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[IV]

London. – Paris. – Sitzung der geographischen Gesellschaft. – Nachrichten aus Madagaskar. – Das öffentliche Leben in Paris. – Sehenswürdigkeiten. – Eine Mordgeschichte. – Versailles. – St. Cloud. – Feier des Sonntags.

 

Am 2. Juli verließ ich Rotterdam und fuhr mit einem Dampfer, den Herren Smith und Ers gehörig, nach London (150 Seemeilen in 20 Stunden). Diese Compagnie war die erste englische, welche mich nicht bezahlen ließ. Ich hatte meinen Platz bereits genommen; sobald aber Herr Smith meinen Namen erfuhr, stellte er mir auf die freundlichste Art mein Passage-Geld zurück.

In London verbrachte ich ungefähr 4 Wochen bei meinem werthen Freunde Herrn Waterhouse, einem der Direktoren des britischen Museums.

Am 1. August ging ich nach Paris.

Der Hauptzweck meiner diesmaligen Reise war die Insel Madagaskar, mit deren Regenten die französische Regierung allein einigermaßen in Verbindung steht, zu besuchen. Ich mußte daher, wollte ich genauere Erkundigungen über dieses ziemlich unbekannte Land einziehen, nach Paris gehen, was mir, aufrichtig gestanden, nicht unangenehm war, denn so unglaublich es manchem meiner Leser erscheinen mag, ich habe, obwohl seit Jahren die Welt durchziehend, nie diese Stadt besucht.

Ich traf am 2. August Morgens in Paris ein und begann noch an demselben Tage meine Gänge. Mein glücklicher Stern fügte es, daß der erste Besuch, welchen ich machte, dem Präsidenten der geographischen Gesellschaft, Herrn Jaumard, galt und daß gerade am Abend dieses Tages die Gesellschaft ihre letzte Sommersitzung abhielt.

Ich hatte an Herrn Jaumard einen sehr warmen Empfehlungsbrief von Herrn Professor Carl Ritter in Berlin. Hr. Jaumard nahm mich auf das Freundlichste auf und lud mich ein, der Sitzung beizuwohnen, in welche mich der bekannte Geograph Herr Malte-Brun Abends einführte. Man wies mir einen Platz etwas entfernt von der Tafel an. Gleich zu Anfang der Sitzung hielt der Präsident eine Rede, in welcher er mich der Gesellschaft vorstellte, mit wenigen Worten meiner Reisen erwähnte und mit dem Vorschlage schloß, mich als Ehrenmitglied aufzunehmen. Die versammelten Mitglieder erhoben die Hände, und meine Aufnahme war einstimmig entschieden.

Man kann sich mein Erstaunen, meine Freude über diese Auszeichnung vorstellen, auf die ich wahrhaftig nicht im Geringsten gefaßt war; meine Freude war um so größer, als auch mein Jugendlehrer, der mich in der Geographie und Geschichte unterrichtet hatte, seit dem Jahre 1829 als korrespondirendes Mitglied dieser Gesellschaft fungirte (siehe Gräffer's österr. National-Encyklopädie: Emil, Seite 49). Der Präsident erhob sich hierauf, holte mich von meinem Platze und geleitete mich zur Tafel, an welcher ich nun als Mitglied unter den herzlichsten Begrüßungen der ganzen Gesellschaft meinen Sitz einnahm.

Ich berieth mich sogleich in der Sitzung mit den Herren Mitgliedern über mein Vorhaben, eine Reise nach Madagaskar zu unternehmen; Alle aber waren der Meinung, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht daran zu denken sei. Ich hatte schon während meines Aufenthaltes in Holland aus Zeitungs-Berichten ersehen, daß die französische Regierung eine Escadre nach Madagaskar senden wolle, und daß man auf einen ernstlichen Krieg gefaßt war. Hier erfuhr ich die näheren Umstände: Die Franzosen besitzen schon seit Jahrhunderten ein an der Küste Madagaskar's gelegenes Inselchen St. Maria. Unter dem verstorbenen König Radama gelang es ihnen aber, auf Madagaskar selbst einen Distrikt in der Bai von Vanatobi zu erwerben. In diesem Distrikte befindet sich ein reiches Steinkohlen-Lager, in welchem ein französisches Handelshaus aus Mauritius 180 farbige Arbeiter (Indier, Neger u. s. w.) unter der Aufsicht von drei Weißen beschäftigte. Als nach dem Tode des Königs Radama die Königin Ranavolo zur Regierung kam, ließ sie den Leuten befehlen den Distrikt zu räumen. Diese weigerten sich dem Befehle zu gehorchen, da sie den Platz als der französischen Regierung angehörend betrachteten. Die Königin sandte hierauf 2000 Soldaten, welche die Leute überfielen, zwei der Weißen und 100 Farbige tödteten, und die Uebrigen mit sich schleppten und als Sklaven verkauften. Die französische Regierung verlangte natürlich Genugthuung, auf deren Erlangung man jedoch ohne Anwendung der Waffengewalt wenig rechnete; daher war man, wie gesagt, auf einen ernstlichen Krieg gefaßt.

Ueberall, wo ich Erkundigungen einzog, wurden mir diese Nachrichten bestätigt; ich sah mich deshalb gezwungen, meinen Reiseplan, wenn nicht aufzugeben, so doch zu verschieben. Für alle Fälle nahm ich einen Empfehlungsbrief mit, welchen mir die französische Admiralität für ihre überseeischen Stationen gab. Man fragte mich, ob ich nicht die Rückkunft des Kaisers, der gerade nach den Bädern gegangen war, abwarten wolle, um ihm vorgestellt zu werden; allein das währte mir zu lange, und ich verließ Paris ziemlich unverrichteter Sache.

Die wenigen Tage, die ich in dieser großen Stadt zubrachte, benützte ich fleißig, um wenigstens einen Ueberblick der unzähligen Sehenswürdigkeiten zu erhaschen. Eine genaue Beschreibung davon zu geben, kommt mir natürlich nicht in den Sinn. Bei der in diesem Jahrhunderte herrschenden Reisewuth, bei der Leichtigkeit, wenigstens in Europa, Hunderte von Meilen in wenig Tagen zurückzulegen, wird es vielleicht wenige unter meinen Lesern geben, die nicht selbst in Paris waren, und jene, die diese Weltstadt nicht gesehen haben, kennen sie aus Büchern gewiß eben so gut wie ich. Ich will daher nur mit einigen Worten die Eindrücke schildern, die ich mit mir genommen.

London und Paris sind von einander ungefähr so verschieden, wie es der Charakter des Engländers von jenem des Franzosen ist. In beiden Städten herrscht das regste Leben und Treiben; aber auf den ersten Blick erkennt man, daß hier in Paris dieses rege Leben nicht, wie in London, ausschließend den Geschäften angehört; man sieht hier nicht jene ernsten steifen Figuren, die mit rastlosem Schritte ihren Weg verfolgen, unbekümmert um alles, was um sie vorgeht, und jede Minute Versäumniß als unwiederbringlich verloren betrachten – im Gegentheil, in Paris ist das »Flaniren« an der Tagesordnung, und selbst der eilende Geschäftsmann findet Zeit, die ihm begegnenden Freunde zu begrüßen, wohl auch einige Worte mit ihnen zu wechseln, ja sogar vor diesem oder jenem Laden einige Minuten stehen zu bleiben und die mit wirklich überraschendem Geschmacke zur Schau gestellten Waaren zu betrachten.

Selbst die Häuser sehen nicht so ernst aus wie in London. Sie sind groß (in manchen wohnen mehr als 30 Familien) und bei weitem nicht so vom Steinkohlenrauche geschwärzt; die Thore sind alle offen, und man blickt in nette, mitunter sogar mit Blumen geschmückte Höfe, was jedenfalls einen freundlicheren Eindruck macht als in London, wo die Thore alle so fest verschlossen sind, als wären die Häuser gar nicht bewohnt.

Am auffallendsten aber ist der Unterschied Abends; da zeigt sich die ganze Beweglichkeit und Genußsüchtigkeit des Franzosen – alle Straßen, alle öffentlichen Plätze, alle Unterhaltungsörter sind voll Menschen, und der Engländer, der gewohnt ist, die Abende im Kreise seiner Familie, 7 bis 8 Monate des Jahres am Kamine, die übrigen Monate in dem Gärtchen seines Cottage (Landhaus) zuzubringen, muß glauben, wenn er zum ersten Mal Abends dieses Gewühl in den Straßen von Paris sieht, es fände hier gerade ein Volksfest statt.

Am Lebhaftesten geht es auf den Boulevards zu, die an einem schönen Sommer-Abende mit den prachtvollen, weitgeöffneten Kaffeehäusern und Verkaufsläden mit den Tausenden von Gaslampen, welch eine wahre Tageshelle verbreiten, mit der zahllosen Menge von Wagen und der dichtgedrängten Menschenmasse, die theils auf den breiten Trottoirs auf- und niederwogt, theils an zierlichen Tischen vor den Kaffeehäusern sitzt, den zauberhaftesten Anblick gewähren, den man sich vorstellen kann.

Nicht minder reizend sind die »Champs Elysés«, obwohl sie ihrem Namen (Felder) nur wenig mehr entsprechen; die kleine Strecke von dem Platze »de la Concorde« bis zum »Rondpoint« ausgenommen, fangen Bäume und Rasenplätze immer mehr zu verschwinden an, und an deren Stelle erheben sich geschmackvolle Hotels und Häuser. Den Schluß der Champs Elysés macht eines der schönsten Denkmäler neuerer Baukunst, »l'Arc de l'Etoile«, der kolossale Triumph-Bogen, welchen Napoleon der Große in dem Style des römischen Triumph-Bogens Septimius Severus' aufführen ließ und an dem in herrlichen Skulptur-Arbeiten seine vorzüglichen Siege verewigt sind.

Eine breite Straße (Avenue), die in kurzer Zeit wohl auch ganz mit Häuserreihen besetzt sein wird, führt von hier nach dem berühmten »Bois de Boulogne«. Der Name dieses Bois de Boulogne kommt so oft vor; ich erwarte daher mit Recht einen Wald mit großen mächtigen Bäumen zu sehen, etwa in der Art wie der Prater in Wien, oder der Thiergarten in Berlin – das ist aber nicht der Fall; das Bois de Boulogne ist trotz seines Alters nicht zum Walde geworden, die Bäume sind klein und mager geblieben, und nur mit großer Mühe entdeckt man hie und da ein schattiges Plätzchen. Dem jetzt regierenden Kaiser Napoleon III. verdankt man die neue geschmackvolle Umgestaltung und vor allem das schöne große Wasserbecken. Da der Mann so glücklich in allen Unternehmungen ist, dürfte es ihm vielleicht auch gelingen, die Bäume wachsen zu machen.

Der Garten der Tuilerien ist nicht sehr groß, besitzt aber zur Entschädigung Pracht-Exemplare alter ehrwürdiger Bäume. Hier wie an allen öffentlichen Orten in Paris findet man Stühle in Menge, aber gegen Bezahlung; freilich für eine sehr geringe Summe, man bezahlt einen Sou pr. Stuhl, ob man ihn fünf Minuten oder einen halben Tag benützt.

Zwischen den Champs Elysés und dem Garten der Tuilerien liegt der Platz »de la Concorde«, einer der schönsten Europa's. In früheren Zeiten hieß er Place Louis XV., und hier war es, wo in den Jahren 1792, 93 und 94 die Guillotine die vorzüglichste Rolle spielte, wo ihr Louis XVI., Marie Antoinette, Josef Egalité, Marie Helene von Frankreich, Robespierre u. s. w. zum Opfer fielen. Jetzt ist dieser Platz mit zwei schönen Springbrunnen geziert und an der Stelle der Guillotine steht der große Obelisk von Luxor. Dieser Obelisk, dessen Höhe 72 Fuß, dessen Gewicht 500.000 Pfd. beträgt, besteht aus einem einzigen Blocke und war 1550 Jahre vor Christi Geburt vor dem Tempel zu Theben in Ober-Egypten errichtet worden. Mehemed-Ali schenkte ihn der französischen Regierung. Louis Philippe ließ zu seiner Ueberführung in Toulon ein besonderes Schiff bauen, um den Nil stromaufwärts bis Luxor, nahe bei Theben, segeln zu können. Achthundert Menschen waren drei Monate lang beschäftigt, den Obelisk von dem Tempel nach dem Schiffe zu bringen. Im Monate December 1833 gelangte er nach Paris, aber erst im Monate October 1836 wurde seine Aufstellung beendet. Die Kosten der Ueberführung und Aufstellung haben zwei Millionen Francs betragen.

Der Palast der Tuilerien ist durch die in der neuesten Zeit unternommenen Bauten mit dem Louvre vollkommen vereint worden, so daß beide zusammen ein einziges Gebäude ausmachen, und zwar ohne Widerspruch das großartigste in Europa. Noch vor wenig Jahren trennten alte, unregelmäßig gebaute Häuser diese beiden Paläste, und gerade der sie umgebende Stadttheil soll einer der umfangreichsten und schmutzigsten von Paris gewesen sein. Schon Louis Philippe hatte die Absicht, alle diese alten Gebäude niederreißen, breite gerade Straßen ziehen und das Louvre mit den Tuilerien vereinigen zu lassen; aber Millionen waren dazu nöthig und constitutionelle Könige können über die Gelder des Staates nicht nach ihrem Willen verfügen. Napoleon hat sich das bequemer eingerichtet; der Senat und das Corps législatif sind bei weitem gefälliger, als die Kammern der Pairs und der Deputirten waren, und schätzen sich glücklich die Wünsche ihres Herrschers zu erfüllen.

Der Sehenswürdigkeiten an Gemälden, Alterthtümern, Modellen und Festungen, Schiffen u. s. w. sind in beiden Palästen so unendlich viele, daß man in dem Labyrinthe der Säle und Gallerien wochenlange umherirren könnte, ohne den Verlauf der Zeit zu bemerken. Einer der größten Säle ist ausschließlich Napoleon dem Ersten gewidmet; man sieht hier sein Feldbett, seinen Schreibtisch, seinen Armstuhl, Ordenskleider, verschiedene Anzüge sammt den Hüten, gar viele goldene Schlüssel von den eroberten Städten und Festungen, türkische und arabische Sättel u. s. w. Einen großen Werth legen die Verehrer dieses Cäsars der Neuzeit auf das Taschentuch, mit welchem man ihm auf seinem Sterbebette in St. Helena den Todesschweiß abgetrocknet hat. Von den übrigen Gliedern der napoleonischen Familie ist in der Sammlung keines verewigt; blos von dem Herzoge von Reichstadt fand ich ein Kleidungsstück vor.

Der Garten Luxembourg in der Stadt an dem linken Seine-Ufer gelegen, ist äußerst geschmackvoll angelegt. Der Palast, in ernstem Style gebaut, besitzt eine reiche Bilder-Gallerie, zum größten Theile der Neuzeit angehörend. Die Säle und Gemächer sind mit großer Pracht und mit wahrhaft künstlerischem Geschmacke eingerichtet.

Von den Kirchen besuchte ich nur wenige. Notre-Dame zeichnet sich, wie bekannt, durch ihre rein gothische Bauart aus. Die Kirche St. Geneviève ist eine der ältesten von Paris. Sie besitzt das Grabmal der heil. Genovefa nahe dem Hauptaltare in einer niedlichen in byzantinischem Style aufgeführten Capelle. An der Kirche St. Sulpice ist die Façade mit doppelten Säulenreihen und einer Gallerie bemerkenswerth. Im Hintergrunde dieser Kirche, in einer Art Nische, sieht man eine Marmorstatue, die heilige Maria mit dem Jesuskinde auf der Weltkugel stehend. Eine kuppelförmige Decke, eine schöne Himmelfahrt Christi enthaltend, wölbt sich über dieses Sanctuarium. Die Statue ist herrlich gearbeitet, die Beleuchtung magisch – das Ganze macht einen unbeschreiblich feierlichen Eindruck. Wiederholt muß ich gestehen, daß die römisch-katholische Religion viel Poesie und Effekt entwickelt, was ihr natürlich bei der leicht erregbaren Masse des Volkes ein großes Uebergewicht über die einfache, etwas trockene Religion der Protestanten gibt. Schade nur, daß beinahe überall mehr oder minder unpassende Mißgebräuche sich eingeschlichen haben, welche die Poesie sehr stören, wo nicht gar tödten. So in den französischen Kirchen die abscheuliche Sitte für die Stühle zu bezahlen. Es gibt nämlich nur wenig oder gar keine Bänke, dagegen sind an den Seitenwänden sehr viele Stühle aufgespeichert. Für jeden Stuhl bezahlt man einen Sou; am Ende des Jahres mögen die vielen Sous wohl eine runde Summe ausmachen und den ehrwürdigen Kirchenvätern sehr gelegen kommen, aber die Andacht der Betenden wird dadurch im höchsten Grade gestört. Jeden Augenblick drängt sich der Aufseher durch die Leute; hier bringt er einen Stuhl, dort trägt er einen hinweg, hier begehrt er Geld, dort schwatzt er mit einem seiner täglichen Kunden. Und ist nicht der Gedanke, in einem Tempel Gottes bezahlen zu müssen, um sich niedersetzen zu können, allein schon hinreichend, alle Andacht und Poesie zu zerstören?!

Das Pantheon ist in griechischem Style gebaut; das Innere bildet ein Kreuz. Diese Kirche enthält die Grabes-Monumente vieler Größen der französischen Nation, von welchen jene J. J. Rousseau's und Voltaire's für mich die interessantesten waren.

Das Hôtel der Invaliden ist ein großartiges Institut für 5000 ausgediente Soldaten, die sich auf dem Schlachtfelde viele Wunden geholt oder ein Bein, einen Arm zurückgelassen haben. Das Gebäude scheint sehr zweckmäßig eingerichtet, die Invaliden sollen gut gehalten sein; aber ihnen zur Erholung ein grünes Plätzchen anzuweisen, daran hat man nicht gedacht. Selbst die Höfe sind ohne Bäume und Bänke. Die Offiziere haben für sich auf eigene Kosten ein kleines Gärtchen angelegt. Der Dom der Invaliden ist groß. Das Innere schmückt eine Unzahl eroberter Fahnen, und an den Wänden sind auf Tafeln die Namen berühmter Generäle aufgezeichnet. Hinter dem Hauptaltare befindet sich die Capelle, in welcher die Reste Napoleon's, die im Jahre 1840 feierlich von St. Helena geholt worden waren, so lange ruhen, bis das eigentliche Mausoleum beendet ist. Dieses Letztere, ebenfalls hinter dem Hauptaltare gelegen, war seiner Vollendung ganz nahe. Es bildet eine schöne Rotunde, von 12 Säulen umgeben, zwischen welchen 12 kolossale Marmorstatuen stehen. Der Boden besteht ebenfalls aus Marmor, in welchem ein Lorberkranz mosaikartig eingelegt ist, der den aus einem einzigen Blocke Porphyr gemeißelten Sarkophag umgibt. Die Eingangspforte, von welcher zwei Treppen in die Rotunde führen, wird von zwei riesigen Statuen getragen. Die Pforte, wie die beiden Statuen sind von Bronce und vollendet schön gearbeitet. Der Theil der Kirche, welcher sich über das Mausoleum wölbt, ist zum größten Theile vergoldet; wenn die volle Tagesbeleuchtung darauf fällt, ist der Anblick wirklich zauberhaft.

Der berühmte Friedhof Père La Chaise ließ mich sehr unbefriedigt. – Freilich, wer jenen zu New-York gesehen, kann nicht leicht einen anderen schön finden. Die Gräber sind zwar mit Monumenten, mit Blumen und Gebüschen geschmückt, aber alles ist so dicht zusammengedrängt, daß man kaum den Fuß dazwischen setzen kann. Die Zahl der durch Geschmack oder Reichthum ausgezeichneten Monumente ist nicht sehr groß, und diese wenigen verlieren durch ihre Umgebung. Das interessanteste ist jenes von Abälard und Heloise, die im zwölften Jahrhunderte gestorben sind und deren Asche in unserem Jahrhunderte hieher gebracht wurde.

Die Gräber der Armen liegen in einer eigenen Abtheilung. Hier fand ich auf manchen, besonders auf Gräbern von Kindern, Monumente, die mir viel anziehender und rührender erschienen als jene der Reichen. Sie bestanden in kleinen Glaskästchen, winzige Altäre enthaltend, auf welchen einige der Lieblings-Spielzeuge der Kleinen aufgestellt waren. In einem sah ich ein niedliches Körbchen, in welchem der Fingerhut und das Nähzeug eines kleinen fleißigen Mädchens lagen. Wie einfach und wie zum Herzen sprechend!

Der Friedhof Père La Chaise wurde erst im Jahre 1804 eröffnet; er enthält 100 Acres und ist gänzlich von einer hohen Mauer umgeben. Die Aussicht von dem Hügel, der in der Mitte liegt, ist das Lohnendste für den weiten Gang.

Den Jardin des Plantes und das Museum konnte ich nur im Fluge durchsehen. Weltbekannt ist der Reichthum des ersteren an exotischen Gewächsen und Thieren; beide Anstalten werden zu den vorzüglichsten in Europa gezählt.

Großes Vergnügen verschaffte mir der Besuch der Manufacture de Gobelins (Gemälde-Teppiche, wie ich sie nennen möchte). Diese Fabrikation ist hier so weit gebracht, daß man die Arbeit genau betrachten muß, um sich zu überzeugen, daß man kein Oelgemälde, sondern ein Gewebe vor Augen hat. Die Zeichnung ist höchst richtig und der Farbenschmelz, der Uebergang von Farbe in Farbe so zart und gefällig, wie von dem geübtesten Pinsel geschaffen. Stundenlang sah ich den Arbeitern zu, ohne daß es mir gelang, dem Schlüssel dieser Kunst auch nur im geringsten auf die Spur zu kommen. Der Arbeiter hat eine Art großen Rahmens vor sich, an welchem die Fäden (oder Einschlag, Schicht, ich kenne den kunstgemäßen Ausdruck nicht) senkrecht aufgezogen sind; an seiner Seite steht ein großer Korb voll Stickwolle in allen denkbaren Farben und Uebergängen auf Schiffchen gewunden. Das nachzuahmende Bild ist nicht etwa ein Stickmuster, in Quadrate eingetheilt, sondern ein Oelgemälde, und es ist nicht vor dem kunstsinnigen Weber aufgestellt, sondern hinter seinem Rücken. An der vor ihm aufgespannten Faden-Wand arbeitet er von unten herauf, und zwar ohne das Bild in Umrissen anzudeuten; nur bei einzelnen Arbeitern bemerkte ich, daß man an der Außenseite des Rahmens den einzelnen Theil, an welchem man eben arbeitete, z. B. einen Fuß, eine Hand, angedeutet hatte. Jene Arbeiter, welche die persischen und hindostanischen Teppiche nachahmen, die einen Viertelzoll dick sind und aufgeschnittenen Sammtarbeiten gleichen, haben das Original, auch ein Oelgemälde, über ihrem Kopfe angebracht. In einigen Sälen sind die herrlichsten Gobelins aufgestellt. Sie kommen sehr theuer zu stehen; eine Tapete von 15 bis 20 Fuß Höhe und 8 bis 10 Fuß Breite kostet 100 bis 150.000 Franken. Freilich hat ein Arbeiter daran oft 10 und noch mehr Jahre zu arbeiten. Der Lohn der Arbeiter ist nicht sehr hoch; doch erhalten sie, wie man mir sagte, nach Ablauf einer bestimmten Zahl von Dienstjahren Pension, und auch schon früher, wenn sie im Dienste erblinden, was ziemlich häufig der Fall sein soll.

Zum Schlusse besah ich die Morgue, in welcher die Todtgefundenen zur Schau ausgestellt werden, damit die Verwandten oder Freunde sie erkennen können. Manche meiner Leser werden vielleicht darüber erstaunt sein, wie ich, eine Frau, einen ähnlichen Ort besuchen konnte; sie mögen aber bedenken, daß ich selbst auf meinen Reisen nicht selten dem Tode sehr nahe war, daß daher sein Anblick für mich nicht so schrecklich ist, wie für den größeren Theil der Menschen, ja, daß ich im Gegentheile mit einem, ich möchte sagen wehmüthigen Vergnügen nicht ungerne von Zeit zu Zeit sein Bild betrachte, um der Bestimmung nicht zu vergessen, welcher Keiner von uns entgehen kann.

Die Morgue ist eine große gedeckte Halle, durch eine Glaswand in zwei Hälften getheilt. In der einen, hinter der Glaswand, stehen 6 bis 8 niedrige Tische, auf welche die Todten gelegt werden. An den Wänden sind die Kleider, in denen man sie gefunden, aufgehangen. Die andere Hälfte ist für die Besucher, unter welche sich, besonders wenn einer der gefundenen Körper Spuren eines Mordes an sich trägt, geheime Polizei-Agenten mischen, um aus den Mienen oder entfallenden Worten dem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Die Todten werden während drei Tagen ausgestellt; die Kleider bleiben länger hängen. Es gibt hier natürlich oft die schauerlichsten Bilder. So sah ich einen Ertrunkenen, der schon einige Monate im Wasser mochte gelegen haben, auf dem Tische nebenan ein junges Mädchen, welchem der Kopf gänzlich abgeschnitten war – man hatte ihn dem Rumpfe angefügt. Die Arme war von ihrem Geliebten aus Eifersucht ermordet worden. Merkwürdig ist bei dieser Geschichte, daß der Mörder, der bei dem Verbrechen überrascht wurde, aus dem Fenster eines sechsten Stockwerkes sprang und sich nicht beschädigte. Er raffte sich vom Boden auf und lief davon. Drei Tage später, als ich Paris verließ, hatte man ihn noch nicht gefangen.

Wenige Wochen vorher brachten, wie man mir erzählte, Fischer eine Tischplatte, an welcher der Körper eines Weibes angebunden war, der Kopf und die Füße fehlten. Die Fischer hatten die mit Steinen beschwerte und in die Tiefe des Flusses versenkte Platte zufällig entdeckt. Sogleich wurden von der Behörde alle Mittel angewendet, den Kopf und die Füße aufzufinden, was auch wider Erwarten gelang, obwohl sie an verschiedenen Orten verborgen waren. Der Körper wurde zusammengesetzt und in der Morgue ausgestellt. Einer der geheimen Agenten bemerkte alsbald unter den Zuschauern ein altes Weib, welches bei dem Anblicke des Leichnams einen Ausruf nur mit Mühe unterdrückte. Als die Alte aus der Halle trat, ersuchte sie der Agent, ihm zu dem Kommissär zu folgen, und auf dessen Frage, ob sie die Getödtete erkenne erwiderte sie, sie glaube, in ihr eine Frau zu erkennen, welche vor einiger Zeit in ihrer Nachbarschaft gewohnt, vor kurzem aber in einen anderen Stadttheil gezogen sei. Nach genaueren Forschungen ergab es sich, daß die Getödtete vor einigen Monaten mit einer Summe Geldes aus der Provinz gekommen war, um in Paris ein kleines Geschäft zu betreiben. Sie machte Bekanntschaft mit einem Manne, der vorgab, ihr gerne dienen zu wollen und der ihr nach einiger Zeit sagte, er hätte für sie eine bessere und zugleich billigere Wohnung gefunden. Sie nahm seinen Antrag an, verließ die alte Wohnung, ohne die Adresse ihrer neuen zu geben, und seitdem hatte man nichts weiter von ihr gehört. Man fragte die in der Umgegend stationirten Kommissionärs (Lastträger), von welchen sich einer erinnerte, dieser Frau Gepäck getragen zu haben. Er bezeichnete das Haus. Einer der geheimen Agenten begab sich dahin, fand aber das Thor verschlossen. Auf sein Klopfen erscheint der Portier. Der Agent fragt ihn, ob nicht in diesem Hause ein Herr X ... wohne? – Auf die verneinende Antwort erwidert der Agent: »Das ist doch sonderbar, sehen Sie selbst,« ein Papier zeigend; »die Adresse ist vollkommen genau.« Der Portier erklärt, daß da jedenfalls ein Irrthum herrschen müsse, denn das Haus gehöre Herrn L ..., der zwar den größten Theil des Jahres auf dem Lande zubringe, aber ausdrücklichen Befehl gegeben habe, auch nicht ein Zimmer zu vermiethen. Der Agent entfernt sich, das Haus wird überwacht und gegen 11 Uhr Nachts sieht man zwei ziemlich verdächtig aussehende Männer in dasselbe treten. Nachdem man sich überzeugt hat, daß kein anderer Ausgang vorhanden ist, dringen die bewaffneten Polizei-Soldaten in hinlänglicher Anzahl in das Haus und bemächtigen sich ohne großen Widerstand des Portiers und seiner beiden Genossen. Das Haus wird sorgfältig durchsucht und in einem der Gemächer findet man nicht nur das Gestelle des Tisches, auf dessen obere Platte der Körper gebunden war, sondern auch Blutspuren und die ebenfalls vom Blute geröthete Hacke, mit welcher das unglückliche Weib, von den Mördern in das Haus gelockt, erschlagen worden war.

Doch genug dieser traurigen Geschichten, deren leider in Paris nur zu viele vorkommen!

Meine Ausflüge in die Umgebungen von Paris beschränkten sich auf Versailles, Trianon und St. Cloud, die ich an einem und demselben Tage besuchte.

Nach Versailles fährt man auf der Eisenbahn in einer Stunde. Man kömmt an dem durch die große Porzellanfabrik berühmten Oertchen Sêvres vorüber, das höchst malerisch in einer breiten Schlucht liegt, durch welche die Fluten der Seine rollen. Die Eisenbahn läuft beinahe fortwährend in ziemlicher Höhe an den Abhängen hin, so daß man die schönen, gut kultivirten Gegenden wie in einer Laterna magica vorüberziehen sieht.

Was Versailles selbst betrifft, so erkläre ich meinen Lesern aufrichtig meine Unfähigkeit, es zu beschreiben. Ich kann sie nur versichern, daß man ähnliche Pracht an Gärten, Gebäuden, Sälen, Gemälden, Einrichtungen u. s. w. blos in Frankreich sehen kann, wo ein Louis XIV. lebte, dessen Luxus mit jenem der Römer wetteiferte und der die edle, bescheidene Meinung von sich hatte, Er sei der Staat und das Volk sei nur seinetwegen vorhanden.

Als ich die Säle durcheilte und die zahllosen Gemälde sah, die nichts als Schlachten, Bestürmungen, brennende Dörfer und Städte mit fliehendem halbnacktem Volke vorstellen, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß ich wissen möchte, in was wir den Wilden voraus sind. Unsere Civilisation hat die Formen verfeinert, aber die Thaten sind dieselben geblieben. Der Wilde erschlägt seine Feinde mit der Keule – wir tödten sie mit Kanonen; der Wilde hängt Skalpe, Schädel und ähnliche Trophäen in seiner Hütte auf – wir malen sie auf Leinwand und zieren damit Paläste. Was ist da im Grund für ein Unterschied? –

In St. Cloud konnte ich blos den Garten besuchen; der Palast war von der Kaiserin bewohnt. Besonders schön sollen hier die Wasserkünste sein; sie spielen aber nicht jeden Sonntag. Es war zwar an einem Sonntag, daß ich St. Cloud besuchte, aber leider nicht an einem der glücklichsten; dessenungeachtet gab es der Spaziergänger in Menge, und wäre ich eine Engländerin gewesen, so hätte ich mich entsetzt – man denke sich, daß Kinder, ja sogar junge Mädchen und Jünglinge sich erdreisteten, an einem Sonntag Ball zu spielen! Kann es ein größeres Verbrechen geben?

Daß sich die guten Pariser ein wenig gar zu viel zu unterhalten suchen, habe ich bereits bemerkt und daß das »zu viel« in jeder Sache eine schlechte Seite hat, gebe ich zu; aber anderseits (und sollten alle Engländerinnen ihr Anathema gegen mich unchristliches Wesen schleudern) finde ich es natürlich, daß Leute, die vielleicht die ganze Woche am Arbeitstische, in der Schreibstube gesessen, sich Sonntags ein wenig unterhalten. Ich kann mir unmöglich Gott so strenge und pedantisch vorstellen, wie einen alten Schulmeister, welchen jede auch die unschuldigste Zerstreuung beleidigt. Reiche Leute, die sich die ganze Woche unterhalten, können leicht den Sonntag feiern und auch ihre Kinder können sie, wie dieß in England geschieht, Sonnabends anstatt Sonntags spielen lassen; dem armen Manne aber, der sechs Tage für sich und die Seinigen mühsam gearbeitet hat, gönnt Gott gewiß gerne am siebentag Tage ein kleines Vergnügen.


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