viele Hunde und Katzen es hier auch gibt: der Hundenarr oder die alte Jungfer, die ihren Kater behandelt wie ein leibliches Kind – sie sind in Island unbekannt. Unbekannt ist andererseits das Gegenteil solcher Tiervernarrtheit: Tierquälerei, Tierschinderei. Der Isländer ist ein gutmütiger Mensch, ihm wird nie einfallen, ein wehrloses Tier zu mißhandeln, weder mit Schlägen, Prügeln, noch mittelbar, wie z. B. diejenigen tun, die von einem Tiere mehr verlangen, als es leisten kann; Lastpferde, Esel, Ziehhunde können hiervon ja ein Lied singen. Derartiges sieht man in Island nie, und wenn es gleichwohl einen Tierschutzverein gibt, so ist verwunderlich, daß er mangels Beschäftigung nicht längst einschlief. Des Isländers Verhältnis zu seinen Haustieren und Nutztieren läßt sich mit kurzen Worten so kennzeichnen: er macht kein Wesens mit ihnen, aber sie gehören für ihn »mit dazu«, sind regelrecht seine Kameraden. Sie haben ihre Pflichten, doch auch ihre »Rechte«, und zwar ähneln diese Rechte der »Gewerbefreiheit«, wie ein berühmt gewordenes Reichsgerichtsurteil sie bestimmt hat: die ist kein positives Recht, sondern begründet nur den Anspruch, von Beschränkungen, Einschränkungen freizubleiben. So ähnlich steht sich die Welt der Haus- und Nutztiere in Island: sind sie »dienstfrei«, so läßt man sie tun und treiben, was sie wollen.
Jedem Fremden fällt an den Hunden (gleich, ob echt, ob unecht) sofort eines auf: der Begriff »Fremder« ist ihnen etwas ganz Unbekanntes, wenigstens »fremd« mit dem Nebensinne »verdächtig«. Unsere deutschen Hundeseelen wittern doch in jedem, der nicht zu Haus, Hof, Familie gehört, einen Feind, einen Angreifer, und kläffen und knurren ihn entsprechend an. Geht bei uns ein Hund den Fremden nicht so an, so ist er eines jener widerlichen, verzogenen Viecher, die gewohnt sind, Entzücken und Zärtlichkeiten der Besucher entgegenzunehmen wie eine Prima Ballerina die Huldigungen der Lebe-Herrenwelt, und die sich bedanken zu müssen glauben, indem sie dem Besucher Hand, Nasenspitze, Wange lecken. Zu dieser eklen Sorte gehört der isländische Hund nicht; schon weil er überhaupt nicht gewohnt ist, gestreichelt, gehätschelt zu werden. Er weiß einfach nicht, daß es fremde Menschen gibt. Er kennt es von seinen Herren her nicht anders als: wir sind doch alles eine große Familie. Ich habe das Experiment oft genug gemacht, einem sich sonnenden Köter ein Schnalzzeichen mit den Fingern zu geben und ihn dabei anzurufen, etwa: Na, Spitz …! Sofort schlägt der Schweif zum Zeichen der Freude, zugleich blinzelt einen das Tier an, ohne den Kopf zu heben – und dann fliegt der mit einem plötzlichen Ruck empor, und man wird aus den treuherzigen Hundeaugen angestarrt mit einem »Gesichts«-Ausdruck, der deutlich genug besagt: nanu, dich kenne ich doch garnicht! Aber nichts von Scheu, Feindseligkeit; nur grenzenloses Erstaunen! Lockt man ihn heran, spricht auf ihn ein (es kann Deutsch sein, die Sprache der Hundefreundschaft ist international), so kommt er schweifwedelnd, und man wird beschnüffelt, nicht mit Argwohn, sondern mit Freundlichkeit, die unverkennbar mit Verlegenheit gemischt ist – genau so, wie wir Menschen uns benehmen, wenn uns einer auf der Straße freundschaftlich anspricht, wir im Augenblick aber nicht wissen, wo wir ihn »hintun« sollen – wie wir dann gleichfalls ein gewisses verbindliches Wesen an den Tag legen, aber dennoch bemüht sind, nicht zu freundlich zu sein, kurz, einen Eiertanz aufführen zwischen dem Bestreben, uns eine unerwünschte Zufallsbekanntschaft nicht zunahe kommen zu lassen, und der heimlichen Besorgnis, nicht durch Fremdtun den Unrechten vor den Kopf zu stoßen. Ebensolch' Widerstreit der Empfindungen offenbart sich in dem Verhalten des Hundes, und dies zu beobachten ist tatsächlich sehr spaßhaft. Streichelt man das Tier, so läßt es sich dies nicht nur mit Wonne gefallen, sondern bellt freudig auf und macht vergnügte Sätze, und man kann seinem Gesicht wieder deutlich den Gedanken ablesen: der muß mich doch gut kennen; ich hatte ihn wohl nur vergessen! Sein Vertrauen ist nun so groß, daß es nur noch der Aufforderung bedarf, und er schließt sich als Begleiter an. Manchen solchen fremden Köter habe ich auf Spaziergängen bei mir gehabt, stundenlang, meilenweit, und auf dem ganzen Wege konnten die Tiere sich nicht genug tun, ihre Freude zu bezeigen, daß sie einmal einer mitnahm und sich mit ihnen abgab. In die Stadt zurück, empfahlen sie sich stillschweigend und trollten heim.
Bei nächtlichen Spaziergängen, die ja in Reykjavik an der »Tages«-Ordnung sind, ist das Fehlen jeglichen Hundegekläffs und Hundegeheuls auffällig. Man erinnere sich, wie in Deutschland zur Nachtzeit der Schall von Tritten die Hundeschaft ganzer Dörfer in Aufruhr zu bringen vermag; wie die Hunde eines Dorfes denen des nächsten jeden nächtlichen Wanderer durch heiseres Gebell signalisieren und wie sich dieses Signal von Dorf zu Dorf weitergibt. Auch um Reykjavik herum trifft man hie und da ein Dorf, einen Weiler, einzeln stehende Gehöfte. Doch kein Hund schlägt dort an, ob man auch dicht daran vorübergeht. Dieser erfreuliche Mangel an Hundegeheul trägt zu der ergreifend feierlichen Stille bei, die über den Nächten in Island liegt, selbst in dichter besiedelten Gegenden. Betritt ein Fremder bei Tage ein Haus oder ein Grundstück, so empfängt ihn eben so wenig ein bläffender Köter wie ein an der Kette rasselnder Hofhund. Im Gegenteil, des Hauses redlicher Hüter naht schweifwedelnd, heißt den Gast willkommen, macht regelrecht die Honneurs, wird sogar zärtlich, wenn man ihn anspricht oder gar streichelt, von einer Pflicht, des Herrn Eigentum zu bewachen, gar zu verteidigen, hat der isländische Hund keinen Begriff. Nicht, daß es ihm an Mut, an Schneid fehlte; er kennt es nicht anders: hier ist alles eine Familie und ein »Fremder« kein Fremder. Umgekehrt ist ihm auch jede Scheu vor fremdem, also verbotenem Gebiete unbekannt. In Deutschland wird kaum ein Hund wagen, ohne seinen Herrn in ein fremdes Grundstück zu laufen; in Island kann man sehr leicht erleben, daß man Besuch bekommt – von solchem Köter! Und der scheint dabei durchaus »nichts zu finden«. Ja, Reykjavik hat mehrere stadtbekannte Hunde, die in aller Form und Selbstständigkeit Kaffeehäuser und Konditoreien besuchen und sich bei den Gästen Zucker und Kuchen zusammenschnorren. Sie kennen die Zeiten sehr genau, zu denen die Gaststätten gut besucht sind, nachmittags ist dies die Stunde von drei bis vier Uhr. Vor drei läßt sich keiner dieser vierbeinigen Stammgäste blicken, und nach vier ebenfalls nicht – bis zum Abend.
Es hat eine pazifistische Atmosphäre, dieses Island, und in ihr lebt der Hund ein paradiesisches Dasein. Wie er keines Menschen Feind ist, so ist er auch keines anderen Tieres Feind. Er ärgert die andern zwar gern ein bißchen, jagt ihnen einmal einen Schrecken ein, aber ernstlich tut er keinem etwas zuleide, nicht einmal den Katzen, die fast nicht weniger zahlreich als er die Straßen beleben. Auch die Katzen laufen hier mit einer Selbstverständlichkeit umher, als gäbe es gar keine Feinde ihres Geschlechtes. Ein bißchen mißtrauisch gegen die Hunde sind sie ja, aber sie lassen sich nicht abhalten, ihre Spaziergänge zu machen – richtig durch die Stadt hindurch. Auch im Freien findet man sie auf ihren Ausflügen, und sie machen's da genau wie die Hunde: schließen sich dem lustwandelnden Menschen gern an. Ein paar hundert Meter weit, dann wird ihnen die Geschichte wieder zu langweilig, aber in dieser Zeit sind sie bewußt Begleiter des Menschen. Man sieht, wie sie zu dem selber gewählten Kameraden emporblinzeln, und biegt er vom Wege ab, so folgen sie – bis sie irgend etwas anderes entdecken, was ihre Neugier weckt, und verschwinden.
Das Verhalten der Hunde und Katzen in Island ist demnach verschieden genug von dem der deutschen. Indessen ist's eine Verschiedenheit nur dem Grade nach, nicht der Sache nach. Läßt sich doch nicht leugnen, daß im Großen und Ganzen auch bei uns Hund und Katze an den Menschen gewöhnt sind und seine Kameradschaft suchen. Aber die Straßen Reykjaviks wie auch anderer hiesiger Städte bieten überdies Tierbilder, die ohne gleichen dastehen dürften. Die Pferde sind es, die das Straßenbild beherrschen, mehr als Hund und Katze. Nicht die Pferde, die vor den landesüblichen zweirädrigen Karren gespannt sind oder einen – »stolzen« kann man kaum sagen – Reiter tragen, sondern die vielen anderen, die ledig jeder Pflicht, bar jeder Menschenscheu durch die Straßen spazierengehen, die »Gärten« mit ihrem Besuche beehren, um die kümmerlichen Grashalme zu knabbern, die mit einander spielen wie die Hunde und sich wohl auch mal mitten auf die Straße legen und sich behaglich auf dem Rücken wälzen ohne Rücksicht darauf, daß sie den übrigen Verkehr hindern – und die dieses so selbstverständlich selbständige Gebaren nicht nur »an den Tag« legen, sondern auch zur Nachtzeit so umhertrotten. Mit diesen isländischen Pferdchen ist's wie mit den isländischen Spitzhunden: ihr Äußeres besticht nicht durch schöne Linie, mutige Haltung, seidiges Fell. Strubbelig sind sie, auf Grund ihrer umherschweifenden Lebensweise meist mit Staub, Schmutz behangen – Striegel und Kartätsche sind, ihrem ungepflegten Fell nach zu urteilen, in Island gänzlich unbekannt, und ihr Gang ist, wenn sie nicht grade spielen, langsam, fast schwerfällig, und ihre Intelligenz erscheint nur mäßig. Dennoch nehmen sie des Menschen Herz auf den ersten Blick gefangen; so ist es noch jedem ergangen. Weshalb? Das ist schwer zu sagen. Ihre äußere Erscheinung kann es kaum sein. Der läßt sich besten Falles eine gewisse Zierlichkeit nachrühmen insofern, als die Tiere zur Rasse der Ponys gehören. Doch als zierlich wirkt diese kleine Figur nur auf den, der vom Kontinent her den Anblick größerer Pferderassen gewöhnt ist. Dieser Eindruck müßte sich eigentlich verlieren, da sich das Auge so schnell mit Äußerlichkeiten abfindet. Aber das Gefühl der Zuneigung bleibt, so lange man auch im Lande weilt. Ich erkläre sie mir damit, daß diesen Pferdchen unverkennbar ein Ausdruck des Treuherzigen, Gutmütigen eigen ist. Auch sieht man ihnen und ihrem Verhalten sogleich an, daß sie keinerlei Ansprüche stellen, mit allem zufrieden sind, viele von ihnen haben vermutlich nicht einmal einen Stall; aber auch solche, von denen ich bestimmt weiß, daß ihnen die Stalltür offen steht, verschmähen jeden Unterschlupf und ziehen den freien Himmel vor, selbst bei heftiger Kälte, bei Schneetreiben, bei Regenschauern. Ihr Fell scheint beneidenswert dick zu sein. Andererseits hat der Fremde tagsüber Gelegenheit genug, sie bei der Arbeit zu beobachten, und auch da zeigt sich, daß sie unverdrossen und mit Fleiß ihre Pflicht erfüllen. »Drückeberger« wird man unter ihnen nicht finden. Kurz, diese staubbedeckten, wenig sauberen, für den oberflächlich Beobachtenden halbverwilderten Pferdchen sind ein Muster von »Bravheit«. Diese guten Charaktereigenschaften im Verein mit der drolligen Art, in der sie ihr durchaus individuelles Dasein führen, diese Harmlosigkeit, Selbstverständlichkeit mögen der Grund sein, daß sie uns von der ersten Minute an Zuneigung abnötigen – fast ließe sich sagen: Liebe. Auch sie sind Zärtlichkeiten nicht gewöhnt. Streicheln und Klopfen lassen sie sich ganz gern gefallen, wenngleich sie keine übertriebene Freude dabei bezeigen. Überhaupt gehen sie – bei Tage – gern ihre eigenen Wege, bleiben am liebsten unbehelligt; in der Nacht jedoch kommen sie wohl von selber an den Menschen heran, reiben ihren Kopf an seiner Schulter – und trotten auch ein langes Stück mit. Den Erfahrungen nach, die wir Deutschen hier machten, schließen sie sich besonders gern dann an, wenn mehrere einen nächtlichen Bummel machen und dabei vergnügte Gespräche führen. Es macht nicht selten den Eindruck, als fühlten sie sich von fröhlichen Stimmen angezogen.
Anfänglich hatte man mir erzählt, die Genügsamkeit der Pferdchen ginge so weit, daß sie überhaupt nur Gras oder Heu fräßen. Körnerfutter erhielten sie nie und Brot, Zucker und sonstige bei Pferden beliebte Leckereien verschmähten sie. Dies ist nun freilich nicht ganz richtig. Leckermäuler gibt es auch unter diesen Ponys, und erhalten sie auch keinen Hafer, so doch täglich eine Art »Papps« aus Maisschrot und Maismehl. Den gibt's mittags um ½1 Uhr, wenn die »Herrschaft« mit speisen fertig ist. Es ist spaßig zu beobachten, wie sich die Tiere von 12 Uhr ab an den Haustüren sammeln und dort geduldig warten, bis die Tür sich öffnet und ihnen die Schüssel gereicht wird. Man sieht da so manche Villa, die auch nach unseren Begriffen ein beinahe vornehmes Heim genannt werden kann, zur Mittagszeit belagert von zwei, drei, vier dieser zottigen Herumtreiber, die bis auf die Treppe hinaus stehen, wo eine solche vorhanden. Bemerkenswert ist die Pünktlichkeit, die sie innehalten. Sie wissen genau, wann es zwölf Uhr ist, mögen dies aber vielleicht daran erkennen, daß sich mit dem Glockenschlage die Straßen beleben, weil dann eben alles dem Mittagstische zuströmt. Ein Teil der Pferde kommt übrigens von der Arbeitsstelle. Man läßt sie dort einfach laufen, sobald Mittagspause gemacht wird. Diese Pferde tun nun genau wie ihre Herren: sie gehen »zu Tisch«, lassen sich ihren Maispapps schmecken, machen ein kleines Nickerchen auf offener Straße und trotten dann zurück zur Arbeitsstätte, ohne daß man sie dazu erst antreiben müßte.
Es muß zugegeben werden, daß dieses Pferdeidyll auch manche Störung erleidet. Die Hauptstraßen Reykjaviks sind ihm als Schauplatz verschlossen. Der Verkehr ist dort so stark, Autos und sonstige Fuhrwerke sind so zahlreich, daß die spazierengehenden Pferde von dort verscheucht sind. Von den ruhigeren Straßen möchte sie der Magistrat verjagen; sie bilden angeblich Verkehrshindernisse und eine Gefahr für die im Freien spielenden Kinder. Obgleich beides nicht zutrifft, verbietet ein Ortsgesetz, Pferde ohne Aufsicht umherlaufen zu lassen. Wie die meisten gesetzlichen Verbote in Island ist aber auch dieses das Papier nicht wert, das man mit ihm bedruckt hat. Es kümmert sich niemand darum, und es versucht auch kein Polizeibeamter, dem Gesetze Achtung zu verschaffen. Island und die Isländer sind kein Boden, auf dem polizeiliche »Schneidigkeit« gedeihen könnte. Weshalb dann überhaupt Verbote? wird mancher nebenbei fragen. Nun, erlassen werden sie wohl auch nur aus dem Grunde, damit die Stadtverwaltung gegen Schadensersatzansprüche gedeckt ist, wenn doch einmal ein Unglück geschehen sollte. – Mit seiner Abneigung gegen das freie Umherlaufen der Pferde steht der Magistrat nicht allein da: sie wird geteilt von der Reykjaviker Hundewelt – nicht nur geteilt, sondern ab und zu auch energisch durch die Tat vertreten. Es ist offensichtlich beständiger Kummer und Ärger der Hunde, daß diese großen Kameraden gleich ihnen so ungezwungen Straßenfreiheit genießen; sie scheinen es für eine Art göttlicher Weltordnung, für eines ihrer Grundrechte zu halten, daß neben Menschen eben nur Hunde auf die Straße gehören. Die temperamentvolleren unter ihnen versuchen immer wieder, dieser egozentrischen Auffassung Geltung zu verschaffen und die Pferde von der Straße zu vertreiben – und da kann man dann Bilder echten Humors sehen. Steht da so ein Gaul auf einer Rasenfläche an der Straße und sucht sich die kümmerlichen Hälmchen einzeln zusammen. Schon naht einer der Hunde, nimmt das – gesetzlich gerechtfertigte (s. o.) – »Ärgernis« und kläfft den Gaul von hinten her scheinbar wütend an; scheinbar nur, der vergnügt wedelnde Schwanz beweist, daß ihm sein Tun nichts als ein »Mordsspaß« ist. Das kann Minuten lang so gehen, denn das Pferd besitzt eine Kanonenruhe. Nur ab und zu wirft es dem Köter einen halb vorwurfsvollen, halb erstaunten Blick zu: weshalb diese Aufregung? Das Gejaule lockt andere Hunde herbei, so ein Hund ist wie ein Mensch: wo was »los« ist, muß er dabei sein. Bald sind es zwei, drei und auch mehr, und sie alle setzen dem Gaul mit heiser und heiserer werdendem Gebell zu – immer hübsch von hinten und in genügender Entfernung. Denn der Attackierte könnte ausschlagen. Daran denkt das friedliche Pferdchen nun freilich nicht. Es ist weit entfernt davon, sich etwa zu fürchten. Aber das Gekläff fällt ihm mit der Zeit auf die Nerven; dies ist ihm deutlich anzumerken, und schließlich denkt es wohl: der Klügere gibt nach, und verläßt langsam seinen Platz. Seine Hoffnung, nun Ruhe zu haben, trügt indessen. Die Hunde, durch den Anfangserfolg ermutigt, folgen und bellen nur um so wilder. Nun wird es dem Gaul wirklich zuviel; er trottet in einem kurzen Trabe davon. Dieser Triumph jetzt bei den Hunden, daß es ihnen gelang, den »Großen« zu verjagen! Wie da die Augen blitzen, die Schweife sich stolz in die Höhe recken und sie dem Ausreißer mit Siegergeheul nachsetzen! Das muß man gesehen haben! Ein Zeichner des Tierhumors wie der unvergeßliche Oberländer könnte hier die köstlichsten Studien machen. Das »menschliche« Benehmen der Tiere in Oberländers gemütvollen Zeichnungen – in Island ist es durchaus Tatsache, Wirklichkeit.
Als Zugtiere werden die isländischen Ponys erst seit knapp einem Menschenalter benutzt. Vorher dienten sie nur zum Reiten oder Lastentragen. Reitpferde, Saumpferde sind sie auch noch heute vorzugsweise. Das Innere des Landes kann man ja überhaupt nur im Sattel bereisen. Ist so ein Pferd aufgezäumt, so verschönt, veredelt sich sein Anblick überraschend, und trägt es gar einen Reiter, so prägt sich Stolz in Haltung und Bewegung aus. Man erkennt die bedächtigen, scheinbar ein wenig schwerfälligen »Klepper« garnicht wieder, sobald sie unter einem Reiter gehen. Diese Veränderung zum Lebhaften, Selbstbewußten liegt unstreitig an dem Tiere selber, ist nicht etwa Folge davon, daß nun ein Mensch die Herrschaft über es übt. Die Isländer sind durchaus keine Reitkünstler, wenngleich hier jeder im Sattel zu sitzen versteht, Mann wie Frau und Kind. Ihr Reiten ist kein »Reiten« in unserm Sinne, sondern nur ein »Draufsitzen«. Das isländische Pferd hat eine absonderliche Gangart; es läuft etwa wie eine Katze. Der Reiter wird im Sattel nicht taktmäßig emporgeworfen, kommt nicht in die bekannte Bewegung des Auf- und Niederwippens, sondern sitzt fest wie auf einem Karusselpferde. Dies ist sehr bequem, bei stundenlangem Ritt sehr angenehm, ist jedoch nicht die Gelegenheit, Reitkunst zu zeigen. Der Reiter sitzt nur »drauf«, und macht das Pferd unter ihm eine gute Figur, so ist es sein eigenes und ausschließliches Verdienst. Die Leistungen des Ponys als Reitpferd sind außerordentlich. Es bringt seinen Reiter täglich an achtzig Kilometer weit. Der Zahl nach mag dies nicht grade viel erscheinen. Will man sie richtig würdigen, so hat man die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die das Gelände hier jedem Ritt bietet. Sind schon die Landstraßen in einem beklagenswerten Zustande (außer in Reykjaviks unmittelbarer Umgebung), so hören sie nach dem Innern zu sehr bald überhaupt auf, und es geht dann »über Stock und Stein«. Ehe ich Island kannte, habe ich diesen Ausdruck für eine Redensart gehalten, die nur der schönen Alliteration halber entstand, aber auf einem wenig glücklichen Bilde fußt. In Island bekommt sie Sinn, buchstäblich! Zwar ist das Land auch hier nicht etwa mit »Stöcken« (aus Holz) übersät, aber die Gras- und Moosflächen weisen eine höchst sonderbare Bildung auf, die ein Wandern zu Fuß fast unmöglich macht, jedenfalls sehr ermüdend. Aus Ursachen, die ich nicht erfahren konnte, die wohl überhaupt noch nicht recht ermittelt sind, haben sich überall auf der Erdoberfläche kleine Hügel gebildet, die in ihrer Gestalt Eiern gleichen, die man in ihrer Längsachse halbierte und auf die Schnittfläche legte. Diese Buckel mögen einen größten Durchmesser von etwa einem Meter haben; sie sind gut einen halben Meter hoch und stehen so dicht bei einander, daß ein menschlicher Fuß zwischen ihnen grade Platz hätte. Sie sind mit Gras überwuchert, die tiefen Gräben zwischen ihnen sind meist sumpfig. Auch abgesehen von dieser Feuchtigkeit muß man sich hüten, mit dem Fuß hineinzugeraten – wenigstens unversehens –, da eine böse Verstauchung oder gar ein Knochenbruch sehr schnell die üble Folge sein kann. Es heißt somit für den Fußgänger: über diese Buckel hinwegbalanzieren! Das ermüdet sehr bald, denn man muß große Schritte nehmen, in der Schrittlänge beständig wechseln, da die Buckel so gleichmäßig groß eben doch nicht sind, und der Fuß findet beim Auftreten keine ebene, sondern eine gewölbte Fläche. Was dem Menschen hier so sauer, auf längere Zeit gar unmöglich wird, das ist den Pferdchen eine Kleinigkeit. Mit staunenswerter Sicherheit und Ausdauer traben sie über das beschriebene Gelände, das wie eine ins Riesige vergrößerte Gänsehaut anmutet, traben samt schwerem Gepäck oder Reiter!
Mit derselben Unermüdlichkeit und mit anerkennenswerter Geschwindigkeit laufen sie über Steingeröll, Schutthalden, alte Lavaströme, ohne zu straucheln, ohne die Last zu fühlen, die ihren Rücken drückt. Wie die Gemsen klettern sie steile Hänge hinan und wieder hinab, und ihr Reiter hat nichts zu tun, als sich im Sattel im Gleichgewicht zu erhalten. So leisten diese unscheinbaren isländischen Ponys in der Tat sehr viel, leisten es täglich, ohne Ermüdung zu zeigen. Und hinsichtlich ihrer leiblichen Bedürfnisse hat der Reiter für nichts anderes zu sorgen, als zum Nachtlager einen Platz zu wählen, wo Wasser ist und frisches Gras in genügender Menge wächst. Kein gleich bescheidener, unverdrossener, tüchtiger Helfer dürfte in der Tierwelt zu finden sein wie dieses isländische Pony.
Wir haben dieses Pferd den Haustieren zugezählt, trotzdem seine hervorstechendste Wesenseigenart eigentlich die ist, daß es das Haus des Menschen verschmäht, sich lieber im Freien hält. Aber es steht zum Menschen unleugbar in einem gewissen seelischen Verhältnisse: es ist nicht stumpfes Vieh, sondern Gefährte, Begleiter seines Herrn. Den Kühen, Schweinen, Schafen fehlt dieses seelische Band zum Menschen. Obwohl sie auf ein von Menschenhand errichtetes Schutzdach durchaus angewiesen sind, rechnen wir sie lieber nicht zu den Haustieren, mögen sie es auch äußerlich sein. An den isländischen Kühen läßt sich nichts Besonderes entdecken. Wird festgestellt, daß sie etwas kleiner, schmächtiger als die deutschen sind, so ist damit alles Sagenswerte gesagt. Bekanntschaft mit den hiesigen Schweinen habe ich nur aus dem Umwege über die Bratpfanne gemacht. Man füttert sie mit Abfällen von Fisch und ähnlichem, und es scheint ihnen gut zu bekommen, wenigstens mangelt es ihnen nicht an Fett. Der Geschmack leidet durch diese thranige Kost freilich, und ihm nach zu urteilen ist das (von mir nicht gesehene) isländische Schwein ein Mittelding zwischen Seehund und Pinguin.
Das isländische Schaf ist im Winter Haustier. Im Sommer läßt man es nach Belieben frei herumlaufen, nachdem jedes eine Eigentümermarke aufs Fell gepinselt erhalten hat. Seiner Intelligenz nach ist es wirklich ein Schaf. Statt die grünen Triften aufzusuchen, geht es mit Vorliebe an den Strand – zur Ebbezeit – und sucht sich dort, was das Meer angespült hat. Kommt dann die Flut, so nimmt es nicht etwa Reißaus, sondern bleibt wie angenagelt stehen, läßt das Wasser um sich her höher und höher steigen und tut zu seiner Rettung nichts als jämmerlich um Hilfe zu schreien. Dies dauert so lange, bis der Eigentümer oder sonst jemand herbeieilt und es mit Gewalt aufs Trockene holt – und selbst dabei sträubt es sich noch! Bleibt Hilfe aus, so ertrinkt es eben. Auf diese Weise gehen jährlich nicht wenige Schafe zu Grunde. – Die guten Eigenschaften, die das Schaf besitzt, sind ihm offenbar ins Fell gegangen. Es ist ein Staat, diese Wolle zu bewundern. Sie ist dicker, härter als sonst Schafwolle, spinnt sich daher schwerer und sieht in fertiger Verarbeitung nicht so gut aus. Aber sie wärmt! Wer an Gliederreißen leidet, sollte isländische Wolle tragen; die ist besser als Katzenfell. – In Reykjavik selber sieht man von den Schafen nicht viel. Nur im Herbste kommen ganze Herden in die Stadt, teils um geschlachtet, teils um an Bord verladen zu werden. So eine Schafherde zu dirigieren ist bekanntlich eine Kleinigkeit – unter einer Voraussetzung: man muß das Geheimnis kennen, wie sich der Schafbock dirigieren läßt, oder muß sich sonst mit ihm »gut stehen«. Wo der Bock hingeht, laufen die Schafe blindlings nach; daher haben sie ihren Namen. Nun, die Isländer mögen hervorragende Viehzüchter sein – das eben genannte Geheimnis besitzen sie nicht, und im »Umgang mit Schafböcken« könnten sie wohl noch einiges lernen; diese Meinung wage ich auszusprechen, obgleich ich Laie bin. So ein Bock hat die Eigentümlichkeit, immer da hin zu wollen, wohin er nicht soll, und die ihm nahegelegte Richtung hartnäckig zu »perhorreszieren«. Legt man ihm einen Strick um den Hals, erwürgt er sich. Also wird er folgendermaßen transportiert: der Viehtreiber stellt sich breitbeinig über ihn, sodaß er des Bockes Hals zwischen den Beinen hat; dann packt er mit jeder Hand eines der Hörner und schleift das Tier mit sich – »im langsamen Schritt«, sofern er der Stärkere ist, was aber nicht von vornherein feststeht. Jedenfalls kann man von dem Bock frei nach Wilhelm Busch sagen,
»… daß er sich gewaltig sträubte
und durchaus dagegen war«,
manchmal mit solchem Erfolge, daß es, anstatt vorwärts, rückwärts geht. Von der ästhetischen Wirkung dieses einzigen Bildes abgesehen, erscheint das Verfahren auch logisch schlecht begründet. Ich habe versucht, den Viehtreibern folgendes klarzumachen: wenn der Bock mit Hartnäckigkeit grade die entgegengesetzte Richtung nehmen will und zwischen euren Beinen rückwärts arbeitet, so dreht ihn und euch doch einfach um! Zwingt ihn nur zum Scheine voran und gebt in Wahrheit seinem nach rückwärts arbeitenden Widerstande nach; dann kommt ihr doch viel bequemer zum Ziele! – Ob die Sprachkenntnisse nicht ausreichten, ob der Gedankengang »zu hoch« war, ob die »Erfindung« nur deshalb verschmäht wurde, weil sie von einem Ausländer stammte, keine national-isländische gewesen wäre – ich weiß es nicht. Der Zweikampf zwischen Mensch und Bock wird fortgesetzt, und wer künftig nach Reykjavik kommt, braucht nicht zu befürchten, es sei auch diese schöne Volkssitte verschwunden, gleich so mancher anderen. Das Dumme besitzt überall ein beneidenswert zähes Leben.
An geflügeltem Haustier nennt Island eine stattliche Anzahl Hühner sein eigen. Sie benehmen sich genau wie die deutschen, scharren, legen Eier, glucken. Nur die Hähne haben sich hier ein wenig anders gewöhnen müssen. Die aufgehende Sonne mit ihrem Kikkeriki zu begrüßen, dieses Programm läßt sich in Island nicht so ohne Weiteres durchführen wie in Deutschland, hierher eingeführte Hähne sollten wohl manchmal in Verlegenheit geraten, wann sie zu krähen hätten, wenn im Sommer die Sonne nicht untergeht, im Winter kaum aufgeht. Sofern ich richtig beobachtete, haben sich die Hähne den Gewohnheiten ihrer Herren angepaßt: sie melden sich erst gegen acht Uhr morgens, vorher hört man von ihnen genau so wenig wie von den Menschen. Unseren deutschen Hähnen sagt man nach, sie krähten »nach Regen«; eine besondere Art ihres Krähens deute bevorstehenden Regen an. Etwas Ähnliches läßt sich von den isländischen Hähnen nicht behaupten. Die lassen sich durch keinen Witterungswechsel veranlassen, ihre Stimme zu erheben; sie sollten sonst wohl auch heiser werden bei der Häufigkeit der Wetterumschläge, worüber Näheres im Abschnitt »Wetter und Unwetter« nachzulesen.
Gänse sind auch im Lande, zahme, im Stall gehaltene. Zu sehen erhält man sie kaum; ihr Dasein verraten sie dem Fremden nur durch Schnattern, das aus so manchem Gehöfte herausdringt. Hausenten sind im Jahre 1923 von Deutschland in Reykjavik eingeführt worden und bevölkern – samt zwei Schwänen – den Stadtteich. Sie sind wochenlang angestaunt, gehätschelt, gefüttert worden, wie die schaulustige Menge in Deutschland wohl im Zoo mit Flamingos, Marabus und ähnlichem exotischem Getier tut. – Haustauben sind gleichfalls vertreten. Das trauliche, gemütliche Gurren lassen sie vermissen. Ob der Grund darin zu suchen ist, daß sie kein Körnerfutter erhalten?
Es fehlt hier ein anderer gefiederter Gesell, den man freilich weniger zutraulich als zudringlich, dreist, frech zu nennen hätte: der Sperling! Ihn, den man doch in aller Welt antrifft, wo Menschen hausen, ihn würde man in Island vergeblich suchen. Ein Spötter wollte den Grund seiner Abwesenheit darin erblicken, daß die Pferde hierzulande kein Körnerfutter bekommen; aber diese Erklärung erscheint reichlich »populär -wissenschaftlich«. Gewiß: nach dieser Richtung wird dem Spatzen der »Tisch« hier nicht gedeckt. Doch fehlt es auch sonst an allem, woran er zu naschen liebt: an Obst, jungem Gemüse, überhaupt Saaten, Getreide usw.
Zum Schlusse sei noch eines Vogels gedacht, der zwar kein Haustier ist, sich aber in der Nähe menschlicher Siedelungen in Massen aufhält, zum Bilde der isländischen Landschaft gehört und nicht übergangen werden darf: der Rabe. Das hiesige Rabengeschlecht erfreut sich erstaunlicher Körpergröße, die ohne Weiteres begreiflich macht, daß dieses schwarze Ungetüm einst dem Wotan heilig war. Man findet es überall, wo Fischtrocknungsplätze liegen; die reichlichen Abfälle, die dort zurückbleiben, sind seine Nahrung. Ebenso suchen die schwarzen Gesellen bei Ebbe den Strand ab und lassen sich schmecken, was das Meer an Muscheln, Quallen und ähnlichem angespült hat. Auch der Rabe scheint keine wirkliche Menschenfurcht zu kennen. Sitzt er am Erdboden, so fliegt er freilich auf, sobald man ihm bis auf vierzig, dreißig Schritte nahe ist, sitzt er aber auf einer Stange, etwa einem Maste der Fernsprech- oder Lichtleitung, so muß man ihm schon drohen, damit er sich überhaupt hinwegbemüht. Im Westen Reykjaviks liegt auf einer Halbinsel ein dreißig Meter hoher Hügel, gekrönt mit einer Steinsäule, die etwa für ein Denkmal gelten kann. Dort traf ich einmal einen Raben sitzen, der sich des Sonnenscheins, vielleicht auch der herrlichen Aussicht freute. Meiner Annäherung begegnete er mit ärgerlichem, feindseligem Gekrächze und heftigem Flügelschlagen. Er versuchte regelrecht, mich zu verjagen und seinen Hochsitz zu verteidigen. Erst als ich ihm ganz nahe war, sah er das Vergebliche seines Tuns ein und räumte das Feld. Doch keine zwanzig Meter weiter ließ er sich auf einer Stange wieder nieder und machte von dorther durch wütendes Gezänk seinem Herzen Luft über meine Taktlosigkeit.
Das ist Island – auch in seiner Tierwelt ein Land der Harmlosigkeit, der Zutraulichkeit, des heimlichen, ungewollten Humors!