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Am Sonntag begleitete Fräulein von Romanil ihre Mutter in die Messe von elf Uhr. Obgleich Ramman diese Gelegenheit, Emezinde zu sehen, nicht versäumte, war der Tag eine Pein. Er mußte vermeiden, daß man ihn bemerkte. Seine Neigung, Emezinde verzückt zu betrachten, bedeutete eine Gefahr unter den Augen der Kleinstädter, die zugleich argwöhnisch, böswillig und erfahren sind.
An diesem Tage der verliebten Freude speiste Emezinde bei Fräulein von Pierrefeu und verbrachte dort den Nachmittag. Die drückende Wärme erlaubte eine für Ramman günstige Toilette. Das höhere Leben erreichte bei ihm einen hohen Grad, er betete, er dachte, er arbeitete, aber besondere Freude hatte er am geistigen Körper als dem schönsten Feste der Natur und Kunst. Und der Gedanke, daß sich diese Opalhaut seinen Augen durch eine freiwillige Gnade bot, vollendete seine Freude.
An diesem Morgen trug die Erde keinen Sterblichen, der glücklicher gewesen wäre. Wie oft, am Anfang der Messe, bevor sein Gedanke im Nacken Emezindes nistete oder sich an ihr reines Profil hing, hatte er, mit dem Offizianten, nicht Gott gedankt, der seine Jugend erfreute? Als das junge Mädchen langsam und zufrieden unter seinem Blick heimkehrte, folgte er ihr, durch den geschmeidigen und stolzen Rhythmus ihrer schönen Beine gebannt, und murmelte ein Gloria in excelsis.
Für den Teil der Menschheit, der weder katholisch noch heidnisch ist, das heißt, der nichts begreift weder im Himmel noch auf Erden, erscheint diese Durchdringung von Religion und Liebe abscheulich. In der Provence, wo diese große Tatsache die Form einer Lehre annahm, und bei einem Künstler, zeigte sie sich natürlich und harmonisch.
Emezinde, nach ihrer Gewohnheit ganz in Weiß, trug eine Art Bolero mit sehr kurzen Ärmeln, die lange Handschuhe erreichten. Ein großer Gazeschleier umschloß Kopf und Hals. Ihr Kleid hatte schlichte Falten und fiel glatt, ohne Gürtel.
– Sie werden wohl nur mit den Augen essen, Ramman, und ich habe beim Menü besonders an Emezinde gedacht, erklärte Adelaïde.
– Wenn Sie mir sagten, daß die Engel sie mit Sternenstaub nährten, würde ich es glauben, antwortete er.
Das junge Mädchen trat in lebhafter Stimmung ein.
– Ah, ein Sonntag ohne Langeweile, das ist selten! Adelaïde, laß mich meinen Schleier abnehmen, damit ich dich nach meinem Gefallen küssen kann.
Sie entfaltete den langen Shawl, warf ihn Ramman zu, faßte ihre Cousine bei den Schultern und erstickte sie mit lauten Küssen. Dann sprach sie:
– Sieh den Kopf des Hundes! Er hat eine solche Art zu nehmen, daß man ihm nichts zu geben braucht. Wie du bemerkst, reiche ich ihm nicht einmal die Hand; ich will, daß er speist, statt sich zu berauschen. Wer würde uns begreifen?
– Meine lieben Kinder, achtet auf eure Haltung, dämpft eure Blicke. Virginia ist zwar ganz zuverlässig, aber etwas beschränkt: man darf sie nicht empören.
Sie fügte hinzu:
– Ich möchte, daß man den Geist etwas zu Worte kommen läßt: dann werde ich auch meinen Anteil haben. Laß deinen Hund einige Kunststücke seiner Art machen, statt daß du ihn zwingst, die Zunge hängen zu lassen. Ernst gesprochen, du kennst ihn nicht. Ich habe seinen Geist mehr genossen als du.
– Ich mache dieses liebe Tier dumm! Glaube mir, das geschieht zu seinem eigenen Vergnügen.
Sie setzten sich zu Tisch.
– Die gute Fee, sagte Ramman, ahnt wirklich nicht die Gefahr, die sie wünscht! Wenn sich dem magnetischen Band eine geistige Gemeinschaft fügt, wenn die Gedanken die Wirkung der Fluiden verdoppeln, und wenn ich denke, daß die Seele ebenso schön ist wie die Form …
– Adelaïde, erlaubst du uns, zu essen, wie die Kinder, die wissen, daß die Frucht den Zahn liebt und nicht das Messer der Schicklichkeit?
Sie ließ, als ob sie eine Flöte versuchte, die rote Scheibe einer Melone über die Lippen laufen und legte sie auf den Teller des jungen Mannes, der einen Ausruf der Dankbarkeit ausstieß.
– Warum legst du nicht deine Handschuhe ab?
Sie hatte nur die Hände entblößt.
– Des Hundes wegen! Wenn du den Geist sprechen lassen willst, muß man ihn antreiben.
Sie biß in eine neue Scheibe.
– Ich bin eine Anbeißerin, aber der Hund spürt keinen Widerwillen, die Bisse zu beenden.
Sie lachte.
– Adelaïde, du hast das süßeste Herz dieser Welt. Ich liebe dich.
Sie sandte ihr einen Kuß.
– Wie gut das Leben zuweilen sein kann, wenn man ganz kindlich ist!
Sie knabberte Radieschen.
– Wenn ich ihn die Stiele essen ließe? Denn ich habe sie berührt und das genügt. Geheimnis unserer Seele! An was erfreuen wir uns? Diese Brotkrume habe ich nicht einmal an meine Lippen geführt, ich habe sie mit meinen Fingern gerollt. Sie ist nichts wert, für niemand, nicht einmal für einen Armen, denn sie bildet keinen Bissen. Giebt es etwas weniger Kostbares, weniger Seltenes als dieses Kügelchen? Niemand, auf der ganzen Erde keiner, möchte es; und seit ich es knete, bedeutet es das Ideal. Jemand wünscht es so lebhaft, daß er es von der Erde aufheben würde; auch wenn ich es gäbe, würde das eine Tat sein, und ich werde es nicht geben … Ich genieße es, grausam zu sein mit so wenig. Wenn ich dieses Verlangen entwickelte, wenn ich sagte, daß ich diese Krume weigerte, ließe ich einen Menschen seufzen, der stolz von Natur ist, keinen Fehler besitzt, eine geistige Kraft bedeutet.
– Wirklich, wenn man es bedenkt, es ist unerhört! sprach Adelaïde.
– Wenn Sie mir dies Geheimnis erklären, werde ich Ihnen das Kügelchen geben, Ram!
Er antwortete:
– Das ist das Gesetz des Symbols. Die Wirklichkeit einer Sache hört auf, sobald sie in die Idealität übergeht. Wir leben von Wirklichkeit, aber wir erfreuen uns nur an Idealitäten. Dieses Kügelchen ist weniger als nichts; unter den Fingern aller Menschen würde es schmutzig, widerlich sein: Ihre Finger imprägnieren, magnetisieren es und verleihen ihm eine Tugend, eben diese, die mein Gedanke Ihrer Person erteilt. Wenn ich dieser Person einen übernatürlichen und beinahe göttlichen Charakter verleihe, wird dieses Teilchen Zärtlichkeit enthalten. Diese Krume hat nur die Spitze der Finger berührt; wenn sie aus Ihrem geliebten Munde käme, würde sie einen indirekten, aber köstlichen wollüstigen Kuß bedeuten.
– Er gäbe alle Gerichte hin, wenn er sein Brot über meinen Arm streifen dürfte.
– Gewiß, und besonders wenn es sehr warm wäre!
Ramman fuhr mit ruhigem Eifer fort:
– Ich glaubte, künftig für meine Erziehung das Schauspiel des berauschten Verliebten entbehren zu können! Wenn man mir erzählte, was ich sehe, würde ich es nicht glauben. Diese Unersättlichkeit, die manche krankhaft nennen möchten, hat etwas Ungesundes und Erregendes.
– Ungesundes? protestierte Emezinde, nahm von ihrem Munde das Ei, das sie begonnen hatte auszuschlürfen, und bot es mit dem natürlichsten Gesicht von der Welt dem jungen Manne.
– Eine Schablone, durch die mittleren Seelen ausgearbeitet, verkennt die düstere Majestät der Liebesdinge. Das Wesen der Idealisierung ist, was die Deutschen die Umwertung der Werte nennen. Das Brotkügelchen war ein Beispiel. Ein Ei, so frisch es sein mag, ist nur ein Ei; wenn ich aber glaube, daß die einzige Frau in der Welt etwas von ihrem Speichel darauf vergossen hat, so nimmt mein Herz es auf und nährt sich davon. Was unter Ihren Augen vorgeht, Patin, diese Torheiten würden Sie gütig finden, wenn die Erregung fehlte, welche sie erklärt.
– Schließlich ist es etwas niedrig Sinnliches, meinte Adelaïde.
– Ein zweiter Irrtum, Patin! Als Liebende, weiser als die Vorbilder, als gewissenhafte Gläubige, rühren wir nicht an den verbotenen Baum: wir begnügen uns mit den Grashalmen, die in seinem Schatten sprießen.
– »Wir« ist etwas kühn, protestierte Emezinde.
– Kann ich Sie beleidigen, indem ich Ihnen die Lust zu geben verleihe? Sie sind die Reinheit selbst und willfahren meiner Schwäche. Wenn ich ein Hund wäre, würde ich Sie lecken. Ich bin ein Mensch und ich suche Ihre Spur auf den Dingen, weil der Mensch alles dem Ideal unterordnet, und weil Ihr Ideal nichts Anderes erlaubt.
– Ah, niemals war seine Pfote indiskret; ich würde neben diesem Hunde schlafen, ohne den Schatten einer Sorge zu haben.
– Und es wäre nicht mein Verdienst. Ich liebte Sie schlecht, wenn ich nicht Ihre Auffassung angenommen hätte: dieses Vertrauen sichert mir soviel Gunst! Übrigens, Ihre Gegenwart genügt, mich in einen solchen Zustand der Befriedigung zu bringen, daß sie meine Begierde beruhigt. Der Beichtvater, der nach dem allgemeinen Beispiel urteilt, wird niemals begreifen, daß zwei junge Menschen zusammen bleiben, ohne die festgesetzten Grenzen zu überschreiten.
– Er wird recht haben, sagte Adelaïde. Ihr habt etwas ersonnen, von dem man keinen Begriff hat; ihr seid wunderbar geschickt, ihr würdet die Engel täuschen. Und Sie, mein Freund, abgesehen davon, daß Sie ernster in der Liebe sind, als man im Gebet ist, Sie machen einen Pilger mit seltsamen Muscheln.
Emezinde reichte Ramman einen Spargel, den sie abgebissen hatte, und führte einen andern über ihre Lippen zum selben Zweck.
– Meine anmutige Cousine, bei jedem Diner bin ich in Gefahr, und Gott weiß, ob ich ein adeliges Fräulein bin, wenn ich fühle, wie ein dummer und schwerer Stiefel meinen Fuß sucht, wie ein Arm nach meinem Ellbogen tastet. Es ist mehr oder weniger diskret, aber der schamlose Mensch, der Herr Jedermann ist, durch keine Leidenschaft entschuldigt, bemüht sich, seine schreckliche Berührung aufzudrängen. Oh, ich bin furchtbar in diesen Fällen, ich zerbreche einen Teller … Es ist vorgekommen, daß ich mich ganz gerade erhob und mich nicht eher wieder setzte, als bis ich alle zu Zeugen genommen hatte. Davon spricht man, das weiß man.
– Sie sind ein Engel! rief Ramman.
– Der Engel mit den Spargeln, sagte Adelaïde.
– Ja, es ist engelhaft, daran zu denken, daß ich unter einer Beschwörung leiden kann, und mir zu versichern, daß sie nichts ertragen würde. Was sie mir giebt, erhält seinen Preis durch alle ihre Weigerungen; diese Sorge um meine mögliche Pein ist ein Zug, der mich auf tausend Jahre rührt.
Mit klingendem Lachen gestand das junge Mädchen:
– Willst du, daß man ein saures Gesicht zu einem solchen Wesen macht, das an unserm Herzen hängt, das auf dessen Schlag späht, das bei der geringsten Aufmerksamkeit vergeht? Du kannst dir nicht vorstellen, wie rührend er ist, wenn er die Reiche der Erde in einem Blick sieht. In der besten Gesellschaft ist die Jungfrau durch irgend jemand indirekten Berührungen ausgesetzt. Er dagegen, trotzdem wir miteinander vertraut sind, wird mein Kleid nicht streifen: dieser Hund stiehlt niemals, ich muß ihm also geben.
Sie legte ihm die Fläche ihrer Hand auf die Lippen.
Die Überraschung dieser spontanen Liebkosung machte den Liebenden erbleichen: er stützte sich mit dem Ellbogen auf, die Augen senkend, plötzlich andächtig.
– Wenn er litte, würde er anders sein? fragte Adelaïde träumerisch.
– Er leidet! zweifle nicht daran. Bei der geringsten Liebkosung fließt dieses volle Herz über und bespritzt mich mit unsichtbarem Blut. Wir sind wohl die Kinder eines Gottes, der gelitten hat und der gestorben ist. Seit dieser Mann mir seinen Blick der Schändung zugeworfen hat, um wie die Patres zu sprechen, bin ich besser, bete ich besser, denn ich kann Gnade verleihen.
Bei diesen Worten küßte er das Tischtuch neben Emezinde und machte das Zeichen des Kreuzes.
– Ihr verwirrt mich, meine schönen Kinder! Ich betrachte euch, als kämet ihr vom Planeten Uranus. Die Priester an meinem Tische sprechen das Benedicite und das Gratias, aber noch niemals hat man sich während der Mahlzeit bekreuzt noch das Tischtuch geküßt.
– Weil niemals ein so heiliges Wort von einer Frau zu einem Manne gesprochen wurde; weil diese Frau und dieser Mann Gewissensqual empfinden, und weil sie sich bemühen, das Heil und ihre Leidenschaft zu versöhnen. Welchen unschätzbaren Frieden ziehe ich aus diesem Worte: »Ich bete besser!«
– Zugegeben, aber das Tischtuch küssen!
– Sollte ich ihr Kleid küssen? Ich würde es nicht wagen …
– Aber die Hand … Sie hätte nichts Besseres verlangt …
– Patin, wenn ich mir etwas nehme, bin ich nicht mehr der bescheidene Arme; und ich ziehe ihre Barmherzigkeit vor. Sie wird mich nicht leiden lassen.
– Essen Sie also diesen Hühnchenflügel, großer Seufzender, wenn ich ihn auch nicht gewürzt habe: ich werde Ihnen von meinem Brot geben.
– Angebissen?
– Da hörst du den Fetischisten! Adelaïde, meine gute Cousine, ich liebe dich tief, ja, ich verehre dich. Oh, wie ist mir das Herz weit, wie ist das Leben schön! …
Sie drückte Küsse auf die Brotstückchen und reichte sie den geliebten Lippen mit ernster Aufmerksamkeit.
– Mit den Indiern könnte man sagen: »Mögen alle glücklich sein!« sprach Ramman.
Das Dessert war auf dem Tische.
– Ah, was soll ich von all dem essen? … Warum lachst du, Adelaïde?
– Ich beginne mich mit deinen Unarten vertraut zu machen: du fragst dich, was du ihn essen lassen sollst, und wie …
– Schelte nicht, ich bin gerührt. Virginia hat keine meiner Unarten gesehen.
– Sie wird nicht mehr kommen, du kannst deine Handschuhe ablegen.
– Du erlaubst mir meinen Hund von der Crème essen zu lassen?
– Und aus deinem Teller, wenn du willst.
– Nicht aus meinem Teller.
Ihre runden Arme verließen ihre Hülle, von Licht funkelnd.
– Außerordentlich ist die Schönheit deiner Haut! sagte Adelaïde.
Das junge Mädchen tat einen Teelöffel voll Crème auf die Ader ihres Armes und reichte ihn Ramman, der ihn aufleckte.
Ein Teilchen blieb auf der schönen Haut zurück.
– Das kann ich nicht nehmen, ohne es auf einen Kuß ankommen zu lassen, gestand der Verliebte.
Emezinde nahm mit einem Blick ihre Cousine zur Zeugin.
– Begreifst du, wie sehr er entwaffnet! Diese Beherrschung in der Wollust! Meine Sorge nimmt er mir ab und nimmt sie auf sich: zum Dank dafür muß ich an sein Vergnügen denken.
Und sie zerdrückte ihm auf dem Mund eine große Erdbeere, die sie angebissen hatte, und ließ ihn aus Laune den Stiel essen.
Im kleinen Salon streichelte Emezinde ihre Cousine, die sagte:
– Du strahlst heute …
– Dieses Strahlen kommt von oben: ich habe heute das Abendmahl genommen.
Sie fühlte den plötzlichen Tadel ihrer Freundin: nach dem Gefühl Adelaïdes paßte dieses Abendmahl nicht zu diesem Essen.
– Man fragt das göttliche Orakel, wie man kann. Seit den schwärmenden Worten jener Nacht am Calvaire des Doms, als ich fühlte, mit welcher Kraft ich zu ihm hingezogen wurde, kämpfte ich mit mir, ohne zu einem Urteil zu gelangen. Bevor es zu spät wurde …
Sie wandte sich an Ramman und sprach mit zärtlicher Anmut:
– Es war später, als ich dachte … Ich ging in die Kirche Saint-Didier, wo ich nicht bekannt bin, mein Haar verschleiert, im Staubmantel, so wenig schön und Fräulein wie möglich. Ein Priester wollte sein Meßgewand ausziehen; ich bat ihn, mir die Beichte abzunehmen; er wies auf eine Kapelle und folgte mir.
– Was hat er Ihnen gesagt? Gemeinplätze, nicht wahr, meinte Ramman.
Adelaïde ging hoch.
– Sie sind unerträglich mit Ihrem unbedachten Tadel. Der Beichtstuhl hat die Seele, die Sie lieben, geformt, er hat sie köstlich gemacht, er hat sie rein erhalten.
– Dieser zufällige Priester war intelligent. Da man in der Liebe nicht beichtet, ohne dem Andern die Beichte abzunehmen, hat er Sie nicht begreifen können. Ram! Sie sind nur ein Heuchler oder ein Verrückter. Alle Hunde werden, nach ihm, schließlich toll und beißen. Sie flößen ihm viel Mitleid ein; in seiner Art hat er, mit andern Ausdrücken, die »fera cruda« wiederholt. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hat er mir erklärt, daß er Medizin studiert habe: ich würde Sie verrückt oder krank machen, wenn Sie mich nicht bissen. Er kennt Ihre Art nicht und glaubt nicht an deren Dasein. Ich lächelte, und ich hatte Unrecht, denn sein Eifer wurde hartnäckig. Der Beichtvater ist der Mensch, der sich am meisten langweilt in dieser Welt; oder, wenn Sie das vorziehen, der Beichtstuhl ist für den Priester das vorweggenommene Fegefeuer. Wenn eine interessante Seele an seinem Gitter erscheint, gleicht er einem Kunsthändler, der das Bild eines Meisters zwischen sechsunddreißig geborstenen Wandschirmen entdeckt. Ich habe ein erstaunliches Gedächtnis und ich habe genug von dem casuistischen Essen behalten, um einen Beichtvater zu verblüffen. Aber ich suchte die Absolution, keine Zerstreuung. Nun, er behauptete, ich sei auf einem verhängnisvollen Wege; ich werde früher oder später fallen; übrigens, wenn Ihre Blicke so wären, sei nicht mehr zu zaudern. Ich, ich dachte an meine Knie, die rot sein würden, und das verdroß mich, wenn Sie die auch nicht sehen sollten. Er wollte, mein armer Hund, daß ich dich fortjage. Ich habe die Beichte abgekürzt. »Mein Vater, ich habe mich niemals verteidigen brauchen, selbst nicht vor einem Kuß.« – »Dann schwören Sie, schwören Sie, daß Sie ihn zurückstoßen, wenn er Sie zu berühren wagt.« Ich habe geschworen, mit einem innern Lächeln, einem tiefen Lächeln! Eben hast du gesehen, Adelaïde, wie er nicht wagte, das Tröpfchen Crème auf meinem Arme zu nehmen, weil er fühlte, daß sein Mund ihm nicht gehorchen würde. Die Übereinstimmung hat mich getroffen. Meine Beichte war wenig erbauend. Zuweilen fühlt man die Seele gewaschen und erfrischt. An diesem Morgen war die Buße nur die Pforte zum Abendmahl. Das war schön, inbrünstig, süß.
Sie wandte sich an Ramman:
– Ich nahm das Abendmahl einzig und allein für Sie.
Das war so zärtlich und so rein, daß Adelaïde die Tränen in die Augen traten.
Ramman ergriff die Hand der Jungfrau, ließ sie aber aus Furcht wieder los.
Adelaïde konnte ein plötzliches Lächeln nicht beherrschen.
– Ach, der Unglückliche, er verliert sich!
Er blieb ängstlich, mit sich selbst unzufrieden.
Ernst überlegte Emezinde.
– Eine so reine Regung, ganz seelisch, ganz andächtig, werde ich dir nicht vorwerfen, aber sie bestätigt, daß wir auf dem rechten Wege sind, der schmaler ist, als man glauben würde. Wir können nur glücklich sein, wenn du der demütigste Hund bleibst …
– Dies wird also der Tag meines größten Erstaunens sein, sagte Adelaïde. Du speisest mit deinem Liebhaber, nachdem du das Abendmahl genommen hast, und du erschrickst, weil er deine Hand ergreift.
– Indem du die Tatsachen vereinigst, betonst du, daß sie mit einander in Beziehung stehen: ich habe eine Bedingung des Priesters angenommen. Es zeigte sich, daß ich sie schon erwogen hatte, und daß dies nichts in meiner Führung änderte, denn ich bin gewissenhaft …
– Das gebe ich zu, aber wenn ein Mensch unsere Hand ergreift, unter dem Drang einer reinen Regung, scheint mir es weiser, reiner, echter, ihm diese Hand zu überlassen, als ihm Brot vorzukauen und ihn Crème vom nackten Arm lecken zu lassen.
– Antworten Sie selbst ihr: das wird eine Art sein, Ihren Fehler wieder gut zu machen.
Er gehorchte.
– Emezinde ist rein, sie hat keinen andern Eindruck erlebt als den, schön zu sein; und, seit meinem Erscheinen, den, geliebt zu werden. Bei ihr ist dieser Eindruck ideal; sie nennt mich Hund, weil ich sie nicht sehen kann, ohne einen Rausch zu empfinden, der mir die Vernunft nimmt. Durch einen Engel bezaubert, bin ich nur noch bezaubert, und zwar durch die Schönheit dieses Engels ebenso sehr wie durch seine Natur. Er kann seine Flügel nicht öffnen und sie über mich wieder schließen; er würde sündigen, er würde seinen Wert verlieren; aber er erlaubt mir, seine Federn zu bewundern, er zeigt sie mir, er entfaltet sie vor meinen Augen: er tut es in heiliger Weise, obgleich er weiß, daß ich mich in menschlicher freue. Oft streift er mich und er sieht mich trunken werden mit göttlichem Mitleid für meine Schwäche. Er, der keinem andern Taumel als dem seiner Güte unterliegt, der nur dem Gedanken, Glück zu geben, folgt, bleibt klar, mäßig, kurz Engel.
– Einen Kuß auf die Hand! Ja sogar einen Kuß auf die Wange! rief Fräulein von Pierrefeu gutmütig.
Ramman protestierte:
– Ah, Patin, Sie wissen nicht, was das zwischen uns bedeuten würde! Bei der Rührung, die mir unaufhörlich Tränen in die Augen steigen läßt, würde eine Berührung einen höllischen Funken überschlagen lassen … Ein Kuß zwischen uns, das ist das Feuer unter einem Pulverfaß, und was springen würde, wäre unsere Idealität selbst, die für immer verginge. Emezinde müßte sich an den Altar flüchten; mich quälte das Gewissen, eine Jungfrau getroffen und zur Frau gemacht zu haben, ohne ihr Gatte geworden zu sein. Ich darf den Engel nicht berühren, weil meine Hand zittert, und weil sie unrein ist; aber er berührt mich, weil sie rein und weil sie gut ist; es ist sowohl nötig, daß ihre Tugend lebt, wie daß ich nicht sterbe.
– Ah, ich erstaune nicht, daß die Priester sich vergeblich bemühen, Sie zu begreifen: Sie verlassen die Menschheit durch eine unbekannte Tür …
Emezinde sprach mit Überzeugung:
– Wenn man solchen Spannungen ausgeliefert ist, wird es eine Qual, der Geliebten korrekt gegenüber zu sitzen. Wenn sie dann ihre Arme zeigt, belohnt sie gerecht diesen unbesiegbaren Respekt.
– Patin unserer Liebe, es ist nötig, daß Sie das Geheimnis begreifen. Der Beichtvater dieses Morgens hatte recht: die Hunde beißen schließlich ihren Herrn, den einzigen Fall ausgenommen, wenn sie ihn verehren. Die Liebe hat zwei Reinheiten: ihre Schwäche, welche die Versuchung mindert, und ihre Kraft, wenn die Versuchung durch sich selbst eine Befriedigung ist. Im Gedanken dieses Priesters nimmt man die Hand und der ganze Körper liegt darin. Er vermutet, daß die Begierde einer Tonleiter folgt; er glaubt auch, daß die Wollust lokalisiert ist. Nein, jeder Eindruck, den ich von Emezinde habe, ist vollkommen in sich. Wenn ich ihre Arme sehe, denke ich an keinen andern Reiz: ich bin von diesem ganz eingenommen. Ich gehe noch weiter, das heißt, höher. Jahre werden verstreichen, bevor ich begreife, was der Priester sofort ins Auge faßt. Für mich ist sie ganz, völlig ganz, in jedem ihrer Teile. In diesem Augenblick ist sie nur Arm! Was sie mir zeigt, verbirgt das Übrige. Denn sie ist schön, in einem Grade, der ans Fabelhafte grenzt, wie Helena oder Kleopatra, von einer mythischen, triumphierenden Schönheit. Die Linien selbst lassen einer geistigen Färbung den Vorrang. Ihre Haut ist ein Wunder. Das ist der Grund, warum dieser kleine Teil des Körpers eine so lebhafte Wollust auslöst. Von ihr zu mir läuft ein Nervenband, so stark, daß der eine den andern nicht leiden lassen könnte, ohne dieses Leiden mitzuempfinden. Ebenso steht es mit dem Genießen. Wenn etwas sie in Gefahr bringen sollte, wäre es das Mitleid, genauer diese leidenschaftliche Gemeinschaft. Wenn sie die Augenbraue runzelt, springt mir das Herz in der Brust, sogar bevor ich weiß, was sie denkt. Der eine wird erhoben und der andere verworfen: der Erhobene würde den Himmel ablehnen und die Hölle verlangen.
– Oh, ich werde meinen Hund nicht lassen! Den Hund, den ich in der Kirche fand, den Hund, der jeden Tag mit mir beten kommt, den Hund, den ich in Gedanken heute Morgen vom Beichtstuhl zum Abendmahl führte, den ich ins ewige Leben führen werde, denn ich werde für das Heil meines Hundes sorgen!
Und sie streckte die Arme aus, rang behutsam die Hände und sagte leise Adelaïde ins Ohr:
– Wenn er geht, was wird aus mir werden?
Ramman vermutete, die beiden Cousinen wollten einige Worte wechseln, und ging hinaus.
– Kannst du dich auch so beherrschen, wie du sagst?
– Er hat es dir selbst erklärt: ich bin meiner sicher, falls er nicht mein Mitleid erschüttert … Wenn ihm die Tränen in die Augen steigen, drängt das Herz mir aus der Brust … Ach, daß er meinen Körper sieht, das verwirrt mich nicht: ich würde nackt vor ihm schlafen; aber die Rührung löst meinen Willen, wie die Säure eine Perle. Seine Zärtlichkeit wirkt auf mich, wie meine Schönheit auf ihn wirkt.
– Meine vollkommene Schöne, die Zukunft erschreckt mich: wohin gehst du?
– Diese Nacht habe ich versucht, in Gedanken zurückzugehen; ich habe es vor ihm nicht gesagt. Das wäre das Geständnis einer zu großen Schwäche gewesen. Ich habe die Jungfrau Maria gebeten, mir zu helfen, mir das Herz kalt zu machen. Niemals ist es wärmer gewesen. Ach, wie die Liebe uns vergrößert, wie ich Jesus geliebt habe, als ich ihn empfing, wie ich ihn verehrt, wie ich ihn gefühlt habe! Eine Frau, die liebt, fühlt den Segen: sie hält ihn für ihr Kind, das heißt, für ihre Liebe. Wenn du wüßtest, wie toll meine Lust ist, ihn in meine Arme zu nehmen und ihn zu umschlingen und lange auf seinem geliebten Antlitz zu weinen … Da ist er!
Er kauerte sich vor den beiden Frauen nieder.
– Patin, Sie bringen Emezindes Güte nicht gegen mich auf! Deren Barmherzigkeit nimmt die Form meines Bedürfnisses an. In das Haus, das von Ihrer Tugend erfüllt ist, habe ich keinen Schmutz getragen. So sündig ich erscheine, ich bin in diesem Augenblick einem Gebet ebenso nahe wie einer Sinnlichkeit. Von allen Gnadengaben, welche dieses göttliche Wesen mir gewährt hat, ist die unvergleichliche dieses Abendmahl von heute. Heilige Emezinde! Heilige Adelaïde!
– Meine Kinder, ihr seid sehr lieb, aber ihr macht mich irre. Ihr mengt Himmel und Erde, und Emezinde ist heilig, weil sie Ihnen ihre Arme zeigt, und ich bin auch heilig! Wenn die Katze nicht aufs Dach käme, würde sie wenigstens glücklich sein. Ich liebe euch, aber ihr löst einen unglaublichen Taumel aus.
– Patin, wenn Sie wüßten, wie keusch wir sind, würden Sie uns bewundern.
– Sie wollen mir zu verstehen geben, daß Sie einen Dämpfer auf Ihre Gefühle setzen …
– Oh, gewiß!
– Sie verzehren sich, Ramman; ich schwöre Ihnen, daß Sie ein schmerzliches Gesicht haben …
– Ich will es nicht, sprach Emezinde.
Sie neigte sich über ihn.
– Ich will dieses Gesicht nicht; besonders will ich nicht, daß man weint, da ich deine Tränen nicht trinken könnte.
Adelaïde erhob sich.
– Ihr zerbrecht mir die Nerven, meine Lieben!
Emezinde legte ihren Bolero ab; jetzt waren die Arme ganz nackt: sie breitete sie über die Kissen. Ihre jugendliche Büste erschien wie umhüllt von mehreren opaken Gazen. Den Kopf etwas geneigt, betrachtete sie Ramman mit ihren glänzenden Augen.
– O Emezinde, ich verehre dich und der Anblick deiner Seele begeistert mich und deine Arme entzücken mich.
– Der Priester hat mir gesagt, daß ich dich toll machen würde.
– Er würde unser Geheimnis nicht begreifen.
– Ihr seid tragisch, meine armen Kinder!
– Beklagen Sie uns nicht: wir wissen garnicht, ob wir uns genießen oder ob wir unter uns leiden, aber wir leben mit der Kraft der Tragödie, den Regungen des Gewissens, ohne Beziehung zur Menschheit. Die Königin meines Willens, deren Blick genügen würde, den Schrecken des Todes zu vernichten …
– Egoist, niedriger Egoist! rief Emezinde heftig.
Dann wandte sie sich an Adelaïde:
– Du hörst mich und er versteht mich.