Christoph Friedrich Nicolai
Vertraute Briefe von Adelheid B. an ihre Freundin Julie S.
Christoph Friedrich Nicolai

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Julie S. an ***

Hier haben Sie nun, weil Sie es verlangen, die Abschrift der Briefe meiner kürzlich verstorbenen Freundin über ihr Verhältnis mit Gustav B. Was nicht zu dieser Geschichte gehört, ist weggelassen worden.

Sie bekommen nicht alle Briefe, die ich damals erhielt; denn meine Adelheid war eine unermüdete Schreiberin. Auch fehlen einzelne Stellen. Briefe, worin sich das Herz eines empfindsamen Weibes ergießt, können allerdings auch einen Dritten interessieren; manches darin ist aber nur der innigen Freundin geschrieben, welche des Herzens zarteste Empfindungen ganz versteht und mitfühlt. Es findet sich auch in jedem vertrauten Briefwechsel etwas, das nur durch weitläuftige Erläuterung einem Dritten ganz verständlich werden kann. Schon der Sinn eines Scherzes verliert, wenn er erst umständlich erklärt werden muß; wie sollte man erläutern können, was aus innerster Empfindung in ein verschwistertes Herz übergeht! Was also einer Erklärung bedurft hätte,Die wenigen Anmerkungen in diesem Abdrucke sind von dem Herausgeber (das heißt: von Nicolai) hinzugefügt. schrieb ich Ihnen nicht ab. Damit Sie aber im allgemeinen den Sinn dieser Briefe richtig fassen mögen, glaube ich Ihnen das Leben meiner Freundin kurz erzählen zu müssen, soweit es hierher gehört, mit Schilderung ihres Charakters und ihrer Person, nicht ohne Liebe und wehmütige Erinnerung, aber doch unparteiisch.

Unsere vertraute Freundschaft stammte von unserer frühesten Jugend her. Was wir uns beide waren, wie sich unsere Seelen mitteilten, sage ich Ihnen nicht; denn das läßt sich weder beschreiben noch erzählen. Meine Freundin war schön, die schönste unter ihren Gespielinnen! Warum soll ich verhehlen, daß wir schön waren? Ein Weib kann dies von sich selbst wissen, ohne eitel zu sein. Sie haben Sophien D., Philippinen W., Wilhelminen H. gekannt, die sich in jenem blühenden Zirkel durch ihre Schönheit vorzüglich auszeichneten; dennoch erkannten wir alle Adelheid M. für die Schönste unter uns und liebten sie alle. Der schlanke Wuchs, der edle Gang, die zarte Haut, das lange kastanienbraune Haar, der durchdringende Blick ihrer blauen Augen, das holdselige Lächeln, das auf ihren Lippen und Wangen schwebte, dies alles kann sich die Einbildungskraft vorstellen, und der Maler könnte es noch malen; aber der hohe Geist, der diesen schönen Körper beseelte, die namenlosen Reize, welche über dies alles ausgegossen waren, das volle Leben, vereint mit stiller Größe, was jedem Gesichtszuge, jeder Bewegung eingeprägt war, können nicht dargestellt werden. Im Charakter ebenso gleichmütig als wahr, ebenso unbefangen als offenherzig, blieb üble Laune und Prätension, blieb Affektation und Verstellung von meiner Freundin gleichweit entfernt. Sie war ungezwungen in ihrem ganzen Wesen und liebte sowohl in Gesellschaft als in den Werken des Geistes das Natürliche. Sie fühlte in menschlichen Charakteren und an Geisteswerken das wahre Originale, Erhabene, Außerordentliche. Nur falsche Originalität fand bei ihr so wenig Nachsicht als überhaupt Scheinverdienst und Dünkel. Sie schien oft mutwillig; denn ihr Geist war so zart empfänglich für das Wahre und Schöne, und sie überblickte das Ganze eines Gegenstandes so hell und so richtig, daß alles Verzerrte und Lächerliche schnell auf sie traf; und dann pflegte sie es nicht zu schonen. Ich habe die Ausbrüche ihrer mutwilligen Laune nicht weggelassen, denn auch sie sind Zeugen der unbefangenen Herzensergießung in ihren Briefen an mich, welche aus unserm wechselseitigen unbegrenzten Vertrauen entsprang. Aber bei dem muntersten Witze hatte meine Freundin den feinsten Sinn für das Schickliche und sittlich Schöne, bei der anmutigsten Geschmeidigkeit im Umgange mit andern den festesten Sinn der Selbständigkeit und Übereinstimmung mit sich selbst. Sie empfand tief. Ihre besondere Lage in der Jugend und frühes Unglück hatten ihr vervielfältigte Menschenkenntnis verschafft, aber auch ihren Geist noch mehr angespannt, so daß ihre Nerven leicht in Bewegung gesetzt wurden, gleich den Saiten eines klingenden Instrumentes, die bei der leisesten Berührung ansprechen. Sie konnte ihrer Empfindungen Meister werden durch Vernunft und Überlegung, sobald diese es erforderten, aber es kostete ihrem lebhaften Geiste um soviel mehr, je feiner ihr Gefühl war und je inniger bei ihr jedes Sentiment ins Herz traf. Ihr Edelmut dachte eher darauf, andere glücklich zu sehen als sich selbst; daher empfand sie Liebe und Freundschaft in einem Grade, den wenige nur kennen, noch viel wenigere erreichen. Sie hatte Sinn für alle häuslichen Geschäfte, war pünktlich darin, ohne daß je dadurch die Ausbildung des Verstandes oder jene durch diese wären gehindert worden. Sie las viel, ohne im geringsten die Gelehrte spielen zu wollen. Alles geistige Schöne wirkte auf ihren fühlenden Geist. Musik, sonderlich Gesang, war ihre innigste Ergötzung in frohen Tagen und oft ihr Trost in Tagen des Leides. Sie war mit ihrem Manne in Italien, in Frankreich und England gewesen und hatte die Meisterstücke der Malerei und antiken Bildnerei gesehen – nicht nur gesehen, sondern auch empfunden, noch mehr: im Geiste angebetet. Diese zarte Empfänglichkeit für den Genuß des Schönen wirkte auch auf sie selbst zurück, bis auf ihren Anzug: alles stand ihr wohl; ihr Kleid schien zu ihrem Körper zu gehören; was sie zum Schmucke hinzusetzte, glaubte man beinahe, gehöre zu den Reizen, womit sie die Natur so reichlich geschmückt hatte. Wenn sie tanzte, zog sie jedes Auge auf sich; jede ihrer Bewegungen war im Ebenmaße, wenn sie durch die Reihen schwebte, voll Anmut, ohne Anstrengung.

Meine Adelheid war ein Weib, sie wollte gefallen: aber sie gefiel ungesucht, weil sie, selbst froh, immer andere froh zu machen suchte. Viel schöne Mädchen und Frauen verfehlen die Absicht ihres Putzes und ihrer Kunst, zu gefallen, weil beides nur angenommen, nicht aber mit ihnen selbst einstimmig ist. Das Weib, das sich selbst kennt, kann sich ganz unbefangen der unschuldigsten unter allen Neigungen hingeben, der Neigung, zu gefallen, wodurch die Freuden des Lebens und der Geselligkeit so sehr erhöhet werden. Sie erreicht ohne Mühe ihren Zweck, daß andern in ihrer Gesellschaft wohl sei. Nicht so die Frau von schwankendem Charakter, wäre sie auch noch so schön; denn sie besitzt sich nicht. Ihre Sucht, Aufmerksamkeit zu erregen, hat nicht andere, sondern nur sich zum Zwecke. Mit sich selbst aber ist sie unbekannt, und je mehr sie ihrer Sucht nachgibt, desto mehr lernen andere sie kennen.

Adelheids Eltern waren angesehen und wohlhabend. Die Erziehung ihrer Tochter war daher fast nur auf artige äußere Bildung gerichtet; ihre bessere Bildung gab sie sich selbst viel später. Die Zeit ihrer ersten Kinder- und Jugendjahre ging dahin in allen Zerstreuungen des Weltlebens. Putz, große Gesellschaften, Vergnügungen aller Art, Bälle, gesellschaftliche Schauspiele wechselten ab. Noch schwebt vor meiner Seele das Andenken unsers damaligen jugendlichen Lebens; es war heiter und schuldlos, aber ohne Gedanken auf die Zukunft; wer hätte diese auch von jungen Mädchen fordern können, wenn die Eltern selbst unachtsam darauf waren! Eine Menge munterer junger Leute flatterte um uns her: denn wir waren sieben Mädchen von gleichem Alter, gleich froh und alle in jugendlicher Blüte. Einer der schönsten Jünglinge, Herr L., mit den einschmeichelnden Manieren begabt, welche so leicht das Herz junger Mädchen betören, suchte ihre Liebe. Sie war noch nicht völlig fünfzehn Jahre, da sie den Jüngling liebte; ach! mit dem Feuer eines jungen Mädchenherzens, dessen verzehrende Kraft die Jugend nicht kennt. Wie selig war diese Zeit, da ich die Vertraute beider liebenden Seelen war! Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie ganz ich damals ihre Wonne teilte und im stillen nur nicht begreifen konnte, daß niemand an mich so ernstlich dachte; und ich war doch ein volles Jahr älter.

Indes war diese Seligkeit von kurzer Dauer. Sobald die Eltern die Verbindung gewahr wurden, war sie auch getrennt. Die Mutter, eine verständige Frau, verbot ihrer Tochter diesen Umgang, weil sie gegen den Charakter des Herrn L. starke Zweifel hegte. Aber wie könnte ein liebekrankes Mädchen an ihrem bezaubernden Jünglinge zweifeln! Adelheid war untröstlich, sich von ihrem Geliebten auf ewig getrennt zu sehen, dessen Gram sie nach dem ihrigen abmaß. Ich blieb ihre Vertraute und schalt noch mehr als sie auf die Strenge der Eltern.

Herr L. eilte, unserm Unwillen eine andere Richtung zu geben; denn nicht völlig sechs Monate nachher heiratete er Philippinen W., eine unserer Gespielinnen, sehr schön und noch reicher als Adelheid. Diese ward nun trostlos über seine Unbeständigkeit, und ihr Herz hing doch im stillen an ihm. Sie hatte aber bald die peinliche Empfindung, ihn auch nicht einmal hochschätzen zu können. Er begegnete seiner Gattin schlecht, und man sah aus allem, daß es ihm bei ihr so wie bei Adelheid nur um das Vermögen zu tun gewesen war. Er verschwendete es in kurzer Zeit und lebte so geschwind, daß er nach wenig Jahren seine Witwe und Tochter in bedrängten Umständen hinterließ. Gleiches Schicksal würde meine Adelheid getroffen haben, wenn sie – mir schaudert noch – hätte folgen dürfen den ersten Regungen eines schuldlosen Herzens, das noch nicht wußte, welcher Treulosigkeit Männer fähig sind.

Nun stürmten unglückliche Begebenheiten Schlag auf Schlag auf sie. Ihre Mutter starb, und bald trat eine Stiefmutter an ihre Stelle, welche sich des Vaters ganz bemächtigte und sein Herz von seiner Tochter abwendete. Daß Adelheid traurig war, daß ihr zärtliches Herz das Andenken an ihren Ungetreuen nicht gleich auszulöschen vermochte, ward ihr als ein Verbrechen ausgelegt. Die Stiefmutter und zwei Tanten, fühllose alte Jungfern, quälten sie; und weil der Eigennutz der Stiefmutter ins Spiel kam, ward Adelheid in ihrem siebzehnten Jahre, ohne ihre Neigung im geringsten zu Rate zu ziehen, im eigentlichsten Verstande verkauft, an einen reichen Junggesellen, der schon auf die Vierzig ging, als ihm noch einfiel, ein junges schönes Mädchen heiraten zu wollen, ohne eine Mitgift zu verlangen. Auch ich ward von ihr getrennt; denn ich heiratete beinahe zu ebender Zeit nach der Neigung meines Herzens, aber entfernt von ihr. Wie lebhaft erinnere ich mich noch an ihre Umarmung beim Abschiede! Aus beider Augen flossen Tränen, gemischt aus der Empfindung meines Glücks und dem Kummer über ihre Lage. Mein Los ist zeitlebens gewesen, selbst glücklich zu sein, nicht aber meine vertraute Freundin glücklich zu sehen.

Meine Adelheid hatte unter allen fröhlichen Zerstreuungen der Jugend allzeit edel und ernsthaft gedacht; sie hatte immer einen hohen Begriff von ihrer Pflicht. So dachte sie auch ernstlich auf Vollbringung der Pflichten ihres neuen Standes, ob sie ihr gleich wider ihren Willen aufgedrungen waren. Ihrem Manne fehlte es nicht an gesundem Verstande und an einer gewissen Gutmütigkeit; aber er war grämlich und wunderlich in seinem Betragen, wie gewöhnlich die Junggesellen bald werden, besonders wenn sie lebhaften Geistes und reich sind. Adelheid, obgleich ihr Herz kalt war, bezeigte sich nie ungefällig, begegnete vielmehr ihrem Gatten vom ersten Anfange an so liebreich und zugleich mit so viel unbefangener weiblicher Würde, daß er sich bei ihr in eine Lage versetzt fühlte, die er noch nie gekannt hatte. Weil es ihm an richtigem Sinne nicht ganz fehlte, traute er sich nicht, seine gewöhnliche üble Laune im geringsten weder an ihr noch in ihrer Gegenwart an andern auszulassen. Er bewunderte bald, wie sie ohne alle üble Laune alles viel besser ausrichtete und sich selbst besser befand als er bei seinem sonst gewöhnlichen Murren und Zanken. Die Folge dieser Bewunderung war sehr große Hochachtung gegen seine so schöne als verständige Gattin. Hieraus entstand größere Achtung gegen sich selbst, so daß er sich viele Unschicklichkeiten nicht mehr erlaubte, weil seine Empfindungen unvermerkt feiner geworden waren. Ich bewahre noch die Korrespondenz meiner Adelheid, worin sie mir beinahe wöchentlich Nachricht gab von dem Fortgange ihrer Bemühungen, ihren Gatten zu beglücken, so daß ihrem edlen Geiste das Opfer täglich leichter ward, welches zu bringen ihr Schicksal sie bestimmt hatte. Sie wußte auch seine Muße zu beschäftigen, so daß Langeweile, die gewöhnliche Hausplage reicher Leute, gar nicht mehr stattfand; sie erweckte in ihm den Sinn zur Verbesserung ihres Landgutes: neue Pflanzungen fingen an, die Gegend zu verschönern; auf ihren Rat ward anstatt eines baufälligen und dumpfigen Gebäudes am Abhange eines Hügels ein neues und sehr wohnlichesJulie S. scheint mit diesem neugeprägten Worte den Begriff des engländischen Beiwortes comfortable ausdrücken zu wollen. Haus errichtet. Sie beredete ihn endlich, in ihrer Gesellschaft eine Reise durch Deutschland, Italien, Frankreich und England zu machen, womit sie beinahe zwei Jahre zubrachten. Sie versammelte in ihrem Hause ausgesuchte Gesellschaft, welche Verstand und Witz mit feiner Lebensart verband.

Ihr Gatte schöpfte durch dieses alles so viel neue Kenntnisse und ward für so viele neue edlere Vergnügungen empfänglich, daß seine Dankbarkeit – an sich eine kalte Tugend, die aber zu warmen Empfindungen begeistern kann – sich nach und nach zu einer innigen Zuneigung erhob, welche wohl den Namen wirklich verdiente.

Meine Freundin, freilich langsamer erwärmt, hatte vom Anfange an aus reifer Überlegung seine guten Eigenschaften hervorzusuchen und immer mehr zu entwickeln gesucht. Sie übte mit Selbstverleugnung die Pflicht, den Mann zu leiden, an welchen sie das Schicksal gefesselt hatte. Aber wie weit ist es vom Ertragen bis zur Liebe? Es war das Opfer, welches das edle Weib ihrer Pflicht brachte, und das Verlangen, ihn in ihrer Gesellschaft möglichst glücklich zu sehen, die Frucht ihrer Gutmütigkeit; aber ihr Herz blieb immer noch leer, selbst da noch, als durch ihres Gatten fortdauerndes liebreiches Betragen nach und nach eine Zuneigung gegen ihn entstand, die nunmehr ihre Lage täglich angenehmer machte. Als aber nach und nach seine Zuneigung gegen sie immer wärmer ward, als ihre beiderseitigen Wünsche sich beständig begegneten, als edle Eigenschaften immer mehr die gegenseitige zuvorkommende Achtung bis zum Wohlgefallen erhoben, als dieses wechselseitige Wohlgefallen in gemeinsame Anhänglichkeit und daraus in süße Traulichkeit überging: so wurden auch beider Herzen inniger verschlungen, und meine Adelheid liebte nun ihren Mann herzlich. Nicht mit der feurigen Liebe, welche die Jugend erhitzt und oft schneller desto vergeht, je wilder sie auflodert, nicht [nur] der eingreifenden, begeisterten Roman [wegen,} sondern mit der Liebe, welche im wirklichen Herzen verbindet, mit der Liebe, die des Geliebten Glück dem Liebenden süßesten Genuß wechselweise gewähret. Die jugendliche Liebe kann ihrer Natur nach nicht länger dauren als die Jugend und endet oft viel eher als diese. In Romanen wird die Liebe, so wie alles andere, nur so gefaßt und in Bewegung gesetzt, wie sie bedeutende Folgen haben und den Leser interessieren kann. Die herzenbeglückende Liebe ist von dem gütigen Schöpfer in das menschliche Geschlecht weit mannigfaltiger ausgestreut, als jugendliche Phantasie sie denken und der Romanschreiber brauchen kann, und sie entsteht und wachset und wird vollendet auf unendlich verschiedene Weise. Sollte sie nicht auch aus gewissenhafter Anhänglichkeit an seine Pflichten entstehen und vollendet werden können, wenn zuletzt aus dieser Anhänglichkeit warme Neigung wird? Sollte nicht jede wechselseitige Neigung, wodurch ein der Zärtlichkeit offenes Herz das andere beglückt, indem es eben dadurch beglückt wird, Liebe sein? Nenne sie anders, wer will; ich mag dafür keinen andern Namen! Es gibt Stufen in der Liebe; aber jede Sprosse gehört zur Leiter, und wer auf einer steht, kann die höchste erreichen, sobald in ihm dazu Kraft und Sinn liegt. Wohl dem, welcher die höchste ersteigen kann! Und welches ist die höchste? Sie läßt sich in der Imagination sehr hoch denken. Aber wo ist sie in der wirklichen Welt, und wie lange dauert sie?

Die zärtliche Liebe, wodurch das Herz meiner Adelheid mit dem Herzen ihres Gatten innig verbunden war, beglückte die letzte Hälfte ihrer nur kurzen Ehe; denn diese dauerte kaum zehn Jahr. Adelheids Glückseligkeit ward schnell zertrümmert, eben da sie am höchsten gestiegen war. Sie verlor kurz nacheinander ihre beiden Kinder und wenige Monate darauf ihren Mann. Ihre Gesundheit ward erschüttert, und ihr Geist war ganz abgespannt, so daß sie gleichgültig gegen alles in der Welt wurde. Dieser Zustand währte beinahe zwei Jahre; die Einsamkeit verschlimmerte ihn. Ich erhielt endlich von meiner Freundin, daß sie ein Jahr bei mir zubrachte. In den Armen der Freundschaft, in meiner Familie, durch die Anhänglichkeit an meine Kinder fand sich ihre Gesundheit wieder und mit derselben einige Heiterkeit des Geistes. Nun war es Zeit, ihr vorzustellen, daß Rückkehr zur Geselligkeit und zur Ruhe ihre Pflicht gegen sich selbst sei. Sie überzeugte sich davon, und so kehrte endlich ihr Frohsinn und mit demselben die Blüte ihrer Schönheit zurück, und sie bekam wieder Mut, den Rest ihres Weges mit Blumen zu bestreuen.

Anfänglich, immer noch im stillen Triebe zur Einsamkeit, wählte sie das Landleben und machte sich einen süßen, ein wenig romantischen Plan ihrer Existenz. Sie versuchte es, fand es aber bald für ihre Lage und für ihren lebhaften Geist allzu einförmig, welches sie sich anfänglich nicht so vorgestellt hatte. Sie war zeitlebens am Umgang mit kultivierten Menschen gewöhnt. Sie liebte zu sehr die gemischten Gesellschaften, wo Leute von verschiedenen Ständen und Gemütsgaben zur gemeinsamen Annehmlichkeit der Unterhaltung beitragen, ohne ihren eigentümlichen Charakter zu verleugnen. Dergleichen gesellschaftliche Unterhaltung läßt sich auf vorzügliche Weise weder auf dem Lande noch in einer kleinen Stadt finden, wo nur Leute von einerlei Art wohnen, die nicht in mannigfaltigen Verhältnissen stehen, die also, selbst wenn ihr Charakter gebildet ist und ihre Empfindungen verfeinert sind, nur einseitig gebildet sein können. Meine Freundin wählte also wieder D. zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalte, weil sie schon wußte, wieviel Erfordernisse zur Annehmlichkeit des Lebens dort zu finden waren, und weil diese Stadt in der Nähe ihres Landgutes lag.

Witz und feine Kenntnisse waren in D. unter beiden Geschlechtern verbreitet, und mehrere Damen machten ihre Häuser zu bureaux d'esprit. Adelheid haßte diese Gesellschaften, wohin man nur geht, um sich darzustellen. Sie mochte die Imaginationsmenschen nicht leiden. Über solche Leute konnte sie ihre Satire nicht zurückhalten. Sonst ging sie gern mit geistvollen Personen um, und ihr Haus war oft ein Sammelplatz, aber nur solcher, welche sich durch Menschenkenntnis und Erfahrung gebildet hatten, welche durch angenehmen Gedankenaustausch jeder dem andern Vergnügen und Nutzen mitzuteilen wußten, nicht bloß ihr kleines Ich vorzuzeigen beflissen waren. Diesen Ton gab sie selbst an. Munter von Natur, gesetzt durch Erfahrung und Weltkenntnis, weise geworden durch Nachdenken und Mißgeschick, wußte sie Verstand und Heiterkeit zu paaren. Sogar ihr leichtfertiger Witz kam wieder, vermöge dessen sie zuweilen für mutwilliger gehalten wurde, als sie war. Die Bienen haben ihren Stachel, und sie war emsig wie eine Biene. Den Morgen widmete sie der Korrespondenz mit mir und noch ein paar Freundinnen, der Lektüre und ihren kleinen häuslichen Geschäften. Der Nachmittag und Abend blieb für die auserlesenen freundschaftlichen Gesellschaften, welche durch ihre muntern Unterhaltungen doppelt belebt wurden.

Sie war über sechs Jahre Witwe, als Gustav B., ihr Schwager, nach D. zurückkam. Er war der jüngere Bruder ihres verstorbenen Mannes und um einige zwanzig Jahre von ihm an Alter unterschieden. Sie fand ihn als einen Knaben von acht Jahren in dem Hause ihres Mannes. Sie hatte nicht wenig zu seiner ersten Bildung beigetragen, und kurz nach dem Tode ihres Mannes war er in seinem achtzehnten Jahre nach der Universität gegangen. Das übrige wird aus den Briefen selbst verständlich sein.

 


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