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Nachdem Trélaurier aus dem Mund des rachsüchtigen Linguet Kunde von der ihm drohenden Gefahr erhalten hatte, verbrachte er die Nacht über Zahlen. Von Sorge und Furcht verzehrt, hatte er sich kopfüber in die Arbeit gestürzt, um, wie er hoffte, die quälenden Gedanken loszuwerden. Er wußte ja, daß Vernaut mit größter Sorgfalt und Genauigkeit alles zusammentragen würde, was Klarheit in die Lage bringen konnte. Diese Nachforschungen wollte er ihn ungehemmt nach seinem Ermessen betreiben lassen, hatte er doch die Gewißheit, daß der Freund erscheinen würde, sobald er im stande wäre, ihn tatsächlich aufzuklären.
Er hatte zu Hause gespeist in Gesellschaft Anninas und vergebens nach Spuren innerer Unruhe oder auch nur der Zerstreutheit im Gesicht der jungen Frau ausgespäht, doch ihr ruhiger Blick, ihr ernster, charaktervoller Mund hatten ihm auch nicht die leiseste Aufregung verraten. Sie war genau wie immer, sprach unbefangen, lächelte heiter, machte Pläne. Kein geheimnisvolles Hemmnis schien zwischen Mann und Frau aufgetaucht zu sein, nichts schien sich trennend zwischen sie gedrängt zu haben.
Sie fragte nach den Ergebnissen der Konversion, schien an seinen Erfolgen Anteil zu nehmen und sich zu freuen, daß die Leichtigkeit, womit man die große Finanzoperation hatte ausführen können, für Macht und Ansehen des Hauses zeugte. Während er seine fachmännischen Erklärungen abgab, beobachtete er Annina unausgesetzt, aber so mißtrauisch er auch durch die Verdächtigungen geworden war, es gelang ihm nicht, die geringste Befangenheit oder Verlegenheit im Benehmen seiner Frau zu entdecken.
»Welche Selbstbeherrschung sie haben muß,« dachte er bei sich, »falls die Anklage gegen sie auf Wahrheit beruht! Ist es denkbar, daß sie, die sonst bei der kleinsten Notlüge rot wurde, sich über jedes zweideutige Wort entrüstete, jetzt mit einem Male diese Geschicklichkeit im Täuschen und Lügen haben, solch eine Meisterin der Verstellung sein sollte?«
Wenn dieser abscheuliche Angeber ihn oder sich selbst getäuscht hatte? Wenn er nur den Versuch gemacht hatte, seinen Feind, gegen den er selbst nichts vermochte, durch Trélaurier vernichten zu lassen? Aber nein, das wäre ja Wahnwitz! Der Betrug würde zu rasch an den Tag kommen! Nein, gelogen hatte dieser unselige Linguet nicht. Und Annina . . . Ach, diese heitere Stirne, diese reinen Augen, dieser ehrliche Mund . . . dahinter verbargen sich unlautere Gedanken, leidenschaftliche Gelüste, vielleicht wilder Haß! Dem armen Mann, der so gierig nach dem Geheimnis seines Schicksals forschte, traten Tränen in die Augen, und er mußte sie zurückdrängen, mußte auch heucheln und lügen, weil er belogen und betrogen wurde!
Diese Mahlzeit war eine nicht endenwollende Folterqual für ihn, aber fest entschlossen, sich nicht zu verraten, ertrug er sie gelassen und gab seiner Frau keinen Anlaß zum Verdacht. Nach Tisch verabschiedete er sich von ihr, fragte, was sie für den Abend vorhabe, und zuckte nicht mit der Wimper, als sie ihm zur Antwort gab, sie werde zu Haus bleiben. Um sie in Sicherheit zu wiegen, ihr volle Freiheit zu lassen, sagte er, daß die Arbeit ihn wohl die halbe Nacht an sein Bureau fesseln würde, dann küßte er sie wie jeden Abend und ging. Er hatte nicht die geringsten Vorkehrungen zu ihrer Überwachung getroffen, einesteils, weil er das Vernaut überließ, andernteils, weil er zu unglücklich war, um sich auf Spitzfindigkeiten zu besinnen.
Er hatte sich in seine Arbeitsräume begeben und gemeinsam mit den Vertrauensmännern unter seinem Personal bis zum frühen Morgen die Rechnungen des vorigen Tages geprüft und die Aufgaben des kommenden angeordnet. Gegen zehn Uhr Vormittags saß er, etwas blaß von der nächtlichen Arbeit, Briefe schreibend in seinem Privatzimmer, als Vernaut bei ihm erschien. Trélaurier erhob sich, zog ohne ein Wort zu sprechen den Freund am Arm zum Fenster, um sein Gesicht deutlicher zu sehen, und dann erst fragte er vor Angst bebend: »Nun? Was weißt du? Sprich sofort!«
Mit ernster Miene sah ihm Vernaut schweigend ins Gesicht, als ob er sich nicht entschließen könne, zu reden, dann aber begann er in bestimmtem Ton: »Felix, du bist ein Mann und hast Mut! Ich brauche dir gegenüber doch nicht schonend und vorsichtig zu sein? Was hülfe es überdies?«
Trélaurier wurde leichenblaß, sein Mund stand wie im Krampf offen, und die Lippen zitterten.
»Es ist also wahr?« fragte er mit erstickter Stimme.
»Ja. Alles ist wahr.«
Stille trat ein, nur ein Seufzer wurde hörbar, ein so schmerzlicher Seufzer, daß es war, als ob der arme Trélaurier seine Seele aushauche.
Er setzte sich, ließ den Kopf auf die Brust sinken und verharrte, ohne Tränen, ohne Auflehnung, ohne Verzweiflungsschrei, in starrer Ruhe. Die von einem krampfhaften Zittern bewegten Hände klopften gegen die Armlehnen des Stuhls, und in der tiefen Stille um ihn her saß er mit halbgeschlossenen Augen regungslos, wie vernichtet vom Zusammenbruch all seines Glücks. Vernaut hatte sich einen Stuhl an seine Seite gerückt; den Schmerz des Freundes ehrend, sprach er nicht, sondern harrte seiner Befehle. Er war bereit, alles zu erzählen, wenn es gefordert wurde, oder zu schweigen, wenn es dem Freund not tat, dessen Qual er ebenso heftig fühlte wie jener, denn in jedem Schlag seines eigenen Herzens hallte dessen Schmerz wieder.
Nach geraumer Zeit hob Trélaurier die schmerzdurchfurchte Stirn und sah Vernaut an.
»Ist es möglich? Bist du deiner Sache auch sicher? Kannst du beweisen, was du behauptest?«
»Wie hätte ich's auf mich genommen, dir einen solchen Schlag zu versetzen, wenn ich nicht die unbedingte Gewißheit hätte . . .«
Er stockte.
»Die Gewißheit ihrer Schuld?« vollendete Trélaurier leise.
»Ihrer Schuld? Nein!« erklärte Vernaut mit Überzeugung. »Gott sei Dank, noch ist die Schuld nicht begangen . . . auch darüber habe ich Gewißheit.«
Trélaurier richtete sich auf, als ob er ins Leben zurückkehrte. Er faßte nach Vernauts Arm und rief mit einem hoffnungsvollen Blick: »Was! So wäre noch nicht alles verloren? Es wäre noch möglich, sie der Gefahr zu entreißen, sie zu retten? Sprich doch, erkläre dich, vergiß keine Einzelheit! Ach, wenn das unglückliche Kind noch der Verzeihung würdig wäre, wie freudig würde ich ihr zu Hilfe kommen!«
»Höre mich also an und erwäge alles, was ich dir mitzuteilen habe, gründlich. Gestern abend, als ich von dir ging, begann ich sofort meine Nachforschungen. Daß ich mich im Detektivhandwerk sehr als Neuling fühlte, brauche ich dir ja nicht zu sagen – an welchem Ende sollte ich den Faden anfassen, daß er mir als Richtschnur diene? An wen mich wenden um die ersten Fingerzeige? Die Polizei in Anspruch zu nehmen, daran war ja nicht zu denken, das hieße sich der Neugier der Behörde, den Taktlosigkeiten der Schutzleute preisgeben. Ein Privatdetektivbureau? Das hieße dafür bezahlen, daß deine Frau zwei Stunden darauf von meinen Schritten benachrichtigt würde! Ich war also drauf und dran, mich aufs Geratewohl allein in das Unternehmen zu stürzen, unter irgendwelchem Vorwand Hausmeister und Dienerschaft auszufragen, als mir plötzlich ein Gedanke kam, der mir sehr vortrefflich dünkte. Du hattest mir von jenem Linguet erzählt, der mit verbissener Wut auf des Vicomtes Fersen ist und ihn bewacht, ähnlich wie der Engländer, der einem Tierbändiger überall hin folgte in der Hoffnung, ihn eines schönen Tages doch von seinen Löwen zerreißen zu sehen. Ich beschloß also, diesen Linguet aufzusuchen. Am Boulevard Poissonnière wohne er, hattest du mir gesagt. Ich schlug im Adreßbuch nach und fand in Nr. 47: Linguet, Prosper, Rentier. Im Nu war ich dort. Der Biedermann, bei dem ich mich unter deinem Namen anmelden ließ, hatte eben gespeist, und so wurde ich sofort empfangen. Linguet ist einer jener Menschen, die unter der Tyrannei einer fixen Idee stehen, alles dieser Idee unterordnen und geheizt sind wie ein zum Auslaufen bereites Schiff. Mein Anblick war ihm eine bittere Enttäuschung.
»Sie sind ja gar nicht Herr Trélaurier!«
»Aber ich bin in seinem Auftrag hier.«
»Ist Ihnen bekannt, was zwischen mir und ihm vor sich ging?«
»Bis aufs kleinste.«
»Dann liegt die Sache anders! Aber haben Sie die Güte, mir Beweise dafür zu geben. Ich bin von Natur vorsichtig und gebe mich nicht dem ersten besten preis.«
»Ich gab ihm durch eine Verbeugung meine Hochachtung für diese Vorsicht zu erkennen, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihm hin.
»›Sein Prokurist? Gut! Aber sind Sie auch sein Vertrauter? Er vertraut Ihnen seine Geschäfte an, aber tut er dies auch mit seinen Geheimnissen? Darüber müssen Sie mich aufklären.‹
»›Gut, mein Herr . . . ich möchte mir bei Ihnen Klarheit holen über das Liebesverhältnis zwischen dem Vicomte von Preigne und Frau Trélaurier. Kommen wir also ohne Umschweife zur Sache, denn die Zeit vergeht, und es steht vielleicht ein Menschenleben auf dem Spiel.‹
»›Ein Menschenleben? Ach! Wäre Ihr Freund am Ende doch der Mann, den elenden Vicomte niederzuschießen, wenn man ihm die Möglichkeit gäbe?‹
»›Zweifeln Sie ja nicht daran! Aber er braucht Beweise! Wie soll er sich über den wahren Charakter der zur Zeit zwischen dem Vicomte und Frau Trélaurier bestehenden Beziehungen unterrichten? Mit Vermutungen und Klatsch können wir uns nicht begnügen, wir müssen über alle Punkte Gewißheit haben. Der Ausgang dieser Sache wird zu ernsthaft sein, als daß man sich leichtfertig hineinstürzen dürfte. Auf welche Weise kann sich Herr Trélaurier von der Richtigkeit Ihrer Angaben überzeugen?‹
»›Das werde ich Ihnen sagen. Seit drei Wochen stehen Frau Trélaurier und der Vicomte in brieflichem Verkehr, und zwar werden die Briefe durch eine Jungfer namens Zoë hin und her getragen.‹
»›Zoë! Frau Trélauriers Milchschwester?‹
»›Davon weiß ich nichts, aber ich weiß, daß sie die Briefe dem Kammerdiener des Vicomte namens Artur Boulard übergibt. Dieser bringt all seine Nachmittage in einer Bierwirtschaft der Avenue d'Antin zu, einem von Jockeys, Buchmachern und Bedienten des Stadtviertels viel besuchten Lokal, das eigentlich eine geheime Agentur des Totalisators ist. Dieser Boulard, der ein hübscher Kerl ist, und dabei durch und durch lasterhaft, muß mit Fräulein Zoë eine Liebschaft angebändelt haben. Er ist ein Lump, der sich ganz nach dem Muster seines Herrn gebildet hat und die Ersparnisse der Dienstmädchen verzehrt, während sein Herr das Vermögen der Herrinnen verschwendet. Wenn Sie diesem Kerl im Vorbeigehen auch noch einen Fußtritt geben können, so genieren Sie sich ja nicht, es ist ein Zuchthausanwärter! Die Frauen aus Ihrem Hause sind in guten Händen, das muß man sagen! Sie können's weit bringen, wenn man ihnen nicht den Weg vertritt.‹
»›Sie denken also, daß man durch Zoë das Nötige erfahren könnte?‹
»›Ja, das heißt, sie ausfragen ist schon nicht leicht, aber sie gar zum Reden bringen, da sitzt der Haken!‹
»›Lassen Sie das meine Sache sein.‹
»›Gut, gehen Sie nur ans Werk, aber benachrichtigen Sie mich von allem. Ich kann Ihnen gute Dienste leisten, und wenn Sie dieser Kanaille, dem Vicomte, ernstlich zu Leib rücken wollen, bin ich der Ihrige.‹
»›Sie sind ein zu verläßlicher Bundesgenosse, als daß man Sie kaltstellen würde, darüber können Sie ruhig sein!‹
»Dieser Biedermann ist derart von Wut erfüllt, daß er den Vicomte mit Wollust am Spieß rösten würde, siehst du, und ich war überzeugt, daß er mir richtigen Bescheid gegeben hatte. Nun galt es also, jener Zoë Daumenschrauben anzulegen. Ich nahm eine Droschke und ließ mich nach der Courcellesstraße in die Nähe des Monceauparks führen. Dort stieg ich aus, sah mich nach einem Dienstmann um und schickte ihn in dein Haus.
»›Fragen Sie nach Fräulein Zoë!‹ so lautete mein Auftrag, ›nehmen Sie das Fräulein beiseite und sagen Sie ihr: ›Nur ein paar Schritte von hier wartet jemand in einer Droschke, jemand, der Sie sofort sprechen muß.‹ Fragt sie, wer es sei, so antworten Sie: ›Artur von der Avenue d'Antin.‹ Will sie wissen, wie dieser Artur aussehe, so sagen Sie, daß nicht er selbst, sondern ein Freund von ihm Sie hergeschickt habe. Da sind vierzig Sous für Ihren Gang, sputen Sie sich.‹
»Zehn Minuten darauf erschien Zoë mit bloßem Kopf und in sichtlicher Aufregung. Sie wollte in die Droschke hineinspähen, aber ich hatte hinter den offenen Fenstern die Vorhänge fest geschlossen, so blieb sie stehen und fragte leise: ›Bist du's, Artur?‹ ›Ja,‹ gab ich zurück. Sie öffnete nun den Wagenschlag und stieß einen Schrei aus, als sie mich erblickte, aber ich ließ ihr keine Zeit zur Flucht, ich hatte sie fest am Arm gepackt und zog die Zitternde vollends herein, dann rief ich dem Kutscher zu: ›Neuillytor!‹
»Nun konnte ich mir die Kleine ansehen, die bald blaß, bald rot wurde.
»›So, mein Kind, jetzt können wir plaudern,‹ sagte ich. ›Der Kammerdiener des Vicomte von Preigne ist also Ihr Liebster?‹
»›Nein, Herr Vernaut, gewiß nicht!‹
»›Nehmen Sie sich in acht, Kleine . . . wenn Sie nicht die Geliebte des Burschen sind, so haben Ihre Beziehungen zu ihm weit Schlimmeres zu bedeuten. Da gibt's keine Ausflüchte; entweder Sie verkehren mit ihm zu Ihrem Vergnügen, oder aus Geldgier. Wir wissen nämlich, daß Sie Ihrer Herrin für deren Korrespondenz mit dem Vicomte als Briefkasten dienen.‹
»›Das ist eine Schändlichkeit, Herr Vernaut! Die gnädige Frau? Meine gnädige Frau! Ist es möglich! Sagen Sie mir meinetwegen alles Abscheuliche nach, aber wenn Sie die gnädige Frau verdächtigen wollen, nein, das dulde ich nicht!‹
»›Gut. Sie sind ihr sehr ergeben, und das macht Ihnen Ehre. Ich muß also glauben, daß Sie es auf eigene Rechnung mit dem jungen Boulard halten . . . ein hübscher Bursche übrigens! Unglücklicherweise hat er eine Leidenschaft fürs Spiel, und der Totalisator ist sein Verhängnis. Dabei geht alles drauf, was er verdient und auch was Sie verdienen . . .‹
»Ich sah ihr fest ins Gesicht bei dieser Behauptung und wußte sofort, daß ich ins Schwarze getroffen hatte. Sie fuhr zusammen und senkte ihr Näschen. Linguet hatte recht gehabt, der Kammerdiener rupfte die Kammerjungfer!
»›Als der Dienstmann Ihnen bestellte, daß Artur Sie erwarte,‹ fuhr ich, meinen Vorteil nützend, fort, ›da wußten Sie gewiß, daß er wieder Geld haben wolle? Sie haben sicherlich alles zu sich gesteckt, was Sie hatten . . . Wieviel ist's denn, hm?‹
»›Hundertfünfzig Franken,‹ gestand sie lächelnd.
»›Das ist kaum ein Mundvoll für den Schlingel! Ach, er hat's gut, aber er ist eben ein Pechvogel.‹
»›Ja, können Sie es glauben,‹ sagte Zoë, ›daß er nie gewinnt, so klug und gewitzt er ist? Ach, was ihn zu Grund richtet, ist das Doublieren! Er gibt sich nie mit wenig zufrieden, will immer einen großen Coup machen und seine Berechnungen treffen nie zu. Aber er wird die Sache wohl aufgeben müssen, aus dem einfachen Grund, weil er die Mittel nicht hat, weiterzumachen . . .‹
»›Und an diesem Tag wird seine Berechnung zutreffen und ein andrer wird ihm die große Summe vor der Nase wegschnappen.‹
»›Darüber könnte er wahnsinnig werden! Ach, Herr Vernaut, ein Spieler, das ist doch das Schlimmste, was es auf der Welt gibt! Lieber noch ein Trunkenbold oder ein Schürzenjäger! Wenn der voll ist oder erschöpft, so gibt's doch Ruhepausen, aber bei einem Spieler niemals! Um Geld zu bekommen, würde Artur . . . ach, es ließe sich schneller aufzählen, was er nicht täte, als was er tun würde!‹
»›Geld hat er aber nicht und Sie haben nicht viel, folglich muß es zum Äußersten kommen! Hören Sie, Zoë . . . dumm sind Sie ja nicht, und wir reden hier ganz im Vertrauen. Ich habe ja kein Interesse daran, Ihnen zu schaden, im Gegenteil. Sie müßten mir nur zu Diensten sein.‹
»Sie zögerte ein Weilchen, dann warf sie die Frage hin: ›In welcher Weise?‹
»›Ich weiß genau, was zur Zeit zwischen Frau Trélauriet und dem Vicomte von Preigne vorgeht, und bin sehr beunruhigt wegen der Folgen, die eine solche unselige Liebelei für Ihre Herrin wie für deren Mann möglicherweise haben kann. Ich glaube, daß wir noch in der Lage sind, die schlimmsten Torheiten zu verhüten . . . wollen Sie mir darin beistehen? Ich werde sehr großmütig sein, ja, ich habe hier zehntausend Franken in Kassenscheinen bei mir. Sie gehören Ihnen, wenn Sie mir einfach sagen wollen, was Frau Trélaurier im Sinne hat.‹
»›Zehntausend Franken!‹
»›Hier sind sie. Artur könnte sich damit viele Gemütsbewegungen verschaffen und Sie könnten sich manche Freude gewähren, und wenn Sie mich treulich unterrichten wollten von der Sache, würde es nicht nur dabei bleiben . . .‹
»›Ach, Herr Vernaut! Die gnädige Frau ist so gut gegen mich!‹
»›Sie würden nur im Interesse der gnädigen Frau handeln, denn sie steht im Begriff, sich zu Grunde zu richten!‹
»›Ach! Die Sache ist, daß jener Herr André . . . Mein Gott! Wie töricht doch die Frauen sind! Einem hübschen Lumpen alles zu opfern!‹
»›Leider sind sie so töricht, die Damen wie die Zofen!‹
»›Sie haben ganz recht, Herr Vernaut, aber wenn Sie wüßten, wie man geliebt wird, wenn man seinem jungen Mann alle Ersparnisse gibt!‹
»›Diese Erfahrung werde ich leider nie machen können, Zoë, aber ich hoffe, die Dankbarkeit eines jungen Mädchens kennen zu lernen, dem man die Pfötchen gut geschmiert hat, damit sie einem erzähle, was sie weiß. Vorwärts, mein Kind, die zehntausend Franken sind Ihnen gewiß, nun müssen Sie aber reden!‹
»Ihr Widerstand war besiegt; sie machte anstandshalber noch einige Einwände geltend, dann biß sie an auf den Köder, und nun will ich dir genau mitteilen, was ich erfuhr.«
Mit düsterer Stirne und zusammengepreßten Lippen war Trélaurier dem Bericht seines Freundes bis hierher gefolgt. Seine Aufmerksamkeit hatte etwas Unheimliches. Die Bestätigung seines Unglücks verursachte ihm heißen Schmerz, aber dieser Schmerz war anderer Art, als er gefürchtet hatte. Kein Zorn gegen die Frau, keine Rachegelüste regten sich in ihm, er sann einzig auf Mittel und Wege, das Unsühnbare zu verhindern, die arme Annina, wenn es noch möglich wäre, von dem Abgrund zurückzureißen, dem sie zueilte. Die Gewißheit, daß sie seine Liebe verkannt, eine andre Zärtlichkeit als die seinige gesucht oder hingenommen hatte, zerriß ihm das Herz, aber er schickte sich nicht an, die Schuldige zu verjagen, zu vernichten, er beschäftigte sich nur mit der Möglichkeit, sie vor sich selbst zu schützen, zu retten. Haß empfand er nur gegen den Mann, den Schurken, der ihm sein Weib stahl, aber er schob den Gedanken an diesen von sich, die Lösung konnte, soweit sie ihn betraf, aufgeschoben werden, für den Augenblick mußte er alles vergessen bis auf Annina. Nur eine einzige Frage hatte er an Vernaut zu stellen, aber sie enthielt alles, was er fürchten und hoffen konnte. Fast zitternd vor der Antwort, die ihm werden sollte, fragte er: »Und glaubt das Mädchen, daß Annina sich habe hinreißen lassen, daß zwischen ihr und diesem Elenden . . .«
»Nein!« unterbrach ihn Vernaut, um ihm das entsetzliche Wort zu ersparen. »Zoë versichert vielmehr aufs nachdrücklichste, daß nichts Entscheidendes geschehen sei. Gerade das, erklärte sie mir naiverweise, mache die Sache so verwickelt und so gefährlich. Der Vicomte drängt stürmisch, Annina versagt sich ihm. Sie will dir den Schimpf nicht antun, dich unter deinem Dach, in deiner Nähe zu betrügen, deshalb will sie verreisen.«
»Wann?«
»Morgen. Alles ist verabredet.«
»Sie will mich verlassen! Die Unglückselige! Das ist ja Wahnsinn!«
»Natürlich ist es Wahnsinn! Dieser Vicomte hat sie behext!«
»Zum Glück gibt es Mittel, derartigen Hexenmeistern das Handwerk zu legen! Dem Himmel sei Dank, daß ich zu rechter Zeit gewarnt wurde! Noch ist nichts Unsühnbares geschehen, wenigstens nach Aussagen der Statisten in diesem Drama. Ich werde also der ganzen Geschichte kurzweg ein Ende machen.«
»Auf welche Weise?«
»Auf die allereinfachste. Du suchst Valançon auf und verständigst ihn mit wenig Worten über die Sache. Bei ihm hat das keine Gefahr, er hat mich zu lieb, um etwas auszuplaudern. Dann begebt ihr beide euch zu Preigne und verabredet auf morgen früh den Zweikampf. Ich wähle die Pistole und fordere die schärfsten Bedingungen, zwanzig Schritt Entfernung, festen Standpunkt, Zielen und Fortsetzung des Feuers, bis einer von beiden kampfunfähig ist.«
»Und wenn er nicht annimmt?«
»In diesem Fall kannst du ihm ankündigen, daß ich ihm heute abend im Klub angesichts des ganzen Spieltischs ins Gesicht schlagen werde. Aber feig ist er ja nicht, auch ist er ein hervorragender Schütze, so wird er wohl annehmen.«
»Ein Kampf mit tödlichem Ausgang . . .«
»Vermutlich. Du weißt ja, man schießt einen Menschen nicht immer nieder, wenn man will, aber man hat doch die Möglichkeit.«
»Und dann?«
»Dann? Wenn ich falle, so wird sie ihn nicht wiedersehen, dafür kenne ich Annina. Bleibe ich Sieger, so verläßt sie mich möglicherweise, um zu ihrer Tante zurückzukehren, im einen wie im andern Fall aber ist sie vor der Schmach des Fehltritts bewahrt, und deshalb wird das vergossene Blut nicht zwecklos geflossen sein. Sie vor dem Fall zu bewahren, sie vor der Verwegenheit des Elenden zu schützen, ihrem Heil alles unterzuordnen, das ist mein einziges Ziel. Ich setze, wenn's sein muß, mein Leben daran.«
»Wie du sie liebst!«
»Ja. Mein Gefühl für sie ist so tief, füllt mich so ganz aus, daß mir jedes Opfer leicht wird und daß ich meine Person nicht in Anschlag bringe, wenn es sich um sie handelt. Ich habe während deines furchtbaren Berichts Umschau in mir selbst gehalten, mein innerstes Fühlen zu erforschen gesucht. Jetzt weiß ich, woran ich mit mir selbst bin, und daß keine Wandlung möglich ist. Ich liebe Annina gleichzeitig mit der Zärtlichkeit des Gatten und der Nachsicht eines Vaters, ich beklage sie weit mehr, als ich sie verurteile, mein Fleisch und Blut empört sich bei der Gewißheit, daß sie nahe daran ist, sich einem andern zu schenken, meine Vernunft beweint ihre Verirrung und ihren Undank, aber mein Stolz ist tot. Ihre Mißachtung demütigt mich nicht, ich sehne mich nicht, sie dafür zu strafen, daß sie mir einen andern vorzieht, ich denke nicht daran, sie von mir zu stoßen. Sie zu verlieren wäre mir noch schmerzlicher als sie schuldig zu wissen, und ich glaube, daß ich beim ersten Wort der Reue, das sie ausspräche, bereit wäre, ihr alles zu verzeihen. Dieser Gemütszustand zeugt nicht von Heldentum, er entbehrt der Romantik, aber er ist eben vorhanden. Was ist dagegen zu machen? Ich gestehe dir mit Schmerzen, wie es in mir aussieht, denn das kannst du mir glauben, daß ich nicht Komödie spiele. Ich bin sehr unglücklich.«
Tränen stürzten aus Trélauriers Augen und rollten langsam über seine Wangen, ein heftiges Schluchzen, das er nicht länger zurückhalten konnte, erschütterte mit einemmal die breite Brust, und das Gesicht in den Händen verbergend, ließ der unglückliche Mann seinem Schmerz freien Lauf.
»Felix! Mein alter Freund, mein lieber Felix!« stammelte Vernaut erschüttert. »Ich bitte dich . . . wie sollen wir aus dieser Lage hervorgehen, wenn du nicht mehr Festigkeit hast! Ich kann's nicht ertragen, dich weinen zu sehen, dich, der du doch so tapfer bist!«
Er hatte ihn an den Schultern gefaßt und drückte ihn an sich. Selbst ebenso bleich wie der Freund, von dessen Angst und Schmerz mitergriffen, suchte er ihn zu trösten. Sie verharrten eine Weile in Schweigen, beide nach Fassung ringend, bis Trélaurier endlich mit ernster Stimme sagte: »Ich muß nach Hause. Es darf keine Zeit versäumt werden, um Anninas Pläne zu durchkreuzen. Wenn irgend eine Unvorsichtigkeit begangen würde, wenn Zoë Gewissensbisse empfände und ihren Verrat gestände, könnte sie einen übereilten Entschluß fassen. Ich werde sie sofort aufsuchen und mich mit ihr auseinandersetzen. Von dieser Unterredung wird für sie Heil oder Untergang, für mich Frieden oder Verzweiflung abhängen.«
»Und ich werde also Valançon aufsuchen und bei Preigne die Schritte tun, wozu du mich beauftragt hast. Es ist dein fester Entschluß?«
»Kann ich anders handeln?«
»Nein.«
»Gut, drum geh ans Werk.«
Mit einem festen Händedruck trennten sie sich.
Frau Trélaurier war in ihrem Ankleidezimmer und hatte ihre Toilette beinahe beendigt, als Zoë mit verstörtem Gesicht und keuchendem Atem hereinstürzte.
»Gnädige Frau, was geht denn vor? Der Herr ist soeben nach Hause gekommen, ist in sein Arbeitszimmer gegangen und läßt die gnädige Frau bitten, zu ihm zu kommen . . .«
Annina zog die Brauen zusammen, ein Schatten legte sich über das schöne Gesicht.
»Weshalb bist du denn so aufgeregt?« fragte sie. »Hat er anders mit dir gesprochen als sonst?«
»Nein, gnädige Frau, er sprach so sanft und freundlich als je; aber angesehen hat er mich dabei, was der Herr sonst nie tut, und seine Augen . . . o gnädige Frau, diese Augen! Er weiß alles! Ich hab's an seinen Augen gesehen, daß er alles erfahren hat.«
Frau Trélaurier maß ihre Jungfer mit einem raschen forschenden Blick, auf ihren Lippen schwebte eine Frage. Dann zuckte sie die Achseln und schüttelte den Kopf, als ob sie sich gesagt hätte: »Wozu?« und ohne sich mit Zoë aufzuhalten, öffnete sie die Türe, durchschritt festen Ganges das kleine Wohnzimmer und trat bei ihrem Manne ein, der, mit gedrückter Miene neben seinem Schreibtisch sitzend, sie nahe herankommen ließ, ohne sie zu begrüßen, ohne sich zu rühren. Er saß mit dem Rücken gegen das Fenster, so daß sie seine Züge nur undeutlich unterscheiden konnte, indes volles Licht auf sie fiel und Trélaurier jedes Zucken auf ihrem Gesicht hätte beobachten können. Sie erschien indes nicht im mindesten erregt, ging ohne Zaudern bis zu ihres Mannes Lehnstuhl und fragte, eine Hand auf seinen Schreibtisch stützend: »Du hast mich rufen lassen, lieber Freund? Hast du mir etwas zu sagen?«
Er zögerte mit der Antwort und sah sie an, die so hübsch und frisch und gelassen vor ihm stand, daß er sich fragte, wo er den Mut hernehmen solle, das furchtbare und kränkende Wort zu sprechen. Wer die beiden beobachtet hätte, ihn so niedergedrückt, sie so lebensfroh und tapfer, würde sich leicht darüber getäuscht haben, wie Schuld und Unschuld zwischen ihnen verteilt war. Endlich überwand er seine Schwäche und fragte mit einer Stimme, der das wilde Pochen seines verwundeten Herzens allen Klang raubte: »Annina, was habe ich dir getan, daß du daran denken magst, mich zu verlassen?«
Sie wurde sehr bleich; der Glanz ihres Blickes erlosch und ihre Augen schienen einzusinken. Die Hand auf die Brust pressend, stand sie, ohne ein Wort der Erwiderung zu finden, zitternd und mit entfärbten Lippen vor dem Manne, dem sie so großes unverdientes Leid bereitete, und dessen zärtlicher Vorwurf sie tiefer erschütterte, als die heftigste Anklage.
»Habe ich dich denn gequält,« fuhr er mit derselben milden Traurigkeit fort, »oder nur je deinen Willen durchkreuzt? Habe ich dich nicht von ganzer Seele geliebt? Habe ich auch nur einen Gedanken gehabt, der dir fremd gewesen wäre? Was machst du mir zum Vorwurf, Annina, daß du mich als Feind behandelst?«
Sie ertrug es nicht, noch mehr zu hören. Mit einem Verzweiflungsschrei stürzte sie zu Füßen des armen Mannes nieder, umschlang seine Kniee und blieb weinend und schluchzend, hilflos und regungslos liegen, ohne ein Wort der Erklärung, der Verteidigung zu sprechen, als ob sie, zermalmt unter der Last ihres Unrechts, die Sprache verloren hätte. Er ließ sie gewähren, ließ sie eine Weile schweigend in ihren Schmerz versinken, dann berührte seine Hand leicht den schönen Kopf, dessen kräftiger, von blonden Haaren umspielter Halsansatz ihm zugekehrt war, und sagte: »Annina, Tränen genügen mir nicht, ich muß Antwort haben. Du scheinst einzugestehen, daß die gegen dich erhobene Anklage richtig ist, aber mit diesem stummen Geständnis kann ich mich nicht zufrieden geben. Ich will wissen, aus welchen Gründen du mir solchen Schmerz und solche Schmach bereitest. Ich glaube weder das eine, noch das andre um dich verdient zu haben, sei so gut, mich darüber aufzuklären. Vielleicht hegst du einen geheimen Groll gegen mich, von dem ich nichts ahne . . .«
Ohne die in Zerknirschung gebeugte Stirne zu erheben, stammelte sie: »O nein. Du bist der beste aller Männer, ich aber bin die unglücklichste aller Frauen!«
»Unglücklich bist du, Annina?« versetzte er mit schmerzlicher Bitterkeit. »Sage mir, wieso und warum? Ich kann es nicht verstehen.«
»Du kannst es nicht verstehen, weil du alles getan hast, mich glücklich zu machen . . . es ist furchtbar, daß so viel Undank dein Lohn sein soll!«
»Wenn du dir klar darüber bist, daß du unrecht an mir handelst, weshalb tust du es dann?«
Sie richtete sich halb auf und kehrte ihm das von Tränen überströmte, von innerer Qual verstörte und doch entzückende Antlitz zu.
»O, das steht nicht in meinem Willen!« rief sie, die Hände ringend. »Ich bin nicht mehr frei! Mein Wille ist gelähmt.«
Jetzt packte ihn Wut. Er faßte Annina an der Schulter und zog sie zu sich her. »Du hast dich diesem Menschen hingegeben, Unglückliche?« herrschte er sie mit starrem Blick und rauher Stimme an.
»Nein! Nein!« entgegnete sie in einem Ton, der nicht log. »Aber ich gehöre ihm, als ob er mich besäße. Und wenn er es gewollt hätte . . . Ach, Felix, ich bin einer Art von Wahnsinn verfallen, ich kenne mich selbst nicht mehr! Laß mich fort, verstoße mich, kümmere dich nicht mehr um mich! Ich bin unwürdig selbst deines Zornes! Verlasse dich nicht mehr auf meine Worte, ich könnte dich belügen! Nimm kein Versprechen von mir an, ich würde mein Wort nicht halten! In mir herrscht eine Macht, die mich zwingt, gegen alle Vernunft, gegen meinen Vorteil zu handeln, und die mich in den Tod treiben würde, wenn ich sicher wäre, im Tod zu finden, wonach ich lechze, worauf ich hoffe, was ich ahne!«
Sie befand sich jetzt in einem Zustand der Ekstase. Mit gefalteten Händen, mit Augen, die von innerer Glut leuchteten, mit strahlendem Lächeln blickte sie zu Trélaurier auf. Ihn machte dieser Anblick erbeben. Zum ersten Male begriff er, wie gewaltig das Gefühl war, das Annina von ihm fortriß, und daß sie keinen Widerstand leisten konnte. Und trotzdem streckte er die Waffen nicht, hatte er sich doch vorgenommen, das Äußerste zu wagen, alle Kraft einzusetzen im Kampf um ihre gemeinsame Zukunft.
»Wonach lechzest du denn so glühend, Annina?« fragte er, sich über sie beugend.
Schwach wie ein Hauch drang die Antwort an sein Ohr, als ob Annina sich des Wortes schäme und es doch nicht zurückhalten könne: »Nach Liebe.«
»Nach Liebe!« wiederholte er in dumpfem Groll. »Und du verwechselst Liebe mit Sünde, Annina! Wer hat dich denn bis zu diesem Grad verderben, dir derart den Sinn verwirren können? Bist du so weit, daß du sinnliche Befriedigung über alle Würde des Lebens stellst? Um ein paar Stunden der Lust, die so flüchtig und ach! so schal sind, willst du auf alles verzichten, was dir die Zukunft an Freude, an Sicherheit bietet? Du hast den Mann gefunden, der des Opfers wert ist, das zu bringen du dich anschickst? Ohne Zweifel überstrahlt er alle andern an Verdienst, ist ihnen überlegen an Geist, unwiderstehlich durch seine Talente . . . Nenne ihn mir, damit ich zugestehen muß, daß deine Verliebtheit begreiflich ist, daß ich in seiner Persönlichkeit die Entschuldigung dafür finde, daß du mich ihm opferst!«
»Du kennst ihn doch,« flüsterte Annina.
»Du schämst dich wohl, ihn zu nennen?«
»Nein,« rief sie, den Kopf zurückwerfend. »Es ist der Vicomte André von Preigne.«
»Jawohl, ein Verführer von Beruf, einer von den hübschen jungen Leuten, die, anmaßend und eitel, keine andre Beschäftigung haben, als Weiber zu sammeln, wie andre Altertümer oder Bilder zusammentragen. Er ist dabei besser dran als jene, denn seine Sammlung kostet ihn nicht nur nichts, sondern trägt ihm mitunter noch Geld ein.«
Sie schreckte zusammen und stand auf.
»Wirst du dich so weit erniedrigen, ihn mir gegenüber zu verleumden?«
»Ihn verleumden? Das würde schwer halten! Ich möchte nur, daß du wüßtest, wer er ist, denn es ist möglich, daß du wirklich im unklaren bist über diese Persönlichkeit, und wenn du ihm deine Gunst gewähren willst, so soll es wenigstens mit richtiger Würdigung seines Charakters geschehen. Du siehst ohne Zweifel an ihm nichts als seine schlanke Gestalt, seinen hübschen Blondkopf und seinen Schick. Jawohl, ich lasse ihm Gerechtigkeit widerfahren, er ist wirklich ein hübscher Mensch und weiß sich gut zu kleiden. Aber du darfst nicht in Unkenntnis bleiben, daß er vom Spiel und von den Frauen lebt. Du brauchst in den Kreisen, worin du verkehrst, nur die Ohren aufzumachen, so wirst du in kürzester Frist darüber gut unterrichtet sein. Er ist deiner ganzen Umgebung ein Gegenstand der Verachtung, soweit man nämlich nicht Angst vor ihm hat. Ein schlechterer Ruf als der seinige ist wohl nicht zu erreichen, und wenn die Gesellschaft nicht so feig wäre, wie sie es eben ist, so hätten alle, die den bezaubernden jungen Mann bei sich empfangen, ihm längst die Türe gewiesen, ihn ausgestoßen.«
Gesenkten Blickes, mit unbewegten Lippen und verschlossenem Ausdruck hörte Annina diese Worte an, offenbar entschlossen, alles über sich ergehen zu lassen, aber nicht nachzugeben.
»Verstehst du, was ich dir eben sagte?« fragte Trélaurier erstaunt und traurig. »Was hast du mir zu entgegnen?«
Sie schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß sie sich auf keinen Streit einlassen wolle.
»Fassest du, was ich dir eben sagte, als Wahrheit auf,« fuhr er eindringlich fort, »und willst du es trotzdem unbeachtet lassen?«
»Mit dir darüber zu streiten, wäre mir allzu qualvoll.«
Sie so verrannt in ihren Widerstand vor sich zu sehen, brachte Trélauriers Blut zum ersten Male in Wallung und versetzte ihn in leidenschaftliche Erregung.
»Aber ich, ich will und werde dich überzeugen!« rief er, »Ich dulde es nicht, hörst du wohl, daß du mir so unzugänglich und eigensinnig gegenübertrittst! Ich muß mit dir ringen, dich bedrängen, dich erschüttern, Herr über dich werden! Im Kampf bietet sich mir doch einige Möglichkeit über dich zu triumphieren, während deine Unzugänglichkeit mich jeder Hoffnung beraubt! Bist du schon so vollständig gefangen, daß es kein Mittel mehr geben sollte, dich dem Wahnsinn aus den Klauen zu reißen? Du hast ja noch so wenig gesehen von diesem Mann, er drängte sich nicht an dich, denn sonst würde ich es bemerkt und Argwohn geschöpft haben. Oder habt ihr gemeinsames Spiel getrieben, um euch vor meinen Augen zu verbergen? Steh mir Rede, Annina, wie lange dauert euer Verhältnis schon? Ist es eine neu entstandene Laune, oder trägst du ihn schon lange im Herzen? Ich muß alles wissen, damit ich im stande bin, dich vor dir selbst zu beschützen, denn nur das ist mein Ziel, ich schwöre es dir, armes Kind! Alles was mich berührt, fällt nicht in die Wagschale, meine Zärtlichkeit, mein Selbstgefühl, meinen Frieden, mein Glück, alles will ich zum Opfer bringen, um dich vor dem Untergang zu bewahren. Empfindest du Haß gegen mich, errege ich dir Widerwillen? Soll ich dich zu deiner Tante gehen lassen, wenn du nicht gern hier bist? Ich fordere gar nichts von dir, als das Gelöbnis, nicht mehr mit Preigne zu verkehren, ihn fernzuhalten, dich loszumachen von ihm. Das liegt mir vor allem am Herzen! Denn siehst du, meine arme Annina, dieser Mensch würde dich ohne Gnade und Barmherzigkeit zu Grunde richten. Ich gebe mein Leben preis unter der Bedingung, daß es dir zum Heil gereiche, aber dich verderben zu sehen, geht über meine Kraft. Hast du mich verstanden? Ist dir diese Genugtuung nicht hinreichend? Einige Monate der Sammlung, der Einsamkeit in Frau von Percevals Umgang werden genügen, deine Vorstellungen wieder zur Klarheit zu bringen, deine Entschlüsse zu wandeln. Ich werde mich vollständig deinem Willen fügen, sollte auch mein persönliches Glück dabei geopfert werden, aber nur unter der Voraussetzung, daß du meine Güte nicht mißbrauchst, nicht aufhörst, eine anständige Frau zu sein.«
»Ich danke dir,« erwiderte sie gefaßt, »Ich wußte ja, daß du mich liebst, jetzt habe ich einen neuen Beweis davon empfangen. Aber was du mir bietest, genügt mir nicht, ist nicht, was ich will. Wenn ich dir mein Wort gäbe, André von Preigne nicht wiederzusehen, so würde ich meinen Schwur brechen. Ihm nicht zu gehorchen, geht über meine Kraft. Ich bin sein Eigentum und er kann über mich verfügen. Du hast ohne Rückhalt zu mir gesprochen, ich muß dir meine Gemütsverfassung ebenso rückhaltlos darlegen. Auf dein Anerbieten einer halben Freiheit antworte ich mit der Forderung der vollständigen, der Mittelweg, den du mir auftun willst, wäre für mich ungangbar. Ich könnte mich von vornherein deinem Geheiß nicht unterwerfen, würde, da Lüge meinem Ehrbegriff widerstrebt, dir gegenüber keine Verpflichtung auf mich nehmen. Bis zu diesen letzten Tagen würde ich lächelnd die Achseln gezuckt haben, hätte mir jemand vorausgesagt, daß ich mich je von dir trennen würde, um mit einem andern zu leben. Trotzdem ist das jetzt der Fall. Es gibt für mich kein Leben mehr ohne den, der sich meiner Gedanken und meines Herzens bemächtigt hat. Ich bin mir selbst fremd geworden, ich bin nicht mehr, die ich war, sondern eine ganz andre. Ich, die nie an die Herrschaft der Sinne glauben wollte, ich wäre fähig, zu diesem Fenster hinauszuspringen, um zum Geliebten zu gelangen, auf die Gefahr hin, daß ich mit zerschmetterten Gliedern auf dem Pflaster liegen bliebe! Ich habe die Herrschaft über mich selbst verloren. Das ist vielleicht, wie du meinst, ein großes Unglück, aber es ist so, und ist nicht zu ändern.«
»Aber du gehörst mir!« rief Trélaurier, außer sich gebracht durch die ruhige Logik, womit Annina ihren Gedanken entwickelte, »Du trägst meinen Namen, du bist eben doch meine Frau! Du vergißt alles bis auf deine verliebte Laune! Es gibt Gesetze, denen du Gehorsam schuldest, kirchliche, gesellschaftliche Verpflichtungen, die du ohne meine Zustimmung nicht brechen darfst!«
»Um diese Zustimmung bitte ich dich flehentlich!«
»Du willst, daß ich einwillige, dich völlig freizugeben, mich von dir scheiden zu lassen mit einem Wort?«
»Ja, das wäre die deiner und meiner würdigste Lösung. Willst du mich zwingen, dir ferner anzugehören mit den Gedanken im Herzen, die ich dir offen ausgesprochen habe? Wenn du das könntest, was für ein Mensch müßtest du sein! Wahrlich nicht der, den ich achte, den ich verehre, ja den ich tatsächlich liebe mit all den Gefühlen, die meine Leidenschaft nicht verschlungen hat. Willst du mich zu einem verbitterten, trostlosen, erbärmlichen Zusammenleben zwingen? Wäre das deiner und meiner würdig? Wir haben uns in vollem Vertrauen und mit rückhaltloser Offenheit gegeneinander ausgesprochen, es bleibt nur noch übrig, die Folgerung daraus zu ziehen.«
»Du Unglückliche! Du übersiehst in deiner kühlen Logik nur eins, und das ist, daß ich dich noch immer liebe! Glaubst du, daß ich mich so leicht zum Verzicht auf dich, daß ich mich dazu entschließen kann, dich einem Nebenbuhler zu schenken? Bisher habe ich mich auf Erörterungen eingelassen, habe dir die Gefahr zu zeigen versucht, der du entgegenläufst, aber wenn ich nun meinerseits mein Herz sprechen lasse, so gibt es mir ganz andern Rat als meine Vernunft. Du erklärst mir mit einer Ruhe, die an Cynismus grenzt, daß du das Recht habest, mit einem andern als deinem Gatten zu leben, weil du nicht mehr Herr deines Willens seiest und weil in deinen Augen die Liebe jede Rücksicht aufhebe. Nun gut, ich kann dir ein Gleiches sagen! Für mich gibt es kein andres Weib als dich. Du hast dich mir geschenkt, du bist nach den Gesetzen des Staates und der Kirche mein Eigentum. Da wir aber einmal so weit sind, uns weder um Gefühle, noch um Gesetze zu kümmern, daß die Sinne allein triumphieren sollen, so erkläre ich dir, daß kein andrer dich besitzen soll, er müßte denn zuerst mich umbringen.«
Sie schreckte zusammen, ihre Züge verrieten höchste Unruhe.
»Du denkst doch nicht, Gewalt anzuwenden?«
»Wenn du mich dazu treibst, gewiß. Ohne Zögern.«
Sie blickte ihm in die Augen, daß ihn der Strahl aus den ihrigen blendete.
»Was hast du im Sinn?«
»Das wirst du dir lebhaft vorstellen können,« versetzte Trélaurier kühl. »Ich werde den Versuch machen, mich des Vicomte zu entledigen.«
»Nein! Das darfst du nicht!«
»Ich möchte wissen, wie du mich daran hindern könntest.«
»Wenn du dich nicht bestimmen läßt, von einem Zweikampf abzustehen, so werde ich von Preigne fordern, daß er ihn verweigert!«
»Wenn er feig genug wäre, darauf einzugehen, so würde ich ihn zum Kampf zwingen.«
»Hüte dich wohl, treibe mich nicht zum Äußersten! Ich will nicht, ich sage dir's noch einmal, ich will nicht, daß du dich um meinetwillen schlägst.«
»Du ängstigst dich wohl um ihn!«
»O Gott! Ich ängstige mich ebenso um dich! Der Gedanke, dich in Lebensgefahr zu wissen und durch meine Schuld . . . ich dulde es nicht, hörst du, es darf nicht geschehen, niemals!«
»Du bist eine Närrin! Was ist mein Leben denn wert, wenn du mein Glück mit Füßen trittst? Begreife doch, daß ich ohne dich nicht leben will. Ich habe dich so lieb, daß ich, wenn du bei mir, mir nahe bleiben willst, alles tun werde, um die Verirrung einer Stunde zu vergessen, und daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, auch du werdest sie vergessen. Du sprachst nur von deiner Liebe, was aber ist sie neben der meinigen? Du schöpfest aus der deinigen den traurigen Mut, mir das Herz zu brechen, ich aus der meinigen die Selbstverleugnung, alles zu ertragen, um dich zur Vernunft zurückzurufen. Vergleiche diese Gefühle – ist das eine nicht mehr wert als das andre? Nur eins kannst du von meiner Liebe nicht fordern, daß sie sich in deine Untreue ergebe. Diese Liebe ist nicht nur der Hingebung und Milde fähig, sie kann auch in Empörung auflodern, und sie wird vor nichts zurückschrecken, weder vor Bedrohung, noch Gefahr,«
»O das, das ist unmöglich!«
»So versuche doch, es zu verhindern! In dieser Stunde sind zwei meiner Freunde beim Vicomte von Preigne, um ihm zu eröffnen, welche Sühne ich von ihm erwarte. Hast du dir wirklich eingebildet, man könne, ohne eine furchtbare Verantwortung auf sich zu laden, das Leben eines ehrenhaften Mannes zerstören, ihn zur Verzweiflung, zum Wahnsinn treiben, und daß er sich darein ergeben werde, alles Leid, das man ihm zufügt, geduldig zu ertragen? Da hast du dich gründlich getäuscht! Du erklärst mir, daß du zum Naturzustand zurückgekehrt seiest und dich mit ebenso wenig Schamgefühl wie ein wildes Tier jetzt mit einem andern paaren wollest. Erziehung, Sitte, Würde, Tugend, alles hast du beiseite geworfen wie unnützen, lästigen Ballast. Gut! Ich tue dir's nach, ich werde auch wieder zum Tier, dem man sein Weibchen entreißt, und das den Nebenbuhler zerfleischen will. Du sagst, das sei unerlaubt und du werdest es nicht ertragen? Warum? Warum sollte mir verboten sein, was dir erlaubt ist? Jedem sein Teil, jedem sein Recht! Du sagst mir gelassen, daß du mich satt habest und daß dir ein andrer besser gefalle, und ich entgegne dir: ›Du gefällst mir immer noch, und da ich dich behalten will, muß ich den andern beseitigen.‹ Das ist's, wozu ich mich anschicke.«
Mit flehender Gebärde die Arme ausstreckend, trat sie ihm näher.
»Das heißt, mich unwiderruflich verdammen! Ich schwöre dir, daß, wenn du deinen Plan ausführst, ich deinen Tod so wenig überleben werde als den seinigen! Der eine ist mir so furchtbar als der andre, es gibt keine Wahl! Nur um die eine letzte Gunst flehe ich, daß du an meine Aufrichtigkeit glaubst! Du behauptest, mich zu lieben, und dennoch gibst du mich der Verzweiflung preis!«
In hilflosem Jammer rang sie die Hände, Trélaurier aber faßte sie am Handgelenk, zog sie zu sich her und sagte mit glühenden Blicken: »Zum Beweis meiner Liebe kann ich dich doch nicht einem andern schenken! Du kannst dich nicht an meine Stelle versetzen, weil du nicht weißt, was Eifersucht ist! Wenn du wüßtest, welche Qual es ist, zu fühlen, daß ein angebetetes Geschöpf sich von uns loslöst, zu denken, alles was ich von ihr ersehne, was ich von ihrer Schönheit träume, was ich in ihren Augen lesen, von ihren Lippen hören möchte, das sucht, erwartet, hofft sie, aber nicht von mir, sondern von einem andern, der kein Anrecht hat auf das Glück, das er mir stiehlt! Annina, das macht einen Mann wahnsinnig! Und du verlangst Geduld und Mäßigung von mir, während ich glühe und in Schmerz und Wut vergehe! Ach, so begreife doch, daß ich dich anbete, dich begehre, daß ich dich besitzen und behalten will . . . Annina!«
Er hatte sie fest umschlungen wie ein Rasender; diese lebende Blume in seinen Armen zu fühlen, ihren Duft zu atmen, raubte ihm die Besinnung, und er preßte seine Lippen auf den Mund der jungen Frau. Sie stieß einen dumpfen Wehlaut aus, er fühlte, wie sie bebte, wie sie von Abscheu geschüttelt von ihm loszukommen suchte, und jählings ernüchtert, gab er sie frei. Empört eilte sie von ihm weg und rief ihm zu: »O wie entsetzlich! Ich fürchte mich vor dir!«
Ihre Haltung und diese Worte machten ihm plötzlich klar, daß zwischen ihm und ihr kein physisches Band mehr bestand und daß er in Gefahr stand, auch das moralische Übergewicht zu verlieren, das er bisher behauptet hatte. Seine Schwachheit, seine Heftigkeit trieben ihm die Schamröte in die Wangen.
»Verzeihe mir,« sagte er, rasch wieder die Herrschaft über sich gewinnend, »ich vergesse, daß du dich von mir losgesagt hast und mir jedes Recht auf deinen Besitz bestreitest. Ich werde mich nicht mehr der Gefahr aussetzen, mich auf so grausame Weise daran mahnen zu lassen. Da du meinen Gründen unzugänglich bliebst, ließ ich mich hinreißen, gleich dir, nach augenblicklichem Impuls zu handeln. Das war meiner nicht würdig, und ich werde mich nie mehr von einem solchen Ausbruch der Leidenschaft übermannen lassen, beruhige dich. Du wirst nur noch besonnene, kluge Worte von mir hören. Ich glaube die Gründe erschöpft zu haben, womit ich dich von deinem Plan abwendig zu machen hoffte. Ich wandte mich an deine Vernunft, sie versagt dir den Dienst, an dein religiöses Gefühl, es ist machtlos, ich zeigte dir, wo dein Vorteil liegt, aber du opferst ihn ohne Zaudern. Damit glaube ich alles getan zu haben, was in menschlicher Macht liegt, um dich gegen deine eigene Verblendung zu beschützen, und ich erkenne meine Ohnmacht, dich an der Ausführung deiner Absicht zu verhindern. Mir stehen nur zwei Mittel zur Verfügung, um dich bei mir festzuhalten, ich muß dich überzeugen oder dich einsperren. Die Überredung gelang mir nicht, und Gewalt anzuwenden, widerstrebt mir. Nach dem, was zwischen uns ausgesprochen wurde, bin ich mir klar bewußt, daß wenn ich dich heute der Freiheit beraubte, nach deinem Willen zu handeln, du mir morgen doch entrinnen würdest und daß ich dann nicht einmal mehr das Verdienst hätte, dir gegenüber all die Großmut geübt zu haben, die zu beweisen mir ziemt. Du bist also vollkommen frei, wie es dein Wunsch ist. Du kannst gehen oder bleiben nach deinem Belieben. Wenn du bleibst, was nach deiner eigenen Anschauung nur geschehen kann, indem du eine anständige Frau bleibst, so werde ich mit keinem Wort, keiner Andeutung je auf das zurückkommen, was zwischen uns vorgefallen ist, und kein Tag meines Lebens wird verfließen, ohne daß ich dir im stillen danke für deine Pflichterfüllung. Gehst du aber, so sei dir klar, daß du ins Verderben gehst. Du glaubst der Liebe zuzueilen, doch was dich erwartet, ist das Unglück. Indem du die Schwelle dieses Hauses überschreitest, mußt du jede Hoffnung fahren lassen. Der Mann, für den du dich damit entschieden haben wirst, wird mich an dir rächen.«
Von so stolzer, sicherer Größe überwältigt, wollte sie sich dem Gatten zu Füßen werfen. Trélaurier aber verhinderte sie daran und sagte, sie fern von sich haltend, ebenso kalt, als er vorhin stürmisch gewesen war: »Dein Schicksal liegt jetzt in deiner Hand, wie du es haben wolltest. An dir ist es, die Entscheidung zu treffen.«
Und er verabschiedete sie durch ein Kopfnicken, sie aber verbeugte sich tief vor ihm und verließ wortlos das Zimmer.