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VII. Das erste Rendezvous

Es war eine stille, dunkle Nacht. So dunkel war es in dem Garten von Monbijou, das auch das schärfste Auge kaum imstande gewesen wäre, die Gestalten der beiden Männer zu erkennen, die da an den Bäumen hinschlichen; so still war es, daß man, so vorsichtig und leise sie immer gingen, doch das Knistern des Sandes unter ihren Füßen, das Rauschen des Gesträuches, das sie im vorübergehen mit ihren Kleidern streiften, hören kennte. Aber glücklicherweise war kein Lauscher da, sie zu beobachten, und unangefochten und ungesehen gelangten die beiden dunklen Gestalten bis zu dem Ausgang der Allee, welche gerade vor dem Rundplatz endete, an dessen gegenüberliegender Seite das kleine Schloß, die Sommerresidenz der Königin Mutter, sich befand.

Hier standen sie einen Augenblick still und ließen ihre forschenden Blicke über dieses stille Gebäude hinschweifen, das sich schweigend und dunkel wie ein großer Sarg vor ihnen erhob.

Kein Licht mehr in den Fenstern der Königin Mutter, flüsterte der eine. Alles schläft.

Alles schläft? Wir haben also nichts zu fürchten! Lassen Sie uns weiter gehen!

Der, welcher zuletzt gesprochen, machte rasch einige Schritte vorwärts, aber sein Begleiter faßte heftig seinen Arm und hielt ihn zurück.

Sie vergessen, mein junger Heißsporn, daß wir auf das Signal warten müssen, sagte er. Ruhig, ruhig, stampfen Sie nicht so ungeduldig mit dem Fuß, schütteln Sie sich nicht wie ein junger Löwe. Wer auf Abenteuer ausgeht, muß vor allen Dingen besonnen, vorsichtig, überlegt und kalt sein. Glauben Sie das mir, welcher eine lange Reihe von Erfahrungen hinter sich hat, und was das Genre der Liebesabenteuer betrifft, vielleicht mit dem erhabenen König Karl dem Zweiten von England rivalisieren könnte.

Hier aber ist nicht von einem Liebesabenteuer die Rede, Herr Baron von Pöllnitz, sagte der Angeredete ungeduldig und hastig.

Nicht von einem Liebesabenteuer, Herr Baron von Trenck? Und wovon denn, wenn ich fragen darf?

Von einer wirklichen Liebe!

Ah, von einer wirklichen Liebe! wiederholte Pöllnitz mit einem kurzen spöttischen Lächeln. Respekt vor dieser wirklichen Liebe, welche mit allem Pathos ihrer Berechtigung und aller Würde ihres göttlichen Ursprungs hier zu dem königlichen Palast schleicht, und ganz demütig unter den Schatten der Nacht ihr strahlenfunkelndes Haupt verbirgt. Mein guter, junger Schwärmer, bedenken Sie doch, daß ich nicht, wie Sie, ein Neuling, sondern ein alter Praktikus bin, der jedes Ding bei seinem rechten Namen nennt. Jede Liebschaft ist so lange eine wirkliche Liebe, und jede Liebste ein Engel an Tugend, Schönheit und Sittenreinheit, bis wir der Aventüre überdrüssig sind und uns nach einer neuen umsehen.

Sie sind ein unverbesserlicher Gottesleugner, sagte Trenck unwillig. Freilich, wer so oft als Sie seinen Glauben gewechselt hat, der hat gar seine Religion mehr, nicht einmal die Religion der Liebe! Aber sehen Sie, dort drüben zeigt sich ein Licht, und das Fenster wird geöffnet. Das ist das Signal!

Ja, Sie haben recht. Es ist das Signal! Gehen wir! flüsterte Pöllnitz, indem er mit hastigen Schritten dem jungen Offizier nacheilte.

Jetzt standen sie beide vor dem Fenster des Erdgeschosses, das vorher beleuchtet gewesen und jetzt halb geöffnet war.

Wir sind zur Stelle, sagte Trenck hochatmend. Jetzt, mein lieber Pöllnitz, sage ich Ihnen Lebewohl, denn sicher wird es nicht Ihre Absicht sein, noch weiter mitzugehen, wenn die Prinzessin Ihnen auftrug, mich heute abend zum Schlosse zu begleiten, so wollte sie damit eben nur sagen, daß Sie bis zum Schlosse, aber nicht in das Schloß hinein mit mir gehen sollten. Sie werden das begreifen, und da, wie Sie selbst sagen, Sie so reich an Erfahrungen sind, so werden Sie wissen, daß Liebenden nichts störender ist, als die Gegenwart eines Dritten. Sie sind aber zu liebenswürdig, um jemals störend sein zu wollen. Ich sage Ihnen also Lebewohl!

Und indem er so sprach, war Friedrich von Trenck im Begriff, sich in das Fenster zu schwingen; aber der starke Arm des Oberzeremonienmeisters hielt ihn zurück.

Lassen Sie mich zuerst einsteigen, sagte er, und helfen Sie mir ein wenig. Ihre sophistischen Auslegungen der Worte unserer Prinzessin sind ganz nutzlos. Sie sagte zu mir: »Um elf Uhr erwarte ich Sie mit dem Herrn von Trenck in meinem Zimmer.« Das ist ganz deutlich, wie mir scheint, und nun kein Wort weiter! Leihen Sie mir Ihren Arm und helfen Sie mir ein wenig!

Trenck leistete ihm seufzend den verlangten Dienst und schwang sich dann selber leicht und gewandt über das Fenstersims in das Zimmer.

Geben Sie mir jetzt Ihre Hand und folgen Sie mir, flüsterte der Oberzeremonienmeister. Ich kenne hier jeden Schritt und jeden Tritt, und kann Ihnen von dieser Treppe, vor welcher wir jetzt stehen, jede knarrende Stufe angeben. Ich habe das in früheren Jahren sehr genau und oft ausprobiert, besonders damals, als Peter der Große mit seiner Gemahlin und seinen zwanzig andern Weibern hier wohnte und –

Still, unterbrach ihn Trenck. Da sind wir oben! Leise vorwärts nun!

Geben Sie mir die Hand, ich führe Sie!

Vorsichtig schlichen sie auf den Fußspitzen diesen dunklen Korridor entlang zu jener Tür hin, durch deren Fugen man den hellen Glanz eines Lichtes schimmern sah. Leise, kaum hörbar, klopften sie an diese Tür. Sie ward sogleich geöffnet; die vertraute Kammerfrau der Prinzessin, welche den beiden Eintretenden mit dem Licht in der Hand entgegentrat, winkte ihnen schweigend zu, ihr zu folgen, und schritt ihnen voran durch mehrere Zimmer. Vor der letzten Tür stehen bleibend, sagte sie mit ernstem, fast feierlichem Ausdruck: Sie stehen jetzt vor dem Boudoir der Prinzessin. Treten Sie ein. Sie werden erwartet!

Dann machte sie den beiden Herren eine tiefe Verbeugung und wandte sich ab.

Mit einer hastigen Bewegung drückte Friedrich von Trenck die Tür auf, diese Tür, welche ihn von seinem ersten Jugendglück, von seiner ersten Liebe trennte. Jetzt stand er in diesem matt erleuchteten Zimmer, das zu betreten er sich so oft mit schmerzlichen Tränen, mit verzweifelnder Hoffnungslosigkeit gesehnt hatte. Sein Herz klopfte so stürmisch, daß es ihm den Atem versetzte, daß er ein Gefühl hatte, als müsse er sterben vor Entzücken, als müsse seine beängstete Brust sich Luft machen in einem Schrei, der vielleicht ebensosehr der Beklemmung als der Freude angehört hätte.

Da drüben auf jenem Divan, da saß sie! Die von der Decke herabhängende Ampel beleuchtete ihr Angesicht, welches bleich und farblos war. Sie wollte aufstehen, ihm entgegengehen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu; sie konnte ihm nur die Hände entgegenstrecken und einige unverständliche Worte murmeln.

Aber Friedrich von Trenck verstand mit seinem Herzen, was sie sagen wollte. Er stürzte zu ihr hin, er bedeckte die ihm dargereichte Hand mit seinen Küssen und mit seinen Tränen, er sank auf seine Knie nieder und stammelte Worte des Entzückens, des glühenden Dankes, der seligsten Freude, Worte, welche das zitternde Herz der Prinzessin mit Freude erfüllten, dem kalten aufmerkenden Ohr des Oberzeremonienmeisters aber vollkommen verwirrt und sinnlos erschienen.

Er hatte sich bescheiden und diskret im Hintergrund des Zimmers gehalten, und diesem ersten Sturm des Entzückens mit der lächelnden Ruhe eines Weltweisen zugeschaut. Jetzt aber fand er, daß die stumme Rolle eines Eunuchen, zu welcher er verdammt schien, allzusehr eine demütigende und lächerliche Seite habe, um noch länger von ihm ertragen zu werden. Er trat daher aus dem Dunkel hervor und näherte sich mit vollkommener Ruhe und Sicherheit der Prinzessin, welche ihn errötend mit stummem Kopfneigen begrüßte.

Verzeihen Euere Königliche Hoheit, sagte er, wenn ich es wage Sie zur Richterin über eine Streitfrage zwischen mir und meinem Freund Trenck zu machen. Er wollte mir nämlich durchaus nicht gestatten, ihn weiter als bis zu dem Schlosse zu begleiten, während ich behauptete, von Euerer Hoheit autorisiert zu sein, mit ihm in dieses Heiligtum hier einzudringen, vielleicht aber bin ich doch im Irrtum gewesen und in meinem Diensteifer zu weit gegangen. Ich bitte daher um die Gnade zu entscheiden, ob ich gehen oder bleiben soll?

Prinzessin Amalie hatte sich jetzt von ihrer Verwirrung, ihrer Unsicherheit vollkommen erholt. Bleiben Sie, sagte sie mit einem reizenden Lächeln, indem sie dem Baron die Hand darreichte. Da sie einmal unser vertrauter sind, wollte ich auch, daß Sie es ganz und ohne Rückhalt wären, und daß Sie sich überzeugen möchten, daß unsere Liebe, obwohl sie das Dunkel und die Verborgenheit suchen muß, doch nicht das Auge der Menschen, das Auge eines Freundes zu scheuen hat. Und wer weiß, ob wir nicht auch eines Tages Ihres Zeugnisses bedürftig sind, denn ich täusche mich nicht, ich weiß sehr wohl, daß in dieser Nacht mein Genius und mein Dämon um meine Zukunft würfeln, und daß das Unheil und die Schmach vielleicht schon lauernd ihre Hände nach mir ausstrecken. Aber ich bin entschlossen, mich ihnen nicht ohne Kampf zu ergeben, und da kann es denn sein, daß ich eines Tages Ihres Beistandes bedürftig wäre. Deshalb bleiben Sie!

Herr von Pöllnitz verneigte sich stumm, der Prinzessin leuchtender Blick aber richtete sich jetzt auf das Antlitz ihres Geliebten, der mit verdüstertem Gesicht und traurigen Mienen neben ihr stand. Sie bemerkte das wohl, und ein leises Lächeln zeigte sich auf ihren vollen, purpurnen Lippen.

Bleiben Sie, Herr von Pöllnitz, sagte sie, uns aber erlauben Sie, zu gehen, und ein wenig hinauszutreten auf den Balkon dort. Es ist eine wundervolle Nacht, und was wir beide uns zu sagen haben, darf nur der Himmel mit seinen Sternen hören, weil ich glaube, daß nur sie es verstehen können.

Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen! flüsterte Trenck, die Hand der Prinzessin an seine Lippen drückend.

Euere Königliche Hoheit haben mir also gnädigst erlaubt, hierher zu kommen, sagte Herr von Pöllnitz mit einem kläglichen Gesicht, damit ich hier ganz allein mich meinen Gefühlen überlasse und mich ein wenig in die Rolle eines Trappisten einstudiere. Ich soll, wenn ich meine Aufgabe recht verstehe, wie der Löwe in dem Märchen, die Pforten des Paradieses bewachen, in welchem mein junger Freund hier seinen ersten Sonnentraum von Menschenglück träumen darf. Gestehen Euere Königliche Hoheit, daß das eine sehr grausame Arbeit ist! Aber ich bin bereit, sie zu übernehmen und mich als den Engel mit dem flammenden Schwert vor jene Tür dort zu stellen, bereit, jeden zu töten, welcher in diesem Paradiese die Rolle einer Schlange übernehmen möchte.

Prinzessin Amalie deutete lächelnd auf den Tisch hin, auf welchem ein aus Früchten, feinem Backwerk und spanischem Wein bestehendes Nachtmahl serviert war.

Sie finden da ein wenig Zerstreuung, sagte sie, und ich bitte Sie, davon Gebrauch zu machen, leben Sie wohl, Herr von Pöllnitz. Wir stellen uns unter den Schutz Ihrer Augen! Behüten Sie uns wohl!

Sie öffnete die Tür und trat mit ihrem Geliebten hinaus auf den Balkon.

Herr von Pöllnitz blickte ihnen mit spöttischem Lächeln nach. Das arme Kind fürchtet sich vor sich selber, sagte er in sich hinein, sie bedarf eines Wächters ihrer Tugend, und daß sie gerade mich dazu erwählt hat, ist eine wundervolle Idee! Ach, ach, es steht wahrlich schon sehr schlimm mit mir! Man macht mich zum Tugendwächter und fürchtet nicht, daß ich Zähne habe, um zu beißen, und Ohren, um zu hören. Ich soll nur sehen, weiter nichts! Aber was soll ich sehen, und was kann ich sehen in dieser dunklen Nacht, welche Gott Amor eigens so verfinstert zu haben scheint, damit unser zärtliches und unschuldiges Taubenpaar dort auf seinem Balkon von niemand gesehen werde. Eine köstliche, echt romantische Mädchenidee, dem Geliebten ein Rendezvous zu bewilligen, und zwar unter Gottes freiem Himmel auf einem Balkon von drei Schritt Länge, auf dem sich nicht einmal ein Sitz befindet, um sich ausruhen zu können von den gewaltigen Emotionen einer glühenden Liebeserklärung! Nun, meinetwegen! Ich werde es mir desto bequemer machen und mich hier auf den Diwan setzen, um meine Abendmahlzeit zu halten, während die beiden da draußen mit den Sternen und den Nachtvögeln um die Wette schwärmen.

Er ließ sich mit einem behaglichen Lächeln auf den Diwan nieder und griff nach dem silbernen Messer und der Gabel, um an dem kalten mit Trüffeln gefüllten Rebhuhn seine Vernichterarbeit zu beginnen.


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