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8. Jessonda

(1822-1823.)

Im Herbst 1821 zog Spohr nach Dresden. Dort traf er abermals mit Weber zusammen, der ihn aufs herzlichste empfing und in alle musikalische Cirkel einführte. Wichtiger aber als diese Neuanregung zur Composition von Kammermusik ward ihm und uns die Aufführung des Freischütz, die eben damals in Dresden stattfand, denn sie führte zu der Entstehung von Spohrs poesievollstem Werke, der Jessonda.

»Da ich das Composionstalent Webers bis dahin nicht sehr hoch hatte stellen können,« erzählt er, »so war ich begreiflicherweise nicht wenig gespannt, diese Oper kennen zu lernen, um zu ergründen, wodurch sie in den beiden Hauptstädten Deutschlands einen so enthusiastischen Erfolg gefunden habe. Die nähere Bekanntschaft mit dem Werke in den Proben löste mir das Räthsel ihres ungeheuren Erfolges freilich nicht, es sei denn, daß ich ihn durch die Gabe Webers für die Fassungskraft des großen Haufens schreiben zu können, erklärt finden wollte. Da mir nun diese Gabe von der Natur versagt war, so ist es schwer zu erklären, wie mich demungeachtet eine unbezwingliche Lust anwandeln konnte, mich von neuem in einer dramatischen Composition zu versuchen. Aber es war so! Kaum zu Hause angelangt suchte ich aus meinem Koffer eine halbvergessene Arbeit hervor, die ich bereits in Paris begonnen hatte. An einem langweiligen Regentage, der in dem kothigen Paris jedes Ausgehen unmöglich macht, bat ich meine Wirthin um Lectüre. Sie brachte mir einen alten schon ganz zerlesenen Roman ›Die Witwe von Malabar‹. Ich fand, daß der interessante Stoff derselben sich recht gut zu einer Oper eignen würde und erstand das Buch für einige Sous. Ich hatte schon einen Scenenentwurf begonnen. Jetzt überarbeitete ich denselben mit erneutem Eifer, bestimmte aufs genaueste, was in jeder Scene geschehen sollte, und suchte nach einem Dichter. Ich fand ihn in Eduard Gehe. So entstand die Dichtung der Oper Jessonda.«

Ihr Inhalt ist ein in seiner Einfachheit rührender. Eine Fremde, die in der Jugend den Portugiesenführer Tristan kennen und lieben gelernt hat, ist wider ihren Willen an einen greisen Rajah verheirathet gewesen und soll nun mit seinem Leichnam verbrannt werden. Ein Brahmine Nadori, der ihr den Tod verkündigt, wird von ihrer und ihrer Schwester Amazili Schönheit so sehr ergriffen, daß sein Herz ihnen Theilnahme und Hilfe zuwendet. Tristan ist zur Wiedereroberung des indischen Gebietes zurückgekehrt und hat während der Verbrennungsfeier Waffenstillstand zugesagt. Bei der vorausgehenden Ceremonie erkennt er Jessonda wieder und ist nun in Verzweiflung sie nach dem erneuten Besitze für immer verlieren zu sollen. Allein sein Wort bindet ihn. Da verräth der Brahmine, daß die Indier die fremden Schiffe heimlich anzünden wollen: so ist er frei und rettet Jessonda und ihre Schwester, die des helfenden Brahminen Gattin wird.

Die Composition dieses zu mancherlei Situationen und Spielen ausgesponnenen Textes ward freilich zunächst noch hinausgeschoben: er erhielt durch den Einfluß Webers die Berufung nach Cassel, wo heute sein Denkmal steht. Denn wie Mozart zu Wien, Weber zu Dresden, so gehört Spohr zu Cassel, er hat es zeitlebens nicht wieder verlassen. Weber hatte nach seiner schönen Denkungsart nicht vergessen, daß Spohrs höhere technische Ausbildung auch ihm einst zugute gekommen war. Schon an jenem Tage, als die Oper für Wien bestellt wurde, die sein Schmerzenskind aber auch das Juwel seiner Werke werden sollte, die Euryanthe, hatte er mit Spohr bei schäumendem Wein auf deren Heil angestoßen, und wenn auch nicht das »Compositionstalent«, den echten Künstler in Weber wußte auch Spohr zu erkennen und zu würdigen. Da Weber, an den der Ruf nach Cassel ursprünglich ergangen war, demselben nicht folgen wollte, weil er mit seiner Stellung in Dresden zufrieden war, so empfahl er Spohr und dieser ward denn kurz darauf wohlbestallter kurfürstlich hessischer Hofcapellmeister auf Lebenszeit.

In dem gleichen Jahre 1822 wurde denn auch in der behaglichen Sicherheit seines jetzigen Daseins die Jessonda componirt. »Ich war in der letzten Zeit mit einer neuen Oper so eifrig beschäftigt, daß ich darüber alles Andere ein wenig vernachlässigt habe,« schreibt er im Januar 1823 an einen Freund. »Nun ist sie fertig und ich bin recht froh, eine so bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn ich von dieser Oper mehr erwarte als von den früheren, so stützt sich dies auf meine vermehrte Erfahrung und auf die Begeisterung, mit der das wohlgerathene Buch mich fast bei jeder Nummer erfüllte. Um nie anders als in Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen, habe ich mir bei dieser auch mehr Zeit als bei allen früheren gegönnt.« Die erste Aufführung fand am 28. Juli zum Geburtstage des Kurfürsten statt. »Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung der Jessonda etwas zu erfahren,« schreibt er weiter. »Dieser Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde ohne es zu wollen doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effect war groß! Es ist hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Aeußerungen des Beifalls angehört wird. Dies hatte diesmal auch so sein sollen. Aber schon vor Ende des ersten Actes brach ein stürmischer Beifall los und nun war die Etiquette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war vorzüglich. Chöre und Orchester, Scenerie, Tänze, Schaugefechte, Decorationen, Kleider, alles vortrefflich. Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten sehr gefallen wird.«

Dies Letztere hat sich erfüllt: die Jessonda lebt noch heute, und zwar trotz all des Bunterleis der Scene, das Spohr da selbst aufzählt und das uns so gut wie seine Bezeichnungen »Buch« und »Nummern« völlig aus den Standpunkt der alten Oper zurückstellt, sie lebt durch das aufrichtig warme Gefühl, das diese einzelnen Nummern beseelt, und den Adel der Sprache, den alles in ihr hat. Ja, an einzelnen Stellen wie in dem noch heute so beliebten Duett zwischen Amazili und Nadori breitet die schönste Seele völlig ihre Schwingen aus, und in der Todkündigung Nadoris ist etwas von der erhabenen Ruhe, mit der bald Wagner sogar all diese Vorbilder von Gluck über Mozart bis zu Spohr im Dramatischen übertreffen und die volle Weihe des Antiken wiederherstellen sollte. Im ganzen Tone erinnert das Werk ebenso an Gluck wie an Mozart, hat die gleiche edle Sentimentalität, wenn auch mit Hilfe des Chromatischen um ein Bedeutendes sentimentaler, wodurch denn die besondere Bezeichnung »Spohrsches weiches Chroma« entstanden ist. Im übrigen ist es gerade das größere »Compositionstalent« Spohrs, was dem Werke die entscheidende Bedeutung vorenthält und die stete Fortdauer geraubt hat: es ist eben eine »Oper«; die Situationen sind zu musikalischen Einzelbildern zertheilt, die im Grunde nur Musik sind und wenn sie auch gesungen erst völlig erklingen, dennoch im Grunde ebenso gut irgend einem Instrumentalwerke angehören könnten als sie gesungen werden. Doch hat das Ganze einige gute Fortschritte, die einzelnen »Nummern« sind häufig in einander übergeleitet und so in das Ganze mehr Fluß gebracht als die hergebrachte Oper hatte. Und in der leisen Benutzung des »Leitmotives« zeigt sich das Bestreben, auch für das rein sinnliche Gefühl einen fühlbaren Zusammenhang herzustellen, sodaß das Werk der Kunstgeschichte zweifellos angehört und Spohrs Namen darin für immer aufgestellt hat.

Gerade was an »Compositionstalent« dem edlen Weber mangelte, nöthigte und befähigte ihn auf gleiche Weise, aus den Grenzen seiner Persönlichkeit herauszutreten und den Dingen, mit denen er da dramatisch zu thun hatte, näher auf den Leib zu gehen. Während daher Spohrs Gestalten in einer gewissen Passivität des bloßen Fühlens verharren und daher einander sosehr gleichen, daß der Eindruck der Monotonie bei seinen Opern nicht überwunden wird, blitzt in Webers Partituren, vorab im Freischütz und im Oberon oft geradezu blendend der Genius auf, und dies manchmal mit überraschend geringer Benutzung der unerschöpflichen Mittel des Melodischen, Rhythmischen, Harmonischen oder auch blos Instrumentalen. Dazu kommt, daß die unausgesetzte Verwendung der hergebrachten Formen Spohr auch gar zu oft in gewisse Wendungen, Redensarten und Verbrämungen verfallen läßt, die in ihrer stehenden Weise am allerwenigsten mit dem scharf Charakterisirenden und lebhaft Fortschreitenden des Dramas zu thun haben. Daher gerade er denn auch gleich dem ihm nach dieser Seite hin höchst verwandten Händel, dem ebenfalls die mechanische Cadenzirung stets so verführerisch nahe lag, am meisten dem geistreichen Spott ihres doch gewiß aufrichtigen Verehrers Wagner verfällt, – man denke nur an die Meistersinger! Allein dieser etwas breit behagliche, gemüthlich-bürgerliche Ton, dieses Sichhineinweben in die eigene Empfindung, während da draußen die Welt laut tost und braust und ebenso ewig neu gebiert wie zerstört, er ist immerhin eine Idealisirung des ewig bedürftigen Tagesdaseins, wie sie selbst die der Kunst Beflissenen nur selten besitzen, und was uns Wagner an Echtem, Tüchtigem und Erhebendem in seinem Hans Sachs zeichnet, Spohr war dies in völliger Wirklichkeit. Dieser verklärende Engel seines ganzen Daseins aber ist in wahrhaft lieblich holder Erscheinung seine Jessonda. Daher sie uns dauernd geweiht bleibe!


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