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Rafael bezeichnet in der Art, wie er die Stile der verschiedenen Persönlichkeiten zu einer neuen Einheit verschmilzt, den Gipfelpunkt der Bestrebungen des Cinquecento. Denn will man das Wesen des 15. und des 16. Jahrhunderts mit einem Schlagwort bezeichnen, so kann man sagen: das 15. ist das Jahrhundert des Individualismus, das 16. das der Centralisation. Im 15. Jahrhundert bestand in Italien eine Fülle von Einzelstaaten unabhängig nebeneinander. Jeder dieser Staaten greift in die Geschichte ein. Ueberall leben kernige, aus ganzem Holz geschnitzte, im Guten wie im Bösen, große Persönlichkeiten. Im 16. Jahrhundert hört das auf. Es giebt keine kleinen Fürstentümer, keine Condottieri mehr, sondern in ganz Italien besteht nur eine große Macht, der Kirchenstaat. Im Norden hat sich ein Weltreich gebildet, in dem die Sonne nicht untergeht. Diesem Geiste der Centralisation folgt auch die Kunst.
Hatte vorher jede Landschaft Italiens ihre Künstler gehabt, so ist jetzt Rom, die Hauptstadt des Landes, auch das Centrum der Kunst. Nur wenige Maler sind da geboren. Sie entstammen den entlegensten Gegenden, den verschiedensten Gauen der Halbinsel. Aber sie sind in Rom zusammengeströmt, weil sie glauben, nur auf dem Boden der ewigen Stadt schaffen zu können. Und durch alles, was sie sagen, geht ein Stil. Die Meister des Quattrocento waren scharf ausgeprägte Individualitäten, geradeso wie die Gewaltherrscher der einzelnen Städte sich innerhalb ihrer kleinen Fürstentümer als Könige fühlten. Auf den ersten Blick kann man jeden erkennen. Selbst der Schreiner giebt seinen Arbeiten eine persönliche Note. Nicht als Erzeugnisse manueller Arbeit, sondern als menschliche Dokumente sind ihre Werke uns lieb. Die Maler des 16. Jahrhunderts verbergen sich wesenlos hinter ihren Schöpfungen. Alle individuellen Eigenschaften sind ausgelöscht. Wie es politisch nur zwei große Persönlichkeiten, den Papst und den Kaiser giebt, sind künstlerisch nur ein paar Könige da, als deren Hofgesinde sich die Anderen fühlen. Das Wort »Schule«, das während des Quattrocento keine Bedeutung hatte, bekommt seinen akademischen Sinn. Alle sind Vasallen, mag der eine mehr zu Rafael, der andere mehr zu Michelangelo neigen. Die kunstgeschichtliche Landkarte entspricht der Komposition der Bilder: eine Centralfigur beherrscht alle andern.
Perino del Vaga, dessen schätzenswertes decoratives Talent Rafael sehr zu statten kam, malte später selbstständig die mythologischen Fresken des Palazzo Doria in Genua, Varianten dessen, was er unter Rafals Oberbefehl in der Farnesina und den Loggien gab. Daniele da Volterra erscheint in der Kreuzabnahme, die er für die Kirche Santa Trinità dei Monti malte, ebenfalls als treuer Anhänger des Rafaelstils. Und sein Louvrebild des David, der den Goliath köpft, wurde lange dem Michelangelo zugeschrieben. Eine Vorliebe für das Kolossale für wilde Bewegungen und geschwellte Muskeln ist an die Stelle »edler Einfachheit« getreten.
Die Formenwucht Michelangelos verbunden mit ausladender Bewegung und obscoener Sinnlichkeit, ergiebt Giulio Romano. Gerade er war Lieblingsschüler Rafaels gewesen und wurde später dessen brauchbarster Gehilfe. Das Meiste, was in der Stanza dell' Incendio, in der Farnesina und im Konstantinsaal unter Rafaels Namen geht, auch viele Tafelbilder aus Rafaels später Zeit, die »Perle« in Madrid, die Margarete des Louvre, das Porträt der Johanna von Aragonien sind – im manuellen Teil – Giulios Werke. Noch bei Rafaels Tode brachte er die Transfiguration und die Krönung der Maria zum Abschluß. Keiner von den Schülern hat sich dem Stil Rafaels so vollständig angeschlossen, obwohl er schon damals dessen Ausdrucksweise ins Derbere, Knotige übertrug. In seinen späteren Werken ist von der Schülerschaft nichts mehr zu merken. Ungestüme Hast tritt an die Stelle der Sanftheit. Schon seine Marienbilder sind voll michelangelesken Elementen: die Madonnen gewaltige Weiber von großen Formen, das Christkind ein kräftiger Bube mit lebhaften, komplizierten Bewegungen. Noch weniger lassen seine Fresken im Palazzo del Té in Mantua an seine rafaelische Vergangenheit denken. Viel Muskelkraft, viel faustfertige Bravour und Derbheit sind die Kennzeichen der Bilder, in denen er die Liebesgeschichten Psyches und anderer Olympier schildert. Besonders der Gigantensaal enthält das Kühnste und Wildeste, was Giulios starke Hand geschaffen. Am Gewölbe blickt man in ein perspektivisches Scheinpanorama hinauf: eine jonische Säulenhalle mit gewaltigem Kuppelbau, der den Thron Jupiters umschließt. Der ganze Olymp mit allen Göttern und Göttinnen ist in Erregung. Denn die Giganten stürmen, von der Wand aus, den Himmel. Blitze zucken hernieder, Tempel mit ihren Säulen und Mauern erschlagen die Frevler. Jede Gliederung der Flächen fehlt, so daß die Flut der Gestalten fessellos sich über Wände und Decke ergießt. Sogar die Grenze zwischen Fußboden und Wänden ist aufgehoben. Giulio ließ den Boden mit Steinen pflastern und setzte sie durch Malerei an der Unterwand fort, um die drastische Illusion zu steigern.
Nicht lange dauerte es, so lenkte die florentinische Schule in die nämliche Bahn. Man kann, um die Meister zu kennzeichnen, gar nicht von ihnen sprechen, nur von den Vorbildern, denen sie folgen. Francesco d'Ubertino genannt Bacchiacca malte Möbeldekorationen im Sinne des Quattrocento, gab aber seiner Farbe das duftige, weiche Grau, das erst del Sarto in Schwung gebracht. Francia Bigio, als Freskomaler, mit del Sarto in der Annunziata und im Scalzo thätig, ist außer durch Möbeldekorationen hauptsächlich durch Bildnisse bekannt, die Leonardos Mona Lisa fein variieren. Puntormo, gleichfalls ein guter Porträtist, wußte in früheren Werken, wie der Verkündigung von 1516 den durchsichtig silbergrauen Ton del Sartos zart zu treffen, ging aber später – in dem Martyrium der Vierzig Heiligen der Pittigallerie – zur bombastischen Nachahmung Michelangelos über. Ridolfo Ghirlandajo, anfangs dem Rafael sehr ähnlich, wiederholte später mit handwerklicher Schwere, was er in seiner Jugend frisch und geistvoll gesagt. Sieht man Werke von Francesco Granacci, so denkt man, wenn sie seiner Jugend angehören, an Domenico Ghirlandajo, wenn sie aus seinem Alter stammen, an Rafael oder Michelangelo. Giuliano Bugiardini, Giovanni Sogliani, Domenico Puligo, und wie sie alle heißen – es sind sämmtlich sympathische Maler, aber ihre Werke nur Reflexe derjenigen, die die maßgebenden Meister schufen.
Je mehr das Jahrhundert vorrückt, desto spärlicher wird künstlerische Eigenart. Wohl hält die Porträtmalerei noch eine Zeitlang sich frisch. Broncino namentlich hat eine Reihe von Bildnissen hinterlassen, die nicht nur den Charakter der Hofmalerei für ganz Europa bestimmten, sondern in ihrer ernsten Gediegenheit noch den besten Traditionen der Primitiven entsprechen: scharf wie Medaillen herausciseliert, distinguiert in der Auffassung, vornehm in der Farbe. Doch selbst dieser Meister erscheint nur als Ausläufer der langen Reihe großer Bildnismaler, die die vorausgegangene Epoche hervorgebracht. Was er noch konnte – eine menschliche Physiognomie in charaktervoller Wahrheit wiedergeben – wollten und konnten die späteren nicht mehr. Hatte das 15. Jahrhundert mit seinen Bürgerkämpfen, die jedem Bauernjungen gestatteten Herzog zu werden, mit seiner kühnen Rücksichtslosigkeit und seinem schrankenlosen Gefühl persönlichen Wertes auch die individuellsten Porträts entstehen sehen, so gab das 16. Jahrhundert, das die freien Gemeinwesen, den Geist des Individualismus vernichtete, auch den Bildnissen ein uniformes Gepräge. Typen treten an die Stelle der Persönlichkeiten. Oder man vermeidet die Porträtmalerei ganz, da sich die Abhängigkeit vom Modell nicht mit dem Streben nach idealer Schönheit verträgt.
Was sich ringsum ausdehnt, ist eine große, gleichförmige Wüste. Es wird viel, sehr viel gemalt. Selbst die Aufgaben, die Julius II. und Leo X. stellten, erscheinen unbedeutend gegenüber den Riesenwerken, die in der zweiten Hälfte des Cinquecento entstehen. Alle mythologischen, alle historischen Stoffe wurden in Farben umgesetzt. Aber so viele Figuren auf den Bildern vorkommen, es werden immer die nämlichen Clichés mit anderer Unterschrift abgedruckt. Die Antike steht selbstverständlich im Mittelpunkt des Interesses, und es ist seltsam, wie willfährig sie jederzeit den modernen Künstlern entgegenkam. Im Beginn des Jahrhunderts, als der Geschmack zum Sanften, Edlen neigte, lieferte sie aus dem Erdboden den Apoll von Belvedere. Um die Mitte des Jahrhunderts, als alles zu barocker Verwilderung drängte, feierten der farnesische Herkules und der farnesische Stier ihre Auferstehung. Diese römischen Kopien lysippischer Originale, die durch ihre Schwere und Vulgarität sich kennzeichnen, zogen eine ganze Generation in ihren Bann. Der Kopf der Werke ist die ewig gleiche Variante jenes absoluten Schönheitsideals, wie es die Antiken der spätgriechischen Verfallzeit vorschreiben, der Körper kein Organismus, sondern eine Zusammenstellung bombastisch angeschwellter, effektvoll in Gegensatz gebrachter Glieder. Da das maßgebende Werk der Antike zufällig ein Herkules ist, glauben auch die Modernen ins Kolossale gehen zu müssen und schaffen keine Menschen mehr, sondern Riesen.
Zu der bombastischen Formgebung kommt das Deklamatorische des Gedankens. Keiner sagt mehr kurz, was er sagen will. Er schreit es mit rhetorischem Pathos in die Welt. Christus kann nicht beim Abendmahl sitzen, ohne daß er krampfhafte, theatralische Bewegungen macht. Die Diener mit den Speisen laufen im Sturmschritt die Treppe herauf. Die Jünger schwenken die Arme und verdrehen den Leib. Andere fühlen, daß solche Bravourstücke auf die Dauer langweilig sind. Doch je mehr sie raisonieren und Regeln befolgen, desto eintöniger werden die Werke: geometrische Konstruktionen von allgemeiner, formelhafter Schönheit, die sich untereinander so wenig wie die Beweise eines mathematischen Lehrsatzes unterscheiden. Es ist bezeichnend, daß gerade damals die Kunstgeschichtschreibung begann. Die historische Thätigkeit Vasaris ist der Abschluß der ganzen Entwicklung. Die Zeit hat selbst das Gefühl, daß ihre schöpferische Ader versiegt ist, blickt im Geiste zurück und repetiert das Geleistete.