Charlotte Niese<
Er und Sie und andere Novellen
Charlotte Niese<

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Kaspar und sein Hund

Der Bruhnshof liegt im Norden von Schleswig, und heute gehört er unrechtmäßig zu Dänemark. Bis vor einigen Jahren lag er unweit der jütischen Grenze, und von Politik wurde wenig gesprochen. Herr Bruhns, der Besitzer des mäßig großen Hofes, der zwischen Heide und Weideland lag, dachte mehr an Viehzucht und an Butterpreise, als an andere Dinge, und seine Frau wie seine Leute gingen denselben Gedanken nach. Ein stiller, friedlicher Hof war es, mit langgestrecktem Wohnhaus, guten Stallgebäuden und einer kleinen, fest gebauten Meierei. Einförmig spielte sich das Leben ab, jedermann hatte seine Arbeit, und war sie getan, war man müde und ging schlafen. Der alte Brinkmann, der mit geräucherten Fischen handelte und allwöchentlich einmal auf den Hof kam, sagte dasselbe wie der Hausierer Moses, der seltener erschien: Dieser Bruhnshof war wohl der langweiligste unter seiner Kundschaft, weil hier niemals etwas geschah, das man anderswo weitererzählen konnte. Und doch ist hier einmal etwas geschehen, das die ganze stille Gegend in Aufruhr brachte und die Menschen tief und eindringlich erregte. Obgleich es sich eigentlich nur um einen Hund handelte.

Aber der Hund war es doch nicht allein. Mögen die Tiere auch ein Seelenleben haben, das wir nicht kennen, so sind es doch die Menschen, die den Anstoß zu der Besonderlichkeit geben, die dann in die Tierseele dringt. Als der Vorknecht auf Bruhnshof sich mit einer reichen Bauerntochter in Jütland verheiratete, kam Kaspar auf den Hof. Er war jung und hübsch, spielte Harmonika und sang dazu mit einer etwas gaumigen Stimme, die aber die Mädchen entzückte. Besonders Görine, die kleine Meierin aus Norwegen, die durch den Fischhändler Brinkmann hierhergebracht worden und die eigentlich reichlich hübsch war. Wenigstens sagte dies Frau Bruhns, die sich sonst wenig äußerte und, wenn sie Ansichten hatte, sie für sich behielt. Sie hatte in der Ehe schweigen gelernt, und ihr Mann fuhr ihr auch jetzt gleich über den Mund. Sagte, daß es nur angenehm wäre, eine hübsche Meierin zu haben, daß die Butterkäufer, die auf den Hof kämen, sich gern von einem hübschen Gesicht umherführen ließen, und daß es komisch wäre, wenn selbst die ältesten Weiber eifersüchtig auf eine frische Deern wären. Obgleich Frau Bruhns noch in den besten Jahren und eine sehr ansehnliche Frau war, so wußte sie, daß sie sich die alten Weiber hinter die Ohren zu schreiben hatte, und schwieg. Ihr war jeder Zank verhaßt, und mit ihrem etwas heftigen Mann kam sie am besten aus, wenn sie nicht antwortete.

Sie sagte daher auch nichts, als der hübsche Kaspar vom ersten Tage seiner Ankunft auf dem Hof sich an Sörinee machte und sie sehr bald für seine Braut erklärte. Dies war nun etwas, was Herrn Bruhns nicht sehr gefiel. Kaspar war allerdings ein hübscher Kerl mit hellen Blauaugen und einem gewissen lächelnden Ausdruck in seinem Gesicht, der den Frauenzimmern gefiel, aber im übrigen taugte er nicht allzuviel. Er war faul, tat nur etwas, wenn er durchaus mußte, und saß am liebsten am Fenster seiner kleinen Kammer im Pferdestall, spielte die Harmonika und sang dazu. Oder er verschwand manchmal auf ein paar Tage und kam dann wieder, ohne sich zu entschuldigen. Es war schwer, Leute zu bekommen, daher mußte Herr Bruhns ein Auge zudrücken; er nahm sich aber vor, diesen Knecht nicht lange zu behalten, obgleich er wußte, daß dann auch Sörine wohl ihr Bündel schnüren würde. Aber man nimmt sich manchmal etwas vor, und dann wird nicht gleich etwas daraus. Vorläufig blieb Kaspar, und als er eines Morgens von einer längeren Urlaubsreise mit einem jungen Hund zurückkehrte, war Herr Bruhns wohl etwas verdrießlich, sagte aber nichts. Seine Diana und der alte Wolfspitz im Hundehaus waren eigentlich genug zur Bewachung des Hofes, aber ein dritter konnte auch noch satt werden. Besonders, da Sörine die Hand über den Milchkeller hielt und Flaps eine große Leidenschaft für Milch empfand. Es war noch ein junges Tier, versprach aber hübsch zu werden. Kaspar renommierte mit ihm; er wäre ein halber sibirischer Eis-, ein halber russischer Windhund. Er folgte seinem Herrn auf Schritt und Tritt, hatte dieselben Eigenschaften wie dieser: leichtsinnig und ungehorsam; er stahl, wenn er Gelegenheit dazu hatte, und konnte dabei ebenso verschmitzt und freundlich aussehen wie Kaspar. Wuchs sich dann zu einem großen Hund heraus, den manche Liebhaber gern mitgenommen hätten. Aber Kaspar lehnte alle Angebote stolz ab. »Flaps ist mein Bruder«, versicherte er in seinem singenden nordschleswigschen Deutsch. »Seinen Bruder verkauft man nicht!« Es war Sommer, und im Sommer hat man wenig Zeit, an Tiere zu denken, die einen nichts, angehen; nur als Flaps eines Tages in Frau Bruhns Wohnzimmer eindrang, um nach einer kleinen Katze zu jagen, warf sie mit einem schweren Buch nach ihm, daß er winselnd davonlief. Ihre Augen flammten dabei, daß eine junge Nichte, die zu Besuch auf dem Hof war, sie erstaunt betrachtete.

»Was hast du gegen den Hund, Tante? Ist er nicht ein schönes Tier?«

Frau Bruhns wurde rot. »Ich weiß nicht,« erwiderte sie, das schwere Buch wieder aufnehmend, »er fällt mir auf die Nerven!«

»Gar kein übles Tier!« sagte der Neffe Roderich, der in diesen Wochen auch angereist kam. Ein Neffe, der sich einbildete, der Erbe von Herrn Bruhns zu sein, und sich als solcher benahm. Herr Bruhns schätzte diesen Brudersohn nicht, fand sich aber darein, daß er alljährlich erschien, um, wie er sagte, nachzusehen, wie es den lieben Verwandten ginge. Roderich gehörte zu den jungen Menschen, für die ältere Leute, besonders wenn sie Besitz haben, reichlich lange leben. Eigentlich fand er es an der Zeit, daß sein Onkel, dem er nicht gerade den Tod gönnte, sich aufs Altenteil setzte und ihn regieren ließe. Eine Ansicht, die der fünfzigjährige Herr Bruhns nicht teilte. Niemand machte sich viel aus Roderich, und dieser war nicht klug genug, um die allgemeine Abneigung zu empfinden. Mit langen Schritten wanderte er über den Hof, sah in die Ställe hinein, gab ein Urteil ab, das von keiner Sachkenntnis zeugte, und verliebte sich dann ganz plötzlich in Sörine.

»Hier sind zwei nette Geschöpfe auf dem öden Hof,« schrieb er an einen Freund, »eine kleine Norwegerin und ein Hund. Ich will sie beide haben!«

Aber Flaps ging ihm vorsichtig aus dem Wege, und als er eines Nachts an Sörines Kammerfenster klopfte, bog sich Kaspar hinaus. »Hier ist alles besetzt«, sagte er freundlich.

Darauf folgten Fensterklirren, Flüche und eine große Prügelei, an der sich Sörine schreiend beteiligte, indem sie Roderich des Gesicht zerkratzte und dann schleunigst in den Kuhstall stürzte, wo das beste Kuhkalb in Krämpfen lag. Gerade als Roderich klopfte, hatte Kaspar sie geweckt, um sie zur Hilfe zu rufen. Die Nacht war lebhaft auf Bruhnshof; natürlich wurde Herr Bruhns gerufen, der sich selbstverständlich mehr für sein Kalb interessierte als für den Streit der jungen Männer. Als jedoch Roderich von dem zweiten Knecht ins Haus getragen wurde, betrachtete sein Oheim diesen verbeulten, blutenden Menschen nachdenklich. Es war nicht angenehm, wenn der eigene Neffe so arg verprügelt wurde. Vorerst legte ihm Frau Bruhns Wasserpolster auf viele schmerzende Stellen, wusch ihm das Blut aus Augen und Gesicht und äußerte sich nicht weiter. Es war gut, daß der Tierarzt morgens auf den Hof ritt, um eine Rechnung abzugeben. Er konnte das Kuhkalb behandeln, das doch im Mittelpunkt des Interesses stand, und hatte auch eine Heilsalbe für Roderich. Außer seinen anderen Wunden hatte er einen bösen Biß am Bein, der nach allgemeiner Ansicht vom Jagdhund herrührte, der sich plötzlich an dem Kampf beteiligt hatte. Aber als Roderich wieder sprechen konnte, sagte er, daß Flaps ihn gebissen hätte. Flaps, der mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt hinter seinem Herrn hertrottete und mit denselben lächelnden Augen sich umsah wie Kaspar; denn dieser hatte nicht allzuviel Wunden davongetragen. Er trug zwei Tage ein Tuch ums Gesicht, weil er behauptete, zwei Zähne und ein halbes Ohr verloren zu haben, dann aber ging er mit federnden Schritten über den Hof, lächelte Sörine an, die schon ein buntes Tuch von ihm erhalten hatte, und tat so unbefangen, als wäre nichts geschehen. Das Kuhkalb hatte Lungenentzündung und wurde gepflegt wie ein Mensch. Es erholte sich, und Herr Bruhns dachte noch darüber nach, ob er Kaspar entlassen müßte, der das Tier aufopfernd gepflegt hatte, als Roderich erklärte, daß er abreisen wollte. Er lag noch im Bett, als er diesen Willen aussprach, sagte aber, daß er in den nächsten Tagen wieder gehen könnte. Jedermann war erleichtert. Wer gerecht war, wußte, daß er sich diese Prügel selbst zugezogen hatte, und jedermann auf dem Hofe hatte dieses Gerechtigkeitsgefühl. Jedermann wußte, daß Kaspar nicht allzuviel taugte, aber wenn er auch einen häßlichen Witz gemacht hatte, so nahm man auf dem Lande diese Scherze nicht übel. Was wollte Roderich auch am Kammerfenster des hübschen Mädchens? Also reiste Roderich nach einigen Tagen ab, nachdem er noch zwei Tage am Fenster seines Zimmers gesessen und auf den Hof geblickt hatte. Auf Sörine, deren Nägel noch große Streifen in seinem Gesicht hinterlassen hatten, auf Kaspar, der gelegentlich abends die Harmonika spielte und dazu sang, und auf Flaps, der dann neben seinem Herrn saß und den Kopf genau so schief hielt wie Kaspar.

Also fuhr Roderich davon, es kam anderer Besuch, und der Hof, der einige Tage aufgeregt gewesen war, sank in seinen anderen Zustand zurück: Arbeit für die nahende Ernte, Arbeit beim Vieh, Butterversendungen und was es sonst gab. Das Wetter war gut, Brinkmann, der mit seinem Fischwagen erschien, erklärte, eigentlich müßte bald ein Regentag kommen, damit es später nicht mehr regnete, und seine Prophezeiung ging in Erfüllung. Nach einem starken Gewitter goß es den ganzen Sonntagnachmittag, und Kaspar, der an diesem Sonntag ins Kirchdorf zum Tanz ging, blieb nach seiner Manier die ganze Nacht und den folgenden Tag fort, ja, sogar noch am Dienstag war er nicht wieder erschienen. Flaps, sein ständiger Begleiter, natürlich auch nicht. Als Kaspar am Mittwoch auch nicht da war, steckten die Leute die Köpfe zusammen. Sie wußten, was Herr Bruhns nicht wußte, daß Kaspar gelegentlich über die jütische Grenze ging, allerlei hinbrachte und allerlei wieder mitnahm. Er paschte den feinsten dänischen Aquavit, französische Seiden, die in Dänemark billiger waren als in Deutschland, und brachte, was den Dänen wieder an deutschen Waren gefiel. Alles nur in kleinen Mengen – der Krämer im Kirchdorf trieb unter der Hand einen schwunghaften Handel mit diesen Gütern, und Kaspar, der immer in Geldverlegenheit war, nahm den Verdienst gern mit. Sörine wußte am besten von diesen Dingen Bescheid, und als sie am Donnerstag Frau Bruhns im Stall traf, bat sie sie, sich nach Kaspar umsehen zu dürfen. Sie hätte einen so bösen Traum gehabt, und Flaps wäre auch vor ihrem Fenster gewesen und hätte geheult. Und gerade, wie Frau Bruhns ihr beunruhigt zuhörte, erschien Flaps im Kuhstall, mager, mit verknittertem Fell und sonderbar funkelnden Augen. Er stellte sich vor Sörine hin und heulte. Sörine sagte, sie hätte bis dahin keine Angst gehabt. Kaspar habe gesagt, daß er wohl mal etliche Tage wegbleiben würde, weil die Grenzwächter manchmal so scharf wären; aber wie Flaps allein wiederkehrte und so sonderbar aussah – Sörine konnte vor Schluchzen nicht weitersprechen.

Nun wurde Kaspar gesucht. Es war natürlich, daß man sich an Flaps wandte, damit er die Suchenden auf die Spur brächte. Aber er versagte, lief wohl mit, heulte, jagte dann aber einer Maus oder einem Igel nach, bellte und war lustig. »Gerade wie Kaspar«, sagte der alte Brinkmann, der sich an der Suche beteiligte, weil er, wie er behauptete, eine feine Spürnase hätte. Und mit dieser Spürnase fand er Kaspar: Mitten in einem Ginsterdickicht, unweit der jütischen Grenze liegend, neben ihm ein Sack mit vollen Aquavitflaschen. Er hatte zwei Schüsse, einen im Kopf, den andern im Rücken. Man nahm an, daß er von hinten erschossen war. Natürlich kam eine Gerichtskommission, natürlich fand sie nichts. Die Heide war schweigsam, neben ihr lag ein Moorstreifen. Die Leute, die hier suchten, fanden keinerlei Spuren, hier an der Grenze gab's manche Geheimnisse, die niemals aufgedeckt wurden. Sörine weinte bitterlich um Kaspar, und auf dem Hof herrschte einige Tage eine gedrückte Stimmung. Dann wurde Kaspar beerdigt, und das Leben ging weiter, der Alltag forderte seine Rechte, und es gelang Herrn Bruhns, einen neuen Vorknecht zu finden, der fast ebenso stattlich wie Kaspar war. So wäre dieser bald vergessen gewesen, wenn nicht der Hund sein Andenken aufgefrischt hätte. Erstens, daß er Kaspars Kammer bezog und niemanden hineinließ. Dann, daß er manchmal aus dem Kammerfenster blickte und dazu leise heulte, gerade, als wollte er singen, wie Kaspar gesungen hatte. Hier in der stillen Welt gab es Leute, die besondere Dinge glaubten. Der alte Brinkmann gehörte zu ihnen und eine alte Hausiererin, die manchmal die Karten legte und aus der Hand weissagte. Als sie Flaps sah, wie er aus dem Fenster blickte, den Kopf schief, wie Kaspar ihn hielt, die Augen lustig zwinkernd, da erklärte sie, daß Kaspars Seele in den Hund gefahren wäre und daß man schonsam mit dem Hund umgehen müßte, weil er jetzt sozusagen ein Mensch wäre. Dabei berichtete sie von einer alten Pastorenwitwe aus einem der ferner liegenden Kirchdörfer, deren Seele in ein kleines Lamm gegangen wäre, das sie kurz vor ihrem Ende gepflegt und behütet habe. Das Lamm lebte noch. Es war ein altes Mutterschaf aus ihm geworden, das auf dem Hof Frau Pastorin genannt wurde, und das natürlich niemals geschlachtet werden durfte; jedermann, auch die Hunde, hatten Respekt vor ihm.

Als Herr Bruhns dieses Gerede hörte, verbat er sich den Aberglauben. Er tat noch mehr: er nahm seine Doppelflinte, rief Flaps und ging mit ihm in den kleinen Wald, dicht hinter dem Garten. Flaps, der niemals gern gehorchte, folgte nur langsam, bequemte sich aber doch, dem Herrn zu folgen. Was dann geschah, sagte Herr Bruhns nicht. Er kam, von Flaps begleitet, wieder aus dem Wäldchen, hing seine Flinte an den Nagel und war übler Laune. Der kleine Junge, der die jungen Gänse hütete, erzählte nachher, Flaps hätte vor dem Herrn gesessen und ihn so komisch angesehen, daß der Herr die schon erhobene Flinte wieder hätte sinken lassen. Nun sollte Flaps verkauft werden. Er fand schon Liebhaber, aber er lief zwei Käufern weg, erschien wieder auf dem Hof, und dann hatte es sich herumgesprochen, daß Kaspars Seele in ihn gefahren wäre, und niemand wollte ihn haben. Niemand wollte ihn erschießen. Auch der Tierarzt, den Herr Bruhns um ein schnell wirkendes Gift bat, sträubte sich. Es war ja alles Aberglauben, wie er sagte, aber er möchte nicht gern ins Gerede kommen. Natürlich – Kaspar war mausetot, er hatte ihn ja selbst gesehen. Wo aber war seine Seele? Das wußte niemand, Herr Bruhns auch nicht. Seelenwanderung? Er spuckte nachdenklich aus. Die Inder glaubten doch daran, und unter ihnen gab es ganz verständige Menschen. Vielleicht stürbe der Hund einmal von selbst – darauf mußte man hoffen. Aber der Hund starb nicht. Er war ein unnützer Fresser auf dem Hof, balgte sich mit den anderen Hunden, hing niemandem besonders an und bewohnte nach wie vor Kaspars kleine Kammer. Die Leute nannten ihn nicht mehr Flaps, sondern Kaspar. Er hatte eben Kaspars Seele, und wer's nicht glaubte, der konnte es lassen. Es kam der Winter mit viel Schnee und Eis. Öde war es auf der Heide und auf den weiten Feldern. Als Herr Bruhns eines Abends im Schlitten aus dem Kirchdorf kam, wurde er von drei Landstreichern überfallen, von denen einer ihm ein Gewehr an den Kopf hielt, während ein anderer das Pferd beim Zügel faßte. Herr Bruhns hatte gerade viel Geld bei sich und sah sich in der angenehmen Lage, alles hergeben zu müssen, als der Mann mit der Flinte einen gellenden Schrei ausstieß. Der Hund Flaps, genannt Kaspar, saß ihm an der Kehle und stürzte sich in demselben Augenblick auf den, der das Pferd am Zügel hielt. Der dritte lief davon. Er hatte von Flaps gehört, der eine Menschenseele haben sollte, und wollte nichts mit ihm zu tun haben. Herr Bruhns hatte, wie er nachher sagte, Umstände von der ganzen Geschichte. Dem einen Strauchritter war fast die Kehle durchgebissen, dem anderen das halbe Bein aufgerissen. Beide Herren mußten auf den Hof gebracht und dort vorerst verpflegt werden; aber das war doch besser, als selbst ausgeraubt und vielleicht erschossen zu werden.

Jedenfalls war von dieser Zeit nicht mehr davon die Rede, Flaps zu erschießen oder zu verkaufen. Gleichmütig lebte er auf dem Hof weiter, nicht besonders nützlich noch liebenswürdig. Aber an den langen Winterabenden erzählten sich die Leute Geschichten von Seelenwanderungen und ähnliches, und der alte Brinkmann oder die Hausiererin sorgten beide dafür, daß der Ruf des Hundes ziemlich weit getragen wurde. Nicht gerade, daß man stolz auf ihn war. Im Gegenteil, eigentlich wäre ihn jeder gern losgewesen, man wußte nur nicht, wie man es anfangen sollte. Er war eben der Kaspar und mußte es bleiben, bis es der Seele gefiel, sich einen anderen Ort auszusuchen.

 

Es kam der Sommer wieder und mit ihm Roderich. Der hatte sich in der Welt umhergetrieben, war hier und dort gewesen und wollte mal wieder nachsehen, wie er sagte. Als er Sörine in der Meierei stehen sah, streifte er sie mit einem kühlen Blick und wandte ihr dann den Rücken. Sie lachte spöttisch hinter ihm her. Mit dem jetzigen Vorknecht war sie ordentlich verlobt, und im Herbst sollte die Hochzeit sein. Roderich empfand bei ihrem Anblick ein kurzes Brennen im Gesicht, ging aber gleichmütig weiter und stand dann Flaps gegenüber, der eben aus seiner Kammer kam und verschlafen in die Sonne blinzelte. Er war noch größer geworden und hatte ein helles, gepflegtes Fell. Das kam von Sörine, die ihn verstohlen kämmte, und niemand hatte etwas daran auszusetzen. Seitdem Flaps dem Herrn so großartig geholfen hatte, bewunderte man ihn doch. Roderich starrte den Hund an. »Der ist noch hier?« fragte er den alten Brinkmann, der gerade mit seinem Wagen auf dem Hof erschien. »War das nicht der Hund von dem Kerl, wie hieß er doch nur? Ist der nicht tot?«

»Kaspar ist tot,« erwiderte der alte Brinkmann. »Jetzt nennen wir seinen Hund Kaspar. Weil doch die Seele von dem Jungen in den Hund gefahren ist!«

Er berichtete, umständlich und mit den üblichen Übertreibungen, von Kaspars Ermordung, von dem Hund, in den seine Seele gegangen war, von der Rettung des Hofherrn durch den Hund. Roderich lachte laut und verächtlich. Aber er sagte nicht allzuviel, war in den nächsten Tagen in sich gekehrt und umgänglicher als ehemals. Weiter hörte er nichts von Kaspar und auch nichts vom Hunde. Herr Bruhns sprach nicht gern von dieser Angelegenheit, und Frau Bruhns ging überhaupt dem Neffen aus dem Wege. Sie war in diesem Jahr noch stiller geworden, und niemand achtete viel auf sie. Und doch war sie es, die bemerkte, wie Roderich dem Hund nachging, wie er versuchte, ihn vor die Flinte zu bringen. Um die Mittagstunde, wenn der Hof schlief, schlich sich Roderich mit seinem Gewehr hinaus und suchte den Hund Flaps. Und fand ihn niemals. Denn dieser verschwand jetzt tagelang vom Hof, ohne zu melden, wohin er ging, und es entbehrten ihn nur Sörine, die ihn kämmen wollte, und Roderich.

Es war heiße, dicke Luft. Die Menschen, die zuerst sich nach der Hitze gesehnt hatten, konnten sie nicht vertragen. Früh morgens wurde geschafft, um die Mittagstunde lag der ganze Hof mit seinen Bewohnern in festem Schlaf. Als Frau Bruhns dieser Tage aus dem Kuhstall kam, faßte Sörine sie am Rock und flüsterte eifrig in sie hinein. Aufmerksam hörte die Frau ihr zu, sah, daß das Mädchen blaß und verstört war, sagte dann aber einige beruhigende Worte. Niemand achtete auf diese Unterhaltung. Man wußte, Frau Bruhns dachte nur an die Wirtschaft, und Sörine tat dasselbe, nur, daß sie auch Gedanken für ihren Bräutigam hatte. Um die Mittagszeit zog sich Frau Bruhns immer in ein kleines Zimmer zurück, das neben ihrem mit ihrem Mann geteilten Schlafgemach lag. In diesem Zimmer schlief Herr Bruhns den Schlaf der Erschöpfung und schnarchte dabei so laut, daß seine Frau lieber in das kleine dumpfe Nebengemach ging, das im Winter durch Kälte und Feuchtigkeit unbewohnbar, jetzt aber angenehm kühl war. Hier stand auf hohen Beinen ein altes Sofa, und das einzige kleine Fenster ging auf einen Teil des Hofes, auf dem nur Holz und Reisig lagen. Still war's hier und ungestört. Wenn sich Frau Bruhns auf dies Sofa legte, löste sich der ernste Ausdruck ihres Gesichtes, und sie atmete auf. Hofbesitzerfrau zu sein, ist nicht immer leicht. Als Frau Bruhns nach der Unterredung mit Sörine hier eintrat, atmete sie nicht auf, legte sich wohl hin, aber nahm sich vor, nicht zu schlafen. Aber die Augen fielen ihr doch zu, und als sie halb schuldbewußt auffuhr, glitt Flaps gerade fast unhörbar aus dem offenstehenden Fenster. War er es gewesen, oder hatte sie nur geträumt? Als die Frau am nächsten Tage wieder ihre Mittagsruhe halten wollte, wollte sie das Fenster schließen, unterließ es aber doch. Sie wachte auf und merkte, wie Flaps leise in die Kammer sprang und sich unter ihr Sofa legte. Er bellte nicht, er atmete kaum, er lag in der dunkelsten Ecke des dämmrigen Zimmers, und nach etwa anderthalb Stunden, wenn das Leben auf dem Hofe neu begann, verschwand er, gerade zu der Zeit, wenn Roderich mit seiner Flinte heimkehrte und den versäumten Mittagschlaf nachholte.

Frau Bruhns hatte Flaps nie leiden können; besonders jetzt, da die Leute ihn mit Aberglauben betrachteten, war er ihr unheimlich. Und doch – weshalb verfolgte Roderich ihn, weshalb stellte er ihm nach dem Leben?

»Kannst du nicht Roderich Geld geben, daß er abreist?« fragte sie andern Tages ihren Mann. Der sah sie groß an.

»Meinethalben mag er reisen, aber Geld zur Reise gebe ich ihm nicht. Weshalb willst du ihn los sein?«

Frau Bruhns antwortete nicht. Es wurde ihr immer schwer, ihre Gedanken zu äußern, und eigentlich hatte sie auch keinen ordentlichen Grund, daß Roderich den Hof verließ. Am andern Tage kam der Tierarzt, blieb zum Essen, und die Mittagsruhe verspätete sich. Als Frau Bruhns ihre kleine Kammer betrat, wußte sie, daß der Hund Flaps schon länger unter dem Sofa lag, aber sie wußte nicht, daß Roderich gerade bei ihrem Eintritt durchs Fenster sprang und mit einem höhnischen Auflachen seine Flinte auf die dunkle Ecke richtete, wo Flaps lag. Er feuerte auch, aber im nächsten Augenblick saß ihm der Hund an der Kehle, warf ihn auf den Fußboden und grub seine scharfen Zähne in den Hals des jungen Mannes. Dies geschah so schnell, daß Frau Bruhns einen Augenblick wie versteinert stand. Dann griff sie zur Doppelflinte, die aus Roderichs Hand gefallen war und auf der Erde lag. Sie richtete den Lauf auf den Kopf des Hundes, der seinen Verfolger erbarmungslos würgte, und tötete ihn auf der Stelle. Aber es dauerte eine Weile, bis die herbeieilenden Männer die Fänge von Roderich lösten. Wie im Krampf zusammengebissen, saßen sie im Hals fest, und es war wie ein Wunder, daß die Schlagader nicht durchgebissen war. Roderich war bewußtlos, und der Tierarzt konnte zum Glück wieder helfen.

»Mit dem jungen Herrn habe ich schon einmal zu tun gehabt,« meinte er, während er an ihm hantierte und Frau Bruhns ihm Handreichung leisten mußte. »Für den ist unsere Gegend nichts,« setzte er hinzu. »Der sollte nur reisen und nicht wiederkommen!« Während Roderich in sein Zimmer gebracht wurde, standen Herr Bruhns und Sörine vor dem toten Hund. Der Rehposten war ihm ins Ohr gegangen, man sah kaum die Wunde. Er hatte die hellen Augen weit geöffnet, und es schien, als ob sein geöffnetes Maul triumphierend lächelte. Sörine kniete neben ihm nieder und streichelte sein struppig gewordenes Fell.

»Nun bist du wieder ein Hund, nicht wahr?« schluchzte sie. »Kaspars Seele ist jetzt weggewandert, nicht wahr?«

Herr Bruhns verließ das kleine Zimmer sehr eilig, und die anderen Leute traten ein, nahmen die Mützen ab, falteten die Hände und standen in ehrfürchtigem Schweigen. Es war, als läge dort ein toter Mensch und kein Hund, der doch eigentlich ein unnützes Dasein geführt hatte. Dann legten sie ihn auf eine alte Decke, trugen ihn aus dem Haus und begruben ihn im nahen Walde, unter einer Tanne, unter der Kaspar im Sommer manchmal gesessen und Harmonika gespielt hatte. Sie warfen Erde und Blätter über ihn, und Sörine betete laut ein Vaterunser in norwegischer Sprache. »Das ist keine Sünde,« sagte sie trotzig, nachdem sie geendet hatte. »Flaps war auch ein Geschöpf Gottes, und wenn die Tiere nicht beten können, müssen die Menschen es für sie tun!«

Niemand widersprach ihr. Der ganze Hof war in ernstes Schweigen gehüllt, und als der alte Brinkmann am späten Nachmittag kam, fuhr er, nachdem man ihm dies Ereignis berichtet hatte, so eilig davon, daß er ganz versäumte, seine Fische zu verkaufen. So kam es, daß die Nachricht vom Tode des Hundes, der Kaspars Seele mit sich getragen hatte, mit großer Eile in der Gegend und über die jütische Grenze verbreitet wurde. Niemand sprach viel von Roderich – er lag schwer verwundet und krank auf Bruhnshof; aber war das nicht die gerechte Strafe? Denn hatte er nicht Kaspar heimtückisch von hinten erschossen und sich dann aus dem Staube gemacht, so daß ihn nie ein Verdacht treffen konnte? Aber die Seele von Kaspar hatte sich gerächt. Sie war in seinen Hund gefahren, und daß Roderich ihn hatte töten wollen, war ein Zeichen seines schlechten Gewissens.

Es waren gerade Gerichtsferien, und die Gerechtigkeit erholte sich auf Reisen. Aber nach einigen Wochen kam doch ein junger, etwas verlegener Herr auf den Hof, nannte sich Gehilfe des Staatsanwalts und fragte nach Roderich. Herr Bruhns war nicht anwesend, und seine Frau empfing ihn.

»Meines Mannes Neffe ist nicht mehr hier,« sagte sie. »Er ist noch sehr leidend und darum nach Chile gegangen, wo er Verwandte hat.«

Der Assessor murmelte etwas, das wie ein Bedauern klingen sollte und doch mehr ein erleichtertes Aufatmen war.

Frau Bruhns gab dem Besuch Kaffee und kräftiges Landbutterbrot, und nach einigem Zögern nahm der junge Herr die Stärkung gern an.

Frau Bruhns saß ihm gegenüber und sah ernsthaft in sein offenes Gesicht.

»Sie wollten nach dem Knecht Kaspar fragen, der erschossen gefunden wurde, und vielleicht auch nach seinem Hund, den ich erschießen mußte, so leid es mir tat?«

»Wir von der Justiz müssen neugierig sein,« erwiderte der Assessor, und die Frau sah vor sich hin.

»Ich kann Ihnen die Geschichte erzählen!« erwiderte sie. »Ich glaube auch, daß Roderich den Knecht getötet hat, aber er hat es nie eingestanden, selbst nicht in seinen Fieberphantasien. Er behauptet, nicht hier in der Gegend gewesen zu sein, als der Mord geschah. Eine Frau, die über die jütische Grenze kam, um hier Holz zu stehlen, will einen Mann gesehen haben, der hinter einem Baum stand und auf Kaspar schoß, als er mit seinem kleinen Wagen durch den Wald fuhr. Aber sie hat ihn nicht erkannt, weiß nicht, wie er aussah. Sie ist einmal hier gewesen und hat mit mir darüber gesprochen. Aber die Leute hier sagen, daß Roderich der Mörder war. Der Hund war dabei, später hat Roderich den Hund mit seinem Haß verfolgt. Der Hund ist tot, und Roderich hat so schwere Wunden davongetragen, daß er sein Leben lang nicht wieder ganz gesund werden kann. Ist die Geschichte nun nicht damit zu Ende?«

»Eigentlich ist sie es wohl,« murmelte der junge Herr, »es ist nur –«

»Sie ist gar nicht zu Ende,« unterbrach ihn Frau Bruhns, »denn sie ist nicht vergessen. In der ganzen Gegend wird von Kaspar und von seinem Hund gesprochen. Und mir ist es manchmal, als hörte ich das Tier klagen und den Gesang des Knechtes. Ich komme mir vor wie eine Mörderin, weil ich den Hund erschoß, und ich weiß, daß unsere Leute auf dem Hofe mir heimlich Vorwürfe machen, weil ich den Menschen rettete. Ich hätte dem Hund seine Rache lassen sollen.«

Sie schwieg und legte die verarbeiteten Hände in den Schoß. Ihr Gesicht war müde, und ihr volles dunkles Haar zeigte helle Streifen.

»In diesem Lande grübelt man zuviel,« sagte der Assessor nach einer Weile und sprach dann hastig von anderen Dingen. Von dieser Angelegenheit wollte er die Finger lassen. Sein Vorgesetzter mochte sich damit beschäftigen. Er war in einem kleinen Einspänner gekommen und fuhr bald wieder weg. Sein Kutscher hatte auch Eile, saß vorgebeugt auf dem Bock und trieb das Pferd an, bis der Wagen auf die große Landstraße kam, die nach der Kreisstadt führte. Da drehte er sich nach dem Assessor um.

»Man gut, daß wir da wieder weg sind, Herr,« sagte er vertraulich. »Ich glaub', die Menschen da sind alle ein bißchen komisch. Und das kommt alles von einem toten Knecht und einem toten Hund. Und der Hund ist die Hauptperson. Der geht des Nachts über den Hof und hat glühende Augen. Sie haben ihn alle schon gesehen, und Sörine, was die Frau vom Vorknecht ist, sagt, sie ist nicht bange vor ihm. Ich aber möchte ihn lieber nicht sehen. Und der, der den Knecht erschossen hat, ist sein lebelang krank. Den würd' ich in Ruhe lassen!« So ist es denn auch gekommen. Allmählich ist die ganze Angelegenheit doch in Vergessenheit geraten, obgleich Sörine noch manchmal an Winterabenden von Kaspar und Flaps spricht und dann immer hinzusetzt, daß Frau Bruhns nicht so früh gestorben wäre, hätte sie nicht den Schreck mit Roderich und Kaspars Hund gehabt.

Jedenfalls ruht sie jetzt auf dem Kirchhof mitten in der Heide aus, und ihr Mann ist ihr bald gefolgt. Jetzt hat Bruhnshof einen anderen Besitzer und einen anderen Namen.

Ende


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