Johann Heinrich Pestalozzi
Wie Gertrud ihre Kinder lehrt
Johann Heinrich Pestalozzi

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Vorrede zur 2. Auflage

Wenn diese Briefe in gewissen Rücksichten schon als von der Zeit beantwortet und zum Teil widerlegt angesehn werden könnten und von dieser Seite mehr der Vorwelt als der Gegenwart zuzugehören scheinen, so ist auf der andern Seite doch auch wahr, wenn die Idee der Elementarbildung an sich selbst und in ihrem Wesen einen Wert hat und sich für die Nachwelt zu behaupten geeignet ist, so haben diese Briefe, insofern sie Licht geben, auf welche Weise sich diese Idee in ihrem Entkeimen in mir selber entfaltet, von dieser Seite für jeden Menschen, der die psychologische Entfaltung der Bildungsmittel unsers Geschlechts seiner Aufmerksamkeit würdigt, auf immer einen bleibenden Wert. Neben dieser allgemeinen Ansicht der Sache ist es gewiß merkwürdig, daß diese Idee, mitten in der Einfachheit und Kunstlosigkeit meines Seins und Lebens, aus meinem Dunkel gleichsam wie aus der Nacht hervorgehend, dennoch schon in ihrem ersten Entkeimen in mir wie ein Feuer brannte, das den Menschensinn zu ergreifen eine Kraft zeigte, die sich später, da sie als Verstandessache in ihrer tiefern Bedeutung ins Auge gefaßt und ausgesprochen wurde, nicht in ihrer ersten Lebendigkeit erhielt und sogar eine Weile zu erlöschen schien. Die Herren Ith, Johannsen, Niederer und mehrere gaben den lebendigen Äußerungen meiner Ansichten schon in diesem Anfang eine Bedeutung, die weit über diejenige hinausging, die ich ihnen selbst gab, die aber darum auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Art rege machten, die man in der Folge nicht unterhalten konnte, wie sie rege gemacht worden. Gruner, von Türk und Chavannes faßten ungefähr in der gleichen Zeit die Tatsachen, die aus unsern Versuchen hervorgingen, ebenso bedeutungsvoll auf und brachten sie ebenso auf eine Weise dem Publikum unter Augen, die weit über die ursprünglichen Ansichten meines Gegenstands und über die Kraft, die meinen Bestrebungen zum Grunde lag, hinausging. Es lag freilich im tiefern Gefühl meines Innern eine wirkliche Ahnung des Höchsten, was durch eine tiefere Ansicht des Erziehungswesens erzielt werden könnte und sollte, und es ist unstreitig, die Idee der Elementarbildung lag im Wesen ihrer vollen Bedeutung in meiner Ansicht und schimmerte durch jedes Wort, das ich darin redete, hervor; aber der Drang, der in mir lag, einfache und für jedermann verständliche Unterrichtsmittel für das Volk zu finden und zu suchen, ging in mir nicht aus der in mir liegenden Ahnung des Höhern, das aus den Folgen dieser gefundenen Mittel hervorgehen konnte, sondern im Gegenteil, diese Ahnung ging aus der Lebendigkeit des Drangs, der in mir lag, diese Mittel zu suchen, hervor. Dieser führte mich natürlich und einfach dahin, sehr bald einzusehn, daß allgemeinverständliche Unterrichtsmittel von einfachen Anfangspunkten ausgehn müssen, und wenn sie in lückenlosen Reihen- und Stufenfolgen fortgeführt werden, ihre Resultate zu einem psychologisch gesicherten Erfolg hinführen müßten. Aber diese Ansicht lag nichts weniger als mit philosophisch bestimmter Heiterkeit und in wissenschaftlichem Zusammenhange in mir. Unfähig, durch abstrakte Deduktionen diesfalls ein befriedigendes Resultat herbeizuführen, wollte ich meine Ansichten in praktischen Ausführungen erprobt dastehn machen und suchte wesentlich und ursprünglich durch Versuche und Erfahrungen es mir selbst klar zu machen, was ich eigentlich wollte und konnte, um auf dieser Bahn die Mittel zu finden, das auszuführen, was ich suchte. Alles, wornach ich damals strebte und wornach ich auch heute strebe, lag in mir selbst in inniger, warmer Verbindung mit dem, was ich schon zwanzig Jahre früher auf meinem Gut versuchte.

Aber die höhere Bedeutung, die meinen Ansichten so laut, vielseitig und, ich muß sagen, leichtsinnig voreilig gegeben worden, gab der Art und Weise, wie dieselben in meinem Hause, in der Führung meiner Anstalt behandelt wurden, eine Richtung, die weder im Innern meiner Individualität noch im Innern derjenigen meiner Umgebungen und Gehilfen wohl begründet dastand, und ich ward durch die Art, wie dieses geschah, aus mir selbst auf ein Terrain geführt, das mir ganz fremd war und das ich in meinem Leben nie betreten. Es ist gewiß, der Boden, auf den wir uns in dieser Welterscheinung, in die wir gleichsam wie aus den Lüften herabfielen, hinstellten, war für mich nicht bloß ein ganz neuer Boden, es schienen sogar in meiner Eigenheit, im Mangel meiner wissenschaftlichen Bildung und in der Eigenheit meines ganzen Seins sowie in dem Alter, zu dem ich in diesem Zustand meiner selbst gelangt war, Gründe zu liegen, daß man nicht hätte daran denken sollen, daß für mich auf dieser Laufbahn auch nur ein halbglücklicher Stern aufgehn konnte. Auch in den Eigenheiten meiner Umgebungen und des Personals, das zum Teil im höchsten Grad selbst unbeholfen meinen Bestrebungen auf diesem neuen Terrain hilfreiche Hand bieten sollte, schienen offenbar unübersteigliche Hindernisse gegen die Hoffnung, mit glücklichem Erfolg auf diesem Terrain vorschreiten zu können, zu liegen. Indessen war ein lebendiger Trieb, dieses Terrain zu betreten, in unserer Mitte allgemein rege. Die Stimme, wir können es, ehe wir es konnten, und wir tun es, ehe wir es taten, war zu laut, zu vielseitig, zu bestimmt und zum Teil von Männern ausgesprochen, deren Zeugnis an sich wirkliche Bedeutung hatte und Achtung verdiente, aber für uns zu viel Reiz hatte und uns dahin brachte, daß wir mehr daraus machten, als es wirklich sagte und sagen konnte. Kurz, die Zeit, wie sie war, blendete uns. Doch wir arbeiteten in dieser Zeit noch tätig, um unserm Ziel praktisch entgegenzugehn. Es gelang uns auch in vielen Rücksichten, auf dem Weg einer bessern, psychologischen Begründung einige Anfangs-Unterrichtsfächer in eine bessere Ordnung zu bringen, und unsere Bemühungen hätten von dieser Seite wirklich von bedeutenden Folgen werden können; aber die praktische Tätigkeit, die das Gedeihn unserer Zwecke allein hätte sichern können, verlor sich allmählich in unserer Mitte auf eine bedauerliche Weise. Fremde, unserm Pflichtstand ferne Gegenstände verschlangen bald unsere Zeit, unsere Kräfte und gaben der Einfachheit, dem Geradsinn, der Beschränktheit und wahrlich selber der Menschlichkeit unserer ursprünglichen Bestrebungen einen starken Herzstoß. Große Weltverbesserungsideen, die aus frühe überspannten, höhern Ansichten unsers Gegenstands hervorgingen, beschäftigten unsere Köpfe, verwirrten unsere Herzen und machten, daß unsere Hände die Notarbeit des Hauses, die vor unsern Augen lag, unbesorgt liegen ließen. In diesem Zustand der Dinge mußte sich der alte, ursprüngliche, höhere Geist unserer Vereinigung notwendig verlieren. Unsere alte Liebe konnte nicht mehr die nämliche sein. Wir sahen mehr und minder alle die Übel, unter denen wir litten, aber keiner suchte und sah sie genugsam, und wie er sollte, in sich selbst. Ein jeder gab mehr und minder den andern schuld; jeder forderte von dem andern, was er selbst nicht konnte und nicht tat, und unser größtes Unglück in diesem Zustand war, daß unsere Bestrebungen in demselben vorzüglich und höchst einseitig in tiefen, philosophischen Untersuchungen dahin lenkten, Hilfe gegen die Übel unsers Hauses zu suchen. Wir waren im allgemeinen durchaus nicht fähig, auf diesem Weg zu finden, was wir suchten. Niederer war es allein, der auf dem Terrain, auf das wir uns jetzt hinwagten, in sich selbst Kraft fühlte, und da er eine Reihe von Jahren in dieser Kraft allein in unserer Mitte lebte, gewann er dadurch nicht nur auf meine Umgebungen, sondern auch auf mich einen so überwägenden Einfluß, daß ich eigentlich mich selbst in mir selbst verlor und gegen meine Natur und gegen alle Möglichkeit, es zu können, aus mir selbst und aus meinem Haus das zu machen strebte, was wir hätten sein müssen, um auf diesem Terrain auf irgendeine Weise vorwärts zu kommen. Dieses Übergewicht, das Niederer diesfalls in unsrer Mitte gewann, und die Ansichten, die er in Rücksicht auf unsern Gegenstand aufstellte, ergriffen mich so und führten mich im Streben nach denselben zu einer so hingebenden Unterwerfung und zu einer so vollendeten Hingebung und Vergessenheit meiner selbst, daß ich, so wie ich mich selber kenne, jetzt bestimmt sagen darf und sagen muß, es ist ganz gewiß, wenn er damals, da ich diese Briefe geschrieben, schon bei uns gewesen wäre, so würde ich jetzo den ganzen Inhalt derselben und folglich die Idee der Elementarbildung, wie sie damals schon gleichsam in einem Traum in mir lag und wie aus den Wolken hervorschimmerte, selber als allein von ihm ausgegangen und aus seiner Seele in die meine hinübergetragen ansehn. Man muß freilich, um diese Äußerung zu glauben und sie so natürlich und unschuldig, wie sie aus mir hervorgeht, ins Auge zu fassen, mich näher kennen und bestimmt wissen, wie sehr ich auf der einen Seite von der Überzeugung belebt bin, in welchem Grad mir klare, philosophisch bestimmte Begriffe über diesen Gegenstand gemangelt haben und noch mangeln, und ebenso, in welchem Grad auf der andern Seite mein Vertrauen auf die diesfälligen höhern Einsichten meines Freunds und die Wichtigkeit, dieselbige auf den Erfolg meiner mir selber in großer Beschränkung undeutlich in mir liegenden Idee haben konnten und sollten, in mir selbst lag. Der Umstand, daß Herr Niederer damals, da ich diese Briefe schrieb, noch nicht in unsrer Mitte war, ist es auch ganz gewiß allein, was es mir möglich macht, klar einzusehn, was in Rücksicht auf unsere Bestrebungen einer elementarischen Bearbeitung des Unterrichts Herrn Niederers Verdienst war, und was darin als von mir ausgehend angesehen werden darf. Ich weiß, wie wenig dieses letzte ist und wieviel und was es noch forderte, wenn es nicht ganz zu nichts werden oder wenigstens gar nichts aus ihm werden sollte. In letzter Rücksicht ist mein Glück größer als mein Verdienst. In jedem Fall ist mir jetzt ganz klar, daß die der praktischen Ausführung vorgeschrittene und sie weit überflügelnde und hinter sich zurücklassende Deduktionsansicht unserer Bestrebungen die Ansicht Herrn Niederers war, und daß hingegen meine Ansicht des Gegenstandes aus einem lebendigen Streben nach Mitteln in der Ausführung desselben hervorgeht und mich drang, eigentlich tatsächlich und empirisch zu suchen, zu erringen und zu erkämpfen, was nicht da war und was ich wirklich selber noch nicht kannte. Beide diese Bestrebungen öffneten einem jeden von uns den Weg, welchen er, um zum gemeinsamen Ziele zu kommen, gehn sollte und für den er in sich selber eine vorzügliche Kraft fühlte. Aber wir taten das nicht und hinderten uns vielmehr in unserm Weg, indem wir es lange, und nur gar zu lange, erzwingen wollten, ihn Hand in Hand und, ich möchte sagen, in gleichen Schuhen und in gleichen Schritten zu gehen. Unser Ziel war das nämliche, aber der Weg, den wir betreten sollten, um zu demselben zu gelangen, war von der Natur einem jeden von uns nach einer andern Richtung bezeichnet, und wir hätten früher erkennen sollen, daß jeder von uns in dem Grad sicherer und leichter zu seinem Ziel kommen werde, als er denselben in vollkommener Freiheit und Selbständigkeit betreten und fortwandeln würde. Wir waren zu sehr verschieden. Mich drängt der Brosamen, der am Weg liegt, wenn ich glaube, er sei geeignet, auch dem kleinsten, einzelnen Teil meiner Bestrebungen Nahrung zu geben und ihn auf irgendeine Weise vorwärts zu fördern; ich muß ihn vom Boden aufnehmen, ich muß mich bei ihm aufhalten und ihn einzeln von allen Seiten anschauen und kann ihn, ehe ich ihn auf diese Weise genugsam erkannt, unmöglich in allgemeinen Verbindungen und im Zusammenhang mit dem Umfang der Verhältnisse, in die er als einzelner Teil unsrer Bestrebungen einschlägt, beurteilend und für mich belehrend ins Aug fassen. Das Ganze meiner Lebensweise hat meinem Dasein keine Neigung und keine Kraft gegeben, voreilend in irgendeiner Sache nach heitern und klaren Begriffen zu streben, ehe dieselbe, von Tatsachen unterstützt, in mir selbst einen Hintergrund hat, der mir in mir selbst für sie zum voraus einiges Vertrauen erweckt; darum werde ich auch bis an mein Grab in den meisten meiner Ansichten in einer Art von Dunkel verbleiben; aber ich muß es sagen, wenn dieses Dunkel vielseitige und genugsam belebte Anschauungen zu seinem Hintergrund hat, so ist es für mich ein heiliges Dunkel. Es ist für mich das einzige Licht, in dem ich lebe und zu leben vermag, und ich gehe in diesem Helldunkel meiner Eigenheit meinem Ziel in dem Grad mit Ruhe und Befriedigung entgegen, als ich dieses mit Ruhe und in Freiheit zu tun vermag, und ich stehe auf dem Punkt, auf dem ich mich in Rücksicht auf meine Bestrebungen befinde, in der Überzeugung fest, daß ich, mitten indem ich in meinem Leben zu sehr wenigen, wörtlich in philosophischer Haltbarkeit bestimmten Begriffen gelange, auf meinem Weg dennoch einige Mittel zu meinem Ziel finden werde, die ich auf dem Weg der philosophischen Nachforschungen nach heitern Begriffen über meinen Gegenstand, wie ich ihn zu gehn vermochte, nicht gefunden hätte. Ich klage also über mein diesfälliges Zurückstehen gar nicht. Ich soll es auch nicht. Ich soll den Weg meiner Empirik, der der Weg meines Lebens ist, willig und gern fortwandeln, ohne nach den Früchten des Baums einer Erkenntnis zu gelüsten, der für mich und für die Eigenheit meiner Natur eigentlich verbotene Früchte trägt. Wenn ich den Weg meiner, auch noch so beschränkten Empirik ehrlich, treu und tätig fortwandle, so denke ich, durch sie bin ich, was ich bin, und weiß, was ich weiß, und mein Sein und mein Tun ist doch nicht völlig nur ein blindes Tappen nach wirklich nicht begriffenen Erfahrungen. Ich hoffe mehr. Ich hoffe, es wird auch in meinem Gang in Rücksicht auf meinen Gegenstand einiges philosophisch begründet klar werden, was auf irgendeinem andern Gang nicht leicht zu der gleichen Klarheit hätte gebracht werden können. Die Individualitätseigenheiten unsers Geschlechts sind nach meinem Gefühl die größte Wohltat unsrer Natur und das eigentliche Fundament, woraus ihre höchsten und wesentlichsten Segnungen hervorgehn. Darum sollten sie auch in hohem Grad respektiert werden. Sie können das aber nicht, wo man sie nicht sieht, und man sieht sie nicht, wo ihnen immer alles im Weg steht, sich zu zeigen, und jede Selbstsucht nur dahin trachtet, ihre Eigenheit herrschend und die Eigenheiten der andern der seinigen dienend zu machen. Wo man sie respektieren will, da ist notwendig, daß man das nicht trenne, was Gott zusammengefügt, aber auch ebenso, daß man das nicht zusammenfüge, was Gott getrennt hat. Alles künstliche und gewaltsame Zusammenfügen von an sich heterogenen Gegenständen hat seiner Natur nach in allen Verhältnissen das Stillstellen der Individualkräfte und Individualeigenheiten, die unpassend zusammengeknüttelt werden, zur Folge, und solche unpassend zusammengefügte und dadurch stillgestellte und verwirrte Individualkräfte und Individualeigenheiten sprechen sich dann in jedem Fall als gewaltsam herbeigeführte Unnatur aus und wirken dann auf das Ganze der Massa, zu deren Gunsten sie also zusammengefügt werden wollten, auf eine sie in ihrem ganzen Zusammenhang störende, verwirrende und abschwächende Weise. Ich weiß, was ich nicht bin, und glaube redlich sagen zu dürfen, ich will nicht mehr sein, als ich bin; aber um die Kräfte zu benutzen, die mir, so wie ich bin, in die Hand fallen möchten, mußte ich in meiner Kraft, so klein als diese auch immer war, frei und selbständig dastehn, damit auch an mir das Wort »wer da hat, dem wird gegeben werden« wahr werden könne, und nicht das zweite »wer aber nichts hat, von dem wird auch das, was er hat, genommen werden« gar zu drückend an mir erfüllt werden müsse.

Da ich den Wert, den dieses Buch jetzo noch für die Welt und für mich haben mag, von dieser Seite ins Auge fasse, so mußte ich dasselbe auch vollkommen in der Gestalt, in der es vor zwanzig Jahren den Mut hatte hervorzutreten, wieder erscheinen lassen. Indessen habe ich über das seitherige pädagogische Vorschreiten in den Unterrichtsübungen und Mitteln unsers Hauses in einigen meiner neuern Schriften die nötigen Aufschlüsse gegeben. Ich werde auch fortfahren, dieses mit aller Beförderung forthin zu tun, und besonders werde ich im fünften Teil von Lienhard und Gertrud über diesen Punkt mehr Licht geben, als ich seither darüber zu geben vermochte. Was aber das Historische und Personelle betrifft, das ich in diesen Briefen berühre, trete ich gegenwärtig gar nicht darüber ein. Ich kann nicht wohl. Ich lächle jetzt über vieles und sehe es ganz anders an, als ich es ansah, da ich diese Briefe schrieb. Über vieles davon möchte ich jetzt auch lieber weinen als lächeln. Doch ich tue jetzt auch dieses nicht. Ich mag jetzt weder weinerlich noch lächelnd darüber reden. Mein Gefühl sagt mir, die Stunde meines diesfälligen Schweigens sei noch nicht ausgelaufen. Das Rad meiner Schicksale ist auch noch nicht ausgelaufen. Mein Lächeln und Weinen wäre jetzt noch über vieles voreilend und könnte, wenn es nicht bei geschlossenen Türen geschähe, jetzo noch schädlich werden. Es kann sich in Rücksicht auf die Gegenstände und Gesichtspunkte, die in diesem Buch berührt sind, noch vieles und vielleicht gar bald ändern. Vielleicht lächle ich gar bald über vieles, worüber ich jetzt noch weinen möchte, und vielleicht denke ich über einiges in kurzem ganz ernst, worüber ich jetzt nur lächelnd hinschlüpfte. In dieser Lage der Dinge habe ich das Buch beinahe unverändert gelassen. Die Zeit wird den Kontrast, der zwischen einigem, das darin gesagt ist, und zwischen dem Zustand, worin ich mich des Gesagten halber wirklich befinde, stattfindet und vieles von dem Gesagten unbegreiflich und unerklärlich in die Augen fallen macht, schon heiter machen, wenn es je notwendig werden sollte. Ich glaube es zwar nicht. Würde es aber jemals, wenn auch hinter meinem Grab, notwendig, so möge es dann in milden und nicht in grellen Farben geschehn!

Iferten, am 1. Juni 1820.


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