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Die Künstler, die in Mailand sich um den Meister scharten, sind noch stiefmütterlich von der Forschung behandelt. Sie werden abgethan als Planeten, die, selbst nicht leuchtend, ihr Licht von der Sonne Leonardos erhielten, als Nachahmer, die das vom Meister aufgehäufte Kapital in kleine Münze umwechselten. Leonardo ist selbstverständlich der imposante Hintergrund des mailändischen Kunstlebens. Man denkt an eine Alpenlandschaft, deren höchsten Gipfel das gewaltige Flußgotthaupt des Meisters aus Vinci bildet. Zu Füßen des Kolosses tummeln sich die andern. Menschen nur, keine Riesen. Aber auch von ihnen jeder eine Persönlichkeit, jeder durch einen Zug das Reich des Schönen vermehrend. Es ist nicht richtig, daß sie nur das Frauenideal Leonardos nachahmten. Jeder hat sein eigenes Ideal, das sich durch feine Nuancen von dem des Meisters unterscheidet. Die gleiche Melodie, doch in anderer Tonlage.
Ambruogio de Predis erscheint in dem Bildnis Kaiser Maximilians noch ganz als Quattrocentist. In dem Porträt der Ambrosiana, in dem man früher Bianca Sforza, die Gemahlin Maximilians erkennen wollte, taucht zum erstenmal der leonardeske Frauentypus auf. Wie sehr er in den Geist des Meisters sich vertiefte, zeigt die Kopie der Felsgrottenmadonna, die sich in der Londoner Nationalgalerie befindet, und die Madonna Litta der Petersburger Ermitage, die früher ebenfalls unter Leonardos Namen ging. Eine vornehme Dame findet – wie im Zeitalter Rousseaus – Vergnügen daran, ihr Kind selbst zu nähren. Das alte Madonnenmotiv hat einen Stich ins Sinnliche, pikant Dekolletierte bekommen.
Andrea Solario, einer alten Künstlerfamilie entstammend, mußte als junger Mensch Mailand verlassen und erhielt in Venedig die ersten Eindrücke. Seine Jugendwerke – Porträts und Halbfigurenbilder der Madonna – muten also wie Arbeiten eines Bellinischülers an. Dann, als er nach Mailand zurückkehrte, scheint Borgognone ihn beeinflußt zu haben. An den »Empirestil« dieses Meisters erinnert die »Ruhe auf der Flucht« des Museo Poldi Pezzoli mit der seltsamen Madonna, die der Königin Luise gleicht. In dem Madonnenbild des Louvre ist er Schüler Leonardos geworden: parfümiert und überfeinert. Das zweite Bild des Louvre, der feine Kopf des Johannes auf silberner Schale, zeigt, wie die Kunst jetzt, von der Kirche sich frei machend, zu ganz persönlichen Bekenntnissen dient. Leonardo, in dem Porträt der Liechtensteingalerie, hatte den Typus des dämonischen Weibes geschaffen. Solario, das Thema weiterspinnend, feiert die Liebe als dämonische Macht, die tötet. Der feine Kopf mit den delikaten Zügen ist wohl das Selbstporträt des Malers, das ganze der Dame gewidmet, die in seinem Leben die Rolle der Salome gespielt.
Zwei andere Schüler Leonardos, Francesco Melzi und Antonio Boltraffio, beanspruchen eine Sonderstellung, schon als Menschen. Einen solchen Zauber hatte Leonardos Persönlichkeit auf seine Umgebung geübt, daß junge Aristokraten, die »es gar nicht nötig hatten«, sich der Malerei zuwandten. Mit solchen Dilettanten ist es eine eigene Sache. Weil sie sich freier bewegen, mehr ihren Liebhabereien nachgehen können als der Berufsmaler, der Aufträge erledigt, vielleicht auch, weil sie einer vornehmeren Welt entstammen, haben diese Amateurs oft die feinsten Werke geschaffen.
Boltraffios Frauentypus bedeutet, obwohl von Leonardo ausgehend, eine neue Stufe in der Geschichte der Frauenmalerei. In allen früheren Bildern war Maria die Jungfrau: erst das Mädchen, das entsagt, dann das Mädchen, das erotisch glüht. Boltraffios Madonna in der Londoner Nationalgalerie – dieses Weib mit den großen mächtigen Formen, dem ernsten, in verhaltener Wehmut zuckenden Auge, dem tiefschwarzen, fast ins Bläuliche schillernden Haar, das ihre herben braunen Züge umrahmt – hat weniger mit Leonardo als mit Watts und Feuerbach gemein. Das Kind kommt aus dem Schoß der Mutter und kehrt zurück in den Schoß der Erde – ist vielleicht der Gedanke des Bildes, das Watts vor Augen hatte, als ihm die Idee seines Todesengels kam. Ein männlicher Accent, ein Zug feierlicher Größe unterscheidet Boltraffio von den andern. Ernst und erhaben ist die Gestalt der heiligen Barbara inmitten der öden felsigen Landschaft. Ernst und herb ist die Belle Ferronière des Louvre und der Galerie Czartoryski – ein Modell, das er später für die »Madonna aus dem Hause Casio« verwendete. Und wegen des gleichen ernst monumentalen Zuges ist vielleicht auch die Auferstehung der Berliner Galerie nicht dem Leonardo, sondern dem Boltraffio zuzuweisen.
Francesco Melzi, Leonardos junger Freund, der ihn nach Frankreich begleitete und an seinem Sterbebett saß, ist durch ein einziges Bild, den Vertumnus der Berliner Galerie, bekannt. Aber welche Vornehmheit strömt aus dem entzückenden Werke! Schon die Wahl des Stoffes ist apart. Kein Künstler vorher – nur Leonardo in einer Skizze – hatte die wenig bekannte zarte Scene der Metamorphosen gemalt, wie Vertumnus, der strahlende Gott der Jahreszeiten, sich in eine arme Alte verwandelt, um das Mitleid, dann die Liebe der keuschen Pomona zu finden. Mit welch erlesenem Geschmack ist das dünne Florgewand Pomonas geordnet, wie bestrickend süß ist ihr Rokokoköpfchen und das Lächeln, das ihren Mund umspielt! Wie hat er mit dem Verständnis des Gourmets all diese Blumen gewählt und zu einem duftigen Stillleben geordnet! Freilich – dasselbe Rokokoköpfchen, dieselbe Freude an Blumen, dieselben verführerisch zarten Frauenreize, dasselbe hellenistische Griechentum kehrt in einem Bilde der Petersburger Ermitage wieder. Wenn diese Colombina, wie die Forschung jetzt annimmt, von Giampetrino herrührt, müßte ihm auch der Berliner Vertumnus gehören. Madonnen, ein wenig glasig gemalt, mit traulichen, fast niederländischen Landschaften, sind sonst hauptsächlich von Giampetrino bekannt.
Bernardino Luini ist der reisige Werkmeister der Schule. Die vielen figurenreichen Fresken, die er für kleine Orte Oberitaliens malte, können zu einer Unterschätzung seines liebenswürdigen Talentes verleiten. Denn er erscheint darin als handwerklicher Nachzügler des Quattrocento. Der feste Aufbau, die schöne Einfachheit fehlt. Hübsche Einzelheiten, wie die Magdalena des Kreuzigungsbildes, verschwinden neben der Fülle gleichgültiger Gestalten. Aber in seiner Jugend war er ein sehr zarter Meister, ein echter Sohn jenes Mailand, das im Liebestaumel Trost für alle Schrecknisse des Krieges suchte. Er hat sich gemalt einst als Sebastian, wie er schwärmerisch, wie um schöne Frauen zu bestricken, aus dem Bilde herausschaut, und dieser Zug von Frauenseligkeit geht durch seine Werke. Sein Bild der badenden Nymphen im Palazzo reale in Mailand ist etwas Unerhörtes in der Kunst des Cinquecento: junge Mädchen in Posen, die an Fragonard streifen; die Landschaft so kühn abgeschnitten, wie die Impressionisten der Gegenwart es thun. Später ist er in seinen Fresken am besten, wenn es, wie im Sposalizio, weiche verträumte Menschen zu malen gilt. Und am sinnigsten, fast an Perugino anklingend, sind jene kleineren Bilder, die er für stille Landkirchen schuf. In einer Zeit, als das religiöse Empfinden sich verflüchtigte, legte er in biblische Stoffe noch eine Aufrichtigkeit und hingebungsvolle Zärtlichkeit, die wie ein Nachklang des Quattrocento wirkt. Er ergreift und erschreckt nicht, er ist mild und rührend, am meisten da am Platz, wo es um ruhig idyllische Scenen, um stille Freundlichkeit oder heiteres Lächeln sich handelt. Holdselig anmutig sind seine Märtyrerinnen. Mit dem Ausdruck süßer Schwärmerei betrachtet Maria ihr Kind. Man vergißt ganz, daß manche Werke, wie das Halbfigurenbild »Eitelkeit und Bescheidenheit«, nur die Lösung einer Leonardoschen Schulaufgabe bedeuten, vergißt, daß er in der Halbrundfreske in Lugano das Christkind wörtlich Leonardos Anna, den kleinen Johannes wörtlich der Vierge aux rochers entlehnt. Nie träumt man vor seinen Bildern, wird in keine geheimnisvolle Werkstatt geführt, wo die pochenden Gedanken eines Genius hämmern. Aber da Leonardo so wenig gemalt hat, liebt man Luinis Werke als Ausstrahlungen Leonardesken Geistes.
In den Bildern Cesare da Sestos mischt sich das mailändische Blut mit fremden Elementen. Wie er die Ideale Leonardos nach Rom übertrug, nahm er auch selbst etwas vom römischen Stile an. Ein Streben nach Großzügigkeit, eine Vorliebe für Kontrastbewegungen tritt an die Stelle der mailändischen Weichheit. Mit den Augen des Romantikers betrachtet er die ewige Stadt und bringt antike Ruinen, von Schlingpflanzen umwuchert, gern im Hintergrund seiner Werke an. Das hauptsächlichste Beispiel für diese Ruinensentimentalität ist die Neapeler Anbetung der Könige mit ihren manierierten langgestreckten Gestalten. Da die Mittelgruppe des Bildes fast unverändert in einem Madonnenbild der Ermitage wiederkehrt, wurde auch dieses, das früher Leonardos Namen trug, dem Cesare da Sesto zurückgegeben. Nur er kommt wohl in Frage als Meister jener Lünette von San Onofrio, die früher gleichfalls als Jugendwerk Leonardos galt. In der Taufe Christi der Galerie Borghese mutet er halb römisch, halb venetianisch, wie ein Doppelgänger Sebastians del Piombos an, während die Frankfurter Katharina das Mailänder Frauenideal ins Mystische, Kränkliche, in den Stil des Gabriel Max übersetzt.
Die Madonnen des Gaudenzio Ferrari wie die Porträts des Bernardino de Conti sind weitere Beispiele dafür, daß in der Leonardoschule die Wurzeln der modernen Frauenmalerei liegen. Erst diese Meister, nachdem Leonardo die Bahn eröffnet, haben den sinnlichen Zauber des Weibes empfunden. Ein Blitzen des Auges, ein Lächeln der Lippen, die weiche Müdigkeit der Bewegung, wie den Duft des Haares malen sie mit der Kennerschaft von Männern, denen kein Sinn für Kraft, aber sehr viel Sinn für Grazie verliehen. Etwas Überfeinertes, ladylike Zartes, ein gewisses angelsächsisches Aroma macht ihre Werke gerade unserer Zeit sympathisch.
Sodoma, der Meister von Siena, ist der raffinierteste von allen. Auch er wie Luini hat eine Reihe gleichgültiger Werke geschaffen. Ein keckes Malertalent, hat er jeden Auftrag elegant erledigt, taucht proteusartig in den verschiedensten Masken auf. Aber man fühlt, an welchen Arbeiten sein Herz, an welchen die Hand nur beteiligt. Malt er Kreuzigungen, bleibt er gänzlich kühl. Versucht er energisch zu sein, wird er deklamatorisch. In seinen Mönchsbildern in Monte Oliveto hat er nicht ungeschickt den Signorelli oder Zurbaran gespielt. Aber Freude machte ihm nur das Bild, auf dem die Courtisanen den heiligen Benedikt verführen.
Die Lust, den Bourgeois zu brüskieren, ist ein bezeichnender Zug seines Wesens. Während der Arbeit in Monte Oliveto versagt er den Mönchen den Zutritt. Als er den Einlaß gestattet, fällt der erste Blick der frommen Herren auf die Gruppe der Courtisanen, die er auf Befehl des Priors mit Gewändern versehen muß. Auf dem Kreuzigungsbild der Sieneser Akademie malt er sich als Landsknecht, in herausfordernd breitbeiniger Haltung. Die Aufforderung der Steuerkommission, seinen Besitzstand zu vermelden, beantwortet er mit einem Verzeichnis all der erotischen Tiere, die er sich hält.
Nur wo es um Frauen sich handelt, ist er ernst zu nehmen: ein bestrickender Meister, nervös und sensibel, unnachahmlich in der Art, wie er das Lächeln Leonardos in irre wonnevolle Trunkenheit umsetzt. Wie er kühn, fast pariserisch ist in jener Courtisanengruppe von Monte Oliveto, hat er in dem berühmten Bilde der Farnesina die bräutliche Verwirrung Roxanes mit Gourmandise gegeben und durch die Eroten, wie in einer Ars amandi, kommentiert. Die Leda der Galerie Borghese ist Kopie. Doch noch die Arbeit des Kopisten giebt eine Ahnung von dem zarten Rokokoparfüm, das über dem Originale lag. Auch Ohnmachtszustände, Momente weicher Erschöpfung haben in ihm einen feinen Interpreten, und weibliches Schamgefühl, frauenhaftes Erröten konnte nur ein Künstler, der ganz Feminist war, so ausdrücken, wie es Sodoma in seiner wunderbaren Figur der Eva that.
Noch mehr fesselte ihn der hermaphroditische Zug, der durch manche Jünglingszeichnungen Leonardos geht. Stirbt Sebastian, so lächelt er so wonnetrunken, als sollte er im Jenseits das sein, was der geraubte Ganymed den Olympiern war. Und der ganze Sodoma ist in der Figur des Isaak auf dem »Opfer Abrahams« enthalten. Dieser Knabe mit dem Backfischköpfchen und den weichen Hüften, der die vollen runden Arme über dem Busen kreuzt – das ist der Antinous des Christentums, ein Schönheitsideal, das nur in Zeiten höchster Kultur und Immoralität hervortritt. Der Schwan auf dem Ledabilde und die Spottgedichte, die von Sieneser Bürgern an den leichtlebigen Meister geschickt wurden, bieten die logische Ergänzung. Es ist etwas Seltsames um die Thätigkeit dieses feinen überreizten Snob, der in Saus und Braus als Grandseigneur seine Laufbahn begann, Pferde rennen ließ, in Sammet und Seide, von schönen Sklaven begleitet, einherging, um schließlich – nicht im Gefängnis, aber im Spital zu enden.