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Seine Majestät, König Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, saß in seinem kleinen Kabinett, in dem er der Mittagsruhe pflegte, und ärgerte sich. Ärgern ist nicht gesund für einen König, der soeben viel gegessen hat, und behaglich die Augen schließen möchte. Die Ärzte verlangten absolute Ruhe für einen König, der ein starkes Mahl eingenommen hat, und nach dieser Anstrengung der wohlverdienten Ruhe genießen soll. Aber wenn die Damen sich erzürnen und ihm eine Szene machen, anstatt sich zu freuen, daß die königliche Gnadensonne sie mit ihren Strahlen erwärmt, dann kann man wohl verdrießlich werden.
Frau von Montespan hat Jahre lang viele Gnaden genossen; weshalb gibt sie jetzt der kleinen Frau von Fontanges häßliche Worte und verlangt, daß diese ihr das Zimmer wiedergebe, das allerdings ehemals der Frau von Montespan gehörte und in unmittelbarer Nähe der königlichen Gemächer liegt? Aber König Ludwig will, daß jetzt Frau von Fontanges in seiner Nähe bleibe. Er ist zu höflich, um der Montespan offen zu sagen, daß er die Fontanges jetzt lieber um sich hat – weshalb versteht die gute Frau nicht ohne Worte, was doch so begreiflich ist? Die Könige müssen Abwechslung haben, sonst könnten sie sich langweilen, und die Langeweile ist die schlimmste Krankheit der Fürsten. Der König schließt die Augen und versucht zu schlummern. Es gelingt nicht. Er sieht die zornigen Blicke der Montespan und das etwas aufgedunsene Gesicht der Fontanges. In dieser Zeit sieht sie nicht sehr gut aus, was, in Anbetracht der bevorstehenden Festlichkeiten, nicht angenehm ist. Denn wenn jetzt die Hochzeitsfeierlichkeiten von Mademoiselle mit dem König von Spanien kommen, gehört es sich, daß die Freundinnen des mächtigen Königs auch gute Figur machen.
Nein, der König kann nicht schlafen. Er rührt die goldene Schelle, die neben ihm steht, und ein Page tritt mit vielen Verbeugungen ein.
»Wo ist Monsieur?« fragt Seine Majestät.
»Noch nicht da, Sire!«
»Ich habe ihn doch bestellt!« grollt der König, und der Page zittert ein wenig. Wenn die Majestät böse wird, kann sie unangenehm werden. Aber da erklingen Schritte, und Monsieur, der Bruder des Königs, erscheint. Er verbeugt sich ehrfürchtig, mit allen Zeichen des dem König schuldigen Respektes, aber wie der Page das Gemach verläßt, sinkt Philipp, Herzog von Orleans, auf einen Stuhl und lacht vergnügt.
»Haben Sie auf mich gewartet, Sire?«
Ludwig runzelt die gefärbten Brauen. Philipp weiß genau, daß der König nicht liebt, von seinem Bruder mit Sire angeredet zu werden. Monsieur ist der einzige Mensch in Frankreich, der den König duzen darf. Der einzige, auf den Ludwig böse wird, wenn er diese Ehre nicht würdigt.
»Ich erwarte dich schon lange!« murrt er. »Wo warst du doch?«
»Ich mußte unsern Besuch empfangen!« erzählt Monsieur und nestelt an seinem reich bestickten Rock.
»Euer Besuch?« Der König tut erstaunt. Sein Bruder weiß, daß er genau weiß, welchen Besuch Madame Liselotte erwartet, aber er weiß auch, daß es Seiner Majestät manchmal beliebt, sich bekannte Dinge noch einmal erzählen zu lassen.
»Ja, unser Besuch!« Monsieur zieht einen kleinen Handspiegel aus der Tasche und betrachtet sich. Er trägt eine seiner besten Allongeperücken, ist stark geschminkt und die Knöpfe seines Rockes sind mit kleinen Diamanten besetzt. Der König, der selbst einen sehr einfachen Rock trägt, hat diese Pracht lange gesehen, es paßt ihm aber, zu tun, als wüßte er von nichts. Philipp ist manchmal ein wenig töricht, aber der König ist an seine Art gewöhnt, und er hört ganz gerne diese etwas affektierte Stimme und die kleinen lächerlichen Redewendungen.
»Du weißt, Louis, daß Madame manchmal Heimweh nach ihrem Lande hat. Nun ja, die Pfalz ist so übel nicht – einmal bin ich dort gewesen. Die Menschen sind anders als wir. Jedermann kann nicht Franzose und Untertan des mächtigsten Königs der Erde sein!«
Monsieur macht eine kleine Verbeugung, und der König lächelt.
»Ach so, Madames Familie ist hier?«
»Ihre Nichte, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg.« Monsieur quält sich weidlich, diese barbarischen Namen auszusprechen. »Die Herzogin besucht ihre Schwester, die Äbtissin von Maubuisson. Du weißt, die dicke Louise. Aber obgleich sie eine Ketzerin war, ist sie eine fromme Katholikin geworden. Ihr Kloster steht im Geruch der Heiligkeit.«
»Ich weiß,« der König lächelt wieder. Er hat etwas übrig für die frommen Klöster.
»Also, sie sind heute früh alle angekommen. Die Herzogin Sophie, ihre Tochter, verschiedene Hofdamen und was sonst dazu gehört. Madame und ich waren in Maubuisson und empfingen sie zusammen mit der Äbtissin. Diese drei deutschen Damen haben sehr geweint und sich viele Male geküßt! Du weißt, Madame kann manchmal sehr weinen!«
»Gewiß, gewiß!« Der König sieht nachdenklich aus dem Fenster, an dem er sitzt. Vor ihm breitet sich der Park von Versailles aus. Es ist heißer Sommer, die Rosen duften, hier und dort rauscht ein Springbrunnen, und die großen Baumreihen geben tiefen Schatten. Es ist schön hier – Lenôtre hat seine Sache gut gemacht, aber Louis hat ihm tüchtig geholfen und ist stolz auf seine Gartenkunst.
»Sind sie glücklich hier zu sein?« fragt er jetzt.
»Versteht sich. Sie waren ein wenig bange von wegen der Etikette. Die Herzogin reist natürlich inkognito, sie nennt sich Frau von Osnabrück. Dort wohnt sie.«
»Osnabrück –« der König lacht. »Daran zerbricht man seine Zunge.«
»Madame hat mir den Namen so oft vorgesprochen, daß er mir nicht mehr schwer wird!« versichert Monsieur. »Die Braunschweigerin ist eine hübsche Frau, und die Tochter ist niedlich.«
»Wie alt?«
»Ich schätze dreizehn, vierzehn. Heißt Sophie Charlotte, ist groß und stark. Soll Latein sprechen und hat eine gute französische Aussprache. Wenn dein Dauphin –«
Louis macht eine abwehrende Bewegung »Ich habe schon an den Kurfürsten von Bayern schreiben lassen. Da ist eine streng katholische Prinzessin, und du weißt, daß Ihre Majestät, die Königin, sehr fromm ist.«
»Es ist eine niedliche kleine Prinzeß!« meint Monsieur. Er zieht einen Stift hervor und macht sich die Augenbrauen schwärzer. »Ansehen mußt du sie, Louis. Auch die Herzogin. Ihr Gemahl und noch ein anderer Braunschweiger besiegten damals den Marschall Crequy bei der Conzer Brücke. Das war recht ärgerlich!«
König Ludwig wird rot. Er weiß, daß ihn sein Bruder ärgern will, und will ihm den Gefallen nicht tun.
»Ich werde mich von den Deutschen nicht wieder besiegen lassen!« erwidert er. »Also die Prinzessin ist niedlich?«
»Allerliebst. Nicht so hübsch, wie die kleine Hofdame, die mitgenommen ist. Wirklich eine Schönheit. Schade, daß du sie nicht sehen kannst. Aber es geht wohl nicht wegen der Etikette.«
»Natürlich nicht. Du weißt, Philipp, daß die Heirat deiner Tochter mit Seiner Majestät von Spanien alle Vorbereitungen in Anspruch nimmt. Nächstens werden die Ehepakten unterschrieben, dann kommt die Trauung, dann die große Cour, der Ball – woher soll ich die Zeit nehmen, diese Deutschen zu sehen?«
»Gewiß nicht!« versichert Orleans. Er weiß, daß Louis sicher diese Fremden sehen wird, aber es ist besser, zu tun, als glaube man seinen Worten.
Der König klagt plötzlich. Die Heirat der Prinzessin mit dem König von Spanien macht sehr viel Arbeit und Kosten. Mademoiselle muß eine ordentliche Aussteuer haben, und ihr Hofstaat verlangt gleichfalls neue Kleider. Sein Finanzminister hat schon gejammert.
»Er muß eine neue Steuer ausschreiben!« meint Monsieur. »Meine kleine Tochter hat vorgestern sehr geweint,« setzt er hinzu. »Sie hat ein Bild des Königs von Spanien erhalten und findet ihn sehr häßlich!«
Der König wirft den Kopf in den Nacken. »Prinzessinnen müssen sich freuen, wenn sie Könige zum Gemahl erhalten. Mademoiselle wird sehr glücklich werden!«
Die Brüder bereden noch allerlei Geschäftliches. Es soll eine glänzende Hochzeit werden, und wenn der spanische König auch nicht in eigner Person erscheinen kann, so wird sein außerordentlicher Gesandter ihn per Prokuration vertreten. Und die Heiratsakte, die verschiedenen Bestimmungen des französischen Reiches sind bereits ausgearbeitet. Diese französische Heirat wird die Erbfolge der Bourbonen in Spanien sicherstellen. Der König spricht eifrig, und Monsieur hört geduldig zu. Er interessiert sich nicht sehr für Politik, er belustigt sich lieber, kauft schöne Bilder und Juwelen und hat allerlei Freundschaften, die mit der Politik nichts zu tun haben, und die seine Gemahlin ärgern. Aber Monsieur weiß auch, was er der Würde eines königlichen Bruders schuldig ist und wirft hin und wieder ein Wörtlein ein.
Plötzlich fragt der König: »Wie macht Ihr das mit der Etikette? Diese deutschen Fürstinnen haben doch keinen ordentlichen Rang bei uns?«
»Sie reisen inkognito, und wir fassen die Herzogin immer unter den Arm, wenn wir in eine Tür gehen oder in den Wagen steigen,« plaudert Monsieur. »Madame hat sich dies alles sehr nett ausgedacht. Sie sagt, die Deutschen sind sehr stolz und glauben ebenso vornehm zu sein wie die Bourbonen. Die Herzogin Sophie ist die Tochter eines Königs und einer Stuart. Sie halten auf ihre Würde. Da sie uns besuchen, darf man sie nicht kränken.«
»Natürlich nicht.« Ludwig ist durch diese ganze Unterhaltung besserer Stimmung geworden. »Ich werde ihnen vielleicht einmal von ungefähr begegnen,« meint er mit einem Anflug von Wohlwollen. »Schon Madames wegen, die eine brave Frau ist. Du vernachlässigst sie, Philipp, das sollte nicht sein. Man muß seine Gemahlin in Ehren halten!«
»Gewiß, Sire!« Philipp verbeugt sich, und der König spricht von anderen Dingen.
»Ich fürchte, Ihre Majestät die Königin wird die deutschen Damen nicht empfangen! Sie ist genau mit der Etikette!«
»Vielleicht läßt sich ein Weg finden!« erwidert Orleans, der jetzt aufsieht. Er will wieder nach Maubuisson, wo die deutschen Damen sind, und Madame so herzlich lacht, wie sie lange nicht gelacht hat. Manchmal sieht der Herzog von Orleans ein, daß seine Gemahlin Ursache hat, Heimweh zu empfinden. Aber diese Augenblicke gehen rasch vorüber. Ist es nicht eine große Ehre, die Herzogin von Orleans und die zweite Dame von Frankreich zu sein? Er besieht sich noch einmal im Spiegel und verabschiedet sich. Und Louis schickt einen Pagen zu Frau von Fontanges. Er will eine Weile mit ihr plaudern.
Die alte Abtei Maubuisson lag zwischen Versailles und Paris und war ein behaglicher Bau, in dem die vornehmen Nonnen mit ihrer Äbtissin angenehm lebten. Maubuisson gehörte zu den Nonnenklöstern, in die sich die vornehmen Damen der französischen Gesellschaft auf einige Monate zurückzogen, um der Ruhe und ihren Liebhabereien zu pflegen. Das Kloster war nicht von der Welt abgeschnitten, sondern lag eigentlich mitten darin. Die eleganten Abbés, die ihre Schwestern, Kusinen und Freundinnen besuchten, brachten immer die Neuigkeiten der Welt mit, und im Klostergarten fand sich manch schattiges Plätzchen, in dem man ungestört mit einem Seelenfreund, einer Freundin plaudern konnte.
Die drei Pfälzer Prinzessinnen saßen im Wohngemach der Äbtissin und hatten sich viel zu erzählen. Madame Liselotte hatte zuerst geweint, als sie ihre Nichte, die Herzogin Sophie, in die Arme schloß. Nun war sie wieder gefaßt, sprach munter pfälzisch, wie sie lange nicht getan hatte, und fragte nach hundert Dingen. Sie war eine starke Frau mit frischen Gesichtszügen und etwas nachlässigen Manieren. Sie war nicht so hübsch wie die Herzogin Sophie, die ein regelmäßiges, stolzes Gesicht hatte, dazu sehr schöne Augen und eine fürstliche Haltung, die sie niemals verleugnete. Sie lag jetzt in einen Stuhl zurückgelehnt und hörte aufmerksam zu, wie sich die Herzogin Liselotte mit der Äbtissin unterhielt. Beide lachten miteinander, und die Äbtissin hatte dabei etwas sehr Gemütliches. Louise von der Pfalz hatte das Leben immer gemütlich genommen. Sie, die Tochter des Winterkönigs Friedrich, war ohne viel Bedenken vom evangelischen Glauben zum katholischen übergetreten, und hatte dadurch die Äbtissinnenstelle in Maubuisson erhalten. Dort waltete sie seit Jahren ihres Amtes, war allgemein beliebt und brauchte sich keine Sorgen um ihre Existenz zu machen. Arme Prinzessinnen gab's damals schon genug, sie waren nicht leicht unterzubringen, und ein Glaubenswechsel bedeutete bei den Fürstlichkeiten nicht viel. Allerdings litt die Äbtissin seit einiger Zeit an Herzbeschwerden, und seit dieser Zeit auch an Heimweh. Daher hatte sie gebeten, daß ihre jüngere Schwester Sophie sie besuchen sollte, und die Herzogin war gern gekommen, besonders da Madame Liselotte gleichfalls um diesen Besuch gebeten hatte.
»Du weißt nit, wie's tut, mal deutsch zu reden!« sagte sie jetzt zu Sophie, die sie liebevoll ansah. Die Herzogin von Braunschweig-Lüneburg war der Aufforderung ihrer Verwandten mit Freuden gefolgt. Ihr Gemahl, der jetzt Bischof von Osnabrück war, reiste oft allein in der Welt herum und ging dann Liebesabenteuern nach. Sophie wußte dies, fand sich aber mit guter Manier darein. Aber sie langweilte sich oft genug in Osnabrück, daher sie mit Vergnügen diese große Reise machte. Es war doch schön, einmal durch fremdes Land zu fahren und fremde Menschen zu sehen. Dazu Frankreich, und König Ludwig, Versailles mit seinem Glanz und der strengsten Hofetikette. Zwar so lustig, wie sie es sich vorgestellt, war die dreiundzwanzigtägige Reise bis Versailles nicht gewesen. Schlechte Wege, schlechte Pferde, oft auch mangelhafte Bespeisung. Eigentlich hatte sie sich von Frankreich ein anderes Bild gemacht, viel viel schöner, als es war. Aber hier, in Maubuisson, war es allerdings schön, und gestern hatten sie schon eine Fahrt nach Versailles gemacht, und den Garten, das riesige Schloß mit allen Nebengebäuden liegen sehen. Dort wohnte König Ludwig, seine Frau Gemahlin, seine Freundinnen, alle die Vornehmen, die um ihn waren, ihn bedienten, glücklich waren über ein Lächeln von ihm, aufs tiefste von Schmerz durchwühlt, wenn Seine Majestät ungnädig war. Nachdenklich hatte Sophie alles besehen, das ihr gezeigt wurde. Monsieur und Madame hatten sie in ihrem Wagen gefahren, und die zukünftige Königin von Spanien war gleichfalls dabei gewesen. Und diese künftige Königin hatte sich auf den Rücksitz des Wagens gesetzt, obgleich sie auf den Vordersitz gehörte. Sophie war in der Tat gerührt, wie sie denn überhaupt mit der Aufnahme von Monsieur und Madame zufrieden sein konnte. Nun, von Liselotte ließ sich nichts anderes erwarten, sie war eine Pfälzerin, und die Pfälzer hatten alle gute Herzen; aber Monsieur, Ludwigs Bruder, und der zweite Vornehme in Frankreich, dem mußte man dankbar sein. Er sollte ja verschwenderisch, vergnügungssüchtig und recht treulos sein. Wo aber gab es Männer, die ihren Frauen die Treue hielten? Sophie war so in Gedanken, daß sie jetzt erst wieder auf die Stimme der Äbtissin hörte, die eifrig mit Liselotte flüsterte.
»Gestern ist wieder eine Szene zwischen der Montespan und der Fontanges gewesen. Der kleine Prevost, dessen Bruder Page ist, hat's mir erzählt. Die Montespan soll wahrlich Frau von Fontanges geohrfeigt haben. Und die ist natürlich gleich zum König gelaufen. Majestät ist selbstverständlich böse gewesen, hat gesagt, wenn das noch einmal vorkäme, dann dürfe die Montespan nicht an den Hochzeitfeierlichkeiten teilnehmen. Und sie hat sich gerade eine so wundervolle Toilette dazu machen lassen. Roter Brokat, hellgelbe Seide und wunderbare Spitzen. Die Fontanges kann sich nicht so fest schnüren, sie wird sehr abfallen und soll auch schon geweint haben. Aber sie ist doch die Beste, weil sie jünger ist. Die Montespan wird alt, das mag der König nicht!«
»Die beiden treiben's so lange, bis der König beide vor die Tür setzt!« meinte Liselotte. Dann wandte sie sich zu Sophie. »Nun red' mal von deinem Bruder, dem Pfalzgrafen, seiner Degenfeld und alle den kleinen Raugrafen und Gräfinnen. Er ist ein guter Vater, nit wahr?«
So gleitet die Unterhaltung vom französischen Hofe nach Heidelberg, nach Deutschland, nach allem, wonach die arme Liselotte schon lange Heimweh hat und es doch nie befriedigen kann.
Im Nebenzimmer sitzt die Prinzessin Sophielott von Braunschweig-Lüneburg und um sie sitzen ihre Hofdamen Fräulein von Kramm und Fräulein von Monbeliard aus dem Kloster von Maubuisson. Ein hübsches junges Mädchen, der die blaue Nonnentracht mit dem weißen Schleier sehr gut steht, und die deshalb auch dies geistliche Gewand angelegt hat. Denn sie hat noch kein Gelübde getan und hofft auch, daß sie es nicht nötig hat. Sie will viel lieber heiraten; aber sie hat keine nennenswerte Mitgift, und die vornehmen französischen Herren fragen immer nach der Mitgift. Yvonne von Monbeliard berichtet dies eben an Renate von Kramm, die ihr voller Teilnahme lauscht. Sie selbst weiß, wie es armen adligen Fräulein geht. Sie selbst stammt aus einer kinderreichen altadeligen Familie, und es ist ein Glück, daß die durchlauchtige Herzogin sie mit auf die Reise genommen hat. Sie ahnt nicht, daß Sophie sie nach der Reise sobald wie möglich entlassen wird. Nicht, weil sie mit ihr unzufrieden, sondern weil Renate zu hübsch ist, um den Herzog Ernst August nicht gleich zu entflammen. Obgleich die Herzogin so tolerant ist, wie eine Fürstin damaliger Zeit sein muß, so liebt sie es doch nicht, wenn sich einige kleine Romane in ihrem eigenen Hofstaat abspielen. Ihre Hofdamen sind immer ziemlich alt und häßlich. Wenn eine nicht krank geworden wäre, würde Renate niemals zur Begleitung mitgenommen sein. Aber der Herzog war ja auch zu Haus geblieben. Renate von Kramm ist eine Schönheit. Die Äbtissin hat sie gleich mit Wohlgefallen betrachtet, und ihre Nonnen gleichfalls. Auch die Abbés, die die deutschen Damen bis dahin aus der Ferne beobachtet haben, kneifen die Augen zusammen und lächeln wohlgefällig. Daß so etwas auf dem deutschen Barbarenboden wächst, ist kaum zu glauben. Gibt es dort so gertenschlanke Figuren, so große strahlende Augen, so goldschimmerndes Haar, eine so rosige Haut, die keiner Schminke bedarf, so feingezeichnete Augenbrauen, die echt sind? Yvonne von Montbeliard bewundert Renate gleichfalls.
»Großartig hübsch!« vertraut sie ihrem Vetter dem Abbé an, der sie gelegentlich besucht. »Unsere schönen Damen am Hofe würden sich ärgern, sähen sie die kleine Deutsche!«
Der Abbé murmelt auch etwas wie Bedauern. Er gönnt einigen Damen am Hofe des Königs gern einmal ärgerliche Stunden. Vor allem der Marquise von Montespan und ihren hochnäsigen Söhnen.
In diesem Augenblick denkt Renate von Kramm nicht an ihre Schönheit. An die denkt sie überhaupt kaum. Als sie noch auf dem Lande bei ihren Eltern war, wußte sie nicht, daß sie schön war. Jetzt ist das anders geworden. Die Reise durch Frankreich hat ihr manchen bewundernden Blick eingetragen, und beide Kavaliere der Begleitung haben ihr eine Liebeserklärung gemacht. Aber da sie beide verheiratet sind, haben ihr diese schönen Worte keinen Eindruck gemacht. Jetzt sitzt sie mit den zwei jungen Damen zusammen und knabbert Biskuits wie sie. Dazu gibt es süßen Wein, den Madame eigens für ihre deutschen Verwandten in die Abtei geschickt hat. Er wird aus hauchfeinen Gläsern getrunken, und wenn Renate ihn an die Lippen setzt, und dabei die Blicke durch den klösterlich und doch vornehm eingerichteten Raum gleiten läßt, dann ist es ihr, als erlebe sie ein Märchen. Sie denkt an das baufällige Haus ihrer Väter, an die grobe Kleidung ihrer Eltern und Geschwister. Es ist alles armselig bei den Kramms, seitdem der Dreißigjährige Krieg auch über sie dahingefegt ist. Da gibt es keine Brokatgewänder, wie sie sie hier schon gesehen hat, keine feinen Speisen und auch keine feinen Manieren. Schon Osnabrück und sein kleiner Hof, seine Herren und Damen, haben ihr großen Eindruck gemacht, aber nun hier Maubuisson mit Monsieur und Madame, mit Mademoiselle, die nächstens eine Königin sein wird, alles dies hat etwas Verwirrendes und es ist gut, daß Prinzeß Sophielott mit ihren klugen Kinderaugen gelassen in die Welt blickt und manchmal eine ketzerische Bemerkung macht. Denn, wenn Sophielott auch erst dreizehn Jahr alt ist, so hat sie doch schon ein eigenes Urteil. Prinzessinnen werden früher erwachsen als gewöhnliche Menschen, und Sophielott ist außerdem klug. Sie hat einen großen Drang zum Lernen und mag sich gern mit Gelehrten unterhalten. Sie spricht nicht allein fließend Französisch, sie kann sich auch in lateinischer Sprache unterhalten. Als Monsieur dies hört, erschrickt er fast. Prinzessinnen dürfen nicht gelehrt sein, meint er, das schade ihrer Schönheit. Aber Sophielott lacht nur. Sie freut sich, daß sie an etwas anderes denken kann, als an Kleider, Puder und Schminke. Sie langweilt sich manchmal ein wenig in Maubuisson und es ist gut, daß es einen kleinen Grafen Bentheim gibt, der mit seinem Hofmeister in Paris weilt und eine Tante in Maubuisson hat, die er jetzt eifrig besucht. Er ist erst siebzehn Jahre alt, und sein Vater hat ihn auf Reisen geschickt, damit er die Welt, und besonders die französische kennen lerne. Die Bentheims sind wohlhabend und können sich diese Reise leisten. Aber der kleine Graf hat sich doch die Reise anders vorgestellt und ärgert sich vor allem, daß er nicht zum Hof zugelassen wird. Er ist nicht vornehm genug, sagt man ihm. Ein deutscher Graf bedeutet in Versailles nicht viel. Es gibt viele deutsche Grafen. Wenn die alle an den Hof von Versailles kommen wollten, wo bliebe da die Etikette? Ja, die Etikette. Yvonne von Montbeliard spricht gerade von ihr. Es ist sehr streng mit der Etikette am Hofe von Versailles. Genau so, wie in Spanien, woher die Königin von Frankreich stammt. Es wird daher wohl schwierig sein für die hannoverschen Herrschaften, Zutritt zu den Hochzeitsfeierlichkeiten zu erlangen.
»Werden wir denn den König und die Königin gar nicht sehen?« fragt Renate enttäuscht. Yvonne weiß es nicht. Monsieur und Madame haben ja großen Einfluß; aber manchmal sind die königlichen Herrschaften halsstarrig, und die Kammerherren erst recht. Sophielott lächelt vor sich hin. Sie ist dabei gewesen, wie Madame ihrer Mutter versprochen hat, daß sie jedenfalls die Hochzeit sehen soll. Wenn auch an einem versteckten Platz. Aber sie sagt nichts. Fürstinnen lernen früh das Schweigen.
Aber dann ist die Trauung der Prinzessin von Orleans in der Kapelle von Fontainebleau, und sowohl die Herzogin mit Tochter und ihr ganzer Hofstaat dürfen ihr beiwohnen. Sie sitzen auf einer Empore und können alles sehen und hören. Die ganze prächtige Gesellschaft und die lange Rede des Erzbischofs von Paris. Der König von Spanien ist nicht da, er wird durch einen sehr schlanken, sehr stattlichen Granden vertreten. Man flüstert, daß dieser Grande viel hübscher sei, als seine Majestät.
Die Braunschweig-Lüneburgischen Herrschaften haben Zeit, sich den König und seine Gemahlin, die Montespan, Frau von Fontanges, alle anzusehen, von denen geredet wird, und nach der Zeremonie dauert es nicht allzu lange, da erscheint Monsieur bei der Herzogin und flüstert, daß Seine Majestät die Gnade haben wolle, sie und ihre Tochter zu empfangen. Ehe die Damen sich auf diese Gnade vorbereiten können, ergießt sie sich schon über sie, König Ludwig steht vor der Herzogin, verbeugt sich artig, sagt einige höfliche Worte, wirft einen forschenden Blick auf die junge Prinzessin und schweigt plötzlich. Hinter der Herzogin steht nämlich Renate von Kramm. Sie trägt ein einfaches weißes Kleid, das Hals und Arme frei läßt, ungepuderte, hochfrisierte Haare, und ein heller Sonnenstrahl fällt gerade in ihr Gesicht. Ihre Augen sind groß auf den König gerichtet, der schon weiter spricht. Immer in dem artigen leisen Ton, dessen sich Ludwig allen Damen gegenüber befleißigt. Er bedauert, daß er in dieser Zeit so wenig Muße hat, sonst würde er den Vorzug haben, die Frau Herzogin länger zu sehen. Er hofft, daß Frankreich ihr gefallen möge, und freut sich, daß Madame, seine Schwägerin, ihre Verwandte bei sich sehen darf. Die Unterredung ist zu Ende. Herzogin und Prinzessin verbeugen sich, wie es ihnen gesagt ist. Sie wundern sich, daß der König einen Augenblick an ihnen vorübersieht, sich dann aber hastig abkehrt. Kammerherren und andere Hofschranzen warten bereits; er muß seine Rolle weiterspielen.
Monsieur berichtet andern Tages, daß die Damen sehr gefallen haben. Die Königin will sie auch sehen, und die festliche Theatervorstellung, wie den Ball sollen die Damen auch besuchen. »Das kleine Fräulein auch!« setzt Orleans hinzu und lächelt zu Renate herüber, die vor lauter Ehrfurcht fast die Sprache verliert. Ist es denn wahr, darf sie auch anwesend sein, wenn die höchsten Herrschaften tanzen und ins Theater gehen? Aber sie darf es, Monsieur bemerkt noch, daß, da die Damen inkognito reisten, sie keine Umstände mit der Toilette hätten. Die Seidenkleider von der Herzogin und Sophielott wären gut genug, und das kleine Fräulein in ihrem weißen Gewand sähe recht liebenswürdig aus.
Der Hof, der jetzt ganz nach Fontainebleau übergesiedelt ist, hat viel zu schwatzen, zu tuscheln. Die königlichen Wagen fahren hin und her zwischen Paris, Versailles, Fontainebleau. Auch nach Maubuisson kommen die Hofwagen, und die Äbtissin lächelt ein wenig. Denn nicht allein Madame und Monsieur besuchen eifrig die braunschweigischen Herrschaften, auch andere vornehme Leute stellen sich ein. Sie bringen Hofklatsch und die unbeschreibliche Luft mit, die über dem ganzen Königshaus und seinen Dienern schwebt. Ein Gemisch von Puder, Schminke und starken Gerüchen, wie sie die Herrschaften lieben, die ohne Wasser und Seife schön sein wollen. Sophielott lacht darüber. Sie wird im ganzen wenig beachtet und sie macht sich nichts daraus. Erstens ist sie noch ein halbes Kind, und dann ist sie der Ansicht von Hermann Bentheim, daß der französische Hof längst nicht so schön ist, wie man in Deutschland immer behauptet. Viele Damen sind alt und verschminkt, und die Königin, von deren Schönheit man viel redete, hat kohlschwarze Zähne und einen runden Rücken. Allerdings sind die beiden Brüder, der König und Monsieur hübsch. Besonders der König, der solche stolze Haltung hat und dabei lange nicht so geputzt ist wie sein Bruder. Er trügt immer einen blauen, mit weißer Seide gefütterten Rock, der mit Silberstickerei verziert ist. Er läßt sich keine Diamanten an den Rock nähen, wie sein Bruder, und wenn er seine Allongeperücke ablegt, dann hat er richtiges dunkles Haar darunter, während Monsieur dann eine rotseidene Nachtmütze trägt und sehr verrückt aussieht. So schwatzt Hermann Bentheim mit Sophielott, und die zwei lachen zusammen. Bentheim weiß diese Dinge von seinem Hofmeister, der ein französischer Kalvinist ist, und dem das ganze Gebahren des Hofes ein Greuel ist. Aber Herr von Beaujolais hat eine Menge Verbindungen am Hof, ihm wird viel zugetragen. Außerdem ist er halbwegs mit Frau von Fontanges verwandt, und hat ihr schon eine ernste Rede gehalten, wegen ihres leichtfertigen Lebenswandels. Eine Rede, die sie lächelnd anhört und nicht versteht. Ist es nicht das höchste Glück einer Dame, die Geliebte des mächtigsten aller Herrscher zu sein? Beaujolais hat kein Glück mit seiner Philippika, aber weil er ein gewisses Wohlwollen für die Fontanges empfindet, warnt er sie, Kuchen und Süßigkeiten von unbekannten Freunden anzunehmen. Jedenfalls, ihren Hund erst davon essen zu lassen. Ein sehr schönes Mädchen, die einmal die Augen des Königs auf sich lenkte, ist nach kurzer Krankheit ganz plötzlich gestorben.
So erzählt der junge Graf, und Sophielott hört nachdenklich zu.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten sind vorüber, und Herzogin Sophie ist sehr befriedigt. Sie hat der Königin nicht das Kleid geküßt, wie diese Dame von ihr erwartete; ist sie nicht eine Tochter der Stuart, und hat vielleicht Anwartschaft auf den englischen Thron? Sie macht der Königin immer eine tiefe Verbeugung und belustigt sich an dem enttäuschten Lächeln der Spanierin. Aber die jetzige Königin von Spanien läßt die Herzogin immer auf ihrem Taburett sitzen, obgleich dieses der deutschen kleinen Fürstin nicht zukommt. Sie ist reizend, die junge Königin, und weint jeden Tag, ihr geliebtes Frankreich zu verlassen. Aber das Weinen nützt nichts; eine Königin muß sich fügen.
Die Äbtissin von Maubuisson ist sehr guter Dinge. Ein so angenehmes Leben hat sie lange nicht gehabt. Monsieur hat sich sonst gar nicht um sie bekümmert, nun besucht er die Herzogin fast täglich und ist sehr liebenswürdig. Madame war ja immer freundlich und verwandtschaftlich, aber so heiter ist sie doch lange nicht gewesen. Und daß sogar Seine Majestät einmal ganz unerwartet in seinem Jagdwagen vor der Abtei hält, ist noch nie dagewesen. Ludwig hat auf der Jagd einen kleinen Unfall gehabt, sein eines Pferd lahmte plötzlich und wurde dazu störrisch. Madame, die den König manchmal auf die Jagd begleitet, ist auch diesmal dabei. Sie geht zu ihrer Nichte, während der König vorzieht, einen Augenblick im Garten zu promenieren. Gerade dorthin, wo an dem kleinen Goldfischteich Sophielott mit der Hofdame und mit Yvonne von Montbeliard sitzt. Ludwig ist sehr überrascht, in diesen Gefilden soviel Grazie und Jugend zu sehen. Er wendet sich zu Renate von Kramm, fragt, wie ihr Frankreich gefalle, und lächelt über ihr Erröten, ihre Verwirrung. Yvonne weiß, was sich gehört. Sie nimmt Sophielott am Arm und zieht sie mit sich fort. Daß der König mit der schönen Deutschen allein sein will, merkt sie gleich. Ein halb neidischer Blick streift Renate, die hilflos vor dem Monarchen steht und ihre Augen niederschlagen muß. Aber er faßt sie am Kinn, hebt ihren Kopf hoch und sieht ihr starr in die Augen. Dann sagt er ein freundliches Wort und geht zurück.
Von diesem Tage an ist es etwas feierlich in der Abtei. Es kommen allerlei Besuche, Monsieur erscheint jeden Tag, und als Frau von Fontanges eine vergessene Kusine im Kloster besucht und dabei einrichtet, Renate zu sehen und ernsthaft zu betrachten, da weiß die jüngste Nonne, was die Uhr geschlagen hat. Madame kommt auch, aber sie ist übler Laune und wettert auf ihre derbe Art. Die Herzogin Sophie schüttelt den Kopf; Monsieur redet auf sie ein. So ein Glück für ein armes deutsches Mädchen! Majestät ist wirklich immer sehr großmütig, er wird die Kleine auch dann nicht verlassen, wenn – ja, wenn – – Monsieur hebt die Schultern. Es ist natürlich nur eine flüchtige Verliebtheit, aber wenn die Kleine klug ist, kann sie später eine große Partie machen. Majestät hat sich geärgert über den Zank der Montespan mit der Fontanges. Die letztere hat sich besser benommen, sie hat die kleine Deutsche gesehen und hat nichts dagegen, wenn sie den König einige Wochen erfreut. Es ist ihr sehr recht, wenn die Montespan geärgert wird.
Die Herzogin seufzt unschlüssig – diese ganze Angelegenheit widersteht ihr, aber die Kramms sind arm, und wenn die Kleine hier ihr Glück macht – – der König kann eben tun, was ihm beliebt, und Madame wird nachher Sorge tragen, daß alles gut geregelt wird. Majestät ist wirklich großmütig!
Inzwischen weiß auch Renate von Kramm, was ihr bevorsteht. Sie hat ein Brokatkleid vom König erhalten, dazu einen wunderbar gemalten Fächer. Sie sieht, wie sich schon der halbe französische Hof vor ihr beugt, wie vornehme Herren, die sonst keinen Blick für sie übrig hatten, sich vor ihr bis auf die Erde verneigen. Sie weiß, daß der Tag bald kommen muß, an dem sie nach Fontainebleau übersiedeln wird. Die Nonnen der Abtei betrachten sie mit neidischen Augen, die Abbés lächeln ihr leise zu – ist es nicht eine Ehre, von einem so mächtigen König geliebt zu werden?
Und dennoch überfällt sie ein Zittern bei dem Gedanken an das, was man hier eine Standeserhöhung nennt.
Ein weicher warmer Sommertag. Herzogin Sophie ist mit Monsieur, Madame und der jungen Königin von Spanien ausgefahren. Ihr sollen die Gärten gezeigt werden, die Monsieur gehören, und auf die er stolz ist. Im Garten zu Maubuisson lustwandeln die jungen Nonnen mit einigen Abbés, flüstern und lachen, während Sophielott mit Hermann Bentheim an dem kleinen Goldfischteich sitzt und einige Brotkrumen hineinwirft. Die zwei Jungen sind schweigsam. Die Herzogin hat erklärt, daß sie bald abreisen müßte, und wenn Sophielott auch gern nach Deutschland zurückkehrt, so wird es ihr schwer, von Graf Bentheim Abschied zu nehmen. Und der junge Graf ist tief traurig. Aber sein Hofmeister will noch mit ihm in Paris bleiben, und die Herzogin ist sehr damit einverstanden. Sie hat gesehen, daß die zwei Kinder sich einmal ganz scheu geküßt haben. Sie lächelt darüber, aber es ist besser, daß Bentheim nicht mit ihnen reist, wie er so gern will.
Nun liegt Abschiedsstimmung über den zwei Jungen, und sie sehen nur flüchtig zu Renate, die etwas entfernt von ihnen sitzt, ein Buch in der Hand hält, aber träumerisch in die Ferne blickt. Aber Sophielott sieht doch hin zu ihr. Von den Bäumen flirren silberne und goldene Lichter durch die Blätter über ihr liebliches Gesicht, und die Ehrfurcht vorm Schönen ergreift die Fürstentochter. Ein eiliger Schritt. Eine Nonne führt den königlichen Boten, der sich tief vor Renate verneigt und ihr fast kniend ein in Seide gehülltes Paket überreicht. So schnell wie er kam, ist er gegangen, und Renate öffnet den Goldfaden, der alles umschließt. Spitzen, weiche Kissen, ein Kasten mit Süßigkeiten fallen heraus, und das junge Mädchen bückt sich unwillkürlich, um ein zartgefärbtes Seidentuch aufzunehmen, das auf die Erde gefallen ist. Sophielott und Bentheim sind nähergetreten, und der Prinzessin kommt es vor, als ströme bis zu ihr ein betäubender Duft.
Mit einem Sprung steht sie neben Renate, reißt den Schal, den sie selbst trägt, von den Schultern, wickelt ihre Hände hinein und wirft alle Geschenke, die sie fassen kann, in den Teich.
»Nimm doch nichts von den Franzosen!« ruft sie zornig. »Was willst du mit diesem König, der sich nur pudert und nie wäscht, der meilenweit nach Muskat riecht! Meinst du, daß du glücklich wirst unter lauter Fremden, die Böses mit dir im Sinn haben?«
Sie will weiter sprechen und hält inne. Renate hat im Schreck das rotseidene Tuch an die Lippen gehalten. Die Prinzessin reißt es ihr weg und wirft es gleichfalls ins Wasser. Und Renate sinkt ohnmächtig auf die Erde.
König Ludwig war etwas übler Laune. Zwar waren die Verträge mit Spanien so abgeschlossen, wie er es wünschte. Seine Minister beglückwünschten ihn wegen seiner staatsmännischen Weisheit, und die neue Steuer auf Salz brachte gute Erträge. Aber die Montespan und die Fontanges hatten sich heute wieder gezankt, und dabei war die Marquise so ausfallend geworden, daß der König ernsthaft daran dachte, die Favoritin vom Hofe zu verbannen. Außerdem erwartete er den Besuch von Monsieur schon seit drei Tagen, und Orleans war nicht gekommen. Madame ließ sagen, ihr Herr Gemahl habe Migräne. Migräne. Ludwig kannte die Migräne seines Bruders. Dann hatte er keine Lust zu kommen. Aber Seine Majestät ließ nicht mit sich spaßen. Er hatte heute morgen einen Boten nach Paris geschickt, daß er heute noch Monsieur erwarte. Wenn Ludwig dies sagen ließ, dann hatte jedermann, auch sein Bruder, zu gehorchen. Da erschien Monsieur auch schon in der kleinen Kabinettür, die nur für ihn und die Geliebten des Königs bestimmt war. Er war geputzt wie immer, verbeugte sich zeremoniell und blieb vor dem König stehen.
»Eure Majestät haben befohlen!«
»Setz dich, Philipp!« sagte Ludwig ungeduldig. »Sei nicht närrisch!« setzte er hinzu, als Orleans noch immer stehen blieb. Sein Gesicht zeigte einen verdrossenen Ausdruck, den der König jetzt erst bemerkte.
»Was hast du? Ich habe eben erst deine Schulden bezahlt! Wann kommt die kleine Deutsche eigentlich? Ich habe ihr zwei hübsche Zimmer einrichten lassen. Sie wird schon zufrieden sein!«
Monsieur setzte sich jetzt und zog an seinem seidenen Strumpf.
»Die kleine Deutsche kommt nicht!« erwiderte er. Dann, als er die zornigen Augen des Königs auf sich gerichtet sah, sprach er hastig, fast weinerlich weiter.
»Ich kann nichts dafür, Louis! Die Kleine ist krank geworden. Ganz plötzlich. Man sagt, es sind die Blattern. Ich habe sie natürlich nicht gesehen, aber Madame ist bei ihr gewesen. Sehr verkehrt von Madame von wegen der Ansteckung, aber Madame ist ja so eigensinnig. Sie ist eben eine Deutsche!«
»Die Blattern!« Der König wiederholte das Wort und schauderte ein wenig. »Madame darf sie auch nicht sehen. Niemand aus unserer Gesellschaft, Philipp! Hast du verstanden? Bis sie wieder besser wird.«
»Ich weiß nicht, ob sie ganz wieder hergestellt wird!« sagte Monsieur langsam. »Die Krankheit scheint sehr schwer aufzutreten, und der Medikus fürchtet, daß sie vielleicht ihr Augenlicht verliert. Jedenfalls wird sie sehr entstellt bleiben!«
»Sehr entstellt!« Ludwig wiederholte auch diese Worte. Dann schwieg er eine Weile. »Sehr entstellt und vielleicht blind. Die arme Kleine!« Wieder schwieg er.
Beide Brüder sahen sich an und verstanden sich, ohne Worte.
Der König seufzte leicht, dann zog er die Spitzenmanschetten aus den Ärmeln seines Samtrockes und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Wann wird die Herzogin von Osnabrück reisen?« erkundigte er sich.
»Schon in den nächsten Tagen.«
»Ich werde ihr einige Diamanten schicken, und auch der kleinen Prinzessin. Du wirst sie ihr überreichen, Philipp. Ich habe mich gefreut, die Bekanntschaft der Damen zu machen. Sage ihnen, daß ich keine Zeit hätte, sie noch einmal zu sehen. Es sind viele Staatsgeschäfte zu erledigen!«
Monsieur erhob sich. »Es soll alles bestellt werden, Louis! Die Damen haben eine schöne Zeit hier verbracht und werden immer mit Bewunderung an Frankreich und seinen großen König denken!«
Er wollte gehen, da rief ihn Louis zurück.
»Sollte die Kleine sterben, so muß Sorge getragen werden, daß sie feierlich bestattet wird!«
»Sie ist Ketzerin, Sire!«
»Einerlei, ich wünsche es!«
Noch einmal verbeugte sich der Bruder, und dann war der König allein. Er saß eine Zeitlang schweigend. Dann rührte er die goldene Schelle.
»Madame de Fontanges!« befahl er dem eintretenden Pagen.
Es sind Jahre vergangen. Aus der Prinzeß Sophielott ist eine Königin von Preußen geworden, die in Charlottenburg ihre Residenz hat und sich gern mit gelehrten und klugen Männern umgibt. Heute allerdings zeigt sie sich nicht als die geistreiche Königin, die sie in Wirklichkeit ist. Heute gibt sie ein Gartenfest, eine Wirtschaft, in der die hohen Herrschaften in allen möglichen Verkleidungen erscheinen. Sophie Charlotte ist eine Spreewälder Bäuerin, und die Tracht steht ihr besser, als dem König der Matrosenanzug, den er sich ausgesucht hat. Behaglich wandert die Kurfürstin Sophie von Hannover zwischen den vielen verkleideten Menschen einher. Sie ist stark geworden und schwerfällig, aber ihre klugen Augen erfreuen sich an dem bunten Bilde und erkennen bald diesen, bald jenen Hofherrn in seiner veränderten Tracht. Dann nimmt sie plötzlich den Arm eines westfälischen Bauern und führt ihn zur Königin.
»Den Grafen Bentheim haben Eure Liebden lange nicht gesehen!« sagt sie, und der Graf küßt ehrerbietig die ihm entgegengestreckte Hand der Fürstin.
»Ich freue mich sehr, Graf!« Sophie Charlotte ist leicht errötet, dann wird sie wieder unbefangen freundlich. »Wo sahen wir uns zuletzt? War es nicht in Maubuisson, in Frankreich? Wie lange, lange ist das her!«
Die Kurfürstin hat wieder einen Bekannten entdeckt und ist weitergegangen. Die Königin und Graf Bentheim stehen einen kurzen Augenblick allein. Beide schweigen. Einen Augenblick steigt die Jugend vor ihnen auf, die Jugend, die weit entfernt liegt, und nie wiederkehren wird. Graf Bentheim sieht nachdenklich in das zarte Gesicht der Königin. Sie ist geistreich, vornehm und unnahbar geworden, aber die Erinnerung an die fröhliche Sophielott bleibt ihm, solange er lebt. Gedenkt sie auch an ihre Jugend? Er weiß es nicht; sie wendet sich kurz ab.
»Liebe Kramm, sehen Sie doch, daß Fritz keinen Unfug macht. Er ist zu übermütig!«
»Er hat die kleine Prinzeß von Dessau geschlagen und eingesperrt!« berichtet eine ältliche Dame, die eilig und bekümmert näher tritt. Sie hat schöne Haare, aber ein rotes fleckiges Gesicht und trübe Augen.
»Suchen Sie den Kronprinzen!« befiehlt die Königin kurz und die Dame verschwindet. Bentheim sieht noch immer regungslos. Er hat ein gutes Gedächtnis und hat oft an die schöne Renate gedacht, die einst zu so zweifelhaften Ehren bestimmt war. Die Königin errät seine Gedanken und kehrt sich wieder zu ihm.
»Sie ist Jahre lang krank gewesen!« berichtet sie halblaut. »Meine Frau Mutter wollte sie nicht an ihrem Hof haben; als ich mich vermählte, nahm ich sie mit. Zuerst konnte sie nicht viel tun, dann hat sie sich erholt, und ist mir sehr nützlich!«
»Eure Majestät retteten ihr damals das Leben!« murmelt der Graf, und die Fürstin hebt die Schultern.
»Ist diese Lebensrettung ein Glück gewesen? Wir wissen, daß wir nichts wissen!« setzt sie mit einem leisen Lächeln hinzu.
Kurfürst Georg von Hannover, der Bruder von Sophie Charlotte, tritt zu ihr, und der Graf zieht sich zurück. Nachdenklich sieht er in das lustige Gewühl um ihn. Ihm will scheinen, als passe die Königin nicht hinein. Im Hintergrunde sieht Herr Leibniz, als Astrologus verkleidet, und heute darf er keine philosophischen Gespräche mit der Königin führen, aber morgen wird sein Tag wieder kommen, und Charlotte Sophie wird froh sein, diesem Mummenschanz zu entgehen. Mummenschanz – war es nicht auch ein Mummenschanz in Versailles, den alle mitmachten, und über den die meisten glücklich waren? Bis auf die – Fräulein von Kramm geht an Bentheim vorbei. Sie hat den Arm um einen halbwüchsigen Knaben gelegt, der mit verdrossenem Gesicht auf ihre leise Ermahnung hört. Aber er drückt sich doch fest an sie und kneift sie täppisch in den Arm, daß sie lachen muß. Ehemals hat Bentheim Renate Kramm nicht lachen sehen. Ob sie wohl weiß, wie alles kam? Wahrscheinlich nicht. Sie hat nicht erlebt, wie die Goldfische im Teich alle starben, und das kleine Gewässer eilig zugeschüttet wurde. Sie hat nicht die Marquise Montespan mit triumphierendem Lächeln an der Abtei Maubuisson vorüberfahren sehen, und auch nicht erfahren, daß die Marquise schon am folgenden Tage auf einige Monate in die Verbannung geschickt wurde. Niemals hat sie wieder die Rolle am Hofe zu Versailles gespielt, die sie lange Jahre behauptete.
Ludwig der Vierzehnte ist ein alter Mann geworden, von dem man hofft, daß er bald sterben wird. Er hat sich überlebt. Er ist ein Fluch für Deutschland geworden und wird es immer bleiben. Weshalb mußte alles so kommen?
Bentheim sieht zur Königin hin. Er meint, ihre etwas müde Stimme zu hören. »Wir wissen, daß wir nichts wissen!«