Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Die Qual: geliebt werden

Sobald sie in die Droschke gestiegen waren, sagte die verkleidete Paula zu Nebo:

– Nein, lebendes Paradoxon, ich glaube Ihnen nicht; nichts gibt die Grösse des Leidens wieder, die in diesen drei Worten enthalten ist: nicht geliebt werden! Nennen Sie mir doch, statt impertinent zu lächeln, irgendeine seelische Marter, die ebenso schrecklich ist.

– Zwei Worte enthalten die gleiche Fülle des Leidens wie Ihre drei.

– Diese Worte?

– Diese Worte bilden den Wahlspruch der hohen und niederen Menschheit, Balzac hat sie geschrieben und der Schüler murmelt sie; diese Worte sind die Losung für die gefährlichen Versuche, die schlimmen Kühnheiten! Erraten Sie sie nicht? Nein? Nun, naive Prinzessin, diese weissagenden Worte sind: geliebt werden.

– Geliebt werden ebenso schrecklich wie nicht geliebt werden? Ich fordere Sie heraus …

– Ich hebe Ihren Handschuh auf, meine Clorinde Tassos »Befreites Jerusalem« (1580)., und beginnen wir zu vergleichen: das heisst Licht machen. Trinken ist ein Bedürfnis und ein Vergnügen; doch gehörte früher zu den Martern die Wasserfrage. Wachen ist das Beste des heutigen Lebens; doch sind die Chinesen dahin gekommen, den Tod herbeizuführen durch die Kraft der Schlaflosigkeit allein. Also, das Uebermass des Guten wird schlecht, und ich verstehe unter Uebermass in der Physiologie ein Gefühl, das die organische Kraft übertrifft und aus dem Gleichgewicht bringt. Essen gefällt nur dem Appetit; Trinken nur dem Durste: Geliebt werden ohne zu lieben, ist Essen ohne Hunger und Trinken ohne Durst. Was ist schlimmer: zwanzig Stunden Fasten oder ein verdorbener Magen? Im Bereich des Menschen sind Entbehrung und Sättigung polar: jede ist gleich weit entfernt vom Aequator der Befriedigung. Das Zuviel wie das Nichtgenug stören das Gleichgewicht in demselben schmerzlichen Grade.

– Man würde Sie für einen Materialisten halten, so niedrige Vergleiche machen Sie; es handelt sich nicht um organische Funktionen, sondern um die Leidenschaft.

– Der Abscheu, den Ihnen der nahende Kuss des Yankees Chester einflösste, zeigt der Ihnen nicht, dass die ganze Wollust einer Berührung von der Lust abhängt, die man davon hat? Unsere Kahnfahrt von Joinville, wo es Ihnen natürlich erschien, dass ich Sie in meine Arme nehmen sollte, zeigt die Ihnen nicht, dass dem Gefühl, um willkommen zu sein, ein Zustand der Seele vorausgegangen sein muss? Stellen Sie sich vor, dass Sie zwischen einem abstossenden Kuss und dem Verzicht auf einen anziehenden Kuss zu wählen haben, bei Todesstrafe; zwischen der Liebe ohne Verlangen oder gar keiner Liebe: ohne zu zögern, liebe Prinzessin, würden Sie lieber verzichten als der Abneigung die Stirne bieten und dem entehrenden Dienst der nicht gefühlten Liebe.

– Wenn jemand Sie mit einer Liebe liebt, den Sie nicht lieben, stossen Sie ihn fort und entfernen ihn.

– Sehr gut, aber es kommt vor, dass man eines Abends eine Frau trifft, der man folgt, sich sagend: morgen früh wird das vorbei sein. Doch morgen kehrt man zu ihr zurück, und das wiederholt sich einige Tage. Es ist nur eine Laune, eine Zerstreuung, wenn man hört: »Ich liebe dich, ich verlasse dich nicht mehr.« Dann, wenn man zärtlich und unvorsichtig ist, wenn man glaubt, dass die vorübergehende Neigung sich ohne Gefahr für die künftige Freiheit in die Länge zieht, lässt man sich schmeicheln, schläft man ein wie Simson, um beim Erwachen an eine Geliebte gebunden zu sein, die nur eine Eintagsliebe sein sollte. Offenbar hatten Vernunft und Voraussicht gefehlt, aber diese Neigung ist so glatt, dass der Fuss ausgleitet, ehe man sich vorgesehen hat. Was ist zu machen, wenn man nicht grausam sein will? Leiden, solange man die Kraft dazu hat! Glück hat man noch, wenn Delila keine Schiffbrüchige ist, die ertrinkt und einen mit ins Wasser zieht. In der Ehe gibt es auch die dumme Liebe, die im höchsten Grade aufbringt, und die selbstsüchtige Liebe, die mordet: beide nehmen eine der Formen der Eifersucht an. Lieben heisst im allgemeinen nicht sich opfern: einen Menschen auf dem Altar seiner Selbstsucht erwürgen und ihm sagen, indem man ihn zugrunde richtet, ihn einsperrt, ihn foltert: »Mein Lieber, ich liebe dich ja.«

– Der Mensch, der sich nicht geliebt fühlt, könnte nicht so viel Ansprüche stellen.

– Irrtum! Je mehr man zweifelt, desto unersättlicher ist die Gier nach Beweisen; der Marquis de Sade und die Blutbeflecker der Liebe wurden nicht geliebt. Da sie nicht bis zur Seele gelangen konnten, trieben sie den Besitz des Körpers bis zur Marter, um sich ihn zu sichern. Da sie nicht glauben konnten, dass sie Freude gaben, bewies ihnen das Blut, das hervorspritzte, dass sie wenigstens Schmerzen bereiteten. Und weil wir doch die Liebe als die allgemeinste Art der Wesenheit, die ihren Beweis sucht, angenommen haben, stellen Sie sich vor, dass für die Frau diese Art die einzig mögliche ist: sie denkt leidenschaftlich; ihre geistige Fassungskraft verwandelt sich in ein Gefühl. Deshalb hat die philosophische Frau immer gefaselt, wenn nicht der Glaube, wie bei der heiligen Therese, eine Grundlage für ihre Ausbrüche gab, die niemals persönlich fundiert sind, den Fall des Androgynentums ausgenommen. Wenn eine Frau die persönliche Rücksicht und die Herrschaft des Zweckes auf ein Gefühl anwendet, erfindet sie eine Kinderei im Schrecklichen.

– Die Gattin, die nicht geliebt wird, fuhr Nebo fort, wird sich, statt sich umzuwandeln, bis sie das leibliche und seelische Aussehen gefunden hat, das ihren Gatten verliebt machen kann, an den Gerichtshof ihres eigenen Gewissens wenden, um die angebliche Ungerechtigkeit zu richten, und zu diesem seltsamen Spruch kommen: »Ich leide durch dich, du wirst durch mich leiden.« Seitdem wird ihre Liebe, in Ränken ebenso fruchtbar wie ein Hahnrei in den Operntexten Scribes, darüber nachsinnen, wie sie das Leben des Gefühllosen mit allen Nägeln des Fasses des Regulus Regulus, römischer Feldherr, von den Karthagern gefangen genommen, soll von diesen zu Tode gemartert sein, weil er den Frieden mit Rom nicht vermitteln wollte. bedeckt; und da im intimen Kampfe der Vorteil stets der weiblichen Feigheit bleibt, wird sie mit der Furcht vor Szenen und Tränen spekulieren, vor dem Vaudeville, das die schlechte Laune von Angesicht zu Angesicht aufführt. Tagelang stumm oder unvermutet krisenhaft, wird dieses Opfer immer sichtbarer die Mahnung in den Augen tragen: »Zugeständnis oder Szenen.« Der nervöse, stets zur Furcht geneigte Mann wird den Frieden zu den würdelosesten Bedingungen erkaufen.

– Graf Noroski würde bis ans Ende kämpfen! rief Paula.

– Was würde der Graf Noroski gegen eine Frau tun, die stets ein hallendes Schluchzen bereit hat, das ihr die Brust zu zersprengen droht? Es gibt zwei Auswege: die tüchtige Tracht Prügel, die der Zuhälter seiner Liebsten verabreicht, und der Bruch. Den ersten lassen wir beiseite als niedrig und roh; den zweiten, weil er schwieriger ist, als man glaubt, auch wenn keine Kinder da sind. Der Mann, der sich nicht durch die Flucht entziehen kann noch will, noch zu den Zwangsmitteln der Kneipenleute hinuntersteigen möchte, gelangt von der Kapitulation zur Uebergabe, bis zum »Lieben nach Befehl«, was die äusseren Formen anbelangt, wie ein Hofschauspieler die von seinem Monarchen angegebene Rolle spielt; und diese Heuchelei heilt die Wunde der stolzen Frau, die nicht geliebt wird.

– Betrachten wir eine ganz verschiedene Seite der aufgedrängten Liebe, fuhr Nebo fort. Da ist ein sehr junges Mädchen, das man, weil die Gelegenheit, sie los zu werden, günstig ist, an einen Menschen verheiratet, den sie naiv hinnimmt, ohne die körperlichen Folgen der Ehe zu kennen. Am Morgen nach der Hochzeit würde sie sich eine Hand abschneiden, wenn sie sich mit der andern scheiden lassen könnte: alles missfällt ihr an diesem Manne, von seiner Nase bis zu seinem Geiste, und seine Umarmung verursacht ihr Krämpfe. Er dagegen betet sie an, und ihr Besitz ist ihm eine Entzückung. Wenn die Unglückliche christlich ist, wird sie sich fügen, von der Frömmigkeit die Kraft der Ergebung erbittend; sonst empört sie sich und wird aus ihrer Klasse gestrichen: in beiden Fällen erschreckt die Aussicht, die sich darbietet.

– Sie berufen sich auf Extreme, Nebo; der geschlechtliche Durchschnitt stellt nicht, scheint mir, ein solches Korollarium in der Liebe vor.

– Gut, treten wir in den psychologischen Durchschnitt der Ehe ein: für eine Frau bedeutet von ihrem Gatten geliebt werden Streit, wenn sie zum Balle geht, und Tränen, wenn sie heimkehrt. Der verliebte Mann findet seine Frau immer zu entblösst; er legt die Koketterie, die sich zuspitzt, oder den Flirt, der sich in die Länge zieht, zu seinem Schmerze aus; in die Vertraulichkeit bringt er die vergiftete Laune, weil er vor dem Publikum heimlich gelitten hat. Vom Gatten geliebt werden, bedeutet: »Wo gehst du hin?« wenn sie geht; »Wo kommst du her?« wenn sie kommt. Im Theater folgt das Glas des Gatten dem der Frau; verweilt es auf einem männlichen Gesicht, werden Bitterkeiten ausgetauscht. Geliebt werden heisst für eine Frau, weder Herrin ihrer Blicke, noch ihrer Worte, noch ihrer Schritte sein; immer hinter sich den Einspruch eines Besitzers haben, der sagt: »Du bist mein bewegliches Gut; deine Augen dürfen nur meinen Augen begegnen; nur in mir sollst du Geist sehen; wenn du am Gespräche Rivarols Rivarol, franz. Schriftsteller, gestorben 1801. Gefallen findest, betrügst du mich geistig; wenn du ein Standbild des Mars betrachtest, betrügst du mich plastisch; wenn du über einen Roman träumst, denkst du an den Helden als Liebhaber; wenn du ohnmächtig wirst, während der Tenor singt, bist du seelisch eine Ehebrecherin. Es gibt nur einen schönen Mann: das bin ich; nur einen Verstand: meinen; denn bei Gott und dem Bauche eines Krämers: du bist mein Besitz!

– Sie allein, Nebo, könnten so zu mir sprechen, ohne dass ich laut auflache.

– Nicht einmal ich, Prinzessin! Es gibt einen Ehebruch und eine Untreue, die unvermeidlich sind, weil in uns zwei Gärungsstoffe wirken, die Erziehung und Tugend nicht enthalten: die Anziehung des Unbekannten und die Unruhe des Geistes. Ich könnte zu einer Frau sagen: »Ich verpflichte Ihnen meinen Leib; er wird keine andere Berührung dulden als Ihre.« Meinen Geist verpflichten, wäre lügen. Die tugendhafteste Matrone, die sich diesen Gedanken nicht mehr vorwirft, die grösste Betschwester, die sich nicht mehr in Zucht zu halten braucht, werden beim Anblick des Wesens, das die Züge eines erträumten Ideals aufweist, sagen müssen: »Den hätte ich haben wollen.« Der treueste Gatte wird mit Bestürzung in sich ein Echo des Verlangens hören, wenn eine Dame von Welt lacht, wenn ihn der Rock einer Dirne streift. Darin liegt die Tugend, die Seite des Gefühlseindruckes umschlagen und keine Ergötzung darin aufschreiben, wie die Theologie sagt. Ueber den Lockungen der Abwechslung stehen die Beunruhigungen der Idealität; das Wesen, das die Kunst läutert, vermag sich nicht immer der Wirklichkeit und der Pflicht anzupassen; die adlerhafte Phantasie führt uns mit immer schlagenden Flügeln in den Aether des Denkens. Wer unter den Künstlern hat nicht den Lippen lombardischer Frauen geistige Küsse gegeben? Hat der Endymion des Girodet Girodet, franz. Maler um 1800; sein »Schlafender Endymion« hängt im Louvre. nie im Vorübergehen liebkosende Küsse erhalten? Lebt nicht der Dichter mit den Töchtern seines Gehirnes in übersinnlicher Blutschande? Hätte Balzac, das keusche Genie, das die Enthaltsamkeit bis in den Ausdruck der Bestialität getrieben hat, zu Frau Hanska Im März 1850 heiratete Balzac die russische Gräfin Hanska, an welche er die »Briefe an die Fremde« gerichtet hatte, um bereits im August zu sterben, ein Opfer geistiger Ueberarbeitung. sagen können: »Ich habe für Esther, Ursula oder Frau von Bauséant keine Liebe empfunden?« Seine Phantasie fesseln: Lüge oder Unbewusstheit. Selbst wenn die Liebe mit Gegenseitigkeit und Tugend bekleidet ist, bleibt sie der Ersatz des Ideals, das sie alltäglich macht: ein höheres und unbefriedigtes Verlangen streckt immer seine Neugierde in uns hervor.

– Diese Erscheinung des Romantischen beschränkt sich auf einige Gestalten reiner Phantasie wie Mercutio, wie Benedikt, wie …

– Nein, die Leserinnen des »Petit Journal« sind Ehebrecherinnen mit den jungfräulichen und selbstlosen Cafékellnern; für den Kommis ist die Frau des Paul de Kock eine Königin von Saba; und der heroische und dekorierte Dienstmann, der seinen Geburtsschein sucht, um Lord und Millionär zu werden, ist für die Kontorseelen ein unwiderstehlicher Coelio. Wenn ein Romancier einen Helden mit Schönheit und Geist ausstattet und ihm eine wirkliche Seele gibt, eine unruhige veränderliche Seele; wenn er ihn einen Kopf des Lippi bewundern lässt, nachdem er kaum die geliebte Frau verlassen, wird dieser Held aufhören, der sympathische Mensch zu sein, dessen einziges Gefühl die unveränderliche Wurfbahn einer Kanone hat, die immer auf dasselbe Ziel eingestellt ist.

– Ist das nicht das ideale Wesen einer Frau, den Geliebten zu hypnotisieren, dass er sich vom übrigen Teil der Schöpfung absondert?

– Als Ideal der Selbstsucht ist es naiv vollständig; und für einen Mann ist zu jenen Bedingungen geliebt werden eine Vernichtung, die für den Augenblick möglich ist, in der Inbrunst des ersten Rausches, aber auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden kann. Wenn er sich in der Gesellschaft so weit vergisst, dass er sichtliches Vergnügen am Geplauder einer andern Frau findet; wenn er ein Kompliment macht, sei es auch nur aus Höflichkeit; wenn sein Blick auf einer Schulter haften bleibt; wenn er versäumt, den Leuten seinen Kultus der Ehe vorzutragen: hält sich die Gattin für bestohlen, und zwar des ganzen Unterschiedes, der zwischen den ersten Nächten einer Ehe und denen des folgenden Jahres liegt. Sie wird sich vielleicht bemühen, diesen gesunkenen Kultus wieder auf die erste Höhe zu bringen; und in ihrem jähzornigen Schmerze, dass sie es nicht erreichen kann, wird sie den Gatten wie einen Galeerensträfling bewachen, ihm unaufhörlich des Honigmondes Worte, Liebkosungen, Benehmen ins Gesicht schleudernd. Dieser zu sehr geliebte Gatte würde seine Frau dem Teufel überlassen, wenn der ihn von ihr befreien wollte: da das Nest zum Gefängnis geworden, die Turteltaube erbittert ist, bleibt nur ein Zweikampf mit Nadelstichen übrig …

*

– Wo sind wir? unterbrach Paula, als sie merkte, dass der Wagen hielt.

– In Champerret, an der Tür eines zu sehr geliebten Gatten, Gandolière, des Dramatikers; in ebenso guter Sprache wie Dancourt Dancourt schrieb um 1700 Gelegenheitsstücke wie »Die Lotterie« und Sittenkomödien wie »Die Börsenspekulanten«. schreibt er Komödien, in denen der Dialog beissend ist und mit dem aristokratischen Menschenhass eines Gavarni der Rampe lächelt.

Ein hallendes Bellen echote auf das Anschlagen der Klingel, und Gandolière selbst kam, um zu öffnen.

– Das ist nett, mein lieber Nebo; Graf Noroski, seien Sie willkommen! Meine Frau klagt mich an, dass ich ihr meine Freunde nicht gern vorstelle; überwachen Sie das Gespräch, ich bin der am meisten behütete aller Ehemänner! Ich warte, bis ich Witwer werde, um mein Familienleben aufführen zu lassen: das wird mein Meisterwerk! Leider werde ich alt sein, wenn ich jenes Stück schreiben werde.

Und mit wütendem Absatz bearbeitete er den Kies der Allee.

Es war ein schöner Mann von fünfunddreissig Jahren, von feinen Zügen; er trug sich recht pariserisch und liess sich etwas komödienhaft gehen; er hatte die Fieberhaftigkeit des unruhigen Künstlers und des immer suchenden Beobachters.

Er stellte sie Frau Gandolière vor, einer Brünetten mit olivenartigem Teint, von spanischem Geschmacke, etwas beleibt, elegant gekleidet und zuvorkommend.

– Ich glaube, heute in einer Zeitung gelesen zu haben, dass man heute abend Ihr orientalisches Märchenstück »Der Ring des Salomo« wiederholt! Ist die Aufführung verschoben? fragte Paula, um liebenswürdig zu sein.

Gandolière steckte die Hände in die Taschen seines Rockes.

– Nein, mein Herr, sie ist nicht verschoben! Fragen Sie meine Frau, warum ich in meiner guten Villa zu Champerret bleibe, statt das Auge des Autors über das Werk schweifen zu lassen.

– Aber, mein Freund …, sagte die Frau verlegen.

– Meine Herren, unterbrach sie Gandolière, sie hat nicht den Mut ihrer Haustyrannei, denn es ist die Ansicht der Frauen, selbst die Liebe, die man ihnen einflösst, missbrauchen zu müssen.

– Ich finde, mein Lieber, dass unsere kleinen Angelegenheiten diese Herren nicht interessieren und dass es ein zweifelhafter Geschmack ist, die Komödie seiner Häuslichkeit zu geben.

Der Dramatiker entwaffnete nicht.

– Frau Gandolière ist mit ihrem geistigen Namen ein Fräulein Othello, ohne die Kissen: sie behauptet, ein Mann, der die Ehre hat, ihr zu gehören, gehöre sich selbst nicht mehr, und verbietet ihm, im Namen der ehelichen Treue, den Wiederholungen seiner Stücke beizuwohnen, aus Furcht, eine Bathseba der Darstellung könnte …

– Man liebt also seinen Gatten, um …, rief sie aus.

– Einen Mann beschlagnahmen, heisst ihn lieben; ich bin ein Offizier der Ehe, der beständig Stubenarrest hat.

– Was bedeutet das? Binde ich dich vielleicht an …

– Liebe, du hast nicht die Kraft dazu, wenn du daran denken solltest. Aber du weisst mich bei der Heimkehr so freundlich zu empfangen, dass ich auf meine Ausgänge verzichte, aus Furcht vor deinen Ausfällen.

– Schreie ich zum Beispiel jemals?

– Du weinst oder du maulst, du nimmst das Gesicht der Magdalenen des Guido Reni an; ja, Frau Gandolière hat den schlechten Geschmack, bolognesische Guido Reni malte in Bologna. Mienen zu machen. Man kann nicht gleichzeitig die Intrige, die man in seinem Kopfe schürzt, und die seines eigenen Haushaltes verfolgen; wenn ich eine Luft voll Streit um mich habe, arbeite ich schlecht, und meine Frau, die weiss, wo ihre Unzufriedenheit einhaken kann, foppt mich besser, als ich selbst je einen Ehemann gefoppt habe, in einem Prosastück von vier Akten.

Seine Frau hatte sich entschlossen, Gleichgültigkeit zu heucheln und dem Gespräche fern zu bleiben.

– Liebe Hälfte, du denkst, ich sei ein Ungeheuer von Undankbarkeit; ich will jedoch deine Verdienste nicht verheimlichen, sondern zähle sie auf. Erstens bin ich sicher, kein Hahnrei zu sein, zweitens sorgt sie liebevoll für mich, schliesslich würde sie das Unmögliche tun, um mir zu gefallen. Wenn ich sie bäte, sich mitten im Sommer mit einem Bärenfell zu bekleiden oder mitten im Winter überhaupt nichts anzuziehen, würde sie es mit Freuden wagen, zu ersticken oder sich zu erkälten: als Minister des Innern wird mir durchaus gehorcht. Du siehst, Liebe, dass ich dir von dem gerechten Lobe, das dir gebührt, nichts abhandle. Aber die Auswärtigen Angelegenheiten! Das ist das Portefeuille, das unsere Regierung trennt. Ein Gatte, das ist ein Ara Ara, Arara, langschwänziger Papagei aus Südamerika., den die Eltern geschenkt haben: man stopft ihn mit Zucker, man lässt ihn im ganzen Hause herumflattern, wenn er nur nicht hinausfliegt. Doch ausgehen ist für mich ein Naturbedürfnis, eine Notwendigkeit meines Talents, die erste Bedingung für meinen Ruhm. Es gibt Pelikane der Literatur, die sich die Ader aufstechen und ihre eigene Geschichte schreiben: meine Persönlichkeit steht nicht hoch genug, dass ich mich aus mir selbst ernähre; ich bin nicht der Intuitive, der Mann, der im Schatten seines Nabels seine ganze Kunst wahrnimmt! Der Gedanke kommt mir durch die Augen; beobachten, das ist meine Schöpfung: ich arbeite, indem ich lebe; mein Theater ist das Leben von Paris, das durch die Ueberlegung auf sein eigentliches Relief zurückgeführt wird. Sie kennen die griechischen Denkmünzen, die Delacroix auf Stein gezeichnet hat: da fasst der Stift den Geist eines Profils zusammen, indem er den Ausdruck begrenzt, den Umriss vereinfacht. Nun, meine Gabe ist die, unter der Form von Gesprächen, die durch eine Intrige verbunden sind, sittliche oder unsittliche Auszüge zu machen, aus dem örtlichen Charakter des Modernen die Hauptsache herauszuziehen. Kann ich vielleicht in diesem Vorort diese Säfte des Verfalls erbeuten, die sich nur im Pariser Dünger selbst finden?

– Wenn man ein solches Handwerk hat und seine Frau liebt, wechselt man es.

– Oh, rief Gandolière, das ist so weiblich, dieses Wort Handwerk, das auf mein Werk gespien wird, auf dieses armselige Gekritzel, das so viele schlaflose Nächte und mühevolle Arbeit kostet! Man gibt seine ganze Seele her, man verbraucht seine Gesundheit, damit einen das Wesen, das einen am meisten liebt, auf diese Weise ohrfeigt!

Und plötzlich zornig geworden, rief er:

– Als du schwanger warst, als du niederkamst, habe ich deinen erhabenen Bauch nicht beschimpft! Komme auch du nicht, um meine Stirne mit Schmutz zu bewerfen: auch sie ist trächtig und gebiert! Werke, das sind Kinder, hörst du, Frau? Und das geistige Gebären hat eine besondere Grösse: ich erlaube deinem Uterus nicht, mein Gehirn zu beleidigen.

Dieser Ausbruch schien ungewohnt zu sein, nach der Bestürzung zu urteilen, die Frau Gandolière zeigte.

– Das Familienleben des ordentlichen Künstlers: wissen Sie, was das ist? Die Rücksichtslosigkeit eines Feindes der Kunst, der einen für sich in Anspruch nimmt; indem man sein Talent verteidigt, verliert man die Zeit und die Kraft, die es gross machen würden. Es gibt eine Vollendung, die nur in Wiederholungen erreicht werden kann, aber meine Frau ist eifersüchtig auf Dirnen in Tänzerinnentracht: man müsste sie mitnehmen! Können Sie sich einen Dramatiker denken, den seine Frau verfolgt und überwacht, wenn er hinter die Bühne geht? Frau Gandolière glaubt, der Ehebruch gehört zur Familie der Eulen, er tummelt sich nur nachts; solange es Tag ist, hat sie keine Angst; ihre Eifersucht erhebt sich wie der Mond zur Stunde des Cafébesuches. In ihrem Vogelhirn und in den Romanen, die sie gelesen hat, ist der Nachmittag anständig, nur der Abend ausschweifend. Ja, meine Frau stellt sich vor, dass der Ehebruch eine sehr lange Förmlichkeit besitzt, dass man sich nicht liebt, ohne zusammen soupiert zu haben. Seltsames Geschöpf, glaubst du denn: wenn ich dich betrügen will, wird die Stunde mich davor bewahren? Unnütze Vorsicht, wie mein grosser Kollege Caron Caron, ursprünglicher Name des Beaumarchais, dem Goethe »Clavigo«, Mozart die »Hochzeit des Figaro« verdankt. sagte …

– Sie haben recht in der Sache und unrecht in der Form, sagte Nebo. Frau Gandolière kennt sehr wohl die Vorrechte des Künstlers, selbst der Liebe gegenüber: wenn Sie ihr überzeugend vorstellen würden, in Milde, wie man sagt …

– Nein, es ist stärker als ich, ich könnte mich niemals ändern, rief Frau Gandolière mit trauriger Aufrichtigkeit.

Die jungen Leute erhoben sich.

– Ich habe mein Herz etwas erleichtert, sagte der Schriftsteller, sie begleitend, aber ich werde es bezahlen.

Und er ängstigte sich über die Folgen, die sein Einfall haben würde.

Da erinnerte sich Paula der Scheinehe des Architekten, der ebenfalls in einem verlorenen Winkel hauste. Als Gandolière das eiserne Gitter wieder ins Schloss warf, fuhr sie zusammen. Ein gleiches Unglück schien ihr das sichere Ende der Liebe wie des Hasses zu sein.

*

– Wohin führt uns die Droschke?

– Zu einer geliebten Frau, dem unglücklichsten Geschöpf, das ich kenne; und ihr Unglück ist, geliebt zu werden.

– Ich hätte nie geglaubt, dass die Liebe eine so düstere Kehrseite hat.

– Sie haben also bisher geglaubt, dass in der Ehe wie auf den Kaminen das Gegenstück ist: der lachende Hans und das weinende Gretchen. Ach, die Liebe ist jenes Korn, von dem der Zohar Zohar, bedeutendstes Werk der Kabbala, siehe Peladans »Sieg des Gatten«. spricht: man kann es zwischen zwei Steinen einfach zermahlen, daraus gutes grobes Brot machen oder köstliche goldgelbe Kuchen backen; es hängt davon ab, was man ist, Müller, Bäcker oder Konditor. Gandolière wäre mit einer unweiblichen Frau, die sich für seine Werke interessiert und nicht so eifersüchtig gewesen, glücklich geworden. Die Ehe unserer Sitten ist ein Gegenstück der Bekleidung, dem Aufwande nach: man müsste heiraten können, wie man sich kleidet, auf Bestellung; man würde noch fast immer falsch bestellen. Wie wenig Leute wissen ihren Weg zu finden und begreifen die Natur ihrer Begabung! Alle sind zu allem fähig geworden, niemand zeichnet sich in etwas aus; wie ein Anwalt in einem Monat dreimal sein Ministerium wechselt, so improvisiert man den Ehemann, ohne vorher Ueberlegungen anzustellen. Frankreich ist ein Volk von Leuten, die zu allem fähig sind: nennen Sie mir den Portier, den Steinguthändler, irgendeinen Mann, der Rente und Musse besitzt, der sich nicht zugleich für einen Politiker, Volkswirt, Philosophen, Literatur- und Kunstkritiker hält; fähig, Krieg zu führen wie Friede zu schliessen; kurz, ein Licht, das man im Winkel vergessen hat. Auf sechsunddreissig Millionen Franzosen kommt nicht einer, der nicht den Wahn besässe, ein denkendes Wesen zu sein; nicht eine Frau, die sich nicht für eine Nitagrit hielte: diese Unnatur löst den Zusammenhang der Sitten. Von allen Elementen, welche die wirkliche Liebe zerstören, dürfte das stärkste der Konflikt der ehelichen Eigenliebe sein. Wenn man über die sich plagenden und entsagenden Arbeiter und Arbeiterinnen hinaus geht und zum Kleinhandel und zur kleinen Rente kommt, sieht man nur noch Häher, die das Pfauenrad schlagen; der dumme Ehrgeiz des Mannes und die unverstandene Weiblichkeit stossen zusammen; beim dritten Roman, den sie liest, umgibt sich Fräulein Einfalt mit einem Heiligenschein, und jeder Tropf, der spucken kann, denkt: »Auch ich habe das Zeug zum Komödianten, das heisst zum Ministerpräsidenten.« Und sie haben nicht unrecht: die Kassiererinnen haben Sonnenseelen in den Tagesromanen, und die Würden werden im Namen der Zeitgeschichte dem Mittelmässigsten übertragen. Der Gemeinsinn, das heisst, der Sinn für die Notwendigkeiten des Gemeinwesens ist unheilbar verloren. Wenn man Molière liest, fragt man sich, ob wir dasselbe Volk sind, das diesem Genie von Klarheit und geradem Urteil Modell gestanden hat. Die heutige Erziehung spaltet die Frauen und macht sie unheilbar unvernünftig; auf der Seite der Männer soviel Laienschüler, soviel künftige Bummler, welche die Bibeln verbrennen würden, um ihre Pfeifen wieder anzuzünden, und Dante, wenn er ihnen erschiene, ihren demokratischen Zigarrenstummel zuwerfen würden, ihn »alter Schelm« nennend … Wenn man den einfachen Gesichtspunkt des Zweifels anlegt, hängt das Schicksal der abendländischen Sitten vom Katholizismus ab: die Frauen von morgen, die nicht beten werden, und die Männer von heute, die Gott lästern, werden eine Zivilisation von Gesindel bilden, von der die Geschichte noch kein Bild gesehen hat … Doch, da haben wir, was ich Ihnen zeigen wollte.

Der Wagen hielt vor einem neuen Hause der Avenue de Villiers.

– Frau Jaillon, erklärte Nebo, als sie die Treppe hinaufstiegen, ist ein reizendes Geschöpf, das aber die Bewegung, die Plauderei liebt; während ihr Gatte sie fern von aller Augen einsperren möchte. Dieser niedliche Kolibri ist mit einer Eule gepaart; und wir benutzen die Abwesenheit des Herrn Jaillon, um sein Opfer zu sehen.

Das Mädchen machte ein erstauntes Gesicht, als sie ihnen öffnete: dieser Besuch gegen neuneinhalb Uhr abends war für sie ein Ereignis.

– Welch schöne Ueberraschung, Herr Nebo, aber welche Unvorsichtigkeit! rief die junge Frau aus, ein blondes, kleines und schwaches Geschöpf, das sich zugleich über die Gäste freute wie ihren Herrn fürchtete.

– Sollte man nicht sagen, dass wir zu einem verbrecherischen Gespräch kommen! Ich kenne Geheimnisse des Herrn Jaillon, die ihn mir auf Gnade und Ungnade ausliefern; übrigens, seien Sie ganz ruhig, er wird vor Morgen nicht hier sein.

– Ich will Ihnen glauben, erwiderte sie und wurde plötzlich vertraulich: Dieser Mann wird mich töten … Ist das ein Leben, frage ich Sie, Herr Nebo? Weder ausgehen, noch sein Fenster öffnen, noch seinen Vorhang ziehen dürfen! Bevor ich ihn heiratete, hatte ich eine Neigung für einen jungen Mann, die sich auf den Tausch von Blicken und Briefen beschränkte. Diese Neigung habe ich ihm vor der Heirat gestanden, mit der Bitte, nie davon zu sprechen: er spricht immer davon. Ich schweige: »du denkst an ihn.« Wenn ich schlafen will: »wärest du mit ihm zusammen, würdest du nicht schlafen wollen.« Wenn ich frische Luft schnappen möchte: »du dächtest nicht daran, wenn er hier an meiner Stelle wäre.« Gehen wir aus: »dieser Herr hat dich angesehen, dieser Herr dreht sich um; du musst Dirnenkniffe anwenden, die ich nicht sehe, um so die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf dich zu ziehen; ich habe dich nicht geheiratet, um mir den Strassenflirt gefallen zu lassen; kehren wir heim.« Ich liebe das Lesen, und am Abend, in der Ofenecke, versiegt das Gespräch mit einem Geschäftsmanne schnell: »wenn du mich liebtest, würdest du mich anschauen, statt zu lesen.« Offen gesagt, die Anmassung ist ungeheuer: er gleicht Herrn Grévy, in jüngerer Auflage. Im Bett, Herr Nebo, wenn ich nicht das Entzücken fühle, das er mir schenken müsste, ruft er aus: »Ah, wenn er es wäre, würdest du nicht so kalt sein.« Kurz, ich werde von der Liebe dieses Mannes gekreuzigt, so sehr, dass ich ihn fliehen würde, wenn ich eine Familie hätte, zu der ich mich flüchten könnte. Allen meinen Vorstellungen setzt er die Antwort entgegen: »Ich liebe dich.« Glauben Sie, es genügt, diese beiden Worte zu sagen, um das Folterrecht über eine Frau zu haben? Er liebt mich! hat sich also nicht die Mühe zu geben, sich beliebt zu machen; er liebt mich! und wenn ich vor Sorge, Angst, Schwermut sterbe, wird er sich mit reinem Gewissen sagen: »Ich habe sie sehr geliebt.« Ach, Herr Nebo, wie ich die Frauen beneide, die Herumstreicher zu Gatten haben, aber sanft und nicht eifersüchtig sind! Wenn man seine rechtmässige Frau liebt, rächt man sich an ihr für das, was die Geliebten einen haben leiden lassen. Ich tauschte meine Würde als christliche Gattin gegen einen Platz im Serail; strenger wäre ich nicht eingesperrt; da ich nicht Favoritin wäre, würde ich mich so klein machen, dass der Schatten mich in paradiesischer Vergessenheit schützen würde. Oh, welches Glück, der Bestialität des Mannes entrinnen zu können. Wenn die Liebe den Besitz verklärt, liefert die Ehe, die ihn jeden Augenblick so leicht macht, die Frau der plötzlichen Laune des Mannes aus. Ich werde dort sitzen und sticken, die Augen senkend, die nahe Folter des gemeinsamen Bettes zu vergessen suchend, da werde ich plötzlich ergriffen und brutal besessen, bevor ich noch »Ach!« sagen kann. Sobald der Herr mich erblickt hat, ist er erregt worden; da seine Erregungen sehr heftig sind und ich weder läuten, noch um Schutz rufen kann, werde ich, ehe ich mich's versehe, ohne Zustimmung, ohne Ankündigung, ohne Vorbereitung vergewaltigt. Sie ahnen nicht, was man empfindet, wenn man so zu Boden gestreckt wird, mit weniger Schonung als eine Dirne! Ich muss allerdings sagen, dass er sich nachher in Schwärmerei erschöpft, sich auf die Knie wirft; aber knien verlangt eine Anmut, die er nicht besitzt; das Lächerliche unterstreicht das Unedle. Ach, ich bin so unglücklich, dass ich mich töten könnte!

– Doch, wagte Paula zu sagen, könnten Sie es ihn teuer bezahlen lassen und ihn beherrschen, da er Sie liebt.

– Wenn ich ein anderes Temperament hätte, ja, mein Herr, aber diese Auftritte machen mich mürbe, meine Nerven halten sie nicht aus; ich gebe immer nach, um den Frieden zu erkaufen. Einen Menschen vor mir zu haben, den die schlechte Laune hässlich macht, der aufbraust und sich Gewalt anzutun scheint, um mich nicht zu vergewaltigen. Oh, welcher Schrecken ist doch die Liebe in der Ehe, diesem Silo Silo, flaschenförmige Fruchtgrube, in die der Verurteilte bei den Strafkompagnien in Algier gesperrt wird., aus dem man nur durch die Schande herauskommt.

Paula war betroffen, in dieser Frau diese besondere Art der Feigheit wiederzufinden, die aus dem intimen Leben geboren wird und alle Zugeständnisse macht, um etwas Ruhe zu erhalten.

Das Gespräch entfernte sich dann von den Bekenntnissen, und Frau Jaillon zeigte sich munter und geistreich.

– Meine Herren, Sie haben mich einen Augenblick meine Kette vergessen lassen; Gefangene besuchen, das ist gut; ist es nicht ein Werk der Barmherzigkeit?

Und die jungen Leute stiegen wieder in den Wagen, in betrübtem Schweigen; nach einigen Minuten hielt er von neuem, am Anfange des Boulevard Malesherbes.

*

– Welche herzzerreissende Szene wollen wir noch sehen? fragte die Prinzessin.

– Noch eine zu sehr geliebte Frau, meine Schülerin; und diese wird vierhändig geliebt.

– Ich verstehe Sie nicht, erwiderte Paula.

– Sie wird es selbst erklären, und der Eindruck wird um so tiefer sein.

Sie warteten einen Augenblick im Vorzimmer; dann kam ein Stutzer aus einer Tür heraus, seinen Hut in einer Hand haltend und mit der andern seinen Gehrock zuknöpfend. Er ging eifrig auf Nebo zu, der kalt und fast feindselig wurde.

– Sie kennen unsere Abmachungen, Herr von Saint-Béron, sagte der Platoniker.

– Seien Sie überzeugt, dass ich sie einhalten werde, erwiderte der Gefragte mit der grollenden Haltung eines gedemütigten Mannes.

– Was bedeutet das? fragte Paula lebhaft.

– Das bedeutet, dass die Gräfin d'Izouard einen meiner Brüder vom Rosenkreuz aus den Händen der Armee gerettet hat: deshalb wache ich über sie und schütze sie.

Eine Kammerfrau liess sie Räume durchschreiten, die mit grossem Geschmack möbliert waren; in einem Boudoir von zartem Grün erschien die Gräfin, im Hauskleid aus weissem Atlas, mit Silber durchwirkt. Von einer fast übermässigen Gestalt und vollen Formen ohne Ueppigkeit, hatte Frau d'Izouard das Aussehen einer vollkommen heidnischen Schönheit, welche die Prinzessin überraschte, da es im Milieu von Paris eine Ausnahme ist. Sie hatte ausserdem noch eine edle Gebärde und durchaus den Charakter einer Hermione Tochter des Menelaos und der Helena., gemildert durch die Sanftmut der Augen, die eine Weichheit des Willens und das Fehlen der Gehirntätigkeit anzeigte.

– Guten Abend, Freund Nebo, und guten Abend, Nebos Freund, sagte sie; Sie haben sich mit einem Mitglied meines erbärmlichen Duumvirats gekreuzt …

– Graf Ladislaus Noroski ist in unseren Bund aufgenommen.

– Sehr gut, sagte sie, aber welche sonderbare Aehnlichkeit mit der Prinzessin Riazan!

– Das sagt man mir oft, erwiderte Paula unbefangen, und ich sterbe vor Verlangen, meine Doppelgängerin zu sehen.

– Ich würde eine Doppelgängerin für ihr Gewicht in Gold kaufen. Früher entrüstete ich mich über mich selbst, ich hatte edle Anwandlungen von Scham; jetzt, Nebo, werde ich vor Roheit Griechin, ich erleide das Verhängnis der Lage, und es fehlt nicht mehr viel, so klage ich, wie Phädra, die Götter an, die einzigen Urheber meiner Leiden.

– Ich werde es erreichen, Sie von Saint-Béron zu befreien; er liebt Sie, aber er liebt das theatralische Auftreten, und Rudenty, der Unterstaatssekretär, hat mir versprochen, ihn zum Konsul in einem verlorenen und ungesunden Lande zu ernennen.

– Das Versprechen eines Beamten! rief sie aus.

– Rudenty ist Rosenkreuzer, bemerkte Nebo.

– Sie haben in diesem Augenblick, Herr Nebo, das Aussehen eines jungen schönen wohltätigen Rodin Typus des Jesuiten in Sues »Ewigem Juden«..

– Schlechter Vergleich! Rodin wollte Papst werden und ich will nichts sein; ich habe zahlreichere, klügere und treuere Freunde als ein anderer, deren ich mich bediene, wie ich ihnen diene, im Guten: das ist mein ganzes Geheimnis.

– Mein Geheimnis ist dunkler! Einen Gatten und einen Geliebten haben, das sieht man überall; aber von beiden toll geliebt werden, so sehr, dass sie einen Pakt schliessen und meinen Besitz teilen, aus Furcht, dass ich ihnen entrinne. Nein! mein Fall ist einzig! Ich heirate in Herrn d'Izouard einen Edelmann und Jäger, der bis dahin ein Herkules als Schwimmer, Trinker und Reiter war; Omphale gegen meinen Willen, flösse ich ihm eine masslose Liebe ein, und er zermalmt mich, macht mich zum Tier mit der ganzen Kraft, die er früher durch Berge und Täler verbrauchte: schon ein schreckliches Geschick! Dieser Schrecken hat sich verdoppelt: Herr de Saint-Béron verliebt sich seinerseits, bittet, fleht und droht sich zu töten; ich glaube dieser Drohung, die vielleicht wahr ist, und gebe ihm nach, wie ich mich entkleiden würde, um einen Sterbenden zu bedecken und vor Kälte zu schützen; seitdem habe ich mich nicht mehr vor ihm hüten können; ich habe meinem Gatten alles gestanden; drei Male hat er sich mit Saint-Béron geschlagen, ohne sich schwer zu verwunden. Diese drei ergebnislosen Duelle haben ihre Einbildungskraft wie ein weissagendes Urteil getroffen. Ich bin geflohen und habe mich versteckt, sie suchten mich gemeinsam, und haben schliesslich beschlossen, dass ich beiden gehören soll: da sie nicht die Männer sind, sich zu ermorden, und da sie sich in einem vierten Duell nicht haben töten können, haben sie meine Tage mit einander geteilt. Ich liebe weder den einen noch den andern: ich ertrage sie mit dem gleichen seelischen Ueberdruss und dem gleichen körperlichen Wohlwollen. Wenn man mich sieht, sollte man mich für sehr sinnlich halten: nein, meine wirklichen Freuden würden in der Phantasie sein, wenn ich sie wählen könnte; der Händedruck eines Geistigen würde mich viel mehr ergötzen als ihre dummen Krämpfe. Was tun? Kann ich mich scheiden lassen, weil mein Gatte mich zu sehr liebt? Selbst wenn ich mich entehrte, selbst wenn ich mich mit Saint-Béron blossstellte, der, wie mein Mann, meine Schuld leugnen würde, bin ich zu dieser Prostitution verurteilt, da ich nicht den Mut habe, zu fliehen, um verfolgt und wieder eingefangen zu werden! Mein Vaterland verlassen, nach Indien gehen, wäre Heldentum: ich besitze keins. Was mich in meinem Abenteuer bestürzt, ist nicht so sehr die Teilung, die sie von mir machen, sondern ihre Behauptung, mich zu lieben, während sie mich zwingen, mich selbst zu verachten, während sie aus mir ein sogenanntes Freudenmädchen machen. Wenn ich liebe, habe ich das Zartgefühl, dem Geliebten nicht den flüchtigsten Kuss zu rauben, ohne sicher zu sein, dass er ihm ebenso angenehm ist. Wer wird die Tiefen der Liebesselbstsucht ergründen? Diese beiden Männer lieben nur meine Schönheit, und meine Schönheit als Gegenstand der Wollust. Sie sind so scharfsinnig, Herr Nebo: Sie werden sich nicht genug wundern, von der Frau, die körperlich am besten bedient wird, erklären zu hören, dass in der wahren Liebe der Körper einen zweiten Platz einnimmt; wer beim Halten der Hände nicht schon eine grosse Freude geniesst, ist nur ein Wüstling, kein Liebender.

Sie wollte sie zurückhalten, aber Nebo berief sich bald auf einen dringenden Besuch.

*

– Ich sehe jetzt, sagte Paula, als sie sich wieder in den Wagen setzten, das allgemeinste Uebel, das fast alle andern erzeugt, ist die falsche Paarung: die Gefühlvolle fällt auf den Sinnlichen; und der Perverse auf die Tugendhafte! Sie wissen, was nicht in den Büchern steht, Sie kennen die Wissenschaft der Seelen: ahnen Sie nicht eine Kunst, die es erlaubt, sich nach seinem Wesen zu verbinden, seine Hälfte der Birne, sein Stück der Medaille wiederzufinden?

– Nehmen wir an, liebe Prinzessin, es gäbe beratende Heiratsstifter: von welcher Bedeutung würde deren Rat sein, wenn es sich um eine Vernunftheirat oder um unvernünftige Anziehung handelt. Das unfehlbare Zeichen des Wesens der Ergänzung ist, dass es sich verleugnet. Wenn eine Frau von gleicher sozialer Stufe einen Mann genügend liebt, um ihm eine Untreue zu verzeihen, ja ihn ohne Bitterkeit zu pflegen, wenn die Untreue körperliche Folgen hat, hat er das Stück seiner Medaille gefunden. Wenn ein Mann lange und kameradschaftlich nach dem Besitze Gefallen an ihr findet, wenn die Frau ihn heiratet, so sind sie für einander geschaffen.

– Ihre Erfahrungen sind durchaus unmöglich; bin ich nicht Ihre Medaillenhälfte, ohne so niedrige Beweise zu brauchen?

– Liebe Medaillenhälfte, wir sind vom dritten Geschlechte: es gibt also keine männlichen oder weiblichen Interessen zwischen uns; ich beunruhige mich nicht, die Höhe Ihrer Eifersucht zu kennen, noch Sie, meine Vorzüge oder meine Mängel als Bettgenosse zu erfahren; das interessiert nur die Liebenden und die Gatten; und wir werden weder das eine noch das andere sein.

Und Nebo sagte das mit dem natürlichsten Tone, ohne die Blässe der Prinzessin zu sehen, die sich im Grunde des Wagens zusammenkauerte.

– Steigen wir beim »Grossen Klub« ab; Aubessagne wird dort sein, ein Muster von der Klasse der geliebten Leute.

Sie fanden den jungen Mann im Lesesaal, fieberhaft schreibend.

– Ich gebe es Ihnen um zehn Millionen … raten Sie … ich schreibe an einen Freund in Sidney, um ihn wiederzusehen.

– Wie, fragte Nebo, im Augenblick, da eine schöne Heirat Ihnen das üppigste Leben von Paris sichert, australisieren Sie sich, während dieser Gedanke Ihnen nie gekommen sein würde, als Sie Schulden hatten und Gläubiger Sie verfolgten?

– Jawohl, ich fliehe das Glück, nachdem ich der Not die Stirn geboten, weil ich im Elend frei war und die goldenen Ketten zu schwer sind.

– Sie haben weder Schwiegermutter noch Schwiegervater, und Ihre Frau verehrt Sie.

– Wenn sie mich nicht verehrte, würde ich bleiben.

– Ich begreife immer weniger.

– Ach, das zu begreifen, ist nicht den ehrsamen Lesern des Herrn Octave Feuillet gegeben; und um es zu beschreiben, müsste man das Wörterbuch des Ehebruchs haben; doch ich will versuchen, den Fall richtig darzustellen, ohne Physiologie studiert zu haben. Sie wissen sehr wohl, dass der »congressus« vollkommen stattfindet, wenn die Frau negativ bleibt; dass aber die Positivität des Mannes weltlich und obligatorisch ist, selbst im Kirchenstaat. Nun, Frau Aubessagne, die sich selbst nicht kannte, als sie ein junges Mädchen war, ist eine tugendhafte Messalina; das heisst, sie verlangt von ihrem Gatten, was die Frau des Claudius von vierzig römischen Bummlern verlangte. Sie hat mich genommen, als ich verschuldet war und Mitleid erregte; für ihre Millionen glaubt sie das Recht zu haben, ungeheuer geliebt zu werden. Aber sie ist nicht mein Geschmack; und wenn er das wäre, so haben zwölf Jahre lasterhaften Lebens, die ich als Herkules auf dem Liebesmarkte verbrachte, mich geschwächt. Ich habe versucht, ihr den zweiten Punkt begreiflich zu machen: sie hat geschrien, ich löge, ich bewahre mich für die Dirnen. Da ich ein sehr ehrlicher Bursche bin, meine ich, dass ein Vertrag, der missverstanden wird, zerrissen werden muss: ich habe sie geheiratet, um zu bremsen; sie hat mich genommen, um in gestrecktem Galopp zu reiten. Ich werde ihr einen Vorwand für die Scheidung liefern und nach Australien gehen: das ist nicht lustig, aber immer noch besser als die eheliche Fron. Glauben Sie mir, ich tadle sie nicht: ich wollte anfangs im Schlafzimmer Eindruck machen, um sie zu verblüffen; sie hat ein Fest als Gewohnheit aufgefasst, und ist nicht davon abzubringen. Ich wünsche ihr einen Besseren, als ich bin, und ziehe mich unter ein Trapperzelt zurück. Wenn ich weniger gewissenhaft wäre, würde ich sie sich abkühlen lassen, aber sie liebt mich, und deshalb kann ich nicht zum Hungern und Fasten diese Dame verurteilen, die mehr Appetit hat, als Appetit erregt. Sehen Sie, mein Freund, wie die Liebe immer unerwartet trifft und unglücklich ausfällt: ich hielt mich auf dem schönen Asphalt über Wasser, mit Mühe, aber es gelang mir, mich zu halten, und von der Madeleine bis zur Bastille kannten die Mädchen und die Kellner Aubessagnes Monokel. Eine junge Millionärin beginnt mich zu lieben, und ich, der Pariser, aus seinem Paris abgelenkt, werde daraus verjagt. Der Teufel hole die Liebe! Denn er, er hat sie gebracht, um diese schlechte Welt noch mehr zu verderben! Sehen Sie doch, selbst hier im »Grossen Klub«, die Leute, die geliebt wurden, sind alle vor ihrem Alter kahl, ruiniert, da sie ihr Leben durch den Schlagbaum, den eine Frau ihnen gelegt hat, verfehlt haben. Geliebt werden ist ein Luxus für einen orientalischen Monarchen, der vor einer Frau durch einen Haufen anderer bewahrt wird, der nackte Schwerter hat, um seine Zornausbrüche zu erleuchten; aber ein Mann von heute, der gezwungen ist, sich gegen das Leben, gegen alle Bedürfnisse, gegen die Gesetze und gegen seine Brüder, die Männer, zu wehren, ist ein Narr, ist verrückt, wenn er die Liebe nicht zurückstösst, als den unheilvollen Diamanten, der ihn fürs Verhängnis zeichnen und den Schlägen des Schicksals aussetzen wird.

– Sie haben ein beredtes Unglück: aber wie leicht ist es zu beschwören! Ich kenne Heilkräuter, wie die Bauern sagen, welche die Geilheit wie das Fieber unterbrechen.

– Halt, bei meiner Seele, Herr, mein Gefühl sagt mir: wer sich erlaubt, die Natur zu verbessern, übernimmt eine Verantwortung, die ich nicht mitmache.

Nebo fing an zu lachen.

– Das Wüten selbst der schädlichen Säfte ist Ihnen heilig, schöner Kavalier: wie Sie wollen! Und viel Glück am Ufer des Stillen Ozeans …

*

– Diese ganze schimpfliche Seite der Einweihung ekelt mich an: haben wir den Ausflug beendet? fragte Paula, als der Wagen wieder rollte.

– Nur noch einen Besuch! Sie dürfen nicht glauben, dass die freie Verbindung nicht diese Schrecken der Ehe aufweist! Vielmehr sind sie dort noch schlimmer, selbst wenn Liebe vorhanden ist, was selten vorkommt.

Sie sprachen nicht mehr, sondern träumten beide, bis sie in die Rue de Beaune kamen.

– Schicken wir den Wagen zurück, sagte Paula; wir werden zu Fuss heimkehren.

Sie erstiegen ein viertes Stockwerk. Ein ergrauender Mann öffnete ihnen, nachdem sie etwas gewartet hatten; hinter seinem Ohr steckte eine Gänsefeder.

– Guten Tag, Ugines, ich kenne Ihre nächtlichen Gewohnheiten und weiss, dass es keine unpassende Stunde ist für Ihre Arbeit.

Paula fragte sich, welche innere Bedeutung diese sonderbare Person haben könne, deren Alter und Art sich durchaus nicht mit Leidenschaft reimten.

– Es gibt nur eine unpassende Stunde: die Schäferstunde, erklärte Ugines, die Rohrsessel seines armen Logis hervorziehend.

– Graf Noroski, ich stelle Ihnen einen Mann vor, der die günstige Gelegenheit der Ehren und Aemter hat vorübergehen lassen; er ist jung und schön gewesen, geistreich und unternehmend: er wäre heute Botschafter, wenn er nicht geliebt hätte. Ich teile Ihnen mit, mein lieber Ugines, dass ich die Erziehung dieses jungen Mannes leite, und Ihre Geschichte ist eine Belehrung wert.

– Meine Geschichte ist einfach wie ein realistischer Roman, erwiderte Ugines mit Ironie. Als ich Student war, begegnete ich einer Frau, die mir süsse Augen machte, mein Bett, und schliesslich mich gesellschaftlich vernichtete: das ist die rohe Tatsache. Wenn man sie mit einigen Betrachtungen wie mit Laubgewinden schmücken will, muss man Ihnen versichern, Graf Noroski, dass der Stolz, geliebt, und das Bedürfnis, gepflegt zu werden, zum Unglück führen. Hüten Sie sich vor der Frau, die sich erbietet, Ihnen Ihre Knöpfe wieder anzunähen: sie wird Ihnen bald die Zwangsjacke ihrer Liebe anlegen und Sie werden zu Grunde gehen wie ich. Ich gab mich also dem wirtschaftlichen Kochtopf, der von der Hand der Grazien abgeschäumt wurde. Damals ass ich wenig Schweinefleisch; jetzt esse ich viel davon. Ich hatte hohe Gönner, aber zu Ball gehen und eine weinende Frau zu Hause lassen, das widerstrebt einer zarten Seele: auf dem Altar der Liebe brachte ich das Opfer meiner weissen Handschuhe und meiner Beziehungen. An hoher Stelle vergass man mich bald: ich verlor meinen Eintritt in dieses Theater, das aus zwanzig Salons von Paris besteht, wo die guten Stellen vergeben werden, wo die glänzende Zukunft vorbereitet wird. »Ich, ich bleibe bei dir,« sagte sie mir, und während einer Krankheit pflegte sie mich. Ach, sich von seiner Geliebten pflegen lassen, ist der Anfang unseres Endes! Wie soll man diese heilige barmherzige Schwester verlassen? Lange hat das gedauert! Sie ist zu spät gestorben, dass ich mich wieder auf den Sattel hätte schwingen können. Graf d'Ugines, Botschafter, verkümmert in Ugines, Uebersetzer aus dem Russischen, zu drei Centimes die Zeile! Ich lebe davon, das Erdgeschoss französischer Blätter mit Dostojewskis Romanen zu füllen; wenn jemand ein klassisches Trauerspiel machen will, ich verlange keinen Anteil als Verfasser …

Nachdem sie lange geplaudert hatten, gingen die beiden wieder.

– Ist denn die menschliche Natur so schwach, rief Paula aus, dass sie nicht bis zum Verleugnen und Vergessen des eigenen Selbst lieben kann?

– Das, meine liebe Paula, ist eine andere Frage: Sie sprechen nicht mehr davon, geliebt zu werden, sondern von tief geliebt werden.

– Was ist denn dieses »tief«?

– Tief geliebt werden, Paula, das ist geliebt werden in seiner Zukunft, wenn man jung ist; in seinen Narrheiten, wenn man alt ist; das heisst, sich auf ein Wesen stützen können, statt dass dieses Wesen sich auf einen stützt; das heisst, von ihm seine ganze Ausstrahlung empfangen und sie von selbst erlöschen sehen, sobald sie nicht mehr heilvoll ist. Tief geliebt werden, das heisst, sicher sein, dass man sich nie zwischen die Gelegenheit und uns stellen wird; tief geliebt werden, das heisst, durchsetzen, dass man sich opfert und dass man leidet. Wenn die menschliche Liebe zum Verzicht auf die göttliche Liebe gelangt, wenn man sogar die Wunden liebt, die der Geliebte schlägt, hat man ein Recht auf den Nimbus der Liebe. Um aber eine so tiefe Liebe einzuflössen, um in einer Seele diese Religion zu gründen, muss man die Gottheit in sich haben: unter der leidenschaftlichen Menschheit fehlen nicht die Frommen, die zu den Opfern bereit sind, es fehlen die Götter, die eines Opfers würdig sind.


 << zurück weiter >>