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Im Zimmer Nebos sass die Prinzessin im Mieder und beendigte eine falsche Haartracht verwickelten Aufbaus; neben ihr stand eine braune Flüssigkeit, mit der sie schon eine Seite des Gesichts bestrichen hatte, die andere aus Scherz natürlich lassend.
– Als wir Paris durchschifften Peladans Roman »Weibliche Neugier«., errieten Sie jeden Augenblick meine Neugier; jetzt haben Sie nicht mehr diese Fähigkeit, die mich in Erstaunen versetzte.
– Schon erklären Sie mich in Verfall; sehen wir also, ob ich Ihre gegenwärtige Neugier nicht vorausgesehen habe, und ob ich sie nicht sofort befriedigen werde.
– Das sollen Sie wohl bleiben lassen; diese ist schwieriger als die andern.
– Nennen Sie sie, ohne an die Schwierigkeit zu denken: Sie wissen wohl, dass ich die Worte, die Calonne Calonne wurde 1783 zum Generalkontrolleur der Finanzen von Frankreich ernannt; für die grossen Bedürfnisse des Hofes wusste er reichliche Geldmittel zu schaffen. an die Königin richtete, in Handlungen für Sie umsetze.
– Ich möchte also das Gegenstück zu dem Abend des Nergal; ich möchte das seelische Entkleiden von Frauen, nicht von Dirnen, aber von Frauen, die viel gelebt haben, im männlichen Sinne des Wortes; das Ergebnis ihrer Erfahrungen, in der Mehrzahl, wäre ein einziger Unterricht.
– Soweit das möglich ist, ist es bereit.
– Deshalb also haben Sie mich einen auffallenden Anzug mitbringen lassen, der mich deklassiert und dessen Aussehen, zusammen mit meinen schwarzen Haaren, mir erlauben würde, zu verkehren mit …
Sie hielt inne, mit dem Blick fragend.
– Ich weiss nicht mehr als Sie, welchen Ausdruck man wählen soll; es sind keine Dirnen, da sie sich nicht verkaufen; doch sind es Sünderinnen, da sie sich hingeben. Es ist kürzer, die eine nach der andern vorzunehmen, als sie zusammen schlecht zu bezeichnen. Zuerst zwei Blaustrümpfe: Guy de Lavalduc schreibt in der erotischen Tonleiter und Bonneville baut Pfarrbüchereien auf. Dann die Marquise von Nolay, eine Gescheiterte, und Frau Mionnay, eine Emporkömmlingin. Schliesslich Fräulein l'Habitarelle, die lange das Vorrecht einer Lustdirne an einem nordischen Hofe genossen hat. Alle sind reif, die einen steigen von oben herab, die andern kommen von unten: werden sie beichten? Das würde sehr lange währen. Doch da ich Sie als Deklassierte vorstelle, die entschlossen ist, sich zu ergötzen, hoffe ich, dass sie sich zynisch genug zeigen werden; das ist die einzige Offenheit, die ihnen möglich ist.
– Ich möchte etwas mehr Einzelheiten über sie erfahren, fragte Paula. Bin ich über ihre Vergangenheit unterrichtet, werde ich ihre Aeusserungen, die mich an Vireloque Thomas Vireloque, alter Lumpensammler, eine Figur des französischen Karikaturisten Gavarni (1801-1866). erinnern, besser verstehen.
– Also, meine liebe Paula, Guy de Lavalduc ist eine anständige Frau, in dem Sinne, dass sie nur einen Liebhaber besitzt, und eine unanständige Person in dem andern Sinne, dass sie die Blinden und die Schüler für die Ferien mit geschriebener Geilheit versorgt; und zwar nicht für sich, sondern zum besten eines Lumpen, den sie verehrt und der sie aussaugt, der das durch die Literatur der Selbstbefriedigung verdiente Geld zum Laster zurückkehren lässt. Bonneville, die fünfzig Bände voll andächtigen und sittlichen Albernheiten erzeugt hat, ist, wenn gegen den Glauben der Geistlichkeit die Zote nicht die schlimmste der Sittenlosigkeiten ist, eine Lasterhafte, die vom Teufel besessen und noch erfahrener als Cora Peladans Roman »Weibliche Neugier«. ist. Was die Marquise von Nolay betrifft, so ist sie ein Opfer der Frau Sand: sie hat »Jacques« gelesen, ihren Gatten verlassen und schminkt sich als Lelia; befreundet mit Frau Mionnay, die sie ihre Schwester Pulcheria George Sand, »Lelia«, 1833. nennt: eine Unzüchtige, einst Verwalterin im Schlosse eines Greises, dann dienende Geliebte, dann schamlos und reich. Schliesslich Fräulein l'Habitarelle, die erste, wenn nicht im Alter, so doch im Laster, aller Lustdirnen von Paris: mit sechzehn als Statistin nach Russland gebracht, ist sie stolz darauf, die Kundschaft von Welmojes Russisch: Mächtiger, Herr. während fast eines halben Jahrhunderts gehabt zu haben; von ihr habe ich die Geschichte der Fürstin Dinska; sie war die Geliebte Dinskis gewesen. Fragen Sie mich nicht weiter: das sind, mit Ausnahme der Lavalduc, Frauen aus Tausendundeiner Nacht und aus »mille e tre«.
– Zu welcher von diesen Damen gehen wir?
– Zu Frau Mionnay, Prosnystrasse.
– Gut, ich bin bereit: ich mache mir Furcht als Toiletten-Reklame; doch verkleidet dies mich besser als ein Domino.
Sie gingen zu Fuss fort, weitersprechend.
– Ich nenne mich heute abend Gräfin Noroska?
– Ja, Sie müssen den Damen eine Geschichte von zwei Worten erzählen: was Ihnen von Untugend gerade durch den Kopf gehen wird.
– Ich spreche nicht für mich; ich bin ein junges Mädchen, freier als irgendeine, enttäuscht und gegen die Vorspiegelungen durch Ihre Kunst eines Prospero geschützt; aber die ehrbare Frau, der Mutterschaft beraubt, von ihrem Gatten verlassen, muss sie nicht zu gewissen Stunden das Los dieser Unregelmässigen beneiden, die auf dem Besenstiel aller Hexensabbate reiten, auf den Rücken aller Chimären steigen und leben, in der männlichen Bedeutung des Wortes, ohne Zügel, ohne Fesseln irgendwelcher Art? Mit einem Worte, haben die klugen Jungfrauen nie eine Regung des Neides empfunden, wenn sie an die törichten Jungfrauen dachten?
– In den Stunden des Lebens, in denen wir uns müde und betrogen fühlen, erhebt sich in der reinsten Seele eine Empörung gegen die scheinbare Ungerechtigkeit der Ereignisse, welche die Tugenden mit Schmerzen bestraft; aber einmal alt geworden, würden die klugen, wenn sie, was sie geblieben sind, mit dem vergleichen könnten, was die törichten geworden sind, trotzdem die Seele einsam ist, die Stunden schwer sind und sie dem Schicksal grollen, sich für bevorzugt halten. Das Alter des Lasters hat ein besonders hässliches Gesicht. Glauben Sie, dass die schamlose Lustdirne, die ihre Liebhaber weder nennen noch zählen könnte, das Herz voller Erinnerungen hat? Alle sind über sie dahingegangen, ohne Spuren zu hinterlassen, während Frau von Mortsauf Balzac, Die Lilie im Tal., die Frau mit einer einzigen Liebe, ob sie nun befriedigt wurde oder nicht, ein erleuchteter Katafalk ist, wo eine lebendige Erinnerung lebt, weint und singt. Sie werden erstaunt sein, wie wenig das Leben uns an Wissen lässt, wenn es nicht überlegt ist. Wem verdanken wir die wirklich seelenkundigen Bücher? Priestern, die in die Seelen geschaut haben und tiefe Betrachter der Sünde waren; oder vielmehr Einsiedlern, die aus dem einzigen Studium ihres Selbst die vollständige Kenntnis der menschlichen Leidenschaften schöpften. Sehen Sie Balzac: von allen Romandichtern hat keiner weniger als er leidenschaftlich gelebt, wenn man darunter Erfahren und Handeln versteht; ein fabelhafter Wundertäter, schlug er seine Jupiterstirn, und die unmittelbare Erkenntnis sprang daraus hervor, lebendiger, wahrer als die analytische Bezeichnung irgendeines Realisten. Das Leben, das man führt, ist immer gering, man müsste denn Salomo oder die Königin von Saba sein; das Leben, das man träumt, das ist das grosse und unsterbliche Dasein, weil man es über den Tod hinaus fortsetzen wird, in Sühne, wenn man es böse träumt, in Glück, wenn man es nach den Regeln träumt. Alte Garden ansehen gehen, kann alle Welt: was unserer Haltung Wert verleiht, ist ihr Lehrcharakter in einem seltenen und erhabenen Unterricht. Am unteren Fusse der menschlichen Leiter verkommt das Triebwesen; in der Höhe schwebt das erkennende Wesen. Als der heilige Benedikt eine Gebärde über dem vergifteten Gefässe machte, war das nichts anderes als eine Handbewegung; aber durch seinen Glauben im Zeichen der Erlösung, durch diesen vertrauenden Anruf an das allmächtige Kreuz von Golgatha, beging er eine göttliche Handlung, und das Gefäss zerbrach von selbst. Das Wunder ist die einzige Handlung, die der Mühe wert ist.
– In diesem Falle gibt es sehr wenig Leute, die handeln.
– Irrtum! An dem Tage, an dem das Wunder aufhören wird, dauernd in der Menschheit zu sein, wird ein Komet die Erdkugel aus ihrer Bahn schleudern. Sie glauben nur ans Wunder, wie die guten Frauen, wenn die Blinden sehen, die Lahmen gehen und die Gichtbrüchigen tanzen. Kind, unter den seelischen Erscheinungen leuchtet das Wunder, die Monstranz der wirklichen Gegenwart des göttlichen Funkens in der menschlichen Mischung. Die Hypothese des Glaubens der Erfahrung der Vernunft vorziehen, und die Zukunft der Gegenwart; keusch bleiben, wenn der Trieb stachelt; barmherzig, wenn die Selbstsucht spricht; gerecht, wenn der Zorn kocht; nachsichtig gegen andere, streng gegen sich selbst sein; die Wirklichkeit für das Geheimnis offenhalten; beten statt geniessen; Werke statt Schmutz machen; alle diese Siege des Schönen über das Hässliche, alle diese Erhebungen zur Idee, ohne Rücksicht auf die Handlungen, sind Wunder, das heisst Zeugnisse des Lichtes.
Nebo läutete an einem neuen Hause.
– Wie seltsam Sie sind! Eine mystische Tirade als Einleitung zu den schlimmsten Plaudereien.
– Auf einer gewissen Geisteshöhe, Paula, ist man ein Salamander für das Böse; dessen Flamme befleckt nicht, noch brennt dessen Berührung; und der Anblick einer römischen Orgie würde mein Gebet nicht verwirren.
Im ersten Stockwerk wurden sie von einer Kammerfrau von spitzbübischem Aussehen in ein luxuriöses Boudoir geführt, das mit japanischer Seide bespannt war, in ausgesuchten Tönen, aber in seltsamem und buntscheckigem Muster. Frau Mionnay reichte Paula die Hand.
– Seien Sie willkommen auf dem aventinischen Hügel der weiblichen Unabhängigkeit; Herr Nebo hat mir gesagt, was für ein Interesse Sie verdienen.
Frau Mionnay war hübsch gewesen; die Beleibtheit machte ihre blonde Schönheit langweilig; ihr Anzug verkündete noch den Anspruch, begehrenswert zu sein. Der Vorderarm kam aus einem Aermel von schwarzen Spitzen, und das Kleid, über den mächtigen Brüsten breit gespalten, zeigte den heroischen Entschluss, noch nicht aufzuhören.
Sehr bald erschien Fräulein l'Habitarelle und ihr Aussehen überraschte die Prinzessin seltsam. Klein und mager, trug sie ihre weissen Haare wie eine Bürste geschnitten; und mit dem Monokel im Auge sah sie aus wie ein lasterhafter Tropf, der durch irgendeinen Zauber mit blitzartiger Schnelligkeit gealtert ist. Mit der Lebhaftigkeit eines Seidenaffen hatte sie sich im Augenblick eine Zigarette angesteckt; den Rücken an den Kamin lehnend, schürzte sie ihre Röcke, um sich zu wärmen, ohne sich daran zu kehren, dass Nebo ihre magern Beine sehen könnte. Dann sah sie Paula scharf an:
– Wenn Sie blond wären, glichen Sie der Prinzessin Riazan.
Dank der Tinktur war es nicht zu sehen, dass Paulas Gesicht die Farbe wechselte, und mit ziemlich sicherer Stimme sagte sie:
– Ich kenne sie nicht. Was ist das für eine Dame?
– Fragen Sie Herrn Nebo: er ist ihr Ritter.
Sie wollte eben von dem Kusse Chesters auf dem Wohltätigkeitsbazar sprechen, als die Bonneville, ausgeschnitten, und Guy de Lavalduc, in einfachem Kleid aus Merinowolle, eintraten.
– Wohin gehen Sie denn, Bonneville? fragte l'Habitarelle; Sie setzen ja alle Segel auf.
– Wenn ich Sie verlasse, esse ich zu Abend mit …
– Mit Männern oder Frauen? fuhr die Habitarelle fort und wandte sich zu Paula: Ich stelle Ihnen unter den Zügen der Frau von Bonneville den Gipfel der Gipfel vor: sie erzieht die Seelen der jungen Mädchen, wie sie sein sollen, in den Erholungsstunden der Klöster und bezieht die Körper der jungen Mädchen, wie sie nicht sein sollen, in den Zwischenakten der Kneipen.
– Du langweilst mich, sagte die Bonneville nachlässig; du weisst sehr gut, dass das vorbei ist.
– Der Beweis, fuhr die Habitarelle fort, ist, dass du nach Frau Noroska schielst; leugne nicht. Eine Frau wie du, Bonneville, hat den Damen keine anderen Komplimente zu machen, als ihnen anzubieten, sie heimzubegleiten.
– Schweig doch, erwiderte die Bonneville, du hast die Laster so gut gesammelt, dass man dir nicht antworten kann; du verkörperst …
– Die Zote, geh, mein Mädchen, sagte die Habitarelle.
Die Marquise von Nolay trat bei diesem Wort ein.
– Hier hört man die hässlichen Worte schon vom Korridor aus.
Es war eine grosse Brünette, mit müden Zügen, sehr blass; das Auge war entweder unbestimmt oder fieberhaft; in ihrer Haltung bewahrte sie das Zeichen ihrer Rasse.
– Ich warne Sie, sagte die Habitarelle zur Prinzessin; diese Marquise ist eine Umwandlung des Jeremias! Wie dieser Prophet in diesen kleeblattförmigen Körper hat hineinschlüpfen können? Durch welch ungeheueres Vergehen? Ich weiss es nicht! In einigen Minuten werden Sie das Lied der einzigen Seele hören; ich ziehe das Bänkelsängerlied von Fualdès Opfer eines berühmten Mordes, 1817 in Rhodez. vor; doch es bleibt einem keine Wahl, man muss es ertragen.
– Nein, sagte Frau Mionnay zu Paula, Sie können sich nicht vorstellen, was diese Bonneville für geistige Nachtarbeit leistet; es hiesse sie zum Fenster hinauswerfen, wenn in der Vertraulichkeit …
– Aber ich habe die »Anständige Familie« gelesen, das ist harmlos und erlaubt, sagte Paula.
– Sie haben die »Anständige Familie« gelesen! rief die Bonneville aus; aber zu einer Zeit, als Sie unschuldig und einfältig waren. Ich finde eine Frau, die eins von meinen Büchern gelesen hat, nicht dumm! Schnell den Tag, den wievielten, die Minute, damit ich ihn aufzeichne, wenn ich nach Hause komme, diesen Gerichtstag. Lesen Sie lieber die Lavalduc; ihr letztes Machwerk ist ebenso schmutzig wie belustigend: »Die Frühmetten des Priors Barnabas.«
– Oh, sagte die Lavalduc, wir sind vollkommene Gegensätze: du schreibst tugendhafte Romane und bist von lasterhafter Natur; ich habe das Temperament einer ehrbaren Frau und ich schreibe Zoten! Ach, wenn Guy ein Mann wäre!
– Alle Männer sind gleich, verkündete die Habitarelle; sie führen uns, wenn wir sie nicht führen. Dann kennst du die Geschichte der eigensinnigen Frau nicht! Du glaubst, ich will eine verblümte Zote erzählen? Nein! Was Getränke angeht, keinen Absinth, sagt die Weisheit der Cafés; und was Männer angeht, sei nicht eigensinnig, sagt die Weisheit der Boudoirs. Glauben, dass es in der Welt nur einen Mann gibt, heisst wahrhaftig, sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Robinson Crusoë, nicht der Robinson der Kinder, der Freitag traf, sondern der andere, der eine Priesterin Freitag traf, war nicht mehr Herr auf seiner Insel; Frau Freitag war allein, keine andere Frau konnte sie vertreten. Wenn ich aber in diesem Paris, wo es mehr als alles gibt, da es sogar wahre anständige Frauen geben soll, sehe, wie alberne Tröpfe um eine Johanna flennen, wenn es tausend andere Hannen gibt, ganz so Johanna und noch mehr; wenn ich sehe, wie alberne Mädchen sich um einen Hans die Haare ausraufen, die nicht wieder wachsen, während es tausend andere Hänser gibt, die ebenso viel Hans sind: so berste ich vor Lachen, als glaubte ich Narren zu sehen.
Und zu Paula sagte sie:
– Erste Voraussetzung: Sie lieben Herrn Nebo! Er ist ein hübscher Bursche, und sehr gelehrt. Wenn er sich zu sehr bitten lässt, nimmt man einen andern Blonden, und man geht ans Ende des Pont des Arts, so hat man denselben Band in zwei Teilen. Merken Sie sich, dass die Leute immer aus mehreren in einen Band gebundenen Teilen zusammengesetzt sind: um den Ersatz zu bekommen, zerreisst man den Rücken und teilt die Buchstaben. Zweite Voraussetzung: Herr Nebo liebt eine Frau, die gut platonisiert, die gut plaudert, die gut schläft: er wird betrogen oder verabschiedet. Was wird er tun? Er wird seiner Liebe den Rücken brechen und sie in drei Teilen lesen: er wird eine Frau haben, um in Gefühl zu machen, eine andere, um in Geist zu machen, eine dritte, um zu vollenden. Nicht wahr, Marquise, ich verblüme; lassen Sie mich eine Zigarette rauchen, um zum Punkt zu kommen. Diese Lehre habe ich angewandt, und ich habe mich gut dabei befunden: in Petersburg hatte ich immer einen grossen Kammerherrn als Aushängeschild, einen jungen Grafen für die Untreue, die man eingestehen kann, und einen Mushik für die grobe Arbeit.
– Aber, sagte Paula, wenn ein einziger Mann alle Eigenschaften vereinigte, wieviele Frauen?
– Ich sage nichts von den Männern; wenn ich ihnen aufs Dach steige, sieht es aus, als räche ich mich; aber für das Geschlecht, dem ich meine Kutsche schulde, gibt es, behaupte ich, keine Frau für alles, und das Mädchen für alles tut nichts Gutes. Die Zentralisierung wird Frankreich verderben, sagt die Provinz, und ich sage, dass die Zentralisierung der Laster den Lasterhaften tötet. Man legt nicht alle seine Eier in denselben Korb, besonders wenn der Korb eine Frau ist, und die Phantasien so zerbrechliche Dinge sind wie Eier. Die Frau, zu der Sie sagen: »Liebes Herz! Unvergleichliche Seele,« wird Ihnen niemals gewisse Liebkosungen erweisen können, und Sie nicht ihr: hat man sich einmal Flügel angeheftet, bespritzt man sich in unwürdiger Weise mit Dreck, wenn man im Schlamme herumpatscht. Auf der andern Seite »lieber Engel« zu einer Dirne sagen, wie ich es bin, könnte das Zwerchfell vor Lachen bersten machen. In der gewöhnlichen Liebe befriedigt man weder den Geist noch das Tier, weil diese beiden Seiten des Organismus einander verneinen.
– Du machst auf mich die Wirkung eines apokalyptischen Drachen, Habitarelle, der alle menschlichen Niedrigkeiten und Hässlichkeiten vorstellt; ich liebe dich, weil du meinen Hass gegen die Menschheit unterhältst; dein Leben und deine Gespräche sind fortwährende Aufforderungen zur Verzweiflung, dem höchsten Adel unverstandener Seelen. Du bist der Typus der befriedigten Frau; du hast die Liebe auf jedem Schritt gefunden, da du wenig Verdienst von ihr verlangt hast. Da du in dir selbst die Flügellosigkeit der andern wiederfindest, denkst du nicht daran, sie ihnen vorzuwerfen. Wenn du den Sinn für das Göttliche hättest, würdest du zornig auf Gott sein, weil er die Menschen so erträgt, wie sie sind; weil er sich so wenig offenbart, dass ich nur Augenblicke der Ueberzeugung haben kann. Von der Religion betrogen, bin ich von der Liebe betrogen worden: die kriecht, statt zu fliegen. Ich werde vom Körper gequält, der mich aufreizt und mich nicht beruhigt. Ich bin vom Leben getäuscht worden, weil ich darin weder den Himmel noch die Hölle gefunden habe. Ach, sich weder im Guten verzehren, noch im Bösen ganz untergehen können; das alltägliche Leben führen, bald beten und bald lästern; die grausamen Phantasien des Nero und die barmherzigen Ausströmungen des heiligen Franz haben; schmerzlich von der Tugend zum Laster schwanken, ohne wählen zu können; weder Satan noch Jesus begegnen; ohne Macht gegen die Langeweile, ohne Hilfe gegen den Schmerz! Die Unsterblichkeit seines Wesens in bald guten, bald schlechten und stets kleinen Dingen verkrümeln; Gewissen im Laster, Laster in der Reue haben; vom Busskleid Keuschheit verlangen und den Reiz zum Sinnengenuss erhalten; zum Fuss der Altäre infame Plagen bringen und Erhebungen der Seele mitten in geschlechtlichen Leidenschaften empfinden; kurz, von einem Pol des freien Willens zum andern geworfen werden; auf dem Wasser treibend, ein Tier, das die Strömungen des Triebes und der Vernunft nacheinander stossen: das ist das Leben? Dann ist das Leben ein Uebel: es lebe der Tod! Macht keine Kinder mehr und sterbt, wie Manfred, sie verwünschend, sterbt lästernd, sterbt, das Leben, das Gute, das Schöne verleugnend, diese Phantome, die nur Marterwerkzeuge in der grausamen Inquisition sind, welche die Materie auf dieses verfehlte Tier legt, das sich Mensch nennt.
Und die Marquise von Nolay, erhitzt und fieberhaften Blickes, sank zusammen, von dieser Anstrengung der Unvernunft vernichtet.
– Wissen Sie, Gräfin Noroska, sagte Frau Mionnay, dass diese süsse Person alles genossen und alles missbraucht hat. Nichts hat ihr genügt.
– Hör mal, Nolay, unterbrach die Habitarelle, du bist schlimmer als ich, wenn du mich zu zerdrücken scheinst mit der ganzen unzusammenhängenden Höhe deines Trachtens. Ich gebe zu, dass du auf deiner Leier Saiten hast, die mir fehlen: aber diese Saiten tönen falsch in dir, und wenn es wahr ist, dass die Verderbnis des Besseren die schlimmste Verderbtheit ist, übertriffst du mich. Betrügt dich ein Mann? Ist seine Seele oder sein Bein weniger stark, als du es erhofftest, so behandelst du ihn als Elenden und deine Art zu beten heisst Gott anklagen. Ich dagegen, ich bitte nicht um die Zerstörung der Welt, wegen der Misshandlungen, die ich habe ertragen können. Ich erhebe mich nicht kindisch vor den Wirkungen, deren Ursache ich kenne. Wenn ich mich berausche und ich davon krank werde, erscheint mir die Gesellschaft nicht verantwortlich. Dein Stolz würde, wenn er die Macht dazu hätte, den Himalaja auseinandernehmen, zu dem einzigen Zweck, um deine Nerven zu beruhigen; und du lässest durchblicken, dass deine Laune die Schwerkraft der Erde stören müsste, wenn das Weltall besser angeordnet wäre. Nolay, meine Freundin, du bist eine umgekehrte Heilige, das heisst eine Teufelin. Das schmeichelt dir! Im Grunde genommen, bist du nur ungeheuer eitel; du möchtest, dass die Trüffel schmackhafter für dich seien als für die andern, und nach einem Beischlaf möchtest du dich rein wie ein Hermelin wiederfinden. Du suchst aus dem Laster eine Tugend und aus der Tugend ein Laster zu machen, und du verzeihst es nicht, dass du dich nicht zu gleicher Zeit heiligsprechen und im Kote wälzen, geniessen und dich achten kannst. Deine Verzweiflung ist, die Verderbtheit und die Heiligkeit nicht im selben Gefühle verwirklichen zu können, in derselben Handlung, wie die Helden Byrons. Geh, du bist unheilbar! Herr Nebo, der nicht spricht, stimmt dem zu, was ich sage, nicht wahr?
– Ich erkläre mich für inkompetent, sagte der Platoniker; Ihr Wortwechsel setzt eine Vertraulichkeit voraus, die mir schlecht stehen würde, da ich Sie beide kaum kenne.
– Die Habitarelle hat recht, erklärte die Bonneville; nur trägt sie dem Zustande leidenschaftlicher Geistesschärfe, wie ihn die Marquise besitzt, nicht Rechnung; die Habitarelle sucht sich in den Armen eines Mannes nicht vorzustellen, dass sie die Geliebte eines Erzengels ist, während die Nolay, deren Einbildungskraft immer darauf hinzielt, die Wirklichkeit zu fälschen, in Zorn gerät, sobald sie es bemerkt, trotzdem sie sich bemüht, sich ideal zu hypnotisieren.
– Der grosse Unterschied der Temperamente in der Liebe ist die Empfängnis des Gefühls, sagte die Lavalduc; ich, ich liebe mit dem Herzen, die Mionnay mit dem Körper, die Nolay mit dem Kopfe; ich weine, die eine sträubt sich gegen das Unbefriedigtsein und die andere schweift ab.
– Wenn Sie das Leben noch einmal beginnen könnten, fragte Paula die Habitarelle.
– Ich würde einen verantwortlichen Geschäftsführer, einen Gatten, nehmen, damit ich mich am Laster erfreuen kann, ohne davon leben zu müssen.
– Sie schätzen also die Ausschweifung in den Zwischenakten des ehelichen Lebens höher, als sich über alles hinwegzusetzen.
– Gewiss; man geniesst nur das wirklich, was man zu seiner Zeit und nach seinem Geschmack tut.
– Ich wünschte nur von dem, den ich liebe, geliebt zu werden, erklärte Guy de Lavalduc.
– Ich, sagte Frau Mionnay, ich möchte … Soll ich es sagen, Habitarelle?
– Alle Tage umarmt werden! Das ist bekannt. Was die Nolay betrifft, so wird sie immer das Unmögliche wollen. Doch, Gräfin Noroska, Sie fangen erst an, aus Ihrem Stande auszutreten: glauben Sie nicht, dass etwas Phrase um ein Bett einen Altar daraus macht. Gehören Sie nicht zu diesen Frauen Jourdain Die Frau von Molières »Bürgerlichem Edelmann«., die Schändlichkeiten begehen, ohne es zu wissen. Wenn Sie eine Gesundheit, ein Vermögen, einen Verstand heimlich auf die Seite bringen, wissen Sie, dass Sie geil, geizig und selbstsüchtig sind; wenn Sie das Laster sein werden, geben Sie sich nicht als Frau Tugend aus. Von den andern betrogen werden, ist ein Unglück; sich selbst betrügen, ist Naivität; und was die Naivität angeht, so muss man sie alle sehen, die vollständige Sammlung oder gar keine. Was einer Frau, wie ich es bin, erlaubt, sich wieder aufzurichten und der Welt die Stirn zu bieten, ist die Schulterbreite ihrer Einfälle. Die Diebe bewahren eine Ehre für das Geld, das man ihnen leiht; die Ehre der gesunkenen Frau ist, den Partnern ihrer Possen nichts aufzuschneiden: einen Taumel nennt man einen Taumel, und die Maintenon eine Frau ohne Temperament. Die Nolay nennt sich die Ehre des Geschlechts, die Idealität der Erde; die Mionnay die liebende Frau, die am geringsten Wunsche teilnimmt; die Bonneville, die Schriftstellerin für Jungfrauen, und die Lavalduc, der Verfasser für Serails: das sind falsche Namen. Ich, zynischer, aber konsequenter, und ohne Prahlerei allein, ich kann mit dem guten Grammatiker Lhomond, der diese neue Anwendung seines Beispiels nicht vorausgesehen hat, sagen: Ego, die Habitarelle, nominor meretrix.