Georg Freiherr von Ompteda
Maria da Caza
Georg Freiherr von Ompteda

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XXI.

Die beiden jungen Frauen waren nicht gleich nach Berchtesgaden weitergefahren. Gräfin Selbotten fürchtete, es möchte für ihre Kleine doch ein bißchen viel werden, dazu war es wahrscheinlich noch frisch in den Bergen und ihr Mann hatte ihr geraten, zuerst einige Tage in München zu bleiben. Dort konnten sie ins Theater gehen, Bilder und Sammlungen zusammen besehen, am Tage aber fanden sie Straßenleben und -treiben. Das brachte Maria vielleicht auf andere Gedanken. Die Ruhe Berchtesgadens – jetzt, wo der große Fremdenverkehr noch nicht stattfand – war vielleicht gerade zu diesem Zeitpunkt nur gefährlich für Marias verwundete Seele.

Sie war sehr still, sehr in sich gekehrt. Sie wußte es nun, daß Stassingk sie nicht so liebte, wie sie ihn, daß er sie vielleicht nicht so lieben konnte. Der Jammer dessen, der sich nicht gleich stark geliebt sieht, wie er selbst liebt, erfüllte ihr Herz.

Wenn sie mit der Freundin in der Sezession die Bilder besah, erinnerte sie sich seiner, wie er ihr das Gemälde »Müde« Peter Stöckls erklärt, und als sie einmal vor einem neuen Werke des jungen Malers standen, einer kleinen Leinwand, die nichts aufwies als ein Stück Wald, da war es ihr, als stünde er hinter ihnen, um mit seiner leisen einschmeichelnden Stimme von dem Inhalt, der Bedeutung dieser ernsten, starren Bäume zu reden.

Die kleine Gräfin schaute im Katalog nach dem Titel:

– Da ist es, Maria: Peter Stöckl, Berlin: »Nach dem Sturm«.

Nun sahen sie das Bild genauer an. Jetzt bemerkte Mariia einzelne zerzauste, geknickte Aeste, die schlaff herunterhingen. Die Bäume aber waren bewegungslos, nicht ein Blättchen regte sich. Und jetzt hatte sie Verständnis für den Inhalt. Sie begriff die Wunden, die dem Walde geschlagen. Die starre Ruhe, als ob alles Leben erstorben sei, empfand sie, da es in ihrem Innern war, als sei jede Regung erstarrt.

Sie fühlte, wie sie sich verändert hatte, und fragte die kleine Freundin:

– Bin ich nicht anders geworden?

– Nein, Maria, ich finde nicht! – bekam sie als Antwort, denn Gräfin Selbotten wollte nicht merken lassen, wie verändert sie Maria fand. Schön war sie noch immer, aber das Königliche schien aus ihrer Haltung geschwunden zu sein. Sie ging: nicht mehr den Kopf stolz erhoben. Sie blickte vor sich hin, sie sprach fast nichts und war immer mit ihren Gedanken beschäftigt.

– Nicht wahr, ich bin langweilig? – fragte sie wieder die kleine Freundin, die ihr um den Hals fiel:

– Maria, wie kannst Du nur so etwas sagen! Wir verstehen uns doch zu gut!

Nun fing die kleine Selbotten an zu scherzen und zu lachen, wie es eigentlich ihre Natur war, erzählte Geschichten und hüpfte und sprang umher im Zimmer der Pension auf der Briennerstraße, wo sie wieder wohnten, daß Maria endlich doch auch lächeln mußte.

Aber kaum war die Freundin hinausgegangen, um nach dem Kinde zu sehen, als Maria wieder in ihr dumpfes Brüten verfiel. Sie dachte daran, wenn sie Mutter wäre, dann hätte sie doch jetzt etwas zu sorgen. Doch dann fiel ihr ein, wie ihr die Kinder wahrscheinlich gar nicht zugesprochen sein würden, da sie ja, um die Scheidung zu ermöglichen, die Schuld auf sich nahm.

Herr da Caza hatte ihr nicht wieder geschrieben, aber Justizrat Zenker wollte in den nächsten Tagen die erforderlichen Schritte tun. Nun hoffte sie nur auf einen Brief Stassingks. Maria schob die Schuld daran, daß er an dem Abend in Berlin nicht gekommen, ein wenig Graf Selbotten zu. Sie redete sich ein, nur eine augenblickliche Verstimmung habe den Geliebten so handeln lassen. Er würde, er mußte zurückkehren zu ihr. Und wenn er hundertmal in einem Strohfeuer entbrannte, hundertmal käme er wieder.

Wie sie das ertragen würde, wußte sie noch nicht. Ein langer Leidensgang stand ihr bevor, ein ewiger, nie endender Kampf um seine Liebe. Sie würde immer die Augen schließen müssen, nicht zu sehen, wie er einer anderen heimliche Worte sagte. Sie würde immer bangen und zagen müssen, wann der Augenblick käme, wo er eine neue Frau fände, die ihn gefangen nähme. Lange dauerte es nicht, dessen war sie gewiß. Doch jedesmal würde das Herz ihr bluten, jedesmal bekäme sie einen Dolchstich, eine Wunde nach der anderem, eine neue, wenn die alte noch schwärend offen.

Sie wußte es, eine Marterstraße lag vor ihr mit Dornen bestreut.

Aber sie liebte ihn doch, und die Augenblicke, die Stunden, die Tage, wo er wieder ihr gehörte, würden sie vielleicht doch trösten können über alles Leid. Wenn er sie um Verzeihung gebeten – es wäre doch alles wieder gut gewesen.

Da klingelte es draußen im Flur, und sie hörte die Stimme des Briefträgers, der einen Einschreibebrief brachte, wie sie zu verstehen glaubte. Sie trat hinaus:

»Für mich! Nicht wahr?«

Gräfin Selbotten hatte einen Brief ihres Mannes in Empfang genommen. Sie öffnete ihn und fand Stassingks Abschiedsworte darin. Ganz groß stand: »An Maria« auf dem Umschlag. Die kleine Gräfin überließ ihn ihr nichtsahnend. Erst als sie die ersten Zeilen des Briefes ihres Mannes gelesen hatte, sah sie, daß sie Maria hätte vorbereiten sollen. Voller Angst lief sie an ihr Zimmer und pochte, denn es war von innen verschlossen. Niemand antwortete. Gräfin Selbotten flehte:

»Ich habe Dir etwas zu sagen! Maria! Maria! Mach doch auf!«

Sie erhielt keine Antwort. Da glaubte sie, es sei das beste, die Freundin nun, wo sie doch den Anfang gelesen, sich selbst zu überlassen.

Maria hatte sich in einem Stuhl geworfen und mit jubelndem Herzen den Brief Stassingks aufgerissen. Er war wieder zu ihr zurückgekommen! Er schrieb!

Und sie las:

Meine geliebte Maria!

Vielleicht ist es das letzte Mal. daß Du einen Brief von mir bekommst, vielleicht wenn Du diese Zeilen in den Händen hast, ist meine Hand erstarrt und kann die Feder nicht mehr führen. Lass mich bestimmter reden. Diese Einleitungsworte dienen nur, um Dich vorzubereiten. Es ist der letzte Brief, den ich Dir schreiben kann, Maria. Herr da Caza hat mich gefordert, und bleibe ich am Leben, so gehen diese Zeilen überhaupt nicht ab, stößt mir jedoch etwas zu, so wird der liebe, alte Freund Selbotten so gut sein, sie an Dich zu befördern.

Sie sind also, wenn Du sie liesest, ein Gruß aus einer anderen Welt, der letzte Gruß eines Toten!

Maria hatte die Zeilen überflogen. Sie hielt den Brief mit zitternden Händen, es war ihr, als stiege ihr das Blut zu Kopf, als flimmerte es ihr vor den Augen, als würde es ihr schwarz, und sie mußte das Papier sinken lassen. Aber sie fand doch die Kraft wieder, Mut zu fassen und weiterzulesen:

Als Letztes, was ich Dir sagen will: ich bitte Dich, verzeihe mir, wenn ich böse an Dir gehandelt. Ich weiß, daß ich Dich nicht so geliebt habe, wie Du es verdienst, Du, die Schönste, die ich in meinem Leben gesehen. Du, die Beste, die Liebste, die Edelste, die mir begegnet ist, solange ich denken kann. Gegen Dich müssen alle anderen Frauen verschwinden, gegen Dich sind sie alle nichts. Du überstrahlst sie, überragst sie alle, alle! Und Dich liebe ich ja nur.

Ja, ich liebe Dich allein, wenn Du es mir auch vielleicht nicht mehr glauben kannst, mir Unwürdigem, der ich doch immer nach rechts oder links gesehen habe.

Heute abend, wo ich vor der größten Entscheidung meines Lebens stehe, halte ich einmal Rechenschaft über mich selbst. Und diese Rechenschaft wird zum Gericht, wenn ich daran denke, daß ich Dich verraten habe – nicht in Taten – aber in Gedanken, in Worten, in Blicken, so oft, wie ich es selbst nicht sagen kann.

Ich weiß, was die Liebe fordert: den Gedanken nur an die eine. Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Ich weiß es, aber ich glaube, ich kann es nicht.

Und doch liebe ich Dich, Maria! Vielleicht liebe ich Dich auf meine Art, wie andere es nicht verstehen! Ich kann nicht vorübergehen, wenn schöne Frauen mit mir sprechen, denn mein Auge ist für den Reiz der Schönheit geschaffen, mein Ohr fühlt sich angeregt durch eine Weibesstimme.

Wenn Du aber verlangst, daß ich nur Auge und Ohr haben soll für Dich, wenn Du unter Liebe verstehst den alleinigen Besitz, eifersüchtig bewacht während jeder Sekunde, so muß ich Dir sagen, dann liebe ich Dich auch nicht.

Aber Du irrst Dich, ich liebe Dich doch: Ich huldige dem Liebreiz und der Schönheit, wo ich sie sehe, aber mein Herz muß doch der Schönsten gehören, und die Schönste bist Du.

Nun muß ich Abschied nehmen, einen Abschied ohne Wiedersehen, denn ich kehre nicht wieder. Nicht wieder Nicht wieder. Ich besehe meine Hand, während sie schreibt, und es wird mir eigen zu Sinn, daß sie sich in ein paar Stunden nicht mehr bewegen wird, um Dir zu schreiben. Dann wird mein Herz nicht mehr für Dich schlagen können, Maria, denn es steht still. Und dann? Ja, was kommt dann? Wo werde ich sein?

Du aber bleibst zurück. Und was wird aus Dir? Das ist es, was mir jetzt Sorge macht. Zu meinem Begräbnis kannst Du nicht kommen. Nie siehst Du mich wieder. Es ist, als ob ich weggelöscht wäre, als ob ich nie in Deinem Leben erschienen sei, und, Maria, Glück habe ich Dir nicht gebracht.

Wenn ich dann fort bin, dann ist es ja, als ob ich nie Deine Ehe gestört. Ich weiß, daß Du trotzdem zu Deinem Manne nicht zurückkehren wirst, weil ich immer als Schatten zwischen euch stände, aber ich bitte Dich, zürne ihm nicht, daß er mich getötet hat. Er hat nach den Gesetzen der Ehre gehandelt, und wenn er mich traf, so glaube mir, ist es Zufall gewesen, weiter nichts.

Selbottens werden sich um Dich kümmern, um Dich sein, so ist es mir ein Trost, daß Du nicht ganz allein bist.

Ich weiß, Maria, Du wirst um mich weinen, Du wirst trauern um mich, ich weiß, Du wirst mich nicht vergessen. Ich weiß aber auch, wie es im Leben geht, daß die Zeit alle Schmerzen lindert, die Jahre heilen. Lasse Zeit vergehen, viele Zeit, dann wirst Du ruhiger werden, dann wird allmählich – sei mir nicht böse, wenn ich es sage – allmählich wird mein Andenken verblassen. Ferner und ferner wird es Dir werden. Zuletzt wird Dir nur noch ein wehmütiges Erinnern von mir bleiben, ein schwaches Bild von dem Manne, den Du geliebt hast aus tiefster Seele, dem Du Deine Zukunft geopfert, und der Dich auch ein bißchen lieb gehabt hat, wenn Du es ihm auch jetzt vielleicht nicht glauben willst.

Dann wirst Du vielleicht einmal einen Besseren finden als mich, einen, der Dir sein ganzes Herz schenkt. Wenn dieser Mann einmal kommt, dann laß nicht mein Bild zwischen euch treten, das ist meine letzte Bitte, hörst Du, meine letzte Bitte! Dann, und wenn Du ihn auch nicht aus heißestem Herzen lieben könntest, und wenn Du ihn nur so liebst, wie ich Dich als armer Schächer, der nicht richtig lieben kann, dann gib ihm Deine Hand und sage ihm diese Worte:

»Ich habe einmal einen Mann geliebt aus tiefster Seele, der gab mir nur sein halbes Herz, er konnte nicht mehr. Nun liebst du mich, sagst du, aus tiester Seele und ich habe nur noch ein halbes Herz für dich, ich kann nicht mehr. Wenn du's zufrieden bist, so soll es dir gehören.«

Dann, Maria, wirft Du vielleicht wieder glücklich werden, ganz glücklich, glücklicher, als Du es mit mir geworden wärest, aber dann in Deinem Glück bitte, bitte, denke noch einmal zurück an

Deinen Ernst.

Als Maria geendet, blieb sie regungslos in ihrem Stuhle sitzen. Das Papier war ihr entfallen. Sie blickte starr vor sich hin auf den Teppich. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, die nun unablässig die Wangen herabtropften. Sie schluchzte nicht, sie war ganz starr, wie niedergeschlagen, gelähmt, als könne sie kein Glied rühren.

So blieb sie eine Stunde, ohne sich zu bewegen.

Dann klopfte die kleine Gräfin. Maria erhob sich mechanisch, um zu öffnen, und als die Freundin neben ihr im Zimmer stand, war sie, trotz allen Zuredens und Schmeichelns, nicht dazu zu bringen, auch nur ein einziges Wort zu sagen, als dumpf und mit Tränenschauern begleitet:

»Er ist tot.«

Wie ihre Tränen dann zu versiegen begannen, blieb sie immer noch stumm. Sie saß nur in einer Ecke und las wieder und wieder Stassingks Brief bis zum Abend.

Am nächsten Tage ging es fort: sie sprach kein Wort, las nur den Brief und weinte. Dabei nahm sie kaum Nahrung zu sich. Die kleine Freundin versuchte ihr Trost zuzusprechen, doch vergebens. Maria hörte ruhig zu, aber sie antwortete nicht. Und weil sich nun Gräfin Selbotten gar nicht mehr zu helfen wußte, telegraphierte sie in ihrer Not an ihren Mann, er möchte kommen, denn sie begann um Marias Verstand zu fürchten.

Graf Selbotten nahm Urlaub und erschien ein paar Tage darauf. Zuerst wollte Maria auch ihm nicht antworten, aber er machte bald den Versuch, ihr Interesse an den Dingen wieder zu wecken, indem er sie fragte:

»Gnädige Frau, soll ich Ihnen denn nicht erzählen, wie es war?«

Da ward sie aufmerksam und stellte einige Fragen, die er mit möglichster Schonung beantwortete. Schritt für Schritt ging es vorwärts, bis er ihr einmal das ganze Duell bis in alle Einzelheiten erzählte. Sie weinte noch, und als er den Tod Stassingks schilderte und alles, was dann gefolgt, die Beisetzung, da kam noch einmal eine fürchterliche Erschütterung der Nerven, ein Weinkrampf mit Schluchzen und Beben und Zittern, dann versiegten die Tränen.

Maria konnte ruhig Graf Selbotten fragen:

– Wo liegt er begraben?

– Auf dem Gute seines Stiefbruders.

Maria nickte. Sie schien nachzusinnen. Nach einer Weile sprach sie mit zitternder Stimme, aus der eine unsägliche Traurigkeit klang:

– Ist das Grab – schön?

Ganz einfach. Nur ein schmaler Hügel auf dem kleinen Friedhof im Park, wo seine Eltern beide liegen. Er ruht an der Seite seiner Schwester, die ganz jung gestorben ist. Daneben steht eine Weide, die läßt ihre Aeste darüber hängen. Der Bruder hat die Kränze fortnehmen lassen und Blumen eingepflanzt, und ich habe für Sie, gnädige Frau, an das Kopfende einen großen, hohen Stock weißer Rosen eingesetzt. Die werden diesen Sommer schon blühen!

Ich danke Ihnen, lieber Freund! – sagte Maria, stand auf und gab ihm die Hand. Sie blieb vor ihm stehen:

– Glauben Sie, daß ich das Grab einmal werde sehen können?

– Diesen Herbst, gnädige Frau, wenn Ihnen die frische Luft der Berge wohlgetan haben wird. Sie können's ganz gut brauchen.

Maria lächelte müde, und er fuhr fort:

– Sein Bruder ist über alles unterrichtet. Diesen Herbst, wenn ich von meiner Dienstleistung zurückkomme, fahren wir hin.

Da legte Maria ihren Arm schmeichelnd um der kleinen Gräfin Schulter mit den Worten:

– Wollen wir nicht bald abreisen nach Berchtesgaden? Ich sehne mich so fort!«

–Wann Du willst!« antwortete die Freundin. Es wurde beschlossen, in zwei Tagen die Koffer zu packen. Graf Selbotten mußte noch am selben Abend nach Berlin zurück, sein Urlaub war abgelaufen.

Als die beiden Damen vom Bahnhof zurückkamen, tröstete Maria die kleine Gräfin, die ein wenig gerötete Augen hatte vom Abschied, indem sie traurig sagte:

»Du mußt nicht weinen! Was habe ich zu tragen! Ihr seht euch ja wieder! Aber ich ...?«

Und plötzlich richtete sie sich straffer auf, als sie je in der letzten Zeit getan, und in ihrer Haltung war wieder etwas von der königlichen Schönheit der alten Maria da Caza, als sie fast hart sprach:

– Aber ... vielleicht ... wäre ... ich... noch ... unglücklicher geworden ... als ich jetzt bin!


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