Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

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Achte Szene

Die Vorigen; Pfrim.

Pfrim (durch die Mitte eintretend, zu Rosalie). Ja was is denn das? Was sind denn Sie für eine Geliebte? Sie jammern nicht, Sie winseln nicht, Sie erheben kein Angstgeschrei – und wo bleiben denn Ihre zerrauften Haare, wo bleiben denn (auf Thurming zeigend) seine umklammerten Knie?

Thurming (zu Rosalie). Was will denn der sonderbare Mann von dir?

Pfrim (zu Rosalie). Von dem andern red' ich nicht, wiewohl – aber an seinem weltlichen Verbrechen sind Sie schuld. Warum flößen Sie den Männern Leidenschaft ein? Ha? – Mit einem Wort, es is Ihre Pflicht, hier zu bitten für ihn, aber wahnsinnig bitten. (Sich gegen Thurming wendend.) Verstehn Euer Gnaden? Das is meinem Sohn Seine, diese da, die, dö!

Thurming. Ah, jetzt begreif' ich –

Rosalie. Daß er unschuldig is, hab' ich ja g'sagt.

Thurming (zu Pfrim). Und hab' ich Euch nicht gesagt, Eurem Sohn soll kein Leid geschehn?

Pfrim. Na, und wie ich ihn jetzt hab' mitnehmen wollen, so haben s' unten g'sagt: Nein.

Thurming. Ganz recht, der Form wegen muß ein Verhör mit ihm abgehalten werden.

Pfrim. Meinetwegen; wenn S' mir ihn aber in einer Stund' nicht nach Haus schicken, dann is es eine Meuterei.

Thurming (lächelnd). Geht unbesorgt Eurer Wege, guter Alter.

Pfrim. Ich geh', ja – aber ich sag' Ihnen 's, wie Sie 'n länger als a halbe Stund' aufhalten, dann is es Meuterei, da nutzt gar nix. Ich küss' jetzt vielmals d' Hand – aber wohlgemerkt – in zehn Minuten – oder – Meuterei! (Geht zur Mitte ab.)

Neunte Szene

Die Vorigen ohne Pfrim,

Rosalie. Ich bitt' nur, von mir nichts zu denken –

Thurming. Eben denk' ich, daß ich deine Dienste benötige. (Nach dem Eingang rechts vorne zeigend.) Dort sind die Zimmer, welche deine Gebieterin bewohnen wird; du wirst so manches zu ordnen haben. (Geht vorne links ab.)

Rosalie (während er abgeht, ihm nachrufend). Ein Glück is es, daß der Wendelin in unsere Händ' gefallen is. (Allein.) Es schad't halt doch nicht, wenn man gute Freunde hat beim Kriminal'. (Geht rechts vorne ab.)

Zehnte Szene

Gottfried, Ignaz, Wendelin.

Gottfried (sehr artig zu Wendelin, welcher, vom Schließer begleitet, in Ketten hereingeführt wird). Ich bitt', nur vorauszuspazieren.

Wendelin (befremdet). G'horschamer Diener!

Ignaz (sehr zuvorkommend zu Wendelin). Es is Ihnen vielleicht nicht angenehm, in Ketten zu gehen? Erlauben zur Güte! (Hilft ihm mit Artigkeit die Kette tragen.)

Wendelin. Ich dank' ergebenst. – (Nachdem sie in den Vordergrund der Bühne gekommen und die andern etwas zur Seite getreten sind, für sich.) Ich war doch selber G'fangenwarterg'hilf', und g'wiß nicht grob gegen die Arrestanten, aber daß ich ihnen d' Ketten nach'tragen hätt'- soweit hab' ich die Humanität nicht getrieben.

Gottfried (leise zu Ignaz). Also mit Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit, hat der Herr g'sagt?

Ignaz (leise zu Gottfried). Ich glaub', mit Hochachtung sogar – (Zu Wendelin.) Darf ich einen Sessel bringen?

Wendelin. O ja, Sesseln, soviel Sie wollen, nur keine Bank. (Setzt sich auf den Stuhl, den Ignaz herbeibringt.)

Gottfried (für sich). Mit dem muß es eine eigene Bewandtnis haben.

Wendelin (für sich). Jetzt fehlt gar nix, als daß s' mir mit ein' Glas Wein aufwarteten.

Ignaz (hat die letzten Worte erschnappt und sagt leise zu Gottfried). Hast gehört? »Wein« hat er gesagt.

Gottfried (geht durch die Mitte ab).

Wendelin (in seinem Selbstgespräch fortfahrend). Und wenn die Behandlung noch zehnmal so gut wär', vom Teufel is das schofel, daß er mich nicht befreit. Für was hab' ich denn einen Pakt mit ihm? Diese Gefangenschaft muß mir abg'rechnet werd'n an der Seel'. Schad', wenn man die Sach' einem Advokaten übergeben könnt', der ziehet den Teufel eine Ewigkeit herum, und ich könnt' die ganze Zeit nicht verdammt werd'n.

Gottfried (bringt ein Glas Wein auf einem silbernen Teller und hält die Flasche in der andern Hand).

Ignaz (nimmt ihm den Teller ab und präsentiert sehr artig Wendelin das Glas Wein). Wenn es Euer räub'rischen Gnaden gefällig is –?

Wendelin (mit wachsendem Staunen). O ja, warum nicht? (Trinkt.) Superb – delikat – Erlauben, is das der g'wöhnliche Wein, den die Gefangenen kriegen?

Ignaz. In der Regel wird er wohl nur auf freiem Fuß getrunken; – wünschen Eure Diebigkeit vielleicht noch ein Glas?

Wendelin. Nur zu!

Gottfried (schenkt ihm ein, nachdem ihm Ignaz den Wink hierzu erteilt).

Ignaz (zu Wendelin). Dieselben haben ohne Zweifel mehr gestohlen als den bloßen Rock?

Wendelin. Die noble Behandlung zeigt allerdings, daß man mich für keinen kleinen Dieb halten kann.

Ignaz (zu Gottfried, laut). Bring' Erfrischungen!

Gottfried (geht ab).

Wendelin. Karmanadln, die kühlen unendlich, das tut mir sehr gut.

Ignaz. Unser gnädiger Herr kommt, der Herr Oberrichter.

Wendelin. Vor die Karmanadln? Schad'!

Ignaz. Das Verhör is das wichtigste.

Wendelin. 's Fruhstuck wär' mir aber lieber.

Ignaz (als eben Thurming aus dem Kabinett links vorne tritt). Da is er – Wollen gefälligst ein Kompliment machen.

Elfte Szene

Thurming, Wendelin.

Thurming (im schwarzen Anzug, ein rotes Band im Knopfloch, zu Ignaz, welcher dann sogleich zur Mitte abgeht). Laß uns allein! (Der Schließer, welcher während der vorigen Szene an der Mitteltüre stehengeblieben, tritt ebenfalls hinaus.)

Wendelin (für sich, in höflich gebückter Stellung, ohne Thurming ins Gesicht zu sehen). Ohne seine Fragen abzuwarten, will ich ihm eine Antwort oktroyieren. (Laut.) Ich heiße Wendelin Pfrim. Ich bin ein Proletariatsbeflissener, der den ganzen praktischen Kurs vom Pauperismus durchgemacht hat. Meine Lebensgeschichte is lächerlich, denn sie is so traurig, daß ich mich nur auf drei Lacher, von denen nur der letzte etwas erquicklich war, entsinnen kann. Ohne Schmunzler wurde ich Knabe, und da war dann mein erstes Lächeln ein höhnisches, wie in der Schul' der junge Trott'l von ein' reichen Papa statt meiner 's Prämium hat kriegt. Als theoretischer Schulbub' – hat man mich ein wenig ausgestoßen, als praktischer Lehrbub' – aber hat man mir sehr viel eingepufft. Nach einem mißliebigen, in einer Fabrik verweberten Jünglingsalter hab' ich mich verliebt. Die spröden Launen meiner Göttin bin ich jetzt schon g'wöhnt, aber damals haben sie mir einen Lacher der Verzweiflung erpreßt. Die spätere Orts- und Standesveränderung hab' ich nur zugunsten eines gefesselten Wohltäters unternommen; wie er frei war und ich unerwischt, da hab' ich mir ins Fäustchen gelacht. – Das waren die drei Lacher meines Lebens. – Um schließlich auf die gegenwärtige Verkettung zu kommen, so war die Ursach' nix als ein Traum, der gewiß nicht von Magendrücken entstanden, aber dennoch so beängstigend und furchtbar lebhaft war, daß er eine Art von Wirklichkeit in Gestalt eines unleugbaren Geldbeutels zurückgelassen hat – ich bin unschuldig, und nur mein guter Freund, der Teufel –

Thurming (laut auflachend). Hahahaha!

Wendelin (ihm ins Gesicht sehend und ihn erkennend). Alle guten Geister –!! Jetzt kann's angehn! Der Beelzebub hat die Gestalt des Oberrichters angenommen. (Für sich.) Jetzt kann mir freilich nix g'schehn.

Thurming. Erkennst du mich, Wendelin?

Wendelin. Na, ob! Heut' nacht in Sturm und Ungewitter –

Thurming. Wie ich durchs Fenster erschien

Wendelin. Mit dem Seelen verlockenden Geldbeut'l in der Hand (Schnuppernd, für sich.) Der unbändige Schwefel auf einmal –!

Thurming. Du weißt nicht, welch wichtigen Dienst du mir geleistet hast. Ich werde alles für dich tun, was in meinen Kräften steht, du siehst, ich habe die Macht dazu.

Wendelin. Ja, ja, die Macht, aber auch die Bosheit –

Thurming. Wie?

Wendelin. Sie fragen noch? Heißt das Wort halten?

Thurming. Ich versteh' dich nicht, bei meiner Seele.

Wendelin (böse werdend). Bei deiner Seele? Sag' lieber, bei der meinigen, die ich aber zurückverlang', du hast den Pakt nicht erfüllt, betrügerischer Vertrageingeher!

Thurming. Du bist nicht bei Sinnen. (Für sich.) Sollte er wirklich die tolle Idee –?

Wendelin. Wenn man seine Seel' dem Teufel verschreibt, so is er verpflichtet, einem durchs ganze Leben zu dienen, das weiß jedes Kind. Oder glaubst du, ich werd' mich um dreißig Dukaten und einen alten Kaput holen lassen von dir? Pfui Teufel! Ich will herrlich und in Freuden leben: Wonne, Entzücken, Reichtum, Überschwenglichkeit! – Verstanden?

Thurming. Er hält mich wirklich für –

Wendelin. Und dann hab' ich auch einen Vatern.

Thurming. Ich kenne ihn.

Wendelin. Und hauptsächlich hab' ich noch eine Frau Mutter.

Thurming. Ich kenne sie.

Wendelin. Das wundert mich, sie is a gottesfürchtige Frau. Und dann hab' ich vor allem eine Geliebte – -

Thurming. Die kenne ich auch.

Wendelin. Muß doch der Teufel seine Nasen überall haben. (Drohend.) Na wart', du! – Für die alle muß gesorgt werd'n, brillant, das befehl' ich dir.

Thurming (für sich). Wie kläre ich ihn auf, ohne den närrischen Patron in Geheimnisse einzuweihen –? Nein, ich lasse ihn in seinem Wahn, bis er von selbst – (Laut.) Guter Wendelin, wenn ich auch nicht alles erfüllen kann, was du begehrst, so werd' ich doch tun, was in meinen Kräften steht.

Wendelin (schroff). Und was is denn das für a Manier? Werd' ich noch lang' so in die Ketten umgehn?

Thurming. Ach ja – (für sich), vielleicht bringt ihn das zur Räson. (Klingelt, wonach der Schließer erscheint.) Man nehme diesem Menschen die Ketten ab, ich habe mich von seiner Unschuld überzeugt.

Wendelin (während ihm die Ketten abgenommen werden, zum Schließer). Sie, und wann S' hinausgehn, so sagen S', daß auf die Erfrischungen nicht vergessen wird.

(Der Gefangenwärter geht mit den Ketten durch die Mitte ab.)

Thurming. Bist du nun beruhigt?

Wendelin. O, ich hab' dir noch ganz andere Sachen aufzutragen, höllischer Geist.

Thurming (lachend). Hahahaha!

Wendelin. Du lachst? Na wart'! Dir werd' ich noch 's Lachen vertreib'n.

Thurming (für sich). Er ist komplett verrückt.

Wendelin (nachsinnend). Was soll ich ihm denn für eine Aufgab' geben –? Recht was Unmögliches – er soll mir zum Beispiel meinen Wohltäter, den Baron erscheinen lassen. Das bringt er gewiß nicht zusamm' –

Thurming (für sich). Jetzt scheint er nachzusinnen.

Wendelin (in gebieterischem Ton). Du schaffst mir jetzt augenblicklich meinen Wohltäter, den Baron Reichthal, her.

Thurming (für sich). Gut, daß er mich an das verabredete Zeichen erinnert! (Geht zum Fenster und befestigt außerhalb desselben ein weißes Sacktuch, ohne daß Wendelin, der auf neue Befehle sinnt, es merkt.)

Wendelin (für sich). Jetzt, das is das Allerunmöglichste, aber grad deßtwegen schaff` ich ihm 's, daß er sich gift't, der Teufel. (Zu Thurming, welcher bereits wieder nach dem Vordergrund gekommen ist.) Ferners zauberst du mir an der Stell' meine Geliebte her.

Thurming. Wenn du weiter keinen Wunsch hast als diesen, so freut es mich, ihn so bald befriedigen zu können.

Wendelin. Wenn er das imstand is –! (Sieht nach der Mitteltür, durch welche Reichthal eintritt.) Da hab'n wir's, da is er!


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