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Zweites Kapitel.
Eine Tonne Goldes.

Der Sinn für geheime Verbindungen zur Erreichung idealer Zwecke stammt in Deutschland schon aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Freimaurerei und Illuminatenwesen hatten kurz vor den Revolutionskriegen beinahe epidemisch in Deutschland gehaust. Die politischen Umwälzungen waren mit brutaler Hand durch die idealen Geisterbündnisse gefahren, da hatte sich von Ostpreußen aus, im Einverständnisse wenigstens mit den Spitzen der Regierenden, wenn auch nicht der höchsten Spitze, ein neuer geheimer Bund gebildet mit nationalen und politischen Zielen, der Tugendbund.

Die Nachwirkungen desselben auf die Jugend suchte man in den zwanziger Jahren mit Kerker und Ausschluß aus den Staatsdiensten zu bannen, während man von 1808 ermuntert und die Jugend wie das Alter aufgestachelt hatte.

Die Jugend war durch den Dichterfürsten Schiller geweckt und idealisirt, es bedurfte daher nur eines kleinen Anstoßes. Der Deutsche, von den Franken geknechtet vom Rhein bis an den Pregel, von der Nordsee bis zu den Alpen, fühlte seit Jahrhunderten sich zum ersten mal wieder Eins in dem Bewußtsein gemeinsamer Schmach.

Je mehr das Franzosenthum sich zu spreizen anfing mit seiner Mission, die Civilisation über die Welt zu verbreiten und allen Völkern unter der Herrschaft Frankreichs auch die Präge französischer Civilisation zu geben, desto mehr wurde sich der Preuße, der Brandenburger, der Märker, der Kalenberger, Hesse u. s. w. des deutschen Völkerthums bewußt. Schiller's Dramen mit seinen idealen Helden und dem Pathos und Schwunge der Sprache, selbst mit seinem Phrasenthum hatten Gedanken, Wünsche, Hoffnungen an das Vaterland rege gemacht, Gedanken an den Staat, im Gegensatze zu dem Privatfürstenrechte, geweckt.

Der Schulmeister auf dem ärmsten Heidedorfe war im Besitze von Schiller's Gedichten und einiger Lieblingsdramen desselben. Wohin Fichte's Männerworte nicht drangen, da declamirte ein Schulmeister der Jugend vor:

Ans Vaterland, ans theure, schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.

Und nun erst in den gelehrten Schulen, auf den Gymnasien, da waren die Männer der Erhebung von 1809, die Hofer, Herzog Oels, Schill, Katt, Dörnberg und Emmerich Ideale der Jugend.

Hermann Baumgarten hatte seit anderthalb Jahren das Gymnasium in Göttingen besucht und war jetzt in den Hundstagsferien des Jahres 1811 daheim bei den Aeltern im grünen Walde.

Hermann war ein hochaufgeschossener, aber schmächtiger Knabe von dreizehn Jahren, dem man eine gewisse Kraft an der strammen Haltung und der elastischen Schwungkraft seines Ganges ansah.

Es war morgens drei Uhr, und die Julisonne noch nicht aufgegangen, als Hermann aus dem Fenster seiner Schlafkammer auf das Stalldach stieg, das etwa bis zu zehn Fuß über den Erdboden oder vielmehr einen trockenen Dunghaufen sich senkte.

Der Knabe stieg herab und war mit einem Sprunge auf dem Hofe. Der Kettenhund schlug einmal an, aber auch nur einmal, denn er kannte Hermann. Dieser begab sich zu dem Theile des großen Hofraums, wo das Wellenholz für den Winter zum Austrocknen hoch aufgehäuft war, zog unter dem Reisig einen Sack hervor und ein Kienrußgefäß, wie dazumal vor Erfindung der englischen Glanzwichse in jeder bürgerlichen Haushaltung zur Bereitung von Stiefelwichse vorhanden war. Er nahm den Sack auf den Rücken, warf noch einen Blick nach dem Schlaffenster seiner Mutter, und da er dort alles still fand, schlich er leise in den Blumengarten und trat an der andern Seite desselben in den Wald. Hier sah er sich nochmals um, war es ihm doch, als hörte er etwas im Laube rascheln. Im Garten und Forsthause war alles still, aber es raschelte jetzt lauter zu seinen Füßen. Feldmann, der treue Dachshund, hatte seinen jungen Herrn erspürt und bat zu seinen Füßen, ihn mitzunehmen. Das mußte nun schon geschehen. Im Leinholze dämmerte es noch, die Sterne funkelten hier und da durch das Laubdach, und im Osten fing der Himmel an sich violett zu färben.

Der Wanderer ging raschen Schritts nach Süden auf einem schmalen Jägerpfade. Nach einer halben Stunde verließ er den Pfad und schlug sich durch junges dichtes Unterholz der frühern hessischen Grenze zu.

Hier in einem Thale war eine sogenannte Schwedenschanze, die das Volk auch Heidenmauer nannte, vielleicht ein alter Lagerplatz für räuberische Landsknechte. Der freie Platz, der von einer halbrunden Erhöhung von Erde und Gestein umgeben wurde, war von drei Seiten durch einen dichten jungen Buchenbestand gedeckt, nach der südwestlichen Seite senkte sich der Berg, und ein klarer Waldbach rieselte zwischen Gestein und Moos zur Werra nieder. Auf dem freien Platze innerhalb der Schanze stand nur eine alte Eiche. Vor dieser warf der Knabe seinen Sack ab, nahm aus demselben Hammer und Nagel und schlug etwa fünf Fuß über den Fuß des Baumes einige Nägel ein. Dann zog er aus dem Sacke einen zweiten gefüllten Sack, mit Moos und Rehhaar ausgestopft, und hing ihn an dem Baume auf. Man sah, der Sack sollte einen menschlichen Rumpf vorstellen, Brust und Arme, Bauch und Beine waren durch Einnähen gekennzeichnet. Das Kienrußfäßchen wurde hervorgeholt, ein Fläschchen mit Oel und der Inhalt des Fäßchens gaben schwarze Farbe. Ein selbst aus Rehhaar gefertigter Pinsel wurde aus dem Sacke hervorgezogen und die Contouren der Arme und Beine kräftiger hervorgehoben, auch ein schwarzes Herz in die linke Brust gepinselt. Ein menschlicher Kopf mit dreieckigem Hute aus Pappe geschnitzt und ein rothübermaltes Gesicht schuf eine Menschengestalt, die den Mann, der die Welt beherrschte, kennzeichnen sollte.

Hermann betrachtete sein Werk mit Wohlgefallen, rückte und schob daran, besserte auch mit dem Pinsel noch nach.

Bald darauf tönte von Norden Elstergeschrei, von Osten ließ sich der Vogel Bülow vernehmen, von Süden bellte ein Hund so täuschend, daß Feldmann das Gebell erwiderte. Bald war Hermann von elf Knaben umgeben, die jedoch alle älter waren als er. Kleiner war nur Klaus, der rothbäckige Sohn des Müllers von Albshausen, ein Rothkopf.

Aus Gartenbach, Hermanrode, Neuenrode, Mollenfelde und andern Orten der Umgegend hatten sich die Jungen zusammengefunden; die Mehrzahl derselben war schon confirmirt, die andern sollten es zu Ostern werden. Hermann bewillkommnete jeden mit einer Frage: »Vogel Bülow, wie schaut's aus im grünen Walde?« »Die Sonne ist aufgegangen«, lautete die Antwort. »Elster, was glänzt dort im Osten?« »Die Sonne ist aufgegangen.« Und so antworteten alle die mit Thiernamen der Vogel- und Säugethierwelt Angeredeten: »Die Sonne ist aufgegangen.«

»Ja die Sonne der Freiheit ist aufgegangen!« wiederholte Hermann. »Was haben wir geschworen?« »Tod den Tyrannen!« »Was schwören wir heute abermals?« »Tod den Tyrannen!« erwiderten alle, die im Kreise um den jungen Führer getreten waren.

Dieser zog ein dolchartiges Messer hervor, das er sich aus einem alten Jagdmesser zusammengeschliffen, jeder der übrigen Jungen hatte eine ähnliche Waffe.

Dann maß man zwanzig Fuß Entfernung von dem Sackmenschen am Baume und begann der Reihe nach die Dolche nach demselben zu schleudern. Der, dessen Dolch dem Herzen am nächsten saß, wurde belobt, wer den Baum verfehlte, mußte zwei Dreier in eine Sparkasse bezahlen.

Nachdem diese Uebung eine gute halbe Stunde gedauert hatte (und man sah, daß es nicht die erste war) ging es an eine andere.

Man stieß nach dem Herzen. Der Stoß mußte, wenn er gelten sollte, den Sack durchdringen und im Baume sitzen. Jeder durfte zwölfmal stoßen, es war die heilige Zahl der Zwölf.

Die Brust des Sackmenschen war weidlich zerstochen; Moos und Rehhaar quollen überall hervor. Heinrich Ott, der Schneider, mußte ein Stück Sackleinwand über die Brust nähen, während Hermann aus einer hohlen Eiche, die in einiger Entfernung stand, zwei Büchsen hervorholte und auf der Schwedenschanze die Vorbereitungen zu Schießübungen traf.

Jeder that auch hier zwölf Schüsse, dann trennte man sich mit dem Versprechen, am nächsten Sonntage sich zeitig wieder einzustellen. – Es waren kindliche Spiele, aber bedeutungsvolle. Der Haß gegen Napoleon – denn ihn sollte die Figur darstellen – war in diese einsam gelegenen Wälder gedrungen. Freilich hatte der Sohn des angesehenen Oberförsters den Sinn dafür vom Gymnasium in Göttingen mitgebracht. Dieser Sinn war dort aber nicht etwa von den Lehrern den Schülern eingeblasen, nein, er hatte sich unabhängig in der Schülerwelt entwickelt in Anregung aus dem republikanischen Alterthum, die Beispiele von Miltiades, Hannibal, Brutus hatten gewirkt, eine gleiche Begeisterung für Freiheit und Vaterland war von einem Gymnasium in das andere gedrungen und durchwehte in aller Stille ganz Deutschland. Schon die Secundaner hatten sich zusammengethan, einen Geheimbund der Zwölf gestiftet, der jedes Mitglied verpflichtete, abermals einen Geheimbund von zwölf Mitgliedern zu bilden, der aber von dem Centralbunde in Göttingen nichts wisse. Jedes Mitglied mußte einen Beinamen führen. Die Zwölf vom Centrum führten alle Kaisernamen. Heinrich der Finkler, Otto I. u. s. w., die andern Zwölf sollten nur Thiernamen führen.

Es waren seitdem zwei Jahre vergangen, Napoleon's Ehrgeiz war in Rußland gedemüthigt, das größte Heer, das je die Welt gesehen, vernichtet. Das preußische Volk hatte sich erhoben; was man 1809 nur gewünscht, war geschehen, das Heer hatte den Anfang gemacht und den König mit fortgerissen. York hatte schon am 30. December 1812 die Convention von Tauroggen geschlossen und sein Heer von den Franzosen getrennt. Bis zum 16. März dauerte es aber, ehe die Kriegserklärung an Frankreich erfolgte, und erst am 17. März folgte der Aufruf »An mein Volk«.

Was Preußen anging, konnte Körner singen:

Das Volk steht auf!
Der Sturm bricht los!
Wer legt die Hände noch feig in den Schos?

In Preußen gab es keine Feige, in Berlin stellten sich gegen 400 Gymnasiasten als Freiwillige.

Die Schlachten bei Lützen, Bautzen, Großbeeren, an der Katzbach waren schon geschlagen, Oesterreich hatte sich nach langem Zögern den Verbündeten beigesellt, aber noch war das ganze nordwestliche Deutschland in den Händen der Franzosen und ihrer Vasallen. In Kassel thronte noch, es war Ende September 1813, Hieronymus, und die in Kassel erscheinenden westfälischen Zeitungen wußten von Siegen Napoleon's über die Verbündeten zu erzählen, während im Volke ein Gemurmel ging, die Kosacken seien diesseit der Elbe und könnten alle Tage in Göttingen ankommen.

In jenem einsamen Winkel zwischen Werra und Leine, den Oskar Baumgarten bewohnte, den keine Chaussee durchschnitt, dem sich ein Reisender selten nahte, war man ohne alle Nachricht von den Weltbegebenheiten. Hermann Baumgarten, der das fünfzehnte Jahr hinter sich hatte, war abermals in den Ferien zu Hause, aber er hatte keine Ruhe. Mit der Flinte auf dem Rücken, mit der Jagdtasche umgürtet, besuchte er ein Dorf der Umgegend nach dem andern, um die Geheimbündler zu sprechen. Die Jagd war nur Vorwand, doch mußte er dann und wann einen Bock schießen oder einige Rebhühner mitbringen, damit die Mutter sein Treiben nicht durchschaue. Er war der einzige daheim gebliebene Sohn, Georg war in Amerika, das damals noch sehr fern und beinahe aus der Welt lag, und dieser Jüngste wurde jetzt als Stammhalter betrachtet, und Marianne hatte nicht eher geruht und gerastet, als bis er für einen friedfertigen Beruf, den eines Predigers, bestimmt, zum Gymnasium in Göttingen geschickt war.

In diesem stak aber nicht das Zeug zu einem Pastor; so oft ihm auch die Mutter das Bild ihres Bruders und seines friedfertigen Lebens in Grünfelde zu Gemüthe führte, eine innere Stimme sagte ihm: das paßt für dich nicht. Als Franzose geboren, hätte er den Marschallstab im Wachen und Träumen gesehen, als Deutscher, wenn jetzt auch leider als Zwittergeschöpf Westfale, war das Höchste, was er erreichen konnte, eine Corporalfuchtel. Aber nicht Ehrgeiz war es, was ihn stachelte, es war Haß gegen die Fremdherrschaft. Man glaube doch nicht, daß er sich angestammt gefühlt hätte den Welfenkönigen auf jenem Inselreiche, oder daß seine hessischen Bundesgenossen ein Absehen gehabt hätten auf Wiedererlangung der Zopfkurfürsten; die Jungen wollten nur das Franzosenvolk aus dem Lande haben, was dann kommen sollte, darüber hatten sie wenig oder gar nicht nachgedacht. Kaiser und Reich waren den Centralzwölfern nicht unbekannte Begriffe, obgleich auf dem Gymnasium in Göttingen nur die Geschichte der römischen Kaiser gelehrt wurde und von einem deutschen Kaiserreiche nicht die Rede war, wohl aber, auf Ordre Johannes von Müller's, von dem Imperatorenthume des größten Helden der Welt, des Civilisators, des künftigen Weltmonarchen. Die Centralzwölfer mußten in ihren Zusammenkünften aus der deutschen Kaisergeschichte referiren, und jeder nannte sich nach seinem Lieblingskaiser und hob dessen Verdienste um das Reich hervor.

Hermann wußte den Vater so lange mit allerlei Nachrichten und Gerüchten zu reizen, bis dieser ihm den gewünschten Auftrag gab, über Dransfeld, wo einige Bestellungen auszurichten waren, nach Göttingen zu gehen, um zu recognosciren, wie es eigentlich an der Leine aussehe.

Er lud seine Doppelflinte mit Palestern, steckte ein Terzerol in die grünleinene Bluse und ging über den Hohen Hagen nach Dransfeld und dann den sogenannten Heerweg über die Knallhütte nach Göttingen weiter. Man wußte an allen diesen Orten nur, daß verschiedene Kuriere in Eile nach Münden und Kassel weiter geritten seien. Im Rischenkruge machte Hermann Frühstückspause; es war dies ein Vorspannquartier für Frachtfuhrleute, denn von hier ging es ziemlich steil bergauf in das Gronerholz hinein, das damals noch wegen Raubthaten aus dem Siebenjährigen Kriege gefürchtet war. Vor dem Kruge hielten drei Frachtfuhrwerke und drinnen saßen die Fuhrleute in ihren blauen Kitteln und fluchten weidlich. Statt hier den gewünschten Vorspann zu bekommen, waren in der Nacht westfälische Dragoner gekommen und hatten nicht nur sämmtliche Vorspannpferde, sondern selbst die Pferde der Frachtfuhrleute zu Kriegsfuhren requirirt. Der Wirth wehklagte, die Frachtfuhrleute, echte Sachsenhäuser, donnerwetterten frankfurtisch oder sachsenhäusisch.

Ein Jägerbursch aus Knutbühren, dem Hermann als Sohn des Oberförsters wohl bekannt war, winkte diesem mit den Augen und verließ das Gastzimmer.

»Es ist nicht richtig, junger Herr«, sagte er draußen, »die Dragoner eilten mit einer Hast nach Kassel zurück und sahen so – ich weiß nicht wie ich es nennen soll, nun so wie ein Jäger, der drei Stunden auf dem Anstande gestanden und dann den Hirsch, der vierzig Fuß vor ihm vorbei zum Aeßen spaziert, gefehlt hat – aus, daß da unten etwas passirt sein muß. Bleiben Sie nicht auf dem Heerwege, halten Sie rechts den Fußweg durchs Holz, von dort können Sie den Heerweg übersehen, ohne gesehen zu werden. Ich muß links, sonst würde ich Sie begleiten.«

Hermann dankte und brach nach kurzer Rast auf. Der Fußweg lief dem Heerwege ziemlich parallel, nur daß er sich von diesem wie das hügelige Terrain es erforderte, bald mehr entfernte, bald ihm sehr nahe kam. Gleich im Anfange war eine ziemlich steile Höhe zu ersteigen, dann senkte sich diese wieder zu einem Thale, um abermals etwas höher emporzusteigen. Es war etwa morgens elf Uhr und im Holze alles lautlos, auch auf dem Heerwege bewegte sich kein Wagen, kein Pferd, kein Mensch.

Plötzlich schien es Hermann, als wenn er von Ellerhausen her Geräusch vernähme. Er hatte sich nicht getäuscht – Reiter und ein schwerbeladenes Fuhrwerk mußten die vor ihm liegende Erhöhung heraufkommen, deren Abfall vom Thale er vor sich sah. Er wählte etwa in der Mitte dieses Abfalls einen Standpunkt im Holze, von dem er nach Osten und nach Westen dort den ziemlich steil abfallenden, hier den wieder emporsteigenden Heerweg übersehen konnte. Nicht lange, so erschienen auf der östlichen Höhe vier westfälische Dragoner und ein Offizier, welche im schlanken Trabe den Berg herabsprengten und ohne sich umzusehen in etwas kürzerm Trabe die Erhöhung nach Dransfeld zu hinauf. Bald auch zeigte sich auf der Höhe ein Bauerwagen mit vier Pferden bespannt und mit Fässern beladen. Zwei Dragoner ritten neben dem auf dem Vorderpferde sitzenden Bauerknechte. Auf einem Strohsitze vorn am Wagen saß ein Civilist, dem man die Schreibernatur ansah; er schien recht ängstlich zu sein und hielt sich an beiden Leiterbäumen fest, wol deshalb, weil das erste Faß nicht festlag, sondern gegen den Strohsitz stieß. Jetzt, bei dem Herunterfahren, drückte es mit seinem ganzen Gewicht auf diesen Sitz, während es bei dem Bergauffahren zu den andern Fässern zurückrollte. Die Fässer waren schwer, sie mußten mit Geld gefüllt sein. Es war ein schönes starkes Gespann vor dem Wagen, das stark austrabte und den andrängenden Wagen sich nicht zu nahe auf die Fersen kommen ließ. Ein zweiter Wagen folgte unter gleicher Begleitung nach kurzem Zwischenraume. Ein dritter blieb länger hinter der Anhöhe, es schien, als könnten die Pferde ihre Last nicht so leicht bewältigen, man hörte, wie der Fuhrmann die Pferde mit der Peitsche antrieb, hörte Fluchen und Schimpfen.

Endlich erschien auch dieser auf der Höhe, er war nur mit drei magern Gäulen bespannt, und seine Last schien noch schwerer als die der vorigen Wagen, obgleich er nur wenig große, dagegen eine größere Anzahl kleiner Fässer trug. Kaum bewegte sich der Wagen auf der schiefen Ebene, als er durch seine bedeutende Schwere das Uebergewicht über die schwachen Pferde und den Fuhrmann erhielt und nun auf eigene Hand den Berg herabzurollen begann. Die Heerstraße war damals noch nicht wie die Chaussee heutzutage schon macadamisirt, sondern sie war nur hin und wieder in den zu tief gefahrenen Gleisen mit Steinschlag ausgefüllt und mit Morast nothdürftig verkleistert. Der Wagen, der nicht mehr Spur hielt, stieß stark, die Fässer lagen auch hier nicht fest, namentlich die beiden hintersten großen Fässer mit Fünffrankenthalern schaukelten fortwährend hart gegeneinander, und als der Wagen die Hälfte der Anhöhe herab war, gab es einen Knack, und bald klingelten auf dem Wege die Fünffrankenthaler aus dem letzten Fasse, dessen Reife zersprungen waren. Die Dragoner, vorn und hinten, schrien dem Fuhrmanne zu, anzuhalten, allein das war unmöglich, die Pferde wurden vom Wagen getrieben, und der Versuch, dieselben zur Seite zu lenken, machte das Stoßen des Wagens und das Klirren des fallenden Geldes nur noch schlimmer. Die beiden Dragoner waren vom Pferde gestiegen, und da der Wagen nur noch ein Drittel des Weges bis zur Ebene zurückzulegen hatte, der Abfall des Weges auch minder steil war, gelang es ihnen, vor ein Hinterrad eins der kleinen Fässer zu legen. Die Wagendeichsel war aber bei dem Versuche, die Pferde zur Seite zu drehen, gebrochen, und der Stumpf verletzte das linke Pferd so sehr, daß es fiel. So kam der Wagen zum Stehen. Die Dragoner banden nun ihre Pferde an den Wagen, halfen das gefallene Pferd beseitigen und die andern Pferde abspannen.

Die übrigen Wagen und Reiter hatten indeß längst die Höhe des Heerweges nach Westen überschritten, sodaß sie von dem Unfalle des letzten Wagens nichts merkten. Die hinter dem Wagen reitenden Dragoner hatten gleichfalls die Pferde verlassen und diese an einen Baum gebunden, und waren eifrig dabei, die auf einer Strecke von zweihundert Schritt zerstreuten Fünffrankenthaler aufzulesen.

Als die vordern Kameraden dies sahen, hielten sie diese Arbeit auch für besser und begannen Taschen, Stiefel und was sonst dazu dienen konnte, mit Fünffrankenthalern zu beladen. Hermann hatte im Gebüsch weiter oben gestanden, etwa da, wo die Reifen sprangen und dann einer der Deckel wich. Er schlich sich jetzt vorsichtig weiter hinab näher dem Wagen zu. Der Heerweg lag hier um etwas höher als der Wald; man hatte einen Damm aufgefahren, um die Steile des Abfalls zu mäßigen, und so befand sich an beiden Seiten des Heerwegs ein schräg abfallender Graben, der zugleich dazu diente, dem Regenwasser einen Abzug zu geben. Da es nach Mitte September beinahe acht Tage geregnet hatte und noch am Tage vorher ein starkes Gewitter über den Hohen Hag gezogen war, so war Wasser von etwa einem Fuß Tiefe in dem Graben, der von Gras überwuchert und lange nicht gereinigt war.

Der Fuhrmann, offenbar ein in der Umgegend Göttingens gepreßter Bauer, jammerte noch immer um sein Pferd, hatte seine Augen aber beständig auf die Dragoner gerichtet, welche die Fünffrankenthaler aufsammelten. Als er diese eifrig beschäftigt sah, näherte er sich vorsichtig dem Wagen von der vordern Seite, langte eins der kleinen Geldfässer aus demselben, sah sich nach allen Seiten um, und wie er sich unbemerkt glaubte, ließ er das Fäßchen nach der Seite, wo der junge Mann in dem Busche stand, hinabrollen, sodaß das Wasser in dem Graben hoch aufzischte. Das Geräusch würde die Geldleser aufmerksam gemacht haben, wenn nicht gleichzeitig auf der Höhe ein Trupp von acht bis zehn Reitern erschienen wäre, offenbar die Arrièregarde des Geldtransports. Als diese ihre Kameraden aus dem Sattel und auf den Weg gebückt sahen, eilten sie im Galop herbei und betheiligten sich ohne weiteres, jeder sein Pferd am Arme führend, am Sammeln und Beseitigen der Fünffrankenthaler. Es fielen auf jeden Mann mehr, als er fassen konnte. Nachdem Mann und Pferd so reichlich, als es anging, beladen waren, einzelne hatten selbst die Pistolenholster mit Fünffrankenthalern gefüllt und die Pistolen anderweit untergebracht, dachte man an das Weiterkommen. Ein Bauerweib mit einer Kiepe voll Birnen, die sie nach Göttingen zum Markte bringen wollte, wurde angehalten, man entriß ihr die Kiepe, schenkte ihr aber einen Thaler und jagte sie den Weg zurück, den sie gekommen war. Die Birnen wurden ausgeschüttet, der Geldvorrath, der noch im Fasse war und in dichten Haufen unter dem Wagen lag, in die Kiepe entleert, das Faß vom Wagen entfernt und am jenseitigen Ufer in den Graben geworfen, während der Bauer seine und zwei Dragonerpferde anspannen mußte. Dann untersuchte man die Taschen des Fuhrmanns, ob sie nicht etwa mit Thalern gefüllt waren, nahm das Faß unter dem Rade hinweg, die beiden Dragoner, deren Pferde an die Stelle des gefallenen vorgespannt waren, setzten sich zu der Kiepe auf den Wagen und hielten diese fest. So fuhr man mit einiger Vorsicht weiter und langsam den Berg hinan. Der Zug hatte kaum die westliche Höhe erreicht, als auf der östlichen abermals ein Trupp Reiter erschien; diesmal waren es aber keine Franzosen, die kleinen Pferde und Leute, die langen Lanzen ließen Hermann unschwer erkennen, daß es Kosacken seien. Sie flogen im Galop heran. Als sie das gefallene Pferd und die ausgeschütteten Birnen sahen, fielen sie über letztere her und beluden sich damit auf dieselbe Weise, wie die Westfalen sich mit Fünffrankenthalern beladen hatten, während des Bepackens jedoch fleißig in die Birnen beißend, deren jede nach zwei Anbissen in den breiten Mäulern der Bärtigen verschwand.

Hermann saß wie auf Kohlen, er war hoch erfreut, Caro, seinen Lieblingshund, wie sehr das Thier auch gebettelt, nicht mitgenommen, sondern an die sichere Schnur gelegt zu haben; denn trotz allen Appells würde der Hund so räudige Kerle, wie diese Kosacken, anzubellen nicht unterlassen haben.

Endlich brachen die wilden Gesellen auf, nachdem sie noch Stricke und Lederzeug von dem gefallenen Pferde zu sich genommen hatten, und waren bald über der westlichen Höhe verschwunden. Es mochten vierzig Mann gewesen sein.

Hermann lehnte seine Flinte an einen Baumstamm und stieg zum Graben nieder. Er hob das Faß, obgleich viel kleiner als ein halber Anker, nur mit aller Kraftanstrengung aus dem Graben und trug es eine Zeit lang, dann rollte er es mit den Füßen waldeinwärts. Er kannte hier jeden Fuß breit Weges und benutzte den Fall des Berges bis zu einem dichten Tannenbestande weitab von jedem Holz- und Fußpfade.

Hier ruhte und überlegte er, recognoscirte nach allen Seiten das Terrain und öffnete dann mittels seines Hirschfängers die Tonne. Sie enthielt Gold, doppelte Jérômedor vom Jahre 1811, zum größern Theile noch nicht im Umlaufe gewesen, glänzend neu. Er erstarrte vor Freude. Nicht das Gold war es, das ihn reizte, nicht Eigennutz, nicht der Gedanke an ein bequemes Leben, das ihm der Fund bot, er dachte nur daran, daß er und seine Genossen mit diesem Gelde das langerstrebte Ziel, sich zu bewaffnen und eine Freischar gegen die Franzosen zu bilden, erreichen könnten.

Er kniete nieder und wühlte mit der Hand im Golde, er leerte die Tonne bis auf das letzte Stück und versuchte, den Haufen zu schätzen. Zu Diesem Zwecke nahm er eine Hand voll Goldstücke und zählte sie. Er hatte vierzig und einige gefaßt, und nun nahm er Hand voll um Hand voll und legte sie auf eine neue von Fichtennadeln gereinigte Stelle. Es mußten 25–30000 Thaler Gold in dem Fäßchen sein. Der glückliche Finder versank in träumerische Ueberlegung.

Endlich theilte er das Gold in vier Theile, steckte das eine in die verschiedenen Taschen seiner Kleidungsstücke, den Rest in den Pulverbeutel, nachdem er aus diesem das Horn gefüllt hatte. Dann trat er aus dem Dickicht und sah sich die zunächststehenden Eichen an, von diesen wählte er drei, die in den ersten funfzig Jahren noch nicht haubar wurden, aber einen so guten Stamm und Wuchs zeigten, daß ein echter Grünrock lieber den kleinen Finger sich hätte abschneiden lassen, als einen solchen Baum zu hauen. An diesem Baume schnitt er unten etwa einen halben Fuß über der Erde, nach Süden, und dann oben, wohin sein Kopf reichte, nach Norden einen scharfen halben Mond. In der Mitte des Raumes nach Osten grub er sodann, gleichsam als gelte es eine Liebesspielerei, ein Herz und in dieses die Anfangsbuchstaben H. A, in den zweiten Baum  B und in den dritten Baum  C, darauf hob er östlich von jedem Baume die Grasnarbe auf einen halben Fuß tief und einen Quadratfuß im Durchmesser sorgfältig in die Höhe und schaufelte mit seinem Hirschfänger ein Loch so tief, als er mit der Hand in die Erde langen konnte. In diese drei Löcher wurde das Gold vergraben, die Erde sorgfältig eingestampft oder beseitigt, die Grasnarbe festgetreten und einiges Eichenlaub lose darübergestreut.

Eine alte vom Blitz zerschlagene hohle Eiche, des Abholzens nicht werth, unverkennbar, wenn man sie einmal gesehen, stand etwa hundert Schritt davon nach Norden. Hermann zählte die Schritte von ihr zu jedem der Goldbäume und trug die Notiz in sein kleines Taschenbuch.

Zwei Stunden mochte Hermann bei dieser Arbeit verbracht haben, wenigstens stand die Sonne hoch im Süden, als er aus dem Walde trat und in raschem Schritte auf Jühnde zuging, wo er dem Freunde seines Vaters die Anzeige machte, daß auf dem Heerwege nach Kassel Kosacken von ihm gesehen wären. Er verbreitete diese Nachricht auf jedem Dorfe, das er auf dem Heimwege berührte, und gab den Bundesgenossen Parole zu einer Zusammenkunft am Morgen. Er vermied die nähern Nebenwege, um die Dörfer zu passiren, und hoffte durch Verbreitung der Kunde von Ankunft der Kosacken einen Aufstand zu Wege zu bringen. Allein die Bauern waren nicht so heißblütig wie der Jüngling selbst, viele bezweifelten, daß es überhaupt Kosacken gewesen seien, andere wollten von einem Aufstande ohne Befehl von oben oder vom Gerichtsherrn, dem alten natürlich, nichts wissen.

Der Vater hielt die Nachricht, die sein Sohn überbrachte, für wichtig genug, sie nach Heedemünden und Witzenhausen weiter verbreiten zu lassen. Wußte Hermann bis dahin noch nicht, was eine schlaflose Nacht war, diese Nacht sollte er es erfahren.

Tausend Plane wirbelten ihm durch den Kopf, der eine noch phantastischer als der andere. Er hatte, wie das in seinen Jahren zu verzeihen war, die Stunden, welche vom Unterrichte frei waren, nicht sämmtlich mit Studien zugebracht, er hatte sehr fleißig Romane gelesen, alles durcheinander, Romane von Lafontaine mit ihren moralisch-staatlichen, griechisch-germanischen Erziehungszwecken, Räuberromane, Ritterromane, »Adolf den Raugrafen von Dassel« und ähnliche, die in seiner Heimat spielten. Noch nie im Leben hatte er so viel Geld gesehen, viel weniger darüber frei verfügen können, als heute sein eigen geworden war. Doch sah er den Fund nicht als sein Eigenthum an, er betrachtete ihn als ein Mittel zur Befreiung von dem Uebel der Franzosen, wie sein Vater zu sagen pflegte.

Aber wie es jungen Phantasten in nächtlicher Exaltation geht, bald waren die Plane viel zu großartig für das Geld, bald war des Geldes zu viel für die Plane, für die greifbaren und durchführbaren wenigstens. So viel stand aber fest bei ihm, er wollte mit seinem alten Verschworenen und den Zwölfern in Göttingen jetzt ins Feld. Er hätte sich am liebsten an das Lützow'sche Freicorps angeschlossen, aber er wußte nicht, wo das jetzt zu finden sei. Ihm wollte er seinen Schatz zubringen; damit mußte sich nach seinen Ideen unendlich viel erreichen lassen.

Wie war es aber, wenn er selbst im Felde bliebe, ehe sein Schatz unter den Goldbäumen ganz gehoben war?

Er mußte genaue Notizen machen über die Verstecke, darüber war er nie im Unklaren gewesen, aber wem diese Aufzeichnungen einhändigen? Hätte er dem Vater ein Scriptum zurückgelassen mit der Aufschrift: »Erst nach meinem Tode zu öffnen«, so kannte er die Neugierde der Mutter zu gut, um zu wissen, daß das Scriptum nach wenig Augenblicken geöffnet sein würde. Dann war es aus mit der Weiterverfügung über das Gold, dann stand seinem Vater das Recht zu, darüber zu gebieten. Da fiel ihm Onkel Heinrich ein, der Pastor in Grünfelde. Hermann hatte diesen Sommer in den Hundstagsferien die Großältern in Heustedt und den Onkel in Grünfelde zum ersten mal besucht, und er glaubte, der sei der rechte Mann, welcher sein Geheimniß bewahren werde, auch sei er fern genug vom Schatzorte.

Er sprang aus dem Bette, zündete Licht an und griff zur Feder. Die Beschreibung, welche er von dem Versteck machte, mußte jeden Forstmann, der das Terrain des sogenannten Groner Holzes nur einigermaßen kannte, vollkommen instruiren, namentlich den Vater.

Dann schrieb er: »Im Falle meines Todes wird mein Vater am besten wissen, was er mit dem Golde zu machen hat. Ich hielt dafür, daß es vom Himmel bestimmt sei, zur Erlösung des Vaterlandes vom Joche der Fremden zu dienen«, siegelte das Papier und schrieb darauf:

»Nach meinem Tode zu öffnen.

Hermann Baumgarten

 

An Heinrich Schulz schrieb er:

Lieber Onkel!

Der Himmel selbst zieht mich mit Macht in den Krieg. Ich weiß, ich bereite dadurch meiner lieben Mutter, Deiner Schwester, die mich zu einem Diener des Friedens und einem Verkünder der Herrlichkeiten einer andern Welt bestimmt hat, schweren Kummer. Aber ich kann nicht anders. Wie Hannibal habe ich schon als ein Knabe im Kreise der von mir geworbenen Brüder geschworen und sie schwören lassen, die ausländischen Tyrannen zu tödten und ihre Helfershelfer und Creaturen zu verjagen. Gott hatte sie uns selbst in die Hände gegeben, durch die Kälte des vorigen Winters, wir haben das nicht benutzt, und nun sind sie mit neuen Horden in das Land gezogen. Ich gehe zu den Lützower Jägern, das ist beschlossen, und der Himmel ist mit mir. Gestern war ich auf dem Wege nach Göttingen, als ein von Kosacken gejagter Geldtransport durch Oeffnen eines Fasses viele blanke Goldstücke verlor. Ich habe so viel gesammelt, daß ich mich und meine Bundesbrüder bewaffnen kann, anderes für die Zukunft aufgespart. Das Wo ist in dem versiegelten Blatte enthalten. Ich betrachte das Gold aber als dem Vaterlande gehörig, und es soll für das Vaterland verwendet werden.

Tröste meine Mutter! Bete für unsern Sieg! Es lebe Deutschland! Nieder mit den Franzosen! Tod den Tyrannen!

Dein Dich liebender

Hermann Baumgarten.

 

Auch an die Mutter schrieb er einige Zeilen in ähnlichem Sinne. Es begann zu tagen, aber ein dichter Nebel lag über den Bäumen um das Försterhaus. Hermann packte in seine Jagdtasche einige Hemden und Socken, nahm ein tüchtiges Stück Hirschtalg, das die Mutter selbst ausgekocht hatte, und altes Leinen zu sich. Statt der Flinte nahm er heute die eigene Büchse und reichlich Kugeln und Blei und ging mit raschen Schritten durch den Wald zu dem alten Versammlungsorte.

Es fanden sich denn auch alle Bundesgenossen zusammen bis auf einen, der aus noch unbekannten Gründen zurückgeblieben war, und Hermann haranguirte sie in folgender in der Nacht schon überdachten Rede:

»Jugendgenossen! Freunde! Brüder! Es bindet uns ein höheres Band, als die Natur es bindet!« (Man sieht, Hermann hatte auch »Don Carlos« gelesen.) »Wir haben hier vor Jahren den Tyrannen den Tod geschworen und der Freiheit unsers Vaterlandes unser Leben geweiht. Die Zeit ist gekommen, wo wir für unsern Schwur einstehen müssen. Gestern habe ich die Trabanten der Tyrannen fliehen und unsere Befreier uns nahen sehen. Aber es ist würdiger, daß wir uns selbst befreien, damit wir uns nicht später von unsern Befreiern befreien müssen.

»Gott ist mit uns! Seht hier das lebendige Zeichen!« Er griff in die Tasche und warf eine Hand voll neuer glänzender doppelter Jérômedor auf die Erde und zog aus einer andern Tasche ebenso viel heraus, aus einer dritten Tasche abermals.

Die Bauerburschen sperrten nicht figürlich, sondern in der That Mund und Nasen auf. Keiner sprach ein Wort, alle starrten auf das Gold und auf Hermann.

»Wenn dat man keene Speelmarken sind?« platzte endlich der Müllerssohn heraus, dessen Vater einmal mit einer solchen in Paris verfertigten und vergoldeten Marke mit Jérôme's Bildniß betrogen war.

»Klaus!« sagte Hermann stolz, »bück dich einmal und hebe zwanzig von den Stücken auf und steck' sie in deine Böxe.«

Klaus nahm ein Stück, beschaute es von allen Seiten, legte es auf die Spitze seines Fingers, wie um das Gewicht zu prüfen, und schrie dann mit verzerrtem Gesichte: »So wahr mi Gott helpen sall, et üs ächt!«

Hermann war aus dem Context gekommen, wenigstens aus dem Pathos, er ermannte sich aber, gebot Stille und sagte: »Das Gold ist gut, die Schergen der Tyrannen haben es gestern auf der Flucht vor den Kosacken verloren. Jeder von euch nehme zwanzig Stück zur künftigen Bewaffnung. Und nun hört meinen Plan: Die Kosacken werden heute auf Kassel vorrücken. Wir wollen uns ihnen anschließen, wir wollen den Tyrannen vertreiben helfen, die im Castell gefangenen Brüder befreien. Wer mir folgen will, hebe die Hand in die Höhe.« Alle Hände erhoben sich.

»Nun so gehe jeder nach Haus, nehme einige Hemden, Strümpfe und etwas Mundvorrath, und dann macht ihr euch zu zwei oder drei Mann auf, fahrt bei der Fähre über die Werra und seid um zwölf Uhr mittags an der alten Eiche bei Lutter am Berge. Ich werde bis Landwehrhagen oder weiter vorangehen, um zu recognosciren. Das Weitere wird sich finden.«

Man beeilte sich natürlich, die Goldstücke zu nehmen, aber keiner mehr, als Hermann bestimmt hatte. »Wer bringt diesen Brief und diese Goldstücke an die Adresse nach Göttingen und ist morgen vor Kassel?«

Der Hund meldete sich, er war als Schnelläufer bekannt.

»Wer will Christoph Kautzmeier Nachricht geben? der nehme ihm das Geld mit. Aber Jungens, seid vorsichtig, renommirt nicht mit euerm Golde, zeigt es niemand, denkt an euern Schwur.«

»Unser Hauptmann lebe hoch!« schrie Müller's Klaus, der Goldzweifler.

»Nichts von Hauptmann, bisjetzt sind wir alle gleich«, sagte Hermann.

»Da liegen noch einige zwanzig Pistolen auf der Erde. Elster, du warst in der Schule der beste Rechner, wie der Schulmeister sagte, das soll unsere gemeinschaftliche Kasse sein und du Kassenmeister und Rechnungsführer. Aber nochmals präge ich euch ein, bevor wir in Kassel sind, wird kein Gold gezeigt, bis dahin muß sich jeder mit ein paar Dreiern selbst versorgen, um Fährgeld bezahlen zu können und in Lutter eine Stange Bier zu kaufen. Und nun auf Wiedersehen zu Mittag.«

Hermann marschirte direct auf Heedemünden, um dort eine Doppelpistole gegen Silber und Kupfer umzuwechseln, auch seinen Brief an den Onkel bei dem Kaufmanne, wo er wechselte, abzugeben, damit die Botenfrau denselben mit nach Münden zur Post nehme. Dann ließ er sich auf einem Kahne über die Werra schiffen und stieg den Niederkaufungerwald auf wohlbekannten Jägerpfaden empor.

Er kam nach Lutter am Berge, er kam nach Landwehrhagen. Allein an keinem dieser Orte hatte man mehr als etwa 200 Kosacken gesehen, von denen gestern 40 Nachtquartier in Lutter gemacht hatten; der Rest war heute Morgen vorbeigezogen. Das hatte denn auch seinen triftigen Grund; der Hauptzug der Kosacken kam nicht von Göttingen und Norden her, wie Hermann vermuthete, sondern von Osten.

General Tschernitschew, bei der Nordarmee des Kronprinzen von Schweden stehend, dem auch das Corps der Lützower untergeordnet war, hatte mit 2000 Mann von Aken an der Elbe nur einen Streifzug über Mühlhausen und Heiligenstadt nach der Residenz Jérôme's unternommen. Als man in Heiligenstadt ober vielmehr hinter Reinhausen vernahm, daß in Göttingen eine nur sehr schwache Besatzung vorhanden sei, machte sich ein Zug von 200 Kosacken auf, um womöglich der dortigen Kassen sich zu bemächtigen. Man hatte jedoch dort zeitig von der Ankunft der Kosacken Wind bekommen und flüchtete die Kassen.

Der Hauptzug der Kosacken, bei denen sich auch etwa zwanzig reitende Lützower fanden, um mit den Deutschen vermitteln zu können, schlug dann die Straße nach Witzenhausen – die Leipziger Chaussee – ein.

Die Bundesgenossen Hermann's fanden sich am Sammelplatze vollständig ein, er führte sie nach Sangershausen, man stieß aber noch vor diesem Dorfe auf eine Kosackenpatrouille, bei der glücklicherweise zwei Deutsche – Lützower Reiter – waren, denen Hermann erklärte, daß er und seine Genossen kämen, um sich als Freiwillige unter den Lützowern annehmen zu lassen, versehen mit den Mitteln, sich vollständig zu equipiren. Sie wurden freudig angenommen; und da an diesem Tage, den 29. September, und den folgenden aus Göttingen Studenten und Gymnasiasten und aus Kassel und der Umgegend selbst eine Menge Freiwilliger sich einfanden, so wurde aus diesen und 300 gefangenen Westfälingern, welche Tschernitschew dem General Bastineller bei Melsungen abgenommen, ein Bataillon Fußvolk gebildet und unter Commando des Majors Ferdinand von Dörnberg, des zweiten Bruders unsers jetzt als General in russischen Diensten kämpfenden alten Bekannten, gestellt. Hermann und seine Genossen schlossen sich diesem Corps vorläufig, bis sie beritten wären, an.

In Kassel war man bis zum 28. September guter Dinge gewesen. Jérôme vertraute dem Genie wie dem Glücksstern seines Bruders, von den Unfällen im Norden, von dem Gefechte an der Göhrde und der Niederlage des Generals Pecheux war die Kunde noch nicht nach Kassel gedrungen.

Plötzlich hieß es am 28. September morgens, Kosacken seien vor Kassel, und in der That sah man die Höhen vor Sangershausen bis hinab nach Wolfsanger mit Kosacken bedeckt. Die Soldaten liefen auf dem Friedrichsplatze in Unordnung zusammen, aus der untern Stadt, in der sich unter den niedern Volksständen die meisten Anhänger des Alten noch befanden, eilte man den Kosacken entgegen. Jérôme zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit als ein Mann von persönlichem Muthe, er setzte sich zu Pferde, ritt durch die Stadt, ordnete die Soldaten, schickte zwei Bataillone und sechs Geschütze nach dem Dorfe Bettenhausen, um dieses zu halten, und beorderte Bastineller von Melsungen her, den Kosacken in die Flanke zu fallen.

Nicht so muthig wie der König war aber der Hof und das Ministerium. In einem Conseil wurde gegen die Stimme des Königs beschlossen, daß dieser sich auf Marburg zurückziehen sollte.

Es war nämlich jetzt erst die Nachricht eingetroffen, daß Pecheux nur mit 2000 Mann von seinen 5000 am 17. September flüchtend in Lüneburg angekommen sei, daß der Oberst von Marwitz am 25. September in Braunschweig eingefallen, alles in der Stadt befindliche Militär entwaffnet und gefangen genommen habe, und daß ein Theil der Westfälinger unter General von Klösterlein zu dem Feinde übergegangen sei. Da nun auch von Göttingen her die Kassen geflüchtet waren, so glaubte man, die ganze Nordarmee, oder mindestens das Wallmoden'sche Corps sei auf den Beinen und ganz Westfalen von der Elbe bis an die Fulda und Werra schon im Besitze der Verbündeten.

Genug, Jérôme mußte sich mit zwei Bataillonen Garde, acht Schwadronen Reiter und einer reitenden Batterie auf der Chaussee nach Frankfurt zurückziehen.

Die zu Tschernitschew übergelaufenen kasseler Jungen erboten sich, die Kosacken oberhalb Kassels durch die Fulda zu führen, damit man den König fangen könne. Oberst Benkendorf mit 1000 Kosacken und zwei Kanonen wurde dann auch, gleich hinter der Aue, dem gewöhnlichen Badeplatze der kasseler Jugend, durch die im September immer sehr seichte Fulda geführt, er stürzte sich auf die Nachhut Jérôme's und nahm 10 Offiziere und 250 Reiter gefangen.

Oberst Bedräga mit 800 Kosacken marschirte am 29. September auf Bettenhausen, wo man, durch Nebel begünstigt, das eine der westfälischen Bataillone nebst Geschütz zu Gefangenen machte; das andere Bataillon zog sich auf Kassel zurück und verbarrikadirte die Auffahrt zu der Fuldabrücke, die ohnehin von dem Castell mit seinen Kanonen und Kasematten geschützt war. Die Brücke selbst wurde mit Fuhrwerk unzugänglich gemacht. Dadurch ward es möglich, das nur von Invaliden bewachte Castell, welches bisher mit Gefangenen vollgepfropft war, mit Truppen gehörig zu besetzen.

Jetzt mußte das neugebildete Fußvolk, bei dem Hermann diente, seine Schuldigkeit thun. Er wie die übergetretenen Kasselaner und viele von den gefangenen Westfälingern, die sich hatten annehmen lassen, brannten vor Begierde, das Castell zu erobern.

Das Leipziger Thor und der ganze unterste Stadttheil bis zur Fuldabrücke war ohne Blutvergießen eingenommen, die Kasselaner selbst räumten die Barrikaden vor dem Thore weg und empfingen die Einziehenden als Befreier. Härter war der Kampf an der Fuldabrücke. Als es aber gelungen war, die Kanonen des Castells zum Schweigen zu bringen, als ein halbes Dutzend Invaliden, die sich auf die Wälle wagten, gefallen waren, holte man Feuerleitern herbei, legte diese über die Laufgräben des Castells, und Hermann und seine Bundesgenossen nebst einigen kasseler Straßenbuben waren die ersten, die die Wälle des Castells erstiegen, die Fallbrücke niederließen und das Thor öffneten.

Nun wurden die eingesperrten 121 politischen Gefangenen befreit, von denen die Mehrzahl sich sogleich den Angreifern zugesellte.

Bald kam auch Tschernitschew selbst von Bettenhausen her und ließ die Stadt aus 18 Geschützen beschießen; Benkendorf umschwärmte die Oberstadt mit seinen Kosacken, und man meldete am Frankfurter, am Karlsthore, am Kölnischen und Holländischen Thore das Erscheinen von Feinden.

In Kassel stieg die Gärung, der Pöbel drohte mit Feuer, wenn General Alix nicht abzöge, damit das Beschießen der Stadt aufhöre.

Alix capitulirte und zog mit seiner 2700 Mann starken Besatzung in allen kriegerischen Ehren ab, überließ den Siegern aber 22 Kanonen und eine Kriegskasse mit 79000 Thalern.

Tschernitschew zog am 1. October in Kassel ein und proclamirte: »Das Königreich Westfalen hat von heute aufgehört.«

Der Besitzer der Tonne Goldes fand Gelegenheit, von den Kosacken für sich und seine Genossen, die sich mit denen aus Göttingen auf zwanzig beliefen, erbeutete Pferde zu kaufen, einige Schneider lieferten in zwei Tagen gegen blanke Jérômedor die Uniform der Reiterei der Lützower. Hermann kaufte auch einen in Paris angefertigten, sehr zweckmäßig eingerichteten Leibgurt, in welchem etwa 2000 Jérômedor, die er von dem ersten Viertel seiner Tonne Goldes übrigbehalten hatte, ohne wie bisher davon belästigt zu werden, verbergen konnte.

Es war aber auch die höchste Zeit, daß die Dinge also geordnet wurden, denn die Kosackenherrlichkeit in Kassel nahm ein schnelles Ende. Schon am 3. October zog Tschernitschew auf dem Wege, den er gekommen, den Harz zur Linken lassend, wieder der Elbe zu, und am 7. October zog General Alix mit 10000 Mann wieder in Kassel ein, Jérôme folgte am nächsten Tage. Der König hielt kein Strafgericht über die abgefallenen Beamten; allein er ließ seine Effecten im geheimen nach Frankfurt schaffen. Die Kostbarkeiten des Museums und Marmorbades wurden eingepackt; es hieß zwar, dieselben sollten zur Verschönerung des neuen Thronsaals dienen und deshalb eingepackt werden, allein er mochte mit seinem Bruder denken: » Les plaisanteries du royaume de Westphalie seront bientôt finies.«

Auch die Gräfin Melusine von Wildhausen hatte schon seit dem 1. October einpacken lassen, sie hielt sich auf ihrem Schlosse in Heustedt, das ja seit dem Senatusconsult vom 13. December 1810 dem Kaiserreiche angehörte, und im Schutze des Marschalls Davoust für gesicherter als in der Hauptstadt Westfalens. Die Königin war nicht da, so konnte sie reisen, und reiste.

Nach dem Treffen an der Göhrde hatte sich Wallmoden auf das rechte Elbufer zurückgezogen, auf dem linken waren nur die Kosacken von Tettenborn, die Lützower, das Jägerbataillon Reiche und vier reitende Geschütze zurückgeblieben.

Als Hermann und die reitenden Lützower, welche den Vortrab bildeten, am 9. October bei der Nordarmee angekommen waren, erfuhren sie, daß die Lützower am linken Elbufer ständen. Man setzte dahin bei Bleckede über und kam gerade zur rechten Zeit, um an dem Zuge Tettenborn's nach der Weser theilzunehmen.

Ein Zuwachs von 20 Reitern war den Lützowern gelegen. Nachdem während des Waffenstillstandes die würtemberger Brigade Normann am Floßgraben bei Kitzen 300 Reiter der Schwarzen Schar, oder, wie Napoleon sie nannte, der »Räuber«, am 18. Juli niedergehauen hatte, Lützow selbst, der an dieser Niedermetzelung nicht ohne Schuld war, da er die Waffenstillstandsbedingungen kennen mußte, sich mit nur 21 Reitern gerettet hatte, war das Vertrauen, das Deutschland auf die Lützower gesetzt, zwar stark erschüttert, die Blüte der gebildeten Jugend Deutschlands war erschlagen, allein Lützow hatte es doch wieder auf 480 Pferde gebracht und wuchs durch den neuen Zuzug aus dem Hannoverischen auf 500 Pferde.

An dem Tettenborn'schen Zuge nahmen etwa 200 Mann berittene Lützower, 600 Kosacken und 800 Mann preußische Jäger theil, die zum größten Theil durch Kriegsfuhrwerk, soweit man es beschaffen konnte, auf dem anstrengenden Marsche weiter befördert wurden.

Hermann Baumgarten, der mit seinen Genossen vor Begierde brannte, dem Feinde ins Angesicht zu schauen, hatte es durch Bitten bei dem Major Demisow erreicht, daß er an dem Zuge theilnahm. – Man machte den Marsch quer durch die öden Heidestrecken und Moore der Lüneburger Heide bis zur Aller in drei Tagen.

In Verden theilte man sich; während Tettenborn nach Norden über Achim auf Bremen marschirte, und Oberst von Pfuel mit einer starken Abtheilung Jäger und entsprechender Anzahl Kosacken auf das zur Rechten liegende Rotenburg aufbrach, welches von den Franzosen befestigt war, machte Demisow mit Kosacken und einer Anzahl Lützower einen Streifzug die Weser hinauf, um in Heustedt, Hoya oder Nienburg das linke Ufer zu erreichen und dem Feinde den Rückzug nach Osnabrück und Minden streitig zu machen.


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