Friedrich Wilhelm Nietzsche
Der Wanderer und sein Schatten
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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Der Lehrer ein notwendiges Übel. – So wenig wie möglich Personen zwischen den produktiven Geistern und den hungernden und empfangenden Geistern! Denn die Mittlerwesen fälschen fast unwillkürlich die Nahrung, die sie vermitteln: sodann wollen sie zur Belohnung für ihr Vermitteln zu viel für sich, was also den originalen, produktiven Geistern entzogen wird: nämlich Interesse, Bewunderung, Zeit, Geld und anderes. – Also: man sehe immerhin den Lehrer als ein notwendiges Übel an, ganz wie den Handelsmann: als ein Übel, das man so klein wie möglich machen muß! – Wenn vielleicht die Not der deutschen Zustände jetzt ihren Hauptgrund darin hat, daß viel zu viele vom Handel leben und gut leben wollen (also dem Erzeugenden die Preise möglichst zu verringern und den Verzehrenden die Preise möglichst zu erhöhen suchen, um am möglichst großen Schaden beider den Vorteil zu haben): so kann man gewiß einen Hauptgrund der geistigen Notstände in der Überfülle von Lehrern sehen ihretwegen wird so wenig und so schlecht gelernt.

283

Die Achtungssteuer. – Den uns Bekannten, von uns Geehrten, sei es ein Arzt, Künstler, Handwerker, der etwas für uns tut und arbeitet, bezahlen wir gern so hoch als wir können, oft sogar über unser Vermögen: dagegen bezahlt man den Unbekannten so niedrig es nur angehen will; hier ist ein Kampf, in welchem jeder um den Fußbreit Landes kämpft und mit sich kämpfen macht. Bei der Arbeit des Bekannten für uns ist etwas Unbe- zahlbares, die in seine Arbeit unsertwegen hineingelegte Empfindung und Erfindung: wir glauben das Gefühl hiervon nicht anders als durch eine Art Aufopferung unsererseits ausdrücken zu können. – Die stärkste Steuer ist die Achtungssteuer. Je mehr die Konkurrenz herrscht und man von Unbekannten kauft, für Unbekannte arbeitet, desto niedriger wird diese Steuer, während sie gerade der Maßstab für die Höhe des menschlichen Seelen- Verkehres ist.

284

Das Mittel zum wirklichen Frieden. – Keine Regierung gibt jetzt zu, daß sie das Heer unterhalte, um gelegentliche Eroberungsgelüste zu befriedigen; sondern der Verteidigung soll es dienen. Jene Moral, welche die Notwehr billigt, wird als ihre Fürsprecherin angerufen. Das heißt aber: sich die Moralität und dem Nachbar die Immoralität vorbehalten, weil er angriffs- und eroberungslustig gedacht werden muß, wenn unser Staat notwendig an die Mittel der Notwehr denken soll; überdies erklärt man ihn, der genau ebenso wie unser Staat die Angriffslust leugnet und auch seinerseits das Heer vorgeblich nur aus Notwehrgründen unterhält, durch unsere Erklärung, weshalb wir ein Heer brauchen, für einen Heuchler und listigen Verbrecher, welcher gar zu gern ein harmloses und ungeschicktes Opfer ohne allen Kampf überfallen möchte. So stehen nun alle Staaten jetzt gegeneinander: sie setzen die schlechte Gesinnung des Nachbars und die gute Gesinnung bei sich voraus. Diese Voraussetzung ist aber eine Inhumanität, – so schlimm und schlimmer als der Krieg: ja, im Grunde ist sie schon die Aufforderung und Ursache zu Kriegen, weil sie, wie gesagt, dem Nachbar die Immoralität unter- schiebt und dadurch die feindselige Gesinnung und Tat zu provozieren scheint. Der Lehre von dem Heer als einem Mittel der Notwehr muß man ebenso gründlich abschwören als den Eroberungsgelüsten. Und es kommt vielleicht ein großer Tag, an welcher ein Volk, durch Kriege und Siege, durch die höchste Ausbildung der militärischen Ordnung und Intelligenz ausgezeichnet und gewöhnt, diesen Dingen die schwersten Opfer zu bringen, freiwillig ausruft: " wir zerbrechen das Schwert" – und sein gesamtes Heerwesen bis in seine letzten Fundamente zertrümmert. Sich wehrlos machen, während man der Wehrhafteste war, aus einer Höhe der Empfindung heraus, – das ist das Mittel zum wirklichen Frieden, welcher immer auf einem Frieden der Gesinnung ruhen muß: während der sogenannte bewaffnete Friede, wie er jetzt in allen Ländern einhergeht, der Unfriede der Gesinnung ist, der sich und dem Nachbar nicht traut und halb aus Haß, halb aus Furcht die Waffen nicht ablegt. Lieber zugrunde gehn als hassen und fürchten, und zweimal lieber zugrunde gehn als sich hassen und fürchten machen, – dies muß einmal auch die oberste Maxime jeder einzelnen staatlichen Gesellschaft werden! – Unsern liberalen Volksvertretern fehlt es, wie bekannt, an Zeit zum Nachdenken über die Natur des Menschen: sonst würden sie wissen, daß sie umsonst arbeiten, wenn sie für eine "allmähliche Herabminderung der Militärlast" arbeiten. Vielmehr: erst wenn diese Art Not am größten ist, wird auch die Art Gott am nächsten sein, die hier allein helfen kann. Der Kriegsglorien-Baum kann nur mit einem Male, durch einen Blitzschlag zerstört werden: der Blitz aber kommt, ihr wißt es ja, aus der Höhe. -
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