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Häuslichkeit und Staatsdienst

Die Quellenachweise der Zitate [Zahl] befinden sich am Ende des Kapitels. Re. Für Gutenberg

Sie Geschichte von Bismarcks Heirat ist eng mit der seiner Bekehrung verbunden: denn durch Marie und Moritz von Blanckenburg lernt er die kennen, die dazu bestimmt ist, seine Frau zu werden. Beim Hochzeitsmahl der Blanckenburgs, im Oktober 1844, sitzt an Bismarcks Seite ein junges Mädchen von 20 Jahren, Johanna von Puttkamer, die vertraute Freundin der Neuvermählten. Hegte Marie in ihrem Herzen die Hoffnung, daß dieses junge Wesen nun das für Bismarck werden soll, was sie nicht selbst hat werden können? Das scheint wohl möglich. Auf alle Fälle ist sicher, daß die Blanckenburgs wünschten, auch Bismarck möchte sich verheiraten und eine Familie gründen. Und daß sie Johanna von Puttkamer für die Richtige hielten, darüber gibt es nicht den Schatten eines Zweifels, denn als Moritz an Bismarck schreibt und ihn bittet, zu kommen und Johannas Bekanntschaft zu machen, tut er das mit folgenden Worten: »Sie ist äußerst gescheit, durch und durch musikalisch, kohlschwarze oder glänzend braune Augen mit einem hellen glänzenden Licht. Die Züge haben sonst nichts hervorstechend Antikes, aber äußerst lieblich; sie ist durch und durch ein geistreicher Student, höchst originell mit einem tiefen frommen Herzen, dem alle Pietisterei fremd ist, das mit der allerholdesten Kindeseinfalt Walzer spielt, wie ich es noch nie gehört habe. Komm und sieh. Willst Du sie nicht, dann nehme ich sie zu meiner zweiten Frau.« [1] Und Marie schildert Johanna, wie es ihr als Freundin wohl ansteht: »Das Mädchen ist ein frischer, sprudelnder Gesundbrunnen, eine wahre Arznei für uns arme kranke Herzen. Eine schöne pikante Blume, über die noch nie ein Gifthauch gegangen ist, wiewohl sie zwanzig Jahre alt ist. Sie hat nichts Schönes im Äußeren, als Augen und lange schwarze Locken, sieht sonst alt aus, spricht viel, witzig und munter mit jedem Menschen, Mann oder Weib.« [2] Tatsächlich glänzt Johanna von Puttkamer weder durch Schönheit noch durch Eleganz. Ihre Eltern gehören dem pommerschen Landadel an; sie ist die einzige Tochter und führt bei Vater und Mutter auf ihrem Gute Reinfeld ein stilles und einfaches Dasein von ziemlich bürgerlicher Bescheidenheit. Die Puttkamers sind wackere Leute, Pietisten, und stehen dadurch dem Milieu Thadden-Blanckenburg nah. Johanna wurde in sehr festen religiösen Grundsätzen erzogen, ist mit Inbrunst gläubig, aber von der mystischen Übersteigerung der Blanckenburgs weit entfernt. Sie hat eine praktische Veranlagung, viel Gutmütigkeit und Sinn für Humor, was alles ihr eine viel irdischere Haltung verleiht, als es die Mariens ist. Johanna ist zutiefst eine ganze und einfache Natur; sie ist intelligent, aber ihre Intelligenz trachtet nicht nach irgendwelchen Höhen; die großen Fragen, die Probleme der Geschichte, der Philosophie, der Politik interessieren sie kaum. Sie spricht Englisch und hat eine gewisse Neigung für die Romantiker. Sie ist, wie wir schon wissen, sehr musikalisch. Ihre Vorliebe gilt Beethoven, den sie später fast ausschließlich pflegt; nur in ihrer Jugend spielt sie auch Chopin, Mendelssohn u. a. Es geht ein stiller Zauber von ihr aus, eine Atmosphäre der Reinheit und heiteren Herzlichkeit, die sie allen wert macht.

Im Sommer 1845 kommt Johanna für einige Wochen zu Blanckenburgs nach ihrer Besitzung Kardemin. Bismarck besucht seine Freunde mehrmals während dieser Zeit, eine gegenseitige Neigung zwischen ihm und Johanna scheint zu entstehen, doch bildet es ein vorläufiges Hindernis zwischen beiden, daß seine Bekehrung noch nicht vollendet ist. Noch schlägt er sich mit Zweifeln herum, fühlt aber sehr wohl, daß man gläubig sein muß, um Herz und Hand Johannas zu gewinnen. Länger kann es so nicht weitergehen, irgendwie muß es sich entscheiden. Er lebt jetzt in Schönhausen ganz als Einsiedler, sein Vater ist tot, und die Einsamkeit lastet schwer auf ihm. An seine verheiratete Schwester Malwine, die er zärtlich liebt, schreibt er: »Ich muß mich übrigens, hol mich der D..., verheiraten, das wird mir wieder recht klar.« [3] Augenblicklich bekleidet er die Stellung eines Deichhauptmannes, ein Amt, das ihm zusagt, denn er hat dabei mit der entfesselten Natur zu tun, dem Strom der Elbe, den treibenden Eisschollen, den Überschwemmungen. Oft begibt er sich nach Kardemin, und wenn er nicht kommen kann, schreiben ihm Blanckenburgs und erzählen ihm in ihren Briefen von Johanna. Und mehr und mehr ist Bismarck unbefriedigt von dem Leben, das er führt, mehr und mehr denkt er daran, sich ein Heim und ein glückliches Familienleben zu schaffen, so wie es Marie und Moritz getan haben. Im Sommer 1846 unternehmen Blanckenburgs, Johanna, Bismarck und einige Freunde zusammen eine Fahrt in den Harz. Auf dieser Reise treten Bismarck und Johanna einander ein gut Stück näher. Und wenn Marie, die schon im Winter desselben Jahres stirbt, die Vollendung der von ihr so sehr erhofften Verbindung auch nicht erleben darf, so scheidet sie doch mit der Gewißheit, daß diese nahe bevorsteht. Schon ein paar Monate darauf, im Januar 1847, wird die Verlobung bekannt gegeben. Nur nach großem Schwanken haben sich die frommen Eltern der Braut dazu verstanden, ihre Tochter diesem »tollen Bismarck« zu geben. Es hat des Aufwands aller seiner diplomatischen und gesellschaftlichen Fähigkeiten bedurft, sie von der Aufrichtigkeit seiner Bekehrung zu überzeugen. Im Juli 1847 findet in der Kirche von Alt-Kolziglow bei Reinfeld Bismarcks Hochzeit mit Johanna von Puttkamer statt. Sie ist 23 Jahre alt, er 32. Das junge Paar läßt sich in Schönhausen nieder.

Es mag zunächst widerspruchsvoll erscheinen, daß Bismarck, der Frauenkenner und Viveur, dieses Mädchen, das nicht schön, sehr einfach und, mit ihm verglichen, anscheinend unbedeutend ist, zur Frau nimmt. Aber das Leben hat bewiesen, daß seine Wahl richtig war, und gerade deshalb wählte er richtig, weil er sich so gut auskannte mit den Frauen. Niemals hat er diese Wahl zu bereuen gehabt. Nicht aus Leidenschaft fühlte er sich zu Johanna hingezogen, sondern weil er erkannt hatte, daß ihr Herz von bewunderungswürdiger Reinheit war, daß Johanna zu den Frauen zählte, die ganz Hingebung und blindes Vertrauen sind für den, dem sie angehören, und seine Liebe für sie ist zärtlich und tief. Es genügt, die Briefe zu lesen, die er während der sechs Monate der Verlobung an sie richtet, um jeden Zweifel zu bannen. Diese Briefe sind das Schönste, was er je geschrieben hat; sie gehören zu den feinsten Blüten der deutschen Briefliteratur. Welcher Reichtum des Gefühls, des Schwungs, des Geistes, der Weisheit und der Feinheit in jeder Zeile! Welche innige Zärtlichkeit! Er nimmt alle Sprachen Europas zu Hilfe, selbst das Polnische, um Kosenamen für seine Braut zu finden: »Jeanne la noire« «angela mia« »sweetest heart« »Juanina, better half of myself« »Giovanna mia« »Jeanne la méchante« »Juanita« »mon petit chat malade« »tigresse« »czarna Kotko, mila duszo« »reine Giovanna« »Jeanne la sage« – das sind nur einige davon. Englische, italienische, französische Sätze lösen die deutschen ab, er zitiert ganze Gedichte von Byron, Chatterton und Moore. All das auch, um seine Braut zu bilden; er gibt ihr Ratschläge, setzt ihr seine Ansichten über Religion auseinander, sieht darauf, daß sie Französisch lernt – das wird ihr später noch nützlich sein – und daß sie reitet. Kurz, er ist in allem ihr Führer. Aber als Johanna, erschrocken über den Strom von Geist, mit dem er sie überschüttet, bescheiden staunt, daß man etwas an ihr, der Einfachen, zu bewundern findet, ist Bismarck in seinem Stolze verletzt, ereifert sich und schreibt ihr, daß sie im Gegenteil jedem sagen könne: » Monsieur, le fait est que Mr. de Bismarck m'aime, ce qui prouve que tout individu mâle, qui ne m'adore pas est un butor sans jugement« und er fährt fort: »Sei nicht so beleidigend bescheiden, als wenn ich, nachdem ich 10 Jahre unter den Rosengärten des nördlichen Deutschlands umhergewandelt, zuletzt mit beiden Händen nach einer Butterblume gegriffen hätte.« [4] Denn er hat seine Gefährtin mit voller Überlegung ausgesucht, er ist stolz auf seine Wahl und völlig befriedigt von ihr. An seinen Bruder schreibt er: »ich heirate, ganz kaltblütig gesprochen, eine Frau von seltenem Geiste und von seltenem Adel der Gesinnung, dabei liebenswürdig sehr und facile à vivre, wie ich nie ein Frauenzimmer gekannt habe.« Und seiner Schwester gegenüber erklärt er sich noch vollständiger: »Es ist doch sehr angenehm, verlobt zu sein; ich sehe seitdem mit ganz andern Augen in die Welt, langweile mich nicht mehr, habe wieder Lust und Mut zu leben. Je mehr und je ruhiger ich mich in die Idee einlebe, desto deutlicher wird mir, daß ich einen verständigen und einen glücklichen Schritt getan habe, und meine Hoffnung ist, daß mich diese Überzeugung nie verlassen wird. Jetzt nun ich nahe an das Heiraten komme, leuchtet mir recht ein, wie sehr ernsthaft dies Geschäft ist.« Er freut sich jetzt darüber, daß ein früherer Heiratsplan sich nicht verwirklicht hat: »Ich würde die vorübergehende Annehmlichkeit, eine hübsche Frau zu haben, mit langjähriger Unbefriedigtheit, im besten Falle mit Langeweile, möglicherweise mit Krieg und Exzeß bezahlt haben.« [5] Endlich ist der Seelenfrieden bei ihm eingekehrt: »Im übrigen befinde ich mich in einem Zustande behaglicher Zufriedenheit, wie ich ihn seit vielen Jahren auf die Dauer nicht gekannt hatte.« [6] Moritz von Blanckenburgs Schwester, Antonie, faßt vielleicht am treffendsten die Gründe zusammen, die Bismarck zu Johanna hingezogen haben, wenn sie schreibt: »Ist Johanna in ihrer Liebe so warm und so treu wie in ihrer Freundschaft, so wird Otto in dieser Beziehung mehr finden, als er je sich hat träumen lassen. Mariechen äußerte oft zu mir, daß sie niemand kenne, die so alle Eigenschaften besäße, einen Mann gründlich zu beglücken ... Ihr Äußeres wird, glaube ich, nicht hübsch gefunden, besonders wohl nicht von Frauen, für mich hat sie ein sehr interessantes Äußere; so wie aber sie spricht und sich belebt, wird ersteres Urteil wohl ganz umgestoßen, da alsdann Geist und Verstand alle Züge verschönen und besonders den ausdrucksvollen Augen großen Reiz geben ... Dies frohe Ereignis ist ja nicht aus einer flüchtigen Bekanntschaft entstanden, sondern die verschiedenartigsten Gelegenheiten waren da, alle verborgensten und zartesten Seiten des Herzens ans Licht zu bringen; ich rechne dazu besonders Mariechens Tod; sie werden dabei beide erkannt haben, daß dieses Bündnis nicht ein für ein vielleicht nur kurzes Leben, sondern für die ganze Ewigkeit zu schließendes ist, und daß Zeiten kommen, wo auch die innigste gegenseitige Liebe nicht ausreichend ist, wenn sie nicht im Mittelpunkte alles Seins und Lebens, in Gott, ihren Grund und Boden hat.« [7]

Der Bund hat fast 50 Jahre gedauert, bis Johanna im Alter von 70 Jahren, am 25. November 1894, starb, vier Jahre vor ihm. Und dieses lange eheliche Leben hat bewiesen, daß Bismarck die treue Gefährtin, die er brauchte, gefunden hat. Sie hat ihn auf seiner ganzen Laufbahn begleitet von seinen Anfängen an, durch seine Triumphe, bis zu seinem Sturz und seiner Zurückgezogenheit. Und während all dieser Jahre hat sie ihm das gegeben, was er so nötig hatte: eine sichere Zuflucht, den Frieden des häuslichen Herdes. Für sie ist ihr Gatte immer der »Einzige« geblieben, ihr »Ottochen«, der Mittelpunkt ihrer ganzen Welt. Nie hat sie sich mit Politik befaßt, von der sie auch nichts zu verstehen glaubt, denn alles dreht sich bei ihr um den menschlichen Zusammenhang, um sehr wenige Menschen überdies, die ihre unmittelbare Umgebung bilden. Alle großen Ereignisse der Politik verzeichnet sie nur als Rückschlag auf ihre kleine Welt: als Dinge, die sie daran hindern, mit ihrem Manne und ihren drei Kindern ein ruhiges Leben auf dem Lande zu führen, wie sie es so gerne möchte. Sie hat anfänglich gar kein Verständnis für Bismarcks politische Mission, sie weiß nur, daß diese Laufbahn, die ihn fortreißt, das häusliche Leben belastet, und es wäre ihr am liebsten, wenn er alles aufgäbe. Noch im Jahre 1860, als Bismarck Gesandter in St. Petersburg war und man anfing, in ihm den kommenden Mann zu sehen, schrieb sie an Keudell: »Wenn Bismarck alles aufgeben möchte, was mit Politik und Diplomatie zusammenhängt, wenn wir, sobald er ganz gesund wäre, schnurstracks nach Schönhausen gingen, uns um nichts kümmernd als um uns selbst, um unsere Kinder, Eltern und die wirklichen wahrhaften Freunde, das wäre meine Wonne. Dann würde er gewiß bald wieder so stark und frisch werden, wie vor 10 Jahren, als er eintrat in diese unleidliche stürmische Diplomaten-Welt, die ihm gar nichts Gutes gebracht – nur Krankheit, Ärger, Feindschaft, Mißgunst, Undankbarkeit und – Verbannung; wenn er den Staub seiner lieben Füße über den ganzen nichtsnutzigen Schwindel schütteln und all dem Unsinn entrinnen wollte, in den er mit seinem ehrlichen, anständigen grundedlen Charakter nie hinein paßt – dann wäre ich vollkommen glücklich und zufrieden! – Aber er wird's leider wohl nicht tun, weil er sich einbildet, dem ›theuren Vaterland‹ seinen Dienst schuldig zu sein, was ich vollkommen übrig finde.« [8] Mit der Zeit erkennt sie jedoch Bismarcks Größe und ist stolz auf sie. Nun findet sie sogar eine Möglichkeit, an seinem politischen Leben teilzunehmen, indem sie auf seine politischen Feinde ganz persönlich einen kindlichen, wilden Haß wirft, der an Heftigkeit den Bismarcks selbst übertrifft, der doch gut zu hassen versteht. Der alte Bankier Gerson Bleichröder hat einmal gesagt: »Unser Kanzler und Fürst ähnelt unserem Gott Jehova, der mitleidslos die Sünder bis ins dritte und vierte Glied verfolgt, aber die Fürstin Johanna, die verfolgt sie bis ins tausendste!« [9] Ihren ganzen Stolz jedoch überträgt sie auf ihren Mann; sie selbst hat keinen Ehrgeiz, sie strebt nicht nach Ehren oder nach Ruhm. Am ersten Tage, nachdem Bismarck den Fürstentitel erhalten hat, vergißt sie beim Verlassen des Hofballs ihr Bukett; jemand bringt es ihr und sagt: »Ich glaube, das sind die Blumen der Fürstin«; sie dreht sich um und fragt erstaunt: »Welcher Fürstin?« [10]

An der Seite des großen Mannes führt sie ein völlig selbstloses Leben, scheint sich im Schatten des Kanzlers zu verlieren: sie versucht nicht einmal, auf sich selbst ein wenig von dem Lichte abzulenken, das auf ihm liegt. Wenn bei Tisch die Neueingeladenen aus Höflichkeit versuchen, eine Unterhaltung mit ihr anzufangen, weist sie mit einer kleinen Kopfbewegung auf Bismarck, als wollte sie sagen: ›Geben Sie sich keine Mühe mit mir, ich bin nicht interessant, halten Sie sich an meinen Mann.‹ Und doch stand Johanna, als sie jung war, im Rufe, geistreich und voller Humor zu sein. Als sie mit Bismarck nach Frankfurt kam, war der erste Eindruck, den das Paar auf die Frankfurter Gesellschaft machte, der, daß es schwer sei zu sagen, wer von den beiden mehr Geist besitze. Und in seinen alten Tagen waren es oft nur ihre witzigen Bemerkungen, die Bismarck auch in trübster Stimmung noch zum Lachen bringen konnten. Weit davon entfernt, unbedeutend zu sein, ist sie im Gegenteil eine starke Persönlichkeit, worauf Bismarck selbst anspielt, wenn er zu seiner Schwiegertochter sagt: »Man glaubt gar nicht, wie schwer es mir wurde, aus einem Fräulein von Puttkamer eine Frau von Bismarck zu machen!« [11] Sie hat feste Anschauungen, ist tief in der Freundschaft wie im Haß. Und wenn sie verdunkelt erscheint, so nur, weil sie vollkommen auf sich selbst verzichtet hat, um nur noch aus Aufopferung und Hingebung für ihren Gatten zu bestehn. Denn sie liebt ihn ohne Grenzen, er ist ihr Alles, außer ihm existiert nichts für sie. Als sie noch verlobt war, schrieb sie ihm: »Mein Otto ... ich lasse meine Hand in Deiner warmen liegen, bis Gott sie Dir nimmt, und kann es sein, so bleibe ich auch dann noch Dein Schutzengel, der Dich umschwebt leise und ungesehen - bis Du selbst mir nachkommst und wir ein Engel werden.«

Niemals, wie gesagt, hätte Bismarck eine mondäne Frau an seiner Seite ertragen, die sich in die Politik gemischt hätte oder eine glänzende Salondame gewesen wäre. Johanna hat es verstanden, ihm zu geben, wessen er bedurfte: ein ruhiges und tiefglückliches Familienleben, wo er immer eine sichere Zuflucht fand. Hier, am häuslichen Herde, in der Familie besitzt Johanna alle Rechte, hier liegt der ganze Sinn ihres Daseins, in dieser Intimität, zu der die Blicke der Öffentlichkeit nicht gelangen. »Ich flehe nur dringend zu Gott, daß es gut werde für Bismarck und die Kinder - ich bin wirklich sehr Nebensache und stets zufrieden, wo die Vier glücklich und gesund sind.« [12] Sie widmet sich der Aufgabe, ihren Mann und ihre Kinder beständig zu umsorgen, sie schafft ihnen die Umgebung, die Bismarck wünscht – die einer einfachen Familie, anspruchslos, aber voll guten Einvernehmens und voller Zärtlichkeit. Sie hat nicht versucht, Bismarck zu beeinflussen und ihn in seinen Leidenschaften zu zügeln, im Gegenteil: sie hat seinen Haß geteilt und ihn zu dem ihrigen gemacht. »Ich weiß nicht«, schreibt er einmal an die Gattin, »wie ich das früher ausgehalten habe; sollte ich jetzt leben wie damals, ohne Gott, ohne Dich, ohne Kinder – ich wüßte doch in der Tat nicht, warum ich dies Leben nicht ablegen sollte wie ein schmutziges Hemd.« [13] Herbert Bismarck hat von seiner Mutter gesagt: »Mein Vater hätte sein anstrengendes Leben gar nicht ertragen, wenn er sie nicht gehabt: dies treue Herz, diese unermüdete Fürsorge, dies tiefe Ausruhen bei ihr ...« [14] Bismarck ist ihr gegenüber denn auch stets von einer etwas väterlichen, aber tiefen und aufrichtigen Zärtlichkeit. Und in seinen späten Tagen hat er einmal zu seinen Freunden gesagt: »Sie ahnen nicht, was diese Frau aus mir gemacht hat!«

Dieses Frauenschicksal voller Hingabe und Aufopferung ist, abgesehen von dem Familienglück, nicht ohne eine gewisse Tragik; denn sie, die immer nach der Ruhe eines einfachen Daseins auf dem Lande strebte, wo nichts, weder Politik noch Menschen, dazwischen käme, um ihr Leben mit dem angebeteten Gatten zu stören, sie sollte dieses erträumte Dasein erst genießen, als es ihnen durch kaiserliche Ungnade aufgezwungen wurde: und die Bitterkeit des Grams hat das Ideal, das sie so ersehnte, vergällt. ... Auch Bismarck fühlte sich kraft seines Ursprungs im Grunde seines Herzens stets zu dem Leben des Landedelmannes hingezogen, und die ungestillte Sehnsucht danach bereitet ihm manchmal grausame Qual. Mit melancholischer Aufrichtigkeit, ja mit Gewissensbissen sagt er, als er im Alter eines Tages über sein verflossenes Leben, das Johanna hatte teilen müssen, nachdenkt, zu dieser sanft: »Verzeih mir, mein Kind, es macht auch mir Kummer, zu denken, daß ich Dir nicht mehr von meinem Leben geben konnte ...«

Der Genius und der Ehrgeiz, die in ihm lebten, trieben ihn zu Taten. Mit 23 Jahren, bevor er sich in Kniephof einrichtete, hat Bismarck in einem Brief an eine seiner Kusinen über seine Zukunft, so wie er sie sich vorstellte, gesprochen. Als seine Angehörigen fanden, daß nichts ihn nötige, sich im hintersten Winkel von Pommern niederzulassen, und daß er besser daran täte, eine Laufbahn im Staatsdienst zu suchen, erwidert Bismarck: »daß für mich die Notwendigkeit, ein Landjunker zu werden, nicht vorhanden war, ist auch meine Meinung; auf der andern Seite werden Sie aber ... nicht im Ernste behaupten, daß die einem jeden gegen sein Vaterland obliegenden Pflichten von mir gerade fordern sollten, daß ich Administrativbeamter werde; vielmehr glaube ich diesen Pflichten vollständig zu genügen, wenn ich innerhalb des beliebig von mir gewählten Berufs alles das tue, was man von einem sein Vaterland liebenden Staatsbürger erwarten darf ... Daß mir von Hause aus die Natur der Geschäfte und der dienstlichen Stellung unsrer Staatsdiener nicht zusagt, daß ich es nicht unbedingt für ein Glück halte, Beamter und selbst Minister zu sein, daß es mir ebenso respektabel und unter Umständen nützlicher zu sein scheint, Korn zu bauen als administrative Verfügungen zu schreiben, daß mein Ehrgeiz mehr danach strebt, nicht zu gehorchen, als zu befehlen: das sind facta, für die ich außer meinem Geschmack keine Ursache anzuführen weiß, indessen, dem ist so ... Der preußische Beamte gleicht dem Einzelnen im Orchester; mag er die erste Violine oder den Triangel spielen: ohne Übersicht und Einfluß auf das Ganze muß er sein Bruchstück abspielen, wie es ihm gesetzt ist, er mag es für gut oder schlecht halten. Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine ... Für wenige berühmte Staatsmänner, namentlich in Ländern absoluter Verfassung, war übrigens wohl Vaterlandsliebe die Triebfeder, welche sie in den Dienst führte; viel häufiger Ehrgeiz, der Wunsch, zu befehlen, bewundert und berühmt zu werden. Ich muß gestehen, daß ich von dieser Leidenschaft nicht frei bin, und manche Auszeichnungen, wie die eines Soldaten im Kriege, eines Staatsmannes bei freier Verfassung, wie Peel, O'Connell, Mirabeau usw., eines Mitspielers bei energischen politischen Bewegungen, würden auf mich eine, jede Überlegung ausschließende Anziehungskraft üben, wie das Licht auf die Mücke.« [15]

So sieht es im Innern des jungen Mannes aus: Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland, Verachtung für die Bürokratie, Hinneigung zum Stande des Agrariers und unwiderstehliches Streben nach großen Taten, aber Taten nach seinem eigenen Sinn.

Es ist klar, daß seine Güter und die Deiche der Elbe eines solchen Mannes Tatendurst nicht stillen können und daß er einen viel größeren Schauplatz braucht. Und in dem Augenblick, da er sich verlobt, öffnet sich dieser Schauplatz für ihn. In Berlin ruft der König im Februar 1847 den Vereinigten Landtag der Preußischen Provinzen zusammen, mit der Aufgabe, endlich die Verfassung auszuarbeiten, die dem Volke seit dem Ende der Freiheitskriege im Jahre 1815 versprochen worden war. Für Bismarck ist damit eben die Tätigkeit da, von der er geträumt hatte. Auch seine Freunde meinen, daß er zum Abgeordneten geschaffen ist; einer schreibt ihm: »Mir scheint für einen Menschen von Deiner Tüchtigkeit und Deinem Ehrgeiz ein glänzendes Feld parlamentarischer Tätigkeit sich zu öffnen.« [16] Im Sommer 1846 nur zum stellvertretenden Abgeordneten der sächsischen Provinzialstände gewählt, gewinnt er im Mai 1847 den ersehnten Eintritt in den Landtag, dank der Erkrankung eines Abgeordneten, dem Bismarcks Freunde zureden, ihm den Platz zu räumen. Von diesem Augenblick an ist er der politischen Laufbahn geweiht, und seine neue Tätigkeit verweist alles andere in die zweite Linie, selbst seine junge Frau. Er stürzt sich mit Feuer, fast mit Besessenheit in die Politik, wie in einen Kampf. Von Anfang an nimmt er eine bestimmte Haltung ein, die er sein ganzes Leben lang bewahren wird. Höher als alles steht ihm der Dienst am Vaterlands! Seinen Ursprüngen, mehr als seiner Überzeugung nach ist er Royalist; er hält es für seine Pflicht, den Thron zu stützen, in dem er die durch die geschichtliche Entwicklung gegebene Regierungsform verkörpert sieht. Aber gleichzeitig verlangt er, daß der Herrscher seine Pflicht gegen seine Vasallen und sein Land erfülle. Ein glühender Patriot, ein treuer Ritter, aber auch ein frondierender Vasall, das ist Bismarck, und das sind seine Ahnen gewesen.

Im Landtag zieht er durch seine Energie und durch seinen Kampfgeist die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich; bald sehen die Mitglieder seiner Partei in ihm einen ihrer Führer, und bei Hofe beginnt man von ihm zu reden. Die Ereignisse von 1848, die Revolution in Berlin, geben ihm Gelegenheit, eine glühende Aktivität zu entfalten. Die Nachricht von dem Aufstand überrascht ihn in Schönhausen. In Tangermünde, der Nachbarstadt, hat man die republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold gehißt, und die Bürger kommen bis nach Schönhausen, um zu verlangen, daß man diese Fahne auch auf dem Turm des Gutes aufziehe. Mit Hilfe der um ihn versammelten Dorfbewohner verjagt Bismarck die Eindringlinge; und da sie drohen, bewaffnet zurückzukommen, verteilt er, was er an Waffen findet, unter die Bauern. Deren Gesinnung ist einwandfrei monarchisch, sie erklären sich bereit zu marschieren, um dem bedrohten König zu Hilfe zu kommen. Bismarck heißt sie warten und eilt selbst nach Berlin, um sich klar darüber zu werden, was dort vorgeht. Er findet die Hauptstadt in der größten Verwirrung: der König ist vor der Revolte zurückgewichen und hat die Truppen die Stadt räumen lassen, indem er die Wache des Schlosses der Bürgerwehr überläßt. Vergebens versucht Bismarck, irgend jemand zu finden, der genug Energie und Mut besitzt, um den in Potsdam versammelten Truppen den Marsch auf Berlin zu befehlen. Der König empfängt ihn nicht. Der Thronfolger Prinz Wilhelm ist auf Geheiß des Königs nach England entwichen, seine Gemahlin, Prinzessin Augusta, intrigiert, um eine Abdankung Friedrich Wilhelms IV., nicht zugunsten ihres Gatten, sondern ihres Sohnes, herbeizuführen. Die Generäle haben zuviel Angst vor der Verantwortung, um die Truppen ohne höheren Befehl einzusetzen. Voll Ärger und Verachtung kehrt Bismarck nach Schönhausen zurück, wo er eine Bauerndelegation zusammenruft, die er nach Potsdam führen will, um sie dem König vorzustellen und diesen von der Treue der Landbevölkerung zu überzeugen. Er kommt gerade recht, um die Ansprache zu hören, die der König vor den versammelten Gardeoffizieren hält. »Bei den Worten ›Ich bin niemals freier und sichrer gewesen als unter dem Schutze meiner Bürger‹ erhob sich ein Murren und Aufstoßen von Säbelscheiden, wie es ein König von Preußen inmitten seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird.« [17] Diese Ereignisse machen auf ihn einen erschütternden Eindruck, es ist, als habe er eine Wunde empfangen. Er, der Starke und Gesinnungstreue, kann nicht ertragen, daß der König so schwach ist, vor dem Volksaufstand zurückzuweichen. Man fühlt sich unwillkürlich an den jungen Bonaparte erinnert, der über die Revolte in den Tuilerien den Ausspruch tut: » Avec des canons, on balayerait toute cette canaille!« Nur fühlt sich Bismarck als loyaler Vasall in ganz anderem Maße berührt, denn der König ist im Begriff, sich gegen alle Traditionen zu vergehen, er ist nicht befugt, sich so seiner Rechte und Ansprüche zu begeben, er hat Pflichten gegen seine Vasallen, deren Stellung er durch seine Schwäche kompromittiert. Der Stolz des preußischen Junkers ist tief verletzt, und von nun ab setzt Bismarck, um seinen Ursprung zu betonen, stets die Adelspartikel »von« vor seinen Namen. Die Unterredung zwischen ihm und Friedrich Wilhelm IV., die nach der ersten Beruhigung der Lage stattfindet, nimmt denn auch eine bittere Wendung, und die Vorwürfe, die er dem König in seiner freien und scharfen Sprache macht, sind heftig, ja verächtlich. Kaum gelingt es diesem, ihn zu beruhigen und sein Vertrauen wiederzugewinnen. Durch sein Verhalten in diesen Tagen der Verwirrung ist man auf ihn aufmerksam geworden; man schlägt ihn sogar für einen Posten in dem neuen Ministerium vor, das gebildet wird. Der König soll zu Bismarcks Namen auf der Kandidatenliste bemerkt haben: »Nur zu gebrauchen, wenn das Bajonett schrankenlos waltet« oder nach einer anderen Version: »Roter Reaktionär, riecht nach Blut, später zu gebrauchen«. Was daran auch sein mag, jedenfalls scheut der König sich davor, ihn einzusetzen, und es vergehen noch beinahe zwei Jahre, bevor man ihm einen Posten anvertraut.

Wiederum in den neuen Landtag von 1849 gewählt, gibt sich Bismarck mit verstärkter Leidenschaft der Politik hin. Er ist derartig von ihr in Anspruch genommen, daß er die Verwaltung von Schönhausen abgibt und vollkommen nach Berlin übersiedelt. Seine Tätigkeit besteht darin, auf alle Weise die Ansprüche der Revolutionäre zu bekämpfen und die Vorrechte der Krone energisch zu wahren. Er nimmt jetzt eine entscheidende Stellung unter den Politikern ein, in der Umgebung des Königs hat er Freunde und Helfer, vor allem die beiden Brüder Gerlach, von denen der eine, der Generaladjutant, ein Vertrauter des Königs ist und auf diesen großen Einfluß übt. Bismarck geht bei Hofe ein und aus, er ist eine weithin sichtbare politische Persönlichkeit geworden. Die für seine Laufbahn entscheidende Tat aber war seine große Rede für den Olmützer Vertrag im Dezember 1850, in der er den Mut aufbringt, die viel geschmähte Politik der Regierung zu verteidigen. Gerlach empfahl ihn nun für den damals wichtigsten Posten der preußischen Diplomatie, für den des Bundestagsgesandten in Frankfurt. Im Mai 1851, mit 36 Jahren und ohne jemals im diplomatischen Dienst gewesen zu sein, tritt er sein neues Amt an, klar über die Verantwortung, die er auf sich nimmt. Doch seinen Briefen an Johanna klingt ein wehmütiger Ton mit: »Ich muß mich nun gewöhnen, ein regelmäßiger trockner Geschäftsmann zu sein, viel und feste Arbeitsstunden zu haben und alt zu werden; Spiel und Tanz sind vorbei, Gott hat mich auf den Fleck gesetzt, wo ich ein ernster Mann sein und dem Könige und dem Lande meine Schuld bezahlen muß.« [18] So schreibt er ihr aus Frankfurt schon am ersten Tag.

Acht Jahre ist Bismarck in Frankfurt geblieben. Sein Ziel bestand vor allem darin, nicht zuzulassen, daß Österreich auf Kosten Preußens die vorherrschende Rolle spiele. Das bedeutet praktisch, daß Bismarck gegen den Grafen von Thun, den stolzen Vertreter des Kaiserstaates, eine Politik der Nadelstiche zu führen hat, die diesen beinahe krank macht. Das regt seine witzige Laune an, aber er wird doch bald dieser kleinen Spiele, die Gelegenheit zu mancher Anekdote geben, müde. So versucht er seinen Wirkungskreis über seine Mission in Frankfurt hinaus auszudehnen, und seit Ausbruch des Krimkrieges beginnt er zum Diplomaten von europäischem Ausmaß zu werden. Seine Korrespondenz mit Gerlach ist im Grunde für die Augen des Königs bestimmt und bleibt verborgen vor Manteuffel, dem Minister des Auswärtigen, gegen den sie sich sogar richtet, der ihren Einfluß argwöhnt und zuweilen seinen Untergebenen fürchtet. Bismarck ist beständig unterwegs, denn immer wieder wird er nach Berlin gerufen, wo man auf ihn zu hören beginnt!

Seinem Tatendrange genügte der Frankfurter Posten auf die Dauer nicht. »Ja, wenn man so über das Ganze disponieren könnte!« sagte er 1857 zu seinem Freunde Keudell. Doch die Hoffnung auf Eintritt ins Ministerium scheiterte zunächst. Die Geisteskrankheit Friedrich Wilhelms IV. führte im Oktober 1858 zur Einsetzung einer Regentschaft für seinen Bruder, den Prinzen Wilhelm. Die liberale »Neue Ära« begann, mit ihr der Versuch einer friedlichen Zusammenarbeit mit Österreich, in dem Bismarck den eigentlichen Gegner Preußens sah. Er mußte aus Frankfurt weichen und wurde als Gesandter nach St. Petersburg geschickt. Die Versetzung traf ihn schwer, aber ebenso Johanna.

Für sie war die Frankfurter Zeit die erste, wo sie in Ruhe das Haus ihres Gatten führen konnte, und die acht Jahre, die sie dort verbracht hat, bleiben immer eine glückliche Erinnerung für sie. Mit schwerem Herzen sieht sie dieser neuen Trennung von ihrem »Ottochen« entgegen, denn es wird noch Monate dauern, bis die neue Einrichtung fertig sein wird in der Hauptstadt dieses Rußlands, das sie das »Land der Wanzen« nennt und vor dessen Klima sie Angst hat. Doch von seinem neuen Posten aus schickt Bismarck ihr Briefe, die im Grunde ganz begeistert sind, er sagt ihr, daß alles nicht so schlimm ist und daß es ihm gut gefällt. »Mir könnte es recht gut hier gefallen ... alle amtlichen Beziehungen sind im Vergleich zu Frankfurt aus Dornen zu Rosen geworden; ob sie immer blühn werden, ist freilich ungewiß. Die Bundesbosheiten und das Präsidialgift sehn von hier wie Kindereien aus ... Ich habe bisher nur angenehme Eindrücke.« [18] Und an seine Schwiegereltern: »Hier geht es mir, bis auf die fehlende Häuslichkeit, bisher gut; jedermann ist freundlich und liebenswürdig für mich, und in meinen dienstlichen Geschäften haben die täglichen Zänkereien von Frankfurt wohlwollenderen Beziehungen Platz gemacht; auch, für jetzt wenigstens, größeren und interessanteren, als es die gewöhnlichen Vorkommnisse der Bundespolitik waren.« [20] Alexander II. und die kaiserliche Familie empfangen ihn liebenswürdig: der Zar »ist außerordentlich gnädig für mich, auch die Kaiserin«. [19] Tatsächlich begünstigt Alexander II. Bismarck in ganz ausgesprochener Weise, kein Gesandter in Petersburg genießt in einem solchen Grade wie der neue preußische seine Gunst. Gelegentlich der großen Frühlingsparade erzählt Bismarck: »Der Kaiser widmete sich mir so ausschließlich, als ob er mir die Parade veranstaltete. Bei dem Vorbeimarsch nahm er mich mit vorne neben sich und erklärte mir jede einzelne Truppe, und wo sie ständen und rekrutirten und wer sie kommandirte.« [21] Er wird oft vom Zaren im vertrauten Kreise empfangen. Die Kaiserin-Witwe, eine geborene preußische Prinzessin, behandelt ihn fast familiär: »Für mich hat sie in ihrer liebenswürdigen Natürlichkeit wirklich etwas Mütterliches, und ich kann mich zu ihr ausreden, als hätte ich sie von Kind auf gekannt.« [22] Von der russischen Gesellschaft aber ist Bismarck völlig bezaubert, er findet alle Leute liebenswürdig und sympathisch. In seinen Erinnerungen hat er gesagt, daß die alte Generation der russischen Aristokratie »die Creme europäischer Gesittung« gewesen sei. Es gefällt ihm, daß all diese Leute, während sie außerordentlich vornehm erzogen sind, Großzügigkeit besitzen, sowie vornehme und aufrichtige Einfachheit, die ihrer ausgedehnten Gastlichkeit besondern Reiz gibt. Die Beziehungen hier sind natürlich, frei von mondänem Flittergold. Vom Zaren bis zum letzten Lakai bezeugt ihm alle Welt in diesem großen Rußland Liebenswürdigkeiten. »Wenn beim Nachhausefahren in das wartevolle Treppenhaus prusku paslannika hineingeschrieen wird, so sehn sich alle russischen Gesichter mit wohlwollendem Lächeln um, als hätten sie eben einen neunziggradigen Schnaps hinuntergeschnalzt«, [23] schreibt er heim. Außerdem zieht ihn auch die Natur des Landes an, die weiten, von unbekanntem Wild bevölkerten Wälder. Es gibt Jagden, die ihm neu sind, auf Wölfe, Elche und Bären. »Ich freue mich«, schreibt er nach einer Bärenjagd, »einmal wieder in der beschneiten Waldwildnis geatmet zu haben. Es geht nichts über Urwälder, in denen keine Spur von Menschenhänden zu finden. In Rußland gibt es deren noch viele, wahre Jägerparadiese. [24] Er wäre hier vollkommen glücklich, wenn er sich nur nicht zu weit abseits vom Mittelpunkt der Politik gefühlt hätte, von Berlin, wo sich inzwischen sein Geschick entscheiden könnte. Denn in Preußen nehmen die Dinge eine neue Wendung. Gerlach, der Vertraute Friedrich Wilhelms IV., ist inzwischen ausgeschaltet worden. Die Hauptrolle beim Regenten, dem Prinzen Wilhelm, spielt General Roon, der Kindheitsfreund Bismarcks, nun Kriegsminister. Die Opposition der Liberalen und der Fortschrittspartei im Landtag wächst mehr und mehr, und der Regent, der vor allem die Armee verstärken und neu organisieren will, gerät in ernstliche Schwierigkeiten. Unvermeidlich naht eine Krise, und Bismarck blickt mit Ungeduld auf das Ministerportefeuille. Jedes Jahr bekommt er einen Urlaub von mehreren Monaten nach Deutschland. Im Jahre 1860 verbringt er wegen einer Krankheit, die ihn beinahe das Bein und vielleicht sogar das Leben gekostet hätte (ein Pflaster hatte auf eine Ader gedrückt, so daß eine Embolie, gefolgt von Lungenentzündung, entstand), sechs Monate in engem Kontakt mit den politischen Kreisen in Berlin. Roon sieht in ihm den einzigen Retter aus der Not und unterstützt so viel wie möglich seine Kandidatur für das Ministerium. Aber der Regent traut diesem Mann nicht, der ihm zu wild erscheint, und die Dinge ziehen sich hin. Die Unentschiedenheit und das Abwarten machen Bismarck nervös.

Wir haben ein wertvolles Zeugnis über seinen seelischen Zustand während der Petersburger Zeit in den Briefen des Legationsrats Kurd von Schlözer. Dieser war ein unabhängiger Geist, fast ein Starrkopf, und so gab es im Anfang heftige Zusammenstöße zwischen dem Gesandten und seinem Untergebenen. Nach und nach mußte Schlözer vor Bismarck kapitulieren, und er hat sich gegen seinen Willen von dieser Kraft, die stärker war als die seine, gewinnen lassen. Die Charakteristik, die er uns von seinem außergewöhnlichen Chef hinterlassen hat, ist ein kostbares psychologisches Dokument: »Ein Chef, für den die anderen Menschen nur aus Schwächen zu bestehen scheinen.« »Es ist etwas an ihm, was sich Herr nennen möchte.« »Nach Petersburg ist er geschickt, um kaltgestellt zu werden. Er will hier nicht bleiben, er will in Berlin Minister des Innern, d. h. alsdann à la Manteuffel Ministerpräsident werden.« »Ein höllischer Kerl ist er, aber – wo will er hinaus?« »Er ist die verkörperte Politik, alles gärt in ihm, drängt nach Betätigung und Gestaltung. Er sucht der politischen Verhältnisse Herr zu werden, das Chaos in Berlin zu meistern, weiß aber noch nicht wie. Wenigstens sehe ich seine Wege, sein Ziel nicht. Ein merkwürdiger Mensch, scheinbar voller Widersprüche.« »Mein Pascha ist jetzt in entsetzlicher Aufregung. Der Aufenthalt in Berlin, die dortige Ratlosigkeit und Verwirrung haben sein Blut wieder in Wallung gebracht. Wie es scheint, hält er bald seine Stunde für gekommen. Es wird eine heftige Kammersitzung geben, Schleinitz wird sich ärgern, wird seinen Abschied fordern – dann hofft Pascha einzurücken.« – »Neulich sagte Bismarck mir: ›Großfürstin Helene behauptet, Schleinitz solle Hausminister werden, dann hat der König die Wahl zwischen Bernstorfs, Pourtalès und mir zum auswärtigen Minister‹ – ipsissima verba Paschae. Tag und Nacht Träume von Portefeuille. – Dann hütet Euch, ihr Herren in der Wilhelmstraße!« [25]

Während Bismarck in Petersburg von solcher Unruhe erfüllt ist, verwickeln sich die Dinge in Preußen noch mehr. König Friedrich Wilhelm stirbt anfangs 1861, der Regent wird König als Wilhelm I. Der Konflikt mit der Opposition verschärft sich, denn der neue Souverän verlangt, daß sein Krönungszeremoniell die Ablegung des symbolischen Treueides aller seiner Untertanen enthalte, so wie man es immer unter den vorhergehenden Regierungen hielt. Nur ist er der erste Monarch, der in Preußen unter der konstitutionellen Herrschaft gekrönt wird, und die Opposition will nichts von diesem Eide wissen, der sie an die alten Zeiten des Absolutismus erinnert. Die geplante Reform der Armee stößt weiterhin auf Schwierigkeiten, Roon setzt seine Hoffnungen auf Bismarck und lädt ihn telegraphisch ein, sich sofort nach Berlin zu begeben.

Aber so ungeduldig er vordem gewesen ist, so viel Reserve beweist dieser feine Spieler jetzt. Er zeigt keine Eile zu kommen und erklärt sich von Roons Einladung keineswegs entzückt. Er findet die Umstände noch nicht reif genug; da die Krise sich unfehlbar noch verschlimmern muß, weiß er, daß er nichts verliert, wenn er wartet, bis die Situation sich noch klarer gestaltet. Im Sommer 1861 geht er nach Baden-Baden, um sich dem König vorzustellen, und unterbreitet ihm ein Memorandum über die politische Lage Deutschlands. Im Oktober ist er in Königsberg bei der Krönung. Und da nichts über ihn entschieden wird, kehrt er für den Winter nach St. Petersburg zurück. Die Lage in Preußen verschlimmert sich. Die Wahlen sichern der Fortschrittspartei die Mehrheit, die Opposition gegen die Reform der Armee nimmt noch zu, und der König hat ein neues Ministerium zusammenberufen, das ausschließlich aus Konservativen zusammengesetzt ist, also keine Unterstützung bei der Kammer findet. Mit diesem Ministerium findet die »Neue Ära« ihr Ende. Präsident ist Fürst Hohenlohe, Roon Kriegsminister, Bernstorff übernimmt den Platz von Schleinitz in den auswärtigen Angelegenheiten. Wieder eine Enttäuschung für Bismarck. Er hatte Bernstorffs Posten für sich erhofft, nun aber ist, was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft, nicht mehr die Rede von ihm, und obwohl man ihn im April 1862 von Petersburg abberuft, erfährt er bei der Heimkehr nach Berlin, daß man ganz vage davon spricht, ihm entweder London oder Paris zu geben. Immer wieder diese fortwährende Unentschiedenheit: Einmal redet man von einem Portefeuille für ihn, selbst von dem Posten des Ministerpräsidenten, dann am nächsten Tage wieder von London oder Paris. Schließlich hat Bismarck ganz einfach genug; er stellt sein Ultimatum: man möge ihm sofort eine Ernennung zukommen lassen, sonst werde er seinen Abschied einreichen. Einige Stunden später beruft der König ihn nach Paris, indem er ihm zu verstehen gibt, daß dies nur ein Interimsposten sei. Am 29. Mai 1862 reist der neue preußische Gesandte nach Frankreich ab.


Quellennachweise

1. Erich Marcks, Bismarcks Jugend S. 321

2. Ebenda S. 320

3. Briefe an Schwester und Schwager S. 23

4. Briefe an Braut und Gattin S. 61

5. Briefe an Schwester und Schwager S. 47

6. Ebenda S. 52

7. Ebenda S. 42, 43

8. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 75

9. Joachim v. Kürenberg, Johanna v. Bismarck S. 210

10. Ebenda S. 208

11. A. O. Meyer, Johanna v. Bismarck S. 4

12. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 97

13. Briefe an Braut und Gattin S. 268

14. A. O. Meyer, Johanna v. Bismarck S. 3

15. Briefe an Braut und Gattin S.23-25

16. Dietrich Schäfer, Bismarck S. 48

17. Gedanken und Erinnerungen S. 58

18. Briefe an Braut und Gattin S. 247

19. Ebenda S. 369

20. Ebenda S. 373

21. Ebenda S. 382

22. Ebenda S. 399

23. Ebenda S. 370

24. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 89

25. Schlözer, Petersburger Briefe


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