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(1824-1826)
»Es ist die Zierde des Mannes, der Sklave
seines Wortes zu sein.«
Weber.
»Nie ist, so lange es Opern giebt, ein Werk verfaßt worden, in welchem die inneren Widersprüche des Genres von einem gleich begabten, tief empfindenden und wahrheitliebenden Tonsetzer bei edelstem Bestreben, das Beste zu erreichen, consequenter durchgeführt und offener dargelegt worden sind. Diese Widersprüche sind: absolute, ganz für sich allein genügende Melodie und durchgehends wahrer dramatischer Ausdruck,« sagt R. Wagner in dem Buche »Oper und Drama«. »Hier mußte nothwendig Eines geopfert werden, die Melodie oder das Drama. Rossini opferte das Drama; der edle Weber wollte es durch die Kraft seiner sinnigeren Melodie wieder herstellen. Er mußte erfahren, daß dies unmöglich sei. Müde und erschöpft von der qualvollen Mühe seiner Euryanthe versenkte er sich in die weichen Polster eines orientalischen Märchentraumes; durch das Wunderhorn Oberons stieß er seinen letzten Seufzer aus.«
Weber schreibt am 1. März 1824 an seinen Freund Danzi in Karlsruhe: »Die Erwartungen der Masse sind durch den wunderbaren Erfolg des Freischütz bis zum Unmöglichen hinaufgewirbelt worden, und nun kommt das einfach ernste Werk, das nichts als Wahrheit des Ausdrucks, der Leidenschaft und Charakterzeichnung sucht und alle mannichfache Abwechslung und Anregung seines Vorgängers entbehrt. Nun wie Gott will!« Dagegen fand die würdige Aufführung des Werkes, das die »Wiege der neuen Schule in der Musik« werden sollte, am 31. in Dresden auch eine wahrhaft würdige Aufnahme. »Es ist nur eine Stimme darüber, um wie vieles höher diese Oper als der Freischütz stehe,« schreibt er selbst an Lichtenstein in Berlin. » Tieck unter anderm sollte nach der Oper in Gesellschaft gehen, erklärte aber, daß sein Gemüth zu sehr erfüllt sei: es seien Sachen darin, um die mich Gluck und Mozart beneiden müßten.«
Um so tiefer fühlte er jetzt den Werth anderer wahrhaftigen Kunsterzeugnisse. »Welch herrliches Werk, welche Frische, jugendliche Glut, tiefes Studium und erhabene Meisterschaft!« schrieb er nach einer Aufführung der »Jahreszeiten«, und von einer Aufführung des »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt« im Messias sagt die Biographie: »Er, der alle öffentlichen Gefühlsdarlegungen scheute, kämpfte lange mit den ihn bestürmenden halb religiösen, halb künstlerischen Erschütterungen, doch plötzlich mußte er den Tactstock niederlegen, beugte das Haupt aufs Pult und vergoß einen Strom von Thränen.« Sonst war in sein eigenes Schaffen eine Pause eingetreten. Tiefe geistige Ermüdung war der Ueberanstrengung mit der Euryanthe gefolgt. »Ich huste und faulenze,« sagte er zu den Freunden und an Caroline schrieb er aus Hosterwitz: »Freilich ist das Geld auch eine schöne Sache! Ich will es aber lieber still allein für mich hin arbeitend erwerben. Wenn ich nämlich wieder einmal Gedanken kriege! Jetzt fällt mir noch gar nichts ein und es kommt mir vor, als hätte ich nie etwas componirt. Am Ende sind die Opern gar nicht von mir!« Er begann sein frühes Ende zu ahnen und die heiße Liebe zu den Seinen ließ ihn den Gedanken nicht loswerden, ihnen durch seine geistige Arbeit eine dauernde Sicherheit zu hinterlassen. Dies bestimmte fortan sein Handeln mehr als sein Ruhm, und nur dem freien Walten seines Genius war es möglich, auch bei dem ferneren künstlerischen Schaffen seine Schwingen nicht verletzt, sondern sogar noch höher entfaltet zu sehen.
Im August 1824 aus Marienbad heimgekommen, fand er den Antrag des Pächters von Convent-Garden in London, des vortrefflichen Schauspieler Kemble vor, eine Oper zu schreiben und Freischütz und Preziosa zu dirigieren. Hier war Aussicht auf beides, Ruhm wie Geld, eröffnet. Kemble schlug Faust und Oberon vor. Weber ergriff den letzteren, der seiner Natur so recht entsprechend war, und er lernte, er, der fast vierzigjährige kranke Mann, englisch, um im Geiste dieses Volkes schreiben zu können. Die erneute Hoffnung belebte auch seinen körperlichen Organismus. Sogar dem amtlichen Aerger, der »wie ein Geier ihm am Herzen fraß«, vor allem mit dem Jagdjunker von Lüttichau, der Intendant geworden war, – es ist derselbe, dem Wagner in seiner Schrift »Deutsche Kunst und deutsche Politik« ein Denkmal gesetzt hat, – wußte er durch Humor zu begegnen. Nach einer erneuten Portion solcher überflüssigen »Nasen« erschien er auf einem Balle in drolligster Maske und flüsterte den Fragenden zu: »Ich habe die Nasenkrankheit. Ein schreckliches Leiden! Alle Nasen, die ich bekomme, wachsen mir am Leibe heraus. Gehn Sie fort, sie steckt an!« Wie er denn überhaupt das Glück hatte, die Geselligkeit zu lieben und beim Glase Wein unter guten Freunden die stete Anspannung der inneren wie äußeren Arbeit auszugleichen! Die Geburt eines zweiten Sohnes dagegen eiferte ihn zu erneuter Thätigkeit an.
Er schreibt an Kemble: »Die englische Oper ist mehr ein Drama mit Gesang,« und so hatte er hier jene erstrebte Einheit des musikalischen Dramas aufzugeben. Die Engländer kannte er obendrein als »für drastische Effecte eingenommen, stark von Nerven, nicht leicht im künstlerischen Erfassen, an hergebrachten Formen hängend, in seiner bequemen Verfassung aber starke Neuanregung fordernd«. Auch Beethoven hatte die beiden Symphonien für London, von denen nur die eine, die gewaltige »Neunte«, fertig geworden ist, im größten Stile angelegt. Diesem Umstande verdankt der Oberon einige besondere Vorzüge der Größe und des bezaubernden Reizes. Im übrigen ist es das gesprochene Singspiel mit lebensvollen Chören und nicht viel Arien und noch viel weniger Ensembles, was hier gewünscht ward. Und dem verlangten bunt wechselnden Bilde auf der Bühne da ward durch Hinzufügen der derberen Naturgeister aus »Sturm« und »Sommernachtstraum« entsprochen, – für Webers Genius ein besonderer Tummelplatz.
Der Text, von der unbeholfenen Hand des Engländers Planché, wird so erzählt:
Elfen bewachen Oberons Schlummer. Puck erzählt von dessen Entzweiung mit Titania und von dem Schwure, sich nicht mit ihr zu versöhnen, bis sich die Liebe eines Paares in allen Fährlichkeiten bewährt habe. Oberon erfährt die Begebenheit zwischen Karlmann und Hüon am Hofe Karls des Großen und die Aufgabe, von der die Wiedergewähr der Huld des Kaisers abhängig gemacht worden ist. Er zaubert den Helden nebst seinem Knappen Scherasmin herbei und zeigt ihm im Traume das Bild der Kalifentochter Rezia, rüstet jene mit Horn und Becher aus und läßt sie durch die Luft über Land und Meer nach Bagdad fahren. Hier rettet Hüon dem Babekan, Rezia's Angelobten, das Leben. Dieser versengt sich aber an dem Wunderbecher und wird, infolge dessen wüthend auf Hüon eindringend, mit Schwert und Schild vertrieben.
In Namuna's Hütte erfährt dann Hüon von Rezia's Hochzeit, ihrem Abscheu vor Babekan und dem Traume von dem weißen Ritter. Die Alte eilt, ihr seine Ankunft zu melden, was Rezia mit Hoffnung beseelt. Bei dem Festmahle, als diese soeben dem Bräutigam zugeführt wird, haut Hüon unter dem Schutze des Zauberhorns denselben nieder und entführt mit Scherasmin sie und ihre Vertraute Fatime. Oberon befördert alle mühelos nach Askalon.
Als erste Probe der Treue läßt sie Oberon in einem Sturme, den auf sein Geheiß Puck mit den Wassergeistern erregt, Schiffbruch erleiden. Rezia und Hüon werden an eine öde Insel geworfen. Rezia ist ergriffen von der Wundergröße des Meeres, wird aber dann von Seeräubern dem schlummernden Ritter geraubt. Oberon erscheint und schützt unter Klagen, so hart prüfen zu müssen, den Schlummernden, indem er dem reizenden Spiele der Nixen zuschaut.
Im dritten Acte finden wir Scherasmin und Fatime als Sklaven des Gärtners beim Emir Almansor wieder. Dieser hat Rezia von den Räubern gewonnen und ist in Liebe für sie erglüht. Rezia bleibt treu. Dennoch entfacht sie in des Emirs Gattin Roschana Eifersucht. Dieselbe bescheidet einen Sklaven zu sich, der ihre Neigung erweckt hat, – es ist der von Oberon an Ort und Stelle gezauberte Hüon, – versucht ihn durch alle Reize der Verführung und bietet ihm zuletzt Thron und Ehe, wenn er Almansor tödte. Der standhafte Ritter wird von diesem im Harem überrascht, wobei ihn Roschana verrätherisch anklagt. Er soll also nebst Rezia, deren Standhaftigkeit den wilden Emir in Wuth gebracht hat, den Flammentod erleiden. Nach rührender Erkennung der beiden Liebenden führt Oberons Zauberhorn alles zu gutem Ende. Ihre Treue hat auch Oberon und Titania wiedervereinigt und das Paar wird an den Hof Karls des Großen zurückgeführt, der es in erneuter Gnade aufnimmt.
Das Ganze ist also blos eine dramatische Erzählung, die zu Charakterbildungen keinen Halt noch Anlaß gab. So sind auch die einzelnen Gestalten mehr Schablonen geblieben: Hüon der Ritter, allerdings in einer Zeichnung, die uns jene ganze alte Fabelwelt zu voller Gegenwart hinzaubert; Rezia, die erste Liebhaberin, aber ebenfalls in einzelnen Zügen die ganze Größe der Anschauung und Gewalt der Empfindung bekundend, die von einer echten Primadonna gefordert wurden; Scherasmin, der kernige humorvolle deutsche Knappe, Fatime eine Soubrette, jedoch nach der Natur einer solchen von echtester und edelster Art gezeichnet nach der lieblich neckischen Frau Caroline, der Weber hier ein Denkmal gesetzt hat, das hinter Mozarts Constanze-Pamina nur wenig zurückbleibt. Die Zusammenfassung aller dieser vier Erscheinungen in dem Quartett, »Ueber die blaue» Wogen« aber ist zur entzückenden Blüte des ganzen Werkes geworden.
Oberon und Puck selbst sind ebenfalls nicht scharf genug gezeichnet, ihre elementare Welt dagegen in den mannichfaltigen Chören trotz des ewig wiederkehrenden Wechsels von Tonika und Dominante oft von hinreißendem Zauber. Ja hier liegt eine vollkommene Neuschöpfung vor, das Hineinziehen der geheimnisvollen Wunder der Natur und Schöpfung mit ihren lieblichen und feindlichen Dämonen. Diese Welt hat uns Webers Phantasie hier auch in bloßen Tönen zur Wirklichkeit gemacht und wer an Wagners Nibelungen denkt, weiß, was dies heißen will. Weber war zeitlebens mit allem Sinnen und Fühlen bei der freien Natur, der »duftende Wald« des Freischütz sagte es uns schon, sie war ihm ein anderes Ich, in dem er sein sterbliches Theil zu unsterblichem Leben erfrischte: diesen holden Zauber hat er im Oberon auch seiner allesvermögenden Kunst für immer zugeeignet. Dies und der geheimnisvolle Eigenreiz märchenhafter fernen Länder, das orientalische Ueppigschwelgende und das drollige Kräftig-plumpe des Türkischen, letzteres nach einer Originalmelodie, ebenso geistvoll anmuthig wie kernig und schlagend wirkend, sind dauernde Vorzüge des Oberon. Die echte Art der Kunst erkennt sich aus ihrer Fruchtwirkung. Wo hätte Mendelssohn seine Sommernachtstraum-Musik gefunden ohne diesen Oberon? Und von Wagner führen wir nur einen der reichen Keime an, die in seiner Phantasie zu wahren Wundergebilden gediehen, das begleitende Motiv zu den Worten »Und sei auch für Andre wohl trübe ihr Quell« in Rezia's seelenvoller Cavatine in Asdur. Wer hörte je ein tiefer aus der tödtlich verwundeten Mannesbrust strömendes Wehetönen als bei Wotans Worten: »Zum letzten Male letz' es mich heut mit des Lebewohles letztem Kuß!« Der Gott muß das Geliebteste, was er besitzt, mit eigenem Entschlusse in den ewig trennenden Schlummer versenken. Auch bei Weber war dieses Klagen um »verschwundenes Glück« aus dem eigenen Herzen hervorgedrungen: jene Cavatine ward in London, ferne den so heiß geliebten Seinen, geschrieben, die er niemals Wiedersehen sollte.
»Gott gebe seinen Segen!« hatte er auf das erste Musikstück geschrieben, das am 27. Februar 1825 vom Oberon entstand, und der seit langem ruhende Genius bethätigte in Wahrheit jetzt aufs neue vollsten Segen. Doch währte es volle zwei Jahre, ehe das Werk vollendet war, und dazwischen lag wieder viel Leid und viel Liebe, viel Gram und viel Glück. Seine Gesundheit erforderte zunächst eine Reise nach Ems: da sollte er so ganz den Sonnenglanz der wirklichen Berühmtheit erfahren. Hatte ihn auf der Durchreise durch Weimar der alte Literaturlöwe, der durch Zelters Brille seinen Ruhm wie ein »Schwammgewächs ohne Kernholz« ansah, vornehm kühl empfangen, so erlebte er kurz darauf in Wiesbaden eine »rührende Scene« seiner Popularität, die er selbst in solch anmuthiger Weise heim schreibt:
Es saß ein Dr. Horn neben mir, ein höchst gebildeter Mann und großer Musikfreund. Nachdem wir über Literatur und viele Dinge recht interessante Gespräche geführt hatten und er bemerkte, daß ich aus Sachsen sei, wo er früher studirt hatte, so frug er mich nach tausend Dingen. Die Tafelmusik brachte dann das Gespräch auch auf den Freischütz. Ich wich aufs künstlichste allen Fragen, die mich hätten verrathen können, aus, bis denn endlich der Mann, ganz erstaunt, mich in allem so zu Hause zu wissen, nach meinem Namen frug. Nun, das ist ein ehrlicher Name und ich konnte also nicht verschweigen, daß ich Weber heiße. ›Weber?‹ rief er ganz gespannt, ›Gottfried Weber?‹ ›Nein,‹ sagte ich. ›Also aus Berlin?‹ ›Der ist lange todt‹. ›Also‹ – mit einer Pause wie jemand, dem ein freudiger Schreck den Athem verhält, ›doch nicht‹ – ›Carl Maria von Weber‹, sagte ich ganz ruhig, indem ich mir einschenkte. – Da hättest du sehen sollen, wie der Mann, wie vom Donner gerührt fünf Minuten unbeweglich still und starr saß und endlich, indem ihm die Augen feucht wurden, ganz andächtig stille sprach: ›Was hat mich Gott für ein Glück erleben lassen!‹ – Du weißt, liebe Lina, daß die größten dicksten Weihrauchwolken weder meine Nase kitzeln noch meinen Sinn affiziren. Aber hier, ich gestehe es, mußte ich dem Schöpfer innig ergeben danken, daß er mir Macht gegeben, so tief eines guten Menschen Herz zu ergreifen und daß wohl kein besserer Lohn mir je wieder geboten werden wird.«
»Der Aufenthalt in Ems sollte Weber in vollen Zügen den Hochgenuß des Ruhmes trinken lassen,« sagt die Biographie. Er hatte ihn aber auch körperlich soweit erfrischt, daß er mit erneuter Hoffnung an die Arbeit ging. Lebhafte Anregung gewährte ihm dazu die endlich erfolgende Ausführung der Euryanthe in Berlin, wo im Gegensatz zu den ausländischen Neigungen des Hofes mit seinem Spontini das Volk und die Gebildeten den Ideen der Befreiungskriege auch auf geistigem Gebiete zu huldigen begannen. War sein Intendant Lüttichau, der zu den Proben herübergekommen war, bei der allseitigen ehrerbietigen Begrüßung des Meisters so erstaunt, daß er naiv genug ausrief: »Weber, sind Sie denn wirklich ein berühmter Mann?« so konnte er nach der Aufführung schreiben: »Mein inniggeliebtes Weib! Warum mußtest du fehlen, um meine Freude an dem vollständigsten und glänzendsten Triumphe mitzuerleben, den je ein Componist in Berlin feierte ... Die Vorstellung war so gelungen, daß in vielen Dingen erst alle Intentionen hier klar hervortraten ... Nach der Oper wurde ich mit Sturmestosen gerufen.« Gleichwohl erwies sich, daß man in Bezug auf die wahre Auffassung des Werkes auch hier noch so weit zurück war wie anderswo: es mußte nach einem Verluste von 25000 Thalern zurückgelegt werden. Erst Wagners Werke haben das wirkliche Verständnis für dieses Kleinod deutschen Empfindens erweckt.
Derweilen nahm freilich die Krankheit auf bedenkliche Weise zu. »Wie mir's geht? Sehr gut! Nur daß ich die Halsschwindsucht habe; aber das macht nichts weiter, theuerster Gönner!« sagte er zu Holtei. Und noch verzweiflungsvolleren Spottes zu Gubitz: »Lieber Freund, ich erwerbe in England ein gut Stück Geld, das bin ich meiner Familie schuldig, aber ich weiß sehr gut, ich gehe nach London, um da – zu sterben. Still, ich weiß es!« Eine krankhafte Arbeitshast bemächtigte sich seiner und mit Recht sagt die Biographie: »Die Ueberzeugung, daß er keinen Augenblick zu verlieren habe, wenn es ihm gelingen sollte, den mit seinem Leben bezahlten Ruhm in so viel Gold umzusetzen, daß Weib und Kind nicht hungern müßten, ist in diesen letzten Monaten als Grundton seines Handelns anzusehen.« Allein auch diese Freude sollte er nicht vollständig erleben: weder die Oper noch die übrigen Unternehmungen in London brachten einen reichen Gewinn. »Ich habe seinen Sarg zuschlagen hören,« rief entsetzt Caroline, als er, die bereits geschwollenen Füße in dicke Sammetstiefel gehüllt, am 7. Februar 1826, in den Reisewagen gestiegen war.
In Paris empfingen ihn, obwohl er nur wenig Besuche machte, Huldigungen genug, er eilte, nur Eines Zieles sich bewußt, weiter, weiter. Sogleich das Betreten der Küste Englands bezeugte ihm seinen Ruhm, obwohl der Freischütz auch hier in denkbarster Verstümmelung erschienen war. Wohlthuend war der Empfang bei dem aus Beethovens Briefen wohlbekannten edelgesinnten Sir George Smart, bei dem er Wohnung nehmen mußte. »Keinem Könige wird alles so aus Liebe entgegengebracht wie mir, ich kann fast buchstäblich sagen, daß man mich auf den Händen trägt,« schreibt er. Was aber die öffentlichen Verhältnisse betrifft, so war nach den Zuständen Englands, wo in Kunstdingen anfangs alles ebenfalls Mode ist, das Zenith seines Ruhmes bereits überschritten und dies der Grund, daß seine Einnahme nicht so groß war, wie er sie wünschte und bedurfte. Gleichwohl sollte er erfahren, daß man ihn wirklich hoch hielt. Er ging in ein Schauspiel und trat, sich völlig unbekannt glaubend, an die Balustrade der Loge. »Das ist Weber! Weber ist da,« rief eine Stimme und es brach ein solcher Sturm los, daß er es nicht für möglich hielt, selbst gemeint zu sein, bis er den englisch ausgesprochenen Namen erkannte und tief ergriffen dankte. »Sind das die kalten Engländer, die mich so aufnehmen? Es ist unglaublich, mit welcher Herzlichkeit,« schreibt er selbst.
Die Besetzung des Oberon war vorzüglich, die Proben gingen aufs beste. Doch: »wo ist der frohe kräftige Lebensmuth hin, den ich sonst hatte!« ruft er aus. Vor allem machte es ihn zuletzt wahrhaft grimmig, daß er überall und immer wieder den Freischütz hören und dirigiren mußte, und zwar im Concert. Er merkte immer mehr, daß Musik nicht der Engländer Leben und Wonne, sondern ein Genuß und zwar ein zu erkaufender wie andere sei, und dies mußte ihn innerlich öde genug anmuthen. »Hier sitzt er nun und weiß nichts mehr zu erzählen, als daß er von Herzen gern alle diese Herrlichkeiten hingäbe, wenn er ruhig daheim sitzen und nichts vom Theater hören müßte,« schreibt er. Er war fast schon ein todter Mann. Gleichwohl hängt er seiner Pflicht in allem und jedem an, wir hörten oben seine Gesinnung: ein Mann, ein Wort! Ja außer Rezia's Cavatine entstand in diesen dunklen Tagen noch Fatime's sonniges »Arabien mein Heimatland«.
So kam nach mannichfachen Verzögerungen die erste Aufführung seines letzten Werkes heran, es war am 12. April 1826.
Sein Erscheinen vor dem Theater ward ein Zuwinken der Todtenstille in dem dichtgefüllten vornehmen Hause, sein Erscheinen im Orchester war das Zeichen, daß sich die gesammte Zuhörerschaft wie eine brandende Meereswoge erhob und fast eine Viertelstunde lang nichts als Hurrah, Bänkeklappen und das Klopfen der Bogen gehört ward. Kein Musikstück blieb ohne brausende Anerkennung, doch zeigte sich dasselbe bei den schönen Decorationen des Werkes, – ein deutlicher Beweis, daß doch das Herz nicht bei der Sache war. Und wie sollte musikalisch England fassen, was sein Heimatland erst ein volles Menschenalter später erfaßte? – Als der Vorhang gefallen war, geschah sogar das in England noch nie Dagewesene: man hörte stürmisches Rufen nach Weber, das sich immer mehrte und erhob, man verlangte deutlich sein Erscheinen. Zögernd erhob sich der Vorhang und Weber trat bescheiden aus den Coulissen, verbeugte sich unter maßlosem Jubel und verschwand. »Die Ehre des Hervorrufs war selbst Rossini nicht widerfahren,« bemerkt mit Recht die Biographie.
»Herr von Weber wurde mit einer Wärme empfangen, die selten, vielleicht nie in einem Theater übertroffen worden ist,« sagt das Harmonicon. Doch wie dieses hervorragende Fachblatt von der Musik bemerkte, daß sie mehr auf das wissenschaftliche Urtheil der Kenner als auf die große Menge berechnet, jedoch »nicht ohne Melodie« sei, so berichtet später ein Deutscher den eigentlichen Erfolg des Werkes mit den einfachen Worten: »Oberon erfreut sich hier des ruhigen Beifalls der zahlreichen Gebildeten, die seit kurzem angefangen haben, deutsche Musik zu kennen und zu lieben. Die Masse, welche durch die schlagendere Musik und das stofflichere Interesse des Freischütz in Interesse versetzt war, spricht er weniger an.« Er sollte sich nebst der Euryanthe erst mit der Zeit seinen Boden neben dem Freischütz hier wie anderswo gewinnen.