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Wenn bloße Wirtschaftskraft genügt zur politischen Erstarkung, dann müssen wir vorwärts schreiten. Die Tatsachen aber belehren uns, daß mit Wirtschaftsfortschritt allein die Nationen noch nicht zu politischen Mächten heranreifen. Es ist sicher, daß der Wirtschaftsfortschritt vorhanden sein muß, wenn man Weltmacht gewinnen will, denn alles Herrschen kostet Geld, ehe es Geld bringt, aber es ist ebenso offenbar, daß der politische Wille in einem Volke nur dann besteht, wenn es noch mehr will und sucht als Profit und Konsum. Es muß sich als Nation, als Geistesmacht, als Charakter, als geschichtliche Kunstform durchdrücken wollen, weil es an seinen Wert für alle Völker glaubt. Diesen Glauben an uns selbst und unseren Wert haben wir nicht hinreichend gehabt und hatten darum keine gewinnende und werbende Kraft für andere Völker. Neben uns sitzen die Holländer, Schweizer, Dänen, Schweden, Finnen, Norweger, Österreicher. Haben sie eigentlich Lust, bei uns und mit uns zu sein? Hand aufs Herz! Sie achten uns, aber Lust zur Gemeinschaft haben sie nicht. Und wir können es ihnen im Grunde nicht verdenken, denn unsere eigne Lust am eignen Staat ist gering. Sie ist pflichtgemäß vorhanden, aber sie quillt nicht wie das Wasser in den Bergen, denn unser Staat ist der Staat sinkender Schichten. Das wirtschaftlich aufsteigende Deutschland wird von den preußischen Rittergutsbesitzern und den katholischen Priestern regiert! Das ist es, weshalb ein Patriotismus der Masse nicht aufkommt, deshalb sind unsere Sozialdemokraten verbittert und boshaft, deshalb kann eine freie Hingabe an den Staat sich so schwer entwickeln. Unser Nationalsinn leidet am preußischen Landtag und am Zentrum. Ein freies Deutschland würde voll von magnetischer Kraft nach außen sein. Unsere Weltlage wäre mit einem Schlage eine andere, wenn wir, wenn wir Deutschen die Fackel der Freiheit vor Europa herzutragen uns entschließen könnten. Als Bismarck Macht gewinnen wollte, verbündete er sich zu diesem Zwecke mit den freiheitlichen Trieben im Innern der germanischen Bevölkerungen. Er hat später diese Verbindung wieder fallen lassen, aber trotzdem steht es mit unauslöschlichen Lettern in der deutschen Geschichte geschrieben, daß wir nur dadurch vor 100 Jahren unser nationales Leben retteten, daß die Trompete der Freiheit geblasen wurde, und daß wir nur dadurch vor 50 Jahren zum Nationalstaate wurden, daß der Liberalismus die Volksstimmung wurde. Konservative Zeiten sind für uns stets Niedergangszeiten gewesen. Aus ihnen müssen wir heraus, wenn wir vorwärts wollen.

Damit ist aber nur das allererste Ziel der nationalen Selbstbestimmung angegeben. Es ist nötig, noch etwas weiter zu denken und zu sagen, was es denn heißen solle, ein freies Deutschland herstellen. Die Herstellung demokratischer Wahlrechte ist ein Hilfsmittel zur Freiheit, ist aber doch nicht die Freiheit selbst. Der Inhalt der Freiheit ist für die Masse des Volkes ein Arbeitsverhältnis, bei dem sie eigne Arbeit tun können. Das ist das große Thema der Zukunft für alle industriellen Völker. Es gilt, den Industrieproletarier ebenso zu befreien, wie man zum Heil des Staates vor 100 Jahren den Bauern befreit hat. Es gilt, die höchste Produktivität der Arbeit, die vollendetste Ordnung der Arbeitsorganisation mit einem System von Selbstverwaltung und Mitbeteiligung zu durchsetzen, das in allen Arbeitenden das freudige Bewußtsein weckt: es ist unsere gemeinsame Sache, für die wir uns von der Jugend bis zum Alter abmühen! Aus Industrieuntertanen müssen Industriebürger werden! Das Volk, dem es gelingt, in dieser Frage die Führung zu übernehmen, hat etwas für die Menschheit im ganzen geschaffen, hier liegt das, was wir Deutschen leisten können, wenn diese Ausgabe uns in Fleisch und Blut übergeht und Tag und Nacht nicht losläßt.

 

Auf irgend etwas müssen wir Deutschen stolz sein können, wenn wir in der Geschichte noch etwas leisten sollen. Etwas müssen wir als unsere weltgeschichtliche Aufgabe ansehen, das niemand so gut vollenden kann wie wir, ja, das überhaupt unvollendet bleibt, wenn wir es nicht durchführen. Wir brauchen eine Nationalbestimmung im Menschheitshaushalt, damit wir für unsere nationale Selbständigkeit mit Lust und Hingabe eintreten können. Es geht ja doch den Völkern wie den Einzelmenschen. Solange der Einzelmensch keinen Lebenszweck erkennt, ist er ein sich selbst verachtendes Wesen. Er wirft sich selbst weg, weil er nicht weiß, wozu er da ist. Von da an aber, wo er seine Aufgabe gefunden hat, sei sie groß oder klein, spannen sich seine Sehnen und es kommt Glück in den Blick seiner Augen. Er wächst, weil er sich als notwendig empfindet. Das ist es, was wir dem deutschen Volke wünschen.

Es genügt nicht, daß ein Volk zu sich selber spricht: weil ich existiere, deshalb will ich mich erhalten! Der einfache Grundsatz der Selbsterhaltung des Lebens ist zwar äußerst stark in denjenigen Zeiten, wo das Leben direkt vom Tode bedroht wird. Als vor 100 Jahren Napoleon die Deutschen bis an Rußlands Grenze vor sich hertrieb, da genügte der Wille: Volk wollen wir sein! Bei allen kleinen und unterdrückten Nationssplittern genügt dieser selbe Wille: wir wollen nicht vollends verschlungen werden! um nationalistische Glut anzublasen. Wenn aber ein Volk nicht gerade in Todesnöten ringt, wenn es sein Ende nicht kommen sieht, wenn es ihm relativ gut geht, dann ist der große Selbsterhaltungsgedanke keine positive Kraft. Er steigert das Können nicht, er begeistert die Jugend nicht, denn wozu soll man sich ereifern gegen eine Gefahr, die man für einen Wahn hält?

 

Was heißt denn »deutsch« sein? Es heißt sicher glauben, daß wir Deutschen durch unseren Charakter der Welt etwas zu bieten haben. Unsere Kultur in ihrer Eigenart soll Platz in der Menschheitsgeschichte gewinnen.

Unser deutsches Volk muß Macht gewinnen wollen. Für manche verfeinerte Ohren ist das Wort Macht zu hart; aber ohne Macht gibt es keinen Staat, keinen Fortschritt der Gesamtnation. Ein Volk ohne Machtideale verliert sich in Tändeleien. Seine einzelnen Glieder verlieren an Elastizität der persönlichen Leistung. Man denke doch nur an das Leben der machtlosen Kleinstaaterei zurück, das hinter uns liegt! Man muß etwas, irgend etwas in der Welt erobern wollen, um selbst etwas zu sein. Auch in den sozialen Bewegungen steckt ein tiefer Durst nach Macht, und wo er ihnen fehlt, da verfließen sie in Sentimentalität und Ziellosigkeit. Was die Knochen im Körper und die Pfeiler im Bau, sind die Machtbestrebungen im Werdegang der Völker. Durch Jahrhunderte hindurch hat es uns an deutschem Knochenkalk gefehlt, und noch jetzt sind wir keineswegs so stark konstruiert, wie wir möchten.

 

Nicht in ferner Vergangenheit liegt das Deutschtum, von dem die Geschichte reden wird, es liegt in der neuen Zeit. Das Deutschtum der Weltgeschichte ist nicht das Germanentum der alten Barden, sondern ist die hohe geistige Leistung der Zeit, die zwischen Klopstock und Bismarck liegt und zu der Kant und Goethe gehören. Das Deutschtum sind nicht die Hellebarden in unseren Museen, sondern die Elektrizitätswerke und Schiffe der Gegenwart, nicht Erinnerung, sondern Gegenwart und Zukunft.

 

Die ältere deutsche Demokratie glaubte an die große Pflicht der Deutschen, der Welt ein Vorbild zu geben. Dieser Glaube ist nicht Selbstüberhebung, denn wir achten alle die anderen, wir achten aber auch uns, und lassen es uns nicht gefallen, wenn man uns in den Winkel der Weltgeschichte drücken will. Wir sind nicht stolz auf das, was geleistet worden ist, aber von einem Durst erfüllt, als Volk das Größte zu leisten, was möglich ist, der Menschheit für ihr Denken und Wollen, für ihre Kunst und Arbeit einen Stil zu geben, der aus dem Innern der deutschen Seele heraus geboren ist. Wir nehmen das Zeitalter der Maschine als unsere deutsche Neuzeit hin. Unser Volk soll Eisen kneten lernen wie kein anderes, unser methodisches Denken soll sich in Geschäft und Technik umsetzen, unsere Empfindungsweise soll sich in Linien, Formen und Farben ausleben, unser Recht soll das beste Recht sein, das es gibt, und unsere Sozialpolitik die erste der Erde, vor allem aber: wir wollen ein Volk von Qualitätsmenschen sein bis hin zum letzten Deutschen. Jeder Deutsche ein Mann von Ehre! Wir wollen es nicht dulden, daß man in der Kaserne oder in der Werkstatt deutsche Menschen herabwürdigt, denn unser erstes, größtes, heiligstes Kapital sind die Persönlichkeiten, aus denen das Volk besteht. Wir wollen keine zerschlagenen Weiber, keine geknickten Kinder, denn wir sind – Deutsche! Das Bekenntnis zur Nationalität und zur Menschwerdung der Masse sind für uns nur zwei Seiten ein und derselben Sache.

 

Der Arbeiter wird einen Staat nur dann achten und schätzen, wenn er sich in ihm geachtet und geschätzt weiß. Das konservative System ruiniert den Patriotismus der Masse. Es ist notwendig, die Nationalitätsidee wieder aus der Verschüttung hervorzuholen. Die Nationalitätsidee war aber immer und überall in ihren kräftigen Zeiten eine liberale, eine demokratische Idee, sie war die Idee des ganzen Volkes, das sein Schicksal in seinen Händen trägt, die Idee des Staates, der keine Maschine zur Ausnutzung der Menge durch eine Minderheit ist, sondern eine Organisation aller für alle.

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Die preußische Verfassung ist für uns recht eigentlich das deutsche Nationalproblem geworden. Solange sie unverändert besteht, kann ein freier, hoher, deutscher Nationalsinn sich nicht entfalten. Es fehlt am Flügelschlag des deutschen Adlers, an Luft, Bewegung, politischer Wahrhaftigkeit und Ernsthaftigkeit. Die preußische Verfassung ist eine beständige Demütigung der Bevölkerung. Ihr Menschen dritter Klasse sollt jetzt neue Steuern für das deutsche Vaterland bewilligen! Ihr Wähler dritter Güte sollt jetzt das System erhalten, das euch erniedrigt! Ihr sollt zahlen dürfen, aber als preußische Staatsbürger seid ihr Untertanen der ersten und zweiten Klasse und des Herrenhauses!

 

Ganz Deutschland schleppt mit an dieser preußischen Last. Was könnte unser ganzes tüchtiges, arbeitsames, leistungsfrohes Volk, was könnte es in der Welt sein vor allen Völkern und für sie alle, wenn es die Bürgerverachtung, die in den Begriffen Dreiklassenhaus und Herrenhaus liegt, von sich abwerfen könnte! Das würde erst die volle Reichsgründung sein, damit erst würde der Gedanke der deutschen Nation sich vollenden.

Die dritte Klasse ist die politische Unterwelt. Da sammelt sich alles, was in Preußen nichts zu sagen hat. Diese Unterwelt hat ein boshaft ausgeklügeltes Recht bekommen: sie darf wählen, aber es hilft nichts! In fast ironischer Weise sagt man zur dritten Klasse: so oft ihr mit den ersten Klassen harmoniert, bedeutet ihr etwas, aber sobald ihr für euch etwas Eigenes fordern wollt, dann ist dafür gesorgt, daß ihr zwar schreien dürft, aber von niemand gehört werdet! Die Masse ist unter dem Schein des Rechtes zur Statistenrolle verurteilt. Das ist das »Recht«, das zerbrochen werden soll.

Die Mehrzahl der Wähler aller Parteien sind Angehörige der dritten Klasse. Überall, selbst in den konservativen Parteien wird es empfunden, daß die Dreiklassenteilung eine Herabwürdigung der Mehrheit der Staatsbürger ist. Es sind ja keineswegs nur Lohnarbeiter oder ganz kleine Leute, die sich im Sammelbecken der dritten Klasse zusammenfinden. Es gibt zahllose Bauern dritter Klasse, Handwerker dritter Klasse, Kaufleute dritter Klasse, Gelehrte dritter Klasse. Alle, die innerhalb ihres Bezirkes nicht zu den reichen Leuten gerechnet werden können, kommen zu dem, was unten übrig bleibt, – zur Masse.

 

Der preußische Staat hindert den Patriotismus!

Fast alle Staatsbehörden in Preußen sind von vornherein daraus aus, den »gewöhnlichen Mann« als einen Menschen dritter Klasse zu behandeln. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber man sehe nur, wie ein gewöhnlicher Mensch vor einem Amtsrichter steht, oder vor einem Landrat oder vor einem Polizeiwachtmeister! Da steht heute noch immer der »Untertan« vor der Herrschaft! Diese Art des Herrenrechtes ist etwas ganz besonders Preußisches und zwar Altpreußisches. Die neuern Provinzen sind freier. Sobald man über die Grenze kommt, sei es nach Hamburg oder Dänemark, oder Oldenburg, oder Holland, merkt man gleich, daß Preußen aufgehört hat. Das Herrenrecht ruft eine falsche Unterwürfigkeit auf der einen Seite und eine Abneigung auf der andern Seite gegen den Betrieb des Staatswesens hervor. Der eigentliche Stützpunkt des Herrenrechtes ist aber das Dreiklassen-Wahlrecht. Der Dreiklassenlandtag gibt der ganzen preußischen Verwaltung ihren eigentümlichen Charakter. Die Masse ist Volk dritter Klasse!

 

Es gibt gar keinen größeren Hohn als diesen: die Masse eines guten und tapfern Volkes zu Wählern dritter Klasse zu machen. Das sieht nach Bürgerrechten aus und ist doch nichts. Das ist wie gemaltes Essen, macht nicht satt.

 

Immer und immer wird in Preußen viel versprochen und wenig gehalten. Das liegt im Wesen dieses Staates. Die Verfassung selbst ist dafür der beste Beweis, denn in ihr finden sich zuerst Klänge von hoher Klarheit und Schönheit und später Mißklänge unangenehmster Art. Erst heißt es, daß »alle Preußen vor dem Gesetze gleich sind«. Mehr kann gar nicht verlangt werden, denn in diesem Satze ist die ganze Neuzeit enthalten. Aber hinterher wird in derselben Verfassung dieser schöne Satz einfach lächerlich gemacht, indem vor dem Wahlgesetz die Preußen nicht gleich sind. Ein Teil der Verfassung entstammt nämlich dem Liberalismus und ein anderer der Reaktion, vom Liberalismus kommt die Generalidee und von der Reaktion die Ausführung. Der allgemeine Bauplan ist gut, die Bauausführung aber ist hundeschlecht.

 

Einen Staat wie Preußen gestaltet niemand um, wie wenn man ein Haus neu anstreicht. Hier geht es hart auf hart.

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Die Masse hat ein Vaterland, selbst dann, wenn sie gegen die Regierung des Vaterlandes protestiert! Und ohne Masse kann das Vaterland nicht verteidigt werden.

 

Die proletarische Masse bildet die Masse des Heeres. Von alters her war der Bauer der geborene Soldat. Er mußte seine Haut »zu Markte tragen«, seine harten Knochen und wetterfesten Muskeln waren das Material für die Großtaten des großen Kurfürsten und Friedrichs II. Um Soldaten zu haben, versuchten die Hohenzollern, ihrem Adel das Bauernlegen zu verbieten. Der Alte Fritz tat alles, was er konnte, um bäuerliche Population zu heben. Wenn die Hohenzollern beim siebenten Jungen Pate stehen, so tun sie das als Militärfürsten. Menschen, Menschen, damit wir Krieg führen können! Die Massen entscheiden im modernen Krieg. Die Heldenhaftigkeit einzelner verschwindet, der Patriotismus der Masse wird Lebensforderung des Staates. Wo er fehlt, hilft das beste Gewehr nichts.

 

Bei der gesteigerten Gefahr des Zukunftskrieges, im Hagel der Repetiergewehre, unter dem Eindruck des rauchlosen Pulvers, wird alles darauf ankommen, ob das Heer in sich selbst eine kampfbereite Gesinnung hat. Mit anderen Worten: Deutschlands militärische Zukunft hängt davon ab, wie sehr seine Demokratie vom nationalen Gedanken erfüllt ist. Die alte Form opfervoller Königstreue ohne politisches Nachdenken ist für die Majorität des Heeres vorbei, Landsknechte, die für Geld und Raub schießen und sich schießen lassen, haben wir nicht. Wir haben junge Männer, die, schon ehe sie in den Krieg ziehen, eine bestimmte politische Anschauung in sich ausgenommen haben, Staatsbürger, die selber wissen wollen, wofür sie kämpfen.

Ein deutscher Generalstabschef wird von Natur immer den Kriegsfall im Auge haben. Er denkt sich eine Niederlage irgendwo im fremdsprachlichen Osten, etwa bei Warschau. Die strenge Disziplin ist gelockert. Der Charakter des Heeres ist auf die denkbar härteste Probe gestellt: schlechte Verproviantierung, da die Marschrouten geändert werden mußten, schlechtes Wetter, polnische Wege, polnische Hütten, Verwundete, bange Sorgen vor den kommenden Tagen! In solcher Lage wird man alles, alles gern um ein in patriotischem Sinn absolut zuverlässiges Heer geben. Was aber tut man heute, um in solchem Fall ein solches Heer zu haben?

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Die Volksgemeinschaft ist niemals größer und beweglicher, als wenn zusammen gestorben werden muß. Vorher im Sonnenschein des Alltages war jeder ein einzelner und zankte sich mit den übrigen, nun aber wird der einzelne klein vor sich selber und fühlt sich als das Vergängliche gegenüber dem Leben, für das er stirbt. Und auch der stärkste Individualist, der überzeugteste Vertreter des Einzelmenschentums, wird still vor Hochachtung vor diesem letzten Volkwerden der Sterbenden. Und wir wissen es aus den Erlebnissen vieler früheren Kämpfe, daß der Mensch sozusagen erst dann ganz zu sich selber kommt, ganz unmittelbar hinströmendes Wollen wird, wenn er in diese Volkwerdung eingegangen ist. Das ist es, was die Bibel andeutet in dem Wort: wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen.

 

Wir sind Glieder einer langen Kette. Hinter uns liegen die Väter, vor uns die Kinder, wir sind mitten darin, uns gehört das Heute. Dieses Heute sollen wir in seinem ganzen Werte erfassen, wie es geworden ist und wie es weiter wirkt. Wie sinkt dabei die Überhebung des einzelnen! Er ist ein Tropfen im Strom. Er vertieft sich selbst, indem er die Größe des Volkes versteht, das heißt, er ordnet sich ein, er vergißt seinen vergänglichen Egoismus und wird Arbeitskraft für das Ganze. Diese Vertiefung ist für ihn und für die Gesamtheit von unberechenbarem Segen, Wer sie kennen gelernt hat, hat keinen anderen Wunsch, als immer mehr in der Tiefe der Dinge zu leben, in die er hineingeboren ist.

 

Wir sind einzelne Zellen in der Rinde eines großen Baumes und müssen vertrocknen, wenn der Saft nicht durch die benachbarten Zellen zu uns steigt. Um selber lebendig bleiben zu können, müssen wir unserer Umgebung Lebendigkeit gönnen.

 

Die Vollkommenheit des einzelnen beruht auf seinem Gemeinschaftsgefühl. Der einzelne soll sich nicht verachten, als wäre er nichts, soll sich auch nicht von den andern verachten lassen, soll aber auch nicht glauben, daß er für sich allein etwas in der Welt sei und bedeute. Kein Mensch lebt von sich allein. Alles, was er kann, hat er von andern gelernt, alles, was er leistet, ist nur Fortsetzung von Arbeiten, die schon vor ihm begonnen worden sind. Niemand kann sagen: ich habe mich zu dem gemacht, was ich bin! Wir sind hineingeboren worden in eine bereits alte und lange Kultur. Welche Mühen sind nötig gewesen, um uns den Lebensweg zurechtzumachen! Alle jene Geschlechter von Menschen, die vorzeiten den Urwald ausgerodet haben, die den ersten Acker pflügten, die die erste Axt erfanden, die unsre Städte und Dörfer bauten und unsre Sprache bildeten, alle Männer und Frauen, die uns vorangegangen sind, wirken in und durch uns weiter. Wir fangen dort an, wo sie aufhören. Unser Leben ist nur ein Stück in einem großen Vorgange, der viel mächtiger ist als wir. Das müssen wir wissen, und wer es nicht fühlt oder weiß, der bildet sich etwas Falsches ein und überhebt sich, als sei er sozusagen der erste Mensch. Das aber hindert ihn, vollkommen zu sein. Als einzelner hat er keine Aufgabe, die seinem Leben Inhalt geben kann, denn welchen Wert hat es, ob er gerade gut gekleidet und genährt wird? Er wird erst dann Befriedigung empfinden, wenn er sich hineinstellt in den langen Zug derer, die der Zukunft entgegenwandern, dann erst wird er ein ganzer Mensch und erträgt des Lebens Mühen und Schmerzen mit dem Bewußtsein, daß er nicht vergeblich existiert. Erst durch den Glauben an gemeinsame Ziele bekommt das Leben Wert und Sinn. Im gewissen Sinne wandern wir alle im Dunkeln, denn keiner kann das ganze Leben überschauen und alles in sich aufnehmen, was um ihn herum lebt und webt. Es ist aber für jeden so viel deutlich, daß er seine nächste Umgebung zu erkennen vermag. Er kennt seine Familie, seinen Arbeitskreis, seine Mitkämpfer, sein Volk, er wird berührt von großen allgemeinen Menschheitsbewegungen. In dieser Umgebung wächst er bis zur Vollkommenheit, bis er so viel aus sich heraus schafft und nützt, als ihm möglich ist. Mag er stark sein oder schwach, etwas kann er immer tun. Und so gelingt es ihm, sich als einen Mitarbeiter des gemeinsamen Fortschritts zu fühlen. Es ist, als hörte er einige Töne der großen Weltmusik und brächte es fertig, seine Schritte nach dem Rhythmus dieser Töne einzurichten. Er ist nicht allein, hinter ihm, neben ihm, vor ihm sind viele andere, und alle zusammen strecken sich nach vorn, suchend nach den ewigen Zielen der Vervollkommnung der Menschheit im ganzen.

 

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