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31 [1]
Morgen ist vorbei und Mittag
senget heissen Blicks das Haupt
lasset uns in Lauben sitzen
und der Freundschaft Lieder singen,
die des Lebens Frühroth war:
Abendroth wird sie uns sein
doch zu Mittag ist sie nur ein Klang:
sagt, verhiess der Morgenhimmel
uns nicht schöneres Gewinnen – – –
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Pericles spricht von den Festen Athens, den schönen und kostbaren Einrichtungen des Hauses, deren täglicher Anblick das düstere Wesen verscheucht. Wir Deutsche leiden sehr an diesem düstern Wesen; Schiller hoffte durch das Einströmen von Schönheit und Grösse, durch die aesthetische Erhebung eine Nachwirkung in Betreff der moralischen Erhebung. Wagner hofft umgekehrt dass die moralischen Kräfte der Deutschen sich endlich auch einmal dem Bereiche der Kunst zuwenden, um hier Ernst und Würde zu verlangen. Er nimmt die Kunst so streng und ernst wie möglich: so hofft er erst ihre erheiternde Wirkung zu erleben. Bei uns steht es recht verkehrt und unnatürlich; wir machen den Menschen, die uns durch Kunst erheitern wollen, die grössten Schwierigkeiten, so dass wir von ihnen moralische Genialität und Charactergrösse fordern. Weil den begabtesten Künstlern ihre Bildung so schwer gemacht wird und sie alle Kraft auf den Kampf verschwenden müssen, sind wir Nichtkünstler umgekehrt wieder sehr lax in den moralischen Ansprüchen an uns geworden: die Bequemlichkeit herrscht in den Grundsätzen und Anschauungen des Lebens. So das Leben lässig nehmend verlieren wir das rechte Bedürfniss der Kunst. Wenn das Leben, wie das athenische, Pflicht Aufforderung Unternehmung Mühsal fortwährend im Schoosse trägt, so weiss man auch die Kunst, das Fest und überhaupt die Bildung zu ehren und zu begehren: damit sie erheitert. Und deshalb ist die moralische Schwäche der Deutschen vornehmlich die Ursache davon, dass sie keine Cultur haben. Zwar: sie arbeiten ausserordentlich, alles ist in Hast, der vererbte Fleiss zeigt sich fast als Naturkraft. Worin offenbart sich ihre moralische Schwäche!
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Neigung der Zeit für die starken Einseitigkeiten, weil sie doch wenigstens noch Lebenskraft verrathen: Kraft aber muss da sein, bevor etwas gebildet werden kann. Ist Schwäche da, so ist die Bemühung aufs Conserviren um jeden Preis gerichtet: da wird jedenfalls kein Gebilde, an dem man Freude haben könnte. Zu vergleichen dem Schwindsüchtigen, der nach Leben schnappt und bei jedem Augenblick an Gesundheit d. h. Erhaltung denken muss.. Hat eine Zeit viel dergleichen Naturen, so ehrt sie endlich die Kraft, selbst wenn sie roh und feindselig ist: Napoleon als gelber gesunder Tiger bei Marwitz-Brief.
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Wer die antike Moral kennt, wird sich wundern, wie viel damals moralisch genommen wurde, was jetzt medicinisch behandelt wird, wie viele Störungen der Seele, des Kopfes damals dem Philosophen, jetzt dem Arzt zur Heilung übergeben werden, wie besonders die Nerven und ihre Beruhigung jetzt durch Alkalien oder Narkotika bedacht werden. Die Alten waren viel mässiger und absichtlich mässiger im täglichen Leben: sie wussten sich zu enthalten und sich viel zu versagen, um die Herrschaft über sich nicht zu verlieren. Ihre Worte über Moral gehen überall von dem lebendigen Beispiele solcher aus, die wie diese Worte lauten gelebt haben. Ich weiss nicht, von welchen fernen und seltenen Dingen die modernen Ethiker reden: sie nehmen den Menschen wie ein wunderlich spiritualistisches Wesen, sie scheinen es für unanständig zu halten, den Menschen so nackt-antik zu behandlen und von seinen vielen nöthigen obzwar niedrigen Bedürfnissen zu reden. Die Schamhaftigkeit geht so weit, dass man glauben möchte, der moderne Mensch habe nur noch einen Scheinleib. Ich glaube dass die Vegetarianer, mit ihrer Vorschrift, weniger und einfacher zu essen, mehr genützt haben als alle neueren Moralsysteme zusammen genommen: auf etwas Übertreibung kommt nichts dabei all. Es ist kein Zweifel, dass die einstmaligen Erzieher den Menschen auch wieder eine strengere Diät vorschreiben werden. Man glaubt durch Luft Sonne Wohnung Reisen usw. die modernen Menschen gesund zu machen, eingeschlossen die medicinischen Reize und Gifte. Aber alles, was dem Menschen schwer wird, scheint nicht mehr angeordnet zu werden: auf angenehme und bequeme Art gesund und krank zu sein scheint die Maxime. Doch ist es gerade die fortgesetzte kleine Masslosigkeit, d. h. der Mangel an Selbstzucht, der zuletzt als allgemeine Hast und impotentia sich zeigt.
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Manche Dinge werden erst dauerhaft, wenn sie schwach geworden sind – bis dahin bedroht sie die Gefahr eines plötzlichen und gewaltsamen Unterganges. Die Gesundheit im Greisenalter wird immer gesünder. Das Christenthum z. B. wird jetzt so fleissig vertheidigt und wird lange Zeit fortvertheidigt werden, weil es die bequemste Religion geworden ist. Jetzt hat es fast Aussicht auf Unvergänglichkeit, nachdem es die langwierigste Sache der Welt, die menschliche Faulheit und Bequemlichkeit auf seine Seite gebracht hat. So hat auch die Philosophie ihre grösste Schätzung und ihre zahlreichsten Vertreter gerade jetzt: denn sie quält die Leute nicht mehr, ja viele werden von ihr unterhalten und alle dürfen ihren Mund aufthun, ohne alle Gefahr, und los schwätzen. Die heftigen und starken Dinge sind in Gefahr plötzlich zu verderben, geknickt und vom Blitz getroffen zu werden. Den Vollblütigen fasst der Schlagfluss. Unsere heutige Philosophie stirbt gewiss nicht am Schlagflusse. Besonders seitdem die Philosophie eine historische Disciplin ist, hat sie sich die Unschädlichkeit und damit die Unvergänglichkeit gewährleistet.
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[+ + +] während der Philosoph, als der wissende Vertreter dieser Verbindung, nicht mehr anerkannt werden darf, nicht mehr Glauben findet, sondern als Schwindler gilt, als einer, der zuviel verspricht. 3) ist die strengste Richtung der Philosophie im Begriff, sich in ein relativistisches System zu verwandeln, ungefähr gleich dem παντων μετρον ανθρωπος. Damit ist es vorbei: denn es giebt nichts Unerträglicheres als solche Grenzwächter, die nie was anderes wissen als "hier nicht weiter" "dort darf man nicht hingehen" "jener hat sich verlaufen" "wir wissen nichts mit absoluter Zuverlässigkeit" usw. Es ist ein ganz und gar unfruchtbarer Boden. – So wäre es denn vorbei? – Der Kaiser Augustus gebot, als ganz kleiner Knabe, den Fröschen auf einem Landhause Schweigen, die ihm durch ihr Quaken lästig fielen: sie sollen von da an geschwiegen haben, wie Sueton sagt. –
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Wenn sich jetzt Philosophen eine Polis träumen wollten, so würde es gewiss keine Platonopolis, sondern eine Apragopolis (Stadt der Müssiggänger).
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Zur Zeitschilderung.
In Betreff der Religion bemerke ich eine Ermüdung, man ist an den bedeutenden Symbolen endlich müde und erschöpft. Alle Möglichkeiten des christlichen Lebens, die ernstesten und lässigsten, die harm- und gedankenlosesten und die reflectirtesten, sind durchprobirt, es ist Zeit zur Erfindung von etwas Neuem oder man muss immer wieder in den alten Kreislauf gerathen: freilich ist es schwer, aus dem Wirbel herauszukommen, nachdem er uns ein paar Jahrtausende herumgedreht hat. Selbst der Spott, der Cynismus, die Feindschaft gegen das Christenthum ist abgespielt; man sieht eine Eisfläche bei erwärmtem Wetter, überall ist das Eis zerrissen, schmutzig, ohne Glanz, mit Wasserpfützen, gefährlich. Da scheint mir nur eine rücksichtsvolle, ganz und gar ziemliche Enthaltung am Platze: ich ehre durch sie die Religion, ob es schon eine absterbende ist. Mildern und beruhigen ist unser Geschäft, wie bei schweren hoffnungslosen Kranken; nur gegen die schlechten, gedankenlosen Pfuscher-Ärzte (die meistens Gelehrte sind) muss protestirt werden. – Das Christenthum ist sehr bald für die kritische Historie d. h. für die Section reif.
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Man muss auch beachten, dass eine Menge Philosophie bereits vererbt ist, ja dass die Menschen fast gesättigt sind. Was führt nicht jede Unterhaltung, jedes Gesellschafts-Buch, jede Wissenschaft mit sich an angewandter Philosophie! In wie zahllosen Thaten zeigt sich auch, dass der Mensch, der jetzige, unendlich viel Philosophie eingeerbt hat. Schon die homerischen Menschen zeigen diese angeerbte Philosophie. Ich meine, die Menschheit würde nicht aufhören zu philosophiren, wenn man auch die Lehrstühle unbesetzt liesse. Was hat nicht die Theologie alles in sich aufgeschluckt! Ich meine, die ganze Ethik. Eine solche Weltbetrachtung, wie die christliche, muss allmählich alle andern Ethiken hinzunehmen, bekämpfen, an sich ziehen, muss sich mit ihnen auseinandersetzen – ja muss sie vernichten, wenn sie stärker und anhaltender ist.
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Ich denke an die erste Nacht des Diogenes: alle antike Philosophie war auf Simplicität des Lebens gerichtet und lehrte eine gewisse Bedürfnisslosigkeit, das wichtigste Heilmittel gegen alle socialen Umsturzgedanken. In diesem Betracht haben die wenig philosophischen Vegetarianer mehr für die Menschen geleistet als alle neueren Philosophien; und so lange die Philosophen nicht den Muth gewinnen, eine ganz veränderte Lebensordnung zu suchen und durch ihr Beispiel aufzuzeigen, ist es nichts mit ihnen.
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Es ist mit den Wissenschaften wie mit den Bäumen, man kann sich nur an dem derben Stamme und den unteren Ästen festhalten, nicht mehr an den äussersten Zweigen und Spitzen; sonst fällt man herab und zerbricht meistens auch noch die Äste. So steht es mit der Philosophie: wehe einer Jugend, welche sich an ihre Apices anklammern will!