Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

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Mamma yanko! Mamma wä!

Die Wolldecken, die Pastor Schukrin zwischen Fell und Sattel getragen hatte, gaben seinen herben, ein wenig bitteren Schweißgeruch ab. In die eine wickelte sich Rudi, in die andere Muhmadi, so lagen sie, wie zwei unscheinbare, im Pori vergessene Lasten, nebeneinander auf der harten Erde. Der Mittagsschlaf war eine kleine Erfrischung gewesen, jetzt kam das süße, ersehnte Untertauchen in lang erkämpfter Müdigkeit.

Beiden waren die Augen bleischwer und fielen zu, ehe sie einander gute Nacht gewünscht hatten.

Rudi träumte, er war in Hannover und hatte Fußball gespielt. Vor dem Tor war er gestürzt, die feindliche Stürmerreihe über ihn hingefegt, jetzt schleppte er sich mit blau getrampelten 118 Schienbeinen und gequetschten Rippen nachhause. »Du mußt in die Kirche gehn« sagte die Mutter. Aber Rudi war müde – er hielt den Schlaf fest um sich gepreßt, wehrte sich gegen die Kirche.

»Hörst du nicht die Glocken?«

Aber wer so schlafschwer ist und so müde Glieder hat, daß jeder Knochen ihm weh tut, der kann nicht auf Glocken hören.

Da wurde die Glocke böse wie im Gedicht. . . .

Näher und näher an den Nachbarn drängte es Rudis schlafenden Körper, als sei bei dem kleinen Muhmadi Schutz . . . Noch träumte er von einer Glocke, die tönend, drohend einher wackelt, vor der es kein Fliehen gab, – da zerriß der Traum, und Rudi fuhr mit einem Schrei in die Höhe, der auch Muhmadi gellend weckte.

Das war kein Glockengeläute, das war kein Traum – gräßlich und brüllend ging der Tod um's Lager! »Uuh-aaaah. . . . .«

Nur Sterne und Mond wußten nichts von den Löwen, es flimmerte vom Himmel, breit lag eine weißsilberne Mondbrücke vom Kilimandscharo zum Meru durch's Pori gebreitet. Nur Sterne und Mond hörten nicht der nächtlich schweifenden Katze herrischen, tödlichen Ruf. 119

Aber die Steppe selbst war plötzlich ohne anderen Laut als dies Löwen »U« – – Zikaden und Frösche hielten den Atem an, es war so still, als bebte das Pori unter der furchtbar erhobenen Tatze seiner Majestät.

Muhmadi war aus seiner Decke geschnellt wie ein Insekt, kauerte am Feuer, ehe Rudi noch denken konnte, blies hinein, griff nach Rudis Hut, fächerte Wind, warf neues Reisig in die aufflackernde Glut, und während er so tat, was Menschenkraft vermag, heulte er laut »O Mamma yango, Mamma wä! Du meine Mutter, du meine Mutter! . . . .«

»U . . . . u . . . . u« rief es aus der Steppe zurück, an beiden Seiten des Lagers zugleich, streute Furcht in tausend Antilopen- und Mauseherzen zugleich. »Mama! Mama!«

Auf zerbrochenen Knien hatte sich Rudi ans andere Feuer geschleppt und tat alles nach, was er Muhmadi tun sah, das Blasen, Fächern, das Weinen und »Mama« rufen. Des Maultiers Atem ging mit Pfeifen, seine Flanken bebten, als schüttelte eine Riesenhand das alte Tier in der Luft, die Riesenpranke seiner Todesangst.

Jetzt prallten beide Feuer ihre beste Glut empor, jetzt prasselten grüne Äste, dann griffen beide 120 Jungens zu ihren Gewehren. Die Schrotflinte puffte eine kostbare Patrone um die andere ins Leere, Rudis Karabiner donnerte über die Steppe. Schuß um Schuß, bis das Magazin leer war.

»Mamma yango!«

Bald heulten die Jungens mit Gewalt, was ihre Lungen nur hergeben wollten. Blitz, Donner und ihr doppeltes Angstgeschrei, das sich bemühte, tapfer zu klingen, zwischen prasselnden Feuern, die Rauchschwaden über die Steppe fegten und gelbe Farbklexe in die Nacht malten: nach soviel Fremdem für Nase, Aug und Ohr hatten die jagenden Löwen kein Verlangen. Sie gaben die Witterung des Angstschweiß strömenden Pastor Schukrin auf und gingen leichterer Beute nach, schnellfüßig und unsichtbar. Ihr schreckliches »U« verhallte langsam im Weiten.

Rudi und Muhmadi umhalsten sich, fielen umschlungen auf ihre Decke zurück, weinten einander die Gesichter naß und beteten laut.

»Jetzt hab ich weiße Haare . . . .« dachte Rudi. »Vater unser, der Du bist im Himmel, beinah wär ich gestorben vor Angst. Dein Reich komme, Dein Wille geschehe . . .«

Als die Herzen ganz langsam sich beruhigten, diese drei Herzen sehr verschiedener Kameraden, 121 kamen Durst und Hunger mit unbegreiflicher Heftigkeit. Die Angst hatte ihre Körper ausgetrocknet und ausgesogen, alle Kraft aus Hirn und Gliedern geholt. Der Schlund brannte, die Lippen waren krustig.

Jedem der Jungens war es schwer, die Arme vom Hals des Kameraden zu nehmen, die tränennasse Wange von des anderen tränennasser Wange zu lösen, denn dies zweite Stück Menschenleben und von Herzschlägen durchtobte Stück Menschenleib schien das einzig Feste, Tröstliche im All. Aber endlich siegte die Not des Leibes über die Not der Herzen – die Jungens griffen nach ihren Flaschen, gossen kalte Bäche durch ihre wundgeheulten Kehlen, ächzten, klagten. tranken und tranken immer wieder.

Dann langten sie nach Brot und Fleisch. Sie aßen nicht, sie fraßen, schlangen Pakete von Nahrung in sich, bis wieder ein bißchen »ngufu«, wie Muhmadi sagte, nämlich Kraft, Mut und Selbstbewußtsein, in ihr verzagtes Leben kam.

»Wär nur die Nacht vorbei, nur diese Nacht vorbei!«

Rudi nahm die erste Wache von einer Stunde, schlief dann schwerer und tiefer als je im Leben, denn was diese halbe Viertelstunde Angst von 122 seiner »ngufu« verbraucht hatte, war mit Speis und Trank allein nicht wieder zu gewinnen.

Er schlief ein, während Muhmadi, den Karabiner im Arm, am Feuer hockte, die Nase in der Luft wie ein sicherndes Wild, ganz wach und gar nicht mehr angstvoll. Aber Rudis letzter Gedanke war: »Laß diese Nacht vorbei sein. lieber Gott!« 123

 


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