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Der Oberarzt war auf seinem abendlichen Rundgang bis Nummer 5 gekommen, wo Baron Löwendahl residierte. Er traf den Baron im Gesellschaftsanzug – Smoking und schwarzem Schlips – und eben damit beschäftigt, vor einem kleinen Spiegel am Fenster seinen graugesprenkelten Schnauzbart mit Brillantine zu besprengen.
»Ah pardon, lieber Professor,« sagte der Baron, »nur einen Augenblick, ich bin gleich fertig.«
Mit einer kleinen Bürste gab er dem Schnurrbart einen letzten flotten Schwung nach oben, drehte sich um und ging mit herzlich ausgestreckten Händen auf den Oberarzt zu: »Wie es mich freut, Sie zu sehen, lieber Freund. Ich danke Ihnen aufrichtig, daß Sie auch heute nicht an meiner Tür vorbeigegangen sind. Aber so nehmen Sie doch Platz ... Darf ich Ihnen nicht irgend etwas anbieten? Der Diener macht eben eine Besorgung für mich, aber meine Haushälterin kann etwas auftischen. Trinken Sie um diese Zeit Whisky?«
»Tausend Dank,« sagte der Oberarzt und blieb stehen: »Sie dürfen sich wirklich keine Mühe machen. Ich gehe gleich wieder – ich weiß doch, daß Sie Gäste erwarten.«
»Nun ja,« lachte der Baron – »ehrlich gesagt, Herr Professor, tue ich es nicht zu meinem Vergnügen. Ich säße lieber ganz still und schriebe an meinen politischen Memoiren oder malte meine Spatzen an.«
»Ja richtig, Baron, was machen Ihre Spatzen? Ich habe, glaube ich, heute vormittag, als ich im Garten spazieren ging, vor Ihrem Fenster so einen blaugestreiften Schelm gesehen.«
»Höchst sonderbar, denn ich will jetzt erst anfangen. Aber vielleicht ist es einer von den Husaren vom vorigen Jahr. Sie erinnern sich doch noch an die mit den hellblauen Flügeln und dem roten Schnabel und einer blauen Mütze mit weißen Streifen? Ein paar von denen habe ich besonders gründlich behandelt. Ach, die armen Kerle – sie sind so dankbar. Es ist ja auch traurig für sie im Frühling, wenn all die andern Vögel in ihrer Pracht und Herrlichkeit kommen, daß sie dann immer in den grauen Winterkleidern umherhüpfen sollen.«
»Dann haben Sie unsern Freund, den Generaldirektor, auch wohl angemalt?« fragte der Oberarzt. »Mir kommt er in den letzten Tagen mächtig aufgemuntert vor.«
»Das will ich meinen. Unter uns, Professor: er hat in der letzten Woche über eine halbe Million an Kaffee verdient.«
»Sieh einer an! Da könnte ich ihm wirklich vorschlagen, dem Ingenieur die dreißigtausend Kronen zu leihen, die er braucht, um sein Luftfahrradmodell fertig zu machen.«
»Um Gottes willen, Professor, verraten Sie nicht, daß Sie etwas wissen. Robertsen ist ein brillanter Kamerad und im Grunde herzensgut. Aber in Geldsachen ist er diffizil. Nein, verlassen Sie sich auf mich, ich weiß schon, wie die Sache anzupacken ist. Und gibt Robertsen erst, dann gibt er ebenso gern hunderttausend wie dreißigtausend. Voriges Jahr hat er dem König eine Million geschenkt.«
»Ist das wirklich wahr, Baron?«
»Auf Ehre! Zum Dank dafür wurde er doch auch Generaldirektor. Und wenn ich auch sehr wohl einsehe, daß Robertsen ein Snob ist, so will ich doch bis an mein Lebensende für seine Ehrenhaftigkeit einstehen. Habe ich Ihnen zum Beispiel nie erzählt, was er an unserm gemeinsamen Freunde, dem Staatsrat Frankenstein, getan hat?«
»Nein – ich erinnere mich jedenfalls nicht mehr.«
»Nun gut – Sie wissen, als Frankenstein vor etwa einem halben Jahr hier aufs Gut kam, da hatte er sein ganzes Geld in Zigarrenbauchbinden verspekuliert. Es hieß sogar, er sei genötigt, die ganze Sammlung zu realisieren. Die Sache war doch so, daß sich in Amerika ein Ring gebildet hatte in der Absicht, alle europäischen Konkurrenten zu ruinieren. Aber dann eines Abends, als wir unten bei Robertsen saßen und Bridge spielten, sagte er so ganz en passantzu Frankenstein: Wollen wir ein Kompaniegeschäft machen? Sie geben Ihre Sammlung, die wir auf sagen wir drei Millionen schätzen, und ich gebe eine entsprechende Summe in bar. Und dann schicken wir Carl Philip nach Amerika und lassen ihn Rockefellers und Morgans Sammlungen kaufen. Dann mögen die andern Hanswürste nur kommen. – Sehen Sie, so etwas finde ich verteufelt flott und forsch. Oder was meinen Sie, Professor?«
»Es ist höchst erfreulich für beide, für Frankenstein wie für Robertsen. Aber ich muß leider weiter, lieber Baron. Sagen Sie mir nur, ehe ich gehe: Wie war es heute mit der Abführung? Hat das Pulver geholfen?«
Der Baron lachte, daß er husten mußte. Von Husten und Lachen erstickt, prustete er: »Es hat sich herausgestellt, daß ich den Magen voller Goldfische hatte, Professor. Ich habe dem Assistenzarzt ein paar davon geschenkt. Der eine war übrigens eine Seltenheit. Den hatte ich seinerzeit verschluckt, als ich in Versailles in einen der Schloßkanäle gefallen war. Er hatte ein Halsband, das Marie Antoinette gestickt hatte. Ich glaube, das Assistenzbaby (entschuldigen Sie, das ist so ein Schmeichelname, den wir Doktor Martin gegeben haben) – freut sich mächtig darüber. Er sprach davon, er wolle ihm eine Hundemarke anschaffen und ihn an der Leine spazieren führen. Und er wird sicher Vergnügen davon haben. Denn er hatte ungewöhnlich kluge Augen. Und er konnte sein Vaterunser von A bis Z. Es ist ja auch nicht ganz alltäglich, daß ein Goldfisch das alte Regime und die Revolution und Napoleon und Louis Philippe miterlebt hat – von Boulanger und la divineSarah ganz zu schweigen. Mir ist es übrigens einerlei. Mögen sie vermodern!«
»Wer soll vermodern, Herr Baron? Die Goldfische?«
»Nein, die Preußen und die Juden – zum Teufel!«
»So so, Herr Baron! Aber regen Sie sich nur nicht auf. Viel Vergnügen und auf Wiedersehen!«
»Verzeihen Sie, Professor Salomon. Um Gottes willen, glauben Sie nicht, daß ich Sie verletzen wollte.« Und indem er den Professor hinauskomplimentierte, klopfte er ihm gönnerhaft auf die Schulter. »Ich vergesse es immer, weil man es Ihnen wirklich gar nicht ansehen kann.«
Kaum war die Tür geschlossen, als der Baron wieder einen Lachkrampf bekam.
Er lag noch auf seiner Chaiselongue und stöhnte, als Ingenieur Westermann – Ausgangs der Dreißiger, lang, dünn, glattrasiert, kahlköpfig und mit Monokel – und Direktor Robertsen – fünfundfünfzig- bis sechzigjährig, breit und untersetzt, mit rot gesprenkeltem Gesicht, kurzem dickem Schnurrbart, einem goldenen Kneifer, das linke Bein etwas mager und schlotternd in der weißen Hose – eintraten. Beide im Smoking, der Ingenieur mit einer phantastisch lachsfarbenen Weste mit violetten Punkten, ausgeschnittenen Hausschuhen, violetten Seidenstrümpfen und etwas blankgetragenen, aber scharf gefalteten Beinkleidern.
»Aber bester Baron,« sagte Robertsen, »was ist denn mit Ihnen los?«
»Er lacht am Ende noch über meine Geschichten von gestern abend« – meinte der Ingenieur.
Der Baron nahm sich plötzlich zusammen. Stand auf und machte eine Handbewegung: »Willkommen, meine Herren! Ich bitte Sie diesen nicht sehr korrekten Empfang zu verzeihen. Pardon! Aber ich sage Ihnen, es war zu lächerlich. Unser ausgezeichneter Prophet – ein vortrefflicher Mann, bedeutend in seinem Fach, nach allem, was man mir auch im Auslande, ich meine in Frankreich, versichert hat – war wirklich höchst comique . Er ging fort, kurz bevor die Herren kamen. Er ist ja so daran gewöhnt, mit verrückten Leuten umzugehen, daß er sich allmählich einbildet, alle sind verrückt. Zum Beispiel Sie, meine Herren, und ich. Und da hab ich ihm eine Geschichte von ein paar Goldfischen aufgebunden. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm erzählte, ich hätte den Magen voller alter historischer Goldfische gehabt. Und zugleich habe ich ihm einen kleinen Stüber auf seine neugierige Judennase gegeben.«
Robertsen schwenkte das apoplektische linke Bein elegant und steif nach vorn, während er sich auf einen der Stühle am Spieltisch niedersinken ließ. »Ja, Sie entschuldigen,« sagte er und deutete auf das Bein. Und er fuhr fort: »Ist das aber auch klug von Ihnen, Baron? Wir wissen ja doch alle, daß der Prophet ein Spion ist.«
»Ein widerlicher Kriecher,« fiel der Ingenieur ein, »ein alter Fuchs.«
»Liebe Freunde,« sagte der Baron und bot Zigaretten an, »ich schätze Ihre psychologischen Fähigkeiten in hohem Grade. Aber gestatten Sie mir die Bemerkung: keiner von Ihnen hat die Erfahrung, die man bekommt, wenn man in den Kulissen des politischen Theaters verkehrt. Suaviter in modo, fortiter in re.Sehen Sie, meine Herren, ich pfeife auf den Propheten. Wessen Spion ist er? Gut: der Spion meines lieben Schwagers und seiner perversen Sprößlinge. Aber letzten Endes: wer, meine Herren, glauben Sie, ist am stärksten? Oder meinen Sie, meine Partei läßt mich im Stich? Und sehen Sie, den Justizminister kann ich um den kleinen Finger wickeln. Ich sage das nicht aus Prahlerei. Er ist ein bon garçon . Und mein intimer Freund. Ein wirklicher Bewunderer von mir. Habe ich Ihnen seinen letzten Brief vorgelesen? Dann hören Sie zu.«
Der Baron holte ein elegantes, etwas abgenutztes Portefeuille aus der Tasche und suchte aus einem Haufen vergilbter Papiere einen Brief hervor, der besonders deutliche Altersspuren trug.
»Seine Exzellenz,« sagte er, »schreibt mir also: Lieber Löwendahl, Sie haben vollständig recht. Sie müssen auf dem Gut bleiben und es verteidigen. Solange Sie da sind, kann nichts Verkehrtes geschehen. Und den Professor behalte ich im Auge. Sie wissen, daß Sie sich auf mich verlassen können. An den Hofjägermeister – meinen Schwager also – müssen Sie nicht denken. Er ist und bleibt ein Knabe neben Ihnen, dessen eminente Bedeutung für Landwirtschaft und Politik immer in treuer Erinnerung bleiben wird. Nicht zum wenigsten bei Ihrem stets ergebenen Chr. Fr. Bertaldi.
Nun, was sagen Sie dazu?« Der Baron legte den Brief sorgfaltig zusammen und wischte sich mit seinem Taschentuch die Augen, die feucht geworden waren.
»Ach ja,« schloß er unter dem spöttischen Schweigen der andern: »Bertaldi ist ein Freund, auf den man sich verlassen kann. Dieses Jahr kommt er ganz bestimmt zu meinen Herbstjagden her.«
Robertsen saß da und baumelte mit dem kranken Perpendikel. Er kochte vor Wut. Jetzt explodierte er.
»Bertaldi ist ein Verbrecher,« sagte er. »Und ich kann es beweisen.«
»Er müßte im Zuchthause sitzen,« fügte der Ingenieur hinzu.
Es fiel dem Baron schwer, sich zu beherrschen. Aber als der feine Mann, der er war, nahm er sich zusammen und lachte nachsichtig: »Aber meine Herren, wie können Sie an die Beschuldigungen einer Pöbelpresse glauben!«
Robertsen stand auf und wurde ganz blutrot im Gesicht von der Anstrengung: »Dann will ich Bertaldi anschuldigen, und ich will es am Jüngsten Tag vor Gott dem Herrn bezeugen: er hat sich von meiner Frau bestechen lassen ... dies Luder!«
»Und ich,« sagte der Ingenieur: »ich kann bei meiner Seligkeit einen Eid darauf ablegen, daß er einer von seinen Kreaturen den Auftrag gegeben hat, meine erste Erfindung zu stehlen: das selbstkomponierende Klavier. Mir ist es ja schließlich einerlei. Aber die Herren müssen mir doch zugeben, daß es banditenhaft ist, eine so merkwürdige Erfindung, die alle Komponisten überflüssig macht, zu stehlen, ja, ich sage rund heraus stehlen...«
»Aber so haltet doch in des Teufels Namen Frieden und seid gute Kameraden.«
Breit und groß und jovial, das Gesicht leuchtend vor leutseliger Aufgeräumtheit, stand Rechtsanwalt Liebegott in der Tür, eine Menge phantastischer Ordensdekorationen auf der mächtigen Brust.
»Sie haben recht, lieber Advokat. Willkommen in meinem bescheidenen Hause. Doppelt willkommen als Friedensengel. Und nun, da die Gesellschaft versammelt ist, fangen wir an. Frankenstein kommt nicht, er arbeitet an seinem Katalog. Wollen die Herren losen?«
»Jawohl,« antwortete der Direktor, der sich jetzt wieder hingesetzt hatte, »wenn ich nur sitzen bleiben darf.«
Liebegott und der Direktor, der Baron und der Ingenieur wurden Partner. Während Liebegott gab, sagte er leicht hingeworfen: »Wir müssen wohl verabreden, wie hoch wir spielen.«
»Wenn keiner von den Herren etwas dagegen hat,« antwortete der Baron, »so würde ich vorschlagen: wie gewöhnlich.«
»Ja, es hat vielleicht keinen Sinn, höher zu gehen,« sagte Robertsen nachsichtig. »Obwohl ich für meine Person es wohl einmal mit tausend Kronen versuchen möchte.«
»Ich bin kein Börsenbaron.« Der Ingenieur war nahe daran, die Karten hinzuwerfen. »Ja,« fuhr er fort, »ich bin leider genötigt, mit Schillingen zu rechnen. Aber die Herren können ja zu dreien spielen.«
»Nun, nun, lieber Westermann« – Robertsen berührte ihn unter dem Tisch mit dem steifen Bein. »Dann bleiben wir bei den üblichen hundert Kronen.«
»Ja,« sagte der Baron vermittelnd, »wir spielen ja doch nicht um Geld. Und obwohl Verlust und Gewinn sich in der Regel ausgleichen, wenn man oft zusammen spielt, so finde ich doch auch, daß keiner höher gehen soll, als er ohne Schwierigkeit vertragen kann. Also meine Herren – hundert Kronen?«
»Meinetwegen, Baron!« – Liebegott meldete zwei Sans-atout , »und nun spielen wir also und faseln nicht. Heute abend soll's, der Teufel hol's, Ernst werden. Übrigens muß ich gestehen, daß mir verdammt trocken im Halse ist. Aber vielleicht ist es ein Mäßigkeits-Bridge?«
»Sie haben nicht so unrecht, lieber Advokat – ich bin ganz verzweifelt. Aber ich bin durch den Besuch des Propheten völlig in meinen Dispositionen gestört worden. Pardon: jetzt werde ich klingeln.«
Einige Minuten später kam eine dicke ältere Frau herein. Sie hatte eine weißleinene Schürze um.
»Herr Baron wünschen?« fragte sie schmunzelnd.
»Zwei Mumm goût americain1904; Whisky und Soda; vier Mokka-Likör. Meukow 1789. Fruits assortis . Und, schönes Kind, später am Abend – sagen wir um zwölf Uhr – kaltes Geflügel, etwas Käse, englischen Sellerie und Radieschen. Habe ich Ihren Geschmack getroffen, meine Herren? Oder möchten Sie lieber etwas anderes?«
»Wie ist es augenblicklich mit Krabben?« fragte Robertsen.
»Eine ausgezeichnete Idee,« sagte der Baron. »Prinzessin Sonnenschein, wissen Sie, ob es heute Krabben gibt?«
»Es gibt selbstverständlich alles, was Herr Baron wünschen.«
»Also gut. Dann lassen Sie den Küchenchef die größten für uns aussuchen. Und wenn der Kaviar gut ist, bringen Sie uns auch ein paar Portionen. Soviel ich mich erinnere, muß der Croûte jetzt auch in conditionsein. Also: Krabben, Kaviar, Croûte. Und gemischten Käse. Wenn der Stilton einigermaßen frisch ist, soll er ihn nicht vergessen.«
»Jawohl, Herr Baron. Ich bringe, was wir haben.«
»Sie sind ein Engel. Sie sind viel mehr. Sie sind die süßeste kleine Hexe. Kommen Sie einen Augenblick her zu mir, ich will Ihnen etwas ins Ohr flüstern ... Aber Kind, warum sind Sie so scheu? ... Glauben Sie, ich habe keinen Respekt vor Ihrer Unschuld? Auch wenn es Sie kleiden würde, auf einem Besenstiel zu reiten. In Gottes Namen: gehen Sie! Geh in ein Kloster, Ophelia! Und sagen Sie dem Küchenchef, er soll gleich ein paar Flaschen Pale Ale hereinschicken, wenn er diesen Göttertrank in seinem elenden Provinzausschank hat.«
Liebegott hatte sich an der Tür zu schaffen gemacht, und als Frau Hansen mit ihrem Hinterteil vorbeisegelte, praktizierte er geschickt eine Stecknadel hinein.
»Verrückte Mannsperson,« sagte sie und kreischte kokett auf. »Wenn man Witwe ist und ohne Beschützer, sollte man doch wohl in seiner Weiblichkeit in Ruhe gelassen werden.«
»Gott, wie schön Sie sind, Ludowika,« flüsterte Liebegott. »Kommen Sie heute nacht zu mir?«
»Ja, mit einem Lavement,« sagte Frau Hansen und schlug die Tür hinter sich zu.
Die vier Herren nahmen kichernd das Spiel wieder auf.
»Ein flottes Frauenzimmer,« sagte Liebegott und stocherte sich mit der Stecknadel in den Zähnen. »Ich sage Ihnen, es war, als stäche man in ein Federbett. Es schwabbelte förmlich.«
»Ja, sie hat etwas Rubenssches,« fiel der Baron ein. »Ob sie tugendsam ist?«
»Höhö,« gluckste Westermann, daß das Monokel herunterfiel und sein Adamsapfel an seinem langen, dünnen Halse auf- und abgurgelte.
»Weibliche Tugend, meine Herren,« sagte Robertsen, »ist eine Geschäftsfrage. Ich würde glauben, daß selbst Frau Hansen sich von – sagen wir einer Million verlocken lassen würde.«
»Haben Sie es etwa versucht?« fragte der Baron.
»Darüber möchte ich mich nicht äußern. Diskretion ist für mich immer Ehrensache.«
»Ich habe die flottesten Mädels in Europa und in Mittelamerika gekannt,« sagte Westermann, »ich kann wohl sagen: Mädchen, die in irgendwelcher körperlichen Beziehung keineswegs hinter Frau Hansen zurückstanden – ob man sie nun drall oder hundemager liebt. Unter andern eine italienische Herzogin –, um nur ein einzelnes Beispiel zu nennen. Aber ich kann Ihnen versichern, meine Herren, ich habe nie einer von ihnen auch nur fünfzig Pfennig gegeben. Im Gegenteil. Nach meiner Auffassung ist es eines Gentlemans unwürdig, eine Frau zu bezahlen, die ihn liebt. Gott im Himmel, wie hatten wir es gut – die Herzogin und ich. Und meinem Alten imponierte es mächtig, als ich von der Riviera nach Hause kam und beinahe noch Geld gespart hatte. Von dem Augenblick an hatte er Zutrauen zu mir. Er prahlte all seinen Börsenfreunden gegenüber mit meinen finanziellen Fähigkeiten. Und es war kurz davor, daß ich Direktor der Nationalbank geworden wäre.«
»Höchst kurios,« sagte der Baron und sah ein bißchen verständnislos aus. Aber Liebegott grunzte vor Lachen bei Westermanns Prahlereien und stieß die Freunde rücksichtslos unter dem Tisch mit dem Fuß, ohne auf Robertsens mühsame Anstrengungen, sein krankes Bein zu retten, zu achten.
»Das ist doch wirklich schade, alter Junge, daß du dir diesen Spaß hast entgehen lassen. Dann wärst du doch wenigstens Ritter des Danebrogs geworden.«
»Ritter!« sagte der Baron; »damit wäre es nicht getan. Unser ausgezeichneter Freund wäre in diesem Augenblick mindestens Kommandeur des Großkreuzes.«
Westermann stieß eine Rauchwolke durch die Nase: »Hol der Teufel diesen ganzen Tingeltangel. Ja, du mußt wirklich entschuldigen« – er wendete sich zu Liebegott; »ich sehe, du hast einen neuen Pelikan bekommen.«
Liebegott wurde plötzlich ernst und sagte: »Im Prinzip bin ich vollkommen deiner Meinung. Und wie die Herren sehen, trage ich auch keine dänischen Orden. Unsere einheimischen Orden sind nach meiner Meinung in erster Linie geschmacklos. Was für ein Vergnügen macht außerdem ein Orden, den jeder unbestrafte Beamte bekommen muß , wenn er ein gewisses Alter erreicht hat? Aber die Orden, die ich in aller Bescheidenheit trage, bekommt niemals ein dänischer Oberst oder Bischof. Jeder einzelne ist eine Seltenheit, darf ich wohl sagen. Das sind keine Orden, die man gratis bekommt. Ich kann ohne Prahlerei von all meinen Dekorationen angeben, was jede einzelne von ihnen in Handel und Wandel wert ist. Sehen Sie zum Beispiel diesen letzten – das Rote Kreuz der montenegrinischen Ehrenlegion – er wird im letzten Katalog mit 11 500 Franken notiert. An und für sich ist das nicht teuer in Anbetracht dessen, daß lebenslängliches Adelspatent und Pascharang damit verbunden sind. Aber unter uns: ich habe ihn zum Vorzugspreis mit 25 Prozent Rabatt durch einen italienischen Kollegen bekommen, der seiner Zeit den Ordenskanzler davor gerettet hat, als Spion erschossen zu werden.«
»Leider kann ich keinen Rabatt geben, lieber Baron,« sagte Robertsen, der das Spiel angesagt hatte und mit den sechsundzwanzig Karten dasaß. »Jetzt nehme ich den Pik-As vom Tisch. Spiele aus. Bitte schön, Westermann, die Dame drauf! Das behagt Ihnen nicht? Aber da hilft keine gute Madonna. Wird mit dem König gestochen. Nun Bauer heraus ... Und nun decke ich auf. Haben die Herren etwas einzuwenden? Wie? Justizrat – das haben wir fein gemacht.«
Im selben Augenblick ging die Tür auf, und Frau Hansen, begleitet von einem Stubenmädchen, brachte das Abendbrot und die Getränke auf zwei großen Tabletten.
»Ein Wort zu rechter Zeit!« Westermann rieb sich entzückt die Hände. »Jetzt soll ein Whisky gut tun.«
»Ja, aber nicht mehr als zwei kleine vorsichtige, Herr Ingenieur, sollte ich vom Professor bestellen,« sagte Frau Hansen und stellte das Tablett auf einen runden Tisch.
Etwas nervös fragte Robertsen: »Haben Sie für mich vom Professor keinen Bescheid mitbekommen?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber ich habe dem Herrn Generaldirektor das Pulver auf den Nachttisch gelegt.«
»Der Professor hat nichts davon gesagt, daß für mich ein Telegramm gekommen ist?«
»Nein, davon hat er nichts gesagt.«
»So bereiten Sie selbst das erste Glas, Sie geizige Giftmischerin,« unterbrach Westermann. »Nachher nehmen wir dann Revanche. – Danke, mein Engel, danke, Sie gesegnete unter den Frauen.«
Und während die Zunge vor Wollust schnalzte und der Adamsapfel durstig auf und nieder gurgelte, goß Westermann den gelben Strom von Frau Hansens Zitronenwasser in sich hinein.
»Ah!« sagte er und stellte etwas außer Atem das geleerte Glas aus der Hand, »ah, war das schön! Whisky, meine Herren, schmeckt nur gut, wenn man ihn in langen Zügen genießt: zum Nippen eignet er sich nicht. Ludowika, mein holdes Kind, schenke den andern ein und kredenze mir auch gleich mein armseliges letztes Glas. Und vergiß nicht, es morgen dem Professor zu petzen.«
»Das Fleisch muß willig sein, Herr Ingenieur, wie in der Heiligen Schrift steht,« lachte Frau Hansen blasphemisch, und sie machte einen so aufgekratzten Eindruck, als hätte sie selber einen Labetrunk genossen.
Sie hatten nun alle die gefüllten Gläser vor sich, und der Baron sagte: »Danke, liebe Frau Ludowika, Sie und Fräulein Gyldenlok können jetzt ruhig Ihr keusches Lager aufsuchen. Wir werden ausgezeichnet allein fertig. Und ich verspreche Ihnen, daß wir die andern Gäste nicht stören werden.«
»Jaja, Herr Baron. Dann wünsche ich Ihnen und allen Herren einen recht vergnügten Abend.«
Fräulein Gyldenlok stand schon vorsichtig an der Tür, während die abgehärtetere Frau Hansen unter etlichem koketten Gekreisch erst noch von Arm zu Arm ging.
»Ich schlage vor,« sagte der Baron, als nach dem Verschwinden der Damen der zweite Robber im Handumdrehen beendet war, »daß wir auch den letzten Robber zu Ende spielen, ehe wir soupieren. Es ist, wie Sie sehen, nichts Warmes. Nur ein kleines kaltes Büfett. Konveniert es den Herren so?«
» Allright « antwortete Robertsen. » Very well, Sir, « fügte der Ingenieur hinzu.
» As you like « – sagte Liebegott abschließend, worauf er monoton vor sich hinleierte: » I am a little boy. Have you a sister? How do you do? Please. Can youhüpfen und springen? Will you haveein paar auf den Schnabel? Morning, Sir! Und jetzt spielen wir, hol mich der Teufel. Ohne Gefasel und Getu. Sie geben, Herr Generalissimus.«
»Unser guter Rechtsanwalt,« sagte Robertsen würdig, während er mit dicken, tastenden Händen die Karten verteilte, »scheint mir von dem herrlichen Whisky des Barons schon recht erfreulich beeinflußt zu sein. Darf ich mir die Frage erlauben, woher Sie ihn beziehen?«
»Ach, das ist eine Marke, die ich schon viele Jahre lang getrunken habe; ich bekomme sie durch einen kleinen Weinhändler, der seinerzeit Hofmeister auf König Eduards Lustjacht war. Aber während meines Aufenthalts hier lasse ich ihn, wie das meiste andere, vom Professor besorgen. Das ist mir am bequemsten so.«
»Drei Coeur,« meldete Robertsen. Er und der Baron spielten jetzt zusammen. »Nun ja, ich benutze auch den Professor. Aber bisweilen ist er nicht zuverlässig. Ich begreife zum Beispiel nicht, daß das Telegramm nicht gekommen ist.«
»Drei Coeur« – Westermann überlegte. »Nun gut, ich melde fünf Pik. Erwarten Sie das Telegramm wegen des Kaffees?«
»Selbstverständlich. Fünf Pik. Dubliert.«
»Redubliert.«
Liebegott schlug auf den Tisch. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir nicht Schwarzpeter spielen. Jedenfalls haben wir andern wohl auch das Recht, ein Wort mitzureden. Ich melde fünf Sans-atout .«
»Das Vierfache,« sagte der Baron.
»Und wieviel hinten herum?« fragte Liebegott.
Der Baron flammte auf und erwiderte völlig unbeherrscht: »Ich bin kein Viehhändler.«
Liebegott saß einen Augenblick gelähmt. Man fühlte ein Gewitter in der Luft. Robertsens krankes Bein zuckte nervös, so daß er fest die Hand darauf legen mußte, um es in Zucht zu halten, und der Baron versuchte vergebens die vornehme Unanfechtbarkeit seines Gesichts zu bewahren; seine Augen flackerten nervös.
Dann kam die Explosion: »Also jetzt legen wir die Karten hin, lieber Baron. Und ich darf wohl das Vergnügen haben, Ihnen morgen auf nüchternen Magen meine Sekundanten zu schicken. Euer Hochwohlgeboren müssen verzeihen, wenn das Leute sind, die mit Ochsen umzugehen pflegen.«
»Meine Herren,« sagte der Baron bleich und zitternd, zu Robertsen und Westermann gewendet, »ich bitte Sie, diese peinliche Szene zu entschuldigen. Es ist immer bedauerlich, aber an und für sich eine gerechte Strafe, wenn man dafür büßen muß, daß man in seiner Gesellschaft nicht wählerisch war.«
Im selben Augenblick klopfte es kurz und militärisch an die Tür, und ein Wärter trat ein.
Die vier Herren waren verstummt und saßen steif und korrekt mit ihren Karten da.
Eine ungeheure Erleichterung war es für alle, als der Wärter sagte: »Ich sollte Herrn Generaldirektor vom Herrn Professor bestellen, daß aus Kopenhagen telephoniert worden ist. Ich sollte nur sagen, die Sache sei in Ordnung.«
Der Generaldirektor fühlte sich nicht nur erleichtert – ihm wurde schwindlig vor Glück. Er versuchte aufzustehen, konnte aber nicht, das kranke Bein tanzte einen Veitstanz. Er wollte etwas sagen, aber die Zunge versagte. Er suchte in der Westentasche, fand aber nichts. Nahm dann den Bleistift von der Bridgeabrechnung und schrieb mit zitternder Hand etwas auf ein Stück Papier.
»Da, mein Freund,« er stotterte zuerst etwas, wurde dann aber plötzlich ganz sicher und fuhr in überlegen ruhigem Geschäftston fort: »Da, Sören, das ist für Sie. Lassen Sie sich morgen von der Kassiererin diese kleine Erkenntlichkeit aus meinem Konto auszahlen. Und gehen Sie dann gleich zum Professor hinüber und überbringen Sie ihm meinen verbindlichsten Dank.«
Sören besah das Stück Papier. Und mit einem gutmütigen Lächeln sagte er: »Ich danke auch vielmals. Aber ich finde, es ist doch eigentlich viel zu viel. Und Gott weiß, ob Fräulein Peddersen überhaupt so große Beträge bei sich hat.«
»Wenn Sie die Summe nicht in bar bekommen können, Sören, so lassen Sie sich von Fräulein Peddersen eine Anweisung geben.«
»Jawohl. Ich danke Ihnen auch vielmals, Herr Generaldirektor. Aber wenn es nicht unbescheiden ist, wäre ich für heute ganz befriedigt, wenn Herr Direktor mir eine Zigarre spendieren würden. Am liebsten eine mit Bauchbinde, denn dann könnte ich morgen Herrn Frankenstein mit der Binde erfreuen.«
Robertsen und die anderen Herren fanden Sörens kindlichen Wunsch ergötzlich. »Ja, und ob Sie eine Zigarre haben sollen,« sagte Robertsen und entleerte das Etui in seine Hand.
Sobald Sören aus der Tür war, sagte Robertsen: »Liebe Freunde, wenn ich mich recht erinnere, war ein Mißklang in unser Fest gekommen. Aber dies ist für mich meines Lebens größter Siegestag bisher geworden. Und ich möchte Sie deshalb bitten, mir den Beweis zu geben, daß Sie an meiner Freude teilnehmen, indem Sie allen alten Groll vergessen.«
»Ach Unsinn, alter General,« lächelte Liebegott, »von Neid und Groll ist hier nicht die Rede. Wir haben einander die Jacke vollgeschimpft – weiter doch nichts. Was, Baron?«
»Ich für mein Teil, bester Herr Rechtsanwalt ... ich möchte nur betonen ...«
»Ach lassen Sie nur das Betonen. Sie sind, der Teufel soll mich holen, der reizendste und unvergleichlichste Mensch in unserm reizenden und unvergleichlichen kleinen Heimatland. Und wenn ich das hier in Gegenwart von Zeugen sage, so steht es damit felsenfest, wie durch Reichsgerichtsurteil bestätigt. Nicht wahr, Baron, jetzt trinken wir ein Glas ... Also Prosit! Trinken Sie mit, meine Herren, Sie sind Zeugen! Wohlsein allerseits! ... Und wie ist es nun mit dem Kaffee? Es schien ja eine feine Tasse Mokka zu sein, die Sören Ihnen eingeschenkt hat ...«
»Leider ist mein Mund mit sieben Siegeln verschlossen,« sagte Robertsen und setzte eine mystische Miene auf, während er den Stuhl zurückschob und mit mutwillig gymnastischer Behendigkeit das lahme Bein auf den Tischrand schwang. »Nein,« fuhr er fort, »es ist, im Ernst, für mich vollkommen unmöglich, etwas zu verraten. Nur soviel kann ich Ihnen wohl andeuten, daß das, was heute passiert ist, unser liebes kleines Vaterland zu einer finanziellen Großmacht machen wird. Und daß ich dazu habe beitragen können, dafür danke ich unserm Herrgott in aller Ehrerbietung und Ergebenheit. Ich freue mich auch darüber, daß ich diesen für mich und Dänemark so bedeutungsvollen Tag gerade mit Ihnen zusammen feiern kann, meine Herren! Mit Ihnen – sage ich! Mit Ihnen, meine Freunde!«
Es entstand ein kleines andachtsvolles Schweigen. Dann sagte der Baron: »Ich möchte vorschlagen, daß wir es heute abend mit den zwei Robbern bewenden lassen. Und daß wir – denk es ist schon spät – uns sofort über die bereitstehenden Erfrischungen hermachen und mit einem Glase Wein unserm genialen Freunde unsern Glückwunsch darbringen ... Wenn Sie damit einverstanden sind, so bitte ich Sie, lieber Herr Westermann, die kleine Abrechnung zu machen.«
»Jawohl,« sagte Liebegott, »ich werde mit dem größten Vergnügen und ohne alle Kleinlichkeit mich zu Ehren des Generaldirektors sternhagelvoll trinken. Aber ich bin doch traurig, daß Robertsen so geringes Vertrauen zu uns hat.«
»Ich bitte Sie, nicht so bittere Worte zu gebrauchen, Herr Rechtsanwalt. Es gibt wirklich – das können Sie mir glauben – keinen Menschen, dem ich mein Herz lieber öffnen würde als Ihnen, dem scharfsinnigsten Juristen unseres Landes oder Ihnen, lieber Baron, dessen Verdienste bereits in unsere politische und agrarische Geschichte eingeschrieben sind, und zuletzt, doch nicht am wenigsten, Ihnen, Herr Ingenieur Westermann, Dänemarks Edison. Der liebe Gott gebe Ihnen, lieber Westermann, seinen Segen dazu, daß Sie einmal, wenn er Sie zu sich ruft, die Reise per Luftfahrrad machen können.«
»Sind Sie fertig mit der Abrechnung?« fragte der Baron.
»Einen Augenblick noch!«
»Leider haben Sie wohl nicht gewonnen?« fragte der Baron bekümmert.
»Ach Unsinn« – Westermann hatte sich von Robertsens Schmeicheleien nicht anfechten lassen; er hatte knapp hingehört; er kannte ja doch seine eigene Bedeutung selbst am besten. »Ach Unsinn,« sagte er; »ein paar Tausend mehr oder weniger spielen für mich und meine Erfindung keine Rolle. Ich bin übrigens jetzt fertig. Das Resultat ist also folgendes, meine Herren: Der Generaldirektor hat wieder Glück gehabt und 337 400 Kronen gewonnen, der Baron hat 220 000 verloren, Liebegott 79 400 und ich 38 000.«
»Gott sei Dank,« sagte der Baron; »heute abend haben wir uns doch in annehmbaren Grenzen gehalten. Das wird den Professor freuen. Er ist ja doch ein bißchen spießbürgerlich. Und er kann nicht leiden, daß hier auf dem Gut allzu hoch gespielt wird. Also, bester Generaldirektor, darf ich, ehe wir zu Tisch gehen und ehe ich es vergesse, Ihnen meine Schuld bezahlen. Soweit ich mich erinnere, sind wir sonst quitt. Ich gebe Ihnen also hier auf meiner Visitenkarte einen Bon über den Betrag.«
Robertsen nahm die Karte. Hielt sie einen Augenblick in der Hand – man konnte sehen, daß er überlegte und rechnete. Dann sagte er: »Wie wunderlich das Leben ist. Vor zehn, zwölf Jahren wären ein paar lumpige Hunderttausend für mich ein märchenhafter Reichtum gewesen. Ob ich jetzt, namentlich nach dem, was heute geschehen ist, zwei- bis dreihunderttausend mehr oder weniger habe, spielt absolut keine Rolle. Und ich weiß, daß unser Freund, der Ingenieur, mit einer verhältnismäßig kleinen Summe seine epochemachende Erfindung ausführen kann. Also, lieber Westermann, machen Sie mir die Freude, den Bon des Barons von mir anzunehmen.«
»Das ist eine scharmante Idee!« – Der Baron strahlte vor Begeisterung.
»Nein,« sagte Westermann, »das ist zuviel, das kann ich nicht annehmen. Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar, lieber Generaldirektor, aber ich kann es nicht.«
»Stecken Sie die Karte nur in die Tasche und machen Sie sich keine Gewissensbisse. Natürlich ist es kein Geschenk. Wenn ich nicht an Ihr Genie glaubte, gäbe ich Ihnen keinen roten Heller. Und ich verlange auch anständige Zinsen von meinem Gelde. Der Diskont ist ja augenblicklich hoch. Sie bekommen in keiner Bank Geld unter sieben Prozent. Was meinen Sie zu sechs Prozent?«
»Gewiß, wenn die Sache so geordnet wird, als eine Kapitalisierung meiner Erfindung – dann kann ich annehmen. Aber mehr als fünfeinhalb Prozent gebe ich auf keinen Fall.«
Der Baron trippelte nervös umher, entsetzt über Westermanns Frechheit. Wie, wenn Robertsen wütend wurde!
Aber Westermann war unerschütterlich. Und Robertsen, der es nicht liebte, ein Geschäft auf halbem Wege aufzugeben, ließ sich von der Kaltblütigkeit des andern imponieren.
»Also in Gottes Namen, hier haben Sie die Visitenkarte des Barons. Es bleibt also bei fünfeinhalb Prozent. Der Ordnung halber ziehen wir, wenn Sie nichts dagegen haben, die kleine Summe ab, die Sie mir für heute abend schuldig sind.«
»Bitte sehr.«
Während die beiden Herren mit viel formeller Höflichkeit die Visitenkarte in Ordnung brachten, hatte Liebegott auf einem einfachen Stück Papier seinen Bon über 79 400 Kronen ausgestellt und schob ihn nonchalant Robertsen hin. »Bitte sehr, Herr Generaldirektor, hier ist mein bescheidener kleiner Beitrag.«
»Danke bestens, Herr Rechtsanwalt.« Und mit seinen dicken Fingern nahm Robertsen den Fetzen Papier und wollte ihn in seine Westentasche schieben, verlor ihn aber, ohne daß er selbst oder einer von den andern es bemerkte.
Unterdes hatte der Baron sich an dem runden Tisch zu schaffen gemacht, auf dem das Souper angerichtet war: Sodawasser, Weißbier, eine Platte mit Butterbroten, ein paar selbstgebackene Kuchen und eine Glasschale mit Apfelsinen. Mit vieler Feierlichkeit öffnete er die Sodawasserflaschen und ließ das Getränk in die Gläser schäumen.
Er klatschte in die Hände: » Messieurs sont servis ! Ich bitte Sie, sich zu versorgen. Aber zunächst schlage ich vor, daß wir ein Glas auf unsern Freund, den Generaldirektor Robertsen, leeren und ihn zu diesem für ihn so bedeutungsvollen Tage beglückwünschen. Freilich können wir ja seinen Triumph nicht im vollen Maße mitfeiern, da wir ihn nicht kennen. Aber Sie wissen, lieber Robertsen, daß Sie keine bessern Freunde haben als uns. Niemanden, der herzlicher mit Ihnen Sorgen wie Freuden teilt. Ihr Wohl!«
Robertsen hatte die Rede stehend angehört, aber sie machte einen so starken Eindruck auf ihn, daß sein krankes Bein völlig unbeherrscht unter ihm schlotterte. Er hatte sich an eine Stuhllehne klammern müssen, um sich aufrecht zu halten. Und als er mit allen angestoßen hatte, halfen Liebegott und der Baron ihm sorgfältig auf einen Stuhl.
Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich zu einer Antwort sammeln konnte.
Mit einer Stimme, die mit dem Bein um die Wette zitterte, sagte er: »Nach all diesem kann und will ich meinen Entschluß zu schweigen nicht aufrechterhalten. Ich fühle, daß Sie, meine lieben, treuen Freunde, einen Anspruch darauf haben, an dem größten Ereignis in meinem Leben teilzunehmen. Ich weiß ja auch, daß ich mich völlig auf Ihre Diskretion verlassen kann.
Also, meine Herren: was heute geschehen ist, ist folgendes: von jetzt an beherrscht die dänische Regierung unter meiner Mitwirkung den Weltmarkt für Kaffee. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, sind die Kaffeepreise im letzten halben Jahr immer niedriger und niedriger geworden. Ich habe also dem Finanzminister vorgeschlagen, Dänemark solle die Chance benutzen und allen Kaffee, der am Markt ist, aufkaufen. Aber nicht nur das, sondern auch die Ernte der kommenden zehn Jahre. Der Finanzminister – ein nicht unbegabter, aber kleinlicher Mann – war zunächst – was ja ganz natürlich ist – erschrocken, aber allmählich hat er sich meinen Argumenten gefügt. Heute hat er also die Genehmigung des Finanzausschusses bekommen, und morgen kaufen fünfhundert Agenten in der ganzen Welt im Namen des dänischen Staates alles auf, was die Welt an Kaffee besitzt. Und in acht Tagen wird der Preis um fünfzig Prozent gestiegen sein. Hier handelt es sich um Milliarden, meine Herren. Dänemark kann seine sämtlichen Staatsschulden bezahlen, alle Steuern werden aufgehoben, und die Apanage Seiner Majestät wird um fünf Millionen erhöht. Dies letztere ist eine ausdrückliche Bedingung meinerseits.«
»Und Sie selbst, Herr Generaldirektor? Auf welche Art wird Ihr Vaterland Sie belohnen?«
»Natürlich bekomme ich einen bestimmten, genau festgesetzten Anteil am Gewinn. Außerdem werde ich zum Lehnsgrafen von Java ernannt. Eine Statue von mir wird vor der Börse errichtet, und – worauf ich besonderen Wert lege – die Universität macht mich zum Ehrendoktor. Endlich wird meine Tochter Äbtissin von Stift Vallö.«
Die Herren waren so überwältigt, daß sie keine Worte fanden. Endlich sagte Liebegott – und seine sonst immer frische Stimme klang ganz verschüchtert: »Aber wenn nun der Kaffee steigt und steigt, was sollen dann die armen Leute machen? Ist das nicht sehr schwer für sie?«
»Bester Herr Rechtsanwalt – das ist natürlich ein längst erwogenes Problem. An alle dänischen Bürger wird der Kaffee zu Preisen verkauft, die sich nach ihren Einnahmen richten. Und die ganz armen Familien bekommen jährlich soundsoviel Pfund gratis – soweit ich mich erinnere fünfzig Pfund für jeden Erwachsenen, und fünfundzwanzig für Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren.«
»Ja, wirklich,« sagte der Baron, »dies ist das Größte, was ich erlebt habe.«
»Ja, jetzt reden wir nicht mehr davon« – brach Robertsen ab. »Und nun danke ich für den schönen Abend und das herrliche Souper. Ich bin müde und muß mich zur Ruhe begeben.«
»Ja, dann gehen wir wohl alle,« sagte Westermann. »Ich muß außerdem noch einige Berechnungen fertigmachen.«
»Ein denkwürdiger Abend,« sagte der Baron, während er sich verabschiedete. »Aber was liegt hier?«
Er bückte sich und nahm Liebegotts Bon auf. »Bitte sehr, Herr Generaldirektor, das gehört Ihnen.«
Robertsen blickte durch seinen Klemmer auf den Papierfetzen und legte ihn dann auf den Spieltisch.
»Für die Bedienung,« sagte er. »Wenn Herr Baron gestatten« – fügte er galant hinzu.