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Vorstellung bei Hofe. – Das Manasina. – Der königliche Palast. – Die Hovas. – Gräuelszene aus der Regierung der Königin. – Hinrichtungen. – Das Tanguin. – Verfolgung der Christen. – Eine Reise der Königin. – Haß gegen die Europäer. – Das Grabmal des Stieres.
Unsere Vorstellung bei Hofe fand, wie oben bemerkt, am 2. Juni statt. Gegen 4 Uhr Nachmittags ließen wir uns nach dem Palaste tragen, über dessen Eingangs-Pforte ein großer vergoldeter Adler mit ausgebreiteten Flügeln schwebt. wir überschritten die Schwelle der Etiquette gemäß zuerst mit dem rechten Fuße, und eben so jene einer zweiten Pforte, die nach einem großen Hofraume vor dem Palaste führte. Hier sahen wir die Königin, auf dem Balkon des ersten Stockwerkes sitzend; wir mußten uns in dem Hofe ihr gegenüber in einer Reihe aufstellen. Unter dem Balkon standen Soldaten, welche einige Exercitien machten, deren letztes unendlich komisch aussah – es bestand darin, daß sie den rechten Fuß plötzlich hoch aufzogen, als hätte sie die Tarantel gestochen.
Die Königin war nach der Landessitte in einen weiten seidenen Simbu gehüllt, und als Kopfschmuck trug sie eine ungeheure goldene Krone. Obwohl sie im Schatten saß, wurde doch über ihrem Haupte ein sehr großer, hochrothseidener Schirm aufgespannt gehalten; es gehört dieß zum königlichen Prunke. Sie ist von ziemlich dunkler Hautfarbe, von kräftigem Körperbau, und obwohl bereits 75 Jahre alt, zum Unglück des armen Landes noch rüstig und munteren Geistes. Einst soll sie dem Trunke sehr ergeben gewesen sein, sie hat aber diesem Laster schon seit Jahren entsagt.
Auf der rechten Seite der Königin stand ihr Sohn, der Prinz Rakoto, auf der linken ihr Adoptiv-Sohn, der Prinz Ramboasalama; hinter ihr saßen und standen einige Nichten, Neffen, nebst anderen Verwandten männlichen und weiblichen Geschlechtes und mehrere Große des Reiches. Der Minister, der uns nach dem Palaste geführt hatte, hielt eine kurze Rede an die Königin, nach welcher wir uns dreimal verbeugen und die Worte sagen mußten: »Esaratsara tombokoë«, was so viel heißt, als: »Wir begrüßen dich bestens.« – Sie antwortete darauf: »Esaratsara,« das ist: »schon gut.« wir schwenkten uns dann nach links, um das Grabmal des Königs Radama, welches einige Schritte seitwärts liegt, mit denselben drei Verbeugungen zu begrüßen, worauf wir wieder auf unseren früheren Platz vor den Balkon zurückkehrten und abermals drei Verbeugungen machten. Herr Lambert hielt bei dieser Gelegenheit ein Goldstuck von 50 Franken in die Höhe und legte es in die Hand des uns begleitenden Ministers. Diese Gabe, welche jeder Fremdling, wenn er das erste Mai bei Hofe vorgestellt wird, geben muß, heißt: »Manasina«; sie braucht aber nicht aus einem Fünfzig-Frankenstücke zu bestehen, die Königin begnügt sich auch mit einem spanischen Thaler oder einem Fünf-Frankenstücke. Herr Lambert hatte übrigens schon bei der Gelegenheit des Sambas-Sambas ein Fünfzig-Frankenstück gegeben.
Nach der Ablieferung des Goldstückes fragte die Königin Herrn Lambert, ob er ihr etwas zu sagen habe oder etwas wünsche, worauf dieser mit »Nein« antwortete. Auch an mich geruhten sich ihre Majestät zu wenden und mich zu fragen, ob ich gesund sei und das Fieber nicht bekommen habe. Dem Wechselfieber entgeht der Fremde selbst in der guten Jahreszeit höchst selten. Herr Lambert bekam davon schon am zweiten Tage nach unserer Ankunft in Tananariva einen leichten Anfall und in der Folge setzte es uns beiden gar arg zu. Nach der Beantwortung dieser Frage blieben wir noch einige Minuten stehen und betrachteten uns gegenseitig – dann gingen die Verbeugungen und Begrüßungen wieder von vorne an; auch von dem Grabmale Radama's mußten wir Abschied nehmen und im Hinausgehen wurden wir abermals darauf aufmerksam gemacht, ja nicht etwa mit dem linken Fuße die Schwelle zuerst zu überschreiten.
Auf diese Art ertheilt die stolze Königin von Madagaskar Fremdlingen Audienzen; sie dünkt sich viel zu groß und zu erhaben, Fremde gleich das erste Mal in ihre unmittelbare Nähe kommen zu lassen. Hat man das hohe Glück, ihr ganz besonders zu gefallen, so wird man später wohl in den Palast selbst eingeführt, nie aber bei der ersten Audienz.
Der königliche Palast ist ein sehr großes hölzernes Gebäude aus einem Erdgeschoße und zwei Stockwerken bestehend und mit einer ungewöhnlich hohen Bedachung versehen. Die Stockwerke sind mit breiten Gallerien umgeben. Rings um das Gebäude erheben sich hölzerne, 80 Fuß hohe Säulen, die das Dach tragen, welches zeltartig noch 40 Fuß höher steigt, und dessen Mittelpunkt auf einer Säule ruht, die nicht weniger als 120 Fuß Höhe mißt. Alle diese Säulen, jene im Mittelpunkte nicht ausgenommen, bestehen aus einem einzigen Stamm, und wenn man bedenkt, daß die Wälder, in welchen es Bäume gibt, die groß genug sind, um ähnliche Säulen zu liefern, 50 bis 60 englische Meilen von der Stadt entfernt liegen, daß die Wege durchaus ungebahnt und theilweise beinahe ungangbar sind, und daß alles ohne Beihilfe eines Lastthieres oder einer Maschine herbeigeschleppt, mit den einfachsten Werkzeugen bearbeitet und aufgestellt wurde, so muß man die Ausführung dieses Palastes ein wahres Riesenwerk nennen, das man den Wundern der Welt beizählen könnte. Mit der Herbeischaffung der höchsten Säule allein waren 5000 Menschen beschäftigt, und zu ihrer Aufstellung benöthigte man zwölf Tage.
Alle diese Arbeiten verrichtete das Volk als Frohndienst, ohne dafür Lohn oder Kost zu bekommen. Wie man mir sagte, sind während des Baues 15.000 Menschen der schweren Arbeit und dem Mangel an Lebensmitteln erlegen. Das kümmert jedoch die Königin sehr wenig, und die halbe Bevölkerung mag zu Grunde gehen, wenn nur ihre hohen Befehle vollführt werden.
Vor dem Hauptgebäude ist ein schöner Hofraum freigelassen, um welchen mehrere hübsche Häuser stehen, alle ebenfalls von Holz. In dem Hauptgebäude selbst wohnt niemand; es enthält blos große Prunk- und Festgemächer, und die eigentlichen Wohn- und Schlafzimmer der Königin befinden sich in einem der Seitengebäude, welches mit dem Palaste durch eine Gallerie in Verbindung steht.
Auf der linken Seite schließt sich an das Hauptgebäude der »silberne Palast« an, so genannt, weil alle Kanten der Wölbungen, mit welchen dieses Gebäude verziert ist, so wie Thüren- und Fenster-Rahmen mit unzähligen silbernen Glöckchen behangen sind. Dieser Palast ist die Residenz des Prinzen Rakoto, der ihn jedoch nur sehr selten benützt. Gewöhnlich bewohnt er sein Haus in der Stadt.
Neben dem silbernen Palaste steht das Grabmal des Königs Radama, ein ganz kleines hölzernes Häuschen ohne Fenster, welches aber eben durch den Mangel an Fenstern und dadurch, daß es auf ein Piedestal gebaut ist, den Anstrich eines Monumentes gewinnt.
Auf Madagaskar herrscht der sonderbare Gebrauch, daß, wenn ein König stirbt, man ihm seinen ganzen Schatz an Gold, Silberzeug und anderen Kostbarkeiten mit in das Grab legt. Freilich kann der Erbe den Schatz im Fall der Noth wieder beheben, und so viel ich in Erfahrung bringen konnte, soll dies auch jedesmal geschehen sein.
Radama's Schatz wird nur auf 50.000 Piaster geschätzt, dagegen jener seines Vaters auf eine Million. Der Schatz oder das Vermögen der jetzt regierenden Königin beläuft sich, wie man mir sagte, auf 5 bis 600.000 Thaler, und ihre jährlichen Einkünfte betragen 30 bis 40.000 Thaler. Letztere Summe kann sie beinahe ohne den geringsten Abzug ihrem Schatze beifügen, da sie weder für ihre Regierung noch für ihre Person irgend eine Ausgabe zu machen hat; denn was die Regierung anbelangt, so muß das Volk alle Dienste umsonst leisten, sowie jede Staatsausgabe auf dasselbe vertheilt wird, und was die königliche Person betrifft, so ist sie Eigenthümerin des Landes und besitzt eine Unzahl von Sklaven, die für alle Bedürfnisse ihres Haushaltes zu sorgen haben. Selbst die Kleider, welche sie trägt, sind zum größten Theile aus Stoffen verfertigt, die im Lande selbst erzeugt und von ihren Sklaven und Sklavinnen gewebt und verarbeitet werden.
Unter den Eingeborenen soll es in Tananariva einige geben, welche ein Vermögen von mehr als 100.000 Thalern besitzen; sie halten aber ihren Reichthum geheim, denn bekäme die Königin Nachricht von dem Vorhandensein eines solchen Schatzes, so könnte leicht die Lust in ihr erwachen, denselben zu heben. Der ganze Reichthum der Insel in baarem Golde wird auf höchstens 3.000.000 Thaler geschätzt. Den Schatz, den die Königin besitzt, gönne ich ihr gerne; aber das größte Glück für Madagaskar's Bevölkerung wäre es, wenn er recht bald begraben würde, natürlich in Gesellschaft ihrer eigenen hohen Person. Sie ist unstreitig eines der grausamsten und stolzesten Weiber auf dem ganzen Erdenrunde, und ihre Geschichte liefert nichts als Gräuelthaten und Blutscenen. Gering gerechnet verlieren auf Madagaskar jährlich zwischen 20 und 30.000 Menschen ihr Leben, theils durch Hinrichtungen und Vergiftungen, theils durch vorsätzlich auferlegte harte Arbeiten, durch Kriege u. s. w. – Wenn die Regierung dieses Weibes noch lange dauert, so wird die schöne Insel am Ende ganz entvölkert; schon jetzt soll die Bevölkerung um die Hälfte geringer sein, als sie es zu König Radama's Zeiten war, und Tausende von Dörfern sind bereits spurlos von der Erde verschwunden.
Hinrichtungen und Metzeleien finden oft im großen statt und treffen hauptsächlich die Sklaven, welche der Königin am verhaßtesten zu sein scheinen; aber auch mit den Malegaschen und den übrigen Nationen geht sie nicht viel glimpflicher um, und die einzige Race, die einigermaßen Gnade in ihren Augen findet, ist, wie bereits bemerkt, die der Hovas, aus welcher sie selbst stammt.
Einst waren die Hovas von allen Völkern Madagaskar's das am meisten verachtete und verabscheute; man betrachtete sie ungefähr so, wie in Indien die Parias's. Erst unter dem König Radama, und besonders unter der jetzigen Königin, hat sich dieses Volk hervorgethan und durch Tapferkeit, Intelligenz und Ehrgeiz den ersten Platz errungen. Leider ist es aber dadurch nicht edler geworden, und seine guten Eigenschaften werden von den schlechten stark überwogen, ja, wie mir Herr Laborde sagte, vereinigt der Hova sämmtliche Laster aller Völker der Insel. Lüge, Betrug und Verstellung sind bei ihm nicht nur herrschende, sondern so hochgeschätzte Laster, daß er sie seinen Kindern so früh als möglich beizubringen sucht. Unter sich leben die Hova's in immerwährendem Mißtrauen, und Freundschaft gehört bei ihnen zu den unmöglichen Dingen. Was ihre Schlauheit und List anbelangt, so soll sie das Unglaubliche leisten, und der geübteste Diplomat Europa's könnte bei ihnen noch in die Schule gehen.
Die Hovas sind malaischen Ursprungs und unstreitig minder häßlich als die übrigen Volker Madagaskar's; ihre Züge haben weniger von dem Negertypus und sind selbst besser geformt als jene der Malaien auf Java und in dem indischen Archipel; ihr Körper ist größer und stärker gebaut. Die Haut spielt in alle Farben, vom Oliven-gelben bis in das Dunkel-rothbraune. Manche sind sehr licht; dagegen bemerkte ich viele, besonders unter den Soldaten, deren Hautfarbe so stark in das Röthliche geht, daß ich sie viel eher für Rothhäute gehalten hätte, als die Indianer-Nordamerika's, die man mit diesem Namen bezeichnet. Augen und Haare haben sie schwarz, letztere lang und wollig gekraust.
Aber selbst die Hovas, das Lieblingsvolk der Königin, werden mit eiserner blutiger Hand regiert und wenngleich nicht zu Hunderten und Tausenden hingerichtet, wie die übrigen Nationen, so doch auch für ganz unbedeutende Verbrechen mit dem Tode bestraft.
Blut und immer Blut, das ist der Wahlspruch der Königin Ranavola, und es scheint diesem bösen Weibe wohl jeder Tag verloren, an welchem es nicht wenigstens ein halbes Dutzend Todesurtheile unterzeichnen kann.
Damit meine Leser besser die Königin kennen lernen, deren sich die englische Missions-Gesellschaft in ihrer Nächstenliebe so warm angenommen hat, welcher der Missionär Herr Ellis das Wort zu sprechen wagte und die er auf dem Thron zu erhalten suchte, will ich einige der vielen Gräuelscenen anführen, welche auf ihren Befehl über das unglückliche Land verhängt worden sind, und von denen die erste allein genügen würde, den Namen Ranavola für ewig zu brandmarken.
Im Jahre 1831, zu einer Zeit, da das Heer noch gut geschult und die von dem König Radama eingeführte Disciplin noch nicht ganz vergessen war, eroberte die Königin einen großen Theil der östlichen Küste, deren Hauptbevölkerung aus Sklaven besteht. Sie befahl allen Männern des besiegten Landes, an einen bestimmten Ort zu kommen, um ihr zu huldigen. Als die Leute, 25.000 an der Zahl, versammelt waren, wurde ihnen befohlen, die Waffen niederzulegen, worauf man sie auf einen großen Platz führte und ganz mit Militär umstellte. Hier mußten sie niederknien, um auf diese Art ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen; kaum war dies jedoch geschehen, so fielen die Soldaten über die Unglücklichen her und metzelten sie alle nieder. Ihre Weiber und Kinder wurden als Sklaven verkauft.
Solches Loos trifft die Besiegten; aber viel besser ist jenes der Unterthanen auch nicht.
So wurde z. B. im Jahre 1837 der Königin von ihren Ministern berichtet, daß es unter dem Volke sehr viele Zauberer, Diebe, Grabesschänder und andere Verbrecher gäbe. Die Königin ließ sogleich einen Kabar (Gerichtssitzung) von sieben Wochen ausschreiben und zu gleicher Zeit dem Volke verkünden, daß sie allen jenen Verbrechern, die sich selbst angäben, das Leben schenken, dagegen jene, die dieß nicht thäten, mit dem Tode bestrafen wurde. Es ergab sich eine Totalsumme von nahe an 1600 Personen; ungefähr 1500 hatten sich dem Gerichte freiwillig überliefert, 96 waren denuncirt worden. Von diesen 96 wurden 14 verbrannt, und die übrigen 82 theils über einen hohen Felsen gestürzt, der innerhalb des Stadtgebietes von Tananariva liegt und schon Tausenden das Leben gekostet hat, theils in eine Grube geworfen und mit kochendem Wasser übergossen, theils durch die Lanze hingerichtet oder vergiftet. Einige wurden geköpft, mehreren wurde ein Glied nach dem andern abgeschnitten; der qualvollste Tod aber traf den letzten, den man in eine Matte derart einnähte, daß nur der Kopf frei blieb – er mußte bei lebendigem Leibe verfaulen.
Diejenigen, welche sich selbst angegeben hatten, wurden zwar dem königlichen Versprechen gemäß nicht hingerichtet; allein es erging ihnen noch viel schlechter, als den zum Tode Verurtheilten. Die Königin erklärte, daß es zu gefährlich sei, eine so große Anzahl von Verbrechern freizugeben, und daß man sie jedenfalls wenigstens unschädlich machen müsse. Sie ließ ihnen schwere Eisen um den Hals und um die Handgelenke schmieden, und je vier bis fünf der Unglücklichen mittelst 18 Zoll langer und sehr dicker eisernen Stangen an einander schmieden. Nach dieser Operation waren sie frei, das heißt, sie konnten hingehen wo sie hin wollten; nur gab es überall Wächter, die strenge darauf zu sehen hatten, daß keines der Eisen losgefeilt würde. Starb einer von der Gruppe, so mußte ihm der Kopf abgeschnitten werden, um den Körper von dem Halseisen befreien zu können, und die Eisen des Verstorbenen blieben den noch Lebenden zur Last, so daß diese am Ende sich kaum mehr von dem Platze schleppen konnten und unter dem schweren Gewichte jämmerlich zu Grunde gingen.
Im Jahre 1855 fiel es einigen Leuten in der Provinz Vonizonga unglücklicher Weise ein, zu behaupten, daß sie ein Mittel entdeckt hätten, die Hand eines Diebes wenn er dieselbe nach etwas ausstrecke, unsichtbarer Weise zu befestigen, so daß er sie nicht bewegen und nicht von der Stelle kommen könne. Als die Königin davon hörte, befahl sie die Leute strenge zu bestrafen, denn wie sie meinte, könnte sie selbst einmal in diese Provinz kommen, und durch ähnliche Hexereien getödtet werden. Zweihundert Personen wurden gefangen genommen und zum Tanguin verurtheilt, wovon 180 starben.
Das Tanguin (Vergiftung) wird sehr häufig und über Leute jeden Standes, über den Hoch-Adeligen wie über den Sklaven verhängt; es genügt dazu der bloßen Beschuldigung irgend eines Verbrechens. Jedermann kann den Ankläger machen; er braucht keine Beweise vorzubringen. Das einzige, was er zu thun hat, ist 28½ Thaler zu erlegen. Dem Beschuldigten wird nicht erlaubt, sich zu vertheidigen; er muß sich der Probe des Giftes unterwerfen. Kommt er mit dem Leben davon, so gibt man ihm ein Drittheil des erlegten Geldes, das zweite Drittheil gehört der Königin und das dritte wird dem Ankläger zurückgegeben. Stirbt der Beschuldigte, so erhält der Ankläger sein Geld zurück, weil in diesem Falle seine Anklage als richtig betrachtet wird.
Die Vergiftung geschieht auf folgende Art: das Gift kommt von dem Kerne einer Frucht, welche die Größe eines Pfirsiches hat und auf dem Baume Tanguinia veneniflora wächst. Dem Verurtheilten wird vom dem Lampi-tanguine (so heißt derjenige, welcher das Gift eingibt) der Tag bestimmt, an welchem er es zu nehmen hat. Er darf schon 48 Stunden vor dem festgesetzten Tage nur sehr wenig, und in den letzten 24 Stunden gar keine Nahrung zu sich nehmen. Seine Verwandten begleiten ihn zu dem Giftmischer. Hier muß er sich entkleiden und schwören, zu keiner Zauberei Zuflucht genommen zu haben. Der Lampi-tanguine schabt dann mittelst eines Messers so viel Pulver von dem Kerne, als er für nöthig hält. Bevor er dem Beschuldigten das Gift eingibt, fragt er ihn, ob er sein Verbrechen eingestehen wolle, was dieser jedoch nie thut, da er das Gift dennoch einnehmen müßte. Der Lampi-tanguine legt das Gift auf drei Stückchen Haut, die aus dem Rücken eines fetten Huhnes geschnitten und ungefähr zollgroß sind, rollt sie zusammen und heißt den Beschuldigten sie verschlucken.
In früheren Zeiten starben beinahe alle, die dieses Gift nahmen, unter den heftigsten Schmerzen und Zuckungen; seit ungefähr zehn Jahren ist aber jenen, die nicht von der Königin selbst zum Tanguin verurtheilt werden, erlaubt, folgendes Mittel dagegen anzuwenden: Sobald der Beschuldigte das Gift genommen hat, geben ihm seine Verwandten Reiswasser in solcher Menge zu trinken, daß oft der ganze Körper anschwillt, wodurch gewöhnlich ein schnelles heftiges Erbrechen bewirkt wird. Hat der Vergiftete das Glück, nicht nur das Gift, sondern auch die drei Häutchen, und zwar letztere unversehrt zu erbrechen, so wird er für schuldlos erklärt, und seine Verwandten bringen ihn im größten Triumphe unter Jubel und Gesang nach Hause. Bleibt aber eines der Häutchen zurück, oder ist es beschädigt, so rettet er nicht das Leben – er wird in diesem Falle durch die Lanze oder auf eine andere Art getödtet.
Einer von den Adeligen, die häufig unser Haus besuchten, war vor mehreren Jahren dazu verurtheilt worden, das Tanguin zu nehmen. Er erbrach glücklicher Weise das Gift und die drei Häutchen, alle drei vollkommen unversehrt. Sein Bruder lief eilig zu der Gattin, ihr dieses freudige Ereigniß zu verkünden, und die Arme wurde davon so ergriffen, daß sie besinnungslos zu Boden sank. So viel Gefühl bei einer der hiesigen Frauen zu finden, kam mir ganz unerwartet, und ich wollte es kaum glauben. Da erfuhr ich aber, daß, wenn ihr Mann gestorben wäre, man sie eine Hexe genannt und wahrscheinlich auch zum Tanguin verurtheilt hätte – die heftige Gefühls-Aufregung war daher wohl mehr eine Folge der Freude über die eigene Rettung, als über die des Gatten. während meiner Anwesenheit in Tananariva starben einem Weibe plötzlich mehrere Kinder. Man beschuldigte es, seine Kinder durch Zauberei getödtet zu haben, und verurtheilte die Mutter zum Tanguin. Die Unglückliche erbrach zwar das Gift und auch zwei der Häutchen, das dritte kam jedoch nicht zum Vorschein. Sie wurde daher ohne Barmherzigkeit getödtet.
Wie schon früher bemerkt wurde, hat die Königin gleich bei dem Antritte ihrer Regierung das Christenthum, welches unter König Radama in Madagaskar eingeführt worden war, auf das strengste unterdrückt. Dessenungeachtet soll es noch ziemlich viel Christen auf dieser Insel geben, die natürlich ihren Glauben so geheim als möglich halten. Trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln wurde aber dennoch vor ungefähr sechs Jahren in Tananariva eine ganze kleine Gemeinde verrathen und aufgegriffen. Die Königin ließ vier von den Unglücklichen verbrennen – eine Strafe, die gewöhnlich nur über Adelige, Offiziere und Soldaten verhängt wird – vierzehn über den hohen Fels stürzen und viele andere zu Tode prügeln. Von den übrigen wurden die Adeligen ihrer Titel und Würden entsetzt, die Nichtadeligen als Sklaven verkauft. Die aufgefundenen Bibeln verbrannte man öffentlich auf dem großen Marktplatze.
Eine der geringsten Strafen, zu welchen die Königin ihre Unterthanen verurtheilt, ist, sie als Sklaven verkaufen zu lassen. Folgende Fälle mögen beweisen, mit welcher Leichtigkeit dieß geschieht.
Einst hatte sie spanische Thaler schmelzen und daraus silberne Schüsseln verfertigen lassen. Als man diese ihr brachte, war sie mit der Arbeit nicht ganz zufrieden, berief die Silber- und Goldschmiede nach dem Palaste und trug ihnen auf, eine bessere Arbeit zu liefern. Die guten Leute thaten ihr möglichstes und brachten zu ihrem Unglück schönere Schüsseln zu Stande, als das erste Mai. Die Königin war damit zufrieden, lobte sie und als Belohnung – befahl sie, die ganze Zunft als Sklaven zu verkaufen, auch jene, die an der Arbeit gar nicht betheiligt gewesen waren, und zwar aus dem Grunde, weil sie nicht gleich das erste Mai so schöne Schüsseln geliefert hatten, als sie es zu thun im Stande waren.
Ein anderes Mal verloren viele Personen ihre Freiheit in Folge eines Sterbefalles in der königlichen Familie. Wenn ein Adeliger aus was immer für einer Kaste stirbt, hat die vierte Kaste die Verpflichtung, ihm das Sterbetuch überzuwerfen und den Leichnam in das Grab zu senken. Der Verstorbene war aber in Ungnade gefallen und von der Stadt verbannt gewesen, auch wurde vom Hofe keine Trauer für ihn angelegt. Unter diesen Umständen befürchteten die Adeligen der vierten Kaste der Königin zu mißfallen, wenn sie dem Todten die letzte Ehre erwiesen und überließen dieß Leuten aus dem Volke. Kaum aber wurde die Königin davon unterrichtet, so verurtheilte sie die ganze Kaste zu einer Strafe von 400 Thalern und ließ aus ihr 126 Personen, darunter Weiber und Kinder, als Sklaven verkaufen.
Oft gerathen sämmtliche Bewohner eines Dorfes in Sklaverei, blos weil sie von dem Fleische eines gestohlenen Ochsen genossen haben. Der Diebstahl eines Ochsen wird nämlich mit dem Tode bestraft; gehört aber der gestohlene Ochs der Königin, so wird nicht nur der Dieb hingerichtet, sondern alle Leute, welche von dem Fleische des Ochsen gegessen haben, werden als Sklaven verkauft, und da man sich nicht die Mühe gibt zu untersuchen, wer dieß gethan oder unterlassen hat, so trifft die Strafe, wie gesagt, die ganze Ortschaft, in welcher der Ochs verkauft und geschlachtet wurde. Nur das Kind an der Mutterbrust wird verschont, weil man voraussetzt, daß ein Säugling kein Fleisch ißt.
Ein nicht geringeres Verbrechen von Seite der Unterthanen ist es, zu Wohlhabenheit und Reichthum zu gelangen, und es zieht ihnen dieß, sobald es bekannt wird, die größten Verfolgungen zu. Erfährt die Königin z. B., daß eine Ortschaft etwas reich an Vieh, an Reis oder anderen Dingen geworden ist (von Geld kann natürlich bei Dorfbewohnern nicht die Rede sein), so stellt sie den Leuten irgend eine Aufgabe, die sie nicht vollbringen können; sie fordert von ihnen, so und soviel Holz und Steine oder sonstige Gegenstände in einer bestimmten Zeit nach einem bestimmten Orte zu schaffen. Die Quantität der Gegenstände ist aber so groß und die zu ihrer Herbeischaffung angewiesene Zeit so kurz, daß die Leute bei dem besten Willen und mit größter Anstrengung damit nicht zu Stande kommen können. So werden sie dann zu Geldstrafen von einigen hundert Thalern verurtheilt, und da sie diese nicht besitzen, müssen sie ihr Vieh, ihren Reis, ihre Sklaven, ja häufig sich selbst verkaufen.
Einzelne Reiche werden mitunter auf folgende Art ausgeplündert: Ein Tsitialenga (so heißt derjenige, der nicht lügt) geht von Soldaten begleitet in das Haus des ausersehenen Opfers; hier pflanzt er seine Lanze in den Boden, beschuldigt das Haupt der Familie irgend eines Vergehens gegen die Regierung, eines ausgestoßenen Schimpfwortes gegen die Königin, oder sonst eines Verbrechens, nimmt den Beschuldigten gefangen und führt ihn vor den Richter. Verliert er den Prozeß, so wird seine ganze Habe konfiscirt, gewinnt er ihn, so geht sein halbes Besitzthum auf Bestechungen und andere Kosten auf, denn obgleich Madagaskar ein halbwildes Land ist, so verstehen die Richter ihr Geschäft dennoch eben so gut, wie ihre Kollegen in manchen der civilisirten Staaten Europa's.
Doch mit Hinrichtungen, Vergiftungen, Sklaverei, Beraubungen und anderen Strafen ist bei weitem noch nicht alles abgethan; was Bosheit und Grausamkeit anbelangt, ist der Scharfsinn der Königin Ranavola unerschöpflich. So hat sie denn auch andere Mittel ersonnen, die armselige Bevölkerung zu verdünnen oder noch mehr in das Elend zu bringen. Eines dieser Mittel, welches von Zeit zu Zeit angewendet wird, ist eine Reise der Königin.
Beispielsweise begab sich die Königin im Jahre 1845 nach der Provinz Manerinerina, um sich vorgeblich mit Büffel-Treibjagden zu unterhalten. Auf dieser Reise begleiteten sie mehr als 50.000 Personen; alle Adeligen, alle Offiziere aus naher und weiter Umgebung von Tananariva hatte sie dazu eingeladen, und damit der Zug recht pomphaft erscheine, mußte jeder seine sämmtlichen Diener und Sklaven mitnehmen. 10.000 Soldaten marschirten mit, nicht viel weniger Träger, und 1200 Mann gingen stets eine Tagreise voraus, um die Wege breiter zu machen und auszubessern. Auch die Bewohner der Dörfer, an welchen die Königin vorüber kam, wurden nicht verschont, und von jeder Ortschaft mußte wenigstens ein Theil der Einwohner mit Weibern und Kindern dem Zuge folgen. Viele aus dem Volke wurden gleich den Wegmachern vorangeschickt, um das Nachtquartier der Königin zu bereiten – eine nicht geringe Arbeit, da die Häuser oder Zelte, welche für die königliche Familie bestimmt waren, von einem hohen Erdwalle umgeben werden mußten, damit Ihre hohe Majestät nicht etwa während der Nacht von Feinden überfallen und ihrem geliebten Volke geraubt würde.
Da die erhabene menschenfreundliche Frau bei einer solchen Reise nur für ihren eigenen Unterhalt Vorsorge trifft und ihren Begleitern nichts anderes gibt als die Erlaubniß, sich von den Lebensmitteln zu ernähren, die jeder selbst mitbringt (vorausgesetzt, daß er dieß kann), so tritt unter den Soldaten, dem Volke und den Sklaven nur zu bald Hungersnoth ein. Dieß war auch bei jener Reise der Fall, und in den vier Monaten, welche sie währte, sollen an 10.000 Menschen, darunter besonders viele Weiber und Kinder, erlegen sein. Selbst der größte Theil der Adeligen litt die härtesten Entbehrungen, denn wo es noch einigen Reis gab, wurde er zu einem so hohen Preise verkauft, daß ihn nur die Reichsten und Vornehmsten bezahlen konnten.
In den ersten Jahren der Regierung der Königin Ranavola, als sie sich noch nicht fest genug auf dem Throne fühlen mochte, um ihre Grausamkeit an den eigenen Unterthanen auszuüben, war ihr Haß hauptsächlich gegen die Nachkommen des Königs Radama und gegen die Europäer gerichtet. Was letztere anbelangt, so hielt sie häufig Berathschlagungen mit ihren Ministern und anderen hohen Würdenträgern über die Mittel, diese verwünschte Race ferne von ihrem Lande zu halten. Wie mir Herr Laborde erzählte, sollen bei dieser Gelegenheit die aberwitzigsten und lächerlichsten Vorschläge an's Tageslicht gekommen sein. Einer der hochweisen Räthe z. B. äußerte den Gedanken, eine sehr hohe starke Mauer im Meere rings um Madagaskar aufzuführen, damit sich kein Schiff einem der Hafenplätze nähern könne. Ein zweiter schlug der Königin vor, riesige Scheren machen zu lassen und auf den Wegen, welche von den verschiedenen Hafenplätzen nach der Hauptstadt führen, aufzustellen; käme ein Europäer, so klappte man die Schere in dem Augenblicke, in welchem er über sie schritte, zusammen, und der kühne Wagehals wäre entzwei geschnitten. Ein dritter, nicht minder klug, rieth der Königin, eine Maschine mit einer großen eisernen Platte erfinden zu lassen, an welcher die feindlichen Kanonenkugeln abprallend, auf die Schiffe zurückgeworfen und letzteren dadurch verderblich würden.
Alle diese Vorschläge wurden von Ihrer Majestät mit vielem Beifall, mit großem Lob aufgenommen; man berieth sich darüber in der hohen Versammlung tage- und wochenlang – leider kam aber nichts zur Ausführung.
Noch muß ich einer rührenden Scene erwähnen, welche die englische Missions-Gesellschaft wohl nicht ermangeln wird, sollte sie es nicht bereits gethan haben, sehr zu Gunsten der Königin Ranavola auszulegen.
Die Königin liebt nichts so sehr als Kämpfe zwischen Stieren, und diese edle Unterhaltung findet häufig in dem schönen großen Hofraum vor dem Palast statt. Unter den gehörnten Kämpfern hat sie gar manche Lieblinge; sie erkundigt sich jeden Tag nach deren Wohlsein und trägt Sorge für sie, wie unsere europäischen Damen für ihre Schooßhündchen; wie zuweilen auch diesen gilt ihr das Wohl ihres vierfüßigen Lieblings bei weitem mehr, als das ihrer Freunde und Diener.
Einst in einem Gefechte fiel einer dieser Lieblinge und noch dazu der meist bevorzugte – die arme Königin war untröstlich über diesen Verlust. Bisher hatte niemand sie weinen gesehen. Es betraf sie in ihrem Leben wohl manches Unglück, denn sie hat ihre Eltern, ihren Mann, einige Kinder, Brüder und Schwestern verloren. Was sind aber diese alle im Vergleich zu ihrem Lieblingstier?! – Sie weinte bitterlich, und lange, lange vermochte sie sich nicht zu trösten. Das Thier wurde mit all' den Ehren begraben, welche einem Großen des Reiches zukommen; man hüllte es in viele Simbus, überdeckte es mit einem großen, weißen Tuche und Marschälle mußten es zu Grabe tragen. Die Marschälle bewiesen bei dieser Gelegenheit, daß die Race der Hofleute auch in Madagaskar gedeiht – sie waren stolz auf diese Auszeichnung und rühmen sich ihrer noch heutzutage. Zwei große Steine wurden auf das Grab gesetzt zum Andenken des geliebten Verblichenen, und man sagt, daß die Königin seiner noch immer mit Wehmuth gedenke.
Dieses Grabmal liegt in der inneren Stadt; ich sah es selbst, und auch ich gedachte mit Wehmuth, aber nicht des todten Stieres, sondern des unglücklichen Volkes, das unter dem blutigen Drucke dieser Königin schmachtet, und des nicht minder unglücklichen Sektenhasses, der eine christliche Gesellschaft so weit bringen kann, ein solches Weib in Schutz zu nehmen.