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Eine kleine Weile, nachdem der König von ihr gegangen war, wurde Kitty von Frau Bachmann abgeholt und an den Wagen geleitet. Was hatte sie durchlebt, welch schaudervolle Stunde! Dieser Leibkammerdiener und sein süßfreundliches Weib, furchtbar schlecht, Verbrecher waren sie, die ein junges Mädchen in das Schloß gelockt und so ganz allein mit dem schrecklichen König gelassen hatten! Sie hätte wohl ahnen können, was es hieß, mit ihm Thee trinken. Frau Bachmann hatte ja deutlich genug gesprochen. Sie hatte es auch geahnt. Aber wie ahnt man so etwas! Und doch, sie irrte sich nicht, sie hatte versprochen, morgen wieder zu kommen. Heißt das, versprochen hatte sie es eigentlich nicht, nur auf seine Frage mit dem Kopf ein wenig genickt. Es war gar nicht anders möglich. Ein »Nein!« hätte sich nicht über ihre Lippen gewagt. Was hülfe es auch? Hatte es ihr doch auch nichts geholfen, als sie fast sinnlos von Angst und Scham bat, nach Hause gehen zu dürfen. Und diese Bitte auszusprechen, hatte ihr gerade so viele Angst gekostet, als das andere, was sie zur Bitte zwang. Ja, ein gewöhnlicher Mann! Aber so ein König! Und ganz mutterseelenallein mit ihm in der stillen Nacht! Wer wagt da heftig abzuwehren oder gar um Hilfe zu schreien? Es ist eben einmal der König und wenn er etwas thut, was man sonst abscheulich fände, bei ihm ist es etwas Anderes, bei ihm ist's, als ob er nur sein Recht gebrauchte, zu thun, was er will, wenn es auch ein grausames Recht ist. Etwas Gewaltiges ist es um so einen König, und mitten in Angst und Not hatte sie ein ganz eigentümliches Gefühl, gerade als ob sie ihn bewundern, anstaunen sollte. Er war der Herr, ihr Herr! Aber es giebt keine Sklaverei in christlichen Ländern. War sie denn kein Mädchen, keine junge Dame? Was war sie denn, daß der Furchtbare sie so mißhandeln durfte? Es überkam sie ein grauenvoller Ekel vor ihr selbst. Das sollte morgen und wieder und wieder geschehen? Nein! nein! Das konnte, das durfte sie nicht, so ganz ruhig nach dem Schloße fahren und vor ihn hintreten mit genauer Kenntnis dessen, was geschehen würde. Das war die gräßlichste Sünde, das war eine so abscheuliche Schlechtigkeit, daß ihr Gewissen nimmer Ruhe gefunden hätte! Da war es doch noch besser, sich von den Verwandten quälen zu lassen. Schier wie Heimweh überkam es sie. Aber, als die Vorstellungen immer deutlicher wurden, immer mehr Episoden im Gedächtnis auftauchten, wandelte sich das Heimweh wieder in die frühere Abneigung.
Sie hatte das alles ja nicht gewollt, sie trieb ja keine leichtsinnige Liebschaft. Das war ein Schicksal, keine Schuld. Sie war eben einmal ein armes, schutzloses Geschöpf und, wie sie die üble Behandlung der Verwandten über sich hatte ergehen lassen müssen, so mußte sie jetzt des Königs sündhafte Neigung über sich ergehen lassen. Liebe? Das war so etwas nicht. Wieder kam ihr ein Gefühl wie Ekel. Aber gefallen mußte sie ihm doch. Sie mußte also sehr schön sein, denn einem König gefallen, war keine Kleinigkeit. Wenn sie ein Kindchen bekäme – das Kind eines Königs!
In ihren Gedankengängen, die sie nach einem von wilden Träumen durchtobten Schlaf wieder aufnahm und unter deren wechselnden Schwingungen sie wie betäubt, dessen, was sie umgab, kaum gewahr werdend, dahinlebte, wurde sie des Nachmittags durch einen Besuch der Frau Bachmann unterbrochen. Diese wußte schon von dem bevorstehenden zweiten Besuche im Königsschlosse, meldete in sehr ergebenem Tone, daß der Wagen zur rechten Stunde vorfahren werde und bot wieder ihre Dienste an. Kitty war der Besuch höchst lästig, und die Unterwürfigkeit der zuckersüßen Frau unheimlich. Was wollte die Person denn noch weiter von ihr? Jetzt war sie doch überflüssig geworden. Oder war sie als eine Art Aufseherin bestellt, die zusehen mußte, daß die Sklavin sich nicht auf irgend eine Weise der Gewalt des Herrn entzog? Mit scheuer Schüchternheit lehnte sie ihre Dienste ab. Frau Bachmanns Gesicht nahm darauf in der That die Miene mißtrauisch fragender Überraschung an.
»Aber den Wagen benutzen doch das gnädige Fräulein?« fragte sie. Als Kitty dies bejahte, wurde das hübsche Gesicht der Frau wieder ganz heiter und, immer in den von ihrer gestrigen, mehr protegierenden Art völlig verschiedenen Ton des Respektes vor einer höher gestellten Persönlichkeit, drang sie sich mit allerlei Geplauder und Schmeicheleien Kitty auf, daß diese gar nicht anders konnte, als sie erst zu einem Glase Wein zu bitten und dann bei sich zu behalten.
An diesem Abend steckte der König Kitty einen kostbaren Diamantring an den Finger. Tags darauf wurde sie nach der Probe in das Bureau des Intendanten gebeten, der ihr den eben erhaltenen Befehl des Königs mitteilte, wonach der Engagementsvertrag sofort abzuschließen sei. Sie war ganz krank von dem vielen Champagner, den sie am Abend vorher getrunken hatte, auf die Probe gegangen, und im hämmernden Kopf wogten Bilder hin und her, vor denen sie sich fürchtete. Der Diamant, den die Mitspielenden immer beschielten, drohte mit seiner Schwere den Finger zu zerbrechen, und siedend heiß wallte es in ihrem Gesichte auf, als sie auf eine schließlich an sie gerichtete Frage antwortete: »Den habe ich schon lange!« Beim Erwachen hatte sie ihn mit hastender Gier ergriffen, da er ihr vom Nachtschränkchen entgegenfunkelte und mit seinem Feuerglanze immer wieder die auftauchenden Erinnerungen zu verdunkeln gesucht. Jetzt hätte sie ihn so gerne versteckt!
Das ging alles vorbei, als sie aus dem Bureau des Intendanten auf die Straße trat: »Engagiert!« Der Klang des Wortes hatte einen so übermächtigen Reiz, daß sie an die begleitenden Umstände gar nicht mehr dachte und sich der Thatsache nicht anders freute, als irgend eine Künstlerin, die zum ersehnten Ziele gelangt ist. Sie war königliche Hofopernsängerin und mit kindlicher Freudigkeit teilte sie es Frau Kern, die ihr auf der Treppe begegnete, mit.
»Ich gratuliere!« sagte diese. »Daran war ja auch nicht mehr zu zweifeln!« setzte sie jedoch mit einem Lächeln hinzu, vor dem Kittys Freudenrausch wieder verflog. Die blauen Augen starrten Frau Kern aus einem tief erglühenden Gesicht fragend an und um das niedliche Mündchen zuckte es wie weinerliche Angst. Frau Kern aber faßte sich rasch zu lebhafter Liebenswürdigkeit.
»Sie werden doch bei uns wohnen bleiben, liebes Fräulein? Wir haben ein reizendes Appartement bereit. Sie können es sofort beziehen.«
Als dann Kitty meinte, das käme auf die Dauer wohl zu teuer, ihre Gage sei nicht so sehr groß, bat Frau Kern sehr ernsten Tones um eine Unterredung auf ihrem Zimmer. Kaum dort eingetreten, sagte sie ein wenig errötend und dabei leise schmunzelnd:
»Fräulein brauchen sich vor mir nicht zu genieren. Ich weiß doch, wie die Dinge zusammenhängen, und wir sind hier ja nicht in einer Kleinstadt. Letzthin natürlich ... Sie dürfen das nicht falsch auslegen ... Man macht sich eben nicht gern vorlaut. Aber Sie dürfen uns unbedingtes Vertrauen schenken. Wir werden bei größter Diskretion alles aufbieten ...«
»Aber, liebe Frau Kern«, unterbrach sie Kitty, »ich habe wirklich nicht so viel Gage, als Sie zu glauben scheinen – Frau Kern sah sie erst prüfend an, dann lachte sie und rief, Kitty freundschaftlich an der Taille umfassend:
»Gott, wie naiv sind Sie noch! Das kommt schon alles! So ein Armband! ... Aber Sie werden doch nicht ... Ihr Blick fiel auf den Ring an Kittys Finger. Sie faßte das Händchen und sagte halblaut: »Gott, wie prachtvoll! Na ja! Was sag' ich denn? Es kommt eins nach dem andern! Bleiben Sie bei uns, Fräulein! Es soll gewiß an nichts fehlen, was nur immer eine noble Dame beanspruchen kann. Verfügen Sie nach Belieben über unser ganzes Haus!« Leise fuhr sie fort:
»Ich bin eine Frau ... wenden Sie sich ungeniert an mich, wenn Sie sich irgendwie aussprechen wollen!«
Kitty mußte den prächtigen blauseidenen Ecksalon im ersten Stock mit dem daranstoßenden reizenden Schlafkabinett besichtigen. Ein dritter Raum daneben mochte als Garderobe dienen.
Sie zögerte immer noch eine so kostspielige Wohnung zu nehmen, und Frau Kern meinte nur lachend, es habe ja keine Eile, sie werde nicht heute noch das Hotel verlassen.
Es war vier Uhr vorbei, als Frau Bachmann eilfertig ankam und »das gnädige Fräulein« aufforderte schleunigst Toilettegegenstände für eine Nacht einzupacken und den wartenden Wagen zu besteigen. In heller Ausregung sagte sie: »Majestät haben vor einer Stunde erst beliebt, heute im Jagdschloß Hirschhütte zu dinieren und morgen früh dort – so wurde dem Hofe gesagt – auf die Pürsche zu gehen. Ich bin aber hierhergeschickt, denn Majestät wollen, daß Sie ihm bei dem Ausflug Gesellschaft leisten. Wir fahren in einer Droschke von hier weg. Ein anderer Wagen bringt Sie später an eine bestimmte Stelle, wo Majestät zu Pferde eintreffen und dann mit Ihnen weiterfahren werden.«
»Was geschieht mit mir? Warum bringt man mich fort von hier?« fragte Kitty zitternd, mit weitaufgerissenen Augen.
»Aber, liebes, gnädiges Fräulein«, lautete die Antwort, »was denken Sie sich denn? 's ist ja eine Vergnügungsfahrt und eine überraschende Auszeichnung! Um fünf Uhr treffen Majestät am Rendezvous ein. Also schnell, schnell!«
Kitty that, was ihr geheißen wurde. Während des Einpackens schwatzte Frau Bachmann von großem Glück, von der Majestät, die ganz toll verliebt sei, von Überraschungen, die sicher noch kommen würden. Trotz der Droschke machte sich Frau Kern, die hinter einer Gardine zusah, ihre besonderen Gedanken, als Kitty mit Frau Bachmann fortfuhr, und als die anderen vormittags kurz vor zwölf Uhr zurückkehrende Sängerin recht ungeschickt eine Geschichte erzählte, wie sie dazu gekommen sei, bei der Frau Leibkammerdiener zu übernachten, that sie ganz gläubig, ließ sich aber eine halbe Stunde später nach dem hohen Schloß fahren. Sie hielt sehr viel auf ihre Respektabilität als wohlangesehene Bürgersfrau, wenn sie auch gern eine Gelegenheit wahrnahm, mit heiklen Dingen zu tändeln und sie fühlte die ganze Verachtung der anständigen Frau gegen eine Person, die anscheinend den Auftrag hatte, ein unverdorbenes Mädchen zur etikettmäßigen Sünderin auszubilden. Aber, wenn es sich ums Geschäft handelt, muß man mit allerlei Leuten rechnen können.
Frau Bachmann verhielt sich sehr zurückhaltend. Man wisse noch gar nicht, was geschehen werde. Der König sei bester Laune von Hirschhütte zurückgekommen und habe dem Hofjuwelier sowie den ersten Sekretär des Hofmarschallamtes, der schon öfter gewisse diskrete Geldangelegenheiten besorgt habe, rufen lassen. Es sei kaum zu bezweifeln, daß es sich diesmal um mehr als um ein vorübergehendes Abenteuer der Majestät handle. Da würde wohl dahin gewirkt werden, daß Fräulein Rita eine Wohnung bezieht, in der der König unbeobachtet aus und ein gehen kann. Ein Hotel sei hierfür kaum geeignet. Frau Kern war bemüht alle Bedenken zu beseitigen und meinte schließlich, wenn sie nur wolle, könne Frau Bachmann die Sache gewiß durchführen, denn sie habe ja anscheinend doch so eine Art Oberaufsicht über das Mädchen. Frau Bachmann erwiderte:
»Nun ja! Es hat sich zufällig so gemacht, daß ich der Kleinen ein bißchen an die Hand gegangen bin, damit sie keine Dummheiten begeht. Mißverstehen Sie die Sache nicht, liebe Frau Kern! Ich möchte mir nichts nachsagen lassen. Aufzuhalten war aber nichts mehr. Es giebt immer Mittel und Wege, wenn so ein hoher Herr sich einmal auf ein Abenteuer kapriziert. Nur Mitgefühl war es, daß ich ihr über das Peinliche der Situation ein bißchen hinüberhalf. Gott, so ein armes Ding!«
Sie lächelte dabei geringschätzig wohlwollend. »Ach ja! Wenn Eine beim Theater ist ... meinte Frau Kern mit einem bedauerlichen Seufzer.
»Das ist's eben!« sagte Frau Bachmann. »Sehen Sie, meine Liebe! Diese Rita kann nichts, scheint mir wenig geistreich und hat nur ein niedliches Lärvchen, einen schönen Körper. Die Leute wissen es ja im voraus, was geschieht, wenn sie so ein Ding allein in die Welt hinausschicken. Sie rechnen auch damit; nur sagen sie es natürlich nicht offen. S' ist traurig; aber man ändert die Welt nicht. Solche Geschöpfe sind eben einmal dazu da. Für das Püppchen ist's ja noch ein Riesenglück, wenn kein Geringerer als der König sie zur Maitresse macht. Wenn sie nicht hier engagiert wurde, nicht doch in bessere Hände kam, sondern in der Provinz herumvagierte ... was wurde da aus ihr!«
Noch am Abend traf bei Frau Bachmann ein Korb Sekt mit schönen Empfehlungen der Frau Kern ein.
Kitty hatte jeden Gedanken verloren und glaubte verzaubert zu sein, als erst vom Hofjuwelier im allerhöchsten Auftrage ihr ein aus Ohrringen, Halsband und Armreif bestehender Brillantschmuck, kostbar wie für eine Fürstin, übersandt wurde und eine halbe Stunde darauf der Hofsekretär Dannenberg sich mit einem tiefen Komplimente vorstellte, um ihr zu eröffnen, daß Majestät die Gage des gnädigen Fräuleins aus allerhöchster Privatschatulle auf fünfzigtausend Mark zu ergänzen befohlen habe, wovon er die erste Monatsrate zu überreichen die Ehre habe. Ferner gab ihr der elegante Herr ein kleines Büchelchen, das Blatt für Blatt unausgefüllte Anweisungen an die Hofbankiers Rosenfeld und Elias enthielt. »Zur Bestreitung etwaiger Toilettebedürfnisse«, sagte er und erklärte ihr wie sie nur so ein Zettelchen abzureißen brauche, um es als Geld zu verwerten. Endlich fügte er noch hinzu:
»Gnädiges Fräulein wünschen hier im Hause wohnen zu bleiben? Das dürfte allerdings nur provisorisch sein. Majestät haben bereits den Ankauf einer geeigneten Villa befohlen. Bis eine solche gefunden und eingerichtet ist, werden aber doch noch einige Monate vergehen. Das gnädige Fräulein wollen indessen, die hauptsächlichen Anordnungen bezüglich der Appartements mir überlassen, da der Verkehr der Majestät im Hause doch ganz bestimmte Dispositionen erfordert. Die besonderen Wünsche des gnädigen Fräuleins werden dadurch natürlich nicht beeinflußt. Bezüglich der Dienerschaft bitte ich, mit Frau Bachmann sich in Verbindung zu setzen.«
Kitty hörte das alles in stummer Verwirrung an und besann sich erst im letzten Augenblick, als der Herr Hofsekretär sich mit einem Handkusse von ihr verabschiedete, auf die ganz leise hingehauchten Worte:
»Bitte Majestät meinen ganz unterthänigsten Dank zu melden.« Allein, griff sie in einer wilden Freudengier nach den Diamanten, schmückte sich mit hastenden Fingern und koste vor dem Spiegel mit dem blitzenden, zuckenden Lichtspiel. Wie verliebt mußte der König in sie sein!
Die weibliche Eitelkeit nahm, sich mächtig blähend, von ihrer Seele Besitz. Als sie aber nach einer Weile den Blick auf die Banknoten und auf das Checkbuch lenkte und alles dessen gedachte, was der Hofsekretär gesagt hatte, da kam wieder die Angst über sie. Wohin trieb man sie, was geschah mit ihr? Das Wort »Maitresse« ging ihr durch das Gehirn, und dieses Wort war so schrecklich, wie die ewige Verdammnis. Was kümmerte den König ihre Verdammnis! Dem gefiel sie eben einmal, und es amüsierte ihn. An so etwas dachte er dabei nicht. Wenn sie es zu Hause, in Wien, wüßten! Die hatten ihr jetzt gar nichts mehr zu sagen, von denen brauchte sie sich nichts gefallen zu lassen! Die häßliche Cousine, das blasse, magere Ding, an der fände freilich kein König ein Gefallen! Die und Diamanten! Sie mußte lachen, als sie daran dachte. Das war richtig, für einen König war sie in allem doch zu einfach. Was sollte sie denn kaufen? Wie viel durfte man eigentlich mit dem Büchelchen da verbrauchen? Wenn der Hofsekretär das nur ungefähr gesagt hätte. Sie überlegte allerlei, was ihr nötig schien. Gleich morgen wollte sie in verschiedene Magazine gehen. Fünfzigtausend Mark! So viel konnte sie, ein einzelnes Mädchen, gar nicht in einem Jahre aufbrauchen, wenn sie noch so hoch rechnete. Da konnte man ja ein Vermögen ersparen! Heißt das, wenn der König sie nicht bald wieder fortschickte. Wenn sie in Ungnade fiel ... wie leicht konnte das einmal geschehen! ... Es war eine furchtbare Sünde. Die Sängerin war ja da ganz Nebensache geworden. Eine Villa ... Dienerschaft ... Sie hatte keine Ahnung, wie man ein so vornehmes Leben anfängt. Da mußte sie noch viel lernen. Es ist gar nicht so einfach die Maitresse eines Königs zu spielen. Wie unterthänig der Hofsekretär war! Die Leute, die von der vornehmen Welt nichts kennen, reden eben, wie sie's verstehen. Bei Hofe denkt man über die Dinge aber anders. Er würde sie bald wieder nach Hirschhütte kommen lassen, hatte er gesagt ...
Das viele Denken taugte nichts. Sie wurde müde davon und legte sich aufs Sofa. Aber die Gedanken spannen sich weiter, wie sie dalag, die Arme über dem Kopf, zur Decke blickend.
Sie war eben hübsch, sehr hübsch, und die Männer sind einmal so ... Sünde! Sünde! Es gab gar viele, die so waren, wie sie ... Die Mama hatte ja auch ... Der Champagner war gut. Sie trank gern Champagner. Sie hätte jetzt welchen haben mögen. Das konnte sie mit dem vielen Geld nach Herzenslust, Champagner trinken. Ins Wasser hatte sie springen wollen. Das war eine recht kindische Idee!
Sie sah nieder und bemerkte, daß sie die Diamanten noch immer umhängen hatte. Sie öffnete ihr Kleid und legte die Kette auf den entblößten Hals. Dann holte sie mehrmals tief Atem und beobachtete, wie die leuchtenden Steine sich auf und nieder bewegten.
Was würde sie wohl noch alles geschenkt bekommen? Eine sehr geschickte Kammerjungfer mußte sie haben ...
Es klopfte, hastig sprang sie auf, riß die Kette los und schloß das Kleid, ehe sie »herein!« rief.
Frau Kern war's, die, eben von Frau Bachmann heimgekehrt, den Hofsekretär in Verhandlung mit ihrem Gatten getroffen hatte. Sie bewunderte zunächst mit lauten Ausbrüchen der weiblichen Lust am Anblicke von Geschmeiden das auf dem Tische liegende Halsband und sah dabei Kitty immer wieder mit leichtem Erröten und scheu lüsternen Seitenblicken an. Dann aber lud sie diese mit der eindringlichen Beredsamkeit der geschäftseifrigen Wirtin zur Besichtigung der neuen Wohnung ein, deren Hauptgemächer sogleich bezogen werden könnten. Die übrigen, vor allem ein Speisezimmer und eine Badestube, ferner drei Stuben für die Dienerschaft würden in den nächsten Tagen fertiggestellt sein, desgleichen der Abschluß ihrer Wohnung vom übrigen Hotel durch eine mit Thür versehene Fachwand auf dem Korridor. Die bisher von der Hoteldienerschaft benutzte, nach der Seitenstraße mündende Treppe würde fein ausgestattet und gegen die obere Etage abgesperrt werden.
»Ja, aber ... was kostet das?« fragte Kitty. Frau Kern sah sie verwundert an und sagte: »Na – – es ist mir nicht verboten worden, es zu sagen. Hundert Mark pro Tag für das Fräulein und die Dienerschaft, ohne Getränke natürlich, ist verabredet. S'ist ein mäßiger Preis, und der Herr Hofsekretär hat ihn sofort bewilligt. Aber Ihnen kann's ja gleichgültig sein. Sie bezahlen's ja nicht!« »Wie so?« meinte Kitty höchst verwundert.
Nicht minder verwundert antwortete Frau Kern: »Der Herr Hofsekretär hat die Ordre gegeben, allwöchentlich solle die Rechnung über alles, was für Sie und Ihre Dienerschaft von uns geleistet wird, bei Hof eingereicht werden.«
»Ja, dann habe ich ganz falsch verstanden, was er mir sagte«, entgegnete Kitty. »Ich glaubte, er besorge alles, ich aber müßte es bezahlen.« Sie lächelte, wie verlegen über eine Ungeschicklichkeit.
Frau Kern fuhr mit vertraulicher Heiterkeit fort:
»I bewahre! Er hat noch eigens gesagt, jeder besondere Wunsch des gnädigen Fräuleins soll auf das sorgfältigste ausgeführt werden. Sie brauchen nur zu befehlen, und wir dürfen wohl hoffen, daß Sie uns was verdienen lassen. Die Änderungen, die der Hofsekretär befohlen hat, verursachen nicht geringe Kosten, an der Pension profitieren wir gar nicht übermäßig. Wir haben eben gerechnet, daß allerlei Nebenverdienst abfällt. Bei Hof kommt es nicht auf etliche hundert Mark mehr oder weniger an, und Sie selber wären sehr ungeschickt, wenn Sie nicht aus dem Vollen schöpften. Ich bin eine einfache Bürgersfrau, aber ich finde es sehr natürlich, wenn eine Dame, wie Sie, sich nicht zu bescheiden macht. Ist's jetzt vielleicht gefällig, die Appartements zu besichtigen?«
Kitty verschloß ihren Schmuck und die Gelder und folgte dann Frau Kern. In dem Ecksalon des ersten Stockwerkes, der zwar den Gasthofcharakter nicht verleugnete, aber mit den schweren Fensterdekorationen, den zwei großen Spiegeln, dem dicken Teppich und den hellblauen, weiß gemusterten und reich mit Troddelwerk verzierten Möbeln, Kitty überaus prächtig erschien, begrüßte sie Herr Kern mit tiefer Verbeugung und hielt eine Art Ansprache. Das allerliebste Schlafzimmer mit der hellgeblümten Tapete und dem großen Eichendoppelbett unter einem Baldachin, der gleich der Chaiselongue rosenfarben mit grauem Blumenmuster war, betrat Kitty mit Frau Kern allein. Diese senkte die Augen, als sie mit leiser Stimme sagte:
»Wenn es nicht elegant genug gefunden werden sollte, werden wir natürlich für wertvollere Dekoration sorgen.«
»Es ist ja ganz reizend«, sagte Kitty mit vergnügter Unbefangenheit, wurde aber feuerrot, als Frau Kern im selben Tone fortfuhr:
»Der Herr Hofsekretär meinte auch, es dürfte den Ansprüchen genügen.«
Sie ging rasch nach dem Salon zurück. Man einigte sich über den sofortigen Umzug, der unter Leitung der Frau Kern mit einem Aufgebot zweier Stubenmädchen, des Hausknechtes und des Zimmerkellners in einer halben Stunde bewerkstelligt war. Das von Frau Kern ständig zur höchsten Fixigkeit angespornte Personal hatte gar nicht Zeit, sich über den überraschenden Vorgang zu bereden. Die prächtige Wohnung, in der sie sich so furchtbar vornehm vorkam, der Gedanke, daß sie trotz der großen Gage ganz umsonst leben sollte, wie es ihr gefiel, während ihr schon Angst geworden war, sie sei zu Auslagen gezwungen, die von dem schönen Geld doch wieder so viel verschlängen, hatten Kitty in eine freudig erregte Stimmung versetzt, die sie zugleich antrieb, gegen die geschäftig liebenswürdige Frau Kern etwas wie Dankbarkeit zu empfinden. Als diese schließlich nach etwaigen weiteren Befehlen fragend sich zurückziehen wollte, sagte sie, sich vertraulich anschmiegend:
»Ich hin den großen Salon noch gar nicht gewöhnt und würde mich allein hier recht einsam fühlen. Leisten Sie mir ein bißchen Gesellschaft.«
»Mit größtem Vergnügen!« entgegnete Frau Kern
In einem schüchtern fragenden Tone fuhr Kitty fort:
»Wissen Sie, liebe Frau Kern, was ich noch gern möchte?«
»Das wäre, gnädiges Fräulein?«
»Ein Glas Sekt!« stieß sie halbflüsternd hervor.
»Aber sofort! Selbstverständlich!« rief Frau Kern höchst eifrig und drückte an die elektrische Klingel.
»Eine Flasche Pommery für das gnädige Fräulein!« rief sie dem eintretenden Zimmerkellner zu.
»Sie trinken doch mit?« fragte Kitty, und die sich aufschürzende Oberlippe enthüllte die kleinen weißen Zähne.
»Wenn Sie gestatten!«
»Ich trinke Sekt so gern!« sagte Kitty hoch aufatmend, als sie das erste Glas hinabgestürzt hatte.
Ein lebhafteres Gespräch kam trotz verschiedenartiger Bemühungen der Frau Kern nicht in Fluß. Kitty starrte die Redende zwar anscheinend aufmerksam an, lächelte zuweilen, gab aber nur knappe Antworten und trank, da Frau Kern sich sehr zurückhielt, fast die ganze Flasche allein aus. Die erhitzten Wangen mit den beiden Handrücken greifend und den Atem heftig ausblasend, sagte sie endlich:
»Mir tanzt alles vor den Augen. Ich hab' einen Schwips!«
»Ruhen Sie etwas, gnädiges Fräulein!« meinte Frau Kern.
Kitty erhob sich.
»Alle Tage trinke ich jetzt Sekt. Das kann ich mir erlauben, nicht wahr?«
»Gewiß! Gewiß!« erwiderte Frau Kern, die ebenfalls aufgestanden war und Kitty leicht am Arme stützte. Deren Augen erweiterten sich noch und traten stärker vor, während sie mit immer mehr schwankender Stimme weiterschwatzte:
»Meine Diamanten sind schön! Ja, sehr schön. Ich bekomme noch mehr, noch viel mehr und einen eigenen Wagen bekomme ich auch. Ach, reich werde ich, so reich ... das wissen Sie gar nicht, wie reich ich bin, Sie gute, liebe Frau! Gut und lieb, ja, das sind Sie. Sehr gut und lieb.«
Damit schmiegte sie sich schwerfällig an Frau Kern an, die sie drängte, im Schlafzimmer sich zur Ruhe zu legen.
Während Frau Kern ihr allerlei Hilfeleistungen bot, lallte die Berauschte bald lauter, bald murmelnd:
»So lieb und gut! ... Da draußen in ... in ... Hirschhütte, ja, Hirschhütte heißt's, da hab' ich auch Sekt getrunken, oh, so viel Sekt! ... Weißes Tierchen, hat er gesagt. Das ist dumm, das ist gemein! Nicht wahr? ... Ich muß aber doch wieder hinaus! ... Ich muß ... ich muß! ... So lieb und gut ... Gute Frau Kern, ich hab' Sie lieb, ja, ich hab' Sie wirklich ... lieb.«
In ihrer Kleidung erleichtert, schlief Kitty alsbald auf der Chaiselongue ein.
Am nächsten Tage kam Frau Bachmann zu ihr, und in deren Begleitung fuhr sie nach verschiedenen Geschäften. Erst wurden nur die dringlichsten unmittelbaren Anschaffungen gemacht, die freilich auch schon mehrere Tage in Anspruch nahmen. Kitty bekam, als man damit etwa sechstausend Mark verbraucht hatte, einen Anfall von Ängstlichkeit, den aber Frau Bachmann lustig lachend beseitigte. Die großen Bestellungen waren ja erst noch zu machen; Frau Bachmann riet aber, damit vorsichtig zu Werke zu gehen und erst sehr genaue Erkundigungen darüber einzuziehen, wem diese zu übertragen seien. Sie war, wie sie sagte, selber nicht so genau über die besten Bezugsquellen von Modeartikeln allerersten Ranges vertraut. Nach einigen Tagen hatte sie sich jedoch die nötigen Aufschlüsse verschafft. Überall, wohin Kitty unter steter Begleitung der Frau Bachmann kam, wurde sie mit den tiefsten Bücklingen empfangen und verabschiedet und dazwischen mit einer das ganze Personal in Erregung bringenden Aufmerksamkeit bedient. Selbst in solchen vornehmen Geschäften, in denen der Prinzipal der Kundschaft fast nie sichtbar war, sondern als geheimer Gott nur im Comptoir thronte, wurde sie von diesem feierlich empfangen, und sein persönliches Kommando setzte das Personal in Bewegung. Anderen anwesenden Kunden, die verwundert fragten, wer denn dieses niedliche Püppchen mit dem Christkindchenkopf sei, vor dem die kostbarsten Dinge aufgetürmt wurden, flüsterte man mit einer ein sensationelles Geheimnis andeutenden Stimme zu: »Fräulein Rita, die neue Sängerin – macht großartige Bestellungen – ihre Begleiterin ist die Frau des königlichen Leibkammerdieners!«
Kitty wühlte mit gierigen Blicken und zuckenden Fingern in den vor ihr aufgestapelten Schätzen, und Frau Bachmann ermunterte immer zu Bestellungen, denn sie hatte vorgesorgt, daß jene Geschäfte, denen sie den kostbaren Vogel zuführte, ihr bedeutende Provisionen zahlten. Nach wenigen Tagen fuhr Kitty an den Geschäften im eigenen seidengepolsterten Coupé vor, dessen weitausgreifender schwarzer Traber mit der schweren Mähne und dem ihren Namenszug tragenden goldplattierten Geschirr ein stattlicher Kutscher in dunkelbraunem Rock und weißen Lederhosen mit Stulpstiefeln lenkte, während neben ihm ein hübscher sechzehnjähriger Groom mit verschlungenen Armen saß.
Zu Hause harrten die Kammerfrau, die zugleich Gesellschafterin war und auch mit ihr am Tische, den der Groom bediente, speiste, sowie eine Jungfer ihrer Befehle. Der König hatte nach dem ersten Besuche in ihrer Wohnung angeordnet, daß der Salon von der Hofgärtnerei mit den wertvollsten Blumen in reichen Gefäßen ausgeschmückt würde. Auf ihrem Toilettetisch standen neben dem schwersilbernen, mit ihrem Monogramm geschmückten Service die feinsten Pariser und Londoner Parfüms und Essenzen zu verschiedenem Gebrauch bereit. Der König kam nie ohne eine Bonbonnière, und als sie auf seine gelegentliche Frage, ob sie denn nicht nach einem Hündchen oder einem Papagei Verlangen trüge, von einem Affen sprach, den sie wohl zum Spielzeug haben möchte, wurde ein kleines schwarzbraunes Äffchen mit rosigem Gesicht und nackten Händchen beschafft, das sie »Muckerl« nannte. Sie teilte ihre Bonbons mit ihm, es schlief bei ihr in einem Puppenbettchen, sie wusch es selber des Morgens in dem parfümierten Bade, das sie eben verlassen hatte. Es saß bald im Schoße, bald auf dem Arm, wo es dann schmeichlerisch das eigene Ärmchen um den Hals der Herrin legen lernte. Ihre Neigung für den Champagner wurde täglich befriedigt.
Sie wußte nichts anderes mehr, als daß sie etwas wie ein verzaubertes Mädchen in einem Märchen sei, das wie eine Prinzessin lebte und jeden Wunsch befriedigt sah, aber nur dem großen Zauberer, dem König, zu dem sie immer noch mit ängstlicher Scheu aufsah, demütig willfährig als Spielzeug dienen mußte. Da von Fräulein Schwarz, der Kammerfrau, kunstvoll gepflegt, dort von Frau Bachmann in der neuen glanzvollen Welt geleitet und beraten, Juwelen, Spitzen, Seide, Blumen vor Augen, von Wohlgerüchen umduftet, perlenden Champagner zu Leckerbissen schlürfend, durch die glänzenden Straßen der Stadt auf Gummirädern über den Asphalt schaukelnd, hatte sie keine Zeit über Sünde und dergleichen nachzudenken.