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(1822-1823)
»Jeden Schmerz soll ich empfinden,
Selbst im Spiel der Phantasie
Noch zuletzt Verzweiflung finden!«
Preciosa.
»Er erschien als kleiner schmalbrüstiger Mann mit etwas langen Armen, schmalem, sehr blassem Gesicht, aus dem sehr lebhafte Augen unter einer starken Brille hervorblitzten,« heißt es in der Biographie Webers nach der Schilderung alter Mitglieder der Dresdener Capelle. »Den meist ernsten Mund umspielte, wenn er freundlich sprach, ein wahrhaft bezauberndes Lächeln, und bei Momenten, die ihn ergriffen, neigte er den Kopf leicht auf die Seite, was den starren Zügen etwas Weiches und Lauschendes lieh. Er war in einen blauen Frack mit blanken Knöpfen, enganliegenden Beinkleidern und Suwarowstiefeln mit Quasten gekleidet. Ein stets tadellos sauberes weißes Halstuch mit gestickten Zipfeln, in denen eine schöne Brillantnadel steckte, umgab den Hals. Ueber alle dem trug er einen löwengelben Mantel mit mehreren Kragen und einen runden, aber etwas breiten Hut. Nichts an ihm zeigte das Bestreben, den Künstler kund zu geben. Es war leicht, Weber auf der Straße oder im Salon zu übersehen, – einmal bemerkt aber, fesselte er durch die Feinheit und geistige Eleganz seiner Erscheinung mit fast magnetischer Kraft.«
So müssen wir uns unseren Künstler also aufs neue und zwar jetzt als berühmten Mann in Wien auftretend denken, das damals vor Berlin unbedingt die feinere und tiefere Bildung in seiner Sphäre voraus hatte. Denn wenig Wochen nach der Aufführung des Freischütz in Wien hatte das kaiserliche Theater bei ihm eine deutsche Oper bestellt. Wie hatte aber hier auch der Freischütz, und zwar trotz einer textlichen Verstümmelung bis ins Lächerliche hinein, zündend gewirkt! »Wunder über Wunder! In unserer mit Recht verrufenen Afterkunstperiode hat Webers Freischütz einen eminenten Sieg davon getragen und einen Enthusiasmus hervorgebracht, der bei jeder Wiederholung gleich einer ins Thal rollenden Lawine sich vergrößert,« schrieb die Leipziger Musikzeitung. Und Beethoven faßte wohl den vollen Sinn dieser Begeisterung über den naturnahen Ton des Deutschen, der hier auch in der Kunst der Töne erneut worden war, mit den Worten gegen Rochlitz zusammen: »Das sonst weiche Männel, ich hätt's ihm nimmermehr zugetraut. Nun muß der Weber gerade Opern schreiben, eine über die andere, und ohne viel daran zu knaupeln! Der Kaspar, das Unthier, steht da wie ein Haus; überall, wo der Teufel die Tatzen hereinsteckt, da fühlt man sie auch.« Alle Stimmen vereinten sich zum Lobe des »denkenden originellen, wahrhaft genialen Componisten, der das Vaterland gerade in dem Moment des dringendsten Bedarfs mit dieser köstlichen Geistesgeburt beschenkt habe.« Sollte da die deutscheste der deutschen Städte von damals, die Kaiserstadt, nicht voran sein, der deutschen Oper endlich auch ganz und für immer in voller Würdigkeit die Stätte zu bereiten?
Es hat sich bewährt, dieses frische und sichere Zugreifen im Ganzen und Rechten. Denn wenn auch nicht Euryanthe selbst, – es war der aus ihrem Geist und Meinen entsprungene Lohengrin, mit dem uns für immer das wirkliche musikalische Drama geboren ist, und somit bildet die Erschaffung der Euryanthe den wichtigsten Durchgangspunkt der deutschen Oper und den entscheidenden Höhepunkt in Webers eigenem Leben und Schaffen. Wie der Morgenstern der Sonne geht Weber Wagner voran.
Wir kommen also zur Entstehung dieses Werkes.
Am meisten hatte es Weber verdrossen und geschmerzt zugleich, daß man beim Freischütz achselzuckende Bemerkungen über »formale Unvollkommenheiten« gemacht hatte, die seiner »halbdilettantischen Ausbildung« zugeschrieben wurden. Er betrachtete den Wiener Antrag daher als ein Zeichen seines guten Geistes: denn eine Oper für das Kärnthnerthor-Theater konnte nur eine »durchgesungene«, eine große heroische sein. Mit erhobenen Champagnergläsern stieß er an diesem 11. November 1821, an dem der Brief ankam, mit dem gerade bei ihm zu Tische weilenden Spohr, dem einzigen der deutschen Capellmeister, der den Sternenlauf R. Wagners schon aus dessen Holländer ahnen sollte, auf das frohe Ereignis an. Freilich die Hauptschwierigkeit dämmerte sofort auf: wo einen guten Text finden? Mit Kind war er wegen dessen übertriebener Empfindlichkeit zerfallen. Da kam ihm Helmine von Chezy, die Enkelin der Karstin, in den Weg und im Eifer der »Textjagd« ging er diese mehr äußerlich fertige als innerlich reiche Poetin an, ihm Stoffe zur Auswahl vorzulegen. »Romantisch« mußten dieselben natürlich sein, denn auch sie ging ganz in den Spuren der damals erblühenden romantischen Schule Schlegels und Tiecks, und er selbst war es denn, der von allen vorgelegten Stoffen denjenigen wählte, der am wenigsten dramatisch war: eben dadurch sollte diese Euryanthe sein Schmerzenskind werden.
Bei einem Siegesfeste am Hofe Karls des Dicken singt Adolar von Nevers, vom Könige aufgefordert, ein Preislied auf die Reine und Treue der ihm angelobten Euryanthe (»Unter blüh'nden Mandelbäumen«). Die Ehre, die der schüchterne blonde Held damit erntet, reizt Lysiart von Forest, zur Verspottung erst seiner Kunst, dann seines Glaubens an die Geliebte, und der heftige Streit treibt ihn, Hab und Gut daran zu sehen, daß er ein Zeichen der Untreue von ihr gewinne. Der König ist schwach genug, die schlimme Wette zu dulden, und Adolar spricht: »Ich bau' auf Gott und meine Euryanth',« wozu die Ritter und Frauen den Segen von oben erflehen.
Euryanthe weilt in Nevers, voll banger Sehnsucht den Geliebten erwartend (»Glöcklein im Thal«). Sie hat eines verbannten Edlen Tochter, Eglantine, als Freundin aufgenommen, und diese, die selbst Adolar liebt, aber von ihm zurückgestoßen ward, weiß ihr in solcher schwachen Stunde das Geheimnis Adolars zu entlocken, dessen Schwester Emma, als sie den Geliebten Udo im Kampfe verloren, aus einem gifterfüllten Ringe Tod gesogen und nun schattenhaft durch die Nächte irrt: sie kann nur Ruhe finden, wenn diesen Ring »der Unschuld Thräne netzt im höchsten Leid«. Euryanthe bricht über ihre Unvorsicht in schmerzliche Klage, Eglantine aber in den höchsten Jubel der Rache aus. Graf Lysiart erscheint dann, um sie zum König zu geleiten und wird von Euryanthe mit dem vollen Zauber anmuthig unschuldiger Fröhlichkeit empfangen.
Der zweite Act zeigt ihn in Verzweiflung, dieser Unschuld wirklich nahe treten zu können: dies steigert seine neidische Bosheit bis zur Wuth des Zertrümmerns solchen Liebesglücks. Da kommt Eglantine, die der Gruft Emma's den verhängnisvollen Ring geraubt hat, und als Lysiart ihrem Selbstgespräche darüber gelauscht hat, beut er ihr für diese Entdeckung Herz und Hand. Sie geloben sich gegenseitig feierlich Rache: »dunkle Nacht, du hörst den Schwur.«
An den Hof zurückversetzt, hören wir Adolars Sehnen und Bangen, Euryanthe erscheint dann. »Hin nimm die Seele mein!« geht Beider Gesang. Den Preis ihrer Pracht und Anmuth unterbricht darauf zum jähen Schrecken aller Anwesenden Lysiarts Wort gegen den König: »Die Lande Adolars sind mein!« Euryanthe steht stumm verwundert, Adolar vertraut dem Engel, der aus ihrem Antlitz spricht, und ruft zur Fehde, bis Lysiart den Ring zeigt, den sie ihm in holder Stunde geschenkt habe. Euryanthe ruft bebend zu Gott, Adolar wirft ihm List vor. Doch: »die Gruft nur kannte Emma's Thaten«, und Euryanthe muß zugeben, den Eid des Verschweigens gebrochen zu haben. Nun ist die Verzweiflung Adolars Theil: »nimm alles alles hin, mein Leben mit,« ruft er Lysiart zu. Auch des Volkes Stimme wendet sich gegen die unschuldige Holde: Adolar zieht unter diesem allgemeinen Ausbruch gegen das »gleißende Bild« die wehrlos Entsetzte, die sich in dem Sturm der Leidenschaften nicht zu vertheidigen vermag, mit sich in die fernste Oede fort.
Der dritte Act zeigt uns Beide im düstern Walde irren. Ihr rührendes Bitten vermag den Wahnbethörten nicht zu erweichen: sie hat das heiligste Vertrauen entweiht, hier soll sie sterben. »Mein letzter Hauch ist Segen für dich!« ruft sie aus. »Weh, daß ich muß dein Richter sein!« klagt er. Da dringt in den Ausbruch ihrer beiderseitigen Schmerzen eine andere Noth: eine fürchterliche Schlange will sich auf Adolar stürzen. Euryanthe will mit ihrem Leben das seine schützen, aber sein Gottvertrauen erlegt das Ungeheuer, und jetzt, da sie für ihn hat in den Tod gehen wollen, kann er ihr Richter nicht mehr sein, er läßt sie im Walde allein.
Sie ergiebt sich demuthvoll in ihr Geschick: die Weide und die Blume am Bache sollen dem stets Geliebten einst noch zurufen: »Nein, sie verrieth dich nicht!« Da im Frühroth ertönt Hörnerschall. Des Königs Jagdzug naht, man erkennt Euryanthe und nun löst sich das Geheimnis. Der König gelobt den Höllentrug aufzuklären und das schöne Band neu zu knüpfen. Euryanthe bricht in einen Jubel aus, der in den Herzen der Ritter wiederhallt.
Adolar irrt derweilen, als Pilger verkleidet, voll Seelensehnsucht in der Welt umher. Er kommt nach seiner Väter Schloß und will unerkannt einer ländlichen Feier beiwohnen, wird aber von seinen Unterthanen erkannt, die ihn zur Befreiung des seufzenden Landes aufrufen. Ja er erfährt, daß mit Lysiart seine Feindin Eglantine im Bunde ist, und ahnt jetzt, daß Verrath gespielt hat. Die Beiden erscheinen dann zu ihrer Hochzeitsfeier. Eglantine erbebt in der Erinnerung ihrer fürchterlichen That, ihr Trauring ist mit Meineid, Blut und Thränen geschmiedet, ihr Gewissen verräth sie. Lysiart sucht sie als wahnsinnig darzustellen, allein Adolar tritt aus der Hütte, in die er sich mit den Landleuten zurückgezogen, hervor und alles Volk fällt ihm zu. Die beiderseitige Leidenschaft ruft aufs neue zum Gottesgericht, zum Kampfe, da tritt der König Friede gebietend hervor. Adolar ruft seine Hilfe an, allein: »dich segnend ist das treuste Herz gebrochen,« muß erhören. Eglantine braust in einem Freudenrausche auf und alles hört nun, daß durch sie Lysiart den Ring empfing, Lysiart sei nur Werkzeug ihrer Rache gewesen. Dieser stößt ihr den Dolch in die Brust. »Führt ihn zum Tode!« heischt der König. Jetzt wüthet Adolar gegen sich selbst als den Mörder der lieblichsten Unschuld. Da führen die Jagdfanfaren Euryanthe daher. »Hin nimm die Seele mein!« lautet da das Wonnetoben beider Herzen, dem alle Stimmen in gerührtem Entzücken zustimmen: »O Lust! Nach Todespein! Heil Euryanth', die treuste aller Schönen!« –
Auch für einen Anderen als den nach Opernglanzentfaltung dürstenden Weber hätte dieser Stoff manches Anziehende gehabt: nur mußte ausschließlicher Musiker und Melodist sein, wer hier Erfolg ernten wollte. Ritter und Edelfräulein, Mannen, Jäger, Landvolk, Hochzeitszug, dies alles gab Chorleben, wie es eben nur die Musik entfalten kann. Dann aber auch der besondere Charakter und moralische Inhalt des Ganzen. Das Deutsche, namentlich das mittelalterlich Ritterliche, in dem die Nationen noch ungeschieden dem gleichen Ideal der Ehre nachstrebten, war Carl Maria von Webers Eigengut, und wie das Eine sein Aufenthalt an den verschiedenen Höfen, so hatte ihn später die Zeit der Befreiungskriege das Andere auch als großen Volkston kennen lehren. Der Sieg der Unschuld und des Guten, sowie überhaupt der jugendliche Idealglaube, der einen Adolar zur schlimmsten Unbesonnenheit verführt und einer Euryanthe gerade vor der ungeheuerlichsten Anklage den Mund schließt, lagen in seiner eigenen deutschen Jünglingsnatur, die an Mozarts edelsten Gestalten erwacht, an dem »deutschen Jüngling« Schillers groß geworden war. Das Böse als Neid, Eifersucht, Rachgier hatte er wie jede Leidenschaft bei dem mehrjährigen Leben an dem fürchterlich verderbten Hofe in Stuttgart als vollste Wirklichkeit kennen gelernt. Das Hereinragen einer dämonischen Welt in unser so undämonisches Alltagssein ahnte er nach dem uralten Naturgefühl des Deutschen und dem Wiedererwachen einer tieferen Anschauung vom Zusammenhang der Dinge, als die bis dahin herrschende »Aufklärung« sie bot, mit so starker Sicherheit, daß selbst ein solches blos äußerliches, ja kindisches Spiel mit dieser Geisterwelt seiner reichen Phantasie- und Gefühlswelt das Bild eines wirklich Vorhandenen vorzaubern konnte: doch hat der Spuk mit Emma und ihrem Ringe nicht viel zu bedeuten und ist nicht entfernt wie Samiel und die Freikugeln für die Sache selbst entscheidend. Aber alle wesentlichen Seiten seines Charakters, seiner Begabung, seines Kennens der Welt und seines musikalischen Wissens und Könnens waren hier angeregt, beschäftigt, ja in Mitleidenschaft gezogen.
So stürzte er sich denn kopfüber in dieses Meer naiver Vorstellungen, aber für ihn wirklich vorhandener Zustände und Gefühle. Mozart sang in der Zauberflöte sein Glaubensbekenntnis: »Durch Nacht zum Licht!« Das dumpfe Pfaffenthum einer vorübergegangenen Zeit mußte hier der Religion einer auf dem Christenthume ruhenden allgemeinen Menschlichkeit weichen. Beethoven sang im Fidelio das Freiheitslied, das nur in seinem eigenen späteren Bekenntnis des höheren Gutes der inneren sittlichen Freiheit überstrahlt wurde. Auch Weber wollte das ganze Empfinden seiner deutschen Brust in einem Werke großen Stiles als sein Vermächtnis an seine Nation niederlegen. Die Hingebung an diese Euryanthe war grenzenlos. Des Künstlers Ruhm, nein ungleich mehr des Schaffens Götterwonne, die Ehre der deutschen Kunst gegenüber der herrschenden romanischen, die heiße Sehnsucht, seiner geliebten Frau mit ihrem Kinde eine gesicherte Stellung zu hinterlassen, – alles kam zusammen, um ihn hier sein Ganzes daran setzen zu lassen. Und dann, klopfte nicht bereits der Tod an die Thüre seines Daseins? Schon im December dieses Jahres zeigte sich die Brustkrankheit, die seinem Leben nach wenig Jahren ein so schrecklich jähes Ende bereitete. Erbleichend rief er beim Anblick des Blutes aus: »Wie Gott will!« Aber er wußte, was dieses letzte Symptom sagen wollte, und der Ernst, dem er damit ins Auge gesehen, machte ihn nur noch sicherer und ruhiger in seinem Thun, ja er konnte nach wie vor heiter und selbst ausgelassen sein.
Die Einzelnheiten der so entscheidenden ersten Aufführung der Euryanthe sind wieder recht mannichfaltiger Natur.
»Der 15. December 1821 ist als einer der wichtigsten Tage in Webers Kunstleben zu betrachten: Helmine von Chezy brachte ihm den ersten Act der Euryanthe,« sagt sein Biograph. »Von diesem Tage an kann man seine Arbeit an dem Werke rechnen, welches als das vollendetste und größte seines Lebens seinem Genius die größten Geburtsschmerzen, dem Menschen Weber die schwersten Stunden seines Kunstlebens bereitet hat und der Ausgangspunkt einer neuen Aera in der Kunstwelt geworden ist.« Er weist selbst verlockendste literarische Anträge zurück. Dann wartet er nur die Aufführung des Freischütz ab, von der Holtei erzählt: »O mein Himmel, haben wir geschrieen, ich und meine Studenten und alle die Anderen alle alle: Weber! Weber! Weber! hoch! hoch!« und reist dann nach Wien ab, um die künstlerischen Verhältnisse dort möglichst genau kennen lernen und den Darstellern die Rollen so recht »auf den Leib schreiben« zu können.
»Weber ist in unseren Mauern. Alles drängt sich, den genialen Tonsetzer kennen zu lernen und ihm seinen Aufenthalt angenehm zu machen«, heißt es sogleich, und er selbst schreibt: »Es ist doch recht schön und ein eigenes Gefühl zu sehen und zu wissen, daß man seiner ganzen Zeit einen Stoß oder eine Richtung gegeben hat, die sich niemand bei dem herrschenden Geschmack erwarten konnte.« Es war die Zeit Rossini's, genugsam aus dem Leben Beethovens bekannt. Allein eben dieselben edel deutschgesinnten Männer, die Beethovens Kunst gegen die wälsche Woge zu schützen trachteten, standen auch auf Webers Seite, und als er gar im März 1822 selbst den etwas wiederhergerichteten Freischütz dirigirte und die »erste Agathe der Welt«, die junge Wilhelmine Schröder, der ganzen Welt bekannt als die Schröder-Devrient, darin auftrat, war der Enthusiasmus »beispiellos«. Er selbst rief dabei aus: »Der verteufelte Freischütz wird seiner Schwester Euryanthe verflucht schweres Spiel machen, und manchmal bekomme ich fliegende Hitze, wenn ich denke, daß der Beifall eigentlich nicht mehr steigen kann.«
Umsomehr fühlte Weber, daß er mit dem neuen Werke Höchstes leisten müsse, – »den Feinden ein kränkender Anblick, aber Wonne den Freunden«, hat sich Beethoven in der Odyssee angestrichen, – und dies ward für das Werk verhängnisvoll: er schuf hier zwar seine beste Musik, voll Schwung und Charakteristik, aber er machte zu viel Musik und versetzte dadurch dem Werke selbst einen tödtlichen Streich, indem er den ohnehin nicht sehr handlungsreichen Stoff zu peinlicher Länge auseinanderreckte, deren Gefahr er selbst nach den ersten Proben in dem bestehend gebliebenen Worte zusammengefaßt hat: »Ich fürchte, aus meiner Euryanthe wird eine Ennuyante.« Gleichwohl hat gerade sein genaues Studium des Wiener Musikgeschmackes dem Werke jenen edleren und tieferen Gehalt gegeben, der es zur Grundlage der deutschen dramatischen Musik machen sollte. Ein einziges Wort bezeichnet den Eindruck der Stadt Glucks, Mozarts und Beethovens, die schon zehn Jahre später seinen größeren Nachfolger Wagner wegen ihres seichtgewordenen Geschmacks anekelte, auf ihn. Er schreibt an seine geliebte Frau: »Also sie will das nächste Mal mit? Nun, das wäre eine schöne Fuhre. Ein kleines Weib, ein kleines Kind, ein kleiner Affe, ein großer Hund und ein großer Mann!!« Er hatte ihr den Aufenthalt in Wien gar sehr verlockend geschildert.
Der schöne Sommer von 1822 ward nun in der Frische des Elbufers zur Entwerfung des Werkes benutzt, das dann später zu seiner gesammten Aufschrift nur 60 Tage in Anspruch genommen hat. Man sieht, wie sehr seine ganze Seele dabei war. Wie einst Wagner in Paris durch den Freischütz, so ward Weber jetzt bei seiner Arbeit durch den mit der jungen Schröder »in hinreißender Wirkung« gegebenen Fidelio beseelt, – »dieses mächtig für deutsche Größe und Tiefe des Gefühls zeugende Werk«, wie er selbst an den Wiener Großmeister schreibt, der ihn darnach auch als »seinen lieben Freund« erfaßte und ihm in diesem Sommer seine soeben erschienene Sonate Op. 111 und die Variationen Op. 120 zusandte. Auch der Sommer 1823 fand ihn wieder auf dem Lande. »O Hosterwitz, o Ruhe, Ruhe!« schreibt er. Er konnte sich mit dieser Arbeit nicht genugthun und rief manchmal in seiner tiefen Ermüdung aus: »Ich wollt', ich wär' ein Schuster und hätte meinen Sonntag, und wüßte nicht gix noch gax von Cdur und Cmoll!« Ende August war das Werk vollendet und im September weilte er weder in Wien.
»Niemals hat Webers böser Stern senkrechter in seinem Zenith gestanden als zur Zeit, da er seine Euryanthe nach Wien brachte,« sagt sein Biograph, und in der That es war so. Barbaja, der die deutsche Euryanthe bestellt hatte, besaß damals die vollendetste italienische Truppe, die seit 1785, als Mozart den ja ebenfalls ursprünglich italienischen Figaro schrieb, Wien gesehen hatte: es genügen die Namen Fodor, Lablache, David. Dazu weilte Rossini damals selbst in Wien: der Kampf zwischen beiden Lagern wurde mit ihren allerersten Heerführern geführt. »Wenn es diese verfluchten Kerle schon so weit bringen, daß solches nichtswürdige Zeug mir zu gefallen anfängt, da mag es der Teufel dabei aushalten,« hatte Weber nach einer Aufführung der Cenerentola von Rossini ausgerufen. Er gab aber seinen Kampf nicht auf, nahm ihn vielmehr, er, der kränkliche Mann, hier mit noch weit größerer Energie auf als schon mit dem Freischütz in Berlin.
Auf seiner Seite stand aber auch die Bildung der Stadt, als geschlossene Macht hauptsächlich in der »Ludlamshöhle« vertreten, die ihn als »Agathus der Zieltreffer« zu ihrem Mitglied machte und sogar als einzigen der Ludlamiten zum »Edlen von Samiel« ernannte. Die persönliche Erscheinung, die wir im Eingange kennen lernten, wirkte wesentlich dazu mit, daß ihm in diesem geselligen Vereine alle Herzen zuflogen. Auf seiner Seite stand auch als ein Achilles in den Reihen der Streiter der große Beethoven, der sich selbst eben damals mit Grillparzers Melusine trug. »Es freut mich, daß Sie wieder ein deutsches Werk bringen, ich habe viel Gutes von Webers Oper gehört,« hatte er zu seinem Verleger Haslinger gesagt, und nun suchte ihn Weber, der ihm von früher her schon »gut bekannt« war, mit einigen Freunden im October im nahen Baden wieder auf. »Da bist du ja, du Kerl, du bist ein Teufelskerl. Grüß dich Gott!« so empfing ihn der ertaubte Altmeister seiner Kunst und zog ihn dann nach kurzer Auseinandersetzung auf der Schreibtafel in sein Gasthaus. »Wir brachten den Mittag mit einander zu, sehr fröhlich und vergnügt,« schreibt Weber. »Dieser rauhe zurückstoßende Mensch machte mir ordentlich die Cour, bediente mich bei Tische mit einer Sorgfalt wie seine Dame. Kurz, dieser Tag wird mir ewig denkwürdig bleiben. Es gewährte mir eine eigene Erhebung, mich von diesem großen Geiste mit so liebevoller Achtung überschüttet zu sehen.« Nach dem Texte fragend, den Weber »ganz erträglich, voll schöner Stellen« genannt hatte, rief Beethoven auf das Kopfschütteln eines der Gäste aus: »Immer die alte Geschichte, die deutschen Dichter können keinen guten Text zusammenbringen!« Beim Abschiede küßte er Weber mehrere Mal: »Glückauf zur neuen Oper!« Weber war tief bewegt.
Nun kam die Aufführung.
Die Hingebung aller Mitwirkenden schon bei den Proben war begeisternd für ihn. »Es ist kein Auge, das bis jetzt nicht wenigstens einmal sich mit Thränen gefüllt hätte. Das sind denn doch schöne lohnende Momente!« schreibt er. Einmal stieg der Enthusiasmus so hoch, daß sich alles um ihn drängte und ihm außer sich die Hände küßte. Sein bewundernswerthes Dirigententalent wußte aber auch alles zu elektrisiren. Da begreift sich des jungen Wagner unwillkürlicher Ausruf, als er in Dresden diese Wirkung auf die Menschen erlebt hatte: »Nicht König und nicht Kaiser, aber so dastehen und dirigiren!« Er hat diese Schule genutzt wie keiner. Ebenso war im Publikum allseitig hohe Erregung. »Die Worte sind verpönt, glücklich, daß die Töne noch frei sind,« schreibt zwei Jahre später ein Freund Beethoven auf. Die Kunst war damals das einzige öffentliche Leben in Oesterreich, eine neue Oper ein Ereignis, wenn auch noch nicht in dem hohen Sinne unserer Tage.
Bei der Aufführung, am 25. October 1823, brachte schon sein Erscheinen im Orchester eine stürmische Begrüßung hervor. Die Stimmung der Zuhörerschaft war die denkbar günstigste, es hatten sich eben alle Verehrer ernster deutscher Kunst eingefunden, doch fehlte auch die italienische Partei nicht. Trotz aller Beifallrufe und Wiederholungen war aber der Gesammteindruck nicht entfernt der eines Sieges. Vom Don Juan hatte es geheißen: »Er gefiel nicht!« Die Zauberflöte war in einem Vorstadttheater entstanden, das allerdings so populär war wie Philipp Reclams Universalbibliothek und bald auch das Werk in diesen Kreisen populär machte. Beethovens Fidelio hatte in Wien ebenfalls Jahre gebraucht, um wirklich gewürdigt zu werden. Auch für die Euryanthe war die Zeit noch nicht da. Jedoch das Genußleben der Restaurationsperiode, der vor allem der liebenswürdige Maestro Rossini den künstlerischen Ausdruck verlieh, überlebte sich bald und siehe, gerade an diese Euryanthe knüpfte sich auch in der Oper der ernstere Gehalt und Ton an, der zu den Erfolgen unserer Tage in Leben und Kunst, zum Erwachen der deutschen Kunst, zum Wiedererstehen des deutschen Reiches führte. Weber selbst ahnte den tieferen Grund des Stummbleibens seiner Zeit und Nation bei seinem ernstesten und größten Werke. »Die eigentliche Andacht der Hörer und Ausführer ist fast so gänzlich erloschen, man will von der Kunst nur gleich einer Bajadere gekitzelt sein, daß ich mich ordentlich wundere, wenn's einmal irgend wo anders ist und ein ernstes Streben wirklich eingreift,« schreibt er im nächsten Frühjahre an seinen Freund Danzi in Stuttgart. Und welche Aufrufe hat erst sein Nachfolger Wagner an seine Nation richten müssen, um sie aus dem Todesschlafe ihrer Theatergenüsse zu erwecken. Wie deutlich aber Weber das Ziel, das dieser durch ein mehr als doppelt so langes Mühen und Streben erreichte, vor Augen sah, geht aus seinem Schreiben nach Breslau hervor, wo man das Werk zur Concertaufführung gewünscht hatte. »Euryanthe ist ein rein dramatischer Versuch, seine Wirkung nur von dem vereinigten Zusammenwirken aller Schwesterkünste hoffend, ihrer Hilfe beraubt sicher wirkungslos!« Nur hatte er selbst des Guten zu viel gethan, indem seine zärtliche Liebe für die holde Muse der Tonkunst derselben gerade in diesem Werke dennoch das Uebergewicht, sogar nach Seite der stehenden Formen, gegeben und so das erstrebte Gleichgewicht durch gegenseitiges Aufgeben bei den einzelnen Factoren des Ganzen aufgehoben hatte. »Herr Weber hat sich dabei zu viel Mühe gegeben,« soll beim Durchgehen der Partitur auch Beethovens Urtheil gelautet haben.
Gleichwohl erkannten die gewichtigsten Stimmen der Kaiserstadt, daß es wirklich ein Ereignis war, was man hier erlebt hatte. Beethovens Freund Kanne tadelt das Tadelnswerthe der Stoffbehandlung, erkennt aber die schöne Färbung des Ganzen und die edle Charakterzeichnung an. Ritter Seyfried, ebenfalls aus Beethovens Leben bekannt, beklagt das Mühsame und Absichtliche der musikalischen Arbeit, was die alte Melodienfülle Webers beeinträchtigt habe, hebt aber die größere Vollendung des eigentlichen Kunstwerkes und besonders die hohe ernste Weihe der Schönheit der gesammten Musik hervor. Haydns Freund Griesinger bezeichnet den Abend der Euryanthe geradezu als den Morgen der neuen dramatischen Musik und schilt die Wiener, die nicht einstimmig das Werk vergöttern wollten, weil man nicht aus allen Stücken Walzer machen könne. Er bezeichnet dasselbe als rein heroisch und tief original, als einen hellen Juwel in Deutschlands musikalischer Ehrenkrone: »da ist kein Anklang aus früheren Werken, nein nur Töne von Gott selbst angehaucht!«
Dieser Anschauung von dem Werke setzte dann im Jahre 1845 Wagner selbst ein würdigstes Denkmal, indem er die von London zurückgeführte Leiche des edlen deutschen Meisters mit einem Trauermarsch aus der Euryanthe zu Grabe geleitete. »Lieblichkeit, Unschuld, Liebe, Zorn und Rache« und was alles Weber hier als Nuancen und Stadien des menschlichen Lebens geschildert hatte, bildete eine ebenso lebensvolle wie ergreifende Schilderung seines eigenen Charakters und Wollens in der Kunst.
Andere Stimmen in Wien sprachen anders, darunter auch der liederreiche Franz Schubert, der allerdings wegen seiner Oper Alfonso von Weber selbst etwas scharf angelassen worden war. Auch Grillparzer meinte zu Beethoven: »Mehr Poesie als Musik! – Die Welt hat ihre Unschuld verloren. – Die Losung unserer Tage ist Kritik, Weber ist ein kritischer Componist.« Man glaubt die heutigen Poeten über R. Wagner zu hören. Gar bald besiegte der Glanz der Italiener das neue deutsche Werk, den wohl die besseren Elemente Wiens, aber nicht die zahlreiche Bevölkerung zugejauchzt hatte: schon nach der achten Vorstellung war das Haus halb leer, und als dann Conradin Kreutzer noch gar ein ganzes Sechstel des Werkes gestrichen hatte, war das Publikum degoutirt und die Oper mußte nach zwanzig Vorstellungen – zurückgelegt werden.
Trotz alledem aber hat Weber mit seinem Worte »Ich bau' auf Gott und meine Euryanth'« für die Zukunft Recht behalten.