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(1817-1820.)
Spohrs Aufenthalt in London hat dadurch erhöhten Werth, daß er uns zu vielen Personen und Dingen führt, die in dem Leben unserer größten Künstler wie Beethoven, Weber, Liszt, Berlioz, Wagner ebenfalls ihre Rolle spielen.
Die italienische Reise hatte unsere beiden Künstler durch die schlechten Concerteinnahmen in arge Bedrängnis gebracht und das Concertiren in der Schweiz und Westdeutschland im nächsten Frühjahr konnte diese ebenfalls nicht heben, denn es war die Zeit der schrecklichen Hungersnoth von 1816-17, die auch aus Beethovens Leben wiederklingt. So ging es denn nach Holland. Allein mitten im besten Zuge kam ihm der Antrag, die Musikdirectorstelle am Theater in Frankfurt am Main einzunehmen. Hier hat denn Spohr einige Jahre gewirkt. Angeregt durch diesen Verkehr mit der Oper begann er den »Freischütz-Stoff« zu componiren, bis die Schröder-Devrient ihm mittheilte, daß C. M. von Weber denselben bearbeite. Da gab er das Werk auf. »Denn,« so sagte er sich, »mit meiner Musik, die nicht geeignet ist ins Volk zu dringen und den großen Haufen zu enthusiasmiren, würde ich nie den beispiellosen Erfolg gehabt haben, den der Freischütz fand.« Ebenso hatte Weber einmal die Tannhäusersage vorgelegen. Allein wie Spohrs Musik für eine Volksoper zu »akademisch«, so war Weber nicht eigentlich für das Tragische angelegt. Wie er denn ja auch den tragischen Schluß der Freischützsage, den Spohrs Text festhalten wollte, in einen guten Ausgang umgebogen hat! Dagegen entstand hier im Jahre 1818, angeregt durch den »wahren Beifallssturm«, den bald darauf Rossinis »Tancred« hatte, die Oper »Zemire und Azor«, die denn auch soviel Coloraturen enthält. Ein Stück daraus, »Rose wie bist du lieblich und mild«, lebt jedoch noch heute in weitesten Kreisen.
Bald freilich merkte er, daß die Herrn Actionäre das Theater ebenfalls nur geschäftsmäßig betreiben wollten: es gab Scenen, bei denen Spohr hören mußte, daß sie für ihr Institut keines berühmten Künstlers bedürften, sondern nur eines tüchtigen Arbeiters, der all seine Zeit und Kräfte dem Theater widme, und so kündigte er für den Herbst 1819, um aufs neue seiner Reiselust nachzugehen, wie sie ja heute auch seinen großen Künstlerenkel August Wilhelmy sogar um die Welt getrieben hat. Er besuchte Norddeutschland, wo besonders Berlin die »Fülle und Zartheit des Tones, welche der fühlende Künstler aus einem klangreichen Instrumente ziehe, und den trefflichen Vortrag des Cantabile« rühmte, – Vorzüge, davon ja auch Wagner die herrlichste künstlerische Verwendung machte, und ging auf Einladung derselben Philharmonischen Gesellschaft, die auch Beethoven so gern bei sich gesehen hätte und wenigstens ein größtes Erzeugnis seines Genius, die Neunte Symphonie, durch Bestellung unmittelbar veranlaßt hat, im Jahre 1820 nach London.
Diese Gesellschaft war nicht lange zuvor von den damals berühmtesten Künstlern Englands wie Clementi, John Cramer, Moscheles, Potter, Ries, Smart, Stumpff, alle aus Beethovens Leben bekannt, gegründet worden, um im Gegensatz zu den der alten Musik gewidmeten Vereinen dem Schaffen der neueren großen Künstler Raum zu schaffen, und Spohrs Aufzeichnungen geben uns nun manches Charakteristische über London, das zum größeren Theile zwar ebenfalls bereits der Vergangenheit angehört und mehr anekdotisch ist, allein doch immerhin von Werth für uns bei einer Stadt und einem Volke bleibt, das auch in der Musik so manchen wirksamen Anstoß gegeben und noch kürzlich den großen Tragiker unserer Kunst, Richard Wagner, so wahrhaft würdig aufgenommen hat.
Er hatte auch eine Empfehlung an Rothschild. Um den Empfang bei diesem ganz zu würdigen, holen wir ein bezeichnendes Begegnis aus dem Jahre 1809 in Hamburg nach. »Ein reicher jüdischer Banquier, der mein Quartettspiel hatte rühmen hören, wollte seine Gesellschaft ebenfalls damit regaliren,« erzählt Spohr. »Obgleich ich dort eine für solch edle Musik wenig empfängliche Gesellschaft zu finden hatte, sagte ich doch unter der Bedingung zu, daß zu meiner Begleitung die besten Künstler Hamburgs eingeladen würden. Wirklich fand ich auch nicht nur Andreas Romberg anwesend, sondern auch noch einen andern ausgezeichneten Geiger. Als aber das Quartett beginnen sollte, kam noch ein vierter – Geiger herbei und wir sahen nun zu unserem Erstaunen, was der Hausherr eingeladen hatte. Als guter Rechner wußte er nämlich, daß zu einem Quartett Viere gehören, aber nicht daß unter diesen auch ein Bratschist und Violoncellist sein müssen.« Als er aber Abschied nahm, hieß es unter Vorreichung von vierzig Speciesthalern: »Ich höre, Sie geben ein zweites Concert, schicken Sie mir wieder vierzig Billets; ich habe zwar die andern noch fast alle, will aber doch wieder neue nehmen.« Empört über die »Unverschämtheit des reichen Juden« ließ er denselben abermals verlegen und beschämt vor seiner Gesellschaft stehen und kehrte ihm den Rücken zu.
Eine ebenso ergötzliche Geschichte also erlebte er in London, als er seinen Creditbrief und eine Empfehlung des Frankfurter Bruders persönlich überbrachte. »Nachdem Rothschild mir beide Briefe abgenommen und flüchtig überblickt hatte, sagte er zu mir in herablassendem Tone: ›Ich lese eben‹ (auf die Times deutend) ›daß Sie Ihre Sachen ganz gut gemacht haben. Ich verstehe aber nichts von Musik. Meine Musik ist dies (auf die Geldtasche schlagend), die versteht man an der Börse!‹ worauf er seinen Witz laut belachte. Dann rief er ohne mich zum Sitzen zu nöthigen, einen Commis herbei, gab ihm den Creditbrief und sagte: ›Zahlen Sie dem Herrn sein Geld aus‹. Hierauf winkte er mit dem Kopfe und die Audienz war zu Ende. Doch als ich bereits in der Thüre war, rief er mir noch nach: ›Sie können auch einmal zum Essen zu mir kommen, draußen auf mein Landgut!‹ Einige Tage nachher schickte auch wirklich Madame Rothschild. Ich ging aber nicht hin, obwohl sie die Aufforderung noch einmal wiederholte.« Der empfehlende Bruder aber war derselbe, der eine Vorstellung in Frankfurt in seinem Salon mit den Worten ausführte: »Mein Neffe, Herr Oppenheim, Maler, hat's aber nicht nöthig!«
Spohr hatte mit seiner Gesangsscene und einem Soloquartett in der That sogleich den allgemeinsten Beifall gefunden und zeigt besondere Freude, daß der alte Viotti, der, von jeher sein Vorbild, auch sein Lehrer hatte werden sollen, ihm viel Lobendes gesagt hatte. So war er in der Riesenstadt bald ein gesuchter Mann, sollte aber in Ernst und Scherz auch bald den ästhetischen wie moralischen Bildungsgrad der Engländer vor allem seiner Kunst gegenüber kennen lernen. »Die meisten meiner Schüler waren ohne Talent und Fleiß und ließen sich nur von mir unterrichten, um sagen zu können, sie seien Schüler von Spohr,« erzählt er. Ein berühmter Arzt wollte ein Urtheil über seine zahlreichen Geigen. Spohr prüfte sie alle getreulich und fand, daß diejenige, auf die der alte freundliche Herr die zärtlichsten Blicke warf, auch der Matador der ganzen Sammlung sei. Beim Abschiede überreichte der weiße Alte mit tiefem Bücklinge ihm noch eine Fünfpfundnote. Spohr, anfangs erstaunt, schüttelte dann lächelnd mit dem Kopfe, legte das Papier auf den Tisch und drückte dem Doctor die Hand. Allein dieser folgte ihm bis auf die Straße und sprach in sichtlicher Erregung einige Worte zum Kutscher. Sie lauteten in der Uebersetzung: »Da fährst du einen Deutschen, der ein echter Gentleman ist, bring' ihn mir unversehrt in die Wohnung, das rathe ich dir!«
Von der geringen Schätzung des Künstlers und gar des »Fiedlers« in sozialer Hinsicht, die diese beiden Käuze einigermaßen entschuldigt, weiß man aus Haydns und Webers Leben. Spohr hat aber gerade in London den tonangebenden Kreisen auch in diesem Punkte eine Lection ertheilt, die ihn unmittelbar neben Beethoven stellt, der ja persönlich erst dem Künstler seine volle gesellschaftliche Ebenbürtigkeit errungen hat.
Er sah sich bald auf allen Concertprogrammen der Saison figuriren, konnte sich aber nie entschließen, auch in Privatgesellschaften auszutreten, da ihm die Aufnahme der Künstler dort gar zu unwürdig vorkam. Dieselben wurden nämlich nie zur Gesellschaft gezogen, sondern hatten das Zimmer nach dem Vortrage sogleich wieder zu verlassen. Spohr und Frau waren nun zu den Brüdern des Königs eingeladen, deren einer eine Herzogin von Meiningen hatte. Als dabei ein Diener ihnen das Zimmer der übrigen Musiker öffnen wollte, übergab er seinem Dolmetscher seinen Geigenkasten und schritt, seine Frau am Arme, sogleich die Treppe hinauf. Vor dem Zimmer nannte er dem dortigen Diener seinen Namen und als dieser zu öffnen zögerte, machte er Miene es selbst zu thun. Sogleich riß dieser die Thüre auf und rief seinen Namen hinein. Die Herzogin, deutscher Sitte eingedenk, erhob sich sogleich und führte seine Frau zum Damenkreise. Auch der Herzog stellte ihn selbst nach einigen freundlichen Worten den Herren vom Hofe vor. Doch bald bemerkte er, daß die Dienerschaft ihn ignorirte. Der Herzog jedoch winkte dem Haushofmeister und sogleich wurde den beiden Künstlern ebenfalls der Servirte präsentirt.
Als nun das Concert beginnen sollte, ließ der Haushofmeister nach dem Programm die Künstler heraufholen. Sie erschienen mit Notenblatt oder Instrument und grüßten mit einer tiefen Verbeugung, die aber nur von der Herzogin erwidert wurde. Es war die Elite der Künstler Londons und ihre Leistungen fast alle entzückend schön. Dies schien die vornehme Gesellschaft aber nicht zu fühlen, denn die Unterhaltung riß keinen Augenblick ab. Nur als eine sehr beliebte Sängerin auftrat, wurde es etwas ruhiger und man hörte einige leise Bravos, für die sie sich sogleich durch tiefe Verbeugungen bedankte. »Ich ärgerte mich sehr über diese Entwürdigung der Kunst und noch mehr über die Künstler, die sich solche Behandlung gefallen ließen und hatte große Lust gar nicht zu spielen,« erzählt er weiter. »Ich zögerte daher, als die Reihe an mich kam, absichtlich so lange, bis der Herzog, wahrscheinlich auf einen Wink seiner Gemahlin, mich selbst zum Spielen aufforderte. Nun erst ließ ich durch einen Diener mein Violinkästchen heraufholen und begann dann, ohne vorher eine Verbeugung zu machen, meinen Vortrag. Alle diese Umstände mochten die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregt haben, denn es herrschte während meines Vortrags eine große Stille im Saal. Als ich geendet hatte, applaudirte das herzogliche Paar und die Gäste stimmten mit ein. Nun erst dankte ich durch eine Verbeugung. Bald darauf schloß das Concert und die Musiker zogen sich zurück. Hatte es nun schon Sensation erregt, daß wir uns der Gesellschaft angeschlossen, so steigerte sich diese noch um Vieles, als man sah, daß auch wir zum Souper dablieben und bei demselben von dem herzoglichen Paare mit großer Auszeichnung behandelt wurden. Wir hatten dieses Unerhörte wohl dem Umstande zu verdanken, daß die Herzogin schon im elterlichen Hause Zeuge der guten Aufnahme in Meiningen gewesen war. Auch der Herzog von Sussex zeichnete mich sehr aus und unterhielt sich viel mit mir.« So ward denn auch hier Spohr's echte deutsche Würdigkeit im Gefühl des eigenen Werthes das Zeichen zum Durchbruch einer würdigen gesellschaftlichen Aufnahme wahrer Künstler auch in England.
Sein Benefice-Concert war, gewiß zum großen Theile auch infolge dieses männlichen Benehmens eines der glänzendsten und besuchtesten der ganzen Saison: auch Lindley und Dragonetti, aus Beethovens Leben bekannt, wirkten dabei mit. Er erzählt dann noch von der Unterrichtsmethode Logier's, der in London eine Lehranstalt hatte und bewundernswerthe Erfolge gerade in der Harmonielehre erzielte: sein Lehrbuch war das erste, wodurch wenig Jahre später Richard Wagner zuerst in die Geheimnisse dieser Kunst einzudringen versuchte. Daraus kehrte er mit seiner Frau, die mit ihrem Harfenspiele ebenfalls höchlich bewundert worden war aber dasselbe zu ihrem großen Leidwesen aus Rücksichten auf ihre Gesundheit gänzlich aufgeben mußte, aufs Festland zurück.