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Viertes Kapitel.
Auf Umwegen nach Jamaika

Die Schatzgräbergesellschaft – Was ein Trampdampfer ist – Aus alter Bukanierzeit – Fahrt nach Tortuga und Jamaika – Ankunft in Kingston – Natur- und Lebensbilder von Jamaika


Wir lachten herzlich über Don Albertos Geschichte und hätten gern noch mehr von ihm gehört, aber die weit vorgerückte Stunde mahnte daran, uns endlich zur Ruhe zu begeben. Überdies standen uns ja noch weitere genußreiche Stunden in Gesellschaft unseres Landsmannes bevor, da er am nächsten Tage mit demselben Dampfer der interkolonialen Linie, für den auch wir bereits gebucht waren, nach Kingston auf Jamaika fahren wollte. Wir brachen also die Sitzung ab und stiegen über die knarrende Treppe zu unseren öden Zimmern hinauf, von denen ich eines mit Martini teilte.

Wie sich bald herausstellen sollte, war es eigentlich ganz gut, daß eine Hälfte der Nacht schon vorbei war, bedeutete das doch eine schätzenswerte Verkürzung unserer Qualen. Denn auch unsere schlimmsten Erwartungen wurden noch übertroffen. Daß, als wir Licht machten, auf dem Fußboden Riesenkakerlaken von 5 cm Länge, die wir taktloserweise bei einer Massenversammlung zur Beratung wichtiger Berufsinteressen gestört hatten, nach allen Seiten auseinanderstoben, das war ja belanglos, und darüber konnte sich nur Martini als Tropenneuling entrüsten. Auch der enorme Tausendfüßler, der sich in seinem auf das Bett gelegten Nachthemd einquartiert hatte und dort sehr wohl zu befinden schien, hätte meinen Begleiter nicht so in Aufregung versetzen sollen. Aber wirklich arg trieben es die Moskitos. Selbstverständlich boten die zerrissenen Bettnetze, die zu ihrer Abwehr bestimmt waren, nicht den geringsten Schutz. Anscheinend hatten diese gefährlichen kleinen Bestien schon seit längerer Zeit kein gutes Europäerblut zu kosten bekommen, und sie konnten nun endlich einmal aus dem Vollen schmarotzen. Schon ihr höhnisches Summen war nervenfolternd. Martini hielt es nicht aus, er machte Licht an und begab sich auf die Jagd, während ich es abwechselnd mit Bromural und Aladin versuchte. Alles war vollständig vergeblich, und als endlich der Morgen dämmerte, verließen wir übernächtig, mit welken Zügen, zermalmt, zerstochen und halb aufgegessen das Bett der Martern, und dennoch froh, daß diese Schreckensnacht nun hinter uns lag.

Die nächsten Stunden bescherten uns eine recht unangenehme Überraschung. Wir mußten nämlich hören, daß der erwartete Dampfer, der uns nach Kingston bringen sollte, ausblieb. Er hatte, wie der Agent berichtete, auf der Fahrt von Havanna nach Santiago Maschinendefekt erlitten und mußte nach Havanna zur Reparatur zurückkehren. Diese würde mindestens mehrere Tage dauern, vielleicht aber auch länger, und ob sich inzwischen eine andere Gelegenheit zur Überfahrt nach Jamaika bot, war ungewiß, da Santiago de Cuba abseits der größeren Schiffsrouten liegt.

»Es liegt ein deutsches Schiff im Hafen, ein Trampdampfer, der, wie ich höre, heute oder morgen nach Kingston in See gehen will,« sagte der Agent. »Vielleicht erkundigen sich die Herren an Bord des Schiffes einmal, ob es sich so verhält und ob man Sie mitnehmen kann.«

Wir ließen uns das nicht zweimal sagen und suchten flugs den Dampfer auf. Das Schiff machte trotz seiner geringen Größe einen guten, vertrauenerweckenden Eindruck und sah sehr sauber und ordentlich aus. Man merkte sofort, daß auf diesen Planken ein tüchtiger Schiffer regierte, und wir wurden in dieser Gewißheit nur noch bestärkt, als wir bald darauf dem Führer und Eigentümer der »Undine«, so hieß das Schiff, Kapitän Settekorn aus Geestemünde, gegenüberstanden.

»Alles sehr schön und gut, meine Herren,« sagte der Kapitän und strich sich bedächtig den graumelierten Bart. »Natürlich würde ich Sie gern das kleine Endchen bis Kingston mitnehmen, für den einen Tag könnte man schon ein bißchen zusammenrücken. Aber ich fahre gar nicht direkt nach Kingston, sondern zuerst nach Tortuga. Ich habe nämlich eine englische Schatzgräbergesellschaft dorthin zu bringen, sechs Mann, da wird es ohnehin reichlich eng im Raum.«

»Ach, die Schatzgräber!« rief Don Alberto. »Ich habe schon gestern davon gehört. Auf der berühmten Bukanierinsel Tortuga soll wieder einmal gebuddelt werden, ich weiß nicht zum wievieltenmal. Man hofft jetzt endlich die dort vergrabenen fabelhaften Schätze der alten Seeräuber zu finden. Das wäre ja übrigens eine recht interessante Reisegesellschaft, und auf den kleinen Umweg über Tortuga kommt es uns auch nicht an. Also nehmen Sie uns mit, Kapitän. Wo für sechs Fahrgäste Platz ist, da finden auch neun ihr Unterkommen. Wir machen uns so dünn, daß Sie uns ohne Lupe überhaupt nicht sehen. Wir brauchen keine Kabine, wir schlafen auf Deck; das Wetter verspricht ja schön zu bleiben.«

Nach einigem weiteren Hin und Her willigte der biedere Schiffer ein, und über die Bedingungen waren wir ebenso schnell im reinen. Die Abfahrt wurde auf Nachmittag festgesetzt.

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Dorfhütte in Jamaika

Wir benützten die Zeit bis dahin, um mit einem Motorboot die Santiagobai zu befahren und die interessantesten Punkte ihrer Ufer zu besichtigen. Die wie ein norwegisches Fjord tief ins Land einschneidende, von den bewaldeten Höhen der Sierra Maestra und reichen Fruchttälern umschlossene Bai gehört zu den besten Naturhäfen der Welt und könnte ganze Flotten der größten Schiffe aufnehmen. Der enge, nur 600 Fuß breite Eingang zur Bai wird auf steiler Felsenhöhe von dem zerbröckelnden Gemäuer des aus altspanischer Kolonialzeit stammenden Morrokastells beschirmt. In diesem landschaftlich wunderschönen Gewässer hat sich im Jahre 1898, zur Zeit des spanisch-amerikanischen Krieges, der letzte Akt jener Tragödie abgespielt, durch welche Spanien aus der Liste der Kolonialmächte gestrichen wurde und zugleich fast den gesamten Rest seiner Flotte verlor. Nachdem bereits ein Teil der Flotte in der Bucht von Manila auf den Philippinen von den Amerikanern vernichtet worden war, lief ein von Spanien abgegangenes Panzergeschwader in die Santiagobai ein, um von hier aus gegen die in den westindischen Gewässern befindliche amerikanische Flotte zu operieren. Der Kommandant des Geschwaders, Cervera, hatte nicht bedacht, wie verhängnisvoll ihm die eigentümliche, flaschenähnliche Form der Santiagobai werden könnte. Er war in eine richtige Mausefalle geraten. Denn es gelang den Amerikanern, den engen Eingang zur Bai durch die absichtliche Versenkung eines alten Kriegsschiffes so zu versperren und, wie sie es nannten, »die Flasche zu verstöpseln«, daß dadurch das Schicksal der spanischen Flotte bereits besiegelt war. Mit Hilfe des amerikanischen Landungskorps und der kubanischen Rebellen wurde Santiago vollständig abgeschnitten und blockiert, und als Cerveras Geschwader einen verzweifelten Ausbruchsversuch wagte, wurde es durch die große Überlegenheit der feindlichen Schiffe vernichtet. Es war der schwärzeste Tag in der Geschichte des modernen Spaniens.

Jetzt lag dieses Gewässer, das vor sechzehn Jahren der Schauplatz einer weltgeschichtlichen Tragödie gewesen war, von Sonnenglut übergossen in tiefstem Frieden da.

Gleich nach dem Mittagsmahl fanden wir uns mit unserem Gepäck an Bord der »Undine« ein.

Die »Undine« war kein sonderlich vornehmes Fahrzeug, sondern ein echter und rechter Tramp. Unter Trampdampfern und Trampseglern, von dem englischen Worte Tramp, d. h. Landstreicher, abgeleitet, versteht man in der Seemannssprache ein Schiff, das nicht in regelmäßigem, von vornherein festgelegtem Kurse läuft, sondern »wilde« Fahrten macht. Manchmal gehört das Schiff einem Reeder, der es dann je nach Bedarf telegraphisch von einem Hafen zum andern dirigiert, meistens jedoch ist der Kapitän zugleich der Besitzer. Er pflegt in dem Hafen, den er gerade anläuft, jeden lohnend erscheinenden Auftrag zu übernehmen. Bietet sich nicht sofort Gelegenheit zu einem neuen Abschluß, so wartet er eben so lange, bis eine Ordre winkt, und widmet sich inzwischen im Hafengetriebe, um nicht ganz brach zu liegen, irgendeiner untergeordneten Tätigkeit, wie Kohlentransport und dergleichen. Es sind oft merkwürdige Zickzackkurse, die solch ein Tramp auf dem Globus verfolgt. Er fährt zum Beispiel aus seinem Heimatshafen Hamburg mit gemischter Ladung nach Newcastle, wo er Kohlen nach Lissabon übernimmt. Kaum hat er dort seine Kohlen gelöscht, so bietet sich Gelegenheit, Erze nach Kapstadt zu befördern und unterwegs in Teneriffa Bananen zu laden. In Kapstadt gibt es zwei Wochen lang nichts zu tun, der Kapitän macht sich inzwischen im Hafen nützlich. Dann erhält er Ordre für Wolle nach Batavia. In Batavia winkt ihm sofort ein neuer »Job« (englischer Ausdruck für »ein Stück Arbeit«): es ist Tabak nach Yokohama zu bringen. In Yokohama braucht der Käpt'n auch nicht lange zu feiern, da findet er lohnende Fracht nach Valparaiso. In Valparaiso lungert der Tramp wieder ein bißchen herum und läßt sich die Sonne auf den Pelz brennen, bis es eine neue Ordre nach Havanna gibt, und von dort mit gemischter Ladung nach Hamburg zurück. So kommt der Tramp um die Welt, ohne im voraus zu wissen, wohin die Reise geht, und so ist er oft ein Jahr, nicht selten aber auch länger unterwegs, ehe er seine Heimat wiederzusehen bekommt.

Wenn sich die Trampfahrzeuge und ihre Führer und Mannschaften in der Schiffahrtswelt nicht durchweg hoher Achtung erfreuen, so liegt das an der Eigenart des Geschäfts. Es haftet diesem regellosen System, sein Brot von Fall zu Fall auf den Wassern zu suchen, eben wirklich etwas Landstreicherhaftes, oder richtiger gesagt Seestreicherhaftes an, und das bleibt meistens nicht ohne Einfluß auf den Kapitän und seine Leute. Zumal wenn der Kapitän auf eigene Rechnung fährt, denn dann nimmt er nicht selten aus Not oder Gewinnsucht Aufträge an, die ein rechtschaffener Seemann eigentlich ablehnen muß: Schmuggeleien und ähnliche dunkle Sachen. Auch die Mannschaften der Tramps lassen viel zu wünschen übrig. Bleiben sie dem Schiffe treu, so wirkt die lange Abwesenheit von der Heimat ungünstig auf ihren Charakter. Oft aber gehen die Leute, wenn das Schiff längere Zeit in einem überseeischen Hafen liegt, auf und davon, oder sie werden entlassen, und es kommt dann bei der Weiterfahrt allerlei verdächtiges Volk an Bord, das der Kapitän nehmen muß, weil es nichts Besseres gibt. So kommt es, daß man auf den Tramps oft einen bunten Mischmasch von Nationalitäten, aber gerade nicht ihre vertrauenswürdigsten Vertreter antrifft, und daß eine feste Hand dazu gehört, eine derartige Rotte Korah im Zaum zu halten.

Darauf verstand sich Kapitän Settekorn von der »Undine«, wie uns der Agent in Santiago versichert hatte, ganz ausgezeichnet. In allen Hafenkneipen zwischen Hamburg und Adelaide, zwischen Kapstadt und Nagasaki galt es für ausgemacht, daß Käpt'n Settekorn einer der handfestesten Skipper war, denen jemals der Wind der sieben Ozeane um die Nase gepfiffen hatte. Man erzählte sich Wundergeschichten von seiner »Schlagfertigkeit«, und besonders davon, wie er einmal eine aufsässig gewordene Mannschaft von sieben Köpfen heller, brauner und schwarzer Färbung ganz allein mit eigener Faust dermaßen zur Vernunft gebracht hatte, daß hinterher die einzelnen Rassen kaum noch zu unterscheiden waren ... Es war mit ihm nicht zu spaßen, und er galt auch sonst in allen Stücken als reputierlicher Seemann, dem sich nichts nachsagen ließ. Seine Geschäfte waren sauber wie sein Schiff, seine Gedanken und Pläne klar wie sein Frachtenregister. Er liebte es auch nicht, allzusehr ins Blaue hineinzufahren. Dazu hing er viel zu sehr an seinem Häuschen in Geestemünde, an seiner Frau und der Kinderschar. Keine Reise durfte länger als höchstens sechs Monate dauern, dann trieb es ihn wieder nach Hause, um eine Zeitlang im Kreise der Seinigen zu sein, das Jüngste auf den Knien zu schaukeln und die Blumen im Garten zu begießen. Jetzt befand sich Kapitän Settekorn nach einer längeren Westindienfahrt kurz vor der Heimreise. Er hatte gemischte Ladung an Bord, so ungleichartige Sachen wie Schwämme, Tabak und Rum, und wollte nur noch in Kingston eine Fracht übernehmen, um dann über Martinique, Barbados und Trinidad nach Hause zu fahren.

»Der kleine Abstecher nach Tortuga ist ein Extrajob,« erzählte er uns. »Die Schatzgräber wollten eigentlich mit einem amerikanischen Dampfer hinüberfahren, aber er ist, genau wie Ihr Dampfer, ausgeblieben, und da haben sie mich, da ich gerade hier in Santiago lag, für ein ganz anständiges Sümmchen gechartert. Man muß als Tramp eben mitnehmen, was sich mitnehmen läßt.«

Wir warteten schon mit begreiflicher Ungeduld auf die »Schatzgräber« und waren, offen gestanden, ein bißchen enttäuscht, als die Herren bald darauf an Bord erschienen. Denn sie sahen durchaus nicht so wildromantisch aus, wie man es von Leuten, die auf einer weltentlegenen Antilleninsel Schätzen aus alter Bukanierzeit nachjagen wollten, eigentlich erwarten durfte. Weit eher hätte man sie für tüchtige Handlungsvertreter halten können. Es waren vier Engländer, ein Franzose und ein Spanier. Sie führten eine Menge Gepäck mit, das Handwerkszeug der verschiedensten Art enthielt, Spitzhacken, Spaten, schwere Hämmer und dergleichen. Gern hätten wir sofort erfahren, wie man es eigentlich zum Schatzgräber bringt, auf Grund welcher Informationen und Dokumente die unternehmungslustigen Männer nach Tortuga zogen und wo und wie sie dort ihre Nachforschungen anzustellen gedächten – aber es geziemte sich wohl, unsere Wißbegierde einstweilen noch zu bändigen und eine schickliche Gelegenheit zum Aushorchen abzuwarten.

Übrigens waren es, wie sich bald zeigte, sehr umgängliche, nette Leute, mit denen sich schon auskommen ließ. Wir richteten uns im Innern und auf Deck des kleinen Dampfers in guter Laune so bequem und gemütlich ein, wie es bei den engen Raumverhältnissen eben möglich war.

Unser nächstes Ziel, die Insel Tortuga (das bedeutet Schildkröteninsel), gehört zur Republik Haiti und liegt dicht an der Nordküste des Negerstaates, gegenüber der Hafenstadt Port de Paix. Dreihundert Quadratkilometer groß, gebirgig und dicht bewaldet, ist Tortuga nur spärlich von verwilderten Negern bewohnt, die nach echt haitinischer Weise in den Tag hinein leben und nicht daran denken, die reichen Bodenschätze der Insel, besonders Guano und Phosphat, auszubeuten. Einst, in weit zurückliegender Zeit, ist das heute so einsame Tortuga der Mittelpunkt eines ebenso lebhaften wie anrüchigen Treibens gewesen. Das war im siebzehnten Jahrhundert, als die Bukanier, die berühmten Seeräuber der westindischen Gewässer, an den Küsten Haitis, damals Hispaniola genannt, ihre Schlupfwinkel und Verstecke hatten. Der Name Bukanier stammt von dem karibischen Wort »buccan«, d. h. Trocknen von Fleisch, und bedeutete soviel wie Leute, die nach Art der Urbewohner der Antillen, der karibischen Indianer, das Fleisch an der Sonne zu dörren pflegten, um es für längere Zeit haltbar und genießbar zu machen. Anfangs haftete dem Namen keineswegs ein übler Nebensinn an, denn die französischen Ansiedler auf Haiti und Tortuga wurden, eben wegen ihrer Methode der Fleischkonservierung, allgemein Bukanier genannt. Als sie aber in Fehde mit den spanischen Kolonisten der Antillen gerieten, deren Niederlassungen angriffen und sich auf das lohnendere Geschäft der Seeräuberei verlegten, faßte man alle Piraten und Freibeuter Westindiens unter dem Sammelnamen Bukanier zusammen. Bald waren es nicht mehr ausschließlich Franzosen, sondern Abenteurer aus aller Herren Länder, die, hauptsächlich von Tortuga aus, ihre Raubzüge zu Wasser und zu Land unternahmen, die reichsten Gegenden des Archipels sowie der benachbarten Teile des amerikanischen Festlandes überfielen und plünderten und überall die grauenhaften Spuren ihrer Metzeleien und Verwüstungen hinterließen. Das Gewaltmenschentum der Bukanierzeit wurde geradezu eine geistige Seuche, denn selbst hervorragend befähigte Köpfe trugen gar kein Bedenken, sich den Räuberbanden anzuschließen oder an ihre Spitze zu stellen. Zu den berühmtesten Bukanierführern gehörten Monbars, ein Edelmann aus Languedoc, ein anderer Franzose namens Francis Lolonois, der geniale Engländer John Morgan, der bis Panama vordrang und die Stadt eroberte, der Belgier Van Horn, der alle spanischen Städte Perus brandschatzte, und Gramont, ein Edelmann aus Paris, der Mexiko in furchtbarster Weise heimsuchte. Es waren unerschrockene, tollkühne Gesellen, diese Bukanier, die vor keinem Kampf und keiner Gefahr, aber auch vor keiner Greueltat zurückschreckten. Da überall nach Herzenslust geplündert wurde und die Bandenführer bei der Verteilung der Beute unter ihren Leuten nicht knauserten, fehlte es ihnen an Zulauf nicht; alle Entgleisten der Welt drängten sich förmlich nach diesem höchst einträglichen Beruf, diesem ungebundenen, wildromantischen Leben. Moralische Bedenken galten damals nicht viel, überdies konnten sich die Bukanier mit Recht darauf berufen, daß die gefeierten spanischen Eroberer, die Konquistadoren, es in Mittelamerika im Namen des »allerchristlichsten« Kaisers auch nicht viel anders getrieben hatten. Wer in die Reihen der Bukanier aufgenommen wurde, mußte seinen Familiennamen ablegen und erhielt einen neuen Namen, niemals sollte er mehr an seine Angehörigen, an seine Vergangenheit denken. Mit rücksichtsloser Strenge wurde auf Manneszucht gehalten, dafür durften sich dann die Leute, wenn ein Streich geglückt war, beim Plündern gehen lassen. Auf jeder Widersetzlichkeit stand Todesstrafe, noch für schlimmer als diese aber galt das Aussetzen der Leute, die sich an Bord der Bukanierschiffe gegen die Disziplin vergangen hatten, auf irgendeiner der zahlreichen kleinen, unbewohnten Korallen- oder Klippeninseln des Antillenmeeres. Den Hunger hätten diese Unglücklichen allenfalls noch an den Schalentieren des Strandes stillen können, aber fast immer fehlte es völlig an trinkbarem Wasser, so daß sie auf den einsamen Eilanden im glühenden Sonnenbrand dem qualvollen Tod des Verschmachtens geweiht waren. Überhaupt ist unmenschliche Grausamkeit das auffälligste Kennzeichen jener Zeit. Mit welchen Mitteln die Bukanier gegen die unglücklichen Bewohner der von ihnen überfallenen und eingenommenen Städte vorgingen, um Angaben über die Verstecke ihrer Kostbarkeiten zu erpressen, das läßt sich kaum beschreiben. Zu Hunderten und zu Tausenden wurden die armen Opfer einer ungeheuerlichen Bereicherungswut gefoltert, verstümmelt und unter Qualen getötet. Freilich erging es den Bukaniern im umgekehrten Fall, wenn sie einmal die Unterlegenen waren, auch nicht anders, sie erwarteten auch kein anderes Los. Diese Freibeuter wußten genau, was ihnen bevorstand, wenn sie in die Gewalt der Spanier oder anderer Kolonisten gerieten, und daß sie zufrieden sein mußten, wenn man sich damit begnügte, sie »nur« zu hängen.

Die von den Bukaniern im Lauf der Jahre gemachte Beute war ganz enorm. Sie nahmen nur das Beste mit, Gold, Silber und Edelsteine. Mit Kleinigkeiten gaben sie sich nicht ab. Es gab damals in Mittelamerika noch fabelhafte Schätze aus uralter Inka- und Aztekenzeit, und zweifellos ist vieles davon in die Hände der Bukanier gefallen. Natürlich wurde aller goldener und silberner Zierat zerhackt oder eingeschmolzen, denn für Kunst hatte niemand Sinn, es kam nur auf den Metallwert an. Wo sind nun alle die Schätze geblieben? Zum Teil wanderten sie in den Taschen der Führer und ihrer Leute in alle Welt hinaus, zum Teil wurden sie aber auch, da man nicht wußte, wohin mit all dem gleißenden Gut, in den mannigfachen Schlupfwinkeln der Seeräuber einstweilen versteckt und vergraben, um sie später bei günstiger Gelegenheit abzuholen. Die einsamen Felsenküsten der Antilleninseln mit ihren zahllosen Naturhöhlen boten ja unbegrenzte Möglichkeiten, das geraubte Gut unbemerkt in Sicherheit zu bringen. Man darf nun ohne weiteres annehmen, daß viele dieser verborgenen Schätze ungehoben blieben, weil die betreffenden Banden inzwischen von ihrem Schicksal erreicht oder durch Umstände anderer Art daran verhindert wurden, zu den Verstecken zurückzukehren, vielleicht auch den Ort nicht mehr fanden. Jedenfalls sind die alten Überlieferungen, wonach hier und dort im Antillenarchipel noch ungeheure Schätze aus der Bukanierzeit ihres glücklichen Finders harren sollen, nicht einfach als Fabeln abzutun, denn es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, ja der Wahrscheinlichkeit, daß hier in der Tat noch so mancher Fund gemacht werden könnte, der sich schon lohnt.

An Schatzgräberversuchen hat es daher nicht gefehlt. Dutzende von kleineren und größeren Expeditionen haben auf Grund irgendwelcher geheimnisvollen alten Andeutungen und Aufzeichnungen bald auf dieser, bald auf jener entlegenen Insel wochenlang mit Hacke und Spaten gearbeitet, ohne etwas anderes als Enttäuschung einzuheimsen. Freilich ist hier und dort einmal ein kleiner Fund gemacht worden, aber nichts von Bedeutung, und dann immer auf zufällige Weise, nicht auf Grund der angeblich zuverlässigen Dokumente. Am meisten haben es die Schatzgräber auf die Insel Tortuga abgesehen, weil sie eine Zeitlang das Hauptquartier der Bukanier war. Aber gerade auf Tortuga waren alle Bemühungen besonders enttäuschend. Anscheinend macht sich die Schatzgräberei in Westindien doch nicht bezahlt, und deshalb waren wir um so mehr erstaunt, daß hier an Bord der »Undine« gleich sechs Gentlemen auf einmal mit geschwellten Segeln hoffnungsvoller Erwartung einem so trügerischen Ziel entgegenfuhren.

Darüber, welche Tatsachen, Schriftstücke oder mündlichen Überlieferungen sie zu dem Unternehmen veranlaßt hatten, war nichts Näheres zu erfahren; so aufgeknöpft die Herren Schatzgräber sich auch sonst zeigten, wichen sie allen darauf bezüglichen Fragen aus. Wir konnten nur so viel erfahren, daß sie von der haïtinischen Regierung unter gewissen Bedingungen die Erlaubnis zu Nachforschungen auf Tortuga erwirkt und sich zu diesem Zweck zu einer Genossenschaft zusammengetan hatten.

Unsere Fahrt quer über die Windward-Passage, die Meeresstraße, die Kuba von Haïti trennt, nahm bei schönem Wetter und ruhiger See einen sehr angenehmen Verlauf. Am nächsten Tage sichteten wir die Nordküste Haïtis, und gegen Abend setzten wir unsere Schatzgräber in Port de Paix ab, von wo sie sich später in einem Boot nach Tortuga hinüber begeben wollten. Ob ihre Unternehmungen auf der Bukanierinsel wenigstens einigen Erfolg gehabt haben? Es ist kaum anzunehmen. Wahrscheinlich sind auch sie, wie schon so manche vor ihnen, nach ein paar Monaten fruchtlosen Suchens enttäuscht wieder von dannen gezogen.

Da es in dem verschlafenen und verlotterten Port de Paix für Kapitän Settekorn keinen »Job« gab, hielt er sich hier nicht lange auf, sondern wendete die »Undine« sofort wieder der Windward-Passage zu. Nachdem uns die Schatzgräber verlassen hatten, konnten wir uns an Bord des Tramps ein bißchen breiter machen und komfortabler einquartieren. Leider hielt das schöne ruhige Wetter nicht an. Noch im Laufe der Nacht wurde bei immer stärkerem Wind die See so grob, daß unser Schiff heftig zu stampfen begann. In der engen dumpfen Kabine in sargähnlichen Bettstätten liegend, hatten wir die Empfindung, als ob wir abwechselnd bald auf die Füße, bald auf den Kopf gestellt wurden – eine unfreiwillige Gymnastik, die auf die Dauer etwas angreifend wirkte. Auch den ganzen folgenden Tag über verharrte das Meer in seinem aufgewühlten Zustand, bis endlich am Abend, als wir uns wieder in der Windward-Passage zwischen den beiden großen Inseln befanden und südwestlichen Kurs auf Jamaika einschlugen, Beruhigung eintrat. Der Rest der Fahrt verlief in wundervoller Harmonie. Wir drei Reisegenossen hatten uns vorn am Bug im Schutz eines Sonnensegels behaglich niedergelassen und blickten plaudernd und rauchend über die unermeßliche, azurblaue, leicht bewegte Flut. Scharen von Schweinsfischen oder Tümmlern, nach den über Bord geworfenen Küchenabfällen gierig, begleiteten streckenweise das Schiff und ließen häufig, wie in übermütig lustigem Spiel, ihre torpedoartig geformten Körper von einem Wellenkamm zum andern schnellen. Wundervoll war es auch abends, als der Sternenhimmel sein glitzerndes, funkelndes Zelt über das weite Gewässer spannte. Von dieser intensiven Leuchtkraft der Gestirne im tiefen Süden kann man sich bei uns in der nördlichen Zone kaum eine rechte Vorstellung machen. Und zu dem zauberhaften himmlischen Glanz gesellte sich das Glitzern im Wasser, das Aufglühen unermeßlicher Massen von leuchtenden Urtierchen rings um das Schiff. So oft der Bug des Dampfers eine Welle durchschnitt, spritzte ein Sprühregen von Millionen phosphoreszierender Tropfen in leuchtenden Garben hoch empor, und ebenso glänzte die Kielwasserfurche hinter dem Schiff in einem magischen Silberlicht weit in die Einsamkeit der Nacht hinaus.

Es war in violetter Morgendämmerung kurz vor Sonnenaufgang, als die »Undine« an der Südküste Jamaikas vor Port Royal, dem Kriegshafen von Kingston, ankam und nach einem Lotsen signalisierte, der sie in die Kingstonbai hineingeleiten sollte.

Als wir aus unserer zum Ersticken schwülen Kabine an Deck kamen, stießen wir beide, Martini und ich, unwillkürlich einen Ruf der Überraschung aus. Welch großartiges, herrliches Landschaftsbild! Wie ein gewaltiger grüner Koloß, von weißblauen Wogen bespült, türmte sich, bis zur Höhe von 2500 Metern ansteigend, das Gebirge Jamaikas auf, die Stätte jener Unterweltstitanen, die die Insel von Zeit zu Zeit mit Urgewaltsfäusten rütteln und schütteln. Denn obwohl Jamaika keinen Vulkan besitzt, ist es doch eine richtige Erdbebeninsel. Natürlich konnten wir von unserem Schiff aus nur einen kleinen Teil des Ostens der großen Insel überblicken, aber was wir von ihr sahen, machte in der Vereinigung wundervoller Farben und Formen einen so überwältigenden Eindruck, daß alles bisher auf unserer Reise Gesehene dagegen zu erblassen schien.

Nachdem der Lotse an Bord gekommen war, bog die »Undine« an der großen Mole von Port Royal vorbei langsam in die weite, binnenseeartige Bai von Kingston ein, und die weiße Häusermasse der Stadt, strahlend im Morgensonnenglanz, eingerahmt vom Grün der Gärten und Pflanzungen, tauchte verlockend vor uns auf.

Port Royal, Sitz der Garnison und reichlich mit Kanonen gespickt, liegt auf der Spitze der langen schmalen Landzunge, die die Kingstonbai vom offenen Meere trennt. Auf dieser Landzunge, heute so flach und kahl, befand sich in alten Zeiten die größte Stadt Jamaikas, bis sie im Jahre 1692 infolge einer Bodensenkung urplötzlich in den Fluten verschwand; noch heute kann man dicht am Strande im klaren Wasser auf dem Meeresgrund, gleich einem leibhaftigen Vineta, Häuserreste erkennen. Ganz Jamaika wurde damals durch ein ungeheures Erdbeben zum Teil fast umgestaltet, Gebirgszüge sanken in sich zusammen, Flüsse veränderten ihren Lauf, Ortschaften wurden vom Boden vertilgt, über 100 000 Menschen büßten in wenigen Sekunden ihr Leben ein. Seitdem haben zahlreiche, bald mehr, bald minder heftige Erdbeben auf der Insel gewütet. Die letzte große Katastrophe von 1907 hat das inzwischen längst wieder neu erstandene Port Royal abermals förmlich weggefegt, und auch Kingston, das bis dahin nächst Havanna die glänzendste Stadt Westindiens war, wurde fast völlig vernichtet, so daß es sich von dem Schicksalsschlage nicht mehr erholen kann.

Während der Dampfer, bedächtig manövrierend, auf der geräumigen Reede von Kingston vor Anker ging, schoß vom Uferkai her eine ganze Flottille kleiner, mit halbnackten Negerjungen bemannter Boote auf uns zu. Die Boote umschwärmten das Schiff, und ihre Insassen forderten uns mit aller Lungenkraft, sich gegenseitig überschreiend, stürmisch auf, Geldstücke ins Wasser zu werfen, sie wollten danach tauchen. Wir ließen uns den Spaß nicht entgehen und schleuderten kleine Münzen hinab, und so oft eine ins Wasser fiel, schossen die Burschen von ihren Booten aus ihr nach in die Flut. Sie entwickelten dabei ein erstaunliches Tauchtalent, niemals entschlüpfte ihnen in dem allerdings sehr klaren Wasser auch nur das kleinste Geldstück; öfter kam es dabei zwischen Konkurrenten zu einem unterseeischen Handgemenge, und manchmal blieb wohl einer beängstigend lange unter Wasser verschwunden, um schließlich doch glücklich wieder zum rosigen Licht zurückzukehren, prustend das Salzwasser aus der Niggerwolle zu schütteln und die erhaschte Münze im Munde, seinem einstweiligen Banktresor, verschwinden zu lassen.

Dann ruderten Händler heran, um den Matrosen Früchte und allerlei Sachen, Brauchbares und Unbrauchbares, anzubieten. Diese Leute machen immer gute Geschäfte, denn es ist ja bekannt, mit welcher Unbedenklichkeit die Seemänner ihr sauer verdientes Geld in den Häfen verausgaben und verläppern; einen sparsamen Matrosen hat die Welt vermutlich noch nicht zu sehen bekommen. Behend wie die Katzen kletterten die schwarzen und braunen Eingeborenen an der Schiffswand empor und breiteten ihren bunten Kram auf den Deckplanken aus: Strohhüte, aus feinem Bast geflochtene Fächer, Spazierstöcke aus Haifischknochen, prachtvolle Muscheln, Korallenhalsbänder, schön gewebte Umschlagetücher und Schals, und Kuriositäten aller Art. Auch die üblichen Tiere fehlten nicht, die Seidenäffchen, die Papageien, die ewig erzürnten, boshaften Kakadus. Ein endloses Feilschen begann, bis schließlich jeder irgend etwas erstanden hatte. Ich kaufte einen breitkrempigen Strohhut aus feinstem Geflecht. Diese sogenannten Panamahüte werden längst nicht mehr ausschließlich in Panama, sondern in ganz Mittelamerika und Westindien hergestellt und kosteten damals je nach der Feinheit ihres Geflechts 15 bis 75 Mark. Die Anfertigung eines feinen Panamahutes dauert oft wochenlang, weil das Flechten der zarten Bastfasern, die dabei beständig unter Wasser gehalten werden müssen, eine sehr mühselige, größte Geschicklichkeit und Genauigkeit erfordernde Arbeit ist. Ja, man erzählt sogar von berühmten Panamahüten, deren Herstellung ein Jahr oder mehr in Anspruch genommen hätte und die dann auch ein kleines Vermögen kosteten.

Während wir noch so handelten und feilschten, ertönte plötzlich vom Hinterschiff lautes Geschrei. Wir wandten uns um und sahen den Oberbootsmann, einen heulenden Negerjungen am Ohr hinter sich herziehend, aus der Luke des Mannschaftslogis auftauchen. Wie sich bald herausstellte, war es dem Burschen gelungen, sich unbemerkt unter Deck zu schleichen, und dort hatte ihn der Oberbootsmann dabei erwischt, wie er gerade ein paar »gefundene« Stiefel in seinem Korb unter den Bananen verstecken wollte.

»So'ne swarte Spitzbubenbande! Giwt dem Slingel ornlich wat met'm Tauend!« schallte es ermunternd aus dem Kreis der Matrosen. Aber es kam nicht zu dem Strafgericht. Möglicherweise hatte sich der Griff des Oberbootsmannes etwas gelockert, jedenfalls riß sich der Bengel von ihm los und sprang im nächsten Augenblick, seinen Bananenkorb im Stich lassend, mit elegantem Hechtsprung über die Reling ins Wasser, wo er von einigen jungen Zunftgenossen in ein Boot gezogen wurde, das sich dann schleunigst entfernte. Der entrüstete Oberbootsmann konnte dem Flüchtling nur noch eine Verwünschung nachschleudern. Kapitän Settekorn hielt es jetzt aber für angebracht, alle Farbigen von Bord zu entfernen. Das geschah nicht sehr höflich, aber um so zweckmäßiger auf die Weise, daß er aus der Feuerspritze einen kräftigen Wasserstrahl auf die Leute richten ließ. Schreiend und lachend flüchtete die Bande Hals über Kopf in ihre Boote und ruderte an Land zurück.

Die »Undine« mußte zur Erledigung ihrer Ladegeschäfte zwei bis drei Tage im Hafen bleiben, ehe sie ihre Reise nach Martinique fortsetzte. Wir, Martini und ich, begleiteten nun zunächst einmal Don Alberto an Land, um uns Kingston anzusehen und uns dabei über unsere Weiterfahrt schlüssig zu machen.

Kingston, eine Stadt von 50 000 Einwohnern, litt noch ersichtlich an den Folgen der schweren Erdbebenkatastrophe von 1907, durch die es, wie schon gesagt, zum größten Teil vernichtet wurde, und der seitdem von Zeit zu Zeit immer wieder neue, kleinere Erschütterungen folgten. Die Einwohner, besonders die Kreise der Industrie und des Handels, sind dadurch so entmutigt worden, daß Kingston sich anscheinend gar nicht mehr zu seiner früheren Bedeutung wieder aufschwingen kann und vermutlich eines Tages von der neu aufstrebenden Hafenstadt Port Antonio an der Nordküste Jamaikas überflügelt sein wird. Was vom alten Kingston übrigblieb oder wieder aufgebaut wurde, kann mit Ausnahme eines prachtvollen Strandhotels den Fremden, der schon andere westindische Hafenstädte sah, nicht lange fesseln. Man merkt es sogleich, daß man sich auf einer echten Negerinsel befindet. In den stauberfüllten Straßen lungert träge farbiges Volk herum, eine Unmenge von Leuten, die zufällig augenblicklich, aber Tag für Tag, gerade nichts zu tun haben und deshalb voller Beschaulichkeit den anderen zusehen – die auch nichts tun. Neben den Bummlern und Zerlumpten gibt es hier freilich noch eine farbige »Gentry«, einen wohlanständigen und auch ganz gebildeten Negermittelstand, der sich nach der Mode kleidet, fleißig die Kirche besucht und das eifrige Bestreben hat, von den weißen Kolonisten als »voll« betrachtet zu werden, als zur »Gesellschaft« gehörig. Was ihm bei der bekannten Abneigung der Engländer gegen alle Farbigen und bei ihrer hochmütigen Abgeschlossenheit allerdings nicht gelingt. Den Halb- und Viertelblütigen geht es nicht besser. Kein Mischling, und mag er auch nur vom Urgroßvater her noch ein ganz kleines bißchen Negerblut in den Adern haben, nur gerade soviel, daß der Halbmond am Fingernagel eine leichte bläuliche Färbung aufweist, wird als gesellschaftsfähig betrachtet, auch wenn er noch so wohlhabend und von einwandfreien Manieren sein sollte.

In den Geschäftsläden von Kingston waltet und schaltet gewöhnlich als Besitzer, die schmalen Lippen ewig von einem Lächeln belagert, irgendein Herr Hungwong oder Sansüjang, der chinesische Händler, der sich mit seiner Gerissenheit den ganzen westindischen Kleinhandel erobert hat. Auch das ferne Ostindien hat von seinem Menschenüberfluß an Jamaika abgegeben. Die englische Regierung sah sich zur Einführung ostindischer Hindukulis genötigt, weil die Neger und Mulatten grundsätzlich nur das Allernötigste arbeiten, nach ihrer Ansicht immer noch viel zu viel, für die Bedürfnisse der Plantagenwirtschaft aber zu wenig. Die bescheiden Hindus leben mit ihren Familien in eigenen Niederlassungen und halten sich von den ihnen sehr unsympathischen Negern nach Möglichkeit fern.

Es seien nun zunächst einige Angaben und Betrachtungen allgemeiner Art über Jamaika eingeflochten.

Darüber, daß Jamaika eines der schönsten, üppigsten Tropenländer der Welt ist, kann kein Zweifel bestehen. In seiner wundervoll harmonisch gegliederten Form, in der Vereinigung von fruchtbaren, gut mit Wasser versorgten Ebenen, tief ins Gebirge einschneidenden Tälern und majestätischen Bergesgipfeln, die trotz ihrer bedeutenden Höhe bis oben von saftigstem Grün bedeckt sind und, je nach der Höhenlage, den Anbau jeglicher Nutzpflanze der heißen und der gemäßigten Zone gestatten, hat Jamaika kaum seinesgleichen. Dazu kommt die vorzügliche geographische Lage im Mittelpunkt des großen zentralamerikanischen Mittelmeeres, die Leichtigkeit des Verkehrs sowohl mit den anderen Antillen wie auch mit den Hafenstädten der benachbarten Festlandstaaten, mit Mexiko, Panama, Venezuela usw. Jamaika weist mit einem Flächeninhalt von annähernd 11 000 qkm ungefähr zwei Drittel der Größe des Freistaates Sachsen auf. Der Name ist karibischen Ursprungs und bedeutet soviel wie »Das Land der Ströme und der Berge«, womit das Charakteristische der Insel, ihr Wasserreichtum und ihre Gebirgslandschaften, treffend gekennzeichnet ist. Das Gebirge fällt durch seine merkwürdig unregelmäßige, systemlose Gliederung auf, es ist ein förmliches Labyrinth von einzelnen Kämmen, größeren und kleineren Bergen, Tälern und zerklüfteten Schluchten, so daß es schwer fällt, sich in diesem höchst unübersichtlichen Gelände zurechtzufinden. Hat auch Jamaika heute keine feuerspeienden Berge mehr aufzuweisen, so fehlt es doch nicht an zahlreichen Spuren alter vulkanischer Tätigkeit, und mit dieser hängen auch die Grotten und Höhlen zusammen, an denen die Insel überreich ist. An keiner anderen Stelle der Welt findet man so viele unterirdische Flußläufe und Wasserbecken wie auf Jamaika. Viele Flüsse verschwinden nach mehr oder minder kurzem Lauf an der Erdoberfläche plötzlich unter ihr, um entweder gar nicht mehr oder erst in weiter Entfernung von neuem zutage zu treten. Auch die Regengüsse, die in der Regenzeit oft in ungeheurer Stärke niedergehen, werden von dem porösen Boden in kürzester Zeit völlig aufgesogen. Man geht also kaum fehl in der Annahme, daß Jamaika mit zahllosen Hohlräumen unterminiert ist, und dadurch erklären sich auch die vielen Katastrophen, die – wie im Fall der jählings verschwundenen Stadt auf der Landzunge von Port Royal – weniger auf Erdbeben als auf Erdsenkungen und Einstürze zurückzuführen sind.

Das Klima ist echt tropisch und gleichmäßig heiß. Im kältesten Monat, Januar, beträgt die Durchschnittstemperatur 24,3°, im wärmsten, Juli, 27,6°. Im allgemeinen ist das Klima, mit Ausnahme einiger Küstenstriche, so bekömmlich, daß in den höheren Regionen eine ganze Reihe von Sanatorien, Luftkur- und Badeanstalten angelegt worden sind, die nicht nur von den Kolonisten, sondern im Winter auch von England und Nordamerika aus stark besucht werden. Durch die günstigen klimatischen Verhältnisse und die Ausgiebigkeit des gut gewässerten Bodens ist eine ganz außerordentliche Fruchtbarkeit des Landes bedingt. Man darf wohl sagen, daß es überhaupt kein nutzbares Gewächs der tropischen und subtropischen Zone gibt, das auf Jamaika nicht gedeiht. In den Niederungen sowie in mäßiger Höhenlage werden hauptsächlich Zuckerrohr, Kaffee, Kakao, Bananen und andere Südfrüchte angebaut. In den Wäldern gedeihen neben dem für Westindien so charakteristischen Baumwollenbaum, der die geschätzte Kapokwolle liefert, eine Unmenge wertvoller Bäume und kleinerer Gewächse. Allein an Farnen gibt es nicht weniger als 450 verschiedene Arten. Sehr reich ist auch die Schlingpflanzen- und die auf den Bäumen schmarotzende Epiphytenflora. Palmen der mannigfaltigsten Art gibt es im Überfluß. Die Tierwelt dagegen ist, wie überhaupt auf den Antillen, ziemlich dürftig vertreten, mit Ausnahme jener Lebewesen, wie Ungeziefer jeder Art, Ratten und sonstige Schädlinge, auf deren Anwesenheit der Einwohner gern verzichten würde; größere einheimische Tiere fehlen. Das Meer um Jamaika herum liefert Fische, Schildkröten und Korallen in großer Fülle.

Es läßt sich denken, daß eine von der Natur so reich bedachte Insel schon die ersten Kolonisatoren anziehen mußte. Als Kolumbus 1494 Jamaika entdeckte – er nannte die Insel Santiago –, traf er eine schwache Bevölkerung karibischer Indianer auf niedriger Kulturstufe an. Die lediglich von Goldgier erfüllten Spanier fanden hier nichts, was sie befriedigen konnte, denn die armen Eingeborenen besaßen so gut wie gar keine Kostbarkeiten, und für die Bodenschätze, die nur durch Arbeit zu gewinnen waren, hatten die Pioniere der europäischen »Kultur« kein Interesse. Zum Lohn für ihre Bedürfnislosigkeit wurden die Indianer deshalb, wie überall auf den Antillen, auch auf Jamaika in Massen ermordet und so gründlich vertilgt, daß sie sechzig Jahre nach der Entdeckung der Insel beinahe gänzlich ausgerottet waren. Die richtige wirtschaftliche Erschließung Jamaikas begann erst, als die Insel nach heftigen Kämpfen 1655 an die Engländer fiel. Jamaika ist eine der ältesten britischen Kolonien. Schon zu Cromwells Zeiten wurde hier die Flagge Altenglands gehißt, und seitdem hat sie, vielfach umstritten und angefeindet, aber tatsächlich immer und ohne Unterbrechung über der Insel geweht. Die westindischen Gewässer mit ihren zahlreichen Seegefechten zwischen den rivalisierenden Nationen waren auch sozusagen der Exerzierplatz der britischen Flotte, von hier nahm die britische Kolonisation in aller Welt ihren Ausgang.

Wie es das Schicksal Jamaikas war, daß es seit dem ersten Erscheinen der Europäer und ihrer famosen »Kultur« zum Schauplatz unsagbarer Greuel und Blutbäder wurde, so schien es beinahe, als ob dieser Zustand verewigt werden sollte. Denn ehe sich die Engländer zu Herren der Insel aufwarfen, hatten sie schwere Kämpfe mit den spanischen Pflanzern und Sklavenhaltern zu bestehen, die sich mit den von ihnen bewaffneten Sklaven, den Maronnegern, im Gebirge verschanzten und den durch Gelbfieber und Malaria dezimierten Engländern den heftigsten Widerstand leisteten. Als die Engländer schließlich doch Sieger blieben und die Spanier von der Insel wichen, zogen sich die allmählich ganz verwildernden Maronneger immer tiefer ins Innere zurück und sträubten sich noch 150 Jahre lang, bis Anfang des vorigen Jahrhunderts, mit allen Mitteln gegen die Unterwerfung. Dieser endlose Kleinkrieg wurde von seiten der Engländer mit größter Grausamkeit geführt. Sie brachten zu diesem Zweck große Banden der in Nikaragua ansässigen, durch ihre Wildheit berüchtigten Mosquitoindianer nach Jamaika und richteten Bluthunde eigens für die Negerjagd ab. Wehe jedem Maronneger, der lebendig in ihre Hände geriet! Er wurde unter furchtbaren Qualen langsam getötet.

Die englischen Pflanzer erkannten sofort, welche glänzenden Aussichten auf Erfolg die üppig fruchtbare Tropeninsel bot, aber da es völlig an eingeborenen Arbeitskräften fehlte, mußten hier, genau wie auf Kuba und überall in Westindien, massenhaft Negersklaven eingeführt werden. Das ging nach bewährtem Rezept, und so war Jamaika fast zwei Jahrhunderte lang ein Mittelpunkt des amerikanischen Sklavenmarktes, auf dem es geradezu börsenmäßig zuging, denn mit dem »schwarzen Elfenbein« wurde nicht anders als wie mit Waren und Wertpapieren gehandelt. Das Unternehmertum stand in Blüte, der Plantagenbau entwickelte sich glänzend, die Pflanzer und Kaufleute häuften enorme Reichtümer an. Mehr als 300 000 Sklaven arbeiteten für sie. So ging es bis in die ersten Jahre des vorigen Jahrhunderts. 1807 mußte infolge der Opposition, die sich in England gegen das Sklavereisystem geltend machte, die Einfuhr von Schwarzen aufhören, aber erst ein Menschenalter später, 1838, wurden durch einen gesetzlichen Akt sämtliche Sklaven für frei erklärt; zur Entschädigung erhielten die Pflanzer vom Staat für jeden Sklaven eine gewisse Ablösungssumme. 322 000 Sklaven wurden so auf Jamaika frei, und es stand nun in ihrem Belieben, ob sie bei ihren bisherigen »Massas« als freie, besoldete Arbeiter weiter im Dienst bleiben wollten oder nicht.

Mag die Aufhebung der Sklaverei auch ein dringendes Gebot der Menschlichkeit gewesen sein, für die Neger hat sie ebensowenig günstige Folgen gehabt wie für die wirtschaftlichen Verhältnisse auf der Insel. Denn der westindische Neger geht, wie schon früher bemerkt, jeder ernsten Tätigkeit gern aus dem Wege und ist ohne einen gewissen Zwang für die Arbeit kaum zu haben. Seit dem Aufhören des Arbeitszwanges haben sich die Schwarzen zum großen Teil einem trägen Lebenswandel mit allen seinen bösen Folgen hingegeben. Die einst blühenden Hauptindustrien Jamaikas, der Anbau von Zucker, Kaffee, Kakao und die Destillation von Rum, sind nicht nur durch den Wettbewerb anderer Produktionsländer, sondern vornehmlich durch die mangelhaften Arbeiterverhältnisse immer mehr zurückgegangen, so daß die Insel aus dem Zustand der wirtschaftlichen Krisen gar nicht mehr herauskommt. Die Zahl der Neger hat sich seit ihrer Befreiung außerordentlich vermehrt. Unter den 650 000 Einwohnern, die Jamaika heute zählt, befinden sich nur 15 000 Weiße und 20 000 Hindus, alle anderen sind Schwarze oder Mulatten. Da die Weißen nur in den Küstenstädten sitzen, bietet die Insel im Innern den Anblick eines vollständigen Negerstaates.

England betrachtet Jamaika als eine seiner Musterkolonien, und was die Verwaltung und die Verkehrseinrichtungen auf der Insel betrifft, so mag das auch stimmen. Vorzügliche Landstraßen durchziehen Jamaika, und schon vor 75 Jahren, also zu einer Zeit, als das Eisenbahnwesen in Europa noch in den Kinderschuhen steckte, begann man hier mit dem Bau der Eisenbahn, die heute über die Gebirge hinweg die ganze Insel durchzieht.

Während wir in Kingston umherschlenderten, entschied sich auch die Frage unserer Weiterreise. Als wir uns nämlich mit Kapitän Settekorn im Strandhotel beim Mittagessen trafen, erfuhren wir, daß er nach Erledigung des Ladegeschäftes noch Port Antonio an der Nordküste Jamaikas anlaufen müßte, um dort eine Fracht zu übernehmen. Da es uns an Bord der »Undine« so gut gefiel, kamen wir mit dem Kapitän überein, daß er uns in Port Antonio – wohin wir uns quer über Land mit der Eisenbahn begeben wollten – wieder aufnehmen und mit seinem Schiff noch weiter nach Trinidad bringen sollte. Don Alberto aber lud mich und meinen Reisegenossen ein, ihn inzwischen im Automobil nach einer im Innern, in der Nähe von Spanish Town, gelegenen Pflanzung zu begleiten, auf der er Geschäfte zu erledigen hatte, und bei dem ihm befreundeten Besitzer einen oder zwei Tage als Gast zu verbringen.

Schon eine Stunde darauf saßen wir drei in dem Automobil und sausten auf trefflicher Straße den Bergen entgegen und durch die alte Stadt Spanish Town, die älteste Niederlassung der Europäer auf Jamaika, im Tal des Cobreflusses ins Gebirge hinein. Es war eine wundervolle Fahrt, in deren Verlauf die verschiedensten Landschaftsbilder wie ein Riesenfilm an uns vorüberzogen: Bananenfelder und Kokospalmenhaine, Kaffee-, Kakao- und Zuckerrohrplantagen, Urwalddickicht mit Luftwurzeln und Schlinggewächsen, ganze Ortschaften und einzelne Hütten, tief eingebettet ins Grün eines überschwenglichen Blühens und Duftens, Felsenschroffen und wilde, oft in Kaskaden schäumende Bergströme. Besonders schön wurde die Fahrt im engen Tal des Rio Cobre, der sich in hunderttausendjähriger Geduldsarbeit mit Wasserzähnen durch turmhohe Felsenbarren genagt hat und uns bei jeder Wendung der Straße mit neuen prächtigen Szenerien überraschte. Hat man sich aber an der Landschaft satt gesehen, so verweilt das Auge immer wieder gern bei den Eingeborenen und ihrem urwüchsigen Treiben. Wo nur die kleinste Lichtung sich auftut, dort hat auch ein Schwarzer seine Hütte gebaut und haust darin mit den Seinigen, in trauter Gemeinschaft mit dem lieben Vieh. So im Vorübergehen genossen ist der westindische Neger mit seiner kindlichen Heiterkeit ein ganz sympathischer Mensch. Man darf ihn nur nicht zu sehr in der Nähe genießen ... Überall begrüßt uns Winken und Lächeln, jeder noch so wohlfeile Scherz des weißen »Massa« findet ein dankbares und begeistertes Publikum. Größere Niederlassungen werden immer durch kreisende Aasgeier angezeigt. Sie besorgen die Straßenreinigung, denn jeglicher Unrat, den der Neger in seiner sorglosen Art einfach vor die Tür wirft, wandert in ihren unersättlichen, nicht eben wählerischen Schlund.

Da wir die Fahrt häufig unterbrachen, um uns gehörig umzusehen, kamen wir erst nach einigen Stunden an unserem Ziel, der Pflanzung, an und wurden hier von dem Besitzer, einem schon bejahrten Holländer, der von unserer Ankunft telephonisch verständigt worden war, freundlich als willkommene Gäste begrüßt. Bald darauf saßen wir bei einer köstlich mundenden Tasse Schokolade auf der Veranda des schönen Herrenhauses.

»Jamaikas goldene Zeit ist längst vorüber,« sagte Herr Ruyter, der Plantagenbesitzer. »Einst war es ein Zuckerrohrparadies, und jeder Pflanzer machte hier, ohne sich überanstrengen zu müssen, sein Glück. Jetzt wird aber zuviel Zucker auf Erden erzeugt, da lohnt sich der Anbau nicht mehr. Auch unserem berühmten Jamaikarum, der aus Zuckerrohrmelasse hergestellt wird, sind zu viele Konkurrenten erstanden, da man jetzt auf allen westindischen Inseln Rum destilliert. Wir Pflanzer haben uns deshalb neuerdings auf etwas anderes verlegt, auf die Banane. Wir überschwemmen die ganze Welt mit Bananen. Allein eine einzige Schiffsgesellschaft führt mit einer Flotte von 35 Dampfern jährlich rund 60 Millionen Bündel Bananen von Jamaika aus, außerdem 10 Millionen Kokosnüsse. Kein westindischer Pflanzer hätte es vor einem Menschenalter für möglich gehalten, daß diese Frucht, die damals durchaus kein hohes Ansehen genoß und eigentlich nur von den Negern gegessen wurde, in unserer Ausfuhrstatistik noch einmal an erster Stelle stehen würde. Bananen pflanzen ist leicht, schon im zweiten Jahr gestattet das schnell aufschießende Gewächs eine Ernte. Aber zum Export im großen Stil waren zwei Errungenschaften der Neuzeit nötig: die Gefriertechnik und die Verbilligung der Dampferfrachten. Erst als es möglich wurde, die Laderäume der Schiffe in einer beständigen, gleichmäßig kühlen Temperatur zu halten, konnte man an den wochenlangen Seetransport der leicht zersetzbaren Früchte denken.«

Wir machten bis zum Anbruch der Dunkelheit, von Herrn Ruyter geführt, noch einen Rundgang durch einen Teil der Pflanzungen, in denen außer Bananen Zuckerrohr, Kaffee, Kakao und Kokospalmen angebaut wurden. Vor einem der Aufseherhäuschen saß ein weißhaariger alter Neger und scherzte mit ein paar niedlichen kleinen Kindern; als wir näher kamen, erhob er sich und begrüßte den Plantagenbesitzer ehrerbietig.

»Nun, wie geht's, Old Tom? Hübsch munter auf den Beinen?« fragte der Holländer und schlug dem Alten freundschaftlich auf die Schulter.

»O Mister Ruyter,« erwiderte der Neger in seinem drolligen Englisch, »ich sein immer noch sehr gut mit Beinen, nur manchmal die Matismus, oder wie heißt das, tut weh«

»Ja, der Rheumatismus,« sagte der Pflanzer lächelnd, als wir weitergingen, »den haben wir hier trotz aller Hitze auch, die viele Feuchtigkeit ist schuld daran. Dieser fünfundsiebenzigjährige alte Tom blickt übrigens auf eine bewegte Jugend zurück, er hat damals den letzten großen Negeraufstand mitgemacht. Das war im Jahre 1865. Was zu jener Zeit geschah, bedeutet wahrhaftig kein Ruhmesblatt in der Geschichte der englischen Kolonisation. Die Aufstandsbewegung war folgendermaßen gekommen. Die durch die Aufhebung der Sklaverei freigewordenen Neger hatten sich zum großen Teil in dem noch unangebauten Innern der Insel als Kleinsiedler niedergelassen, und als sie von den Pflanzern, denen diese Konkurrenz ihrer ehemaligen Sklaven erklärlicherweise unerwünscht war, mit Hilfe der Gerichte von ihren Besitztümern vertrieben werden sollten, kam es hier und dort zum Widerstand und zur Auflehnung. Das oft der Pflanzerpartei, zu der auch der damalige Gouverneur von Jamaika hielt, einen sehr erwünschten Vorwand, um einmal mit den schon zu zahlreich gewordenen Negern blutig abzurechnen und unter ihnen aufzuräumen. Man veranstaltete ein förmliches Kesseltreiben auf die Schwarzen und ging gegen sie, die keine Feuerwaffen hatten und sich kaum ernstlich zur Wehr setzen konnten, in furchtbarer Weise vor. Tausende von ihnen wurden im Scheinkampf niedergemacht, Tausende unter allen möglichen Beschuldigungen hingerichtet oder eingekerkert und gepeitscht, Tausende von Hütten wurden niedergebrannt und Weiber und Kinder hilflos in die Wälder gejagt, wo sie dann elend zugrunde gingen. Schließlich wurde das wüste Treiben dem anständig denkenden Teil der Engländer doch zu arg, sie erreichten die Einstellung der ganz einseitig geführten Kämpfe, die Abberufung des Gouverneurs und eine in England geführte amtliche Untersuchung, bei der aber nicht viel herausgekommen ist. Der alte Tom, den Sie soeben sahen, hat jene Leidenszeit auf seiten seiner Landsleute mitgemacht, man hat ihn damals ebenfalls eingekerkert und mißhandelt, und er sollte schon füsiliert werden, und nur wie durch ein Wunder ist er schließlich glücklich davongekommen.«

Am nächsten Tage nahmen wir sowohl von unserem liebenswürdigen Wirt, dem Plantagenbesitzer, wie auch von Don Alberto, der hier noch zurückblieb, Abschied, um die Fahrt mit der Eisenbahn nach Port Antonio fortzusetzen.

Es war zwar nur ein sehr bescheidenes »Zügle«, das uns mit gewaltigem Schnaufen und ohne schädliche Überstürzung durch das Gebirge zur anderen Seite der Insel brachte, aber der Wagen erster Klasse, in dem wir Platz nahmen, überraschte durch die Zweckmäßigkeit und den Komfort seiner Einrichtung. Es war ein richtiger Salon- und Aussichtswagen mit schlemmerhaften Rohrsesseln, elektrisch betriebenen Ventilatoren und allen sonstigen Bequemlichkeiten; das doppelwandige, nach beiden Seiten tief überhängende Dach gewährte guten Schutz vor der sengenden Sonnenglut, und zum Löschen des Durstes konnte man vom Schaffner eisgekühlte Limonaden haben. So ging es zunächst im Tal des Rio Cobre, oft durch enge Schluchten und an rauschenden Wasserfällen vorbei, steil bergan, bis die Paßhöhe erreicht war und der Zug in beschleunigtem Tempo zu den Niederungen der Nordküste hinunterrollte. Trotz der dichten Bewaldung und der schweren Zugänglichkeit des Hochgebirges ist die ganze Gegend ziemlich dicht bewohnt, allenthalben sieht man zwischen der üppigen Vegetation einzelne Hütten und kleine Dörfer, und so oft der Zug hält, wird er von Scharen schwarzer und brauner Eingeborenen umringt. Sehr nett sahen die jungen Frauen und Mädchen aus, die schreiend bunten Kalikoröcke und Kopftücher passen gut zu den samtweichen Augen der dunklen Gesichter und den beneidenswert weißen Zahnen, die man beim Lachen so gerne zeigt. Die kleinen Kinder krabbeln gewöhnlich im paradiesischen Unschuldsgewand herum, sie werden mit großer Zärtlichkeit behandelt.

Bei Anotto erreicht die Eisenbahn die Nordküste Jamaikas, von hier fahren wir immer an der schäumenden See entlang bis zu unserem Ziel, Port Antonio. In der kleinen Anottobai war es übrigens, wo Christoph Kolumbus in den Jahren 1503/4 wohl die schwerste Zeit seines an Wechselfällen des Glücks so reichen Lebens verbrachte. Das war nach Abschluß seiner letzten, vierten Entdeckungsreise, die er, da sich sein Stern im Sinken befand, schon unter sehr ungünstigen Umständen angetreten hatte, und deren Hauptzweck es war, die Meerenge aufzufinden, die nach seiner Ansicht aus dem Karibischen Meer ins Indische führen mußte. Er bereiste die ganze Hondurasküste und fuhr bis zur Landenge von Panama hinab, überall die Durchfahrt suchend, natürlich vergeblich, da es eine solche nicht gab. Nachdem auch der Versuch, in dem goldreichen Veragua eine Niederlassung zu begründen, an der Feindseligkeit der Indianer gescheitert war, machte Kolumbus kehrt und wandte sich nach Jamaika. Seine Schiffe waren wurmstichig und leck. Kolumbus wußte sich keinen anderen Rat, als die Schiffe in der Anottobai – von ihm damals Cristobalsbai getauft – auf den flachen Strand laufen zu lassen und, völlig entmutigt und energielos geworden, den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten. Die indianischen Küstenbewohner zeigten sich sehr unfreundlich, Hunger bedrohte den großen Seefahrer und seine Leute, und um das Unglück voll zu machen, begann auch ein Teil der Mannschaft zu meutern. Ein ganzes Jahr verbrachte Kolumbus hier in erzwungener Muße, bis endlich einer seiner wenigen Getreuen, Diego Mendez, in einem Indianerboot nach Santo Domingo fuhr und Hilfe herbeibrachte. Im Herbst 1504 trat Kolumbus die Heimreise nach Spanien an, wo sich niemand mehr um ihn kümmerte, wo ihm der König kaum noch Beachtung schenkte, und wo er anderthalb Jahre später, an Geist und Körper gebrochen, starb ...

Port Antonio, zwischen Kokospalmenwäldern und Pflanzungen malerisch an einer kleinen Bai gelegen, hat sich in neuerer Zeit zum Hauptausfuhrplatz der Obstproduktion Jamaikas, besonders der Bananen, entwickelt, macht auch mit seinem prächtigen Strandhotel und seiner schönen, gesunden Umgebung als vielbesuchter Winterkurort Kingston erfolgreiche Konkurrenz. Im Hafen lagen die großen Vergnügungsjachten einiger reicher Engländer und Amerikaner. Es muß sehr hübsch sein, so mit seinem eigenen Schiff die Ozeane zu bereisen, nach Belieben bald diesen, bald jenen fernen Strand aufzusuchen, einmal Ägypten, das andere Mal Westindien, das nächste Mal vielleicht Ceylon. Ein schöner, aber wahrscheinlich auch der kostspieligste Sport.

Wir hatten zwei Tage Zeit, uns Port Antonio und die Umgebung anzusehen, dann tauchte die »Undine« im Hafen auf, und wir begaben uns wieder an Bord des braven Dampfers, wo wir in der kleinen, aber ganz gemütlichen Kabine unser Hauptgepäck in guter Ordnung vorfanden. Kapitän Settekorn übernahm hier noch einige Fracht, dann ging es nach kurzem Aufenthalt in See – quer durch das Karibische Meer dem Osten entgegen, nach Fort de France, der Hauptstadt von Martinique.

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