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§ 196. Wir haben schon in Kap. VI gesehen, dass die Gliederung eines Satzes, die Art und Weise, wie man seine Bestandteile zu engeren und weiteren Gruppen zusammenfasst, etwas leicht Verschiebbares ist. Es ist dort auch bereits angedeutet, dass geradezu ein Gegensatz zwischen dem psychologischen (logischen) Verhältnis der Satzbestandteile untereinander und ihrem rein grammatischen Verhältnis entstehen kann. Die syntaktischen Formen wie die Kasus etc. sind zunächst für bestimmte Satzteile wie Subj., Obj., Bestimmung eines Substantivums etc. geschaffen. Sie bezeichnen aber zugleich ein bestimmteres Verhältnis, als es die blosse Aneinanderreihung der Wörter vermag. Indem nun die Mittel zu einer solchen bestimmteren Bezeichnung verwertet werden, zugleich aber die alte, nie ganz zu vernichtende Freiheit in der Verknüpfung der Begriffe waltet, entsteht ein Widerspruch, aus welchem sich dann, wenn er usuell wird, neue Konstruktionsweisen entwickeln. Die Abweichung von der äusseren grammatischen Form besteht dabei teils in einer anderen Zusammenfassung und Trennung der einzelnen Elemente, teils in einer anderen psychologischen Anordnung derselben, wodurch Subj., Präd., Obj., etc. ihre Rollen tauschen.
§ 197. Zweigliedrigkeit ist, wie wir gesehen haben, die Urform des Satzes. Auch die inhaltsreichsten Sätze können zweigliedrig bleiben, indem alle Bereicherung in einer Erweiterung der beiden Glieder besteht. Es entsteht aber auch, wie wir gleichfalls schon gesehen haben, durch die Wiederholung des Verhältnisses von Subj. und Präd. eine Vielgliedrigkeit. Aus dieser nun kann sich wieder eine einfachere Gliederung herausbilden, indem mehrere Glieder zu einem zusammengefasst werden ohne Rücksicht auf diejenige Gliederung, welche die historische Entwickelung der betreffenden Satzform verlangen 283 würde. Das Durchbrechen der ursprünglichen Gliederung kann dann sogar noch weiter gehen, indem auch Bestimmungen des Subj. von demselben losgelöst und mit anderen Elementen verbunden werden, ebenso des Objekts.
Vielgliedrigkeit des Satzes infolge von annähernder Gleichwertigkeit der einzelnen Elemente findet sich besonders bei ruhiger, zusammenhängender Darstellung. Die gewöhnliche Unterhaltung neigt immer zu Zwei- und Dreigliedrigkeit.
Am schärfsten von den übrigen Gliedern des Satzes sondert sich zunächst das psychologische Präd. ab als das wichtigste, dessen Mitteilung der Endzweck des Satzes ist, auf welches daher der stärkste Ton fällt. Der Satz Karl fährt morgen nach Berlin kann als viergliedrig aufgefasst werden, wenn er ohne irgend welche Vorbereitung des Hörers ausgesprochen wird, so dass diesem die verschiedenen Bestandteile desselben gleich neu sind. Wir können dann sagen: zum Subj. Karl tritt das Präd. fährt, zu diesem als Subj. tritt als erstes Präd. morgen, als zweites nach Berlin. Hierbei wird zwar naturgemäss die letzte Bestimmung etwas stärker hervorgehoben als die übrigen, aber doch nur um ein Geringes. Dagegen bei bestimmter, dem Sprechenden bekannter Disposition des Angeredeten kann jedes der vier Glieder scharf abgehobenes Präd. werden. Ist schon von einer Reise die Rede gewesen, die Karl morgen macht, und nur noch das Ziel unbekannt, so ist nach Berlin Präd. Wir könnten uns dann auch ausdrücken das Ziel der Reise, die Karl morgen macht, ist Berlin. Ist schon von einer bevorstehenden Reise Karls nach Berlin die Rede gewesen und nur noch die Zeit unbestimmt, so ist morgen Präd., und wir können dann auch sagen die Fahrt Karls nach Berlin findet morgen statt. Ist bekannt, dass Karl morgen nach Berlin reist und nur noch nicht, ob er dahin geht oder reitet oder fährt, so liegt das Präd. in fährt; wir können aber doch nicht eigentlich sagen, dass fährt psychologisches Präd. sei in Übereinstimmung mit der grammatischen Form, vielmehr ist es gewissermassen in zwei Bestandteile zu zerlegen, ein allgemeines Verb. der Bewegung und eine Bestimmung dazu, welche die Art der Bewegung bezeichnet, und nur die letztere ist Präd. Ist endlich bekannt, dass morgen jemand nach Berlin fährt und besteht nur noch ein Zweifel in bezug auf die Person, so ist das grammatische Subj. Karl psychologisches Präd., und wir könnten dann auch sagen: derjenige, der morgen nach Berlin fährt, ist Karl. Die hier besprochenen vier Variationen eines aus den nämlichen Wörtern gebildeten Satzes entsprechen vier verschiedenen Fragen: wohin reist Karl morgen? - wann reist Karl nach Berlin? - wie reist Karl morgen nach Berlin? - wer reist morgen nach Berlin? 284
Neben dem psychologischen Prädikate kann sich aus den übrigen Satzgliedern eins als eigentliches psychologisches Subj. besonders herausheben, welches dann dem Prädikate an Wichtigkeit und demgemäss auch an Tonstärke am nächsten steht. Die übrigen erscheinen dann als Bindeglieder, welche die Verknüpfung von Subjekt und Präd. vermitteln und die Verknüpfungsweise näher bestimmen. So ist nach psychologischer Analyse in dem Satze Marie hat Zahnschmerzen nicht hat, sondern Zahnschmerzen Präd., hat nur Bindeglied; in dem Satze Fritz pflegt sehr schnell zu gehen ist sehr schnell Präd., pflegt zu gehen Bindeglied; in dem Satze er gebärdete sich wie ein Besessener ist wie ein Besessener Präd., gebärdete sich Bindeglied.
§ 198. Jedes Satzglied, in welcher grammatischen Form es auch erscheinen mag, kann psychologisch betrachtet Subjekt oder Prädikat oder Bindeglied sein, respektive ein Teil davon. Subjekt und Prädikat können dabei ausser durch die Betonung durch die Stellung markiert werden. Tritt im Deutschen statt der normalen Voranstellung des grammatischen Subjektes Voranstellung eines anderen Satzteiles ein, so ist dieser entweder psychologisches Subjekt oder psychologisches Prädikat, ersteres häufiger als letzteres. Im letzteren Falle ist dieser Teil des Satzes zugleich der stärkstbetonte, im ersteren nicht. Die Ansicht, der man öfter begegnet, dass die Voranstellung immer dazu diene den betreffenden Teil des Satzes über alle andern hervorzuheben, ist daher verkehrt.Vgl. S. 127, Anm. 3.
Regelmässig psychologisches Subj. oder ein Teil desselben ist ein an den Anfang gestelltes rückweisendes Demonstrativum. Denn eben weil es zurückweist, vertritt es diejenige Vorstellung, von der in der Seele des Sprechenden und des Angeredeten ausgegangen wird, woran das weitere als etwas neues angeknüpft wird. Vgl. ich traf einen Knaben, den fragte ich; - dem sagte ich; - bei dem erkundigte ich mich; - darüber war ich erfreut. Oder ich ging nach Hause, da fand ich einen Brief; ich sah ihn am Sonntag zum letzten Male, damals sagte er mir. Oder Fritz war gestern bei mir; diesen Menschen möchte ich immer zum Hause hinaus werfen; aber ich muss Rücksicht auf seine Familie nehmen; aus diesem Grunde kann ich es nicht. Ebenso ist das Relativum regelmässig psychologisches Subjekt. Das Fragepronomen dagegen ist regelmässig Prädikat oder Teil desselben. Für die unbestimmte Fassung desselben substituiert dann die Antwort eine bestimmte. Wenn daher Cic. sagt quam utilitatem aut quem fructum petentes scire cupimus illa? oder tu vero quibus rebus gestis, quo hoste superato contionem convocare ausus es?, so liegt hier das psychologische 285 Prädikat nicht im Verb. finitum, sondern vielmehr im Partizipium und dem, was dazu gehört. Stets psychologisches Präd. ist ferner derjenige Satzteil, dessen Verknüpfung mit den übrigen durch eine Negationspartikel zurückgewiesen wird. Vgl. nicht ihn habe ich gerufen = der, den ich gerufen habe, ist nicht er; nicht ihm habe ich das Geld gegeben = der, dem ich das Geld gegeben habe, ist nicht er; nicht für ihn war ich besorgt = der, für den ich besorgt war, ist nicht er. Die Negation gehört daher zwar nicht immer zum grammatischen, aber stets zum psychologischen Präd., oder richtiger sie bezieht sich immer auf die Verknüpfung des psychologischen Subjekts mit dem psychologischen Prädikate. Prädikat ist dann natürlich auch der mit dem negierten Satzteil in Parallele gestellte Gegensatz, vgl. nicht am Morgen, sondern am Mittag will ich verreisen. Ferner jeder durch ein nur, allein, ausschliesslich u. dergl. hervorgehobene Satzteil; denn dafür kann man auch ein nicht ein anderer (ein anderes), sondern einsetzen. Auch besonders, vor allem, am meisten u. dergl. kennzeichnen das Präd.
§ 199. Der Widerspruch zwischen grammatischem und psychologischem Präd. lässt sich durch eine umständlichere Ausdrucksweise vermeiden, von der in manchen Sprachen reichlicher Gebrauch gemacht wird. Vgl. Christen sind es, die es getan haben oder von denen man es verlangt; engl. 't is thou that robbst me of my lord; franz. c'est moi qui etc. - franz. c'est à vous que je m'adresse; engl. it is to you, young people, that I speak - was ihn am meisten ärgerte, war ihre Gleichgültigkeit; engl. what I most prize in woman, is her affections, not her intellect - franz. il fut le premier à rompre le silence.
Ein Mittel, welches im Deutschen angewendet wird, um das, was sonst grammatisches Präd. werden müsste, zum Subj. zu machen, ist die Umschreibung mit tun, vgl. verbieten tut es niemand.
In vielen Sprachen findet sich eine interessante Ausgleichung des Widerspruches zwischen grammatischem und psychologischem Subjekt, nämlich in der Weise, dass das psychologische Subj. im Nom., also in der Form des grammatischen Subjekts vorantritt und dann noch einmal durch ein Pron. wieder aufgenommen wird, dessen Form sich nach dem rein grammatischen Verhältnis bestimmt. Vgl. engl. he that can discern the loviliness of things, we call him poet (Carlyle);Weitere Beispiele aus den verschiedenen Perioden des Engl. bei Jespersen, Progress in Language § 162. franz. cette confiance, il l'avait exprimée; it. gli amici vostri non gli conosco; mhd. rüemære unde lügenære, swâ die sîn, den verbiute ich 286 mînen sanc; span. claro é virtuoso principe, tanto esta sciencia le plugo; griech. ekeînos dè ou dô'sô autô^ oûdén; mhd. die Hiunen durch ir haz der garte sich zwei tûsent; franz. tous ces crimes d'état qu'on fait pour la couronne, le ciel nous en absout; it. quelli che hanno costituita una republica, tra le cose ordinate da loro è stato (Machiavelli); griech. tò mêdèn ákontá tina exapatê^sai méga méros eis toûto hê tô^n chrêmátôn ktê^sis xumbálletai (Plato); nhd. ach, der heiligste von unsern Trieben, warum quillt aus ihm die grimme Pein? (Goe.).Sehr üblich sind solche Konstruktionen im Arabischen, vgl. Reckendorf S. 171. Das Possessivpron. vertritt dabei die Stelle eines Genitivs: mhd. Parzivâl der valschheitswant sîn triuwe in lêrte; engl. 't is certain, that every man that dies ill, the ill is upon his own head (John 4, 1); span. la villa sin regidores, su triunfo sera breva; franz. les soudans, qu'à genoux cet univers contemple, leurs usages, leurs droits ne sont point mon exemple (Voltaire). Eine ähnliche Erscheinung ist es, wenn ein Attribut zum psychologischen Subj. im Nom. erscheint, vgl. griech. diaskopô^n kaì dialegómenos autâ édoxé moi hoûtos ho anê'r (Plato); édoxen autoîs apokteînai toùs Mutilênaíous epikaloûntes tê`n apóstasin (Thue.); pathoûsa hoútô deinà pròs tô^n philtátôn oudeìs hupèr moû daimónôn mêníetai (Aesch.); franz. depuis deux jours, Fatime, absent de ce palais, enfin son tendre amour le rend à mes souhaits (Voltaire).
Eine noch weitergehende Ausgleichung des Widerspruchs besteht darin, dass das psychologische Subj. geradezu die Form des grammatischen erhält, also in den Nom. tritt. Am Rhein sagt man nach Andr. Spr. 80 es geben dies Jahr nicht viele Äpfel. Ebenso wird der Nom. gebraucht nach Hildebrand, DWb 4, 1a, 1404 in Strassburg, im Osterlande, in Thüringen und Hessen. Aus der Literatur führt Andr. an: es gibt nichts Lächerlicheres als ein verliebter Mann (Börne). Schon Goethe (j. G. II, 465) sagt, müssen es hier Menschen geben, und Herder: gibts aber keine andere Empfindbarkeit zu Tränen als körperlicher Schmerz? Im letzten Falle ist also wenigstens die Vergleichung so behandelt, als gehöre sie zu einem grammatischen Subjekte.
Eine noch auffallendere Erscheinung, die hierher gehört, ist im Engl. die Umbildung einer Konstruktion wie me was given a book zu I was given a book.Vgl. Alphonso Smith, Studies in English Syntax, S. 66ff.
§ 200. Adverbiale Bestimmungen, die gewöhnlich, wie schon der Name zeigt, einfach zum Prädikatsverbum gezogen werden, spielen in Wirklichkeit sehr verschiedene Rollen im Satzgefüge. Einerseits sind sie wirklich Bestimmungen des Verbums, vgl. Karl isst langsam, das Kind zappelt mit Händen und Füssen. Liegt dann in der adver- 287 bialen Bestimmung das eigentlich Wertvolle der Mitteilung, so kann es als Prädikat, das Verbum als Bindeglied zwischen ihm und dem Subj. gefasst werden. Die Gliederung kann aber auch die sein, dass das Adv. eine Bestimmung für die Verbindung der übrigen Glieder des Satzes ist. Eine scharfe Grenze zwischen dieser und der erstbezeichneten Gliederung gibt es nicht. Hierher kann man alle temporalen, lokalen und kausalen Bestimmungen ziehen. Dieselben sind dann den übrigen Bestandteilen des Satzes gegenüber gewöhnlich psychologisches Subjekt, zuweilen auch Prädikat, vgl. morgen Abend will ich dich besuchen, auf dem Tische liegen zwei Bücher; die Bücher liegen nicht auf dem Tische, sondern in dem Kasten. Doch wird hier überall das Verbum derartig untergeordnet, dass man es auch als Bindeglied fassen kann. Dagegen gibt es gewisse Fälle, in denen das Adv. nur als Präd. gefasst werden kann, welches einem sonst schon in sich geschlossenen Satze beigelegt wird. Hierher gehören alle Bezeichnungen für die Modalität der Aussage, wie gewiss, sicherlich, wahrlich, jedenfalls, wahrscheinlich, wohl, vielleicht, schwerlich, kaum, angeblich. Er wird gewiss kommen ist = es ist gewiss, dass er kommen wird. Hierher gehören ferner leider, oft, selten, vorkommenden Falls, andernfalls, sonst, billig (in Fällen wie ich muss mich b. wundern), leicht und schwer (in Fällen wie das brennt, löst sich leicht), unter diesen Umständen, unter dieser Bedingung, bei so bewandter Sache u. dergl.; törichterweise und alle übrigen Bildungen mit -weise, die sich eben dadurch von den einfachen Adverbien töricht etc. unterscheiden; diese gehen auf das Prädikat, jene auf die Beziehung zwischen Subj. und Präd. Indem das logische Verhältnis auch grammatisch deutlich ausgeprägt ist, sind Ausdrucksformen entstanden wie kaum, dass er mich ansieht; vielleicht, dass eine Träne dann von seinem Auge fällt (Matthisson und so häufig im 18. Jahrhundert); vergebens, dass sein Oheim ihn aufmuntern will (Goe. und ähnlich öfters); glücklicherweise, dass die Gemälde so hoch stehen (Goe.); zum Glück, dass der Ring an seinem Finger ist (Wieland); zum Unglück, dass sie auch die Birnbaumscene sahn (id.); vermutlich, dass eine Rose herausgefallen ist (Wildenbruch); vielmehr, dass der eingepfropfte Zweig selbst ausartete (Herder); sogar, dass diese Ergiessung der Seele auch Nebenumstände mit sich fortreisst (id.). Stehen Versicherungen isoliert voran, z. B. gewiss, er wird es tun, so sind sie deutlich Prädikate zu den nachfolgenden selbständig hingestellten Sätzen.
§ 201. In Sprachen von geringer formeller Ausbildung ist der Widerspruch zwischen psychologischem und grammatischem Subjekt oder Prädikat viel seltener; denn die Veranlassung dazu ist ja eben die Ausbildung mannigfaltiger besonderer Ausdrucksformen für die verschiedenen logischen Verhältnisse der Begriffe zueinander. Die 288 eigentümlichen, uns sehr fremdartig berührenden Ausdrucksformen des Dajakischen, die Steinthal, Typen S. 172. 3 anführt, scheinen mir wesentlich darauf zu beruhen, dass das psychologische Subjekt oder Prädikat auch zum grammatischen gemacht wird, wobei entweder das erstere oder das letztere an die Spitze tritt, und dass dann auch diese beiden Hauptglieder, wenn sie selbst schon zusammengesetzt sind, wieder nach dem nämlichen Prinzipe gegliedert werden. Vgl. namentlich nach Steinthals Übersetzung Boot dieses Boot seiner Wahl = dieses Boot hat er auserwählt; Zeuge zwei diese welches deine Begierde = welches von diesen beiden Zeugen begehrst du? du Platz meines Gebens = dir habe ich es gegeben; zu sehr ihr geschoben sein Bank durch dich = du hast die Bank zu sehr geschoben (zu sehr psychologisches Prädikat).
§ 202. Wie das Verhältnis des Subjekts zum Prädikat im psychologischen Sinne die Umkehrung des grammatischen Verhältnisses sein kann, so kann dieselbe Umkehrung auch eintreten bei dem Verhältnis des Bestimmten zur Bestimmung. Am leichtesten kann eine Unsicherheit darüber entstehen, welches eigentlich das bestimmte, welches das bestimmende Glied ist, wenn zwei Substantiva in appositionellem Verhältnis nebeneinander stehen. Ich kann z. B. sagen Totila, ein König der Ostgoten oder ein König der Ostgoten, Totila. Ein solcher Rollentausch der beiden Glieder ist aber nur möglich, wenn ihr Verhältnis zueinander ein loseres ist, wozu Bedingung ist, dass es als etwas Neues mitgeteilt wird. Dann nähert sich das Ganze der Natur eines Satzes, und dann verhält sich immer das voranstehende Glied zu dem nachfolgenden wie das Subjekt zum Prädikat. Wird dagegen das Verhältnis als schon bekannt vorausgesetzt, so ist kein beliebiger Rollentausch möglich, und die Stellung entscheidet nichts. Ist z. B. von einem Mendelssohn die Rede und es fragt jemand »welcher Mendelssohn ist gemeint?«, so ist in der Antwort »der Komponist M.« zweifellos Mendelssohn das Bestimmte, trotzdem es nachsteht. Ebenso sind in Herzog Bernhard, Herr Müller, Bruder Karl, Vater Gleim die Eigennamen das Bestimmte, die Titel und sonstigen charakterisierenden Epitheta das Bestimmende. Es kommt aber auch, ohne dass das Verhältnis als bekannt vorausgesetzt werden kann, eine straffere Zusammenfassung der beiden Glieder vor mit Beifügung des bestimmten Artikels, z. B. der Schneidermeister Schulze. Hierbei gehört der Artikel nicht zu dem ersten Gliede, sondern zum ganzen und fasst dasselbe eben dadurch zu einer Einheit zusammen. Denn man kann dafür nicht sagen Schulze der Schneidermeister, sondern höchstens Schulze, ein Schneidermeister oder Schulze, Schneidermeister, wenn dazu noch eine weitere Bestimmung z. B. in Berlin tritt. Durch diese Veränderung 289 aber würde der Zusammenhalt gelockert sein, also die Ausdrucksweise einen anderen Eindruck machen. Bei dieser Fügung ist nun eigentlich keines von beiden Gliedern entschieden bestimmtes oder bestimmendes. Unter die appositionellen Verhältnisse mit engerem Verbande gehört auch die Verbindung von Vor- und Zunamen. Es ist nun zweifellos, dass jetzt in Karl Müller, Max Östreicher, Paul Mendelssohn etc. der Vorname das Bestimmende, der Familienname das Bestimmte ist; aber ebenso zweifellos, dass das Verhältnis anfangs umgekehrt war. Es hat also eine Gliederungsverschiebung stattgefunden.
Ein attributives Verhältnis hat sich im Nhd. aus der mhd. Verbindung mit einem partitiven Gen. entwickelt in Fällen wie ein Fuder Wein (mhd. ein fuoder wînes), ein Pfund Fleisch, eine Menge Menschen, eine Art Forellen. Hiermit verbindet sich ein Rollentausch, indem für unser Sprachgefühl das voranstehende Subst. als das Bestimmende erscheint. Zum sprachlichen Ausdruck gelangt dieser Rollentausch, wenn ein paar in dem Sinne »wenige« unflektiert bleibt (mit ein paar Menschen); vgl. dazu in der bisschen Neige bei Leisewitz. Noch weiter ging die Entwickelung bei viel, wenig, mehr, sowie den Zahlwörtern zwanzig, dreissig etc., hundert, tausend, die ursprünglich substantivisch mit Gen. gebraucht, sich in Folge des Rollentausches zu flexionslosen und teilweise weiter zu flektierten Adjektiven entwickelt haben. Eine entsprechende Verschiebung liegt auch vor in eine Viertelstunde statt ein Viertel Stunde, wobei freilich auch die Analogie von eine halbe Stunde in Betracht kommt.
Ein adjektivisches Attribut kann nicht so einfach die Rolle mit seinem Substantivum tauschen. Es muss hier aber einer häufig vorkommenden Fügung gedacht werden, wobei allerdings der Hauptbegriff in das Adj. gelegt wird. Wenn Grimm sagt jenes heranzuziehen untersagt die mangelnde Lautverschiebung, so müsste man um die grammatische Form in Übereinstimmung mit der Logik zu bringen die Gliederung umkehren, aber zugleich mit einer weiteren Veränderung der Konstruktion; der Mangel der Lautverschiebung. Vgl. ferner den verfehlten Ton guter Gesellschaft (Herder); doch liegt das Hauptübel in der wenigen Zeit, die ich darauf verwenden können (Goe.); weitere Beispiele bei Andr. Spr. S. 122. 3. Besonders häufig sind im 18. Jahrh. Wendungen, in denen man versucht den lateinischen Abl. abs. nachzubilden, wie nach überwundenen so mannigfaltigen Hindernissen (Goe.), nach aufgelöstem Band der bürgerlichen Ordnung (Schi.), zwey Wochen nach aufgehobenem Theater zu Gotha (Iffland).
Eine Verschiebung ganz anderer Art haben wir in Wendungen wie ein sein wollendes Original (Herder), so viele sein wollende Kenner (Ebert an Lessing), sein sollende griechische Simplizität (Iffland), ein 290 sich dünkender Eigentümer (Kant), alle Torheiten eines sich dünkenden Genies (Gottw. Müller), einem sich stellenden Tauben (Le.), ein gewesener Soldat, ein geborener Franzose, eine geborene Müller, ein angeblicher Vetter, der vermeintliche Baron, mit anscheinender Gleichgültigkeit, die sogenannte Heide; franz. un nommé Richard. Hier sind die Substantiva, die eigentlich Prädikate zu nicht genannten Subjekten sind, an die Stelle dieser Subjekte getreten und haben damit auch die Form des Partizipiums bestimmt. Auch in Fällen wie sein früherer (ehemaliger) Herr, seine spätere (zukünftige) Frau sind die Substantiva eigentlich Prädikate.
§ 203. Indem die Auseinanderreissung des grammatisch eigentlich eng Zusammengehörenden usuell wird, bilden sich neue Konstruktionsweisen heraus, von denen man, wiewohl sie ihren Ursprung dem Widerspruche zwischen grammatischer und logischer Gliederung verdanken, doch nicht mehr sagen darf, dass der Widerspruch noch bestehe. Das ursprünglich nur psychologische Verhältnis hat sich dann zu einem grammatischen entwickelt.
Häufig löst sich so der Genitiv aus der unmittelbaren Verbindung mit dem Worte, von dem er zunächst abhängig war. Wo er von einem prädikativen Adj. abhängt, ist die Verbindung immer keine ganz enge, und es macht nichts aus, ob man ihn als abhängig von dem Adj. allein, oder von dem Adj. in Verbindung mit der dazu gehörigen Kopula auffasst. Er hat daher eine ähnliche Selbständigkeit wie ein von einem Verbum abhängiges Objekt und geniesst dieselbe Freiheit der Stellung. Vgl. des Erfolges bin ich sicher. Nun ist der häufig von einer solchen Verbindung abhängige Gen. es lautlich mit dem Acc. (mhd. ez) zusammengefallen und in Folge davon auch vom Sprachgefühl als Acc. gefasst worden, vgl. ich bin es zufrieden. Ausserdem hat sich traditionell in einigen Fällen der Gen. nichts zu mhd. niht erhalten, der nun auch als Acc. gefasst werden musste, vgl. ich bin mir nichts Böses bewusst. Durch diese Umstände ist es begünstigt, aber wohl nicht allein veranlasst, dass weiterhin in mehreren Fällen der als Objektskasus gefasste Gen. mit dem Objektskasus kat' exochê'n, dem Akk., vertauscht ist, gerade so wie das bei vielen Verben (erwähnen, vergessen etc.) geschehen ist. Vgl. was ich mir kaum noch bewusst war (Wieland); sind sie das zufrieden? (Goe. und ähnlich öfters); wir sind die Probe zufrieden (Rückert); das bin ich vollkommen überzeugt (Le.); so viel bin ich versichert (Le.); ingedenk zu sein die bescheen Fragen (Weistümer). Häufig ist der Akk. bei habhaft werden, ganz allgemein bei gewahr werden, gewohnt, los, überdrüssig, schuldig sein oder werden. Wie das Adj. verhält sich natürlich das prädikative Adv., daher inne werden jetzt mit Akk. Begünstigt ist der Eintritt 291 des Akk. jedenfalls dadurch, dass von solchen Verbindungen auch Sätze mit dass abhängen konnten (ich bin [es] zufrieden, dass du ihn besuchst), welche als Objekt gefasst werden konnten. Bei manchen dieser Verbindungen lässt sich nur der Akk. eines Pron. nachweisen. Daraus ersieht man die Einwirkung des es. Dass aber der Vorgang auch ohne eine solche Unterstützung möglich ist, ergibt sich aus analogen Fällen im Griech., vgl. epistê'mones ê^san tà prosê'konta (Xen.), éxarnós eimi tà erôtô'mena (Plato).
Die an sich festere Verbindung des Genitivs mit einem Subst. erscheint gleichfalls vielfach gelockert, indem derselbe logisch nicht mehr von dem Subst. allein, sondern von der Verbindung des Subst. mit einem Verb. abhängig und dadurch zu einem selbständigen Satzgliede gemacht ist. Sehr häufig ist das im Mhd., z. B. des wirdet mir buoz (davon wird mir Abhilfe); des hân ich guoten willen; des sît âne sorge; si wurden des ze râte; ich kume eines dinges an ein ende (ich erfahre etwas ganz genau). Vgl. nhd. des Lärmens ist kein Ende; aller guten Dinge sind drei; lass, Vater, genug sein des grausamen Spiels (Schi.); nun will ich des Briefs ein Ende machen (Schi.); dieses Dranges ist kein Ziel zu sehen (Schi.); des ich ein Diener worden bin (Lu.); dieses Gerechten, welches ihr nun Verräter und Mörder geworden seid (Lu.); ein Schiff, dessen man, so es vorüber ist, keine Spur finden kann (Lu.); den leichten Erwähnungen, die seiner einige alte Grammatiker tun (Le.); des kann ich Zeugnis geben (Wieland). Meistens muss man jetzt an Stelle des mhd. Genitivs eine Präposition anwenden. Aber auch hier wurde das genitivische es umgedeutet und als Nom. oder Akk. aufgefasst und so das logische Subj. oder Obj. vollständig zum grammatischen gemacht, vgl. es ist genug (mhd. genuoc als Subst. mit dem Gen. verbunden), es ist Not, es ist Zeit etc., er will es nicht Wort haben; er hat es Ursache; ich bins nicht im Stande; er weiss es ihm Dank. Die Gliederungsverschiebung hat aber auch weiterhin die Folge gehabt, dass der Gen. mit dem Nom. oder Akk. vertauscht ist, wobei jedenfalls wieder die abhängigen Sätze mit dass, die als Subj. oder Obj. gefasst werden konnten, mitwirkten. Wir sagen jetzt das nimmt mich Wunder wie das wundert mich; mhd. heisst es des nimet mich wunder = mich ergreift Verwunderung darüber. Beispiele für den Akk. sind wer wird ihm diese kleine Üppigkeit nicht vielmehr Dank wissen? (Le.); was er mir Schuld gibt (Le., ähnlich auch sonst); in Ansehung der Stärke wird niemand diese Assertion in Abrede sein (Le., vgl. Blümners Anm. in seiner Ausgabe des Laok., 2. Aufl. S. 588). Allgemein mit dem Akk. verbunden wird das jetzt als ein einheitlicher Begriff gefasste wahrnehmen (mhd. war = Beobachtung). Vgl. lateinische Konstruktionen wie quid tibi nos tactiost (Plaut.), quid tibi hanc curatiost 292 rem (id.), in denen der Akk. nicht als von dem Subst. allein abhängig gefasst werden kann; ferner infitias ire, auctorem esse aliquid. Dazu griech. hèn mèn prô^tá soi momphê`n échô (Eur.) und Ähnliches.
In den Sprachen, welche als Negation oder als Verstärkung derselben ein ursprünglich substantivisches Wort verwenden, findet sich daneben ein Genitiv der ursprünglich von diesem Substantivum abhängig war, allmählich aber zu einem selbständigen Satzgliede geworden ist und nun als Subj. oder Objekt fungiert, während das Wort, von dem er ursprünglich abhing, seine substantivische Natur eingebüsst hat. Vgl. franz. il n'a pas (point) d'argent, eigentlich er hat keinen Schritt (Punkt) von Geld. Dass das Sprachgefühl nicht mehr an eine Abhängigkeit von pas oder point denkt, ergibt sich unter andern daraus, dass de analogisch auch in andere negative Sätze übertragen wird, die kein ursprüngliches Subst. enthalten (vgl. il n'y a jamais de lois observées), auch in solche, die nur dem Sinne nach negativ sind (vgl. sans laisser d'espérance; doit-il avoir d'autre volonté). Ähnlich sind die Verhältnisse im Mhd., vgl. des enmac niht gesîn; mîn vrouwe bîzet iuwer niht; danach auch alsô grôzer krefte nie mêr recke gewan. Vgl. noch nhd. sie wollten meines Rates nicht (Lu.); sie hatten der Speise nicht (Klopstock); welcher Epigrammatist hat dessen nicht (Le.); allgemein hier ist meines Bleibens nicht.
§ 204. Im Englischen kann sich der von einer Präp. abhängige Kasus von der direkten Verbindung mit derselben loslösen und sich näher zum Verbum stellen. Diese Loslösung ist weitaus in den meisten Fällen durch das Bestreben bedingt das psychologische Subjekt an die Spitze des Satzes zu stellen. Vgl. and this rich fair town we make him lord of (Sh.); washes of all kind I had an antipathy to (Goldsmith); weitere Beispiele bei Mätzn. II, 518. Die beiden Hauptkategorieen, die hierher gehören, sind die Relativsätze (vgl. a place which we have long heard and read of, vg. ib. 519) und Passivsätze. (the tailor was seldom talked of, vgl. ib. 65ff.), wobei die passivische Konstruktion wie in anderen Fällen den Zweck hat, das psychologische Subjekt auch zum grammatischen zu machen. Diese Art passivischer Konstruktion wird sogar bei transitiven Wörtern, die ein Objekt bei sich haben, angewendet (they were never taken notice of Sheridan, vgl. ib. 67). Ausserdem ist die Loslösung in Fragesätzen üblich, wo es sich also um Voranstellung des Prädikats handelt (what humour is the prince of, vgl. ib. 519). Schon in alter Zeit haben die indogermanischen Präpositionen Gliederungsverschiebungen durchgemacht. Ursprünglich waren sie jedenfalls Adverbia. Sie konnten neben dem Kasus eines Nomens als Bestimmungen zum Verb. treten. Von hier aus hat sich einerseits ein näheres Verhältnis zwischen ihnen und dem eigentlich 293 vom Verb. abhängigen Kasus herausgebildet, wodurch sie zu Präpositionen geworden sind; anderseits sind sie in nähere Beziehung zum Verb. getreten, wodurch Zusammensetzungen entstanden sind.Vgl. Delbrück, Syntax, Kap. XV.
§ 205. Ein Satzglied, welches grammatisch von einem Inf. abhängt, kann psychologisch von der Verbindung dieses Infinitivs mit seinem Regens abhängig werden; vgl. dies Buch werde ich dich nie lesen lassen; das Ding selbst bin ich weit entfernt zu sehen (Le.); mit welchem sie sich erinnern, gegen mich glücklich gewesen zu sein (Le.). Infolge davon kann das Sprachgefühl darüber unsicher werden, ob das betreffende Glied eigentlich zu dem Inf. oder zu seinem Regens in direkte Beziehung zu setzen ist. Dazu kommt, dass diesen Fällen andere sehr ähnlich sehen, in welchen wirklich die Abhängigkeit von dem Verb. fin. das Ursprüngliche ist, vgl. was ich zu besorgen habe. So geschieht es, dass eine wirkliche Übertragung der Rektion vom Inf. auf das Verb. fin. stattfindet, die sich deutlich durch Umsetzung in das Pass. dokumentiert; vgl. hier ist sie (Minna v. Barnhelm) auf Ansuchen des Herrn von Hecht zu spielen verboten (Le.); die Anklage ist fallen gelassen worden (Allg. Zeitg.); die Stellung des Fürsten Hohenlohe wird zu untergraben versucht (ib.); wo die Verdorbenheit der Klöster durch eine Reformation abzustellen gesucht ward (Gervinus). Damit vergleiche man die griechischen Beispiele chilíôn drachmô^n homologêtheisô^n apolabeîn (»da die Übereinkunft getroffen war, dass ich 1000 Drachmen erhalten sollte« Dem.); tà hêmîn ex archê^s parangelthénta diexeltheîn (Plato); tô^n proeirêménôn hêmerô^n tà epitê'deia échein (»der Tage, für welche es befohlen war Vorrat zu haben« Xen.). Auf der nämlichen Verschiebung beruht auch die Umsetzung von lat. coepi, desino, jubeo, prohibeo in das Pass. (liber legi coeptus est, jubeor interfici), nur dass hier auch der Inf. in das Pass. tritt, indem eine Doppelbeziehung des zum Subj. gemachten Gliedes stattfindet. Auch bei possum und queo kommt im älteren Lat. eine derartige Umsetzung vor, z. B. quod tamen expleri nulla ratione potestur (Lucrez), vgl. Draeger § 93. Ferner gehört hierher die Umdeutung eines von einem Inf. abhängigen Objekts zum Subj. des regierenden, von Hause aus unpersönlichen Verbums, vgl. ê^n gár ti en autoîs prosê^kon ideîn (»was es sich ziemte zu sehen« Plato), lógon tinà prosê'konta rhêthê^nai (id.).Die oben gegebene Darstellung beruht fast ganz auf Madvig Kl. Schr. S. 362.
§ 206. Wir haben gesehen, dass die verschiedenartigsten Satzteile, indem sich zwei andere neben ihnen als die eigentlich wesentlichen herausheben, psychologisch als blosse Bindeglieder gefasst werden können. Indem gewisse Wörter regelmässig so verwendet werden, wird 294 die psychologische Kategorie zu einer grammatischen, die betreffenden Wörter werden zu Verbindungswörtern. Verbindungswort nenne ich ein Wort, welches die Funktion hat das Verhältnis zwischen zwei Begriffen anzugeben, welches daher auch nur neben zwei solchen Begriffen funktionieren kann, so dass es weder für sich noch auch bloss mit einem Begriff verbunden etwas Selbständiges darstellen kann. Verbindungswort zwischen Subj. und Präd. ist die Kopula. Man hat zwar die Berechtigung zur Aufstellung einer solchen Kategorie bestritten und behauptet, dass man die Kopula wie jedes andere Verb. fin. als Prädikat, das prädikative Subst. oder Adj. dagegen als Bestimmung des Prädikats zu fassen habe.Vgl. Kern, Die deutsche Satzlehre, Berlin 1883. Diese Anschauung scheint mir ein Beispiel jenes Missverständnisses der Forderung einer Scheidung zwischen Grammatik und Logik, worauf ich § 21 hingedeutet habe, ein Beispiel von einseitiger Rücksichtnahme auf die äussere grammatische Form unter Vernachlässigung des Funktionswertes. Wir dürfen doch nicht ausser acht lassen, dass Sätze wie Träume sind Schäume, glücklich ist der Mann, gleichwertig sind mit Sätzen ohne Kopula Träume Schäume, glücklich der Mann, und dass Sätze von der einfacheren Form offenbar ursprünglich reichlich gebildet worden und erst allmählich durch Sätze mit Kopula mehr und mehr zurückgedrängt sind. Wollte man dem ist eine Selbständigkeit gegenüber dem substantivischen oder adjektivischen Prädikate zugestehen, so würden alle hierher gehörigen Sätze Existenzialsätze sein, was sie doch offenbar dem Sprachgefühl nach nicht sind. Welcher Unsinn würde herauskommen, wenn wir den Satz das ist unmöglich auffassten als »das existiert als etwas Unmögliches«.
Die Scheu davor die Kopula als ein Verbindungswort anzuerkennen entspringt daraus, dass sie vermöge ihrer Flexion den verbalen Charakter bewahrt. Bei erstarrten Formen, die keinem flexivischen Wandel unterliegen, scheut man sich weniger den Übergang vom selbständigen Wort zum Verbindungswort anzuerkennen. Dieser Übergang kommt immer mit Hilfe einer Gliederungsverschiebung zustande, wie noch weiterhin an einer Reihe von Beispielen gezeigt werden wird.
§ 207. Eine besondere Art von Verschiebung der Gliederung besteht darin, dass zwei Satzglieder, die eigentlich nur eine indirekte Beziehung zueinander haben, indem sie von demselben dritten abhängen, in direkte Beziehung zueinander gesetzt werden. So ist wohl die Entstehung des prädikativen Akkusativs aufzufassen. Wir können jetzt ebensogut sagen ich mache ihn zum Narren wie ich mache 295 einen Narren aus ihm. Es ist also eine doppelte Art des Akkusativs bei machen möglich, einer, welcher den Gegenstand bezeichnet, den die Tätigkeit trifft, und einer, der das Resultat derselben angibt. Setzt man beide zugleich zum Verbum, wie das im Mhd. noch in einigen Wendungen möglich ist, z. B. ich mache in ritter, so muss dabei auch die Vorstellung »er wird Ritter« oder dergleichen mit ins Bewusstsein treten, und so werden die beiden Akkusative in ein Verhältnis zu einander gesetzt nach der Analogie von Subj. und Präd. Diese Erklärung ist auf alle Fälle anwendbar, wo in den verschiedenen Sprachen ein Subst. als prädikativer Akk. gebraucht wird. Die Verwendung des Adjektivums als eines prädikativen Objekts liesse sich dann als eine Analogie nach der Verwendung des Substantivums fassen. Doch ist ausserdem in Betracht zu ziehen, dass wir neben ich mache einen Menschen glücklich auch sagen können ich mache einen glücklichen Menschen. Entsprechend ist die Entstehung des Acc. c. Inf. zu erklären. Der Inf. ist ursprünglich ein zweites Objekt zum regierenden Verbum. So verhält es sich noch bei unserem ich heisse ihn aufstehen, ich lasse ihn arbeiten etc. Der Inf. kann ja auch ohne einen anderen Akk. als Objekt stehen (ich lasse arbeiten). Er lehrt mich französisch sprechen ist in der Konstruktion nicht wesentlich verschieden von er lehrt mich die französische Sprache. So kann man auch lat. neben jubet te facere sagen quod te jubet. Ebenso hat der Nom. c. Inf. seine Analogie in der passivischen Konstruktion solcher Verba, die einen doppelten Akk. bei sich haben können. Bibulus nondum audiebatur esse in Syria ist konstruiert wie Cicero per legatos cuncta edoctus; quod jussi sunt. Die Auffassung des substantivischen Akkusativs als eines Subjekts zu dem Inf. ergibt sich dann sehr leicht aus der realen Natur des Verhältnisses.
§ 208. Eine andere nicht ganz seltene Art der Verschiebung besteht darin, dass ein Glied, welches eigentlich zu zwei kopulativ oder adversativ verbundenen Gliedern gehört, bloss als zum ersten gehörig aufgefasst und in Relation zu einer die beiden verbindenden Partikel gesetzt wird. Unser entweder - oder fassen wir jetzt als zwei korrelative Partikeln. Aber entweder ist entstanden aus eindeweder und bedeutet eigentlich »eins von beiden«; daher ist entweder das Auge oder das Herz eigentlich »eins von beiden, das Auge oder das Herz«. Folge der Gliederungsverschiebung ist die Erstarrung der Form, so dass entweder zu jedem beliebigen Kasus und jeder beliebigen Wortart gesetzt werden kann. Wo entweder - oder zur Verbindung von Sätzen dient, zeigt sich die Hineinziehung des ersteren in den ersten Satz auch an der Inversion (entweder ist er tot neben er ist tot). Genau ebenso verhält es sich mit weder - noch, mit mhd. weder - oder 296 = lat. utrum - an, mhd. beide - und = engl. both - and u. a. Wir übersetzen lat. aeque ac durch »ebenso wie«. Aber ein hic mihi aeque placet atque ille ist eigentlich »dieser und jener gefallen mir in gleicher Weise.« Dass jedoch eine wirkliche Verschiebung der Gliederung stattgefunden hat, und dass das vergleichende ac von dem kopulativen bis zu einem gewissen Grade isoliert ist, zeigt der regelmässige Sing. des Präd. in den Fällen, wo das ac an ein singularisches Subj. angeknüpft wird, ferner die Wortstellung und endlich solche Fälle, in denen eine Wiedergabe des ac durch und in keiner Weise mehr möglich ist, vgl. aeque a te peto ac si mea negotia essent. Lehrreich sind verwandte Konstruktionen, die noch nicht normal geworden sind, bei denen die Verschiebung entweder noch gar nicht eingetreten ist oder wenigstens noch nicht usuell geworden. Zuweilen steht aeque et = aeque ac: aeque promptum est mihi et adversario meo (Cic.), vgl. Draeg. § 311, 18. Es findet sich ferner ac oder et auch nach par, similis, idem, alius etc., (vgl. ib.): pariter patribus ac plebi carus; pariter corpore et animo (Ter.); simul consul ex multis de hostium adventu cognovit et ipsi hostes aderant (Sall.); solet alia sentire et loqui (Caelius); viae pariter et pugnae (Tac.); omnia fuisse in Themistocle paria et Coriolano (Cic.); haec eodem tempore Caesari mandata referebantur et legati ab Aeduis veniebant (Caes.). Dieselbe Verschiebung wie bei lat. ac ist bei anord. ok eingetreten.
§ 209. Die nämlichen Verschiebungen wie innerhalb des einfachen Satzes finden natürlich auch im zusammengesetzten Satze statt, da ja zwischen einfachem und zusammengesetztem Satze kein eigentlich wesentlicher und konsequent durchführbarer Unterschied besteht. Der Nebensatz hat die nämliche Funktion wie ein Satzglied, und es gilt daher auch von ihm dasselbe wie von jedem andern Gliede in Bezug auf die Gliederung der ganzen Periode. Es ist daher falsch, wenn man, wie gewöhnlich geschieht, eine jede Periode zunächst in Hauptsatz und Nebensatz (resp. mehrere Nebensätze) abteilt. Erstens ist zu berücksichtigen, dass der Nebensatz ein unentbehrliches Satzglied wie das Subj. vertreten kann (z. B. dass er nicht kommt, ärgert mich) und dann ist das, was man den Hauptsatz zu nennen pflegt, in Wahrheit gar kein Satz, sondern nur ein Satzglied oder ein Komplex von Satzgliedern. Enthält der Nebensatz einen entbehrlichen Bestandteil der Periode, z. B. eine Zeitbestimmung, so ist es ja allerdings möglich ihr den Hauptsatz als etwas für sich Bestehendes gegenüberzustellen, aber damit gibt man keine richtige grammatische und nicht immer eine richtige psychologische Gliederung. Die Periode ich fragte ihn nach seinem Befinden, als ich ihm begegnete zunächst in Haupt- und Nebensatz zu sondern hat nicht mehr Berechtigung als in dem Satze 297 ich fragte ihn gestern nach seinem Befinden zu gliedern: ich fragte ihn nach seinem Befinden + gestern. Wir können ja auch dem Nebensatze gerade so gut wie dem Adv. gestern seine Stellung zwischen den übrigen Gliedern geben. Endlich enthält der Nebensatz gar nicht immer ein selbständiges Satzglied, sondern häufig nur einen Teil eines Gliedes, eine Bestimmung zu einem Gliede, so alle Relativsätze, die sich auf ein Wort des Hauptsatzes beziehen. Der Nebensatz kann nun aber so gut wie jeder andere Satzteil nach psychologischen Gesichtspunkten eine andere Eingliederung verlangen als nach rein grammatischen, und er kann ebenso gut wie jeder andere Satzteil an der Gliederungsverschiebung teilnehmen. So ist dann die Möglichkeit einer Zweiteilung in Haupt- und Nebensatz häufig erst die Folge einer Gliederungsverschiebung. Dabei ist in der Regel der Nebensatz psychologisches Subj., der Hauptsatz Präd., natürlich in dem weiten Sinne, wie wir ihn Kap. VI bestimmt haben.
Wenden wir den § 89 zwischen abstrakten, konkreten und konkret-abstrakten Sätzen gemachten Unterschied auf den zusammengesetzten Satz an, so ergibt sich, dass die hypothetischen Perioden (im weitesten Sinne) die abstrakten und abstrakt-konkreten umfassen. Abstrakt sind z. B. wenn es regnet, wird es nass; wer Pech angreift, besudelt sich; abstrakt-konkret wenn du es noch nicht weisst, will ich es dir sagen; so oft er mir begegnet, fragt er mich; wer unter euch nicht zufrieden ist, mag es sagen. Der Sinn eines jeden abstrakten oder abstrakt-konkreten Satzes lässt sich daher durch eine hypothetische Periode ausdrücken.
§ 210. Wie es für den grammatisch nicht als abhängig bezeichneten Satz einen stufenweisen Übergang von Selbständigkeit zu Abhängigkeit gibt, so kann sich der grammatisch als abhängig bezeichnete mehr und mehr der Selbständigkeit nähern. Bei der oben § 102 charakterisierten Zwischenstufe zwischen logischer Abhängigkeit und Selbständigkeit kann die grammatische Form bald die der Selbständigkeit, bald die der Abhängigkeit sein. Nach der Bevorzugung der einen oder der andern unterscheiden sich verschiedene Sprachen und verschiedene Stilgattungen. So ist es bekanntlich charakteristisch für die historische Periode im Lateinischen, dass die Mitteilung von Tatsachen, welche an sich neu sind und einen selbständigen Wert haben, die aber zugleich zur zeitlichen und kausalen Bestimmung einer andern Tatsache dienen, in der Form eines abhängigen Satzes oder einer Partizipialkonstruktion erfolgt, während im Dentschen die Form des selbständigen Satzes vorgezogen wird. Nicht selten ist in verschiedenen Sprachen die Anknüpfung eines Relativsatzes, welcher das Vorhergehende gar nicht bestimmt oder modifiziert, sondern eine selbständige Mitteilung enthält, 298 also gleichen Wert mit einem kopulativ angeknüpften Hauptsatze hat. Vgl. er begab sich nach Paris, von wo er später nach Lyon ging (= und von da ging er); ich traf gestern deinen Vater, mit dem ich mich lange unterhielt (gegen ich traf heute den Herrn wieder, mit dem ich mich gestern unterhalten hatte). Besonders häufig ist diese Anknüpfung bekanntlich im Lat., und man ist es hier gewohnt längere Perioden, die durch ein Relativum eingeleitet sind, als selbständige Sätze zu betrachten. Ein solches lose angeknüpftes Relativum erscheint auch in Konjunktionssätzen, wie z. B. quod Tiberius quum fieri animadvertit, simul pugionem eduxit (Bell. Hisp.); quae si dubia aut procul essent, tamen omnes bonos reipubliae subvenire decebat (Sall.).An und für sich beweist allerdings der Gebrauch des Relativums in einem Konjunktionssatz nicht Lockerung des Abhängigkeitsverhältnisses. Vgl. Lu. Ap. 15, 29 dass ihr euch enthaltet von Götzenopfer etc., von welchen so ihr euch enthaltet, tut ihr recht (ex hô^n diateroûntes heautoùs eû práxete). Hier ist das Rel. gebraucht wie sonst als Teil eines Satzgliedes. Ein Kriterium für die Verselbständigung des Relativsatzes ist der Gebrauch des Imperativs in demselben. Diesen finde ich im griech. neuen Testament: 2. Tim. 4, 15 hòn kaì sù phulássou und Ebr. 13, 7 hô^n anatheôroûntes tê`n ékbasin tê^s anastrophês mimeîsthe tê`n pístin; an beiden Stellen auch in Luthers Übersetzung: vor welchem hüte du dich auch und welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach. Entsprechend ist die Verwendung von quamquam und etsi = jedoch. Das Aufgeben des Abhängigkeitsverhältnisses tritt uns besonders entgegen in einem Falle wie do poenas temeritatis meae; etsi quae fuit illa temeritas? (Cic.). So kommt auch unser wiewohl, obgleich vor, wobei sich das Aufgeben des Abhängigkeitsverhältnisses in der Wortfolge dokumentiert, vgl. wie darfst du dich doch meinen Augen weisen? wiewohl du kommst mir recht (Hagedorn); obgleich das Weissbrot schmeckt auch in dem Schloss nicht übel (Hebel).
So tritt denn auch der Fall ein, dass das logische Abhängigkeitsverhältnis geradezu die Umkehrung des grammatischen ist. Die bekannteste hierher gehörige Kategorie, die sich in vielen Sprachen findet, bilden Zeitbestimmungen, meist mit eben, gerade, noch, kaum u. dergl., auf welche der logische Hauptsatz nicht bloss, wie wir § 102 gesehen haben, in der Form des Hauptsatzes, sondern auch in der des Nebensatzes folgen kann; vgl. kaum war ich angekommen, als ich Befehl erhielt; franz. je n'eus pas mis pied à terre, que l'hôte vint me saluer. Einige andere Beispiele sind: franz. le dernier des Bourbons serait tué, que la France n'en aurait pas moins un roi (Mignet) = wenn auch der letzte der Bourbonen getötet wäre, würde Frankreich nichtsdestoweniger einen König haben; mhd. jane gêt er nie so balde, erne benahte in dem 299 walde = mag er auch noch so schnell gehen, die Nacht wird ihn im Walde überraschen.
§ 211. Die psychologische Gliederung durchbricht auch die Grenzen zwischen Haupt- und Nebensatz. Ein häufiger Fall ist, dass eine Partikel, die eigentlich dem Hauptsatze angehört, mit einer dazu in Beziehung stehenden den Nebensatz einleitenden Partikel zu einer Einheit verschmilzt und nun vom Sprachgefühl das Ganze als Einleitung des Nebensatzes aufgefasst wird. Vgl. sowie (got. swaswe, ahd. sôso), so dass, sobald als, auch wenn; lat. sicut, simulac, postquam, antequam, priusquam, etsi, etiamsi, tam(en)-etsi. Noch viel wichtiger ist es, dass gewisse Wörter, namentlich Pronomina oder Partikeln, die ursprünglich dem Hauptsatze angehören, zu Verbindungsgliedern zwischen diesem und einem psychologisch untergeordneten Satze werden, der bis dahin noch von keiner Partikel eingeleitet war, ja überhaupt noch gar kein grammatisches Zeichen der Abhängigkeit hatte. Diese Wörter pflegen dann als ein Teil des Nebensatzes angesehen zu werden. Auf diese Weise sind eine Menge den Nebensatz einleitende Konjunktionen entstanden, und dieser einfache Vorgang der Gliederungsverschiebung ist eines der wesentlichsten Mittel gewesen, eine grammatische Bezeichnung für die Abhängigkeit von Sätzen zu schaffen. Meistens waren die betreffenden Wörter ursprünglich hinweisend auf den folgenden logisch abhängigen Satz (vgl. § 100). Hierher gehört die wichtigste deutsche Partikel daz = engl. that, ursprünglich Nom. Akk. des Demonstrativpronomens. Ich sehe, dass er zufrieden ist ist hervorgegangen aus einem ich sehe das: er ist zufrieden; vgl. bei Otfrid Vuanta unser lib scal uuesan tház, uuir thíonost duen io thínaz. Nachdem die Hineinziehung in den Nebensatz und die dadurch bedingte Verwandlung in eine Konjunktion sich vollzogen hatte, konnte diese Konstruktion ebenso wie der Acc. c. Inf. (vgl. § 165) auch auf Fälle übertragen werden, für die ein Nom. oder Akk. des Pron. nicht passte, vgl. ich bin überzeugt (davon), dass du Schuld hast; er war (so) betroffen, dass er kein Wort erwidern konnte. Vielfach ist daz auch mit einer regierenden Präposition in den Nebensatz übergetreten. Vgl. mhd. durch daz er videlen kunde, weil er zu geigen verstand, eigentlich `deswegen: er konnte geigen'. Ebenso umbe daz, âne daz, für daz, ûf daz (selten), bedaz (während dem). Erhalten sind davon ohne dass und auf dass; ausser dass, während dass und anstatt dass müssen wohl als Analogieen nach jenen betrachtet werden, da die betreffenden Präpositionen nicht den Akk. regieren. Dagegen sind einige Präpositionen mit dem Dat. des Demonstrativpronomens erst im Nhd. durch Verschiebung zu Konjunktionen geworden: nachdem, seitdem, indem, währenddem. Vereinzelt erscheint so darum: darum ich es auch nicht länger vertragen, habe ich 300 ausgesandt (Lu., 1. Thess. 3, 5). Entsprechend verhält es sich mit engl. for that etc., ags. for þám, æ'r þám. Ferner gehört hierher sô im Ahd. und älteren Mhd. = so dass. So in Beteuerungen und Beschwörungen: so wahr mir Gott helfe, so wahr ich hier stehe, wofür man auch sagen kann so wahr wie ich hier stehe. So = wie sehr auch, wiewohl: so gutmütig er (auch) ist, das wird er nicht tun; vgl. mhd. sô vil ze Salerne von arzenîen meister ist, aber auch mit einem zweiten relativen sô: sô manec wert leben sô liebe frumt; vgl. dazu engl. Nature, as green as he looks, rests everywhere on dread foundations (Carlisle), eine Konstruktion, die in der älteren Sprache häufig ist, während die neuere meist nur das zweite relative as setzt; vgl. ferner afranz. si - com, nfranz. si - que. In den zuletzt besprochenen Fällen ist ausser dem so immer noch ein weiteres ihm eigentlich nicht angehöriges Element in den Nebensatz gerückt. Ebenso verhält es sich mit nhd. sobald (als, wie), so lange (als, wie), (in) sofern, (in) soweit. Mit Unrecht wird dies so vielfach als ein ursprüngliches Relativum aufgefasst. Auch Substantiva, teils mit, teils ohne Artikel, zum Teil in Abhängigkeit von einer Präposition sind in einen logisch untergeordneten Satz, der ihnen zur Erläuterung diente, (vgl. § 100) eingetreten. Vgl. mhd. die wîle ich weiz drî hove, nhd. dieweil, alldieweil, derweil, weil = engl. (the) while; nhd. falls, im Falle, sintemal = sint dem mâle; seit der Zeit er auferstanden ist (Lu.); engl. on (upon) condition, in case (beide auch mit nachfolgendem that), because.
§ 212. Auf einem ähnlichen Vorgange beruht im Deutschen mindestens zum Teil der Übergang des Demonstrativums in das Relativum. Ein solcher Übergang erfolgt auf Grund der oben § 97 besprochenen Art des apò koinoû. Das gemeinsame Glied kann durch das Demonstrativpronomen der oder durch ein demonstratives Adv. gebildet werden, vgl. thô liefun sâr thie nan minnotun meist (Otfrid); thâr ther sîn friunt uuas iu êr lag fiardon dag bigrabanêr (wo der, welcher früher sein Freund gewesen war, den vierten Tag begraben lag, ib.); ni mag diufal ingegin sîn thâr ir ginennet namon mîn (nicht kann der Teufel widerstehen da, wo ihr meinen Namen nennt, ib.); thu giangi thara thu uuoltos (du gingst dahin, wohin du wolltest, ib.); der mich liebt und kennt ist in der Weite (Goe.).Auf ähnliche Weise ist im Arabischen das Relativpron. aus dem Demonstrativum entstanden, vgl. Reckendorf S. 186. Wir würden hier von unserem Sprachgefühle aus das Pron. oder Adv. als relativ und zum Nebensatze gehörig auffassen, und diese Auffassung hat sich auch dadurch bekundet, dass sich an Stelle des alten Demonstrativums das andere, mit dem Fragewort übereinstimmende Relativum eingedrängt 301 hat, welches jetzt in allgemeinen Sätzen allein noch üblich ist: wer wagt, gewinnt; wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Dass aber das Pron. (und demnach auch das Adv.) ursprünglich gleichmässig zum Haupt- und Nebensatze gehörte, ergibt sich aus folgenden Gründen. Erstens: das Pron. kann mit einem Subst. verbunden auftreten, welches notwendig auch dem Hauptsatz angehören muss: in droume sie in zelitun then uueg sie faran scoltun (im Traume gaben sie ihnen den Weg an, den sie fahren sollten, Otfrid), der möhte mich ergetzen niht des mæres mir iuwer munt vergiht (der möchte mir keinen Trost verschaffen für die Nachricht, die mir Euer Mund verkündet, Wolfram); er sâr in thô gisagêta thia sâlida in thô gaganta (Otfrid); diu sich gelîchen kunde der grôzen sûl dâ zwischen stuont (Wolfram). Zweitens: der Kasus des Pronomens richtet sich im Ahd. und Mhd., auch noch im älteren Nhd. gewöhnlich nach dem Hauptsatz, wenn dieser einen Gen. oder Dat., dagegen der Nebensatz einen Nom. oder Akk. verlangt: uuê demo in vinstrî scal sîno virinâ stûen (wehe dem, der in Finsterniss seine Verbrechen büssen soll, Muspilli); ouwê des dâ nâch geschiht (Wolfram); mit all dem ich kan vnd vermag (Hans Sachs). Drittens: das Pron. kann von einer Präp. abhängen und diese muss gleichfalls mit zum Haupt- und Nebensatz gezogen werden: waz ich boeser handelunge erliten hân von den ichs wol erlâzen möhte sîn (von denjenigen, von welchen ich wohl damit hätte verschont bleiben können, Minnesinger). Viertens: ein Fall, der hiervon zu unterscheiden ist, aber gleichwohl beweisend dafür, dass das Pron. ursprünglich auch dem Hauptsatze angehört, ist der, dass dasselbe von einer Präp. abhängig ist, die nur dem Hauptsatze angehört, vgl. waz sol trûren für daz nieman kan erwenden (Minnesinger); daz ich singe ouwê von der ich iemer dienen sol (Heinr. v. Morungen); auch so, dass der Kasus nur den Forderungen des Hauptsatzes entspricht: der suerit bi demo temple, suerit in demo dâr inne artôt (schwört bei dem, der darin wohnt, Fragmenta theotisca); den vater êrit dâ zi himili der sun mid den er hât hî in erdi giwunnun (Summa theologiae). Wird der Nebensatz vorangestellt, dann kann das gemeinsame Glied noch einmal durch ein Pron. oder Adv. aufgenommen werden, vgl. ther man thaz giagaleizit thaz sih kuning heizit ther uuidarôt in alauuâr themo keisore sâr (der Mann, welcher es unternimmt sich König zu nennen, der widersetzt sich fürwahr dem Kaiser, Otfrid); daz erbe ûch ûwere vorderen an brâchten unt mit herscilte ervâchten, welt ir dâ von entrinnen (Rolandslied); den schaden he uns to donde plecht, dar vor kricht he nun sin recht (Reineke vos).
Für solche Fälle wie die angeführten ist es aus den oben angegebenen Gründen klar, dass das voranstehende Glied wirklich als 302 ursprünglich gemeinschaftlich aufgefasst werden muss, und dass die Wiederaufnahme desselben ursprünglich auf gleicher Linie steht mit solchen Fällen, wie den schaz den hiez er füeren; beide schouwen unde grüezen swaz ich mich dâran versûmet hân (Walther). Es steht daher auch nichts im Wege anzunehmen, dass Sätze wie ther brût habêt, ther scal ther brûtigomo sîn (Otfrid) auf die nämliche Art entstanden sind. Doch soll damit nicht gesagt sein, dass nicht auch Relativsätze auf Grund einer anfänglichen Doppelsetzung des Demonstrativums entstanden sind.
§ 213. Haupt- und Nebensatz können sich auch derartig in einander schlingen, dass eine Sonderung der Elemente des einen von denen des andern nicht mehr möglich ist, was sich dann auch in der Wortstellung zeigt. Nicht selten wird in vielen Sprachen der Hauptsatz logisch so untergeordnet, dass man ihn als Bindeglied fassen kann, und schiebt sich dann in den Nebensatz ein. Der voranstehende Teil desselben bildet dann das psychologische Subjekt oder Prädikat. Der Fall ist daher besonders häufig in Frage- und in Relativsätzen. Vgl. it. mio padre e mio fratello dimmi ove sono; lat. tu nos fac ames (Cic.); verbum cave faxis (Plaut.); matrem jubeo requiras (Ov.); ducas volo hodie uxorem (Ter.); quid vis curem? (Plaut.); quid tibi vis dicam? (id.); engl. something, that I believe will make you smile (Goldsmith); whereof I gave thee charge thou shouldst not eat (Milton); whose fellowship therefore unmeet for thee good reason was thou freely shouldst dislike (Milton). Mhd. zuo Amelolt und Nêren nu hoeret wie er sprach (Alphart); die enweiz ich war ich tuo; nhd. eine Sammlung, an deren Existenz ich nicht sehe warum Nik. Antonio zweifeln wollen (Le.). Engl. but with me I see not who partakes; which we would know whence learned (Milton). Nhd. auf diese veralteten Wörter haben wir geglaubt, dass wir unser Augenmerk vornehmlich richten müssten; mhd. tiefe mantel wît sach man daz si truogen; zuo sînem brûtloufte bat er daz si quæmen; it. questi mercati giudico io che fossero la cagione (Macchiavelli); span. los forzados del rey quiere que le dexemos (Cervantes); prov. cosselh m'es ops qu'ieu en prenda (es ist nötig, dass ich einen Entschluss in bezug darauf fasse); lat. hanc domum jam multos annos est quom possideo (Plaut.); mhd. swie si wil, sô wil ich daz mîn fröude stê; it. solo Tancredi avvien che lei connosca (Tasso); nhd. er hat alles, was man will dass ein Mann haben soll; mhd. daz ich ie wânde daz iht wære; franz. voilà des raisons qu'il a cru que j'approuverais; it. le opere che pajono che abbino in se qualche virtù (Macchiavelli); nhd. was wollen sie denn, dass aus mir werde? (Le.); wie wollt ihr, dass das geschehe? woher befehlt ihr denn dass er das Geld nehmen soll? womit wollt ihr dass ich mich beschäftige? die Mischung, mit welcher ich glaube, dass die Moral in 303 heftigen Situationen gesprochen sein will (Le.). Dabei entsteht in manchen Fällen eine Unsicherheit darüber, ob der voranstehende Satzteil noch von dem Verbum des grammatischen Nebensatzes oder vielmehr von dem des grammatischen Hauptsatzes abhängig zu machen ist. Wir helfen uns jetzt vielfach durch eine Doppelsetzung desselben mit verschiedener Konstruktion, wodurch das Ineinandergreifen von Haupt- und Nebensatz vermieden wird: wovon er wusste, dass er es nie erlangen würde.