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Maduma wollte nicht Gregoria heißen – das verstanden die Alten, und man gab ihr nach, obwohl sie ein Christenkind war und auf Gregoria getauft. Natürlich war es Rudi, der herausgefühlt hatte, daß sie nur deshalb so fest und unerbittlich »nein« gesagt hatte.
Aber als Mama Schukrin ihr süße Dinge gab, wie kein Boloti-Kind in vielen Jahren geschleckt hatte: Chokolade-Bonbons in goldenen Hüllen, gezuckerte Quitten, aus einem verschlossenen Glas süßere Früchte, als ganz Afrika sie hervorbringt; als sie ihr ein Tuch geschenkt hatte, das, mit Silber und Gold gestickt, Madumas ganzen Körper strahlend umhüllte; als sie ihr Gesicht und Hals und Schultern mit Küssen bedeckt, der Vater sie in seine gewaltigen Arme geschlossen, an seinen Rübezahlbart gedrückt hatte, – als alle Schwarzen Maduma beglückwünschten »dein Stamm, Maduma! Du bist bei deinem Stamm, Kind des Heils« . . . 26 auch dann zeigte dies lichtbraune Meerschaumgesicht kein freundliches Lächeln.
»Ich will jetzt gehn, große Mamma!«
»Nicht im weichen, weißen Bett mit mir schlafen, Kind meines Herzens?«
»Nein!«
Das war der erste Schmerz, den Schukrins in Boloti leiden mußten: als Maduma ihr leuchtendes Tuch ablegte, sorgfältig und zart in die alten Falten legte, eine Hand an der Stirn den Abschiedsgruß sprach »Qua heri, Bwana, qua heri, Mamma« – und langsam, stolz von dannen zog. Ganz allein! Greise, Männer, Weiber und Kinder blieben in Boloti, bis dunkel der Abend kam, bald der Mond das Gletscherhaupt Kilimandscharo wie eine große Lampe strahlen machte.
»Du hättest sie nicht weglassen sollen, Vater!«
»Mit Gewalt erreichen wir nichts« sagte Dr. Schukrin. »Auch eine Kongoni-Gazelle würde für alles Süße nicht bei uns bleiben.«
»Sollen wir die Schande tragen, daß meines Bruders Kind in der Schensihütte aufwächst und selbst ein Schensiweib wird, eine Buschnegerin?«
»Du mußt Geduld haben . . .«
Am nächsten Morgen ragten schon die Gerippe von 27 kleinen Häusern, kahle Stämme, wohl eingerammt, in die kühle Luft. Das waren andere Bauleute als die in Europa, diese zwölf schwarzen Männer! Die brauchten keinen Mörtel und keine Kelle! Sie schlugen wilde Sansivierenblätter, die fett und milchig wie Kautschuk waren, auf Steinen weich, da blieben zähe, weiße Fäden übrig, wurden ineinander gedreht und waren plötzlich unzerreißbar feste Stricke. Immer neue Stangen lieferte der Urwald. Querstangen band man mit den Sansivierenfaserstricken vielfach an die Stämme fest, da hatte das Haus plötzlich ein Dach, erst das Wohnhaus, dann die Küche, dann das Dienerhaus.
Sie gingen in die Steppe, im langen Zug, mähten hochstämmiges Elefantengras und brachten es in schweren Lasten zurück, nachdem in die kahlen Vierecke der Hausgerüste ein Spinnwebnetz aus Lianen geschlungen war.
An diese Lianen wurde Büschel um Büschel das Gras gebunden, in die Wände, auf das gieblige Dach. Fenster und Türen waren ausgespart, jedes Haus hatte zwei große Räume: Stube und Veranda.
Frau Schukrin hatte heiße Arbeit, »casi motto«, über den Kesseln und Pfannen, Rudi war ihr Küchenjunge, tat casi motto, daß ihm das Hemd am Leib 28 klebte. Er dachte an Cäsars Bücher über den gallischen Krieg, liber primus, liber alter, liber tertius – und lief und schaffte, wusch Teller und Geschirr, war der beste Küchenboy, den Mutter je gehabt.
»Jede Arbeit muß man in Afrika selbst verstehn, ehe man Diener hat«, war der Lehrsatz, den er von klein auf gehört.
Als es abermals dämmerte, erschien ein schwarzer Junge in Rudis Alter, im weißen Hemd und roten Mützchen, salutierte vor Rudi und nannte ihn »Großer Herr«.
»Jambo, Bwana mkuba.«
Er tat, als gehörte er zum Hausstand, nahm Rudi Gabeln und Löffel aus der Hand, rieb sie in Holzasche, wusch sie in Quellwasser, trocknete sie mit sauberem Steppengras.
»Ich bin Muhmadi« erzählte er.
»Und ich bin Rudi.«
»Das weiß ich doch. Ich bin doch ein Missionskind.« Vor zwölf und einem halben Jahr hatte Vater Schukrin Mohamed Josef und seinen Rudolf gleichzeitig getauft.
Seit acht Jahren die erste Unterhaltung, die Rudi in richtigem Kisuaheli führte, mit einem, der wirklich kein Deutsch verstand. 29
»Ich kann viel Ki-Französisch und Ki-Lateinisch und Ki-Deutsch, Muhmadi!«
»Ich kann nur Ki-Suaheli und Ki-Tschagga und ein wenig Ki-Massai und ganz wenig Ki-Englisch.« Das war schon ein bißchen kränkend – drei fremde Sprachen konnte dieser schwarze Junge und dazu Sprachen, die hier draußen wichtiger waren als etwa Latein.
»Ich bin Außenstürmer beim Fußball. Kannst du Fußball spielen, Muhmadi?«
»Was ist das, Bwana mkuba?«
Es gab viel Arbeit, aber zu einem Wettlauf reichte gerad noch das Licht.
»Wer zuerst am Waldrand ist, Muhmadi!«
Muhmadi zog sein Hemd aus, Rudi auch. Aber er behielt die Khakihose an, außerdem Schuhe, während Muhmadi jetzt ganz nackt war. Aber dafür war Rudi in Hannover der beste Läufer seiner Klasse gewesen.
»Eins–zwei–drei–los!«
Natürlich lag's an den Stiefeln . . . Rudi lief wie ein Bär neben einer Gazelle. Ein Bär läuft anfangs so rasch wie eine Gazelle, mit Kraft, nicht mit Gewandtheit. Ihm geht bald der Atem aus. Eigentlich war es gar kein Wettlauf – Muhmadi 30 ging bald seines Weges, und Rudi keuchte ihm nach. Damit war's also nichts, mit den Sprachen weder, noch mit dem Laufen. Ob Ringen und Boxen Rudis Überlegenheit zeigten?
»Tschui!« sagte Muhmadi oben am Waldrand, als Rudi sich endlich verschnauft hatte.
»Was? . . .« Tschui heißt Gepard, das ist der tückische, schwarze Jaguar, den er auch aus dem Zoo und Vaters Jagdgeschichten kannte.
»Lies!« sagte Muhmadi und zeigte auf den Waldboden. »Von gestern!«
Ein Gepard hatte gestern erst hier über den Waldrand ins Freie gewechselt, hatte die lärmende, blökende, meckernde Schar da unten am zerfallenen Missionshaus gemächlich betrachtet, vielleicht Hühner und Lämmer sorgfältig gezählt – und war dann mißvergnügt ob der Zahl zweibeiniger Feinde in seine alten Jagdgründe heimgekehrt.
Armer Rudi! Er konnte Julius Cäsar lesen, aber von der Schrift, die bekrallte Füße, behufte Füße, buschige Ruten, klappernde Stacheln in den Boden schreiben, wußte er nichts. Einstweilen war Muhmadi der Sieger auf allen Fronten.
Als Muhmadi sich später der großen Mama vorgestellt hatte, »ich bin das Missionskind Muhmadi«, wurde er umarmt und gefüttert. Ihr Patenkind, 31 Kind der Leute, in deren Schutz sie Gregoria zurückgelassen hatte!
»Bist du Gregorias, ich will sagen Madumas, Freund und Bruder, Muhmadi?«
»Ich bin ihr Freund und Bruder, große Mamma!«
»Dann sag, warum sie uns böse ist.«
Muhmadi nahm am Feuer Platz und tat, was kein Junge in Hannover gewagt hätte: zog unter seinem roten Fez hervor eine Zigarette, steckte sie mit einem glimmenden Holzscheit an und blies den Rauch vor sich hin. Er hatte sehr dicke, wulstige Lippen. Wenn er den Fez nicht trug, sah man, daß seine Haarwolle kunstvoll rasiert war: lauter Knoten und Wülste waren ausgespart, ein richtiges Muster, daß man an einen Teppich denken mußte. Er hatte gelbe Drahtringe in den Ohren und ein goldnes Knöpfchen in den rechten Nasenflügel gebohrt. Auch sonst war Muhmadi ein hübscher Junge mit gescheiten Augen und von höflichen Sitten.
»Hast du Daua, Mamma, Wunderseife, von der man weiß wird?«
»Das gibt es nicht, Muhmadi! Die Leute in Uleia sind weiß, und die in Afrika sind schwarz, so hat Gott sie gemacht. Da gibts keine Daua.«
»Allah! . . .« 32
»Die weißen Leute sind nicht besser als die schwarzen, Muhmadi. Es gibt böse und gute von beiden – sei du nur ein guter Schwarzer, Junge!«
»Ich? Ich will keine Daua haben!«
Es klang erstaunt und ein bißchen empört. Muhmadi war ein rabenschwarzer Junge, der schneller laufen und schneller Gabeln putzen konnte als der große Bwana Rudi, der Wildspuren las und nicht daran dachte, etwas anderes sein zu wollen, als er war.
»Warum willst du Wunderseife haben?«
»Maduma will sie. Wenn du ihr Wunderseife gibst, kommt sie zu dir, hat sie gesagt.«
»Ich will mit ihr sprechen, Muhmadi.«
Bald darauf nahm er seinen Wanderstab, ein kleines Bündel mit Geschenken für sich und seine Freundin, salutierte und ging still in die beginnende Nacht hinein.
»Qua heri, – morgen bin ich wieder da!«
Grad und straff wie eine Kerze, aber winzig klein, nur ein Weihnachtslicht, stand er noch eine Sekunde lang vor dem Vater, der riesenhaft schien, ein Geschöpf des Urwalds.
»Auf morgen, sehr hoher Herr!«
»Bringst du Maduma mit?«
»Vielleicht, sehr hoher Herr!« 33
»Das Kind – was hat Gregorius' Kind gegen uns?« klagte Mama. »Seine Mutter hat sterben müssen, weil damals im Krieg keine Medizin und kein Arzt zu haben war, weit und breit. Aber ihr hab ich die Flasche gegeben und hab sie lieb gehabt wie mein eigenes Kind. ›Kommt zurück, kommt zurück!‹ hat sie uns nachgerufen, als wir fort mußten. Kann sie alles, alles vergessen haben, bleibt von Sorge und Liebe nichts in einem Kinderherzen zurück?«
Der Vater war so tüchtig müd, so schön und schwer müd, wie nie nach den durchochsten Nächten am Studiertisch.
»In zwei Tagen ist unser Grashaus fertig, Kinder. Das war ein gesegneter Tag! Jetzt wollen wir schlafen gehen.«
»Darf ich noch etwas sagen, Vater?«
Der Vater gähnte, die Mutter weinte, Rudi sprach klar und gescheit, was er erraten hatte:
»Bisher war Maduma die Weißeste hier. Jetzt sind wir viel weißer als sie, deshalb will sie Daua oder bei ihren Zieheltern bleiben.«
Wahrhaftig, das war das Geheimnis! Maduma war stolz! Ihr weißer Vater war tot oder verschollen – sie wollte nicht das fremde, farbige Kind im Haus der Europäer sein. 34
»So schön ist das Kind, die blonden Haare um das süße Braun. Nicht wahr, Rudi? Meingott, ich kann's nie glauben, daß Gregorius tot ist . . .!«
Aber sie waren so müd, alle drei . . . . 35