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Zehntes Kapitel.
Mein Kapitel von den Gastwirthen, nebst einer Zugabe von Bier, Milch und Eyern

Mein guter Freund, Sir Samuel Crowe, wenn er hier an meiner Stelle säße, würde gerade zu gesagt haben: der Schulmeister setzte alle Segel bey, und steuerte von der Stelle, wo er den Einfall hatte, Nord-Nord-Ostwärts, legte sich aber nordlich von seiner Farth in der Bay eines Dorfes vor Anker, weil er, da in seinem Raume weder Gut noch Ballast war, nicht länger See halten konnte. – Und ich gestehe, kürzer könnte kein Mensch die Sache erzählen. Da ich aber weder ein Schiffskapitain bin, wie Sir Crowe, noch, so viel ich vorher sehen kann, irgend einen Seemann zum Leser haben werde: so muß ich wohl ein paar Worte mehr von der Sache machen.

Vom Tage war nicht so viel mehr übrig, daß der Ludimagister den Ort erreichen konnte, und seine Beine, die ohne Widerrede stark und dick genug waren, wohl einen Konrektor tragen zu können, fiengen an ihm ihre Dienste zu versagen, ob sie gleich nur einen Dorfprofessor getragen hatten. Aus übler Laune hatte er auch unterlassen diesen Mittag mit seinem Magen Abrechnung zu halten; eine Sache die er sonst niemals zu unterlassen pflegte, am wenigsten seitdem ihm die fette Küche des Edelmanns offen stand. Nein, seines Leibes waltete er, und das gedieh ihm so wohl, daß er quoad Korpulentiam (ob der Römische Konsul dieses Wort jemals gebraucht habe, weiß ich nicht) eher einem Prälaten als einem Ludimagister ähnlich sah. Er fand also für gut, in dem nächsten Dorfe sein Standquartier zu nehmen, wo er recht gutes Bier, und noch bessere Milch fand, ein Mandel Eyer in Butter schlagen ließ, und seinem Leichnam so gütlich that, als Ort und Umstände erlauben wollten.

Nach eingenommnen Mahl und gerauchter Digestionspfeife (denn er liebte den Toback so sehr als sein Junker) hieng er seine schöne große Perüke, dieselbige die ihm der Edelmann schenkte, als Türk vor ein paar Jahren die damalige Staatsperüke in ein Krähennest verwandelt hatte, auf den Spinnrocken der Wirthinn, band sein Schnupftuch um den Kopf, vertrauete sein neugekehrtes Feyerkleid samt den Stiefeln und der Pfeife dem Wirthe zu treuen Händen, streckte seine Gliedmaßen auf eine für ihn bereitete Streu, und legte, auf alle Gefahr, sein spanisches Rohr neben sich – denn den Dornstock und die ledernen Knieriemen hatte er, als eines Hofmannes unwürdig, abgeschaffet. Die dienstfertige Wirthinn wickelte den fremden Herrn in einen abgedankten Schäferpelz, und er schlief ein. Mit Tages Anbruch erhob er sich, und kleidete sich während des Frühstücks an.

Da wir nun, indessen der Mann seinen festlichen Pomp anlegt, und seinen Cichorienkaffe einschlurft, nichts bessers zu thun haben, wollen wir dir, günstiger Leser, mit einem leichthingezeichneten Abriß seiner Person aufwarten, da du mit einem großen Theile seines Inneren schon so ziemlich, und mit seiner festlichen Garderobbe vollkommen bekannt seyn mußt. Beyläufig bitten wir dich mit dieser Skizze so lange fürlieb zu nehmen, bis wir einmal Anstalt machen, ihn und drey ober vier von den andern Herren die in diesem Buche vorkommen, unserm Hogarth-Chodowiecki sitzen zu lassen. Kömmt Zeit, kömmt Rath!

Denke dir demnach einen Mann von mittelmäßiger Größe, oder etwas drüber, mit einer Physiognomie die aus Neger, Pudel, und Mops zusammengesetzt ist, und, ohne just ausnehmend häßlich zu seyn, so viel Widriges in sich vereiniget, daß ein Zehntheil davon mehr als hinreichend wäre, alle Lavaters auf Gottes Erdboden von einem genaueren Umgange mit ihrem Eigenthümern kräftig abzumahnen. Die Negernase vor allen, machte, wenn man sie zum erstenmal sah, einen unbeschreiblich unangenehmen Eindruck. Der Körper war unförmlich gebauet. Seine Korpulenz war freylich noch nicht Abt- oder Domprobstmäßig, aber ein Prälat von geringerem Schlage, ein Prior zum Exempel, oder ein Kapuzinergardian hätte sich auf den Nothfall ganz schicklich damit behelfen können. Seine Beine, das waren einmal Beine! Wäre sein Bauch dreymal so dick gewesen, so hätten diese Säulen immer noch dazu gepasset. Man kann just nicht sagen, daß sie krumm waren: aber so übel waren sie doch gebauet, daß sie, auch mit einem minder wassersüchtigen Ansehen, die allerhäßlichsten Extremitäten von der Welt gewesen seyn würden. Wie er nach Jahren so vornehm wurde, daß er in weissen seidnen Strümpfen und einer Beutelperüke stolzierte, fiel zwar das Abentheuerliche des Antlitzes nicht mehr so heftig auf, aber das Unförmliche der Beine desto sichtlicher ins Auge. So war der äussere Mensch des Ludimagisters beschaffen, der ... Potz tausend! da geht er schon hin, fix und fertig, und ich male noch! Wir müssen ihm wohl folgen, ohne jezt von seinem innern Menschen noch ein und anders, wie wir Willen waren, zu sagen. Mag der Leser doch selbst aus seinem Betragen schliessen, daß er im Grunde ein tückisches, boshaftes, und ich darf wohl hinzusetzen: schadenfrohes Thier war, wie zwar die Narren von Metier mehrentheils zu seyn pflegen.

Unser schön geschmückte Wandrer – denn als ein Mann, der in Geschäften des gnädigen Herrn reisete, glaubte er, sich mit Anstand und Prunk zeigen zu müssen – setzte seine Reise sehr eilfertig fort, dennoch aber erreichte er das Städtchen nicht eher, als kurz vor Mittage. Gravitätisch zog er durch das Thor, und durch die vornehmsten Straßen, in der Hoffnung, an einem der Schilder und Zeichen, die er über und neben den mehrsten Hausthüren sah, das Ziel seiner Wünsche zu erblicken. Zuerst, gleich bey seinem Eintritt in den Ort, sah er an einem Hause das Königliche Wapen, und schloß daraus ganz richtig, ohne sich lange mit Lesen der Unterschrift aufzuhalten: hier werde wohl der Zollbediente residiren. Er gieng vorüber, doch grüßte er Seiner Majestät Wapen mit abgezogenem Hute. Ferner sah er hölzerne Stiefel, Barbierbecken, Gewürzkrämerzeichen, Kollekteurschilde, und andre solcherley Insignien in ungezählter Menge, auch mit unter eine große vergoldete Scheere von zween griesgrammenden Löwen gehalten, oder eine Hand aus den Wolken mit einer Beutelperüke. Einzeln blähete sich hie und da in der trügerischen Dämmerung eines unbedeutenden übel fournirten Ladens ein Lakenkramer in der Kontormütze, wie der Eckern Ober unter dem Pöbel der kleineren Matadore. Ein Haus erkannte er am Geruche für eine Apotheke. Vielfältig aber verkündigte das Konterfey eines Hechtes, eines Palmbaums, eines weißen Rosses, oder auch schlechtweg einer Branntweinblase und Bierfasses die Wohnung eines gewissenhaften Gastwirthes, eine Tabagie, oder einen honeten Branntweinwinkel. In Häusern, wo er ganz und gar kein Zeichen über oder neben der Thür fand, vermuthete er einen Bewohner, der nicht Ursache haben mogte, sich auf sein Gewerbe allzuviel zu Gute zu thun, zum Exempel: einen Müssiggänger, Kapitalisten, Wucherer, Kuppler, Betschwester, Nachtwächter, Häscher und desgleichen.

Er hatte nunmehr beynahe das Ende der letzten Straße erreichet, und befand sich gerade bey einem Hause, das er an der großen Einfahrt und an der gepflasterten Diele ohne alle Mühe für einen Gasthof von einiger Bedeutung erkannt haben würde, wenn auch die schönen goldnen Worte: Der Gasthoff zum offnen Helm, von der Höhe eines Schildes herab den Wandrer nicht eingeladen hätten. Hier stand er still, und sah mit forschendem Blicke vorwärts. Alle Zeichen aber, die er von hier aus erblickte, verkündigten ganz offenbar, daß er die Straße vergebens zu Ende gehen würde, deswegen entschloß er sich, wiewohl traurigen Muthes, in den Gasthof einzukehren, um seinen abgematteten Leichnam mit Speise, Trank, und Ruhe zu laben.

Hier bewillkommte ihn erstlich ein dicker halbnüchterner Wirth mit einem feisten schelmischen Antlitze, der sich aus der ehrenfesten Miene des Wandersmannes flugs einen Vogel prophezeihete, dem er schon auf eine oder andre Art spielend und in Liebe ein paar Fettfedern würde ausrupfen können; zweytens, eine kleine, hübsche, rasche, dicklichte Wirthinn mit schönen braunen verliebten Augen, die jeden ansehnlichen Passagier für eine gute Prise zu erklären, dermalen aber von unserm Ludimagister sich keinen sonderlichen Kundmann zu versprechen schienen. Doch zogen diese freundlichen Augen ein solches Prognostikon eben nicht aus dem schwarzen Kleide des Gastes, denn sie hatten wohl eher Männer in schwarzen Kleidern, so gut als Stutzer, Referendarien, Handwerker, und reisende Kaufleute unter ihre Gesetze gezwungen.

siehe Bildunterschrift

Servilör

Auf die Frage des Wirthes: ob er ein besondres Zimmer verlange, oder in die Gaststube zu treten beliebe? wählte er vorläufig das letztere, um der Gesellschaft willen, wie er sagte, bat aber zugleich, ein Zimmer für ihn in Bereitschaft zu halten. Der Wirth that einen Seitensprung und öffnete die Gaststube, und der Ludimagister marschirte hinein, indem er die Anwesenden vornehm grüßte. Nachdem er Hut und Stock abgeleget, ließ er sich in den Lehnstuhl nieder, streckte die Beine von sich, und foderte eine Halbe Spanisch Bitter, und eine Pfeife.

Mit Erlaubniß, daß ich fragen mag, wo soll die Reise hingehen? – Durch diese unverschämte Frage, die den Gastwirthen so ganz eigen ist, eröffnete der Wirth die Unterredung.

»Nicht einen Fingerbreit weiter!« erwiederte der fremde Herr mit der wichtigsten Miene.

Werden Sie sich hier eine Zeitlang aufhalten?

»Nach Advenant.«

Sie haben gewiß Geschäfte hier?

»Ja und nein, wie es kömmt.«

Mit Erlaubniß zu fragen, wo kommen Sie her?

»Von Hause, Herr Wirth.«

Sie wohnen wohl nicht weit von hier?

»Es geht noch so wohl an.«

Sie sind doch wohl heute erst ausgereiset?

»Nein, Herr Wirth.«

Der Gastwirth fügte zu diesen impertinenten Fragen noch verschiedene hinzu, die jeder, der nur einmal in seinem Leben sechs Meilen gereiset ist, sich hoffentlich ohne Schwierigkeit wird denken können, weil man in Deutschland unmöglich sechs Meilweges reisen kann, ohne der naseweisen Unverschämtheit eines neugierigen Wirthes ausgesetzt zu seyn; man müßte denn so sehr eilen oder – knickern, daß man auf sechs Meilen kein einziges mal einkehrte. Je mehr indessen dieser Wirth hier seine Fragen häufte, desto geflissener machte sich der Ludimagister eine boshafte Freude daraus, den zudringlichen Fürwitz desselben bey der Nase herum zu führen. Ein Betragen, welches uns so nachahmenswürdig scheint, daß wir nicht umhin können, es allen Reisenden bestens zu empfehlen.

Unterdessen brachte eine Aufwärterinn von ausgesuchter Häßlichkeit (vielleicht um die Annehmlichkeiten der Wirthin desto besser zu heben) mit weniger Grazie den Bitterwein und eine neue Pfeife, und die freundliche Wirthinn schenkte unserm Pilger das erste Glas ein, und fragte: ob ihm diesen Mittag hier zu speisen beliebte? – Ja, Madam, antwortete er mit feyerlichem Ernst, und diesen Abend auch, wenn Sie erlauben.

Viel Ehre für uns, sagte sie mit einer kleinen Neigung des Hauptes und jenem poßirlichen, kurzabgestoßnen, schnellen Knickbeinen, welches bey dem kleinstädtischen Frauenzimmer, das so gern vornehm thun mögte, an die Stelle des Knixes einer wohlgezognen Person tritt.

Und nun, lieber Leser, wollen wir Dir die Kapitel, die wir am Schlusse des neunten versprochen, keine Minute länger vorenthalten.

 


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